Staatliche Getreideverteilungen in der römischen Republik

Politisches Instrument oder soziale Maßnahme?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

I. Die lex Sempronia frumentaria: Die Institutionalisierung der staatlichen Getreidevergabe

II. Lex Clodia frumentaria: Die unentgeltliche Vergabe von Getreide

III. Die cura annonae des Pompeius: Getreide für ganz Italien

IV. Die Bedeutung der drei Getreidegesetzgebungen

V. Schluss

VI. Literatur
Quellen:
Literatur:

Einleitung

Frumentationes – staatliche Getreideverteilungen für die Bürger der Stadt Rom – waren in der römischen Republik eine umstrittene Maßnahme. Den gesellschaftlichen Normen nach gehörte Fürsorge in den privaten Bereich der Patron-Klienten-Beziehung.[1] Somit empfanden die antiken Autoren die staatlichen Eingriffe als eine Verletzung der Norm und kommentierten die Gesetze mit großer Ablehnung. Livius bezeichnete zum Beispiel die gracchischen Verteilungen als perniciosae leges,[2] Cicero nannte sie largitiones maximas.[3] Er war der Ansicht, C. Gracchus habe durch die Getreidevergabe den öffentlichen Besitz (patrimonium publicum) verschleudert und die Staatskasse erschöpft.[4] Das Volk habe er dem Arbeitseifer entwöhnt, zu Müßiggang erzogen und damit insgesamt dem Gemeinwesen geschadet.[5]

Hauptkritikpunkte der antiken Autoren waren der Vorwurf, die Staatskasse werde übermäßig belastet, die Kritik am Wohlfahrtsstaat und die Furcht der politischen Instrumentalisierung der Gesetze: Der Spender könne mit der Unterstützung des Volkes die bestehende Ordnung stürzen und die Macht an sich reißen (regnum). Die antiken Schreiber interpretierten die Getreidegesetze als Reaktion auf eine politische, nicht auf eine soziale Gefahr,[6] sie erfassten damit nur eine Seite dieser Zuwendungen. Einerseits lagen sie richtig: Getreidegesetze bedeuteten für den, der sie erließ, Beliebtheit beim Volk. Sie waren ein politisches Instrument, mit dem vor allem populare Politiker die optimatischen Gegner unter Druck setzten. Andererseits gingen die Gesetze die Probleme des römischen Getreidemarkts an, um die die Vertreter der optimatischen Oberschicht lange einen großen Bogen gemacht hatten. Sie versuchten auf unterschiedliche Weise, einen bezahlbaren Preis und ein ausreichendes Angebot an Getreide für die plebs urbana zu garantieren. Dadurch sollte ein wesentliches Prinzip der antiken Welt erfüllt werden, nach dem die Versorgung der Bürger eine wesentliche staatliche Aufgabe war.[7]

In dieser Arbeit sollen die drei herausragenden Getreideverteilungen der römischen Republik im Detail untersucht werden: die lex Sempronia frumentaria (123)[8], die lex Clodia frumentaria (58) und die cura annonae des Pompeius aus dem Jahr 57.[9] Die lex Sempronia frumentaria ist grundlegend für eine Analyse römischer Getreideverteilungen, da sie diese gesetzlich regelte und damit institutionalisierte.[10] Mit der lex Clodia frumentaria des P. Clodius Pulcher wurde Getreide zum ersten Mal unentgeltlich vergeben – es war das radikalste Angebot an die Empfänger. Anhand von Pompeius’ Sondervollmacht soll verdeutlicht werden, wie der erfolgreiche Feldherr das politische Spiel mit der Getreidesituation beherrschte.

In der vergleichenden Analyse wird geklärt, welche konkreten Maßnahmen durch die Gesetze ergriffen wurden und wie diese unter politischen und sozialen Gesichtspunkten zu bewerten sind. Es geht nicht allein darum, Gemeinsamkeiten der drei Getreideverteilungen zu konstruieren, sondern auch deren Unterschiede festzustellen. Zwischen der gracchischen Abgabe und den Getreideverteilungen aus der späten Republik liegen mehr als 70 Jahre. Es wird diskutiert, ob mit den sich ändernden Regelungen der Getreideverteilungen ein politischer und sozialer Wandel reflektiert wird; ob sich die Haltung zu den frumentationes von der mittleren zur späten Republik gewandelt hat. Die beiden zeitnahen Verteilungen aus den 50er Jahren können Auskunft geben über die politische Brisanz des Getreidethemas in der unruhigen Zeit der späten Republik und wie sie von den beiden Vertretern genutzt wurde.

Die Quellensituation macht den Zugang zu diesem Thema nicht leicht, da die antiken Autoren die frumentationes im Grunde nur ablehnend kommentieren, aber nicht über sie informieren (die Gesetze selbst sind nicht erhalten). Angesichts dieser erschwerten Ausgangslage versucht die Forschung bis heute, offene Fragen zur politischen Instrumentalisierung und zum sozialen Charakter der römischen Getreideverteilungen zu beantworten. Konsens herrscht darüber, dass die Verteilungen eher politisch motiviert waren. Inwieweit man den Verteilungen einen sozialen Charakter zusprechen kann, ist hingegen umstritten. Nach der ausgewogenen Beurteilung des C. Gracchus durch Theodor Mommsen wird von der lex Sempronia frumentaria ein differenziertes Bild gezeichnet, u. a. von Herbert Heftner und Jürgen von Ungern-Sternberg. Die lex Clodia frumentaria hingegen ist Gegenstand einer kontroversen Diskussion - ebenso wie die Figur P. Clodius Pulcher: Herbert Benner und Jörg Spielvogel nehmen hier wichtige konträre Positionen ein, eine mittlere Position vertritt Jeffrey Tatum. Pompeius’ Verdienste um die Getreidekoordination werden von Karl Christ und Matthias Gelzer gewürdigt; Kai Ruffing hingegen betrachtet Pompeius’ Leistungen kritischer und weist auf die Ungereimtheiten hinsichtlich der Getreidesituation hin, die zu seiner cura annonae führten. Neben der Getreidevergabe konnte auch das Zurückhalten von Getreide der eigenen Karriere förderlich sein.

I. Die lex Sempronia frumentaria: Die Institutionalisierung der staatlichen Getreidevergabe

Die lex Sempronia frumentaria des C. Gracchus aus dem Jahr 123 war Teil eines ganzen Bündels von Gesetzesentwürfen, die sich gegenseitig ergänzten und nach Heftner „in ihrer Wirkung zusammengenommen auf eine tief greifende Veränderung des politischen Systems der Republik“[11] hinausliefen.[12]

Anteil an dieser tief greifenden Veränderung hatte die lex Sempronia frumentaria, da sie Getreideverteilungen erstmals „gesetzlich regelte und damit institutionalisierte.“[13] Während in der griechischen Welt institutionalisierte Fürsorge für die Bürger eine akzeptierte Tatsache war,[14] wurde in Rom nach Heftner staatliche Fürsorge vor C. Gracchus nur in Einzelmaßnahmen „dilettantisch“ betrieben,[15] ein dauerhaftes Konzept und eine staatliche Infrastruktur fehlten.[16] Die lex Sempronia frumentaria kann als ein Versuch gesehen werden, eine staatliche Versorgungsstruktur aufzubauen, die langfristig wirken sollte. Aus den spärlichen Überlieferungen des Gesetzes ist zu erkennen, dass sein sozialer Charakter eingeschränkt war. Das Getreide wurde nicht unentgeltlich vergeben, sondern auf 6 1/3 As für den Modius (etwa 10 ½ Liter) fixiert.[17] Der damalige Durchschnittspreis für Getreide[18] als auch die Empfängerzahl sind jedoch ungewiss.[19] Man geht davon aus, dass 5 Modii pro Monat für eine Person ausreichend waren, Familien mussten für ihren Unterhalt also zusätzlich Getreide auf dem privaten Markt einkaufen. Die Getreideverteilungen waren nicht an soziale Kriterien gebunden, sondern erfolgten nach dem Bürgerprinzip.[20] Empfangsberechtigt waren nur die männlichen erwachsenen Bürger, die in der Stadt Rom eingeschrieben waren. Frauen, Fremde, die Landbevölkerung und alle Bürger in den Munizipien und Kolonien waren von den Verteilungen ausgeschlossen. Angesichts der Reihe von Einschränkungen, der die frumentatio unterlag, bezeichnet Garnsey das Gesetz als „a modest proposal“.[21]

Das gracchische Gesetz fiel in eine Zeit, in der die Getreidesituation in Rom angespannt war aufgrund der stark angewachsenen hauptstädtischen Bevölkerung und in Folge von Konflikten seit Mitte des 2. Jahrhunderts; darunter fielen die Kriege in Spanien und der Sklavenaufstand in Sizilien, der wohl die Ausfuhr lahm legte.[22] Folge waren nach Bruhns eine Explosion der Getreidepreise, zwischen 140 und 127 seien sie um 1200% gestiegen. Inwieweit die Getreidepreise zusätzlich durch Spekulation in die Höhe getrieben wurden, ist nicht sicher. Garnsey behauptet, die römische Verwaltung habe kein Interesse gehabt, den Getreidepreis stabil zu halten, selbst wenn sie die Möglichkeiten gehabt hätte. Es habe kein Interesse bestanden, die Gewinne von Händlern zu kontrollieren und den Konsumenten zu schützen.[23] Da der Staat selbst mit Getreide spekuliert habe, sei zuviel Getreide zum Markt-, nicht zum Einkaufspreis ausgegeben worden.

Angesichts dieser politisch angespannten Situation wird trotz der sozialen Beschränkungen und der lückenhaften Überlieferung in der Forschung vermutet, dass die lex Sempronia frumentaria für die Bevölkerung eine spürbare Erleichterung bedeutete, selbst wenn der Preis nur minimal unter den Preisen bei guter Versorgungslage lag. Ungern-Sternberg nimmt eine „bedeutende Preisreduktion“ selbst für Normaljahre an, nur in Fällen besonderer Baisse seien Abgabe- und Marktpreis einander nahegekommen.[24] Man kann davon ausgehen, dass die gracchische Preisfestsetzung auch die Preise auf dem privaten Markt gedrückt hat, in welchem Maße, ist ungewiss.

Die Erleichterung kam m.E. durch zwei einschneidende Maßnahmen zustande: 1. die Fixierung, also die „Garantie eines stabilen Getreidepreises“[25] und 2. durch Gracchus’ Versuch, das Angebot an Getreide der Nachfrage anzugleichen. Beide Maßnahmen sollten dem Problem der hohen Preisschwankungen für Getreide entgegenwirken. Einerseits trieben schlechte Ernten, Schwierigkeiten beim Transport und Spekulation den Getreidepreis in die Höhe; andererseits unterlag der Getreidepreis nach Erdkamp naturgemäß einem jährlichen Preiszyklus. Da nur einmal im Jahr geerntet werden konnte, wurde, je weiter die Erntezeit zurücklag, das Angebot an Getreide geringer; die Nachfrage aber blieb das ganze Jahr über gleich, was die Preise steigen ließ.[26] Das Getreideangebot war gekennzeichnet durch eine Inelastizität der Nachfrage im Verhältnis zum Angebot ("inelasticity of demand in relation to supply“).[27]

C. Gracchus begegnete sowohl den Versorgungsschwierigkeiten als auch der Spekulation: Er erhöhte das Angebot, indem er infrastrukturelle Maßnahmen wie den Bau von Getreidespeichern und den Ausbau des Straßennetzes beauftragte. Um die Abgaben zu finanzieren, erschloss er einen neuen Getreidemarkt und betrieb die Kolonisation von Africa, das zum wichtigsten Getreidelieferanten Roms wurde. Die Fixierung des Preises wirkte der Spekulation entgegen, auch wenn nicht genau geklärt werden kann, in welchem Ausmaß.

[...]


[1] Bruhns, Hinnerk: Armut und Gesellschaft in Rom. In: Mommsen, Hans und Schulze, Winfrid (Hg): Vom Elend der Handarbeit. Probleme historischer Unterschichtenforschung. Stuttgart 1981, S. 38.

[2] Liv. per.60.

[3] Cic. Tusc.3,48.

[4] Cic. Sest.48, 103.

[5] Cic. off. 2,72.

[6] Bruhns, Hinnerk: Armut, S.48.

[7] ebd., S.35.

[8] Die Jahreszahlen beziehen sich, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf den Zeitraum vor Christi.

[9] Die leges frumentariae waren von Volkstribunen eingebrachte Getreidegesetze, die cura annonae war eine Sondervollmacht für die Getreideaufsicht in Italien, die vom Senat verliehen wurde.

[10] Bruhns, Hinnerk: Armut, S.36.

[11] Heftner, Herbert: Von den Gracchen bis Sulla. Die römische Republik am Scheideweg 133-78 v. Chr. Regensburg 2006, S.66.

[12] Die anderen Gesetze beinhalteten ein Acker- und Koloniegründungsgesetz, ein Gesetz, das auf das Gerichtswesen

bezogen war und den Bürger vor Verurteilungen schützen sollte, die durch Bestechung oder Beeinflussung zustande kamen. Darüber hinaus wurden Angehörige aus dem Ritterwesen in die Rechtssprechung miteinbezogen.

[13] Bruhns, Hinnerk: Armut, S.36.

[14] Heftner, Herbert: Von den Gracchen bis Sulla, S.67.

[15] Livius berichtet von einem Aedil, der in die privaten Spekulationen eingreifen wollte. Liv. 38, 35,5.

[16] Die staatlichen Abgaben – frumentationes – sind von Euergetismus, Schenkungen und Spenden von privater Hand zu unterscheiden. Euergetismus diente den Kontakten der städtischen Oberschicht untereinander, weniger der Beziehung von Oberschicht zu Unterschicht. Nicht die Bedürftigkeit der Empfänger war Anlass für die Schenkungen, sondern die Freigebigkeit der Spender. Nur bei Hungersnöten und außergewöhnlich hohen Teuerungen waren private Schenkungen sozial motiviert.

[17] Cic. Sest.25,55.

[18] Peter A. Brunt behauptet, der Preis sei im Gegensatz zum Durchschnittspreis „significantly lower“ gewesen mit

dem Argument, seine Gegner hielten C. Gracchus vor, die Staatskasse zu erschöpfen. Er folgt damit dem Argument

antiken Autoren von der geschröpften Staatskasse. Dieses Argument wird weiter unten diskutiert. Brunt, Peter A.:

Social Conflicts in the Roman Republic. New York 1971.

[19] Nach Appian waren alle Bürger berechtigt (App.civ 1, 21), Cic.Tusc. 3,20,48.

[20] Bruhns, Hinnerk: Armut, S.36.

[21] Garnsey, Peter: Famine and Food Supply in the Graeco-Roman World. Responses to risk and crises. Cambridge, New York 1988, S.211. Ebenso Meijer, Fik: The financial aspects of the leges frumentariae of 123-58 BC. In MBAH 9 (1990/2), S.14-24, S.15.

[22] Von Ungern-Sternberg, Jürgen: Die politische und soziale Bedeutung der spätrepublikanischen leges frumentariae. In: Giovannini, Alberto: Nourrir la plèbe. Basel, Kassel 1991, S.28.

[23] Garnsey, Peter: Famine and Food Supply, S.214f.

[24] Von Ungern-Sternberg, Jürgen: Die politische und soziale Bedeutung, S.22.

[25] Heftner, Herbert: Von den Gracchen bis Sulla, S.67.

[26] Erdkamp, Paul: The grain market in the Roman empire. Cambridge 2005, S.151.

[27] Erdkamp, Paul: The grain market, S.152.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Staatliche Getreideverteilungen in der römischen Republik
Untertitel
Politisches Instrument oder soziale Maßnahme?
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Veranstaltung
HS: Luxus und Armut in der Antike
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
19
Katalognummer
V94581
ISBN (eBook)
9783640101344
ISBN (Buch)
9783656084600
Dateigröße
406 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine vergleichende Analyse von drei Getreideverteilungen in der Römischen Republik: der lex Sempronia frumentaria des C. Gracchus (123 v.Chr.), der lex Clodia frumentaria des P. Clodius Pulcher (58 v.Chr.) und der cura annonae des Pompeius (57 v.Chr.). Die Arbeit zeigt: Frumentationes waren in der Römischen Republik eine umstrittene Maßnahme und wurden politisch instrumentalisiert.
Schlagworte
Staatliche, Getreideverteilungen, Republik, Luxus, Armut, Antike
Arbeit zitieren
Michael Kunth (Autor:in), 2006, Staatliche Getreideverteilungen in der römischen Republik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94581

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