Giovanni Boccaccios "Decamerone". Widersprüche und Hintergründe innerhalb der Novelle V, VIII


Hausarbeit, 2020

20 Seiten, Note: 1.0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Vorankündigung der Novella

3. Das Bild der Frau
3.1 Die schöne aber mundtote Frau
3.2 Die hochmütige Frau
3.3 Die gehorsame Frau

4. Die Darstellung von Liebe
4.1 Das Fundament der Liebe
4.2 Ein glückliches Ende
4.3 Veränderung der Liebe

5. Pseudotugend

6. Dantischer Einfluss

7. Ein allmächtiger Gott
7.1 Gottes gerechte Strafe
7.2 Verfremdung

8. Zusammenfassung

9. Literaturverzeichnis

Anmerkung der Redaktion: Abbildung 1 wurde aus urheberrechtlichen Gründen entfernt.

Sandro Bottticelli, Nastagio degli Onesti, terzo episodio, 1483, Palazzo Pucci, Firenze.

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit wird sich mit der achten Novelle des fünften Tages, die auch Höllenjagd genannt wird, aus dem Werk Decamerone von Giovanni Boccaccio beschäftigen.

Ziel dieser Arbeit soll sein, nennenswerte widersprüchliche Aspekte und ihre Hintergründe in der Novelle zu erforschen, zu analysieren und resultierende Erkenntnisse systematisch und zusammenhängend darzustellen. Die hier subsumierten Erkenntnisse dürfen, da sie die Vielschichtigkeit und Komplexität der Thematik nicht vollständig abdecken können, nicht als allumfassend und abschließend verstanden werden. Folgend werden verschiedene Aspekte einzeln beleuchtet, um zu guter Letzt in einem fusionierenden Kapitel zu münden.

2. Vorankündigung der Novella

Eines der Hauptthemen der hundert Novellen ist die Liebe in all ihren Variationen: die ernste, die heitere, die unerwiderte, die eheliche und die außerhäusliche Liebe. Auch das Thema dieser Novelle ist die Liebe; Genaugenommen die unerwiderte Liebe, die aber glücklich ausgeht. Sie reiht sich in die Geschichten ein, in denen Liebenden nach bitteren und schmerzlichen Ereignissen Glückliches geschieht. Dieses Leitthema der Geschichten wurde zuvor von der Königin des fünften Tages, Fiammetta, gewählt.

Filomena, eine der zehn Erzählfiguren, die in Boccaccios Decamerone vor der Pest, die in Florenz 1348 herrschte, flüchtete und sich auf ein Landgut in den Hügeln von Florenz begab, ist die Erzählerin der achten Geschichte des fünften Tages. Bevor Filomena ihre Geschichte also den anderen erzählt, heißt es: „[...] mipiace di dirvi una novella non men di compassion piena che dilettevole“ ( Boccaccio, 1995, S. 335). Filomena kündigt eine Geschichte an, die nicht weniger Mitgefühl erwecken als sie ergötzen solle. Die Geschichte diene also vorranging dem Amüsement. Ferner solle ihre Geschichte die Frauen dazu bewegen weniger hartherzig zu sein: „[...] la crudeltä vendicata; il che acciö che io vi dimostri e materia vi dea di cacciarla del tutto da voi [...]“ (Ebd.). Ergänzend zu der Vorankündigung der Geschichte sollte miteinbezogen werden, dass Boccaccio in seinem Proemio erklärt, dass all seine Geschichten vorrangig dem Trost liebender Frauen dienen würden, deren Leidenschaft von Männern enttäuscht worden sei und denen Unrecht geschehen sei (Vgl. Kölsch, 2012, S. 68). In dem Proemio heißt es:

„Esse dentro a‘ dilicati petti, temendo e vergognando, tengono l'amorose fiamme nascose, le quali quanto piü di forza abbian che le palesi coloro li sanno che l'hanno provato e provano; e oltre a ciö, ristrette da' voleri, da' piaceri, da' comandamenti de' padri, delle madri, de fratelli e de' mariti, il piü del tempo nel piccolo circuito delle loro camere racchiuse dimorano, e quasi oziose sedendosi, volendo e non volendo in una medesima ora, seco rivolgono diversi pensieri, li quali non èpossibile che sempre sieno allegri. “ (Boccaccio, 1995, S. 34)

Fasst man die Intention des Proemio und die der Vorankündigung der Geschichte zusammen, erwartet man folglich eine Geschichte, die erheitert und tröstet. Fraglich erschient demnach, wie eine Geschichte Trost spenden oder gar amüsieren soll, in der eine Frau, die dem Werben eines Verehrers nicht nachgibt und dafür zur Strafe auf ewig in der Hölle nackt vor ihm fliehen muss, bis er ihr das Herz herausschneidet und es den Höllenhunden vorwirft. Diesbezüglich hält Kölsch passend fest, dass die Rollen des Mannes und der Frau in der Novelle wohl nicht eindeutig seien (Vgl. Kölsch, 2012, S. 68). Trost spendet die Geschichte wohl eher den der Liebe wegen verzweifelten Männern, aber nicht den Frauen.

Die Widersprüchlichkeit wird noch rätselhafter dadurch, dass Filomena zuvor als Sinngeschichte ihrer Geschichte die Frauen aufforderte, nicht hartherzig zu sein (Vgl. Kölsch, 2012, S. 68). Mehr Übereinstimmung ergibt die Vorankündigung mit der eigentlichen Geschichte, wenn man crudeltä auf die Zurückhaltung gegenüber der Liebe und pietä auf die Verfügbarkeit von Liebe bezieht (Vgl. Guthmüller, 2003, S. 15). Das Begriffspaar pietä und crudeltä bildet einen Gegensatz.

Da am Ende der Geschichte die anwesenden Frauen und zusätzlich alle Frauen Ravennas, denen die Geschichte erzählt wurde, bekehrt werden und dem Werben von Männern einfacher nachgeben, kann vermutet werden, dass der Witz der Geschichte, sollte es einen geben, in eben dieser Bekehrung liegt.

Bezieht man zusammenfassend die Vorankündigung von Filomena und die Intention, die im Proemio vorgestellt wurde, auf die Geschichte, so stellt man keine Übereinstimmung, sondern eine Paradoxie fest. „Am Ende scheint das Glück dem Mann hold zu sein.“ (Kölsch, 2012, S. 68). Es besteht eine Diskrepanz zwischen der Absichtserklärung der Geschichte und dem Effekt, den sie letztendlich bewirkt.

3. Das Bild der Frau

Betrachtet man das gesamte Werk Decamerone an sich, fällt an vielen wiederholt Stellen auf, dass Boccaccio ein auffallend selbstbewusstes, geduldiges, starkes und kluges Bild der Frau gestaltet. Er schafft sie als Erzähler/-innen der Novellen in der Überzahl, sieben zu drei, und sie dürfen die Regeln der Versuchsanordnung bestimmen. Zudem zeugen einige Geschichten, wie beispielsweise die letzte Geschichte des Buches der Griselda, von außerordentlicher weiblicher Stärke in Form von Geduld. Hinzukommt, dass einige Frauen bei Boccaccio sexuelles Verlangen haben und dieses explizit ausdrücken. Auch hier ist erneut zu ergänzen, dass Boccaccio bereits in seiner Vorrede konstatierte, dass das Buch in erster Linie für Frauen geschrieben sei.

3.1 Die schöne aber mundtote Frau

In der vorliegenden Novella wird allerdings von einer zwar wunderschönen, aber kaltherzigen, ruchlosen und hämischen Frau geschrieben. Das negative Frauenbild wird durch eine weitere Binnenerzählung verstärkt, da auch dort eine wunderschöne, aber kaltherzige, ruchlose, hämische Frau nackt und weinend vor einem Ritter flieht. Dieser wird sie jeden Freitag an derselben Stelle in einem Pinienwald mit seinen kläffenden Hunden erreichen, ihr das Herz herausschneiden und dieses an die Hunde verfüttern, woraufhin sie sich dann, wie von Zauberhand, erneut erhebt und die Jagd von vorne beginnt. Die Verwandtschaft zwischen den vier Figuren, den zwei Männern und den zwei Frauen, hielt Baricci fest indem er schrieb: „[...] come se Nastagio degli Onesti e Guido degli Anastagi fossero effettivamente un'unicapersona, e cosi an che la Traversari e la donna amata da Guido” (2015, S. 448). Die Analogie der Namen der beiden Protagonisten Nastagio und Guido degli Anastagi ist nicht zu übersehen. In Guido degli Anastagi trifft Nastagio auf ein alter ego.

Auffällig ist hingegen, dass weder der Vorname der nackten Frau im Pinienwald noch der Vorname von Nastagios Angebeteten in der Geschichte genannt werden, sondern Letztere lediglich die Tochter des Paolo Traversari bleibt. Damit sind sie aber nicht allein, denn keine Frau in der Geschichte trägt einen Namen, die Männer dagegen schon. Bertone schreibt diesbezüglich passend: „La Traversari, come sappiamo, è anonima, porta in sé il nome di tutte le ravegnane e delle novellatrici e delpubblicofemminili universo” (2014, S. 199). Denkbar ist, dass ihnen aufgrund ihres widerspenstigen Verhaltens, das der Zeit nicht angemessen war, keine Namen zustehen, sondern sie immer die Tochter des Vaters etc. bleiben. Frauen bleiben in der Novella folglich weitestgehend anonym. Außerdem haben sie in der Geschichte keine Sprechanteile, was im Kontrast dazu steht, dass sie von einer Frau, Filomena, erzählt wird. Cozzarelli schreibt dazu: „Once again, we have female characters who are unable to speak fully; one, the ghostly victim of the endless attack, and the other, a living woman who speaks, indirectly, only to offer herself to Nastagio after her coercion through fear” (2017, S. 124). Da die Frau im Pinienwald ausschließlich als jammernd und weinend beschrieben wird, besteht kein Raum für eine selbstbewusste Darstellung, die sich in das gesamte Werk besser einfügen würde. Dazu kommt, dass sie nackt und damit ultimativ hilflos und ausgeliefert dargestellt wird. Das Bild der in dieser Novella gezeichneten Frau widerspricht dem des Gesamtwerks.

3.2 Die hochmütige Frau

Es wird von der nackten Frau gesagt, dass sie zu Lebzeiten hochmütig gewesen sei, wie die Geliebte des Nastagio. Beide Frauen haben sich dem Werben ihrer Verehrer, dem des Ritters Guido degli Anastagi und dem des Nastagio, widersetzt. Kölsch schreibt dazu: „Sie lehnte seine Werbung ab; hart und feindselig ließ sie ihn Verachtung spüren, sei es aus Hochmut wegen ihrer Schönheit oder wegen ihres Adels“ (2012, S. 65). Die Tochter des Paolo Traversari ist von aristokratischer Herkunft, Nastagio hingegen wurde durch ein Erbe seines Vaters und Onkels reich. Dies könnte ein Grund für die Widerwilligkeit des Mädchens sein. In der Zeit des Spätmittelalters wird es kaum vorgekommen sein, dass sich Frauen gegen eine Hochzeit mit einem noblen Mann wehren konnten, nur weil er ihnen nicht gefiel.

Guido degli Anastagi nahm sich wegen der quälenden Schmerzen, die ihm die Liebe bereitete, das Leben. Seine Geliebte starb kurz nach ihm. Ihr Todesgrund bleibt aber unerwähnt. Auf Seite 337 der Geschichte heißt es: „[...] la qual della mia morte fu lieta oltre misura [...]“ (Boccaccio, 1995). Sie soll also erfreut über seinen Tod gewesen sein. Die Beschreibung dient ihrer Darstellung als herzlose Frau. Analog dazu schneidet ihr der Ritter, der sie einst liebte, sobald er sie erreicht, das Herz bekräftigend heraus. Fraglich erscheint, ob das Herausschneiden des Herzes zwingend als Bestätigung ihrer Herzlosigkeit ihm gegenüber, oder aber als ungerechte Strafe eines Mannes, dessen Liebe nicht erwidert wurde, an seiner Geliebten zu deuten ist.

In jedem Fall aber wird die Frau an sich in der Novella als Schuldige an allem Übel, hier an dem Leiden und letztendlich sogar dem Tod des Guido, aber auch an dem Leiden des Protagonisten der Geschichte, Nastagio, der ja ebenso wie Guido, unter der Ablehnung seines Werbens leidet, dargestellt und bestraft. Dieser leide so sehr, dass auch er Selbstmord in Betracht ziehe: „[...] gli venne in desiderio d'uccidersi [...]“ (Boccaccio, 1995, S. 335). Die Frau sei „per la sua fierezza e crudelta“ (Boccaccio, 1995, S. 337) für das Leiden und die Qualen der Männer verantwortlich zu machen. Baricci schreibt dazu: „[...] nel Decameron la colpa della donna è spiegata da Guido degli Anastagi. [...] la sua amata [...] è dannata alle pene del ninferno” (2015, S. 449). Angemerkt werden kann an dieser Stelle eine eventuelle Korrelation zwischen dem Schuldverhältnis in der Geschichte zwischen Mann und Frau und dem Sündenfall der Genesis, aus der ebenfalls die Frau als Schuldige abgeleitet wird.

3.3 Die gehorsame Frau

Durch die Darstellung einer pervertierten Venus wird sich erstens von der generellen positiven Darstellung der Frau bei Boccaccio entfernt und zweitens aber auch verdeutlicht, wie die ideale Venus sich zu verhalten habe. Sie solle weniger eigenen Vorstellungen folgen, sondern gefügiger, gehorsamer und bescheidener in ihren Wünschen sein. Dies widerspricht der im Decameron dargestellten Selbstbestimmtheit der Frau. In dieser Novella wird die Frau für ihr widerspenstiges Wesen bestraft und fügig gemacht.

Obwohl es auf Seite 336 heißt, dass die Gejagte doch kein „fiera salvatica“, also kein wildes Tier sei, bleibt offen, wo die Abgrenzung zu ihr und eben diesem sei. In ihr stecke, der Beschreibung zufolge, ja so viel Bosheit, dass sie diese Strafe verdiene: „[.] lascia fare a‘ cani e a me quello che questa malvagia femina ha meritato“ ( Boccaccio, 1995, S. 336). Außerdem wurde sie zuvor auf Seite 335 als „tanto cruda e dura e salvatica“ beschrieben. Dadurch, dass ihre Strafe als gerechte Strafe dargestellt wird, verstärkt sich der Charakter des Schuldtragens.

[...]

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Giovanni Boccaccios "Decamerone". Widersprüche und Hintergründe innerhalb der Novelle V, VIII
Hochschule
Universität zu Köln
Note
1.0
Jahr
2020
Seiten
20
Katalognummer
V941763
ISBN (eBook)
9783346274083
ISBN (Buch)
9783346274090
Sprache
Deutsch
Schlagworte
giovanni, boccaccios, decamerone, widersprüche, hintergründe, novelle, viii
Arbeit zitieren
Anonym, 2020, Giovanni Boccaccios "Decamerone". Widersprüche und Hintergründe innerhalb der Novelle V, VIII, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/941763

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