Früher Fremdsprachenunterricht in der Grundschule


Examensarbeit, 2006

157 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretische Grundlagen des frühen Fremdsprachenunterrichts in der Grundschule
2.1 Allgemeine Erläuterung der Begriffe früher Fremd- sprachenunterricht -Fremdsprachenfrühbeginn
2.2 Früher Fremdsprachenunterricht aus historischer Perspektive
2.3 Spracherwerbstheorien
2.3.1 Erstspracherwerb
2.3.2 Zweit- und Fremdspracherwerb
2.3.3 Konsequenzen für den frühen Fremdsprachenunterricht
2.4 Begründung des frühen Fremdsprachenunterrichts
2.4.1 Gesellschaftlicher Bezugsrahmen
2.4.2 Neurophysiologischer Bezugsrahmen
2.4.3 Entwicklungspsychologischer Bezugsrahmen
2.4.4 Emotiver und attitudinaler Bezugsrahmen
2.4.5 Fazit
2.5 Optimal age discussion: Wann sollte frühes Fremdsprachenlernen beginnen?
2.5.1 Erkenntnisse aus empirischer Forschung
2.5.2 Schulpolitische und fremdsprachendidaktische Gesichtspunkte
2.5.3 Wiener Schulversuch Englisch auf der Grundstufe I
2.6 Gegenwärtige Konzepte des Fremdsprachen- unterrichts
2.6.1 Systematischer Fremdsprachenunterricht
2.6.2 Begegnungskonzept
2.6.3 Immersion
2.6.4 Frühbeginn
2.7 Die Auswahl von Englisch als erste Fremdsprache

3 Unterrichtsplanung
3.1 Allgemeine Begriffsklärung der Begriffe
Unterrichtsplanung - Unterrichtsvorbereitung
3.2 Elementare Grundlagen der Unterrichtsplanung
3.3 Notwendigkeit von Unterrichtsplanung
3.4 Grenzen der Unterrichtsplanung
3.5 Wesentliche Elemente der Unterrichtsplanung des Englischunterrichts

4 Lerninhalte, Lernziele und Prinzipien grundschulgemäßen Englischunterrichts
4.1 Lerninhalte
4.2 Lernziele
4.2.1 Hörverstehen
4.2.2 Sprechfertigkeit
4.2.3 Lesefertigkeit
4.2.4 Schreibfertigkeit
4.3 Prinzipien grundschulgemäßen Englischunterrichts
4.3.1 Anschaulichkeit
4.3.2 Ganzheitlichkeit und Lernen mit allen Sinnen
4.3.3 Handlungsorientierung
4.3.4 Spielerisch-musisches Englischlernen
4.3.5 Authentizität
4.3.6 Verzicht auf explizite grammatikalische Bewusstmachung vs. language awareness

5 Anregungen für die Unterrichtsplanung des Englischunterrichts in der Grundschule
5.1 Lernvoraussetzungen
5.2 Konkrete Ideen für die Unterrichtsgestaltung
5.2.1 Die Technik des Total Physical Response (TPR)
5.2.2 Lieder, Reime, Gedichte
5.2.3 Spiele
5.2.4 Fantasy Journeys
5.2.5 Lehrwerk, Bilderbücher, einfache Lektüren und weiteres authentisches Sprachmaterial
5.2.6 Storytelling
5.2.7 Handpuppen
5.3 Möglichkeiten methodischer Umsetzung mit drama activities und role plays
5.3.1 Einblick in die Theorie des drama
5.3.2 Frühes Fremdsprachenlernen im Rahmen von drama activities
5.3.3 Die Aufführung des Theaterstücks The Pied Piper
5.3.4 Schülerbefragung
5.3.5 Reflexion und Schlussfolgerung

6 Offener Unterricht
6.1 Offener Unterricht: Ein Versuch der Begriffsklärung
6.2 Unterscheidung zweier Ebenen offenen Unterrichts
6.3 Begründungszusammenhang für Öffnung des Unterrichts
6.4 Argumente für Öffnung des frühen Fremdsprachenunterrichts
6.5 Fremdsprachenunterricht zwischen Offenheit und Steuerung
6.6 Fazit

7 Lernstandsermittlung und Leistungsbewertung
7.1 Grundschuldidaktische Prinzipien für die Beurteilung der Sprechleistung
7.2 Formen der Leistungsbewertung
7.3 Eine besondere Form der Leistungsbeurteilung: Das Sprachenportfolio
7.3.1 Ursprüngliche Bedeutung des Portfolios und Initiativen zur Entwicklung des Europäischen Portfolios der Sprachen (EPS)
7.3.2 Einsatz des Portfolios im frühen Fremdsprachenunterricht
7.3.3 Form des Portfolios

8 Früher Fremdsprachenunterricht in Europa
8.1 St. Kilian’s German School Dublin - Ein Erfahrungsbericht
8.2 Früher Fremdsprachenunterricht im Fach Englisch in Polen

9 Neue Entwicklungen im frühen Fremdsprachenunterricht

10 Schlussbetrachtung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Erfahrungsfelder, Bereiche und Aufgabenschwerpunkte

Abb. 2 Gegenüberstellung der Lernzieldimensionen

Abb. 3 Left- and right-brain functioning

Abb. 4 Authentische Materialien

Abb. 5 “Warum authentische Materialien?”

Abb. 6 Learning Styles Model

Abb. 7 Beobachtungs- und Beurteilungsskala für Sprechleistungen

Abb. 8 Gemeinsame Referenzniveaus: Globalskala

Abb. 9 Selbsteinschätzung “Food and drinks”

Anhang

Aufzeichnung des Theaterstücks The Pied Piper

1 Einleitung

Früher Fremdsprachenunterricht hat eine lange Tradition. Bereits im römischen Reich wurde Griechisch- und Lateinkenntnissen große Bedeutung zugewiesen. So wurden die Nachkommen der gehobenen Schicht von Hauslehrern oder Gouvernanten in diesen Sprachen unterrichtet. Zum einen wurde das Hauptmerk auf Grammatikkenntnisse und Übersetzungsübungen gelegt. Zum anderen war die Fremdsprache nicht Unterrichtsziel, sondern Kommunikationsmittel im Prozess der Bildung und Erziehung, wodurch der Unterrichtende ohne grammatikalische Unterweisung die Sprache zu beherrschen lernte (vgl. Sarter 1997, S. 2).

Heutzutage knüpft der moderne frühe Fremdsprachenunterricht in der Grundschule, zum Teil in einem wesentlich geringeren Zeitumfang, an diese Tradition an, indem er zwar ergebnis- und zielorientiert ausgerichtet ist, jedoch auf eine explizite grammatikalische Erklärungen und Regelwissen verzichtet. Insbesondere ist an dieser Stelle der Immersionsunterricht zu nennen, in dem die Zielsprache sowohl als Unterrichtsinhalt als auch als Kommunikationsmedium eingesetzt wird. Als Ausnahme erweist sich das Begegnungskonzept, das sprachliche Progression zugunsten interkultureller Ziele in den Hintergrund stellt.

Bis jetzt kann trotz zahlreicher Studien- und Untersuchungsergebnisse sowie jahrelanger praktischer Erfahrungen kein Konzept als das “richtige” eingestuft werden. Immer noch wird auf diesem Gebiet viel Forschung u. a. im Hinblick auf den geeigneten Beginn des frühen Fremdsprachenunterrichts betrieben mit dem Ziel, die Qualität des frühen Fremdsprachenunterrichts zu verbessern. Es stellt sich die Frage, wie früher Fremdsprachenunterricht in Deutschland im europäischen Vergleich zu bewerten ist. Persönliche Erfahrungen zum Fremdsprachenfrühbeginn in Ost- und Westeuropa sollen Eindrücke über alternative Unterrichtsmethoden und -verfahren vermitteln und zu diesem Vergleich beitragen.

Die Institution Schule muss der gesellschaftlichen Forderung nach Mehrsprachigkeit gerecht werden. Das ist nur eine von vielen Begründungen des frühen Fremdsprachenunterrichts, die erläutert werden sollen. Englisch in der Primarstufe wird als Wegbereiter für angestrebte Mehrsprachigkeit in Europa betrachtet, da durch dessen frühen Einsatz mehr Zeit und Raum für das Lernen weiterer Sprachen in der Sekundarstufe gewonnen wird. Daher ist es sinnvoll, zuerst im Allgemeinen auf die theoretischen Aspekte des frühen Fremdsprachenunterrichts einzugehen, um diesen anschließend konkret am Beispiel des Faches Englisch in der Grundschule darzustellen, zumal in Nordrhein-Westfalen Englisch zu 90% als erste Fremdsprache gewählt wird (vgl. Bebermeier 1999, S. 51).

In seiner Gestaltung muss früher Fremdsprachenunterricht anregend, kindgemäß und grundschulgerecht sein sowie die im Lehrplan Englisch verankerten verbindlichen Ziele erfüllen. Fremdsprachenfrühbeginn kann nur unter der Voraussetzung Erfolge tragen, wenn in der Fremdsprachendidaktik und -methodik Prinzipien der Grundschulpädagogik reflektiert werden, wodurch er sich deutlich von dem Anfangsunterricht der weiterführenden Schulen abgrenzt. In diesem Zusammenhang ist der Aspekt der Unterrichtsplanung besonders relevant und sollte entsprechend in dieser Arbeit im Bereich E2 (Unterrichtsplanung und -organisation) berücksichtigt werden. Beim Planen des fremdsprachlichen Unterrichts müssen vielschichtige Faktoren in ihrer Wechselwirkung und Komplexität beachtet werden. Entsprechend sind Möglichkeiten der Öffnung von Unterricht zu reflektieren. Anhand von konkreten Beispielen möchte ich aufzeigen, welche Methoden bei der Unterrichtsgestaltung eingesetzt werden können und inwiefern sie frühes Fremdsprachenlernen unterstützen. Zudem soll der Gesichtspunkt Leistungsbeurteilung diskutiert werden.

Die Brisanz und Aktualität der Thematik wird an einer unermesslichen Anzahl an Literatur sowie unbegrenzter Vielfalt an Lehr- und Lernmaterialien etc., aber auch an zahlreichen empirischen Studien und Gründungen von Fachverbänden und Vereinigungen wie der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (DGFF) und dem Fachverband Moderne Fremdsprachen (FMF) ersichtlich. Erst kürzlich, vom 10. bis zum 12. April 2006, fand der Gründungskongress Gesamtverband Moderne Fremdsprachen unter dem Motto: Mehrsprachigkeit als Standard - Sprachen lernen, fördern, evaluieren statt. Im Mittelpunkt standen Themen wie neue Wege des Lehrens und Lernens (z. B. Lernforschung, aktives Lernen), output-orientierte Schule (z. B. Bildungsstandards), neue Evaluationskultur (z. B. Referenzrahmen, PISA, DESI, Zertifikate), Fremdsprachenlernen als Kontinuum (z. B. Grundschule, Frühbeginn, VHS), Lehrerausbildung (z. B. Bologna-Prozess, Professionalisierung, Sprachpraxis) als auch Aufwertung der mündlichen Sprachkompetenz (z. B. Gruppenprüfungen, Bewertung).

Die umfangreiche Thematik verdeutlicht, welches breite Gebiet, das noch lange nicht ergründet ist und in vieler Hinsicht weiterer Forschung bedarf, früher Fremdsprachenunterricht darstellt. Wir dürfen darauf gespannt sein, welche neuen Entwicklungen es in diesem Bereich geben wird und welche weiteren bildungspolitischen Konsequenzen nach der bis August 2006 andauernden Erprobungsphase des Englischunterrichts ab Klasse 3 zu erwarten sind.

2 Theoretische Grundlagen des frühen Fremdsprachenunterrichts in der Grundschule

Bevor früher Fremdsprachenunterricht unter praktischen Gesichtspunkten betrachtet werden kann, müssen theoretische Grundlagen geschaffen werden. In diesem Kapitel soll auf den historischen Verlauf des Fremdsprachenfrühbeginns eingegangen werden. Ebenfalls ist es sinnvoll, das frühe Sprachlernen zu begründen bzw. einen geeigneten Zeitpunkt zu diskutieren. Ferner sollen verschiedene Konzepte des fremdsprachlichen Unterrichts vorgestellt werden. An erster Stelle möchte ich der Begriffsklärung früher Fremdsprachenunterricht bzw. Fremdsprachenfrühbeginn nachgehen.

2.1 Allgemeine Erläuterung der Begriffe früher Fremdsprachenunterricht - Fremdsprachenfrühbeginn

Der Begriff Frühbeginn wird teilweise für die schwierigen, grundschulpädagogisch inadäquaten Anfänge in den 70ern, zum Teil auch für elitären Russischunterricht an den Grundschulen der DDR verwendet. In diesem Kontext besitzt die Bezeichnung einen kritischen Unterton (vgl. Schmid-Schönbein 2001, S. 21).

Im Allgemeinen ist Frühbeginn in relativem Verhältnis zum traditionellen Beginn des Fremdsprachenunterrichts in der Sekundarstufe ab der 5. Klasse zu sehen. Zumeist wird dieser Begriff für den frühen Fremdsprachenunterricht in der Grundschule mit dem Einsatz ab Klasse 1 oder Klasse 3 gebraucht (vgl. Bliesener/Edelenbos 1998, S. 8). Der genaue Zeitpunkt des frühen Fremdsprachenlernens wird in jedem Land unterschiedlich festgelegt. In Deutschland setzt der Frühbeginn überwiegend ab der Klasse 3 ein, womit für die Fremdsprachenvermittlung ein Alter von acht bis neun Jahren angesetzt wird.

Der Bezug zum Fremdsprachenunterricht in den weiterführenden Schulen impliziert keinesfalls eine simple Vorverlegung des Fremdsprachenlernens von der Sekundarstufe in die Grundschule. Im Gegenteil, die Vermittlungsmethoden müssen den Voraussetzungen der SchülerInnen entsprechend angepasst werden. Bei Schmid-Schönbein wird Frühbeginn mit frühem Fremdsprachenunterricht gleichgesetzt, der dem Konzept des Fremdsprachenfrühbeginns als Spielen und Lernen folgt (vgl. Schmid-Schönbein 2001, S. 21). In der unten angeführten Literatur findet sich eine detaillierte Ausführung des Begriffs Fremdsprachenfrühbeginn als

“ein grundschulspezifischer, vor allem spielerisch-musischer und sprachhandelnd-kreativer, dabei aber zugleich ergebnisorientierter Einstieg in angeleitetes und freudbetontes Sich-Beschäftigen mit einer fremden Sprache und Kultur.” (Borgwardt/Enter 1993, S. 32; zit. nach: Vollmuth 2004b, S. 71).

Dieses Zitat verdeutlicht, inwieweit der frühe Fremdsprachenunterricht den beiden Polaritäten Erlebnis- und Ergebnisorientierung gerecht zu werden versucht. Fremdsprachenlernen in der Grundschule ist als ein nichtlinearer Prozess zu betrachten. Ausgehend von den Fähigkeiten und Lebensumständen der Kinder wird versucht, eine Balance zwischen zielorientierter Instruktion und Flexibilität zu erreichen (vgl. Bliesener/Edelenbos 1998, S. 45).

2.2 Früher Fremdsprachenunterricht aus historischer Perspektive

Die Debatte über frühen Fremdsprachenunterricht ist keinesfalls als neues Forschungsgebiet der heutigen Zeit anzusehen. Ganz im Gegenteil, sie hat historisch betrachtet eine lange Tradition. Ein geschichtlicher Rückblick zeigt, dass sich bereits Comenius, Locke, Rousseau und Pestalozzi Gedanken zum Frühbeginn des Fremdsprachenlernens gemacht haben. Die historische Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts, die bei Kubanek-German (2001) nachgelesen werden kann, sowie die bildungspolitischen Maßnahmen in Bezug auf Fremdsprachenlernen an Grundschulen in Nordrhein-Westfalen, die Sauer (2000) aufführt, sollen hier nicht im Detail geschildert werden. Vielmehr möchte ich bei der Darstellung des historischen Verlaufs auf bedeutende Wendepunkte eingehen, die letzten Endes zu den gegenwärtigen Ansätzen des frühen Fremdsprachenunterrichts führten.

Rückblickend ist die Vorgehensweise der Freien Waldorfschulen als revolutionär zu betrachten, die seit der Weimarer Republik im Jahre 1919 Englisch- bzw. Französischunterricht ab der 1. bzw. 2. Klasse eingeführt haben. Die aus der Reformpädagogik stammenden Waldorfschulen richteten sich nach ersten Erprobungen des Fremdsprachenunterrichts im Vor- und Grundschulalter in den USA, obwohl sie sich nicht gänzlich bewährten (vgl. Schmid-Schönbein 2001, S. 11f). Im Zusammenhang mit der optimal age discussion werde ich in Kapitel 2.5 näher auf die Wahl eines geeigneten Zeitpunktes für den Beginn des frühen Fremdsprachenunterrichts eingehen.

In den 60er Jahren löste der sog. Sputnikschock Reformierungen des amerikanischen Bildungswesens aus. Es wurden u. a. Programme wie FLES (Foreign Languages in Elementary Schools) durchgeführt, um die Wettbewerbsfähigkeit der USA zu erhalten. In England wurden ähnliche Maßnahmen ergriffen, aus denen Versuche zu French in the Primary School entstanden (vgl. Schmid-Schönbein 2001, S. 12).

Die Diskussion um den frühen Fremdsprachenunterricht flammte in der Bundesrepublik Deutschland durch zwei UNESCO-Konferenzen auf. Den Vortrag über die grundlegenden theoretischen Aspekte diesbezüglich hielt der international angesehene Fremdsprachendidaktiker H. H. Stern im Jahr 1962 in Hamburg. Daraufhin wurden wissenschaftliche Forschungsprojekte zum frühen Fremdsprachenlernen in die Wege geleitet. Das übergeordnete Ziel der Untersuchungen galt

“der Prüfung der Möglichkeiten, durch die Nutzung der Fähigkeiten des Kindesalters die Endleistungen fremdsprachlichen Könnens zu verbessern und zu steigern […]. Fachübergreifende Ziele wie Erziehung zu Toleranz und Völkerverständigung, Relativierung und Erweiterung des muttersprachlich begrenzten Weltbildes galten auch, waren aber sekundär.” (Sauer 1993, S. 85; zit. nach Schmid-Schönbein 2001, S. 12).

Die in Deutschland durchgeführten Schulversuche durch Doyé und Lüttge (1977, vgl. hierzu: S. 87ff und S. 108ff und S. 117ff) u. a. fanden in der Bildungspolitik bzw. Fachdidaktik keine entsprechende Resonanz, die einen institutionalisierten Frühbeginn hätte einleiten können. Argumente hierfür könnten in einer “Reformmüdigkeit” bzw. einem “fehlenden sprachpolitischen Gesamtkonzept” liegen (Hellwig 1995, S. 19; zit. nach Schmid-Schönbein 2001, S. 15). Böttger nennt zwei weitere Gründe für den gescheiterten Frühbeginn zu dieser Zeit, die seiner Ansicht nach in der geringen Anzahl an ausgebildeten Lehrern und der Anknüpfung des Sekundarstufenunterricht an die in der Grundschule erworbenen fremdsprachlichen Kenntnisse liegen (vgl. Böttger 2005, S. 15).

In den “Empfehlungen zur Arbeit in der Grundschule” der Kultusministerkonferenz (KMK) von 1970 wurden neue Impulse zur Aufnahme des frühen Fremdsprachenunterrichts gesetzt, wobei eine starke Orientierung an dem Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe festzustellen war. Negative Forschungsergebnisse sowie Anstrengungen bei der Integration ausländischer Kinder setzten dem Frühbeginn ab Klasse 3 in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern ein Ende. Die einzige Ausnahme bildete das Land Hessen (vgl. Böttger 2005, S. 16).

In den Achtzigern fanden als Konsequenz des angestrebten europäischen Zusammenschlusses langsam wieder Bemühungen in Richtung Mehrsprachigkeit und interkulturelles Lernen statt. Folglich unterlagen auch die Ziele des fremdsprachlichen Unterrichts einigen Veränderungen. War Ende 80er Jahre die kommunikative Kompetenz vordergründig, so standen Anfang der 90er Offenheit für andere Kulturen und Freude am Lernen als Ziele im Mittelpunkt. Zudem wurde zu der pädagogischen und sprachlichen Zielsetzung auch eine Hinführung zur fremdsprachlichen Kommunikation verfolgt (vgl. Leopold-Mudrack 1998, S. 14).

Erst in den 90er Jahren kam es als Folge von politischen und wirtschaftlichen Veränderungen zu einem intensivierten und diversifizierten Fremdsprachenerwerb. Gründe hierfür lagen in der Erhaltung der kulturellen Vielfalt, der Völkerverständigung und Stärkung der internationalen Zusammenarbeit (vgl. Schmid-Schönbein 2001, S. 16). In dem Maastrichter Vertrag 1992 und dem Amsterdamer Vertrag 1997 wurden die Voraussetzungen für eine europäische Fremdsprachenpolitik festgehalten. Letzterer spricht in Artikel 149 u. a. die zu schützende Vielfalt der Kulturen und Sprachen sowie die zu fördernde Entwicklung der Europäischen Dimension im Bildungswesen, besonders durch das Lernen europäischer Sprachen, an. (vgl. Schmid-Schönbein 2001, S. 16f).

Im Vergleich zu den 60er Jahren kann heutzutage zunehmend auf fundierte Erkenntnisse zum frühen Fremdsprachenunterricht zurückgegriffen werden. Als problematisch stellt sich weiterhin der Übergang in den fremdsprachlichen Sekundarstufenunterricht sowie der Mangel an qualifizierten Fachkräften dar (vgl. Böttger 2005, S. 17).

Die aktuelle Entwicklung des frühen Fremdsprachenunterrichts äußert sich in einer stetig anwachsenden Bandbreite an Institutionalisierungsformen für den Frühbeginn (siehe Kapitel 2.6). Betrachtet man diesbezüglich die Entwicklung in Deutschland, so sind die Länder Sachsen, Saarland, Hamburg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Thüringen der Empfehlung der KMK von 1994 insofern nachgegangen, als dass diese Bundesländer per Erlass den Fremdsprachenunterricht ab Klasse 3 einleiteten (vgl. Schmid-Schönbein 2001, S. 18f). In Nordrhein-Westfalen wurde das Konzept Begegnung mit Sprachen (siehe Kapitel 2.6.2) gemäß des Begegnungssprachen-Erlasses von 1992 landesweit eingeführt (vgl. Sauer 2000, S. 16).

Im Rahmen einer Weiterentwicklung des genannten Modells Begegnung mit Sprachen sollte der Fremdsprachenunterricht wieder verstärkt systematisch und lernzielorientiert sein (vgl. Sauer 2000, S. 16). Im Jahr 2002 legte das “Landesinstitut für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen” den Entwurf eines Lehrplans “Englisch in den Klassen 3 und 4 in der Grundschule” vor, der im darauf folgenden Jahr wiederholt überarbeitet wurde und seit dem Schuljahr 2003/04 an allen Grundschulen erprobt und ab 2006 endgültig in Kraft treten wird (vgl. Sauer 2004, S. 31). Gemäß der neuen Richtlinien soll der frühe Fremdsprachenunterricht in Nordrhein-Westfalen neben Leistungsorientierung auch Sprachkompetenzen sowie anschlussfähiges Wissen und Können als Basis für weiteres Lernen in den Vordergrund stellen (vgl. Sauer 2004, S. 31).

Bevor ich auf die Begründung des frühen Fremdsprachenunterrichts eingehe, ist es sinnvoll, den Frühbeginn aus spracherwerbstheoretischer Sicht zu betrachten.

2.3 Spracherwerbstheorien

Die Theorien zu Erst-, Zweit- und Fremdspracherwerb stellen einen wichtigen, doch zu breiten Komplex in dieser Thematik dar, um in ihrer Ausführlichkeit erschlossen zu werden. In ihrer Darstellung werde ich mich auf einige wichtige Theorien beschränken. Da sie die Sprachentwicklung nicht eindeutig erklären können, sind sie als Hypothesen zu betrachten. Es sollen verschiedene Forschungsrichtungen und -schulen, die sich in ihrer linguistischen Basis unterscheiden, vorgestellt werden. Erkenntnisse aus der Erstspracherwerbsforschung sind auf den Zweit- und Fremdspracherwerb zu übertragen. Für den frühen Fremdsprachenunterricht sind sie von großer Relevanz und sollten bei der Unterrichtsplanung berücksichtigt werden.

2.3.1 Erstspracherwerb

In der Mutterspracherwerbsforschung werden vier grundsätzliche Positionen vertreten. Behavioristen sehen den Spracherwerb als einen Lernprozess an, wohingegen Nativisten von einem angeborenen Spracherwerbsmechanismus ausgehen. Vertreter des Kognitivismus sind der Auffassung, Sprache und Denken verleihen sich gegenseitig Struktur. Der Theorie des Interaktionalismus nach wird Sprache über Interaktionen und Wechselbeziehungen erworben. Böttger (2005) nimmt eine andere Unterteilung vor und beschränkt sich in seiner Ausführung auf die gegensätzlichen Theorien des Behaviorismus und des Mentalismus (vergleichbar mit Nativismus), was ich ebenfalls beabsichtige.

Der behavioristischen Theorie nach, an dieser Stelle ist Skinner zu nennen, entspricht das Bewusstsein des Kindes einer black box oder tabula rasa. Durch Beobachtung werden Erkenntnisse erworben. Dabei wird der Erstspracherwerb von der Imitation sprachlicher Äußerungen und Analogiebildung bestimmt (vgl. Böttger 2005, S. 41). Nach behavioristischer Auffassung vollzieht sich die sprachliche Entwicklung anhand von Konditionierungsprozessen in Form von Wiederholungen mechanisch-konditionierender pattern drills (vgl. Schmid-Schönbein 2001, S.13). Der Stimulus-Response-Prozess ist abhängig von Verstärkung. Nachahmung der Sprache und des Sprechers erfolgt nur dann, wenn der Lernende belohnt wird (vgl. Günther/Günther 2004, S. 47f).

An dem lerntheoretischen Ansatz wird in den folgenden Punkten Kritik geübt (vgl. Gehring 1999, S. 82). Zum einen vollzieht sich der Erstspracherwerb zu schnell, als dass er auf reines Imitations- und Assoziationslernen zurückgeführt werden könnte. Zudem sind Kinder in der Lage, Sätze zu formulieren, die sie vorher nicht gehört haben. Auch kann mit Hilfe des Behaviorismus nicht erklärt werden, woher Kinder aus dem teilweise vereinfachten und fehlerbehafteten Sprachinput, der sie umgibt, richtige von falschen Äußerungen unterscheiden und daraus ein komplexes Sprachsystem aufbauen können. Somit scheint der auf Tierexperimenten basierende Ansatz die Komplexität des Spracherwerbs nicht ausreichend erklären zu können. Die Notwendigkeit von Imitation und Assoziation im Anfangsstadium des Spracherwerbs unterliegt allerdings keinem Zweifel (vgl. Hüllen/Jung 1979, S. 56; zit. nach Gehring 1999, S. 82).

Die Theorie des Mentalismus widerspricht der behavioristischen Vorstellung eines imitativen Sprachlernens. Chomsky geht von einer angeborenen Spracherwerbsdisposition language acquisition devise (LAD) aus, die das Kind dazu befähigt, unbewusst sprachliche Regeln zu erschließen und anzuwenden (vgl. Böttger 2005, S. 41). Durch Regelbildung erkennt das Kind, welche Elemente aus dem universal grammar (UG) für seine Sprache zutreffen (vgl. Gehring 1999, S. 83). Die sprachliche Umgebung unterstützt diesen Prozess, indem sie das LAD aktiviert und Sprachmaterial anbietet. Dieser Ansatz stellt einen Erklärungsversuch dar, warum Kinder noch nie zuvor gehörte Sätze bilden können. Fehlerhafte Äußerungen sind ein Indiz für das Experimentieren der Kinder mit Sprache, vor dessen Hintergrund sich die Hypothesenbildung über den Sprachgebrauch vollzieht. Kritisiert wird, dass einzelne Entwicklungsstufen, die letzten Endes zur Sprachbeherrschung führen, nicht genügend berücksichtigt werden (vgl. Lightbown/Spada 1999, S. 45).

2.3.2 Zweit- und Fremdsprachenerwerb

Zunächst sollten die beiden Begriffe auseinander gehalten werden.

“Zweitsprachenerwerb verstehen wir als eine Sammelbezeichnung für jeden Spracherwerb, der sich gleichzeitig oder als Folge zum Erwerb der Erstsprache einstellt und vollzieht […] Die Zweitsprache wird erworben und die Fremdsprache wird gelernt.” (Günther/Günther 2004, S. 107).

Zu der Unterscheidung des unbewusst ablaufenden Erwerbs (acquisition) und des bewussten Lernens (learning), muss zwischen dem ungesteuerten Zweitsprachenerwerb und dem zielorientierten, gesteuerten Fremdsprachenerwerb im Unterricht differenziert werden. Fremdsprachenerwerb ist dann ungesteuert oder natürlich, wenn er außerhalb des Unterrichts oder ohne Betreuung durch eine Lehrkraft stattfindet (vgl. Roche 2005, S. 90f). Ich möchte darauf hinweisen, dass in der Literatur oft Fremdsprachenlernen mit Fremdsprachenerwerb gleichgesetzt wird. Da auf Grund der zunehmenden kognitiven Entwicklung im Grundschulalter sowohl Erwerbs- als auch Lernprozesse im frühen Fremdsprachenunterricht eine Rolle spielen, werde ich beide Begriffe gebrauchen.

Im Wesentlichen basieren Theorien zum Zweit- bzw. Fremdspracherwerb auf behavioristischen, nativistischen und interaktionistischen Vorstellungen. Aus den zahlreichen Hypothesen möchte ich einige wichtige herausgreifen. Die Identitätshypothese (Nativismus und Kognitivismus) besagt, dass Erst- und Zweitspracherwerb auf Grund von angeborenen Eigenschaften nahezu identisch ablaufen. Dagegen sieht die Kontrastivhypothese (Behaviorismus) Unterschiede zwischen den Erwerbsprozessen in den unterschiedlichen Strukturen der Sprachen, die zu Interferenzen führen können, wohingegen Ähnlichkeiten positiv transferiert werden. In der Ausführung weiterer Zweit- bzw. Fremdspracherwerbstheorien möchte ich mich auf das Monitor Modell von Krashen, die Interlanguagehypothese von Selinker und Interaktionshypothese beschränken.

Das Monitor Modell

Eine sehr einflussreiche nativistische Theorie des Zweit- und Fremdsprachenerwerbs ist das Monitor Modell von Krashen. Es besteht aus den fünf Hypothesen acquisition-learning hypothesis, natural order hypothesis, affective filter hypothesis, monitor hypothesis sowie input hypothesis. Die unterschiedliche Bedeutung der Bezeichnungen acquisition und learning wurde bereits erklärt.

Die natural order hypothesis besagt, dass beim Zweit- bzw. Fremdspracherwerb wie dem Erstspracherwerb grammatikalische Strukturen in einer bestimmten Reihenfolge erworben werden.

Laut der affective filter hypothesis behindern emotionale Barrieren den Spracherwerb. In Abhängigkeit von der Verfassung und Disposition der Lernenden begrenzt der emotionale Filter die Auffassungskapazität und somit den Spracherwerb. Negativ wirken sich z. B. Stress, Angst, Unruhe, Anspannung, Wut, geringes Selbstbewusstsein und Motivation auf den Erwerb der Sprache aus (vgl. Lightbown/Spada 1999, S. 39f).

Bei der monitor hypothesis ist die Unterscheidung von learning und acquisition wichtig. Durch bewusstes Regellernen entwickelt sich eine Kontrollinstanz, ein so genannter Monitor, der den eigenen Sprachgebrauch auf Korrektheit überprüft. Dagegen vollziehen sich Erwerbsprozesse anhand intuitiver Sprachproduktion und führen zur fluency, einer flüssigen Sprachverwendung. Der Gebrauch des Monitors ist von individuellen Differenzen der over-users, under-users und optimal users abhängig. Bislang konnte nicht belegt werden, dass verschiedene Formen des Erwerbs und des Lernens involviert sind (vgl. Roche 2005, S. 127).

Eine weitere Hypothese von Krashen ist die input hypothesis, der nach ein comprehensible language input im Spracherwerbsprozess besonders relevant ist. Zudem kann Fremdspracherwerb nur dann erfolgreich ablaufen, wenn der Input (i +1) etwas über dem Sprachniveau des Lernenden liegt (vgl. Roche 2005, S. 126f). Demzufolge soll er verständlich sein und in angemessener Weise über der Erwerbstufe der SchülerInnen liegen.

Die Interlanguagehypothese

Diese Hypothese nach Selinker besagt, dass die Zweit- bzw. Fremdsprache über Zwischenstadien bzw. über so genannte Interimsprachen angebahnt wird. Durch den Kontakt mit der Fremdsprache und durch das Zusammenwirken der Strukturen der Erst- und Zweitsprache wird eine Interimsprache aufgebaut, die sich “in einem ständigen, fluktuierenden Prozeß der Annäherung an die Zweitsprache, ohne daß am Ende jedoch in jedem Fall die umfassende Beherrschung der Zweitsprache stehen muß” (Sarter 1997, S. 32) befindet.

Gemäß dieser Theorie folgt der Spracherwerb eigenen Gesetzen. Das individuelle Sprachsystem des Lerners beinhaltet Eigenschaften der Muttersprache, der Zweit- bzw. Fremdsprache sowie eigener Lerner-varietäten. Die jeweilige interlanguage spiegelt das aktuelle Sprachniveau des Kindes wider (vgl. Günther/Günther 2004, S. 105f). Wie beim Erstspracherwerb ist auch hier eine allgemeingültige Abfolge von Erwerbsequenzen anzunehmen, die auf Grund unterschiedlicher Ähnlichkeitsgrade zwischen Erst- und Zweit- bzw. Fremdsprache variiert (vgl. Gehring 1999, S. 90).

Interaktionshypothese

Gemäß der Interaktionshypothese wird Sprache über Interaktionen und Wechselbeziehungen erworben. Grundsätzlich bestehen Interaktionsmodelle aus zwei Annahmen: Erstens versorge ein modifizierter Input den Lernenden mit Sprachmaterial, das internal verarbeitet wird und/oder zweitens erfolge der Spracherwerb durch Interaktionen zwischen dem Lernenden und dem Gesprächspartner. Modifizierte Interaktion impliziert nicht nur linguistische Vereinfachung (comprehensible input), sondern schließt unter anderem das Sprechtempo, Mimik und Gestik sowie zusätzliche kontextuelle Schlüsselbegriffe mit ein (vgl. Lightbown/Spada 1999, S. 43).

An dieser Stelle ist Vygotsky ’ s sociocultural theory of human mental processing zu nennen, wonach Sprachentwicklung als Resultat sozialer Interaktionen zwischen Individuen anzusehen ist (vgl. Lightbown/Spada 1999, S. 44). Seine Vorstellung von einer zone of proximal development entspricht “the level of performance which a learner is capable of when there is support from interaction with a more advanced interlocutor.” (Lightbown/Spada 1999, S. 44). Lantolf u. a. erweiterten Vygotskys Theorie, indem sie Interaktionen mit native speakers miteinbezogen , wonach sich der Spracherwerb effektiver gestalten würde.

Auch an dieser Theorie wird Kritik geübt:

“However, critics of the interactionist position argue that there is much which learners need to know which is not available in the input, and so they put greater emphasis on innate principles of language which learners can draw on.” (Lightbown/Spada 1999, S. 45).

2.3.3 Konsequenzen für den frühen Fremdsprachenunterricht

Zunächst einmal muss berücksichtigt werden, dass schulischer Fremdspracherwerb unter anderen Bedingungen als natürlicher Erstspracherwerb abläuft, die unbedingt zu berücksichtigen sind. Hierzu zählen die fortgeschrittene geistige Entwicklung der Schülerinnen (Maturation), die ständige Präsenz der Muttersprache, vor deren Hintergrund die Fremdsprache gelernt wird, sowie geringere Anwendungsmöglichkeiten der Zielsprache auf Grund einer begrenzten Kontaktzeit mit der Sprache (vgl. Walter 1981, S. 26; zit. nach Böttger 2005, S. 46).

Aus nativistischer Sicht, stellt vermitteltes Regelwissen eher eine Behinderung für den Fremdspracherwerb dar. Daher sollte versucht werden, Bedingungen des natürlichen Spracherwerbs herzustellen, indem ein optimaler Input sichergestellt, auf grammatikalische Bewusstmachung weitgehend verzichtet sowie zurückhaltende Haltung bei Fehlerkorrekturen eingenommen wird (vgl. Gehring 1999, S. 89). In Anbetracht divergierender Sprachkompetenzen der Klasse ist diese Inputhypothese meiner Meinung nach schwer zu verwirklichen. Offener Unterricht (siehe Kapitel 6) und Binnendifferenzierung stellen geeignete Möglichkeiten dar.

Durch den Vergleich von Mutter- und Fremdsprache können laut der behavioristisch geprägten Kontrastivhypothese Fehlerquellen erkannt werden. Auf diese Weise können didaktische Vorgehensweisen zur Fehlervermeidung teilweise vorgeplant werden, bevor die SchülerInnen fehlerbehaftete Sätze produzieren (vgl. Fries 1945, S. 4f; zit. nach Gehring 1999, S. 89). Des Weiteren spielen imitatives Lernen und Verstärkung besonders in der Anfangsphase des Fremdspracherwerbs eine wichtige Rolle.

Die Interaktionshypothese stellt die Bedeutung von Interaktionen z.B. in Form von Dialogen etc. für den Spracherwerbsprozess heraus. Insbesondere wird die Relevanz des Kontakts der SchülerInnen zu native speakers bzw. authentischem Input ersichtlich.

Anhand der Interlanguagehypothese kann Fossilisierung erklärt werden. Daraus ergeben sich unterrichtliche Konsequenzen, die in einer stärkeren Berücksichtigung individueller kognitiv- und motivationsbedingter Faktoren zu sehen sind. In diesem Zusammenhang ist gemäß der monitor hypothesis ebenfalls die gegenwärtige Verfassung der Lernenden im frühen Fremdsprachenunterricht zu berücksichtigen.

2.4 Begründung des frühen Fremdsprachenunterrichts in der Grundschule

In diesem Kapitel soll der Frühbeginn unter gesellschaftlichen, neurophysiologischen, entwicklungspsychologischen als auch emotiven und attitudinalen Aspekten betrachtet werden. Dieses Bedingungsgefüge wird zur Begründung des frühen Fremdsprachenunterrichts herangezogen. Zuerst soll der gesellschaftliche Bezugsrahmen dargestellt werden.

2.4.1 Gesellschaftlicher Bezugsrahmen

Die Begründung des frühen Fremdsprachenunterrichts kann mit Argumenten bezogen auf die gesellschaftliche, ökonomische und politische Entwicklung in Richtung Globalisierung der Wirtschaft erfolgen. Durch das Zusammenwachsen Europas, die Öffnung der Grenzen zu Mittel- und Osteuropa sowie der Verflechtung von Wirtschaft-, Kultur- und Lebensräumen finden Kontakte mit fremden Sprachen mittlerweile auf alltäglicher Ebene statt (vgl. Zydatiß 1998, S. 15). Daraus ergeben sich Forderungen nach grenzüberschreitender Kommunikation sowie interkulturellem Austausch, die heutzutage immer mehr zum Lebensalltag gehören. Zudem gewinnt eine offene Einstellung gegenüber fremden Kulturen zunehmend an Bedeutung. Unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen und Gegebenheiten gelten gute Fremdsprachenkenntnisse somit nicht nur als “elementare Kulturtechniken” (Zydatiß 1998, S. 16), sondern als unverzichtbare Schlüsselqualifikation.

Die erhöhten fremdsprachlichen Anforderungen an EU-Bürger entstanden auch als Folge der Öffnung des europäischen Binnenmarktes im Jahr 1993, wodurch den Bürgern Europas eine freie Wahl ihres Lebensmittelpunktes und Arbeitsplatzes zugestanden wird (vgl. Garajová 2000, S. 131). Um die junge Generation in unserer Wettbewerbsgesellschaft auf den europäischen Arbeitsmarkt vorzubereiten, muss die Bildungspolitik den erhöhten Ansprüchen an das Sprachkönnen der europäischen Bürger in der heutigen Zeit nachgehen. So liegt es im Interesse eines jeden Landes, die Kinder durch frühes Fremdsprachenlernen auf das spätere Wirtschaftsleben vorzubereiten und dadurch die eigene Konkurrenzfähigkeit mit anderen Ländern zu sichern. In diesem Sinne werden durch Schulerziehung in der Grundschule bereits Grundsteine für das weitere (Sprachen-)Lernen gelegt.

Auf Grund der geschilderten gesellschaftlichen Entwicklung waren politische Entscheidungen bezüglich der primaren Fremdsprachen-vermittlung zu treffen. Durch die 1996 erschienenen Nürnberger Empfehlungen, eine internationale Handreichung für das Fremdsprachenlernen in der Grundschule, zeigte sich ein politisches Umdenken in Richtung Förderung der Mehrsprachigkeit (vgl. Nürnberger Empfehlungen zum frühen Fremdsprachenlernen 2006, ohne Seitenangabe). Demnach ist ein Fremdspracherwerb von mindestens zwei europäischen Sprachen anzustreben. In diesem Sinne ist ein intensiviertes und diversifiziertes Fremdsprachenlernen in der Grundschule erforderlich, das einen Beitrag zum bildungspolitisch geforderten Ziel der Mehrsprachigkeit auf zweierlei Arten leisten soll. Zum einen kann auf Grund der verlängerten Lernzeit ein höheres Niveau der fremdsprachlichen Kompetenz erreicht werden, zum anderen kann durch den früheren Beginn des Erwerbs der ersten Fremdsprache mehr Zeit für weitere Sprachen an den weiterführenden Schulen eingeplant werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 157 Seiten

Details

Titel
Früher Fremdsprachenunterricht in der Grundschule
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
1.0
Autor
Jahr
2006
Seiten
157
Katalognummer
V94127
ISBN (eBook)
9783638068420
ISBN (Buch)
9783638953894
Dateigröße
2174 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Früher, Fremdsprachenunterricht, Grundschule
Arbeit zitieren
Alexandra Zuralski (Autor:in), 2006, Früher Fremdsprachenunterricht in der Grundschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94127

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