Der Kaschmirkonflikt

Ursachen, Entstehung und Auswirkungen auf die internationale Sicherheitsarchitektur


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

35 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Einführung in den historischen Hintergrund des Staates Kaschmir

3. Entstehung und Entwicklung des Kaschmirkonfliktes
3.1. Die Unabhängigkeitsbewegung in Britisch-Indien
3.2. Der Fürstenstaat am Vorabend der Unabhängigkeit und Teilung Britisch-Indiens
3.3. Der Weg in den ersten Kaschmirkrieg
3.4. Der zweite indo-pakistanische Krieg und die Bangladeschkrise

4. Instabilität als dauerhafter Zustand - Entwicklungen in Kaschmir nach dem Shimla-Abkommen
4.1. Der innenpolitische Fortgang in Jammu und Kaschmir
4.2. Terrorismus - der verdeckte permanente Krieg
4.3. Die atomare Dimension des Disputes
4.4. Kargil - der unerklärte Krieg

5. Die Auswirkungen des Kaschmirkonfliktes
5.1. Die Folgen für die Region Kaschmir
5.2. Das Verhältnis von Indien und Pakistan
5.3. Die Konsequenzen für die Internationale Sicherheitsarchitektur

6. Zusammenfassung

7. Anhang - Kartenmaterial
7.1 Übersichtskarte Religionen
7.2. Übersichtskarte - Verbreitung des Islam
7.3. Übersichtskarte - Verbreitung des Hinduismus
7.4. Übersichtskarte - Verbreitung von Buddhismus, Sikhismus, Jain-Religion
7.5. Übersichtskarte Kaschmir - die umstrittene Region

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Durch die zunehmende Bedeutung Indiens in der Internationalen Politik und in der Weltwirtschaft, sowie die Einbindung Indiens und Pakistan in die weltweite Bekämpfung des Terrorismus, rückt auch der seit 1947 schwelende Kaschmirkonflikt stärker ins Blickfeld der internationalen Öffentlichkeit, zumal sich hier zwei hochgerüstete Atomstaaten feindselig gegenüberstehen. Dabei spielten Konflikte zwischen den verschiedenen Religionen im Gebiet von Kaschmir schon immer eine große Rolle, was sich bis in die Moderne fortsetzt.

“Wenn es irgendwo ein Paradies auf Erden gibt, dann ist es hier, ist es hier, ist es hier”1. Nach der Überlieferung stammen diese Worte von Nuruddin Salim Jehangir, Mogulherrscher Indiens im frühen 17. Jahrhundert, als er das Tal von Kaschmir besuchte, das noch heute zu den schönsten Naturlandschaften der Welt zählt. Dieser Einschätzung können Zeugen und Beteiligte des Konfliktes nicht mehr notwendigerweise folgen, nach deren Dafürhalten sich das Tal von Kaschmir seit der Unabhängigkeit und Teilung Britisch-Indiens vom Paradies zur Hölle verwandelt hat.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich sowohl mit der Entstehung des Kaschmirkonfliktes, als auch seinen historischen Ursachen und kriegerischen Kulminationspunkten. Ebenso werden die Auswirkungen auf die Region und die beiden beteiligten Staaten, sowie die Internationale Sicherheitsarchitektur betrachtet. Abschließend werden der Prozeß der Annäherung beider Staaten nachgezeichnet und mögliche Szenarien für eine künftige Lösung der Kaschmirfrage erörtert.

Das im Anhang enthaltene Kartenmaterial soll der Orientierung dienen und einen Überblick über die geographische Verbreitung der beiden Hauptreligionen Islam und Hinduismus geben, die einen Teil des Konfliktes ausmacht.

2. Einführung in den historischen Hintergrund des Staates Kaschmir

Der Name Kaschmir kann etymologisch auf zweierlei Weise aus dem klassischen Sanskrit hergeleitet werden. Ein Teil der Geschichtsschreibung sieht den Ursprung des Namens in den Wörtern Ka = Wasser und shimeera = austrocknen/vertrocknen, was in etwa soviel heißt wie „Land, in dem das Wasser ausgetrocknet ist“. Eine andere Interpretation leitet Kaschmir von Kashyap-mira oder Kashyapmar (See oder Berg des Kashyapa) ab und geht zurück auf den antiken Hindu-Heiligen Kashyapa.2

Bevor Kaiser Ashoka im dritten Jahrhundert v. Chr. das Gebiet des heutigen Kaschmir besetzte, waren die vorherrschenden Religionen Zoroastrismus und Hinduismus. Ashoka führte den Buddhismus ein und gilt als Gründer der noch heute bestehenden Sommerhauptstadt Srinagar.3 Während der Herrschaft der Weißen Hunnen um 530 n. Chr. kam es zwischenzeitlich zu Buddhistenverfolgungen.4

Unter der Karkota-Dynastie (ca. 625 - 855) kam es zur eigentlichen Staatsbildung Kaschmirs. Die Anwendung neuer Technologien, wie Terassenanbau und Bewässerung in der Landwirtschaft begünstigten die ökonomische Entwicklung des unwirtlichen Gebietes, welches mit seiner Hauptstadt Srinagar zu einem wichtigen Handelsplatz entlang der Ost-West-Handelsrouten wurde. Der Buddhismus hatte zu dieser Zeit wieder einen erheblichen Einfluß. Zwischen 1003 und 1171 regierte die hinduistische Lohara-Dynastie, während deren Niedergang Muslime erstmals Einfluß im Staatswesen bekamen.5

Im 12. und 13. Jahrhundert fand der Islam zunehmende Verbreitung. Trotz unterschiedlicher religiöser Toleranz der jeweils herrschenden islamischen Regenten lebten Muslime und Hindus im späten 13. und frühen 14. Jahrhundert relativ friedlich miteinander. Im ausgehenden 14. Jahrhundert kam es jedoch im Kaschmirtal unter Sultan Sikandar Shah zur Verfolgung von Hindus, was die interreligiöse Toleranz dauerhaft beschädigte.

Ca. 1585 bis 1587 gliederte der muslimische Kaiser (Mogul) Jalaluddin Muhammad Akbar (bekannt als Akbar der Große) Kaschmir in sein ganz Nordindien umspannendes Mogulreich ein, das unter Sultan Aurangzeb bis 1707 seine größte Ausdehnung erreichte. Akbar galt als sehr fortschrittlich und insbesondere als sehr tolerant gegenüber anderen Religionen. Nach dem Tod von Akbars Sohn Aurangzeb verlor das Mogulreich an Bedeutung, seine schiere Größe hatte es militärisch und finanziell ausgezehrt.

In diesem Zusammenhang wurde Kaschmir Teil des paschtunischen Durrani-Reiches auf dem Gebiet des heutigen Afghanistan.6

Im späten 18. Jahrhundert, Anfang des 19. Jahrhunderts wurde es von den Sikh-Armeen unter Ranjit Singh von Lahore erobert, welche auch das Hindu-Königreich Jammu in Abhängigkeit brachten. Ranjit Singhs Großneffe und Vasall Gulab Singh brachte dann das Tal von Kaschmir endgültig unter Kontrolle, worauf er den Titel des Gouverneurs von Jammu erhielt. Im ersten Krieg zwischen dem Sikh-Königreich von Punjab und den Briten im Jahre 1845 verhielt sich Gulab Singh neutral und trat als Unterhändler der britischen Truppen auf. Diese Loyalität führte zu zwei für die Region und den späteren Kaschmirkonflikt bedeutsamen Verträgen. In den Verträgen von Amritsar und Lahore erhielten die Briten den Staat von Lahore, der dem heutigen westlichen Punjab (Teil Pakistans) entspricht und Gulab Singh bekam im Gegenzug die Berggebiete östlich des Indus und westlich des Ravi-Flusses für 75 Lakh Rupien (7.500.000)

zugesprochen, die im Wesentlichen das Kaschmirtal beinhalteten. Dessen Sohn Ranbir Singh fügte noch die Emirate von Hunza, Gilgit und Nagar hinzu, sowie die Region Ladakh.7

Dieser neu geschaffene Staat trug fortan den Namen Fürstenstaat von Jammu und Kaschmir.

Aufgrund der Entstehungsgeschichte, der Eingliederung völlig verschiedener Ethnien mit unterschiedlichen Religionen, wie buddhistische Tibeter, Hindus aus Jammu, sowie Muslime und Sikhs aus dem Kaschmirtal, blieb dieser Staat ein künstliches Gebilde, das mehrheitlich von Muslimen bewohnt war, jedoch von einem Hindu-Fürsten regiert wurde.

1925 bestieg Hari Singh, Enkel von Ranbir Singh den Thron und regierte bis zur Abschaffung des Fürstentums durch die indische Kaschmir-Administration 1951 den Fürstenstaat Jammu und Kaschmir.8

3. Entstehung und Entwicklung des Kaschmirkonfliktes

3.1. Die Unabhängigkeitsbewegung in Britisch-Indien

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich in Britisch-Indien eine immer stärker werdende Bewegung, die zunächst die Selbstverwaltung von der britischen Kolonialverwaltung verlangte und später in eine Unabhängigkeitsbewegung umschlug. Erste politische Durchsetzungskraft entfaltete in diesem Zusammenhang die All India Home Rule League (Gesamtindische Selbstverwaltungsliga), welche die seit 1916 im Lucknowpakt verbündeten Parteien All India Muslim League (Gesamtindische Muslimliga) und einen Teil des gespaltenen Indian National Congress (Kongreßpartei) vereinigte. Die Gesamtindische Selbstverwaltungsliga forderte den Status eines Dominion im Commonwealth mit Selbstverwaltungsrechten, wie ihn beispielsweise Kanada und Australien innehatten.

1920 ging die Liga in der Kongreßpartei auf, deren Führung Mohandas Karamchand Gandhi, seit seiner Rückkehr aus Südafrika 1915 Mahatma (Große Seele) genannt, übernahm. Gandhi hatte während seines langjährigen Aufenthalts in Südafrika seine gesamte politische Philosophie, insbesondere seine Prinzipien des zivilen Ungehorsams, der Gewaltlosigkeit und der Nichtzusammenarbeit entwickelt, die er erfolgreich im Kampf gegen die rechtliche Benachteiligung von indischen Landsleuten in Südafrika angewandt hatte. Während seiner Zeit als Führer der Kongreßpartei verlor Gandhi nie das Ziel eines unabhängigen und multireligiösen Gesamt-Indien aus den Augen.

Der bekannteste Führer der Muslimliga und spätere Staatsgründer Pakistans Mohammed Ali Jinnah setzte sich zunächst für die politische Einheit von Hindus und Muslimen ein, distanzierte sich aber später aufgrund inhaltlicher Differenzen von Gandhi. Er führte die Muslimliga wieder auf einen eigenen politischen Pfad.

Während unter Gandhi ein umfassender Demokratisierungsprozeß in der Kongreßpartei stattfand, bestand das politische Grundgerüst der Muslimliga hauptsächlich in der Person Jinnahs unter Betonung des Islam. Gandhis Vision war ein demokratischer und säkularer Staat in der Nachfolge Britisch-Indiens, in dem Hindus und Muslime friedlich miteinander leben könnten.9

Ging es zunächst um Selbstverwaltung für ganz Indien, später auf Basis der britisch-indischen Territorien um ein unabhängiges Gesamtindien, so bestimmte ab der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre die Idee von zwei Nachfolgestaaten auf dem Subkontinent die Leitlinie der Muslimliga. Die seit 1936 betriebene Abspaltung von der Kongreßpartei fand ihren Höhepunkt in der 1940 von Jinnah verfaßten Lahore-Resolution,10 in welcher die Muslimliga erstmals offiziell eine Teilung Indiens in einen hinduistischen und einen muslimischen Teil vorschlug (Zwei-Nationen-Theorie). Hintergrund dieses Vorschlags waren die vielfältigen Befürchtungen muslimischer Politiker und insbesondere Jinnahs, daß Muslime in einem mehrheitlich hinduistischen Gesamt-Indien dominiert und in ihren Rechten eingeschränkt würden.

Der für den künftigen Muslim-Staat gewählte Name Pakistan geht zurück auf die Anfangsbuchstaben der fünf nordwestlichen Provinzen Indiens: Punjab, Afghanistan Province, Kaschmir, Sindh und die Endung -stan für Belutschistan. Hier wird bereits deutlich, daß Kaschmir von den Muslimen immer als Teil eines künftigen Pakistan gesehen wurde.

3.2. Der Fürstenstaat am Vorabend der Unabhängigkeit und Teilung Britisch-Indiens

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges stellte sich die Frage nach der Dekolonisierung Indiens immer drängender, da auch in nahezu allen anderen Besitzungen des durch den Zweiten Weltkrieg geschwächten Vereinigten Königreichs separatistische Kräfte nach Unabhängigkeit verlangten und ein Erhalt des Empire immer schwieriger wurde.

Am 3. Juni 1947 wurde der nach dem britischen Vizekönig Lord Mountbatten benannte Plan veröffentlicht, in welchem die Teilung des indischen Subkontinents in zwei Nachfolgestaaten (als Dominions of the Commonwealth) und der Ablauf der Entlassung in die Unabhängigkeit festgelegt wurden. Sowohl die Muslimliga als auch die Kongreßpartei willigten ein. Der Mountbattenplan lies die endgültige Grenzziehung Indiens zunächst offen, besagte jedoch, daß die mehrheitlich muslimischen Provinzen an Pakistan fallen würden und die mehrheitlich hinduistischen an die Indische Union (siehe Karte 7.1.). Für Gebiete mit unterschiedlicher religiöser Ausprägung (Punjab, Bengalen) wurden Grenzkommissionen eingerichtet, die eine Teilung entlang der ethnischen Grenzen ausarbeiten sollten. Grundlage dieser Grenzziehung waren frühere Volkszählungsdaten, die durch einen britischen Richter per Urteil in konkrete Gebiete umgesetzt wurden. Diese Regelung galt jedoch nur für die Gebiete, die der britischen Kolonialverwaltung (und damit formell zu Britisch-Indien gehörten) unterstellt waren, ausdrücklich nicht für die Fürstenstaaten, welche nur der Krone direkt unterstanden.

Den rund 500 Fürstenstaaten des Subkontinents wurde es im Mountbattenplan gestattet, sich entweder für einen Anschluß an Pakistan oder Indien zu entscheiden, respektive in Spezialfällen unabhängig zu bleiben. Unter den größten Fürstenstaaten befand sich neben Hyderabad, Mysore und Baroda auch Kaschmir, das jedoch nicht für einen Anschluß an einen der beiden Nachfolgestaaten optierte, sondern zunächst unabhängig bleiben wollte. Dies war unter anderem der muslimischen Bevölkerungsmehrheit geschuldet, die nicht von Indien regiert werden wollte, andererseits war der hinduistische Maharaja Hari Singh nicht geneigt, Pakistan beizutreten. Dem Herrscher von Jammu und Kaschmir schwebte ein unabhängiger Staat nach dem Vorbild der Schweiz vor. Auch die einzige muslimische Opposition in Kaschmir, die Jammu and Kaschmir National Conference zog eine Unabhängigkeit vor.11

Der Sonderstatus von Jammu und Kaschmir resultierte unter anderem auch daraus, daß er von keinem der beiden Nachfolgestaaten vollständig umgeben war und noch an Afghanistan und China grenzte.

Der Teilungsplan sah vor, daß die Provinz Punjab in eine künftige pakistanische Provinz Westpunjab mit der Hauptstadt Lahore und einen indischen Ostpunjab aufgeteilt wurde. Als besonders kennzeichnend für die spätere Entwicklung des Kaschmir-Konflikts erwies sich die Zuordnung der Provinz Gurdaspur12 zur Indischen Union, die eine Grenze zum Fürstenstaat Jammu und Kaschmir besaß und damit erst den Zugang Indiens zu Kaschmir erlaubte. Aus dem indischen Ostpunjab gingen 1966 im Rahmen einer Neugliederung die heutigen Bundesstaaten Himachal Pradesh, Haryana und Punjab hervor.

3.3. Der Weg in den ersten Kaschmirkrieg

Am 14. und 15. August 1947 wurden die beiden Nachfolgestaaten Dominion of Pakistan und Union of India in die Unabhängigkeit entlassen. Die bis dato geheimgehaltene Grenzziehung wurde am darauffolgenden Tag verkündet und löste auf beiden Seiten massive Proteste aus. Die

Teilung der Provinzen Punjab und Bengalen fiel hierbei besonders ins Gewicht, da dies im Fall des Punjabs zu einer Teilung des Hauptsiedlungsgebietes der Sikhs führte (vgl. Karte 7.4.). Die nordwestlichen Provinzen Britisch-Indiens wurden zu Westpakistan (was dem heutigen Pakistan entspricht) und die muslimischen Gebiete Bengalens bildeten Ostpakistan (das heutige Bangladesch) mit der neuen Provinzhauptstadt Dhaka.

Indien erhielt alle anderen Provinzen und von Bengalen den deutlich kleineren, heute als Bundesstaat Westbengalen bekannten Teil einschließlich der Hauptstadt Kalkutta (heute Kolkata). Der Staat Pakistan bestand nun aus zwei Landesteilen, welche durch rund 1800 km indisches Territorium getrennt waren.

Die Teilung Britisch-Indiens löste einen beispiellosen Bevölkerungsaustausch aus. Mindestens zehn Millionen Muslime und Hindus13 siedelten in den jeweils anderen Teil des Landes über. Besonders hart traf es im Punjab die Sikhs, die bei der Teilung völlig unberücksichtigt blieben, die Hälfte ihres Stammlandes verloren und sich nun fast ausnahmslos auf den Weg in die Indische Union machten.

Entlang der neuen Grenzen kam es zu gewalttätigen Konflikten zwischen den Religionsgruppen, welche bis zu eine Million Menschenleben14 forderten.

Die aufgeheizte Situation im Teilungsprozeß verstärkte den Druck auf den Maharaja von Jammu und Kaschmir, sich für den Anschluß an einen der beiden neuen Staaten zu entscheiden. Dieser zögerte die Entscheidung jedoch heraus, gerade auch im Hinblick darauf, daß sein wichtigster innerstaatlicher Opponent, der Führer der Jammu and Kaschmir National Conference, Sheikh Mohammed Abdullah, ebenfalls unentschlossen war, was eine Angliederung an Pakistan anging und statt dessen eine Volksabstimmung über den künftigen Status Kaschmirs favorisierte.

Die neue pakistanische Regierung und der Generalgouverneur Mohammed Ali Jinnah machten jedoch von Anfang an deutlich, daß sie die Provinz Kaschmir als integralen Bestandteil Pakistans betrachteten und begründeten dies mit der muslimischen Bevölkerungsmehrheit, die dem Mountbattenplan zufolge eine Angliederung an Pakistan rechtfertige. Gegner dieser Sichtweise wandten ein, daß der Mountbattenplan die Fürstenstaaten ausdrücklich nicht in die Teilungsmodalitäten einschloß, weswegen dem Maharaja von Jammu und Kaschmir Autonomie in dieser Frage zuzugestehen sei. Eine von der National Conference geforderte Volksabstimmung in Kaschmir lehnte der Regent jedoch ab, was dessen Untertanen immer mehr gegen seine Herrschaft aufbrachte.

Parallel zu den Bemühungen, Maharaja Hari Singh zum Anschluß an Pakistan zu bewegen, unterstützte Pakistan Freischärler, die ausgerüstet durch die pakistanische Armee in Kaschmir einsickerten. Zusammen mit lokalen Rebellen, später unterstützt von Angehörigen der pakistanischen Armee nahmen sie den Kampf gegen die hinduistische Herrschaft15. In dieser Situation erbat Maharaja Hari Singh den Beistand der indischen Unionstruppen, um die pakistanischen Kräfte wieder aus Kaschmir herauszudrängen.

Der von Jawaharlal Nehru, dem ersten indischen Ministerpräsidenten, als Generalgouverneur eingesetzte frühere Vizekönig Lord Mountbatten verlangte jedoch zunächst einen Beitritt des Fürstenstaates zur Indischen Union, da andernfalls für eine militärische Intervention Indiens in diesem Konflikt keine rechtliche Grundlage gegeben sei. Als die Aufständischen den Stadtgrenzen von Srinagar immer näher kamen, akzeptierte der Maharaja diese Bedingung und erklärte am 26. Oktober 1947 den Beitritt Kaschmirs zur Indischen Union, worauf Indien begann, Truppen nach Kaschmir zu verlegen um dem inzwischen offensichtlichen Angriff Pakistans zu begegnen.

Die ersten Einheiten wurden direkt nach der Unterzeichnung über den gesicherten Flughafen von Srinagar eingeflogen und weitere Verbände rückten auf dem Landweg vor. Der Gegenschlag stoppte das Vorrücken pakistanischer Kräfte zunächst; diese hatten jedoch zu diesem Zeitpunkt bereits ungefähr ein Drittel des Staates besetzt.

Verlustreiche Kämpfe, nun auch zwischen den regulären Armeen, waren die Folge. Indische Truppen verdrängten die Angreifer jedoch erfolgreich aus dem Tal von Kaschmir. Im äußersten Westen und Nordwesten, sowie der Provinz Gilgit gelang es den pakistanischen Einheiten jedoch sich festzusetzen, da die indischen Streitkräfte mit großen Nachschubproblemen und einem Mangel an adäquater Hochgebirgsausrüstung zu kämpfen hatten. Zu diesem Zeitpunkt wurde in Muzaffarabad der Staat Azad Kaschmir (Freies Kaschmir) ausgerufen, der bis heute als autonomes Gebiet unter pakistanischer Oberherrschaft mit eigenen Staatsorganen existiert und auch nur von Pakistan offiziell anerkannt ist (vgl. Karte 7.5.).

Da Jammu und Kaschmir nun zur Indischen Union gehörte, betrachtete Indien den Konflikt um Kaschmir als einen regulären und völkerrechtswidrigen Angriff Pakistans und trug die Angelegenheit, unter Bezug auf die Artikel 34 und 35 der UN-Charta (Gefährdung des Friedens und der Internationalen Sicherheit), dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vor. Indien klagte Pakistan der Komplizenschaft an; Pakistan unterstütze lokale Stammesangehörige und paramilitärische pakistanische Staatsangehörige mit Waffen und Logistik, was die pakistanische Seite vehement bestritt.

Der Sicherheitsrat erließ daraufhin am 17. Januar 1948 die Resolution Nr.3816, die die beiden Parteien zur Deeskalation der Situation aufforderte und am 20. Januar 1948 die Resolution 3917, die eine UN-Kommission beauftragte, die Lage im Krisengebiet zu erkunden und zwischen den beiden Parteien zu vermitteln. Aufgrund der völlig verschiedenen Standpunkte der Kontrahenten konnte die United Nations Commission for India and Pakistan (UNCIP) jedoch keine Ergebnisse erzielen..

Am 21. April 1948 verabschiedete der Sicherheitsrat die Resolution 4718, in welcher zum einen die Kommission vergrößert wurde und zum anderen auch konkrete Maßnahmen von Pakistan und Indien gefordert wurden. Pakistan wurde aufgefordert sicherzustellen, daß sich alle Stammesangehörigen und pakistanischen Staatsangehörigen, die ihren Wohnsitz normalerweise nicht im Staat Jammu und Kaschmir hatten und nur zum Zweck der Kampfhandlungen auf nun indischem Territorium waren, zurückziehen. Ebenso solle Pakistan jegliches Eindringen in das Staatsgebiet von Jammu und Kaschmir zukünftig verhindern und sämtliche Hilfe für die Aufständischen einstellen.

Indien wurde im Gegenzug aufgefordert, nach Abzug der pakistanischen und irregulären Einheiten, seinerseits einen Rückzug seiner Truppen aus Kaschmir einzuleiten und nur so viele Sicherheitskräfte dort zu belassen, wie nötig wären, Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten. Weiterhin sollte in Kaschmir eine Koalition die politische Führung übernehmen, die das gesamte politische Spektrum des Staates abbilden und ein Plebiszit über den zukünftigen Status Kaschmirs vorbereiten würde.

Diese Resolution hat insofern immer noch überragende Bedeutung, als sie regelmäßig als Grundlage jeglicher Friedensgespräche herangezogen wird. Die Auswirkungen der Resolution blieben jedoch überschaubar, da keiner der beiden Gegner dem anderen traute und Pakistan weiterhin reguläre Kampfverbände zur Sicherung Azad Kaschmirs und seiner Grenzen einsetzte. Gleichzeitig reagierte die indische Regierung zunehmend verärgert, da es die gewünschte Verurteilung Pakistans im Sicherheitsrat nicht erreichte.

Am 13. August 1948 wurden der Bericht der UNCIP und die daraus abzuleitenden Forderungen an Pakistan und Indien durch den Sicherheitsrat bestätigt, in dem an die Kontrahenten appelliert

wurde, binnen 40 Tagen nach der Zustimmung zu den Bedingungen des Sicherheitsrates einen Waffenstillstand in Kraft zu setzen. Der Bericht beinhaltete ebenso die Bedingungen eines Waffenstillstands und knüpfte an die vorangegangene Resolution 47 an. Die von Pakistan verlassenen Gebiete sollten unter UN-Verwaltung gestellt werden, um eine demilitarisierte Zone als Puffer zu schaffen. Auch während der Gespräche auf internationaler Ebene hielten die kriegerischen Auseinandersetzungen an. Zum 1. Januar 1949 wurden alle Kampfhandlungen eingestellt und am 27. Juli desselben Jahres das Waffenstillstandsabkommen von Karachi (Karachi Agreement) geschlossen. In diesem wurde auch die Waffenstillstandslinie (Cease Fire Line) festgelegt. In den Nordgebieten an der Grenze zu China konnte keine genaue Definition der CFL vorgenommen werden. Sie verlief ungefähr mittig über den Siachengletscher. Diese Unschärfe sollte jedoch Ausgangspunkt weiterer kleinerer Zusammenstöße werden.

3.4. Der zweite indo-pakistanische Krieg und die Bangladeschkrise

Das Karachi Agreement von 1949 brachte nach mehr als einem Jahr Krieg als Resultat die Definition der Waffenstillstandslinie. Pakistan hatte zwar Territorium hinzugewonnen, indem die ehemaligen Nordgebiete Kaschmirs mit der Provinz Gilgit nun pakistanisch kontrolliert waren, konnte aufgrund der unwirtlichen Verhältnisse und der dünnen Besiedlung jedoch kaum Nutzen daraus ziehen. Ebenso verblieb Azad Kaschmir unter pakistanischer Kontrolle, während Jammu, das Tal von Kaschmir und die Provinz Ladakh in indischer Hand blieben (siehe Karte 7.5.).

1950 und 1951 kam es wieder zu krisenhaften Zuspitzungen zwischen Indien und Pakistan, die 1950 das Resultat von Unruhen im nordöstlichen Indien und in Ostpakistan waren und zu indischen Truppenmassierungen auch an der Grenze zu Westpakistan führten, welche 1952 die zweite Krise auslösten. Zudem belasteten politische Entwicklungen im indisch kontrollierten Kaschmir die Beziehungen zu Pakistan.

Ende 1950 hatte die Kashmir National Conference eine Resolution verabschiedet, in der Wahlen für eine verfassungsgebende Versammlung gefordert wurden, um den weiteren Status der Beziehungen zu Indien zu klären. Diese Wahlen fanden im Oktober 1951 statt und die Versammlung wurde einberufen. Im November wurde die Verfassung von Jammu und Kaschmir verabschiedet, die den formell noch regierenden Maharaja Hari Singh aller Rechte und Privilegien enthob. Gleichzeitig betonte diese Verfassung den besonderen Status Kaschmirs und begrenzte die indischen Hoheitsbefugnisse auf drei Politikfelder: Verteidigung, Äußere Angelegenheiten und das Postwesen. Die Rechtmäßigkeit der Verfassung, die Abschaffung der Monarchie und der Wille, ein von der UNO gefordertes Plebiszit abzuhalten, wurden im Gegenzug durch das Abkommen von Delhi am 24. Juli 1952 zwischen Sheikh Abdullah und Premierminister Nehru bestätigt. Sheikh Abdullah führte als Chefminister Kaschmirs (analog zum Ministerpräsidenten eines Bundeslandes in Deutschland) eine Landreform durch, die ihm in der Bevölkerung beträchtliche Sympathien einbrachte.

Allerdings neigte er in der Folge sehr zu öffentlichen Gedankenspielereien bezüglich einer möglichen zukünftigen Unabhängigkeit Kaschmirs, was Nehru dazu veranlaßte, ihn 1953 unter Hausarrest stellen und später dauerhaft wegen Aufruhrs inhaftieren zu lassen. Aus dem Gefängnis heraus unterstützte Sheikh Abdullah seinen Vertreter Mirza Afzal Beg bei der Gründung der Plebiscite Front19, welche weiterhin an der Forderung einer Abstimmung über den Status Kaschmirs festhielt, gleichwohl diese möglicherweise nicht zu Gunsten Pakistans ausgehen würde.

Man befürchtete, daß ein Großteil der Landreformen, die insbesondere den Bauern zugute gekommen waren, bei einem Anschluß an Pakistan obsolet würden, welche jedoch bei Unabhängigkeit oder einem Anschluß an Indien Bestand hätten.

[...]


1 Longley, Robert: India - Pakistan: Background & Threat - What are these nuclear neighbors fighting over?, About.com: US Government Info (Stand: 02.06.2008), Link: (siehe Literaturverzeichnis).

2 Vgl. Dhar, L. N.: An outline of the history of Kashmir, in: Kendra, Kanyakumari Vivekananda (2007): Kashmir: The crown of India, iKashmir.net, Link: (siehe Literaturverzeichnis), S.1 ff.

3 ebd., S.2, ff.

4ebd., S.2, ff.

5ebd., S.2, ff.

6 ebd., S.2, ff.

7 Vgl. Dhar, L. N.: An outline of the history of Kashmir, in: Kendra, Kanyakumari Vivekananda (2007): Kashmir: The crown of India, iKashmir.net, Link: (siehe Literaturverzeichnis), S.11 ff. und Wortlaut des Vertrages von Amritsar vom 16.03.1846 (Stand: 03.06.2008), Link: (siehe Literaturverzeichnis)

8 Dhar (2007), S.12.

9 Vgl. Ganguly, Sumit (2001): Conflict unending - India-Pakistan tensions since 1947, 1.Auflage, New York, S. 10 .

10 Vgl. Wortlaut der Pakistan-Resolution/Lahore Resolution der All India Muslim League vom 04.03.1940 (Stand: 28.05.2008), Link: (siehe Literaturverzeichnis)

11 Swami, Praveen (2007): Asian Security Studies: India, Pakistan and the secret Jihad - The covert war in Kashmir, 1947-2004, 1.Auflage, New York/ London, S. 15.

12 ebd., S. 20 .

13 Mann, Michael (2007/ Stand: 28.05.2008): Die Teilung Britisch-Indiens 1947 - Blutiger Weg in die Unabhängigkeit, Link: (siehe Literaturverzeichnis).

14 Vgl. ebd., o.S. .

15 Vgl. Maj.-Gen. Akbar Khan (1970) in Ganguly (2001), S.16 .

16 Vereinte Nationen (17.01.1948): Resolution 38 - The India-Pakistan Question (Stand: 28.05.2008)

17 Vereinte Nationen (20.01.1948): Resolution 39 - The India-Pakistan Question (Stand: 28.05.2008)

18 Vereinte Nationen (21.04.1948): Resolution 47 - The India-Pakistan Question (Stand: 28.05.2008) (Links siehe Literaturverzeichnis)

19 Vgl. Swami (2007), S.31 .

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Der Kaschmirkonflikt
Untertitel
Ursachen, Entstehung und Auswirkungen auf die internationale Sicherheitsarchitektur
Hochschule
Hochschule für Politik München
Veranstaltung
Herausforderungen und Reaktionen der gegenwärtigen Internationalen Sicherheitspolitik
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
35
Katalognummer
V94083
ISBN (eBook)
9783640098194
ISBN (Buch)
9783640111923
Dateigröße
1223 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kaschmirkonflikt, Ursachen, Entstehung, Auswirkungen, Sicherheitsarchitektur, Indien, Pakistan, Südasien, Teilungskonflikt, Low-Intensity-Conflict, Internationale Politk, Außenpolitik, Kaschmirfrage, Bangladesh
Arbeit zitieren
Tobias Wolf (Autor:in), 2008, Der Kaschmirkonflikt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/94083

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