Tschernobyl-Kinder. Erholung in Tirol


Diplomarbeit, 2020

79 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Tirol hilft den Kindern von Tschernobyl
2.1 Erfahrungsbericht einer Gastmutter
2.2 Weitere Projekte

3 Die Katastrophe von Tschernobyl
3.1 Unfallhergang
3.2 Aufbau eines Atomkraftwerkes
3.3 Der Vorgang der Kernspaltung
3.4 Kontamination nach dem Atomunfall von Tschernobyl

4 Gesundheitliche Folgen nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl
4.1 Schilddrüsenkrebs
4.2 Strahlenbelastung durch Nahrungsaufnahme

5 Was ist Radioaktivität?
5.1 Halbwertszeit
5.2 Maßeinheiten für Radioaktivität
5.3 Die verschiedenen Arten der radioaktiven Strahlung
5.4 Natürliche und künstliche Strahlenquellen
5.5 Radioaktive Strahlung im Alltag
5.6 Radiotoxikologie
5.7 Medizinische Anwendungsgebiete
5.8 Strahlenschäden

6 Maßnahmen zum Schutz
6.1 Schutz gegen radioaktive Strahlung im Alltag
6.2 Verhalten im Katastrophenfall
6.3 INES-Skala
6.4 Weitere Nuklearkatastrophen
6.5 AKW-Stresstests

7 Messergebnisse der Pektinprojekte 2010 - 2019

8 Protokoll der Spendenaktion

9 Konklusion

Quellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Anhang

Projektteam

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abstract Deutsch

Die vorliegende Diplomarbeit beschäftigt sich mit der Reaktorkatastrophe 1986 in Tschernobyl und dem Verein „Tirol hilft den Kindern von Tschernobyl“. Die Informationsverbreitung über das Projekt des Vereins sowie über die Katastrophe und deren Auswirkungen auf die Umwelt stellt unser vorrangiges Ziel dar.

Das Hauptaugenmerk liegt somit auf dem Unfall selbst sowie auf dem Verein. Näher eingegangen wird auf die technischen Details des Atomkraftwerkes und deren Hebelwirkung bei der Katastrophe sowie auf die Tätigkeitsbereiche des Vereins. Ebenfalls näher beschrieben werden die gesundheitlichen Auswirkungen der radioaktiven Strahlung auf den Menschen, die Anwendungsgebiete der Radioaktivität in der Medizin und die Belastung der Nahrungsmittel. Außerdem wird der Begriff „Radioaktivität“ definiert und deren Bedeutung im Zusammenhang mit dem Unfall erklärt. Des Weiteren wird die durchgeführte Spendenaktion genauer beschrieben. Informationen aus zwei Interviews werden herangezogen. Auch werden die Verhaltensregeln im Katastrophenfall, die von der österreichischen Regierung herausgegeben wurden, zusammengefasst.

Somit zeigt diese Diplomarbeit auf übersichtliche Art und Weise alle relevanten Themen rund um die Katastrophe von Tschernobyl, deren Auswirkungen und der bereits erfolgten und zukünftigen Prävention auf.

Abstract English

The following paper examines the nuclear disaster of Chernobyl, which happened in 1986, and the organisation “Tirol hilft den Kindern von Tschernobyl“. The aim of this paper is to spread information about the organisation’s project as well as the disaster and its effects on the environment.

The focus of this paper lies on the nuclear disaster and the organisation. Especially the technological details of the atomic power station, its leverage to the disaster and the fields of activity of the organisation are considered. The impacts on human health of nuclear radiation, the usage in the medical sector and the radioactive pollution of food are also mentioned. In addition, the idea of radioactivity and its importance concerning the incident have been explained. Furthermore, our conducted donation campaign is described precisely and we consulted some information of two interviews. The rules of behavior in case of a disaster from the Austrian government are also summarised.

Therefore, this paper shows all the relevant topics about the disaster of Chernobyl, its consequences and the already occurred and future prevention in a clear way.

Danksagung

Wir bedanken uns zunächst bei unserer Hauptbetreuungslehrerin Mag. Regine Linser und unserer Co-Betreuungslehrerin Kristina Meyer für ihre Unterstützung und konstruktive Kritik beim Schreiben unserer Diplomarbeit.

Weiters bedanken wir uns bei unserem Projektpartner, dem Verein „Tirol hilft den Kindern von Tschernobyl“. Großer Dank gilt besonders dem Vereinsobmann Dr. Ludwig Knabl, der uns mit vielen hilfreichen Informationen unterstützte. Auch unserer ersten Anlaufstelle und interviewten Gastmutter Sabine Müller gebührt ein großes Dankeschön.

1 Einleitung

Der katastrophale Reaktorunfall 1986 in Tschernobyl ging als eine der größten Nuklearkatastrophen in die Geschichte ein. Die Auswirkungen der radioaktiven Kontamination sind bis heute in großen Teilen Weißrusslands zu spüren. Um die dort lebenden Menschen gesundheitlich zu entlasten, wurde 1992 der Verein „Tirol hilft den Kindern von Tschernobyl“ gegründet, welcher jedes Jahr weißrussische Kinder auf einen „Erholungsurlaub“ in Tirol einlädt. Dessen Tätigkeitsbereiche sowie sonstige Projekte des Vereins werden im folgenden Abschnitt näher beschrieben. Unter dem gesundheitlichen Aspekt werden die negativen Folgen der Strahlenbelastung auf den Menschen und auf Nahrungsmittel betrachtet. Um dem gesundheitlichen Thema einen Hintergrund zu geben, wird der Begriff „Radioaktivität“ sowie die verschiedenen Strahlungsarten näher beleuchtet. Wie es überhaupt zu dem Unfall kommen konnte und welche technischen Details schließlich zur Explosion führten, wird ebenfalls thematisiert. Des Weiteren werden andere Atomunfälle sowie Verhaltensregeln und Schutzmaßnahmen während einer nuklearen Katastrophe angeführt und die verschiedenen Anwendungsgebiete der Radioaktivität in der Medizin erläutert.

Mit dieser Diplomarbeit soll mehr Wissen über den Unfall im Atomkraftwerk Tschernobyl verbreitet und insbesondere die gesundheitlichen Folgen herausgehoben werden. Außerdem sollen Interessierte über das Erholungsprojekt des Vereins informiert werden, um so eventuell neue Gasteltern und damit Unterstützung für den Verein gewinnen zu können. Um selbst auch einen Beitrag zum nächstjährigen „Erholungsurlaub“ der weißrussischen Kinder leisten zu können, wurde eine Spendenaktion organisiert, deren Protokoll ebenfalls im unteren Abschnitt einsehbar ist.

Die Informationen, die in dieser Diplomarbeit verarbeitet wurden, wurden ausschließlich aus dem Internet, aus einschlägiger Fachliteratur und aus durchgeführten Interviews gewonnen.

2 Tirol hilft den Kindern von Tschernobyl

Der Verein „Tirol hilft den Kindern von Tschernobyl“ hat umfangreiche Aufgabengebiete und glänzt durch hervorragende Organisation und beachtliche Leistungen. Der Verein wurde im Jahr 1992 gegründet und hat seitdem erfolgreich 122 Gruppen aus der verstrahlten Region Gomel in Weißrussland nach Tirol gebracht. Diese 122 Gruppen setzten sich aus 3872 Kindern und 427 Betreuern bzw. Dolmetschern zusammen. Diese wurden im Laufe der Jahre von ca. 1995 Gastfamilien aus Tirol und Vorarlberg untergebracht. (vgl. Dr. Knabl, Tätigkeitsbericht, 2019) (vgl. Dr. Knabl, aktuelle Statistik, 2019)

Die Hauptaufgabe des Vereins ist es, die Kinder aus den verstrahlten Zonen in Weißrussland für rund einen Monat auf „Erholungsurlaub“ nach Tirol zu schicken. Diese „Urlaube“ haben das Ziel, den Kindern das Ausscheiden der im Körper gespeicherten radioaktiven Stoffe zu erleichtern, ohne ständig neuen „Input“ zu bekommen. Durch ihren Aufenthalt im wesentlich geringer radioaktiv verseuchten Außerfern bekommt der Körper die Chance, sich von der ansonsten kontinuierlich bestehenden Strahlung zu erholen. Der positive Effekt auf das Immunsystem hält danach erwiesenermaßen bis zu einem Jahr an. In dieser Zeit sind die Kinder sehr viel weniger anfällig für Krankheiten.

Zu Beginn einige Informationen zur Herkunft und zur Ausgangssituation der Kinder: Die Kinder kommen aus dem Bezirk Rogatschow, welcher in der Region Gomel in Weißrussland liegt. Rund die Hälfte der 70.000 Einwohner lebt in der gleichnamigen Bezirkshauptstadt Rogatschow, die andere Hälfte auf dem Land. Flächenmäßig lässt sich der Bezirk mit Osttirol vergleichen, das nur um sieben km2 kleiner ist als der 2100 km2 große weißrussische Bezirk. In den 23 Gemeinden mit über 200 Dörfern gibt es 46 Schulen, die von 8.905 Schülern im Alter von sechs bis 17 Jahren besucht werden.

Bei der Katastrophe von Tschernobyl ging der radioaktive Fallout besonders auf der östlichen Hälfte des Bezirkes nieder. Außerdem wurden in den Jahren nach dem Unfall (1986 - 1993) über 1.000 Familien aus der Umgebung um Tschernobyl nach Rogatschow umgesiedelt. Die Folgen Tschernobyls lassen sich auch ganz klar aus der Statistik ablesen. Vor 1990 wurden pro Jahr etwa 1.000 Geburten verzeichnet, während es heute nur noch etwa 300 sind. Ebenfalls sind die Todesfälle seit 1986 sprunghaft um 300 % angestiegen, was ca. 950 Todesfälle im Jahr ausmacht.

Die Partnerdörfer des Vereins sind Bolschie Strelki, Chatownja, Kisteni, Lutschin, Oserany, Serebrjanka, Stankow und Dowsk. Außerdem wird mit einem Waisenheim in der Bezirkshauptstadt Rogatschow zusammengearbeitet. Ins Außerfern kommen ausschließlich Kinder aus dem Dorf Lutschin. (vgl. Dr. Knabl, Bezirk Rogatschow)

Die Durchführung der Reise und die Aufnahme der weißrussischen Kinder erfordert sehr viel Planung und Organisation. Seit 1992 werden jedes Jahr Gasteltern gesucht, die sich bereit erklären, für etwa vier Wochen ein oder mehrere weißrussische Kinder aufzunehmen. Im Folgenden wird der genaue Ablauf beschrieben.

Den Gasteltern steht bereits im Voraus die Homepage des Vereins (https://www.tschernobylkinder-tirol.at/wir-ueber-uns/) zu Informationszwecken zur Verfügung. Wenn die Entscheidung gefallen ist, ein weißrussisches Kind aufzunehmen, kann man sich im Februar anmelden. Mittlerweile gibt es die Möglichkeit, im Vorhinein mit den Eltern der Kinder die Telefonnummern zu tauschen, was früher undenkbar gewesen wäre. So kann man sich bereits vorher einen ersten Eindruck machen. Auch den Eltern der Kinder kommt dies gelegen, sind doch ihre Kinder für einen ganzen Monat bei fremden Menschen. So beginnt also das erste Kennenlernen. Den Gasteltern wird nach der Anmeldung eine Informationsmappe ausgehändigt, in der das Wichtigste zusammengefasst ist. Von den meistgebrauchten Sätzen und Satzstrukturen auf Weißrussisch bis hin zu Informationen über die Region Gomel findet man darin alles Notwendige.

Dann ist es bald soweit: Die Kinder aus Weißrussland reisen an. Auch wenn man der Aktion gegenüber sehr positiv eingestellt ist: Man sollte sich dessen bewusst sein, dass dies mehr erfordert, als einfach nur ein Bett zur Verfügung zu stellen. In diesen vier Wochen wird man zum Familienersatz für Kinder, die vielleicht vorher noch nie über die Grenzen ihres Landes hinausgekommen sind. Manches mag für sie vollkommen fremd sein oder auch genau gleich, im Vordergrund steht jedenfalls die positive Wirkung auf Gesundheit und Psyche der weißrussischen Kinder. Die Gasteltern werden dazu angehalten, den Kindern einen möglichst schönen Aufenthalt zu bieten, ohne sich dabei selbst mit Tagesprogrammen übertreffen zu müssen. Die Kinder sollen auch den ganz normalen Alltag der Gastfamilien kennenlernen und sich in die Familie einleben dürfen. Mit dabei sind immer mehrere Dolmetscher, deren Zahl von der Größe der Kindergruppe abhängt. Dies sind meist Lehrer von den Schulen der Kinder, die gut deutsch sprechen. Sollte es irgendwelche Kommunikationsschwierigkeiten oder andere Probleme geben, so kann man diese durch die Dolmetscher schnell aus dem Weg räumen. Da die meisten Kinder heutzutage Handys besitzen, ist der Kontakt mit der Familie kein Problem mehr. Nach dem Aufenthalt in Österreich bleiben einige der Kinder auch in Kontakt mit ihren Gasteltern, da teilweise auch ohne gemeinsame Sprache tiefgreifende Freundschaften entstehen. (vgl. URL 1, 2019) (vgl. Interview mit Müller, 2019)

Zum Abschluss des Aufenthalts werden Medikamentenpakete im Wert von ca. 33 € für die Kinder und deren Familien bereitgestellt, da Medikamente in Weißrussland oft sehr teuer und für viele Familien dort nicht leistbar sind. Diese Pakete enthalten die wichtigsten Medikamente, die eine Familie im Laufe eines Jahres benötigt. Dies sind Vitamintabletten für ein Jahr, Pflaster und Medikamente gegen Schmerzen, Fieber, Entzündungen und Husten.

In 36 Stunden legen die Kinder eine Distanz von 2.200 Kilometern zurück, weshalb die Gasteltern dazu angehalten werden, den Kindern für die lange Fahrt eine Jause einzupacken. Außerdem dürfen jedem Kind zwei Bananenschachteln voller Kleidung, im Besonderen (Winter-)Schuhe, unverderbliche Lebensmittel wie beispielsweise Hartwurst oder Salz und Hygieneartikel mitgegeben werden. Die Menge der mitgegebenen Sachen wird deshalb auf „nur“ zwei Bananenschachteln beschränkt, da einerseits der Platz im Bus ansonsten nicht ausreicht und andererseits Probleme an der Grenze auftreten können. Es wird auch ausdrücklich davon abgeraten, den Kindern Geld mitzugeben, da bisher nur negative Erfahrungen damit gemacht wurden. (vgl. Dr. Knabl, Heimreise)

2.1 Erfahrungsbericht einer Gastmutter

Die interviewte Gastmutter kam über einen Zeitungsbericht zum ersten Mal in Kontakt mit der Aktion „Tirol hilft den Kindern von Tschernobyl“. Ihre Mutter lud daraufhin 2005 zum ersten Mal weißrussische Kinder in die Familie ein. Ihr selbst war dies zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich, jedoch engagierte sie sich für den Verein insofern, dass sie die Leitung für das Außerfern innehatte, die Gasteltern betreute und Ausflüge organisierte. Seit einigen Jahren ist auch sie eine regelmäßige Gastmutter. Von diesen Erfahrungen berichtete sie im angehängten Interview.

Meist entschlossen sie sich, zwei gleichgeschlechtliche Kinder aufzunehmen, die im besten Falle auch befreundet waren, um kein Heimweh oder Langeweile aufkommen zu lassen. Bezüglich dem Alter der weißrussischen Kinder riet sie, darauf zu achten, dass die eigenen Kinder in einer anderen Altersklasse sind. Denn so ginge man ganz banalen Eifersuchtsszenen am besten aus dem Weg. Auch sollte die Teilnahme an dem Projekt mit der ganzen Familie besprochen werden, denn am Ende müssen alle davon überzeugt sein. Zwiegespalten war es auch in ihrer Familie, obwohl eigentlich alle wissen, dass sich der „Erholungsurlaub“ nur positiv auf die Gesundheit der Kinder auswirkt.

Erwähnt wurden auch einige „Stolpersteine“, die auf die unterschiedliche Kultur und soziale Schichten zurückzuführen sind. Beispielsweise sollte man manchen Kindern die Benützung der Dusche und der Toilette zeigen, da sie so etwas von daheim nicht kennen. Regeln wie etwa, dass man beim Essen am Tisch sitzen bleibt, bis alle fertig sind, oder, dass man auf der Straße aufzupassen hat, dürfen ruhig aufgestellt werden und geben den Kindern auch ein wenig Sicherheit und Struktur. Sprachliche Barrieren stellten dank der Dolmetscher nie ein Problem dar, die Kommunikation „mit Händen und Füßen“ reichte oftmals schon aus. Mit der Zeit lernt man auch ein paar weißrussische Begriffe dazu.

Kulinarisch sind die weißrussischen Kinder eher mit Süßem zu begeistern, aber auch Salat und besonders exotischere Früchte essen sie gerne. Allerdings werden bei ihnen zuhause andere Gewürze verwendet als bei uns, weshalb manche Gerichte für sie dann anders schmecken. Ansonsten gibt es kulturell nur wenige Unterschiede, auch religiös nicht. Die weißrussischen Kinder haben ebenso Handys und Fernseher, allerdings achtet man bei ihnen stark auf Äußerliches, was sich in der Bevorzugung verschiedener Marken widerspiegelt.

Vom Verein werden jedes Jahr Ausflüge organisiert, die vom gemeinsamen Schwimmbadbesuch bis hin zum Skylinepark-Besuch reichen. Privat müsse man den Kindern nicht ständig ein Programm bieten, sie sollten den ganz normalen Alltag miterleben dürfen.

Früher hatte man noch keinen Kontakt mit den Eltern, doch heute kann man durch die Technik schon vorher ein Begrüßungsfoto absenden und sich so schon etwas kennenlernen. Auch halten heute viele Kinder noch Kontakt über Facebook, deren Aufenthalt im Außerfern bereits einige Jahre zurück liegt. Ein Mädchen, das dreimal bei unserer Gastmutter war, kam heuer beispielsweise als Dolmetscherin mit. Die Aufenthalte hier haben sie so stark beeinflusst, dass sie Deutsch studierte. Freundschaften sind im Laufe der Jahre viele entstanden.

Dennoch gibt es auch negative Erfahrungen: Ein geschenktes Schuhpaar wurde verschmäht und ältere Kinder betranken sich mit Bier. Doch das gibt es hier genauso. Krankheiten sind eigentlich kein Thema, bis auf Schnupfen oder eine leichte Erkältung sind die Kinder hier eigentlich nicht krank.

Alles in allem waren es durchaus überwiegend positive Erfahrungen, die mit den Kindern gemacht wurden. Auch im nächsten Jahr werden bei unserer Gastmutter wieder Kinder aufgenommen werden. (vgl. Interview mit Müller, 2019)

2.2 Weitere Projekte

Neben der Erholungsaktion werden noch weitere Projekte durchgeführt. Dazu zählt nicht nur das bereits erwähnte Medikamentenpaket, sondern auch das Projekt „Vitamine für Schwangere und Säuglinge“, das „Kakaoprojekt”, die Unterstützung der Schulen mit einer „Erste-Hilfe-Apotheke“, die Unterstützung der örtlichen Ambulanzen, das Pektinprojekt in Tirol, unabhängig davon das Pektinprojekt in Weißrussland und die Bereitstellung von speziellen Medikamenten für Einzelpersonen. (vgl. Dr. Knabl, Durchgeführte Projekte, 2019)

Das Kakaoprojekt

Der Verein „Tirol hilft den Kindern von Tschernobyl” hat sich auch im Laufe der Jahre zur Durchführung des Kakaoprojekts entschlossen. Um eine gute Kaliumversorgung für weißrussische Kinder zu garantieren, wird in den Schulen Weißrusslands während der gemeinsamen Schulmahlzeiten täglich unter Aufsicht des Lehrpersonals Kakao verteilt. (vgl. Dr. Knabl, Kakaoprojekt für die weißrussische Kinder)

„Radioaktives Cäsium besitzt chemische Ähnlichkeiten mit Kalium. Deshalb wird es wie dieses im Magen-Darm-Trakt vom Körper aufgenommen und wie Kalium vor allem im Muskelgewebe gespeichert.” (Dr. Knabl, Kakaoprojekt für die weißrussische Kinder)

Die Aufnahme von Kalium über kaliumreiche Lebensmittel, wie zum Beispiel Kakao, Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Spinat, Nüsse, Mandeln, Trockenfrüchte und vieles mehr, vermindert die Aufnahme von radioaktivem Cäsium, das in allen Grundnahrungsmitteln in der verstrahlten Zone von Weißrussland vorkommt, im Darm.

Obwohl es zwischen dem radioaktiven Cäsium und Kalium chemische Ähnlichkeiten gibt, bestehen sehr große Unterschiede zwischen beiden Substanzen:

Im menschlichen Organismus wird der Kaliumspiegel schnell geregelt. Das heißt, die biologische Halbwertszeit [Zeitspanne, innerhalb deren die Hälfte der Atome zerfällt] ist bei Kalium sehr kurz. Nach einmaliger Zufuhr einer größeren Menge Kalium wird in wenigen Stunden das überschüssige Kalium bis zum Erreichen des Normalspiegels ausgeschieden.

Bei der Zufuhr von Cäsium-137 erfolgt die Ausscheidung bei den Kindern mit einer biologischen Halbwertszeit von 64-120 Tage. In dieser Zwischenzeit bestrahlt das radiotoxische Cäsium-137 mit seiner Gamma- und Betastrahlung den Körper. (vgl. Dr. Knabl, Kakaoprojekt für die weißrussische Kinder)

Kakao enthält ziemlich viel Kalium, welches der Gegenspieler des Cäsiums ist. Das heißt, wenn man viel Kalium aufnimmt, nimmt der Körper weniger Cäsium aus der Nahrung auf.

Aufgrund dieser positiven Auswirkungen erhalten die Kinder in Weißrussland in Schulen das Kakaogetränk. Man kann dieses Getränk mit Milch oder Wasser vermengen. Zusätzlich ist auch ein Milchpulver enthalten, das man mit Wasser anrichten kann. Es ist besser, das Kakaogetränk mit Wasser anzurichten, da Wasser weniger Radioaktivität als Milch beinhaltet.

Bis jetzt wurden schon 7,5 Tonnen Kakao nach Weißrussland geliefert. (vgl. Interview mit Dr. Knabl, 2019)

Das Pektinprojekt

Das Pektinprojekt fand erstmalig im Mai 1998 in Zusammenarbeit mit Prof. Nesterenko aus Minsk (Institut BELRAD) aus dem Dorf Dowsk statt. Dieses Projekt wurde erstmals mit 75 Schulkindern durchgeführt. Durch diese Zusammenarbeit wurde im Rahmen der Tschernobyl-Kindererholung in Tirol das Pektinprojekt mit den Kindern aus Weißrussland gestartet. Bisher wurden in den Sommermonaten 1999 - 2018 insgesamt 1.982 Kinder aus dem radioaktiv verstrahlten Bezirk Rogatschow behandelt. Die anreisenden Kinder sind im Alter von 8 bis 15 Jahren und werden während ihres Erholungsurlaubes in Tirol mit einem pektinhaltigen Präparat (Vitapekt) versorgt. (vgl. Dr. Knabl, INFO Pektinprojekt Stand April 2018-Kompatibilitätsmodus, 2018)

Jedes Kind wird vor der Abfahrt in Stadt Rogatschow (Weißrussland) auf einem mobilen Ganzkörper-Radioaktivitäts-Messstuhl untersucht. So wird im Körper jedes Kindes die gespeicherte Cäsium-137-Menge in Becquerel pro kg Körpergewicht gemessen.

Danach erhält jedes Kind und jeder Betreuer eine Dose Vitapekt (Pektinpulver) für die Behandlung in Tirol. Eine Dose Vitapekt reicht für eine Kur von 23 - 25 Tagen. Das Pektinpulver wird den Kindern während des Urlaubs zweimal täglich 15 - 20 min vor den Mahlzeiten (Frühstück und Abendessen) von den Gasteltern verabreicht. Je ein gestrichener Teelöffel Vitapekt-Pulver wird in ca. 1/8 Liter warmem Wasser aufgelöst.

Nach der Rückkehr werden die Kinder in Minsk erneut auf dem Messstuhl gemessen. Wenn der Cäsium-137-Gehalt immer noch oberhalb der kritischen Grenze von 15 - 20 Bq/kg Körpergewicht liegt, bekommen diese Kinder am Heimatort eine weitere Pektinkur.

Laut der weißrussischen Strahlenbiologen sollte der Cäsium-137-Gehalt bei Kindern unbedingt unter der kritischen Grenze von 15 - 20 Bq/kg Körpergewicht liegen, um das Risiko für strahlenbedingte Langzeitschäden zu minimieren. (vgl. Dr. Knabl, Mappe für die Gasteltern)

Um einen andauernden Effekt zu erreichen, wird dieses Projekt seit September 2003 auch für Kinder und Lehrer in mehreren Dörfern der Region Gomel/Weißrussland über das ganze Schuljahr fortgesetzt. (vgl. Dr. Knabl, INFO Pektinprojekt Stand April 2018-Kompatibilitätsmodus, 2018)

Pektin im menschlichen Körper

Pektin ist eine Substanz aus der Apfelschale. Diese Substanz wird extrahiert und zu Pulver oder Tabletten gemacht. Dieses Pektin hat die Fähigkeit, das Cäsium-137 im Darm zu binden. Durch die Einnahme wird Cäsium-137 über den Stuhlgang ausgeschieden. Ohne Einnahme des Pektinpulvers wird Cäsium-137 zunächst ausgeschieden, aber wieder im Darm absorbiert. Wenn das Cäsium-137 aber gebunden wird, kann es nicht mehr resorbiert werden. Somit verringert sich die Cäsium-Menge im Körper.

Die Kinder werden insgesamt mit drei Kuren behandelt. Wie erwähnt erhalten sie eine Kur in Tirol und die restlichen zwei Kuren in Schulen der jeweiligen Dörfer. Sie haben dort eine Art Ganztagsschule, bekommen eine Mahlzeit und werden mit dem Pektinpräparat versorgt. Früher gab es diese Präparate in Form von Pulver, heute in Form von Tabletten. Man sollte die Kuren nicht durchgehend durchführen, da die Kinder sonst Spurenelemente verlieren. Es sollte daher zwischen den Kuren immer eine ein bis zwei Monate lange Pause eingelegt werden. (vgl. Interview mit Dr. Knabl, 2019)

Die Ergebnisse der Untersuchung durch Dr. Knabl

Eine Untersuchung, die durch Dr. med. Ludwig Knabl durchgeführt wurde, zeigte, dass bei den Kindern eine deutliche Verringerung der Cäsium-137-Akkumulation zu sehen war.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Cäsium-137 Gehalt vor der Pektinkur

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Cäsium-137 Gehalt nach der Pektinkur

„Vor Antritt der Erholung hatten 71,2 % der Kinder eine Cäsium-137-Akkumulation von 20 - 50 Bq/kg Körpergewicht, nach der Kur nur mehr 36 %. Vor der Kur waren nur 26,2 % aller Kinder unter der kritischen Grenze von 20 Bq/kg Körpergewicht, nach der Kur nur mehr 74 %.“ (Dr. Knabl, Pektinprojekt Tirol 1999-2018-Kompatibilitätsmodus, 2018)

Seit 1997 laufen in der Ukraine und in Weißrussland Untersuchungen über die Wirkung von pektinhaltigen Nahrungsmittelzusätzen. Es wurde festgestellt, dass Pektine in der Lage sind, die Cäsium 137-Ausscheidung [Cäsium-137 ist das hauptdosisbildende Radionuklid in Weißrussland, welches über die Nahrungsmittel aufgenommen wird] zu steigern und den Radionuklidgehalt im Körper der Kinder zu vermindern. Durch die Einnahme konnte man das Risiko von strahlenbedingten Krankheiten reduzieren.

Zusammenfassung der Untersuchung

Zusammenfassend kann man sagen, dass der Radionuklidgehalt (Cäsium-137) durch die Einnahme des pektinhaltigen Präparates (eine Kur) und durch die Versorgung mit nicht verstrahlter Nahrung während des Erholungsurlaubes in Tirol durchschnittlich um 37,2 % gesenkt wurde. (vgl. Dr. Knabl, Pektinprojekt Tirol 1999-2018-Kompatibilitätsmodus, 2018)

3 Die Katastrophe von Tschernobyl

„Zuerst sagten alle ‚Katastrophe‘, dann ‚Atomkrieg‘. Ich habe viel über Hiroshima und Nagasaki gelesen, Dokumentaraufnahmen gesehen. Schrecklich, aber verständlich: Atomkrieg, Explosionsradius ... Das konnte ich mir noch vorstellen. Aber was dort mit uns geschehen ist, kann das Bewusstsein nicht fassen.“ (Alexijewitsch, 1997, S. 161)

„Es waren zwei Tage, die letzten beiden Tage in unserer Stadt. Die Stadt gibt es nicht mehr. Was geblieben ist, ist nicht mehr unsere Stadt. An dem Tag saß unser Nachbar mit dem Feldstecher auf dem Balkon und beobachtete das Feuer. Und wir ... Mädchen und Jungen ... Wir sind mit den Rädern zum Kraftwerk gerast, wer keins hatte, hat uns beneidet.“ (Alexijewitsch, 1997, S. 137)

3.1 Unfallhergang

Der am 26. April 1986 im Atomkraftwerk von Tschernobyl stattgefundene Unglücksfall gilt bis heute als der schwerwiegendste Unfall in der Geschichte der Kernenergie. Auf der sogenannten INES-Skala für nukleare Ereignisse ist er in der höchsten Stufe eingeordnet und gilt somit als „katastrophaler Unfall“. Dass das Reaktorunglück ausgerechnet bei einem Experiment zur Erhöhung der Betriebssicherheit geschah, lässt eine gewisse ironische Tragik erkennen. Durch den Zeitdruck und die Meinung, den Reaktor völlig unter Kontrolle zu haben, wurden von der eigentlich durchaus qualifizierten Mannschaft mehrfach essenzielle Betriebsvorschriften und damit Sicherheitsrichtlinien außer Acht gelassen. Im Zusammenspiel mit den bekannten Sicherheitsrisiken des sowjetischen RBMK-Reaktortyps konnte sich die Katastrophe im Reaktorblock 4 so ihren Lauf bahnen. Untersucht wurde, wie sich ein Stromausfall auf den Betrieb des Reaktors auswirken würde, und ob die durch die restliche auslaufende Rotation des Rotors erzeugte Energie zur Notstromerzeugung genutzt werden könnte. (vgl. Eidemüller, 2012, S. 118 f.)

Um kurz vor halb zwei Uhr nachts beginnt das Experiment. Um 01:23 Uhr werden die Turbinenschnellschlussventile geschlossen, wodurch sich der Wasserzufluss im Reaktor dramatisch verringert. Gleichzeitig steigt die Leistung des Reaktors innerhalb von Sekundenbruchteilen unerwartet sprunghaft an, was eine unkontrollierte Kettenreaktion zur Folge hat. Der Schichtleiter ordnet sofort die Notabschaltung des Reaktors an, bei der die entfernten Steuerstäbe wieder zurück in den Kern eingefahren werden und den Reaktor somit wieder unter Kontrolle bringen sollten, was jedoch misslingt. Der gefürchtete größte anzunehmende Unfall (Super-GAU) tritt um 01:23:40 Uhr mit dem Schmelzen der Brennstäbe ein. Von zwei darauffolgenden Detonationen wird die 1.000 Tonnen schwere Abdeckplatte des Reaktorkerns weggesprengt und das darüber liegende Dach aufgerissen. Sofort entweichen Massen von radioaktiven Substanzen in die Umwelt. Liquidatoren versuchen, die entstandenen Brände zu löschen. Um 04:30 Uhr meldet der Schichtleiter den Behörden, der Reaktor sei soweit intakt und müsse nur gekühlt werden.

Durch diese Falschinformation wurde die Lage falsch eingeschätzt und die nur drei Kilometer entfernte Stadt Pripjat mit 49.000 Einwohnern wurde nicht routinemäßig sofort evakuiert. In sowjetischen Medien wurde erst ganze drei Tage nach der Kernschmelze von einer Katastrophe sowie von zwei Todesopfern berichtet, während das Thema international bereits ausführlicher behandelt wurde. Der Unglücksort, Reaktorblock 4, brannte nach einer Woche immer noch. Der sich unter dem Kraftwerk befindende Beton bot keinen sicheren Untergrund mehr, da die geschmolzene Reaktormasse drohte, ihn durchzuschmelzen. Schließlich wurde der Reaktor untertunnelt und ein provisorisches Kühlsystem wurde installiert. Auf dem Dach des zerstörten Reaktorblocks konnten die Helfer aufgrund der extrem hohen Strahlenbelastung nur wenige Sekunden arbeiten. Erst zehn Tage nach dem Unfall verringerte sich die Freisetzung von gefährlichen Substanzen. (vgl. URL 2, 2019)

„Also, man brachte uns hin ... Direkt ins Atomkraftwerk. Jeder bekam einen weißen Kittel, eine weiße Mütze, einen Mundschutz aus Mull. Wir säuberten das Gelände. Einen Tag lang schrubbten und kratzten wir unten, einen Tag lang oben, auf dem Dach des Reaktors. [...] Roboter machten nicht mit, die Technik spielte verrückt. Aber wir arbeiteten. Und wir waren sehr stolz darauf ...“ (Alexijewitsch, 1997, S. 99)

3.2 Aufbau eines Atomkraftwerkes

Prinzipiell wird zwischen Siedewasser- und Druckwasserreaktoren unterschieden, wobei es verschiedenste Ausführungen und Bauweisen gibt. Allen ist jedoch ihre Komplexität gemeinsam.

Jedes Kernkraftwerk besteht aus einem Reaktor, einer Turbine, einem Generator, einem Kühlkreislauf mit Kondensator und eventuell vorhandenem Kühlturm. Im Kernreaktor findet die Energiegewinnung mittels Kernspaltung statt. Dazu werden sogenannte Brennstäbe benötigt, die aus spaltbarem Uran bestehen und die nach etwa sieben Jahren ausgetauscht werden müssen. Zwischen den Brennstäben befinden sich die Steuerstäbe zur Leistungsregulierung. Durch die bei der Kernspaltung entstandene Wärme entsteht Wasserdampf, der die Turbine antreibt. Der Generator wandelt die Bewegungsenergie der Turbine in elektrische Energie um. Ebenfalls zur Leistungsregulierung dient der Kühlkreislauf, der je nach Bauart im gleichen oder einem zweiten Kreislauf den entstandenen Wasserdampf mittels Kondensators oder Kühlturm wieder abkühlt und erneut einspeist. (vgl. URL 3, 2019)

3.3 Der Vorgang der Kernspaltung

Kernspaltung ist nicht nur eine Art der Energiegewinnung, sondern kommt auch gänzlich ohne Einwirkung des Menschen in der Natur vor. Treffen Neutronen mit geringer Geschwindigkeit auf einen Uran-235-Kern, entsteht daraus Uran-236, das in zwei Teile zerfällt. Diese Teile treffen wiederum auf andere Atome und werden abgebremst. Bei jeder Spaltung entstehen zwei bis drei neue Neutronen. Aus deren Bewegungsenergie kann die durch die Abbremsung erzeugte Wärmeenergie zur Stromerzeugung genutzt werden. Da die Neutronen jedoch viel zu schnell sind, um für die Aufrechterhaltung der Kettenreaktion genügend Atomkerne zu spalten, müssen sie durch einen sogenannten Moderator abgebremst werden. Dieses Moderatormaterial ist oftmals Wasser, denn dadurch werden die Neutronen genau richtig abgebremst.

Da jedoch bei der Uranspaltung mehr Neutronen als benötigt entstehen, muss ein Teil der Neutronen abgelenkt werden, um eine unkontrollierte Kettenreaktion zu vermeiden. Dies erreicht man durch die bereits erwähnten Steuerstäbe, die aus einem Neutronen anziehenden Material, wie z.B. Bor, bestehen. Um die Reaktorleistung zu verringern, werden also diese Steuerstäbe in den Kern eingeführt. Andersherum können die Steuerstäbe zur Leistungssteigerung auch wieder herausgezogen werden.

Ein anderer Weg zur Kontrolle der Kettenreaktion ist die Regelung der Wassertemperatur. Wird das Wasser zu heiß, beginnt es zu verdunsten und verliert somit seine Bremswirkung. Dadurch sind die Neutronen wieder viel zu schnell unterwegs und treffen keine Urankerne mehr, was bedeutet, dass die Kettenreaktion zum Stillstand kommt. Das bietet einerseits die Möglichkeit, die Leistung durch Zufuhr von Kühlwasser zu regeln, andererseits ist dies eine weitere Sicherheitsmaßnahme. Denn steigt die Leistung unerwartet an, kommt es zu vermehrter Wärmeproduktion, was wiederum das Wasser verdunsten lässt, wodurch die Trefferquote der Neutronen sinkt und die Kettenreaktion beendet wird.

Als dritte Möglichkeit wird das Einführen einer Borlösung angegeben. Diese fängt die Neutronen ein und unterbricht somit die Spaltung. (vgl. URL 4, 2019)

Diese Erklärung basiert auf einem als sicher eingestuften Siedewasserreaktor, um nun in weiterer Folge den Unterschied zum russischen RBMK-Typ besser herausheben zu können. Das Prinzip der Kernspaltung ist in jedem Kraftwerk dasselbe, nur gibt es sicherere und unsicherere, besser und schlechter durchdachte Reaktortypen, die sich beispielsweise bei der Wahl des Moderatormaterials oder der Bauart unterscheiden.

Technische Details des RBMK-Typs und deren Einfluss auf das Unfallgeschehen

Die abgekürzte russische Bezeichnung „RBMK“ steht für „reaktor bolchoj moschtschnosti kipjaschtschij“, was „Siedewasserreaktor großer Leistung“ bedeutet. (vgl. URL 5, 2019)

Vier große Kernreaktoren sowjetischer Bauart bildeten das Kernkraftwerk Tschernobyl und lieferten je 1000 Megawatt elektrische Leistung. Jeweils zwei Reaktoren teilten sich ein Gebäude und die Servicestrukturen, außerdem waren noch zwei weitere Reaktoren in Bau. [...] Das Wasser zur Kühlung wurde von einem künstlichen Stausee bezogen. Block 4 war erst 1984 in Betrieb genommen worden und war sogar von westlichen Experten als sicher eingestuft worden, obwohl einige Besonderheiten des RBMK-Typs nicht den westlichen Sicherheitsstandards entsprachen. Positiv war dessen unkomplizierte Konstruktion auch in abgelegenen Gebieten, die Eigenschaft, Brennstäbe auch während des Betriebes wechseln zu können, was zu längeren Betriebszeiten führte, und die allgemeine bauliche Einfachheit. (vgl. Eidemüller, 2012, S. 118)

Durch mehrere gravierende Mängel konnte der sowjetische Reaktortyp jedoch nie gänzlich dieselbe Sicherheit wie westliche Typen erreichen. Zum einen besitzt er keine Schutzhülle, auch Containment genannt, welche bei Schäden den Austritt radioaktiven Materials verhindern soll. Des Weiteren wird schon im Normalbetrieb eine nicht unerhebliche Menge radioaktiver Substanzen in die Umwelt abgegeben. Das Moderatormaterial besteht hier nicht aus Wasser, sondern aus leicht brennbarem Graphit, der bei Unfällen Feuer fangen und somit unkontrollierbare Bedingungen schaffen kann. Zudem kann sich die Kettenreaktion beim Verlust von Kühlmitteln noch beschleunigen, da sie stark überaktiv angelegt sind. Dennoch sind die Kühlsysteme und Brandschutzeinrichtungen derart mangelhaft ausgelegt, dass sie gleichzeitig ausfallen können. Außerdem werden bereits äußerst viele Regelstäbe nur für den Normalbetrieb gebraucht, was die Situation im Falle einer Störung noch einmal verkompliziert. (vgl. URL 5, 2019)

Die neue Schutzhülle des Reaktors

Von Mai bis November 1986 wurde eine Schutzhülle konstruiert, um nach dem Unfall das Austreten weiterer radioaktiver Substanzen aus dem demolierten Reaktor zu verhindern. Der „Sarkophag“ besteht teils aus Stahl, teils aus Beton. Er wurde provisorisch und unter massivem Zeitdruck und schwierigsten Bedingungen als Kurzzeitlösung für 20 bis 30 Jahre errichtet. Der „Shelter Implementation Plan” (SIP) wurde 1997 von den G7-Staaten, der EU und der Ukraine ins Leben gerufen, um eine bessere und größere Schutzhülle, das „New Safe Confinement” (NSC) zu errichten. Diese wurde nach vier Jahren Bauzeit im November 2016 mittels Schienen über den alten Sarkophag geschoben und hat eine Breite von 260 Metern, eine Länge von 165 Metern und eine Höhe von 110 Metern. Damit soll die Isolation des Reaktors für bis zu 100 Jahren gesichert werden. Unter der neuen Hülle sollen im Inneren die entstandenen radioaktiven Abfälle beseitigt werden und die alte Hülle abgebaut werden, was unter die Verantwortung der Ukraine fällt. (vgl. URL 6, 2019)

Zwischenlager

Der letzte Reaktorblock in Tschernobyl wurde erst im Dezember 2000 endgültig außer Betrieb gesetzt. Alle, seit der Inbetriebnahme des ersten Reaktorblocks 1977 eingesetzten Brennelemente befanden sich in dem Nasszwischenlager ISF-1. Dieses Lager jedoch hat eine beschränkte 50-jährige Betriebsgenehmigung bis 2026, da es bereits seit 1986 in Betrieb ist. (vgl. URL 6, 2019)

Deshalb wurde parallel zur Planung des NSC der Bau eines weiteren sicherheitstechnisch hoch relevanten Objektes in die Wege geleitet: das „Spent Fuel Storage 2” (ISF-2), ein Trockenzwischenlager vor Ort für abgebrannte Brennelemente. Die über 20.000 Brennelemente aus dem Nasszwischenlager ISF-1 sollen in das neue Trockenzwischenlager überführt werden. Zerlegt, getrocknet und in doppelwandige Stahlcontainer verpackt werden sie nun im ISF-2 gelagert. Die geschätzte Zeitdauer für den Umladeprozess liegt bei sieben Jahren, das ISF-2 ist ebenso wie das NSC auf eine Standdauer von 100 Jahren ausgelegt. (vgl. URL 7, 2019)

3.4 Kontamination nach dem Atomunfall von Tschernobyl

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Bodenbelastung durch Cäsium-137 am 01. Mai 1986

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Bodenbelastung durch Cäsium-137 am 01. Mai 2016

Durch die stattgefundenen Explosionen wurde das radioaktive Material nicht nur in der unmittelbaren Umgebung des Reaktors verbreitet, sondern auch weit in die Atmosphäre geschleudert, von wo aus es in weiterer Folge durch Luftströmungen und Winde über nahezu ganz Europa verteilt wurde. Die am stärksten betroffenen Gebiete sind die nördliche Ukraine, Weißrussland und Russlands Westen. Da sich die Zusammensetzung der radioaktiven Wolke mit der Entfernung zum Unfallort verändert, variieren die aufgefundenen Elemente von Land zu Land in ihrer Häufigkeit. Leicht flüchtige Elemente wie Jod oder Cäsium finden sich auch in Nord- und Mitteleuropa, während die schwerer flüchtigen Elemente (Strontium, Plutonium) nur in einem Radius von ca. 50 Kilometern um den Reaktor nachweisbar sind. (vgl. URL 7, 2019)

Durch den mehrfach drehenden Wind zogen radioaktive Luftmassen über ganz Europa und Kleinasien. Österreich erreichten sie am 30. April 1986, die höchste Strahlenbelastung Österreichs wurde um den 1. Mai herum gemessen. Durch lokale Regenfälle wurden bestimmte Gebiete besonders stark belastet.

In der unmittelbaren Zeit nach der Katastrophe führten die abgelagerten radioaktiven Stoffe zu hohen Werten von Jod-131 in diversen Lebensmitteln. Da die Halbwertszeit von Jod-131 aber nur acht Tage beträgt, waren bereits nach wenigen Wochen nur noch Bruchteile der ursprünglichen Menge vorhanden. Cäsium-137, dessen Halbwertszeit satte 30 Jahre beträgt, spielt hingegen heute noch in ganz Europa eine Rolle. Auch von der Landschaft hängt es ab, wieviel Cäsium heute noch im Boden und den Pflanzen gespeichert ist. Im Wald wurde es bei weitem effektiver und dauerhafter aufgenommen und gespeichert als auf freiem Ackerland. (vgl. URL 8, 2019)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Übersicht der Spaltprodukte

Folgen von Tschernobyl im österreichischen Handel

Laut Global 2000 wurden nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl in Österreich Maßnahmen bezüglich Kontrollen im Nahrungsmittelbereich eingeführt. Verkaufsverbote wurden für Grüngemüse, Schaf- und Ziegenmilch sowie für Zisternenwasser eingeführt. Auch Importe von Nahrungsmitteln aus hoch belasteten Agrarproduktionsländern und Fleisch aus Wildabschuss wurden verboten.

Doch eine aktuelle Untersuchung (01.10.2019) zeigte ganz etwas anderes. Das Umweltinstitut führte stichprobenartig Messungen an Pilzen und Wildbret durch, insbesondere wurden Import-Pfifferlinge aus Weißrussland in München untersucht. Es wurde ein erhöhter Wert von 866 Becquerel pro Kilogramm (Bq/kg) Cäsium-137 gemessen. Der Wert lag knapp 50 Prozent über dem EU-Grenzwert. Nach der Messung wurde der Befund an Supermarktketten sowie an die zuständigen Landesämter für Lebensmittelsicherheit gemeldet. (vgl. URL 15, 2019)

„Generell gilt das Minimierungsgebot: so wenig Strahlung wie möglich aufnehmen. [...] Das Umweltinstitut empfiehlt deswegen strengere Grenzwerte für Caesium-Aktivität in Lebensmitteln von 30 bis 50 Bq/kg für Erwachsene, 10 bis 20 Bq/kg für Kinder, stillende und schwangere Frauen, bei Babynahrung bis 5 Bq/kg.“ (URL 15, 2019)

Das Umweltinstitut verlangt: „Wir fordern die Behörden dazu auf, wirksame Radioaktivitätskontrollen durchzuführen.“ (vgl. URL 15, 2019)

4 Gesundheitliche Folgen nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl

Nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl wurden über 240.000 Personen, insbesondere Feuerwehrleute, Werksangehörige, Rettungskräfte und Aufräumarbeiter (Liquidatoren) innerhalb der 30-Kilometer-Sperrzone eingesetzt.

Der Experten-Bericht des Tschernobyl-Forums befasste sich mit den Folgen des Reaktorunfalls für Mensch und Umwelt. Die wissenschaftlichen Untersuchungen wurden in den Jahren 2003 bis 2005 durchgeführt. Laut dem Bericht aus dem Jahr 2005 erlitten 134 Werkangehörige und Feuerwehrleute ein akutes Strahlensyndrom.

Bis 2004 verstarben 47 Liquidatoren. Davon starben 28 Personen innerhalb weniger Tage oder Wochen nach dem Unfall. 13 Personen haben aufgrund eines akuten Strahlensyndroms eine Knochenmarktransplantation erhalten. Doch nur zwei Personen überlebten dieses Syndrom. In den Folgejahren 1987 bis 2004 starben weitere 19 Personen, jedoch kann die Todesursache nicht zweifelsfrei auf die Strahlenexposition nach dem Unfall zurückgeführt werden.

Einige Personen bekamen durch die hohe Bestrahlung Hautdosen von bis zu 500 Gray. Die Folge waren schwere Verbrennungen. Zwei Personen starben durch die Explosion des Reaktors aufgrund schwerer Verletzungen und Verbrennungen.

4.1 Schilddrüsenkrebs

Nach dem Unfall stieg die Zahl der Schilddrüsenkrebserkrankungen in der Bevölkerung von Weißrussland, der Ukraine und in vier anderen Regionen Russlands rasant an. In den Jahren 1991 bis 2005 wurden rund 6.900 Schilddrüsenkrebserkrankungen festgestellt. Die Krebsfälle werden auch auf die Belastung mit radioaktivem Jod zurückgeführt, das innerhalb der ersten Monate nach dem Unfall aufgenommen wurde. Radioaktives Jod wurde hauptsächlich über Kuhmilch aufgenommen. (vgl. URL 10, 2019)

Gesundheitliche Folgen der Spaltprodukte

Wenn ein Atomkraftwerk-Unfall passiert, können Radionuklide, wie zum Beispiel Cäsium, Strontium, Jod und Plutonium in die Atmosphäre freigesetzt werden. Dies kann zu einer Strahlenbelastung führen und die freigesetzten Radionuklide werden von Menschen über die Atemluft oder über die Nahrung aufgenommen. Die radioaktiven Spaltprodukte Cäsium und Strontium lagern sich im Körpergewebe an, weil der Körper Kalium und Calcium nicht unterscheiden kann. Statt Calcium wird Strontium in den Knochen eingelagert. Somit lagert sich Cäsium in das Muskelgewebe ein.

- radioaktives Jod (131J): Aufgrund des radioaktiven Niederschlags findet man Jod verstärkt in der Umwelt. Jod-131 kann sich im Schilddrüsengewebe einlagern, da es über die Nahrung aufgenommen wird. Schilddrüsenkrebs kann entstehen.
- Cäsium (137Cs): Cäsium kann sich im Körper, insbesondere im Muskelgewebe verteilen. Die DNA kann geschädigt werden und es kann auch die Geschlechtsdrüsen (Gonaden) verstrahlen.
- Strontium (90Sr): Strontium kann sich in Knochen sowie im Gewebe einlagern. Leukämie und Knochenkrebs können die Folge sein.
- Tritium (3H): Tritium kann über die Atemluft oder über die Haut aufgenommen werden, es dringt in weiches Gewebe sowie in Organe ein und kann daher Lungenkrebs verursachen. (vgl. URL 9, 2019)

4.2 Strahlenbelastung durch Nahrungsaufnahme

Die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl brachte nicht nur schwere Folgen für den Menschen mit sich, vielmehr führte die Freisetzung von großen Mengen an Radionukliden zu einer Cäsium-137-Belastung von Nahrungsmitteln. Die Nachwirkungen sind in Europa bis heute messbar. (vgl. URL 11, 2019)

Wildfleisch

In Acker- und Wiesenflächen hält das Cäsium-137 nicht länger, da es durch Regen in tiefere Schichten gespült wird. Daher ist der Cäsium-137-Gehalt bei landwirtschaftlichen Produkten nicht hoch, man kann sagen, dass er keine Rolle mehr spielt.

In unbearbeiteten Waldböden deponiert sich das Cäsium-137 hingegen. Es verbleibt in den obersten Schichten und kann somit über die Wurzeln der Pflanzen aufgenommen werden. Aufgrund dessen nehmen die Wildtiere, hauptsächlich Wildschweine, während der Nahrungssuche Cäsium-137 auf. (vgl. URL 11, 2019)

Die AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH) misst regulär die Strahlenbelastung verschiedener Wildfleischsorten. Die Wildfleisch-Proben wurden von Schlachthöfen aus ganz Österreich entnommen. Bei einer Messung im Jahr 2004 wurden knapp 1.000 Wildfleisch-Proben auf den Cäsium-137-Gehalt untersucht. Die Messung zeigte, dass insgesamt bei sechs Proben eine Grenzwertüberschreitung vorliegt. Der höchste Wert lag bei 1.975 Bq/kg. (vgl. URL 11, 2019)

Wildpilze

Die Belastung der wildwachsenden Speisepilze hängt von der Art und vom Standort ab.

Eine Untersuchung, die vom BfS (Bundesamt für Strahlenschutz) durchgeführt wurde, zeigte, dass in den letzten Jahren (2016 - 2018) in Deutschland verschiedene Pilzarten hohe Cäsium-137-Werte aufwiesen. Es wurden Pilze wie der Elfenbein-Schneckling, der Braunscheibige und der Wohlriechende Schneckling, Rotbraune Semmelstoppelpilze, Maronenröhrlinge, Reifpilze und der Braune Scheidenstreifling untersucht. Das Ergebnis war eine Grenzüberschreitung von mehr als 1.000 Becquerel pro Kilogramm. (vgl. URL 12, 2019)

Das Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz kontrolliert seit Jahren in Österreich routinemäßig Lebensmittel auf Radioaktivität. Es werden hauptsächlich Kontrollen von Wildpilzimporten aus Drittstaaten, von Rohmilch und von sonstigen Produkten, insbesondere von Rind- und Wildfleisch durchgeführt. (vgl. URL 13, 2019)

Ebenfalls wurde eine Untersuchung von Wildpilzen in Österreich durchgeführt. Es wurden Speisepilze untersucht, die aus verschiedene Regionen Österreichs stammten. Dabei wurde darauf geachtet, dass gering, mittel und höher belastete Gebiete zur Untersuchung herangezogen wurden. Laut einer Studie lagen die Cäsium-137-Werte bei Eierschwammerln und Steinpilzen deutlich unter dem Grenzwert (600 Bq/kg). Doch es wurden in den letzten Jahren immer noch Grenzüberschreitungen bei etwa 12 % den Eierschwammerln festgestellt. Bei Maronenröhrlingen lagen die Mittelwerte über dem Grenzwert, Grenzüberschreitungen waren bei mehr als der Hälfte festzustellen. Bei Parasolen waren die Cäsium-137-Werte nur sehr gering. (vgl. URL 14, 2019)

5 Was ist Radioaktivität?

„Der Tod lauerte überall, aber dieser Tod war irgendwie anders. Er trug neue Masken. Kam in einem anderen Gewand. Der Mensch wurde davon überrumpelt, darauf war er nicht vorbereitet. Nicht vorbereitet als biologische Art; sein gesamtes natürliches Arsenal, ausgebildet zum Sehen, Hören und Tasten, versagte. Nichts davon war brauchbar; Augen, Ohren und Hände taugten nicht, waren keine Hilfe, denn Radioaktivität ist unsichtbar, lautlos und ohne Geschmack. Körperlos.“ (Alexijewitsch, 1997, S. 44)

Beginnen wir mit dem Atomkern, dem Zentrum eines jeden Atoms. Er besteht aus positiv geladenen Protonen und neutralen Neutronen. Protonen stoßen sich aufgrund der gleichen elektrischen Ladung gegenseitig ab, werden jedoch durch die Neutronen und die starke Kernkraft an Ort und Stelle gehalten. Die elektrisch negativ geladenen Elektronen umkreisen den Atomkern und bilden somit die Hülle. Das Element wird durch die Zahl der Protonen bestimmt. Jedoch werden für mehr Protonen ungleich mehr Neutronen benötigt, um der Abstoßung Herr zu werden. Mehrere Atome des gleichen Elementes können durchaus auch verschieden viele Neutronen aufweisen, diese „Versionen“ werden als „Isotope“ bezeichnet. Irgendwann reichen jedoch auch überschüssige Neutronen nicht mehr aus, um das Atom stabil zu halten und in weiterer Folge wird das Atom instabil. (vgl. URL 16, 2019)

Die Neutronen haben auf die chemischen Eigenschaften keinen Einfluss, sie verändern nur das Gewicht und die kernphysikalischen Eigenschaften. Außerdem muss ein gewisses Gleichgewicht von Abstoßung und Anziehung herrschen, was dazu führt, dass lediglich wenige Isotope pro Element stabil sind. (vgl. Eidemüller, 2012, S. 19)

Da die Abstoßung bei den sehr schweren Elementen jenseits von Blei extrem groß ist, werden diese in der Regel instabil und zerfallen radioaktiv. (vgl. Eidemüller, 2012, S. 18)

Im Folgenden ein kurzes Beispiel, um den eben beschriebenen Sachverhalt praktisch darzustellen:

„Beim leichtesten aller Elemente, dem Wasserstoff, besteht der Atomkern etwa nur aus einem Proton, ohne Neutron. Dieses „Protium“ genannte Wasserstoffisotop ist stabil. Ebenso stabil ist das nächstschwerere Wasserstoffisotop, das zusätzlich zum Proton ein Neutron im Kern besitzt; dieses Isotop wird schwerer Wasserstoff oder „Deuterium“ genannt. Das nächste Wasserstoffisotop heißt überschwerer Wasserstoff oder „Tritium“ und besitzt zwei Neutronen. Es ist instabil und zerfällt im Schnitt nach 12,3 Jahren.“ (Eidemüller, 2012, S. 19 f.)

5.1 Halbwertszeit

Die Zerfallszeit, auch Halbwertszeit genannt, ist die Dauer, in der die Hälfte eines radioaktiven Elementes zerfallen ist. Vergeht nach der ersten Halbwertszeit eine zweite, zerfällt wiederum die noch vorhandene Menge um die Hälfte, es bleibt also nur ein Viertel zurück. (vgl. URL 17, 2019)

Jedoch besitzen Atome kein Gedächtnis, was bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit des Zerfalls der übrigen instabilen Atomkerne mit der Zeit weder zu- noch abnimmt. Nach 100 Jahren wird ein noch nicht zerfallener Tritiumkern mit einer Halbwertszeit von 12,3 Jahren in den kommenden 12,3 Jahren immer noch mit genau fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit zerfallen, die Wahrscheinlichkeit steigt oder sinkt niemals.

Somit bietet die Halbwertszeit eine gewisse Orientierungshilfe bezüglich der Gefährlichkeit der Strahlung radioaktiver Substanzen. Mit ihr kann man abschätzen, ab wann nur noch ein kleiner Teil des ursprünglichen Materials strahlt. Allerdings sind hierbei die ursprüngliche Menge und das Element ausschlaggebend. Denn auch ein Bruchstück einer entsprechend großen Menge kann noch gefährlich sein, ebenso wie die verschiedenen Elemente auch verschiedene Halbwertszeiten haben, welche von Sekunden bis hin zu Millionen von Jahren reichen. (vgl. Eidemüller, 2012, S. 20)

5.2 Maßeinheiten für Radioaktivität

Es gibt verschiedene Maßeinheiten für radioaktive Strahlung.

Die Äquivalentdosis

Mit der Äquivalentdosis wird die biologische Wirksamkeit angegeben und auf die unterschiedlichen Empfindlichkeiten der einzelnen Gewebesorten gegenüber radioaktiver Strahlung wird eingegangen. Die Maßeinheit der Äquivalentdosis ist das Sievert (Sv) , benannt nach dem schwedischen Physiker und Strahlenschützer Rolf Maximilian Sievert.

Die Energiedosis

Die Energiedosis sagt viel über die Wirksamkeit von Strahlung aus. Möchte man wissen, was das menschliche Gewebe an ionisierender Strahlung aufnimmt, so kann man die Dosis der Schäden durch das Gray (Gy) messen. Diese Einheit (Gy) ist nach dem britischen Physiker und Begründer der Strahlenbiologie Louis Harold Gray benannt.

Die Aktivität

Die Aktivität wird in der Einheit Becquerel (Bq) gemessen und gibt die Anzahl von radioaktiven Zerfällen pro Sekunde an. Die Einheit Becquerel ist nach dem französischen Physik-Nobelpreisträger und Mitentdecker der Radioaktivität Antoine Henri Becquerel benannt. (vgl. Eidemüller, 2012, S. 37 ff.)

Zerfallsarten

Die einzelnen Elemente weisen jedoch nicht nur verschiedene Halbwertszeiten, sondern auch variierende Zerfallsarten auf. (vgl. URL 18, 2019)

Nun hätten wir geklärt, dass Atomkerne sowohl stabil als auch instabil sein können. Sind sie instabil, werden sie früher oder später (radioaktiv) zerfallen. Doch was genau ist jetzt diese Radioaktivität und wie entsteht die radioaktive Strahlung?

5.3 Die verschiedenen Arten der radioaktiven Strahlung

Atomkerne geben bei ihrer Spaltung Energie frei, welche als ionisierende Strahlung bezeichnet wird. Der Ausgangskern bestimmt die Art der Strahlung, die freigesetzt wird. Man unterscheidet zwischen der Alpha-, Beta-, Gamma- und Neutronenstrahlung. Die freigesetzten radioaktiven Teilchen können die Zellstruktur angreifen, doch jede dieser Strahlungsarten kann durch unterschiedliche Materialien abgeschirmt werden. Im folgenden Absatz wird jede Strahlungsart einzeln betrachtet. (vgl. URL 17, 2019)

Alphastrahlung

Sie besteht aus Heliumkernen, welche Energie nur über sehr kurze Distanzen Energie abgeben. Der Grund ist, dass die Heliumkerne durch ihre extrem starke Wechselwirkung mit Materie sehr schnell abgebremst werden. Bereits ein Blatt Papier ist bei vorliegender Alphastrahlung ein ausreichender Schutz.

Betastrahlung

Elektronen oder deren positiv geladene Schwesterteilchen, die Positronen, bilden die Betastrahlung. Je nach elektrischer Ladung der freigewordenen Teilchen spricht man von Beta-Minus-Strahlung oder Beta-Plus-Strahlung. Diese Strahlungsart kann bereits oberflächlich in Körper eindringen, zu ihrem Schutz genügt jedoch ein dünnes Aluminiumblech.

Gammastrahlung

Die Teilchen der elektromagnetischen Strahlung, wozu auch das sichtbare Licht gehört, werden Photonen genannt. Wegen seiner geringen Energie ist Licht jedoch nicht schädlich. Nimmt die Energie der elektromagnetischen Strahlung zu, entsteht die allseits bekannte UV-Strahlung, deren Auswirkungen auf die Haut ebenso bekannt sind. Nach der ultravioletten Strahlung kommt die Röntgenstrahlung, deren Intensität bereits stark genug ist, um feste Materie zu durchleuchten. Die Spitze der elektromagnetischen Strahlung stellt schließlich die Gamma-Strahlung dar, die bei radioaktiven Prozessen frei wird. In der Luft reicht sie mehrere hundert Meter weit und kann nur durch meterdicke Beton- oder Bleiwände zuverlässig abgeschirmt werden.

Neutronenstrahlung

Freie Neutronen können bei geringerer Geschwindigkeit von Atomkernen eingefangen werden und sind gleich der Gammastrahlung sehr durchdringend. Gammastrahlen erreichen Lichtgeschwindigkeit, wohingegen die Neutronen von der Materie gebremst werden. Werden sie nicht eingefangen, zerfallen sie mit einer Halbwertszeit von ca. 15 Minuten. Dies kommt in der Natur nur noch äußerst selten vor, da eben diese freien Neutronen bereits vor langer Zeit zerfallen sind. Deshalb ist diese Art der Strahlung hauptsächlich in Kernkraftwerken oder bei nuklearen Explosionen anzutreffen und spielt eine eher geringe Rolle im Vergleich zu den anderen Strahlungsarten. (vgl. Eidemüller, 2012, S. 31 ff.)

Wirkung Ionisierender Strahlen auf Organismen

Unser Leben basiert auf mikroskopisch kleinen Zellen. Wenn ionisierende Strahlen auf lebendige Organismen treffen, können sie unterschiedliche Auswirkungen auf das Organsystem haben.

Man kann sagen, dass die Zelle aus Wasser und zum Teil auch aus hoch komplexen langkettigen Molekülen besteht. Wenn ein radioaktives Teilchen eine lebende Zelle trifft, so erzeugt es im Körper freie Ionen, auch „freie Radikale” genannt. Ionen haben eine neutrale Ladung, sie sind reaktionsfähig oder aggressiv, daher sind große Moleküle besonders anfällig. (vgl. Neumann, 2012, S. 50)

„Je größer die Moleküle sind, umso empfindlicher sind diese hinsichtlich des Zugriffs der freien Ionen.“ (Neumann, 2012, S. 50)

Doch besonders empfindlich ist die DNA, die Trägerin der Erb- und Zellinformation. Sie zerbricht unter den Radikalen, die Zelle kann zwar noch weiterarbeiten, sie kann sich aber wegen der zerstörten DNA nicht mehr teilen. Wenn die Zelle versucht, sich zu teilen, „merkt“ sie, dass die DNA tot ist. Das heißt, dass die radioaktive Strahlung bzw. die Radioaktivität die Möglichkeit der Zellteilung (Mitose) verhindert und das hat natürlich unterschiedliche Folgen auf das gesamte System der Organe. (vgl. Neumann, 2012, S. 50 ff.)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: DNA-Molekül

Biologische Wirkung von radioaktiver Strahlung

Aufgrund der unterschiedlichen Reichweite und Energieabgabe der verschiedenen Arten radioaktiver Strahlung unterscheiden sich auch die Gefahren, die durch diese Strahlungen für den menschlichen Organismus auftreten.

Wenn Alpha-Strahlung auf die oberste Hautschicht gelangt, ist dies für den Mensch äußerlich relativ ungefährlich. Wenn sie eingeatmet wird oder mit der Nahrung bzw. über Hautwunden in den Körper gelangt, kann sie gefährlich werden.

Neben der Alpha-Strahlung gibt es auch die Beta-Strahlung. Sie kann nicht tief genug in den Körper eindringen und kann somit die inneren Organe nicht schädigen. Es kann durch sie aber zu Verbrennungen und zur Verstrahlung der oberen Hautschichten kommen. Wäre beispielsweise das Gewebe des Auges betroffen, so könnte eine Linsentrübung die Folge sein.

Gamma-Strahlung kann – wie die Röntgenstrahlung – die Materie durchdringen. Es macht also keinen Unterschied, ob sie sich innerhalb oder außerhalb des Körpers befindet. (vgl. Eidemüller, 2012, S. 35 ff.)

Auswirkungen durch Röntgenstrahlen

Bei einer Röntgenuntersuchung ist das Risiko eines Strahlenschadens sehr unterschiedlich. Das Risiko ist individuell und hängt von verschiedenen Faktoren ab. Das Alter spielt dabei eine große Rolle. Jüngere Menschen und Kinder haben ein höheres Risiko als ältere Menschen. Auch der Gesundheitszustand, die familiäre Belastung oder das Geschlecht eines Patienten spielen dabei eine Rolle. Frauen sind strahlenempfindlicher als Männer. (vgl. Dr. Maresch, 2016, S. 28)

[...]

Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Tschernobyl-Kinder. Erholung in Tirol
Autoren
Jahr
2020
Seiten
79
Katalognummer
V939302
ISBN (eBook)
9783346279682
ISBN (Buch)
9783346279699
Sprache
Deutsch
Schlagworte
tschernobyl-kinder, erholung, tirol
Arbeit zitieren
Linda Preindl (Autor:in)Dilara Cayir (Autor:in), 2020, Tschernobyl-Kinder. Erholung in Tirol, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/939302

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