Der Chat - Eine kommunikationstheoretische und inszenierungstechnische Betrachtung


Bachelorarbeit, 2008

89 Seiten, Note: 1.00


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Methode – Teilnehmende Beobachtung

3. Entstehung und Entwicklung des Chat

4. Der Chat – Versuch einer Definition
4.1 Definition: Chat
4.2 Der Chatraum – ‚Raum’?
4.3 Der Nickname
4.4. Der Chat – zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit
4.4.1 Turn und Turn-Taking
4.4.2 Die Face-to-face-Kommunikation
4.4.3 Die Chatkommunikation
4.4.4 Face-to-face versus Chat
4.5 Kommunikationsrituale
4.6 Die Ökonomisierung der Textproduktion
4.7 Semiotische Innovationen

5. Identität – Realität oder Fiktion?
5.1 Definition: Identität
5.2 Wir bauen uns eine Identität
5.2.1 Schritt Nr. 1 – Die Wahl des Nicknamens
5.2.2 Schritt Nr. 2 – Das Profil
5.2.3 Schritt Nr. 3 – Das Ergebnis
5.3 Selbstmaskierung versus Selbsterkundung
5.3.1 Die Selbstmaskierungsthese
5.3.2 Die Selbsterkundungsthese
5.3.3 Chancen und Gefahren
5.4 Realweltlicher Alltag versus virtuelle Welt
5.4.1 Die Inszenierung von Realität und Fiktion
5.4.2 Wahrnehmungsraum und inszenierter Raum
5.4.3 Wahrnehmung von Sprache und Identität
5.5 Das Geschlecht im Chat
5.5.1 Genderswapping
5.5.2 Genderswapping mit ‚caesar28’
5.5.3 Genderswapping mit ‚cleopatra160’
5.6 Wir outen uns als ‚Fake’

6. Schlusswort

7. Literaturangaben

8. Anhang
8.1 www.swisstalk.ch – Chatmitschnitte
8.1.1 Chat vom 06.02.2008
8.1.2 Chat vom 13.02.2008
8.1.3 Chat vom 02.03.2008
8.2 E-Mails @ ‚cleopatra160’ und ‚caesar28’
8.2.1 E-Mails @ cleopatra.meier@gmail.com
8.2.2 E-Mails @ caesar.huber@gmail.com

1. Einleitung

„Immer häufiger trifft Amors Pfeil durch Kabel und Bildschirm-Monitore: Die Suche nach Partnerin und Partner übers Netz ist zum neuen Internet-Wachstumsträger geworden. Es wird gemailt und ‚gechattet’ auf Beziehung komm raus…“[1]

Heutzutage nehmen die so genannten neuen Medien in unserem alltäglichen Leben einen immer höheren Stellenwert ein. Nebst der populären Kommunikation per SMS oder auch E-Mail, wird von einem grossen Teil der Bevölkerung der Chat als Kommunikationsplattform genutzt. Ein interessanter Aspekt bei der Untersuchung der Chatkommunikation ist der Konflikt zwischen dem mündlichen und dem schriftlichen Konzept, nämlich zwischen dem mündlichen und dem medial schriftlich realisierten Sprachgebrauch.

Des Weiteren ist interessant, dass sich der Internetchat als bevorzugte Möglichkeit für die Entstehung unterschiedlichster Beziehungen etabliert. Inzwischen hat sich das Internet an die traditionellen Bereiche für die Partnersuche und Paarbildung, wie Arbeitsplatz und Freizeit, angeglichen. Laut einer repräsentativen Studie über Liebensbeziehungen im Internet unter der Leitung der Soziologin Evelina Bühler-Ilieva vom Soziologischen Institut der Universität Zürich haben von 4110 befragten Nutzern 23% im Internet eine intime Beziehung zueinander aufgebaut, die mindestens sechs Monate dauerte.[2]

Ursprünglich planten wir für unsere Forschung, zwei Chaträume – einen in Standardsprache und einen in Schweizer Mundart – zu untersuchen. Eine weitere wichtige Bedingung, die wir befolgen wollten, war, uns auf je einen seriösen und landesweit bekannten Partner- und Flirtchat zu konzentrieren. Solch ein Chatforum wäre zum Beispiel ‚Friendscout24’[3] – sowohl für die Standardsprache, wie auch Schweizer Mundart – gewesen. Hier hat sich jedoch ein Hindernis ergeben, denn bei Friendscout24 besteht nur dann die Möglichkeit einer Teilnahme, wenn man ein so genanntes Abonnement – das günstigste Angebot kostet 59.95 Schweizer Franken für einen Monat – löst. So haben wir bei den nicht weniger bekannten Chatflirtforen ‚iLove’[4] und ‚Swisstalk’[5] je ein Profil angelegt.

Für unser Forschungsvorgehen haben wir uns für die Methode der teilnehmenden Beobachtung entschieden, so dass wir uns selbst auch aktiv an Chatgesprächen beteiligen können, um gewisse Verhaltens- oder auch Inszenierungsmuster der Chatteilnehmer zu erforschen.

Für unsere Seminararbeit verfolgen wir das Ziel, auf die Selbstdarstellung in Form von virtueller Identität im Internet und der Schaffung neuer – künstlicher? – Wirklichkeiten zu fokussieren, um zum Schluss reale und inszenierte Welt anhand des Wahrnehmungsraums zu diskutieren.

Hierbei stellen wir die folgenden Fragen:

- Welche Rolle spielt die durch den Chat gegebene Anonymität für die Entfaltung des Selbst?
- Wie setzt sich dieses Selbst zusammen? Ist es rein fiktiv oder enthält es gewisse reale Charaktereigenschaften? Kann direkt oder indirekt auf die reale Person geschlossen werden?
- Abgesehen davon, ob die im Chat präsentierten Personen real oder virtuell sind: Wie inszenieren sich die Chatteilnehmer im anonymen Kontext?

Um die oben genannten Fragen beantworten zu können, werden wir im Laufe der Arbeit teilweise auf ein konkreteres Beispiel eingehen. – Die Arbeit wird so aufgebaut sein, dass wir im Flirtforum iLove ein Profil anlegen und Schritt für Schritt die Konstruktion einer (unserer) virtuellen Identität aufzeigen und mit theoretischen Erläuterungen untermauern. – Wir werden also die Konstruktion und Präsentation von virtuellen Identitäten und erste Kontakte mit anderen Chatteilnehmern untersuchen, denn wie Nicola Döring sagt

„[…] trifft man in Chat-Foren reihenweise Personen, die – laut eigener Auskunft – mit bemerkenswerter Schönheit gesegnet sind, beruflichen Erfolg geniessen und exotischen Hobbys nachgehen.“[6]

Ein weiteres interessantes Forschungsergebnis Dörings, in Bezug auf die Entstehung von Liebesbeziehungen im Internetchat, ist das Folgende:

„Viele […] räumen ein, dass das romantische Kennenlernen nur deshalb möglich war, weil im Netz zunächst ausgeblendet blieb, dass das Gegenüber äusserlich eigentlich gar nicht dem sonst bevorzugten ‚Typ’ entspricht, zu alt, zu jung, zu gross, zu klein, zu dick oder zu dünn ist, hinkt oder stottert. Waren im Zuge des intimen Online-Austauschs erst einmal intensive Gefühle entstanden, so liessen sich vormalige Ausschlusskriterien bei der Freundes- oder Partnerwahl zugunsten der im Netz entdeckten Seelenverwandtschaft suspendieren.“[7]

Das Phänomen, dass viele Chatteilnehmer sich eine virtuelle Identität zulegen, die gängigen Attraktivitätsnormen entspricht, ist sehr interessant und einer genaueren Untersuchung würdig. Des Weiteren interessiert uns besonders auch die Reaktion der Chatteilnehmer aufeinander und – als teilnehmende Beobachter – auf uns, beziehungsweise auf unsere virtuelle Identität, die selbstverständlich genau auf die gängigen Attraktivitätsnormen abzielen wird.

Die Hypothese, von der wir im weiteren Verlauf der Arbeit ausgehen werden, lautet:

Sowohl Realität als auch Fiktion sind als Inszenierung zu betrachten, weil auch die Realität nicht per se existiert. Sobald diese nämlich dargestellt wird, muss sie mit unterschiedlichen Mitteln inszeniert werden, damit sie von der Umwelt als solche erkannt wird.

In der vorliegenden Arbeit werden wir einleitend auf die Methode der teilnehmenden Beobachtung und weiter auf die Entstehung und Entwicklung des Chat eingehen. Des Weiteren möchten wir die für den Fortlauf der Arbeit wichtigsten Begriffe klären und bald zum Thema der Inszenierung und Selbstinszenierung in Realität und Fiktion übergehen. Mithilfe der untersuchten Partner-/Flirtchats werden wir die Selbstmaskierungsthese und die These der Selbsterkundung gegeneinander abwägen und die dahinter versteckten Prozesse aufzeigen. Weiter soll auch die virtuell geschaffene Identität analysiert und untersucht werden. Wir möchten klären, inwiefern von realer Wirklichkeit oder von virtueller – künstlicher – Wirklichkeit gesprochen werden kann und auf welche Weise diese beiden Formen der Wirklichkeit geschaffen werden.

2. Die Methode – Teilnehmende Beobachtung

Den Begriff der Beobachtung setzt man nach alltäglichem Verständnis gleich mit dem Begriff der Wahrnehmung. Wissenschaftlich wird jedoch zwischen Wahrnehmung und Beobachtung differenziert. Von Beobachtung wird demnach gesprochen, wenn die folgenden drei Kriterien erfüllt sind:

1. Absicht: Der Forschende/ Beobachter verfolgt ein bestimmtes Ziel, beziehungsweise ist die Beobachtung zweckgebunden.
2. Selektion: Es erfolgt eine Auswahl bestimmter Aspekte der Wahrnehmung.
3. Auswertung: Der Abschluss erfolgt durch die Ergebnisauswertung.[8]

Die alltägliche Beobachtung wird zu einer wissenschaftlichen Beobachtung, wenn die Beobachtung zur Überprüfung bestimmter Vermutungen dient und die Ergebnisse sowohl reproduzierbar wie auch intersubjektiv nachvollziehbar sind.

Wir haben uns für die Methode der teilnehmenden Beobachtung entschieden, da sie die am weitesten verbreitete Methode in der qualitativen Sozialforschung ist. Sie wird angewendet, wenn es um die Erfassung der sozialen Konstituierung von Wirklichkeit, um Prozesse des Aushandelns von Situationsdefinitionen und um das Eindringen in ansonsten schwer zugängliche Forschungsfelder geht. Des Weiteren kann die Methode über eine sehr kurze oder sehr lange Zeitspanne angewendet werden und die Teilnahme des Forschers kann auch auf unterschiedliche Art und Weise stattfinden.

Der Forscher taucht bei dieser Methode in das untersuchte Feld ein und nimmt somit an persönlichen Situationen der ihn interessierenden Personen beziehungsweise Gruppen teil, um über deren Handeln und Denken Daten zu erzielen. Anhand genauer Beobachtungen kann er deren Interaktionsmuster und Wertvorstellungen erkunden und für die wissenschaftliche Auswertung dokumentieren.

Ein wichtiger Aspekt der teilnehmenden Beobachtung ist, dass sie sowohl verdeckt wie auch offen stattfinden kann:

Bei der offenen Beobachtung tritt der Beobachter ausdrücklich als Forscher auf, so dass das soziale Feld zumindest den Zweck der Anwesenheit des Forschers kennt. – Dies bedeutet aber nicht, dass die zu beobachteten Personen das genaue Ziel der Forschung kennen.

Bei der verdeckten Beobachtung gibt der Forscher seine Identität nicht zu erkennen. Der Sinn dieser Forschungsart liegt darin, die Gefahr einer Störung des sozialen Feldes – also auch Modifikation des Verhaltens – durch das Wissen um die Anwesenheit eines Forschers zu vermeiden.

Für unsere Forschung im Internetchat müssen wir die Methode der teilnehmenden Beobachtung insofern modifizieren, als dass der Chat an und für sich in einem virtuellen Rahmen stattfindet und wir somit zwar sozusagen metaphysisch präsent sind, jedoch eine körperliche Anwesenheit im eigentlichen Sinne nicht möglich ist – wir tauchen sozusagen virtuell in unser Forschungsfeld ein.

In der Umgebung des Chat sind unsere Beobachtungsmöglichkeiten auf die schriftlich produzierten Beiträge der Chatteilnehmer reduziert und wir können sozusagen nur das auswerten, was sich uns auf dem Bildschirm präsentiert, jedoch haben wir nicht die Gelegenheit hinter den Bildschirm zu blicken und somit bleiben uns nonverbale Aspekte verborgen. Insofern erhalten wir für die Analyse nur eine internetbasierte, virtuelle Wirklichkeit.

Wir haben uns dazu entschieden, grundlegend verdeckt zu beobachten, unsere Identität als Forscher nicht bekannt zu geben und sozusagen als normale Chatteilnehmer in die Welt der Partnersuchenden einzutauchen. – Wir werden uns nichtsdestotrotz im Verlauf unserer Forschungstätigkeit in einer gegebenen Situation ‚outen’, also unseren Chatpartnern unsere Forscherrolle bekannt geben, um deren Reaktion darauf zu überprüfen.[9]

3. Entstehung und Entwicklung des Chat

Der historische Vorgänger des Chat ist das so genannte ‚Talk’. Um Talk zu benutzen, müssen zwei Personen in die Kommunikation einwilligen. Der Prozess wird eingeleitet, wenn eine Person die andere ruft, indem sie Talk benutzt, um die Verbindung aufzubauen. Wenn die gerufene Person das so genannte Gespräch annimmt, wird die Verbindung aufgebaut und der Bildschirm teilt sich horizontal auf: In der unteren Bildschirmhälfte erscheinen die eigenen Tastatureingaben, in der oberen Hälfte sind die Eingaben des Kommunikationspartners sichtbar. Das Besondere an dieser Kommunikationsform ist, dass jeder Buchstabe einzeln auf dem Monitor des Partners erscheint und nicht erst die komplette Nachricht, die durch das Betätigen der Entertaste abgeschickt und vom Gegenüber gelesen wird, wie wir es von den heutigen Chatsystemen kennen.

Auf dem Talk aufbauend, wurde 1988 vom finnischen Studenten Jarkko Oikarinen das erste Programm entwickelt, mittels dessen mehrere Personen gleichzeitig miteinander kommunizieren können. Der so genannte ‚Internet Relay Chat’ (IRC) stellt über einen Verbund von mehreren Servern weltweite Diskussionsforen bereit.

Mit der Einführung des ‚World Wide Web’ in den frühen 90er Jahren des 20. Jahrhunderts kamen Chats in Mode, die über einen allgemeinen Browser zugänglich sind. Während im Internet Relay Chat die User an einem länderübergreifenden Netz mit verschiedenen Servern hängen, sind alle Benutzer im Webchat über einen einzigen Server miteinander verbunden.

Des Weiteren haben sich Grafik- wie auch Videochats entwickelt. Grafikchats bieten über die schriftliche Vermittlungsebene hinaus auch eine visuelle Komponente an. Diese Chats stellen die Chaträume, wie auch die Chatteilnehmer entweder zwei oder dreidimensional dar, wobei diese Räume sowie die Erscheinungsformen oft von den Nutzern selbst gestaltet werden können. Videochats sind Chatsysteme mit integrierter audio-visueller Komponente (z.B.: Kamera, Mikrofon…).

Auch erwähnenswert sind chatähnliche Kommunikationssysteme, die ebenfalls auf (quasi-) synchroner computervermittelter Kommunikation zwischen mehreren Personen beruhen. Die wichtigsten gemeinsamen Elemente des Chat und der chatähnlichen Systeme sind die Anonymität, sowie die Benutzung eines Pseudonyms in der Kommunikation.

Als bekanntestes Beispiel hierfür sollen so genannte ‚MUDs’ aufgeführt werden: MUD steht für ‚Multi User Dungeon’. Ein MUD ist eine interaktive, textbasierte Umgebung, in der sich gleichzeitig mehrere Nutzer aufhalten und miteinander agieren. Multi User Dungeons sind an erster Stelle Onlinespiele in Form von Chatkommunikation. Zwar kommt es neben der Spielhandlung auch zu informellen Gesprächen zwischen den Spielern, diese stellen jedoch nicht die primäre Motivation für die Teilnahme an einem MUD dar.

Als letzte chatähnliche Kommunikationsform soll das so genannte ‚Instant Messaging’ aufgeführt werden: Das Instant Messaging ist ein Dienst, der es dem ‚Instant Messenger’ ermöglicht in Echtzeit mit anderen Teilnehmern zu kommunizieren. Dabei werden über das Internet kurze Textmitteilungen an den Empfänger geschickt, auf die dieser unmittelbar antworten kann. Auf diesem Weg lassen sich meist auch Dateien austauschen. Zusätzlich bieten zahlreiche Messaging-Programme Video- oder Telefonkonferenzen an.[10]

4. Der Chat – Versuch einer Definition

Für den weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit sollen nun die wichtigsten Begriffe rund um das Thema Chat, Kommunikation im Chat und dessen besondere Merkmale erläutert werden.

4.1 Definition: Chat

In unserer Seminararbeit gehen wir von Juliane Schönfelds Definition des Chat aus, wobei wir uns auf reine Textchats beschränken wollen:

„Chat-Dienste (eng. to chat: plaudern, schwatzen) sind Programme, die es einer beliebig grossen Zahl von Benutzern ermöglichen, durch Anschluss ihres Computers an weltweit verteilte, im Computernetzwerk des Internet zusammengeschlossene Zentralrechner, sog. Server, synchron zu kommunizieren. Die schriftlich realisierten Kommunikationsbeiträge werden durch die zentralen Rechner auf den Bildschirmen aller angeschlossenen Computer reproduziert.“[11]

Der Chat an und für sich ist demnach als ein virtueller Raum zu betrachten, in welchem einander unbekannte Menschen miteinander synchron – wobei wir diese Synchronizität im weiteren Verlauf genauer betrachten werden – in schriftlicher Form kommunizieren.

4.2 Der Chatraum – ‚Raum’?

Der Begriff ‚Raum’ ist in der Chatkommunikation ein metaphorisches Konzept. Dies ist aus der Alltagskommunikation abzuleiten, da erfolgreiche Kommunikation im Alltag sozusagen in Räumen zustande kommt. Chaträume können also als Synonym für gemeinsame Wahrnehmungsräume gelten. Somit ist der Chatraum ein virtueller Kommunikationsraum.

Durch den Begriff des Raumes wird Nähe, in Bezug auf die Unterhaltung also kommunikative Nähe, erzeugt, und somit entsteht der Eindruck, dass die Chatteilnehmer sich in ein und demselben Raum befinden. Dennoch bleibt die Anonymität jedes Teil-

nehmers bewahrt, da keine direkte Face-to-Face-Situation besteht, beziehungsweise entsteht.[12]

4.3 Der Nickname

Die Teilnahme an einem Chat erfordert die Wahl eines so genannten Nicknamens, also eines Pseudonyms. Der Begriff ‚Nickname’ ist ursprünglich das englische Pendant zum deutschen Wort Spitzname. Der Nickname im Chat hat allerdings nicht die reelle Funktion eines Namens, vielmehr symbolisiert und konstituiert der Nickname bei seiner Anzeige die Anwesenheit des Chatteilnehmers. Mit der graphischen Erscheinung eines Nicknamens wird nicht nur Präsenz, sondern auch Aufmerksamkeit indiziert, wenn der Chatteilnehmer seinen Beitrag zur Kommunikation leistet. Der Nickname, unter welchem ein Teilnehmer an einem Chat teilnimmt, ist selbst gewählt. Es ist also ein Individuenkennzeichen, das den Träger als individuell und unverwechselbar ausweist, da ein Nickname in einem Chat nur einmal vergeben werden kann. Bei der Wahl des Nicknamens wird häufig Wert auf Originalität gelegt, so dass der Chatteilnehmer zumeist eine grössere Chance hat, von potentiellen Mitkommunikanten beim Eintritt in den Chat zur Kenntnis genommen zu werden (zu weiteren Aspekten zum Thema ‚Nickname’, siehe Kapitel 5. Identität – Realität oder Fiktion?).

4.4. Der Chat – zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit

Die Chatkommunikation, die (quasi) synchron stattfindet, nimmt in der Kommunikationsforschung eine besondere Stelle ein, denn sie lässt sich weder klar der Schriftlichkeit noch der Mündlichkeit zuordnen. Aus diesem Grund sollen die Face-to-face-Kommunikation und die Chatkommunikation bezüglich Schriftlichkeit und Mündlichkeit untersucht und die wesentlichsten Merkmale und Unterschiede dieser beiden Kommunikationsarten aufgezeigt werden.

4.4.1 Turn und Turn-Taking

Unabhängig von der Kommunikationsform bestehen Gesetzmässigkeiten, welche in irgendeiner Form eingehalten werden müssen, damit bewusste Kommunikation funktionieren kann.

Kommunikation setzt sich aus so genannten ‚Turns’ zusammen. Ein Turn ist eine Redeeinheit, welche im Idealfall nicht unterbrochen wird. Der Turn ist also das, was ein Individuum tut, wenn es in einem Gespräch an der Reihe ist – sprechen. Da sich die Kommunikation aus verschiedenen Turns zusammensetzt, werden diese auch als Gesprächsschritte bezeichnet.

Die Kunst ist es, diese Turns oder Gesprächsschritte so aneinander zu hängen, dass weder Lücken entstehen, welche den Zusammenhang zwischen den Turns und somit den Kommunikationscharakter stören, noch die Turns vor ihrem Ende abzuschneiden.

Das ‚Turn-Taking’-System legt folglich die Regeln fest, nach welchen die Gesprächs-schritte, beispielsweise im Rahmen eines mündlichen Gesprächs, auf die Teilnehmer verteilt werden und wie die Turns in der Gesprächsstruktur koordiniert werden. Dabei gilt die Regel: No gaps, no overlaps. Es sollen also weder Lücken noch Überschneidungen entstehen.[13]

Das Turn-Taking-System sorgt somit dafür, dass einzelne Turns an Sprecher verteilt werden. Mit der Übergabe des Turns erhält ein Sprecher das Recht, zu sprechen. Die Übergabe dieser Turns erfolgt an so genannten übergaberelevanten Stellen. Diese übergaberelevanten Stellen können das Ende einer Phrase oder eines Satzes sein, durch Intonation oder mit einer Pause gekennzeichnet sein. Das anschliessend neu zu verteilende Rederecht kann folgendermassen selektiert sein: Bei der Fremdselektion ernennt der sprechende Teilnehmer den nächsten Sprecher. Dies kann beispielsweise mit einer konkreten, persönlich gerichteten Frage stattfinden oder mit einer Aufforderung geschehen. Bei der Selbstselektion nimmt sich ein Teilnehmer selbst das Recht heraus, seinen Turn direkt an den vorausgegangenen Turn anzuhängen. Er gibt, beziehungsweise nimmt sich also selbst das Rederecht. Bei der Erweiterung des eigenen Turns spricht der gleiche Teilnehmer weiter. Dies kann vorkommen, wenn dieser niemanden zu einer Äusserung eines Turns auffordert, kein Teilnehmer einen Turn anhängt oder aber, wenn der sprechende Teilnehmer seinen bereits geäusserten Turn erweitert oder auch einen unabhängigen Turn anhängt.

4.4.2 Die Face-to-face-Kommunikation

Unter Face-to-face-Kommunikation wird die Interaktion von mindestens zwei Parteien über den mündlichen Sprachgebrauch verstanden. Somit fallen beispielsweise Sprecher der Fernsehnachrichten weg, welche medial mündlich einen konzeptionell schriftlichen Text ‚vortragen’.

So kann bei dieser Kommunikationsart aufgrund der gesprochenen Sprache als verwendetes Medium von einer medialen Mündlichkeit gesprochen werden. Die Face-to-face-Kommunikation funktioniert direkt und ohne Schrift. Auch vom Konzept her ist das Gespräch mündlich. Die Gesprächsteilnehmer kommunizieren unmittelbar miteinander, sei es in einem direkten Gespräch oder aber über das Telefon. Das heisst, dass die Turns im gleichen Moment produziert und rezipiert werden (siehe Kapitel 4.4.4. Face-to-face versus Chat).

4.4.3 Die Chatkommunikation

Die Chatkommunikation ist eine computervermittelte Kommunikation, so wie es das Versenden von E-Mails auch ist. Es ist sozusagen eine Anwendung der neuen Medien:

„Als innovativste dieser neuen Kommunikationsformen erscheint unter kommunikationstypologischem Aspekt der Chat, in welchem sich Internet-Nutzer zu zweit oder in Gruppen anhand kurzer, getippter Beiträge nahezu in Echtzeit miteinander austauschen können.“[14]

Diese getippten Beiträge vermitteln eindeutig, dass die Sprache im Chat als computervermittelte Kommunikation in schriftlicher Form erfolgt. Die Kommunikation im Chat verwendet also das Medium des Textes und ist somit als medial schriftlich zu betrachten. Nach Michael Beisswenger bedient sich die Chatkommunikation damit auf den ersten Blick dem Medium Schrift und somit klar einem Medium der Distanz, da sowohl die Produktion und die Rezeption mit einer zeitlichen Verzögerung ablaufen, als auch ein räumlicher Abstand – zumindest ein geistig-räumlicher Abstand – zwischen Produzent und Rezipient besteht.[15]

Bei der schriftlich realisierten Kommunikation per E-Mail, bei welcher aufgrund der räumlichen wie auch zeitlichen Distanz von einer asynchronen Kommunikation gesprochen wird, handelt es sich um eine medial schriftliche und konzeptionell schriftliche Kommunikationsform, denn die E-Mail beinhaltet praktisch keine sprechsprachlichen Elemente und muss auch nicht direkt bei oder nach der Produktion vom Rezipienten gelesen werden – nicht beide Nutzer müssen gleichzeitig im Internet sein, um per E-Mail miteinander zu kommunizieren. Im Vergleich dazu müssen beim Chat beide Nutzer gleichzeitig im Internet – online – sein. Somit ist eine zeitgleiche Anwesenheit der Teilnehmer im Chat für eine erfolgreiche Kommunikation notwendig.

Demnach hat die Chatkommunikation den Charakter eines Gesprächs, welches Face-to-face, also von Angesicht zu Angesicht, gehalten wird. Somit können wir bei der Chatkommunikation, im Gegensatz zum E-Mail-Verkehr, von einer quasi-synchronen – nicht synchron, weil der gesamte Turn zuerst produziert werden muss, bevor er via Entertaste gesendet wird und vom Rezipienten gelesen werden kann –, direkten Kommunikation sprechen, welche somit als konzeptionell mündlich bezeichnet werden darf.[16] Zudem kann in Bezug auf das Bestimmen der Konzeption beim Untersuchen von Chatauszügen festgestellt werden, dass sich deren Textproduktion sehr stark von nähesprachlichen Produktionsgewohnheiten beeinflusst sieht:

„Die Voraussetzung für konzeptionelle Mündlichkeit, nämlich eine Situation der kommunikativen Nähe, wird für den gesamten Bereich der privaten Online-Kommunikation mehr oder weniger vorausgesetzt. Merkmale konzeptioneller Mündlichkeit werden üblicherweise nach der lautlichen / orthografischen, syntaktischen, lexikalischen und diskursorganisatorischen Ebene beschrieben.“[17]

Die Kommunikation im Chat ist stark geprägt von einem schriftlich realisierten, aber doch sprechsprachlich angelehnten Sprachgebrauch, sowohl in der Syntax als auch in der Verwendung von Formulierungen oder umgangssprachlichen Wendungen. Zudem werden im Zuge der Ökonomisierung Tippfehler, Schreibfehler ebenso toleriert, wie konsequente Kleinschreibung oder Fragmentsätze:

„Dies weist – trotz räumlicher Trennung und weitgehender Anonymität der Teilnehmer – in Richtung einer kommunikativen Grundhaltung, die in einigen wesentlichen Punkten einem aus der Face-to-face-Kommunikation bekannten Nähekonzept entspricht und […] als eher ‚konzeptionell mündlich’ zu beschreiben wäre.“[18]

Gleichwohl müssen aber auch Unterschiede zur medial mündlich realisierten Face-to-face-Kommunikation bestehen. Das schriftlich realisierte mündliche Konzept muss nämlich unter anderem vom Empfänger als solches, also mündliches Konzept erkannt und in der Folge entschlüsselt werden.

4.4.4 Face-to-face versus Chat

Die wichtigsten strukturellen Unterschiede zwischen der Face-to-face-Kommunikation und der Chatkommunikation sollen in den drei folgenden Punkten verdeutlicht werden:

1. Bei der Face-to-face-Kommunikation fallen, im Gegensatz zur Chatkommunikation, Produktions- und Rezeptionszeit zusammen, da die Produktion eines Textes normalerweise zeitaufwändiger ist als dessen Rezeption.
2. Dadurch, dass die Rezipienten eines Chat die Entstehung des schriftlichen Beitrags nicht mitverfolgen können, können sie in das Geschehen erst nach Abschluss einer Sequenz eingreifen. Das bedeutet, dass für mündliche Kommunikation so zentrale Vorgänge wie das nonverbale und verbale Rückmeldeverhalten des Hörers beim Zuhören, oder auch das Turn-Taking sehr stark eingeschränkt, beziehungsweise unmöglich sind.
3. Chatkommunikation ist nicht, wie gesprochene Kommunikation, primär zeitlich, sondern räumlich strukturiert, da einige der typischsten Phänomene des Chat dies der Textualität (Räumlichkeit) der Kommunikationsform verdanken. So ist zum Beispiel die Segmentierung längerer Gesprächsbeiträge in kleinere Häppchen ein wichtiger Faktor der Chatkommunikation, denn im Chat muss man den Raum besetzen, um wahrgenommen zu werden, wohingegen man in der mündlichen Kommunikation die Möglichkeit hat, länger am Stück zu sprechen.[19]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Unterschiede zwischen der Face-to-face-Kommunikation und der Chatkommunikation

Für die Untersuchung der Face-to-face-Kommunikation und der Chatkommunikation bezüglich Schriftlichkeit und Mündlichkeit wird unter anderem das Medium, mit welchem die Sprachäusserung erfolgt, erforscht. Michael Beisswenger verwendet den Begriff des ‚Trägermediums’, um so eine klare Abgrenzung zur medialen Ebene der Kommunikationsvollzüge zu schaffen.[20] Das Medium ist also sozusagen der Weg, über welchen die Kommunikation erfolgt. Handelt es sich bei der Face-to-face-Kommunikation um gesprochene Sprache, so ist der Chat klar als schriftliche, also verschriftlichte, Sprache einzustufen. Ausnahme bilden hier die Formen von audiovisuellen Chats und ähnlichen Formen. So wird klar zwischen dem Medium und dem Konzept der Kommunikation unterschieden. Das Konzept zeigt auf, ob die geschriebene Sprache nur einen schriftlichen Charakter hat oder aber ob anhand der Schrift eine mündliche Umsetzung gestaltet werden kann. Ein Zeitungsartikel ist vom Medium schriftlich / graphisch, vom Konzept her aber auch, da die geschriebene Sprache keine mündliche Umsetzung impliziert. Auch das Schreiben einer Email ist nicht als Gespräch gedacht, sondern vergleichbar mit dem Verfassen eines Briefes, bei welchem zwar mitgeteilt, aber nicht im eigentlichen Sinne miteinander gesprochen wird. Beim Chat hingegen steht die mehr oder weniger unmittelbare Konversation im Zentrum: Aufgrund des Mediums der Schrift, muss dieses ‚Miteinandersprechen’ im Chat in der schriftlich-medialen Form erfolgen, also wird auf schriftlichem Wege so getan, als ob miteinander gesprochen würde. Hierbei werden die bereits vorhandenen Stilmittel eingesetzt, was zur Folge hat, dass das Konzept, welches hinter dieser Schrift steht, mündlich ist.

Es geht in Bezug auf die Definition des Mediums und des Konzepts also darum, die Endpunkte des Kontinuums zu betrachten. Hierbei handelt es sich einerseits um die mediale Realisierung und um das Konzept der Kommunikationsform im Chat.

In der Face-to-face-Kommunikation wird das gesagte auch direkt aufgenommen. Die Gesprächssituation findet also synchron statt. Im Chat haben wir aufgrund der situationellen und der technischen Gegebenheiten eine leichte Verzögerung, so dass wir nur von einer nahezu synchronen Kommunikationssituation sprechen können, denn im Vergleich zur Face-to-face-Kommunikation, erfolgen die Produktion und die Äusserung des Turns im Chat nicht gleichzeitig. Der Gedanke, die ursprünglich mündlich konzipierte Aussage – obwohl hier auch kurz angefügt werden muss, dass sich im Chat auch taubstumme Menschen in einem quasi mündlichen Konzept schriftlich unterhalten können –, muss zuerst in die schriftliche Form gebracht werden. Das heisst, der Gedanke muss vollständig eingetippt werden und dann mit der Entertaste gesendet werden. So entsteht ein Zeitraum, der es auch ermöglicht, Gedanken anders zu formulieren, Fehler zu korrigieren oder eine Nachricht wieder zu löschen und gar nicht zu senden.

4.5 Kommunikationsrituale

Allein die Tatsache, dass ein Chatteilnehmer zeitgleich mit anderen im selben Chatraum eingeloggt ist, reicht noch nicht aus, um sich auch dessen Aufmerksamkeit, in Bezug auf das Chatgeschehen, sicher zu sein. Denn selbst, wenn ein Teilnehmer gerade nichts zum Kommunikationsverlauf beizusteuern weiss, wird dennoch von ihm erwartet, dass er sich in regelmässigen Abständen (zurück-) meldet, um seine Aufmerksamkeit und sein kontinuierliches Interesse an der Kommunikation zu demonstrieren. Es gibt sogar solche Chatseiten, die einen Chateilnehmer, der längere Zeit nichts zum ‚Gespräch’ beiträgt, nach einigen Warnungen aus dem System ausloggen (auswerfen), um das so genannte ‚Lurken’ (zu Deutsch: lauern, verborgen bleiben) zu verhindern.

Chatkommunikation birgt demnach ein hohes Unsicherheitspotential, dem durch eingespielte Aufmerksamkeitsroutinen seitens der Kommunikanten beständig entgegengewirkt werden muss, um dem Risiko von Missverständnissen und Fehleinschätzungen vorzubeugen.

Ein grosser Teil von Äusserungen im Chat dient demnach lediglich dazu, ungebrochene Kommunikationsbereitschaft zu demonstrieren. Diese Notwendigkeit, führt nicht selten dazu, dass Chatkommunikation in Räumen mit hoher Teilnehmerzahl abschnittweise aus nichts anderem besteht als inhaltsarmen Bezugnahmen auf selbige, wobei solcherlei Bezugnahmen selbst wiederum nichts anderes darstellen, als erneute Aufmerksamkeitssignale seitens eines anderen Teilnehmers.

4.6 Die Ökonomisierung der Textproduktion

Die als Chat bezeichnete Kommunikationsform entsteht, beziehungsweise besteht, wie bereits weiter oben verdeutlicht, trotz ihrer medialen Schriftlichkeit aus Komponenten des mündlichen Gesprächs. Dies macht nicht nur die Bezeichnung ‚Chat’ deutlich, sondern es zeigt sich auch daran, dass die Chatteilnehmer selbst ihre sprachproduktiven Aktivitäten überwiegend mit Verben wie ‚sagen’, beziehungsweise ‚hören’ bezeichnen.

Da nun der Chat eigentlich eine Verschriftlichung von mündlich gemeinter Kommunikation ist, wird darauf abgezielt, die Textproduktion möglichst schnell abzuwickeln. Hierdurch ist eine auffällige Häufung von Tippfehlern in so genannten Chatgesprächen zu beobachten.

Laut Michael Beisswenger sind die Tippfehler in vier Gruppen einzuteilen:

1. Vertippen I: Anstatt des geplanten Graphs wird versehentlich dasjenige Graph getippt, mit dem eine auf der Eingabetastatur neben gelegene Taste belegt ist. (siehe unten, Bsp. 8)
2. Vertippen II: Zusätzlich zum geplanten Graph wird ausserdem dasjenige Graph getippt, mit dem eine auf der Eingabetastatur neben gelegene Taste belegt ist. (siehe unten, Bsp. 2 – 5 / 9)
3. Anschlagsdynamik: Aufgrund unkontrollierter Anschlagdynamik werden manche Tasten zu schwach getroffen, um die Eingabe des betreffenden Graphs zu aktivieren, andere Tasten zu stark, so dass das Graph zweimal hintereinander eingegeben wird. (siehe unten, Bsp. 1 / 5 / 7)
4. Buchstabendreher: Zwei Graphe erscheinen entgegen der zu erwartenden Abfolge vertauscht, was zurückführbar ist auf versehentliches (flüchtigkeitsbedingtes) Vertauschen der zugehörigen Tasten beim Tippen. (siehe unten, Bsp. 6 / 10)[21]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[22]

(9) fireman118 an cleopatra160 (10:12:57)

Na Du..keine Lust auf eine kleine Entdeckungsrteise..[23]

(10) cleopatra160 an amor22 (11:03:03)

so, cih muess düse...[24]

Neben den oben aufgeführten Tippfehlerarten ist auch eine Tendenz zu beobachten, dass beim Chat die Gross- und Kleinschreibung grösstenteils vernachlässigt wird und je schneller das Kommunikationsgeschehen vorangetrieben wird, passagenweise sogar konsequent nur noch klein geschrieben wird, um den Produktionsaufwand beim Tippen eigener Beiträge so weit als möglich zu ökonomisieren.

4.7 Semiotische Innovationen

Da die Chat-Kommunikation, im Gegensatz zur Face-to-face-Kommunikation, eine äusserst beschränkte Wahrnehmung des Gegenübers bewirkt, werden auch nonverbale Ausdrucksformen in das Medium Schrift überführt. Hierbei wirkt aber auch das zuvor erläuterte Ökonomisierungsprinzip der Textproduktion, so dass solche nonverbalen Ausdrücke nicht Wort für Wort verfasst werden, sondern mit so genannten ‚Emoticons’ (emotion icons) symbolisiert werden.

Die mit Abstand am häufigsten verwendeten Emoticons stellen in der Regel Gesichter dar, die eine jeweils spezifische Miene zeigen:

:-) J (= smile)

;-) (zwinkern) …

crazyitalo82 an cleopatra160 (10:58:44)

salii gohts guet?? flissig am schaffe?? =o)[25]

fireman118 an cleopatra160 (15:57:51)

ich bin do… :-)[26]

Eine Alternative zu den Emoticons stellen die so genannten ‚Acronyms’ dar, die ebenfalls Emotionalität ausdrücken. Dies geschieht jedoch in Form von Abkürzungen für englische Ausdrücke, die Mimik und Gesichtsausdrücke bezeichnen. Diese können aber auch in ausgeschriebener Form auftreten:

*s* = smile

*g* = grin …

amor22 an cleopatra160 (10:54:09)

betreffend es date...smile[27]

Als Erweiterung wurden auch dynamische Aktions- und Zustandsbeschreibungen entwickelt:

*lol* = laughing out loud

*rotfl* = rolling on the floor laughing …

Emoticons sind zusammengesetzt aus Schrift- und Sonderzeichen und fungieren „als ikonographische Rekonstruktionen typisierter Gesichtsausdrücke“[28]. Das Anwenden und Verstehen von Emoticons kommt jedoch nicht ohne Konventionen aus:

„Das Mindestregelwissen, über das ein Chatteilnehmer verfügen muss, um dieserlei Ideogramme usuell zu gebrauchen und adäquat deuten zu können, besteht darin, zu wissen, dass (a) die Kombination bestimmter Schrift- oder Sonderzeichen auf das Gegebensein eines Smiley bzw. Emoticons schliessen lässt, (b) diese Smileys ideographisch zu interpretieren sind, und (c) diese Smileys bzw. Emoticons in einer um 90° gedrehten Ansicht zu betrachten sind.“[29]

Zwischenzeitlich zusammenfassend muss betont werden, dass die Verwendung der Sprache in der Medialität der Schrift also unterschiedliche Formen der Inszenierung verwendet. Da die Kommunikation schriftlich ohne direkten Kontakt erfolgt, muss diese Möglichkeit der Inszenierung oft eingesetzt werden.

5. Identität – Realität oder Fiktion?

Identität wird hergestellt. Sie ist das Ergebnis einer spezifisch menschlichen Leistung, sich selbst zum Gegenstand der eigenen Wahrnehmung zu machen und sich als ‚Ich’ wahrzunehmen. Dies geschieht auf der Grundlage praktischer und kommunikativer Interaktionen. Sowohl Strukturen als auch Inhalte von Identität sind damit als subjektiver Niederschlag und Verarbeitung realer Beteiligungen am sozialen Leben zu verstehen.

[...]


[1] Tobler, Elsbeth: Einsame Herzen in den Weiten der Netzwelt. NZZ, 19. Dezember 2003.

http://www.nzz.ch/2003/12/19/em/article984OK.html (05.01.2008, 15:35 Uhr)

[2] Ebd.

[3] http://www.friendscout24.ch / http://www.friendscout24.de

[4] http://ilove.ch / http://ilove.de

[5] http://www.swisstalk.ch

[6] Döring, Nicola (2000): Identität + Internet = Virtuelle Idenität?

http://visor.unibe.ch/ws04/medienthemen/docs/doering_identitaet.pdf (03.12.2007, 20:15 Uhr) S. 1.

[7] Döring, Nicola (2000): Identität + Internet = Virtuelle Idenität?

http://visor.unibe.ch/ws04/medienthemen/docs/doering_identitaet.pdf (03.12.2007, 20:15 Uhr) S. 5.

[8] Franz, Anja et al. (2006): Verschriftlichung – Teilnehmende Beobachtung.

http://www.erzwiss.uni-halle.de/gliederung/paed/allgew/material/ws05_06/TeilnehmendeBeobachtung.pdf (16.12.2007, 14:15 Uhr) S. 4.

[9] Ebd.: S. 4 – 13.

[10] Orthmann, Claudia (2004): Strukturen der Chat-Kommunikation: konversationsanalytische Untersuchung eines Kinder- und Jugendchats. Dissertation. Berlin: Freie Universität Berlin.

http://www.diss.fu-berlin.de/2004/78/ (02.12.2007, 10:13 Uhr) S. 8 – 17.

[11] Schönfeldt, Juliane: Die Gesprächsorganisation in der Chat-Kommunikation. In: Beisswenger, Michael (2002): Chat-Kommunikation. Sprache, Interaktion, Sozialität & Identität in synchroner computervermittelter Kommunikation. Perspektiven auf ein interdisziplinäres Forschungsfeld. Band 1. Stuttgart: Ibidem. S. 25.

[12] Beisswenger, Michael: Das interaktive Lesespiel. Chat-Kommunikation als mediale Inszenierung. In: Beisswenger, Michael (2002): Chat-Kommunikation. Sprache, Interaktion, Sozialität & Identität in synchroner computervermittelter Kommunikation. Perspektiven auf ein interdisziplinäres Forschungsfeld. Band 1. Stuttgart: Ibidem. S. 99 – 102.

[13] Baumgartner, Jachin (2003): Die Chatkommunikation. Bern: Institut für Medienwissenschaft, Uni Bern.

http://visor.unibe.ch/ws04/medienthemen/docs/Vortrag_Chat.pdf (23.11.2007, 13:15 Uhr) S. 8.

[14] Beisswenger, Michael (2000): Getippte ‚Gespräche’ und ihre trägermediale Bedingtheit. Zum Einfluss technischer und prozeduraler Faktoren auf die kommunikative Grundhaltung beim Chatten.

http://www.michael-beisswenger.de/pub/curupira.pdf (08.12.2007, 14:53 Uhr) S. 2.

[15] Baumgartner, Jachin (2003): Die Chatkommunikation. Bern: Institut für Medienwissenschaft, Uni Bern.

http://visor.unibe.ch/ws04/medienthemen/docs/Vortrag_Chat.pdf (23.11.2007, 13:15 Uhr) S. 6.

[16] Beisswenger, Michael (2000): Getippte ‚Gespräche’ und ihre trägermediale Bedingtheit. Zum Einfluss technischer und prozeduraler Faktoren auf die kommunikative Grundhaltung beim Chatten.

http://www.michael-beisswenger.de/pub/curupira.pdf (08.12.2007, 14:53 Uhr) S. 1 – 3.

[17] Androutsopoulos, Jannis K. (2003): Online Gemeinschaften und Sprachvariation. Soziolinguistische Perspektiven auf die Sprache im Internet. In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik Nr. 31:2,

http://archetype.de/texte/2003/ZGL_0303.pdf (08.12.2007, 11:30 Uhr) S.8

[18] Beisswenger, Michael (2000): Getippte ‚Gespräche’ und ihre trägermediale Bedingtheit. Zum Einfluss technischer und prozeduraler Faktoren auf die kommunikative Grundhaltung beim Chatten.

http://www.michael-beisswenger.de/pub/curupira.pdf (08.12.2007, 14:53 Uhr) S. 3.

[19] Spitzmüller, Jürgen (2005): Spricht da jemand? Repräsentation und Konzeption in virtuellen Räumen.

www.ds.uzh.ch/dsDB/download.php?id=45 (03.12.2007, 20:25 Uhr) S. 11.

[20] Beisswenger, Michael (2000): Getippte ‚Gespräche’ und ihre trägermediale Bedingtheit. Zum Einfluss technischer und prozeduraler Faktoren auf die kommunikative Grundhaltung beim Chatten.

http://www.michael-beisswenger.de/pub/curupira.pdf (08.12.2007, 14:53 Uhr) S. 5 – 6.

[21] Beisswenger, Michael (2000): Kommunikation in virtuellen Welten: Sprache, Text und Wirklichkeit. Eine Untersuchung zur Konzeptionalität von Kommunikationsvollzügen und zur textuellen Konstruktion von Welt in synchroner Internet-Kommunikation, exemplifiziert am Beispiel eines Webchats. Stuttgart: Ibidem. S. 73 – 74.

[22] Ebd.: S. 74.

[23] Anhang dieser Seminararbeit, Kapitel 8.1 www.swisstalk.ch Chatmitschnitte

[24] Ebd.

[25] Ebd.

[26] Ebd.

[27] Ebd.

[28] Beisswenger, Michael (2000): Kommunikation in virtuellen Welten: Sprache, Text und Wirklichkeit. Eine Untersuchung zur Konzeptionalität von Kommunikationsvollzügen und zur textuellen Konstruktion von Welt in synchroner Internet-Kommunikation, exemplifiziert am Beispiel eines Webchats. Stuttgart: Ibidem. S. 97.

[29] Ebd.: S. 97.

Ende der Leseprobe aus 89 Seiten

Details

Titel
Der Chat - Eine kommunikationstheoretische und inszenierungstechnische Betrachtung
Hochschule
Universität Basel  (Deutsches Seminar)
Note
1.00
Autoren
Jahr
2008
Seiten
89
Katalognummer
V93828
ISBN (eBook)
9783638064514
Dateigröße
1483 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Chat, Eine, Betrachtung
Arbeit zitieren
Hédi Róka (Autor:in)Florian Weber (Autor:in), 2008, Der Chat - Eine kommunikationstheoretische und inszenierungstechnische Betrachtung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93828

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