Katastrophenvorsorge. Ausgewählte Konzepte und Maßnahmen


Hausarbeit, 2020

22 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Versicherungswesen und Vorsorge

2. Notfallpädagogik und Vorsorge

3. Bauliche Prävention im Bevölkerungsschutz

4. Raumplanung und Vorsorge
4.1 Risikovorsorge durch Freiräume in Regionalplänen
4.2 Bauleitplanung: formelle und informelle Prozesse, Bürgerbeteiligung
4.3 Möglichkeiten zur Klimaanpassung in Bauleitplanung und Stadtentwicklung

5. Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Versicherungswesen und Vorsorge

Naturgefahrenereignisse sind omnipräsent und regional sehr unterschiedlich ausgeprägt. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie dem Einzelnen unmittelbar massive Vermögensschäden zufügen können. Von diesen Ereignissen sind unmittelbar primär die Sachversicherungen betroffen. Im Jahr 2018 wurde dieser Versicherungszweig allein in Deutschland mit 2,6 Mrd. € belastet (GDV 2019). Eine Absicherung gegen die elementaren Grundgefahren bietet zunächst die Wohngebäudeversicherung und in erweiterter Form die Elementarschadensversicherung, deren individuelle Policen einen Schutz gegen nahezu sämtlicher Naturrisiken anbieten (Groß et al.). Weitere betroffene Versicherungssparten sind z.B. die Kfz-Versicherung und mit unmittelbaren Schäden die Betriebs- oder Ertragsausfallversicherungen. Mit Stand 2019 waren in Deutschland allerdings erst 43 % der Gebäude gegen Elementarschäden versichert. (GDV 2019)

Terrorrisiken unterliegen seit den Anschlägen von 9/11 aufgrund der entstandenen massiven Versicherungsschäden in der Versicherungswirtschaft einer besonderen Betrachtung. Die Swiss Re beschrieb bereits im Jahr 1992, dass es Terroristen technisch möglich sei „ganze Städte in Schutt und Asche zu legen“ (Thomann 2007, S. 24). Das potentiell hohe Schadensrisiko, die weltweite Möglichkeit des Schadeneintritts und die schwere Vorhersehbarkeit machen es selbst für internationale Rückversicherer schwierig, Terrorrisiken mit klassischen Regulierungstechniken zu diversifizieren. (Thomann 2007)

Spätestens der Anschlag auf das World Trade Center (WTC) hat gezeigt, dass durch Terrorrisiken zahlreiche Versicherungszweige und -sparten betroffen sind.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Verteilung der WTC-Schäden nach Versicherungssparten (Thomann 2007)

Da seit diesem Ereignis Terrorrisiken aus den meisten Policen substituiert wurden, haben sich in den vergangenen Jahren geteilte Deckungskonzepte zwischen Staat und privatwirtschaftlichen Versicherern zur Regulierung von Terrorrisiken durchgesetzt, wie in Deutschland durch die EXTREMUS Versicherungs-AG mit Sach- und Ertragsausfallversicherungen (EXTREMUS 2016; Gas 2005). Im Vergleich zu den USA und GB fällt die Nachfrage nach solchen Policen in Deutschland noch sehr gering aus (Thomann 2007).

Das Prinzip der Risikostreuung wird durch das gleichzeitige und weltweite Auftreten von Schäden bei einer Pandemie stark eingeschränkt (Pralle u. Falk 2014). Im Vergleich zu den anderen Szenarien weisen Pandemien nur geringe Schäden im Bereich der Sachversicherungen auf. Die Schäden sind zumeist unmittelbar durch die Erkrankung und mittelbar durch Absatz- und Liquiditätsprobleme, Betriebsunterbrechungen und -schließungen, Ertrags-, Veranstaltungs- oder Reiseausfälle gegeben (GDV 2020). In vielen Versicherungspolicen werden daher Pandemien vertraglich ausgeschlossen. Eine Risikoallokation wird meist in Form von Spezialversicherungen gegen wesentlich höhere Prämien und besondere Auflagen und erfordern eine wesentlich ausgeprägtere Risikoprüfung durch den Versicherer. (Röbisch u. Siemens 2020)

Die drei Szenare zeichnen sich durch ihre Klassifizierung als Kumulrisiken aus. Das bedeutet, dass es aufgrund des Ereignisses zur Anhäufung mehrerer Schäden bei einem Versicherungsunternehmen kommt (Herbrich 1992).

Während Naturgefahrenereignisse und Terroranschläge zeitlich plötzlich und regional auftreten, bilden Pandemien dagegen einen oft schleichenden Prozess, der sich über mehrere Monate bis Jahre hinziehen kann und in der Regel keiner regionalen Begrenzung unterliegt (Pralle u. Falk 2014).

Eine Differenzierung der drei Szenare lässt sich auch anhand der Prognosefähigkeit ihrer Frequenz treffen. Während für Naturgefahrenereignisse meist gute Modellberechnungen zur Kalkulation der Eintrittswahrscheinlichkeit existieren, lassen sich diese für Pandemien aufgrund defizitärer Schadenserfahrungen schwer prognostizieren. Dies gilt auch für Terrorrisiken, bedingt durch ihre dynamischen Unsicherheiten. Die Transparenz der Informationen zum Gefährdungspotential ermöglicht eine weitere Unterscheidung zwischen den drei Szenare. Informationen zu Naturgefahrenereignissen und Pandemien werden öffentlich kommuniziert und ausgetauscht, wohingegen Informationen zu terroristischen Aktivitäten aus nachrichtendienstlichen Gründen meistens geheim gehalten werden.

Für Naturrisiken bestehen oft wirksame Maßnahmen zur Schadensreduzierung. Dem hingegen lassen sich für Terrorrisiken aufgrund der Intelligenz des Aggressors und der daraus resultierenden Parameterunsicherheit nur eingeschränkt wirkungsvolle Schutzmaßnahmen implementieren. Bedingt durch die Wirkweise und die hohe Variabilität von Krankheitserregern gilt auch hier für Pandemien eine stark begrenzte individuelle Präventionsmöglichkeit. Während die Fähigkeit zur Beeinflussung des Ereignisses beim Auftreten von extremen Naturgefahrenereignissen und Pandemien nicht gegeben ist, ist sie bei Terrorrisiken durch politische Maßnahmen möglich. (Kunreuther et al. 2003)

Betrachtet man die drei Szenarien nach dem Kapitalbedarf für den Schadensfall anhand der Daten der letzten 50 Jahre, sind die größten Versicherungsschäden im Bereich der Naturgefahrenereignisse zu verorten. Der Kapitalbedarf bedingt durch terroristisch motivierte Anschläge ist mit Ausnahme der Anschläge von 9/11 in der Schadenshöhe niedriger ausgefallen. Allerdings muss an dieser Stelle auch angemerkt werden, dass die Versicherungsdichte in den meisten betroffenen Regionen gering ist und die meisten Anschläge isoliert, mit eingeschränktem Organisationsgrad und meist konventionellen Wirkmitteln stattfanden. Ein systematischer, zielgerichteter Angriff mit einem breiten Wirkbereich könnte allein schon durch die enormen mittelbaren volkswirtschaftlichen Auswirkungen zu einem extremen Kapitalbedarf führen, weshalb. (Klein 2007) Aufgrund dessen ist der Kapitalbedarf von Terrorrisiken höher zu priorisieren.

Die Informationen über den Kapitalbedarf von Pandemien sind aktuell noch aufgrund der niedrigen Frequenz sehr überschaubar. Allerdings kann infolge der aktuellen SARS-CoV2-Pandemie bereits jetzt dieses Szenario aufgrund seines hohen Kumulrisiko als das, mit dem eindeutig höchsten Kapitalbedarf versehene bemessen werden. So prognostizieren die ersten Modellrechnungen bereits im März 2020 Schäden im mehrfachen 12-stelligen Bereich (Florian Dorn et al. 2020).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Kapitalbedarf der Szenare anhand historischer Ereignisse (Swiss Re 2019; Munich Re 2018)

Als privatwirtschaftlicher Versicherer würde für mich nur die Übernahme des Risikos des Szenarios Naturgefahrenereignis in Frage kommen. Auch wenn das Schadenspotential sehr hoch sein kann, ist das Ereignis räumlich eingegrenzt, wodurch sich das Risiko gemäß dem Prinzip des Risikoausgleichs im Kollektiv über viele Versicherungsträger in der Fläche streuen lässt. Aufgrund der globalen Auswirkungen von Pandemien und teilweise auch von Terroranschlägen, tritt der Schaden hier weltweit auf, wodurch das Prinzip gestört wird. Durch Rückversicherer lässt sich noch eine bessere Verteilung des Kumulrisikos erreichen. Auch die gute Modellier- und Berechenbarkeit unterstreicht diese Entscheidung.

2. Notfallpädagogik und Vorsorge

Die persönliche Notfallvorsorge bezeichnet zunächst ein Instrumentarium an eigenen Kenntnissen und Fähigkeiten, sowie materieller Ausstattung, des einzelnen Bürgers, welches die Selbsthilfekompetenzen in Notsituationen stärkt (Goersch 2010a). Die persönliche Notfallvorsorge allein leistet schon einen wesentlichen Beitrag zur Substitution und Reduktion von Schäden und Katastrophen (Kreutzer 2008).

Eine Notsituation zeichnet sich dadurch aus, dass sich mit den „insgesamt verfügbaren Lösungen auftretende Probleme nicht mehr bewältigen lassen (Beerlage et al. 2006). Dies assoziiert die Notwendigkeit des Eingreifens Dritter zum Erreichen einer Maximalversorgung, bis zu deren Eintreffen die Betroffenen aber in der Regel auf sich allein gestellt sind. Diese Phase bezeichnet man als „Isolationsphase“. Das Überstehen der Isolationsphase mit den möglichst geringsten Schäden, ist somit unmittelbar von den Bewältigungsfähigkeiten der Betroffenen abhängig. (Goersch 2010a)

In Deutschland ist dies maßgeblich durch die Hilfsfrist bestimmte Isolationsphase aufgrund eines engmaschigen, flächendeckenden und fortschrittlichen Gefahrenabwehrsystems im Vergleich zu anderen Ländern sehr gering. Allerdings zeichnet sich der Trend ab, dass die Isolationsphase künftig immer länger werden wird. Dies lässt sich durch den Rückgang des ehrenamtlichen Personals bei Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) bedingt durch den demographischen Wandel, finanzielle Einsparungen, eine Verringerung der Krankenhausdichte und der Notarztstandorte im ländlichen Bereich begründen. (Maaß 2008; Goersch 2010a)

Gerade bei Schadensereignissen, die das Kollabieren oder den vollständigen Ausfall der Gefahrenabwehr nach sich ziehen, stellt die Selbstbewältigung den einzigen Weg aus der Krise dar (Goersch 2010a). Aufgrund der zunehmenden globalen Vernetzungen und Abhängigkeiten wirken sich Schadensereignisse zunehmend großflächig bis global aus, was das Rettungswesen zunehmend belastet (Karutz 2011). Eine Studie der Allianz prognostiziert beispielsweise eine künftige Zunahme von Blackout Szenarien in Deutschland (Kreutzer 2008).

Im Schadensfall ist die Resilienz der Kräfte der BOS und deren Angehöriger von größter Wichtigkeit. Ist die Sicherheit der Angehörigen der Einsatzkräfte nicht gesichert, so werden diese nicht für die Gefahrenabwehr zur Verfügung stehen. Um die Einsatzfähigkeit und die Durchhaltefähigkeit der BOS sicherzustellen, ist als Folgerung daraus die persönliche Notfallvorsorge der Helfer mitsamt ihren Familien von elementarer Wichtigkeit.

Die persönliche Notfallvorsorge ist aber auch aus psychologischen Gründen von hoher Relevanz. Der Pädagoge Kurt Hahn schreibt der Beschäftigung mit Aspekten der Notfallvorsorge bereits bei jungen Menschen einen deutlichen Mehrwertgewinn an sozialen Kompetenzen zu. (Karutz u. Mitschke 2018) So werden unter anderem dadurch die Solidaritätsfähigkeit, die Fähigkeit zur Selbstbestimmung und zur Übernahme von Eigenverantwortung gestärkt. Durch angemessene Vorbereitung können die negativen psychischen Folgen von Notfällen gemindert, im Idealfall sogar vermieden werden. (Karutz 2011)

Ein großer Anteil Teile der Bevölkerung ist auf Notfallsituationen unzureichend bis gar nicht vorbereitet ist (VoTeKK 2009). Das Grünbuch des Zukunftsforums für Öffentliche Sicherheit fokussiert diese Aussage auf den Satz, „die Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung ist kaum ausgeprägt.“ (Bartsch et al. 2008, S. 27) Daher stellt sich die Frage, warum es so schwierig ist, das gewünschte Notfallvorsorgeverhalten zu erzielen.

Gemäß dem Precaution Adoption Process Modell (PAPM) benötig die Entscheidung, um Vorsorgemaßnahmen zu treffen entsprechendes Wissen, die Erkenntnis der persönlichen Relevanz und die Bewertung bzw. Beurteilung der Vorsorgemaßnahmen (Weinstein et al. 2008). Das mangelnde Wissen um die Notwendigkeit der persönlichen Notfallvorsorge beruht oft auf einem defizitären Wissen über Risiken und ihre Auswirkungen (Karutz 2011). Im Allgemeinen fehlt gerade den heutigen Generationen in Deutschland die Sensibilität für das Thema der Mangelversorgung, während diese gerade bei der Kriegsgeneration noch sehr ausgeprägt war. Der Mensch lebt geradewegs in einer symbiotischen Abhängigkeit von intakter Infrastruktur (Kreutzer 2008), die auf einer „just in time“ Versorgung an Produkten und Dienstleistungen basiert. Gemäß dem Verletzlichkeitsparadoxon fällt gerade in einem Land mit einer geringen Störanfälligkeit der Versorgungsleistungen eine Störung umso gravierender aus (BMI 2009). In Abwehrstrategien wie Fatalismus oder Bagatellisierung von Risiken resultiert ebenfalls ein Mangel an Notfallvorsorgemaßnahmen.

Eine Studie von Goersch zeigt, dass Gefahren trotz ihres Schadenpotentials unterschiedlich wahrgenommen werden. Ferner zeigt die Studie, dass die Befragten trotz einer Eigenidentifizierung der größten Gefahr für sich, nahezu keine Maßnahmen gegen diese Gefahr getroffen haben. Er begründet es damit, dass „hohes Engagement, großer finanzieller Aufwand und viel Planung“ (Goersch 2010b, S. 21) als wahrgenommene Notwendigkeit zur Vorsorge von den Befragten als abschreckend aufgenommen wurde. Auch nach einer Katastrophe ist die Notwendigkeit der persönlichen Vorsorge nur von kurzer Dauer und fällt meist aus betriebswirtschaftlichen, zeitlichen, platztechnischen oder Aufwandsgründen einer Substitution zum Opfer (Maaß 2008). Der ständige Wechsel von Risiken in der medialen Wahrnehmung verstärkt diesen Effekt (Karutz 2011).

Die omnipotente Wahrnehmung der BOS durch den Bürger führt zu einem „false sense of security“. Umfragen haben gezeigt, dass die Bevölkerung ein tiefes Vertrauen in die BOS hat (Kreutzer 2008), wodurch sie selbst keine notwendige Eigeninitiative zur persönlichen Notfallvorsorge sieht. Darüber hinaus wird sogar die volle Verantwortung für Vorsorgemaßnahmen den Behörden zugeschoben. (Karutz 2011) Dies manifestiert sich letztendlich in einer „Vollkaskomentalität“ (Glade u. Greiving 2011).

Unzureichende Partizipationsverfahren durch die BOS und deren Drängen von Laien in eine „Opfer-Rolle“ suggerieren das Bild, dass Laien im Gesamtsystem der Vorsorge nicht erwünscht sind und führt zu ihrer Ausgrenzung (Maaß 2008). Auch ein unzureichendes Angebot an Schulungsmöglichkeiten führt zu Schwierigkeiten bei der Erlangung einer adäquaten persönlichen Notfallvorsorge in der Bevölkerung. Informationen und Fähigkeiten müssen interaktiver, individueller und ansprechender vermittelt werden, um das verstaubte Image der Notfallvorsorge zu brechen (Kreutzer 2008). Die Ausbildung ist selten zielgruppenspezifisch ausgeprägt und auch die unterschiedliche Hilfsbedürftigkeit der „heterogenen“ Bevölkerung wird unzureichend beachtet (Goersch 2010b). Diese Heterogenität verstärkt sich auch zunehmend durch Migration und den demografischen Wandel (Karutz u. Mitschke 2018). Der politische Wille fehlt offensichtlich bei der Bestrebung das Notfallvorsorgeverhalten zu steigern (Franke 2008). Unzureichende Aufklärung und ihrer gesetzlichen Verantwortung für den Selbstschutz nicht nachkommende Kommunen verstärken dieses Resultat (Goersch u. Werner 2011).

3. Bauliche Prävention im Bevölkerungsschutz

Der bauliche Bevölkerungsschutz ist in der Bundesrepublik Deutschland historisch aus dem Luftschutz gewachsen. Während ab den 1960er-Jahren der Schwerpunkt primär auf dem Bau von Schutzräumen lag, sind mit dem Ende des kalten Krieges neue Risiken und Bedrohungen in den Fokus gerückt (Schmitt u. Kolb 1998).

Thematisch beschäftigt sich der bauliche Bevölkerungsschutz mit allen baulichen und technischen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung, Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) und Sachwerten wie Kulturgütern (BBK 2020). Als Bedrohungen dieser Schutzgüter kommen sowohl Naturereignisse, wie auch „man-made hazards“ in Frage (BMI 2009).

Auch wenn die Rückabwicklung von Schutzräumen durch das Bundesministerium des Innern bereits abgeschlossen ist, darf der bauliche Bevölkerungsschutz als integraler Bestandteil des Zivilschutzes im Verteidigungsfall nicht gänzlich vernachlässigt werden. Bewaffnete Konflikte erscheinen aktuell und auch auf mittelfristige Sicht in Mitteleuropa unwahrscheinlich, sind jedoch gerade an der europäischen Peripherie nicht auszuschließen. Daneben verfügen immer mehr Länder über Nuklearwaffen und selbst chemische und biologische Kampfmittel sind noch immer fester Bestandteil der Arsenale einiger Länder. (Schulze 2008) Die Eintrittswahrscheinlichkeit erscheint somit unwahrscheinlich bis sehr unwahrscheinlich, die Magnitude lässt sich allerdings als katastrophal qualifizieren. Somit besteht für den Staat weiterhin die Verpflichtung nach §1 des Gesetzes über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes (ZSKG) die Bevölkerung vor einem derartigen Szenar zu schützen (ZSKG 1997).

Der klassische Doppelnutzen im Bevölkerungsschutz ließe sich bei der Schutzinfrastruktur ideal implementieren. Im Verteidigungs-, Bündnis- oder Spannungsfall stehen die Objekte im Rahmen des Zivilschutzes als Schutzräume für die Bevölkerung oder Schutzanlagen zur medizinischen Versorgung von Patienten in Form von geschützten Hilfskrankenhäusern, Lagerflächen für Versorgungsgüter oder Kulturschätzen bereit. In Friedenszeiten können sie durch den Katastrophenschutz beispielsweise als fester Bestandteil der Notfallplanung zur Evakuierung in der Vertikalen bei Kernkraftwerksunfällen oder Störfällen, als Notunterkunft, zur Kapazitätserweiterung von Krankenhäusern, oder aber als Lagerräume für Versorgungsgüter des Bevölkerungsschutzes schnell und polyvalent eingesetzt werden. Dieses System wird beispielsweise im Rahmen Konzeption der Schweizer Schutzrauminfrastruktur erfolgreich verfolgt. (Schulze 2008; EJPD 1971)

Durch den Mehrfachnutzen lässt sich in der Bevölkerung eine wesentlich größere Akzeptanz für diese Form des baulichen Bevölkerungsschutzes erzielen. Gerade Maßnahmen des Zivilschutzes finden in der Wahrnehmung der Bürger, wie bereits im Kapitel 2 beschrieben, wenig Beachtung. Eine weitere Multicodierung besteht beispielsweise in der alltäglichen Nutzung von Teilen der Anlagen als Parkhäuser, wie es bereits bisher bei den Mehrzweckanlagen des Zivilschutzes der Fall ist.

Eine wichtige Frage ist die Finanzierbarkeit einer solchen Schutzinfrastruktur. Das in Deutschland gelebte Prinzip der ökonomischen Gewinnmaximierung und der Gedanke der Wirtschaftlichkeit steht grundsätzlich den kostenintensiven Maßnahmen der Daseinsvorsorge gegenüber. Gerade die Investitionen in den Zivilschutz stoßen in der Breite der Bevölkerung aufgrund der vermeintlich mangelnden Notwendigkeit auf viel Unverständnis. Bis in die 1990er Jahre beliefen sich die Kosten für den Bau öffentlicher Schutzräume auf 1,1 Mrd. €, sowie auf je 100 Mio. € für die Ausstattung und den Unterhalt. (Ahrendt 2014) Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind dies hohe Kosten. Ein Finanzierungssystem wie in der Schweiz, wo jeder Bürger, der über keinen privaten Schutzraumplatz verfügt diesen in einem öffentlichen Schutzraum erkaufen muss, würde in Deutschland auf wenig Akzeptanz stoßen (Herzig 2012). Eine strategisch günstigere Möglichkeit würde die Finanzierung der baulichen Maßnahmen des Zivilschutzes über Teile des Differenzbetrages der während des NATO-Gipfel 2014 in Wales vereinbarten Zwei-Prozent-Zielvorgabe der nationalen Verteidigungsausgaben am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt darstellen. (WD 2017) Durch dieses Finanzierungssystem würde dem Bürger ein greifbarer Schutz für den Verteidigungsfall geboten werden. Die Nähe des Zivilschutzes zur Verteidigung ist grundsätzlich schon durch die ausschließende Gesetzgebung des Bundes gegeben. Ein Ansatz zur Kosteneinsparung wäre auch der teilaktive bzw. inaktive Betriebsmodus einzelner Anlagen, deren Einsatzbereitschaft im Bedarfsfall in einer vordefinierten Zeit hergestellt werden könnte.

Die Entscheidung über die Standortwahl der Schutzräume und -anlagen sollte im Rahmen von Risiko- und Vulnerabilitätsanalysen getroffen werden. Die Landbevölkerung ist in Notsituationen meist resilienter als die Menschen im urbanen Raum. Auch ist hier nochmals eine Differenzierung zu treffen, da die Notfallvorsorge und Durchhaltefähigkeit von Menschen in Einfamilienhäusern in Notsituationen meist besser ist als von Menschen, die in Hochhäusern oder Wohnblocks leben. Gerade Bereiche mit einer hohen vulnerablen Bevölkerungsdichte sollten als Standort für Schutzinfrastruktur gewählt werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Katastrophenvorsorge. Ausgewählte Konzepte und Maßnahmen
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Geographisches Institut)
Veranstaltung
Studiengang Katastrophenvorsorge und -management
Note
1,7
Autor
Jahr
2020
Seiten
22
Katalognummer
V937631
ISBN (eBook)
9783346266675
ISBN (Buch)
9783346266682
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Katastrophenvorsorge, Versicherungswesen, Notfallpädagogik, Notfallvorsorge, Bauliche Prävention im Bevölkerungsschutz, Raumplanung und -vorsorge, Selbstschutz, Schutzbauten
Arbeit zitieren
Julian Schedel (Autor:in), 2020, Katastrophenvorsorge. Ausgewählte Konzepte und Maßnahmen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/937631

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