Das Drama im Deutschunterricht


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

45 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Das Drama
1.1 Die wesentlichen Elemente des Dramas
1.1.1 Handlung
1.1.2 Sprache/Figurenrede
1.1.3 Szenerie/szenische Darbietung
1.2 Zur Geschichte des Dramas
1.3 Theorie des Dramas
1.3.1 Aristoteles (384 v. Chr. - 322 v. Chr.)
1.3.2 Pierre Corneille (1606 - 1684)
1.3.3 Gotthold Ephraim Lessing (1729 - 1781)
1.3.4 Jakob Lenz (1751 - 1792)
1.3.5 Berthold Brecht (1898 - 1956)
1.4 Dramatische Formen (Auswahl)
1.4.1 Tragödie
1.4.2 Komödie
1.4.3 Analytisches Drama
1.4.4 Bürgerliches Trauerspiel
1.4.5 Episches Theater
1.4.6 Dokumentarisches Theater
1.4.7 Tragikomödie
1.4.8 Geschlossene und offene Form im Drama

2. Dramendidaktik
2.1 Die Entwicklung der Dramendidaktik
2.2 Aktuelle didaktische Ansätze
2.2.1 Der gattungstheoretische Ansatz
2.2.2 Der theaterpädagogische Ansatz
2.2.3 Der produktionsorientierte Ansatz
2.3 Didaktische Begründung für das Drama im Deutschunterricht

3. Die szenische Interpretation mit dem Drama
3.1 Albrecht Schau
3.2 Marcel Kunz
3.3 Ingo Scheller
3.4 Die Rolle des Lehrers beim szenischen Interpretieren

4. Szenische Interpretation mit Reiner Lückers und Stefan Reisners Theaterstück Wasser im Eimer (3./4. Klasse)
4.1 Hinweise zu Wasser im Eimer
4.2 Mögliche Ansätze zur szenischen Interpretation
4.2.1 Sprechübungen
4.2.2 Figuren der Handlung werden angeklagt

5. Szenische Interpretation mit Georg Büchners Woyzeck (9./10. Klasse)
5.1 Hinweise zu Georg Büchners Woyzeck
5.2 Mögliche Ansätze zur szenischen Interpretation nach Ingo Scheller
5.2.1 Aneignung der Lebenswelt
5.2.1.1 Standbilder
5.2.2 Szenische Interpretation der Handlung
5.2.2.1 Einfühlung in die Rollenfigur

Literaturverzeichnis

1. Das Drama

1.1 Die wesentlichen Elemente des Dramas

Im Folgenden soll davon ausgegangen werden, dass das Drama zwar immer durch seinen geschichtlichen Hintergrund geprägt wird, dass es jedoch im Sinne des Allgemeinbegriffs als Summe seiner wesentlichen Merkmale dagegen zeitlos ist, sich demnach in den rund zweieinhalb Jahrtausenden seiner Geschichte nicht verändert hat.[1]

Bereits Aristoteles versuchte das Wesen des Dramas zu bestimmten. In seiner Poetik, der bis heute bedeutendsten Dramentheorie, nennt er sechs bestimmende Elemente für das Drama. Die Elemente beansprucht er zwar für die Tragödie, doch wenn man das sechste Element als nicht notwendig erachtet, sondern als möglich einstuft, können die Elemente auch für das Drama im allgemeinen gelten. Die sechs Bestandteile, die danach jede Tragödie aufzuweisen hat, sind:

mythos (Handlung), ethe (Charaktere), lexis (Rede, Sprache), diánoia (Gedanke, Absicht), opsis (Schau, Szene) und melopoiía (Gesang, Musik).

Nach Aristoteles beziehen sich die ersten beiden Elemente sowie das vierte (Handlung, Charakter und Absicht) auf das, was dargestellt wird, die restlichen auf Art bzw. Szenerie und Mittel bzw. Sprache/Gesang der Darstellung.

Im Folgenden soll auf der Basis der drei wichtigsten Elemente (Handlung, Sprache und Szenerie) die Eigenart des Dramas näher bestimmt werden (wobei nach Aristoteles die Charaktere der Handlung zuzuordnen sind).[2]

1.1.1 Handlung

Das wichtigste im Drama ist nach Aristoteles die Handlung, er meint damit kaum mehr als den Ereigniszusammenhang, der den Inhalt des Dramas ausmacht. Im Vordergrund stehen dabei sozial-kommunikative Verhaltensäußerungen. Die Handlung ergibt sich aus einer Kette von Begebenheiten, an denen meist mehrere Personen beteiligt sind.

1.1.2 Sprache/Figurenrede

Die zusammenhänge Handlungsfolge unterscheidet das Drama zwar von beschreibenden Texten, die ein räumliches Nebeneinander darstellen, sowie von gedanklich-assoziativen Texten (Lyrik) jedoch nicht von der Erzählliteratur (Epik). Aristoteles schrieb dem Epos eine dramatische Struktur zu. Zur Abgrenzung von der Epik bedarf das Drama also einer zusätzlichen Bestimmung. Diese findet sich im Bereich der Sprache bzw. Figurenrede. Handeln schließt das Reden ein, im Drama ist es die beherrschende Art des Handelns und gleichzeitig Medium außersprachlicher, wie z.B. innerer Vorgänge. Das normale Drama ist also ein Sprechdrama.[3]

Zur endgültigen Unterscheidung von der Epik reicht die sprachliche oder mündliche Form des Dramas indes nicht aus, denn auch das Erzählen erfolgt ursprünglich mündlich. Das Kriterium, das zur Unterscheidung der dichterischen Gattungen seit der Antike vorrangig bemüht wird, bezieht das redende Subjekt mit ein. Dies wird so verstanden, dass im Drama nur die handelnden Figuren zu Wort kommen, in der Lyrik nur der Autor selbst und in der Epik sowohl die Figuren (in Form der wörtlichen Rede) und der Autor gleichermaßen.

Unter dem Gesichtspunkt des Redekriteriums erscheint also als wichtigstes Element des Dramas der Dialog der Figuren, die Figurenrede.[4]

1.1.3 Szenerie/szenische Darbietung

Seine wahre Bestimmung findet das Drama erst auf der Bühne, als bloßes Lesedrama bleibt jedes Stück unvollendet. Durch die szenische Darbietung wird das Drama für das Publikum sinnlich wahrnehmbar, sowohl optisch als auch akustisch.[5]

1.2 Zur Geschichte des Dramas

Das Drama entwickelte sich in der griechischen Antike als Teil des Dionysoskultes aus dem Chorgesang. Die Stoffe sind zumeist der mythologischen Überlieferung entnommen. Die Komödie entstand aus der Verbindung dionysischer Maskenzüge mit Stegreifspielen. Das römische Drama stellte im Wesentlichen eine Übernahme des griechischen Dramas dar. Die Tragödie des Römers Seneca wirkte als formales Vorbild für das Drama der Renaissance und des Barock.

Das geistliche Spiel des Mittelalters entstand aus liturgischen Wechselgesängen (Osterliturgie) und entwickelte sich über szenische Darstellungen des Gesungenen in der Kirche zu Aufführungen außerhalb der Kirche, vor allem auf Marktplätzen. Damit ging die Ablösung des Lateinischen durch Volkssprachen einher.

Um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert führte die Auseinandersetzung des europäischen Humanismus mit der Antike zur Herausbildung eines vom geistlichen Spiel unabhängigen Dramas nach antikem Vorbild (lateinisches Humanistendrama). Von diesem und vom Fastnachtsspiel beeinflusst, wurde das Drama in der Reformationszeit auch als Propagandainstrument der jeweiligen Parteien genutzt.

Das deutsche Drama stand im 16. und 17. Jahrhundert unter dem Einfluss der von englischen Komödianten entwickelten Haupt- und Staatsaktionen. Für die weitere Entwicklung spielten das deutschsprachige Schultheater und das lateinische Jesuitentheater eine maßgebliche Rolle. Ein »goldenes Zeitalter« begann für das Drama in Italien, Spanien, England und Frankreich aus der Spannung von christlicher Transzendenz und renaissancehafter Diesseitsbejahung. In Italien entstanden an die Antike anknüpfend die Renaissancekomödie und -tragödie; hier wurden die Formelemente vereinigt, die das europäische Drama in künftigen Jahrhunderten charakterisieren: die Einteilung in fünf oder (seltener) drei Akte, die Einheiten von Ort, Zeit und Handlung sowie die Ständeklausel. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entwickelte sich ein professionelles Schauspielwesen mit Berufsschauspielern und eigenständigen Theaterbauten. Unmittelbar für seine Theatergruppen schrieb u.a. Shakespeare.

Werke von Denis Diderot und P. A. de Beaumarchais machten das bürgerliche Leben im 18. Jahrhundert bühnenfähig. In England begründete George Lillo die Gattung des bürgerlichen Trauerspiels. In Deutschland schuf Lessing das deutsche bürgerliche Trauerspiel und mit Nathan der Weise (1779) das klassische Ideendrama, in dem die Gestaltung einer zentralen Idee in den Vordergrund rückte. Der Sturm und Drang lehnte eine Bindung an strenge Kunstgesetze ab. Zurückgreifend auf Lessing, Racine und Corneille sowie auf die attische Tragödie, schufen Goethe und Schiller das klassische deutsche Drama, wobei Goethe den Typ des symbolisch überhöhten, Konflikte ins Innere des Menschen verlegenden Seelendramas bevorzugte. Schiller dagegen entwickelte in seiner Wallenstein -Trilogie (1800) das Ideendrama weiter zu einem historischen Drama als Spiegel menschlicher Größe, zum Charakterdrama. Auch bei Heinrich von Kleist wirkte eine neue, eher tragische Selbst- und Welterfahrung.

Das frühe 19. Jahrhundert war geprägt von dem Versuch einer Fortschreibung und Erweiterung der Weimarer Klassik, beziehungsweise von dem Bemühen um eine realistische Darstellung (Georg Büchner). Seit dem 18. Jahrhundert prägte sich zudem die populäre Form des sentimentalen Familiendramas oder Rührstücks aus. Die sozialen Veränderungen der Moderne wurden von naturalistischen Dramen ab den 1880er-Jahren auf der Bühne thematisiert (u.a. Georg Hauptmanns Milieudramen). Zugleich entwickelten sich nichtrealistische Dramenformen wie das symbolistische Drama sowie das expressionistische Drama. Im Bemühen um ein politisches Theater arbeitete Berthold Brecht an seinem epischen Theater, während andere Autoren (Carl Zuckmayer) eine Neubestimmung des Volksstücks anstrebten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm vor allem das Theater des Absurden von Frankreich ausgehend eine dominierende Rolle ein. Mit der vergleichbaren Zielsetzung, sich ästhetisch einer scheinbar zwingenden Sinnstiftung von Geschichte zu verweigern, entwickelten Friedrich Dürrenmatt und Wolfgang Hildesheimer ihre Form der grotesken Komödie.

In Deutschland übernahm das Theater in den 1960er-Jahren mit Dokumentarstücken teilweise die Funktion einer Ersatzöffentlichkeit (Peter Weiss). Ab Mitte der 1970er-Jahre avancierte Botho Strauß zu einem der bis heute meistgespielten deutschen Dramatiker. In den 1980er-Jahren wurden vermehrt Dramen erprobt, denen Sprachexperimente zugrunde liegen oder die mithilfe von Collagetechniken an einer neuen Form des Geschichtsdramas (Heiner Müller) arbeiteten.

Zur Mitte der 1990er-Jahre zeichnete sich ein nationaler und internationaler Trend zu naturalistischen, soziale und familiäre Härten beschreibenden Dramen ab. Poetisch-märchenhafte, bisweilen absurde Züge kennzeichnen hingegen die seit Mitte der 1990er-Jahre zunehmend gespielten Stücke von Roland Schimmelpfennig, während die seit dieser Zeit ebenso vermehrt inszenierten Bühnenwerke von Albert Ostermaier v.a. lyrischen Charakter besitzen.[6]

1.3 Theorie des Dramas

1.3.1 Aristoteles (384 v. Chr. - 322  v. Chr.)

Im Mittelpunkt der Dramentheorie von der Antike über den Humanismus, die Renaissance und den Barock bis hin zum Klassizismus steht die Poetik des Aristoteles. Sie diente u.a. Julius Cäsar Scaliger, Martin Opitz und Johann Christoph Gottsched als Richtmaß. Dementsprechend blieb die aristotelische Forderung nach einer Einheit von Ort (der Schauplatz des Dramas bleibt unverändert), Zeit (Spielzeit und gespielte Zeit sind identisch) und Handlung (Geschlossenheit und Stringenz der Darstellung bleibt gewahrt) im deutschsprachigen Raum bis zu Johann Gottfried von Herder bzw. bis zum Sturm und Drang verbindlich.

Eine weitere gattungskonstituierende Forderung der aristotelischen Poetik ist die nach der Darstellung eines der Tragödie angemessenen außergewöhnlichen Schicksals. Aus dieser Forderung entwickelte sich in der Renaissance, die Außerordentlichkeit zumeist mit sozialem Rang verknüpfte, der Gedanke einer Ständeklausel, demzufolge nur Menschen von hohem Adel tragödienfähig seien. Charakteren niederen Standes sollte die Komödie vorbehalten bleiben.

Bedeutsam ist schließlich noch Aristoteles Beurteilung der Wirkung der Tragödie auf den Zuschauer: Die Tragödie soll Jammer (éleos) und Schaudern (phóbos) hervorrufen und somit eine Reinigung (Katharsis) von derartigen Erregungszuständen bewirken.[7]

1.3.2 Pierre Corneille (1606 - 1684)

Pierre Corneille übersetzte und verstand die von Aristoteles geforderte Katharsis als Reinigung von Leidenschaften durch das Hervorrufen von Furcht und Mitleid. Die Affekte müssen aber nicht gleichzeitig auftreten: Einerseits kann der Held ein Bösewicht sein, der durch seine Leidenschaften Angst und Schrecken verbreitet. Mit ihm empfindet der Zuschauer zwar kein Mitleid, kann sich jedoch vor dessen Leidenschaften fürchten. Andererseits kann der Held auch ein Heiliger und Märtyrer sein, der durch seine Tugend über allen Leidenschaften steht. Dieser wird vom Zuschauer bemitleidet und gleichzeitig auch für seine Erhabenheit bewundert. Somit erweitert Corneille das Affektpaar Furcht und Mitleid, das den Zuschauer von seinen Leidenschaften reinigen soll, um einen dritten Affekt, nämlich die Bewunderung.

1.3.3 Gotthold Ephraim Lessing (1729 - 1781)

Im Zentrum der von Lessing thematisierten Empfindungen steht das Mitleid, das sowohl von den Figuren praktiziert als auch bei den Zuschauern als primärer Affekt erzeugt werden soll.

Das Drama (Bürgerliches Trauerspiel) muss demzufolge das größtmögliche Ausmaß an Mitleid erwecken. Lessing betonte vor allem den allgemeinmenschlichen, universalen und gesellschaftlichen Charakter dieser Empfindung. Sie sollte nicht auf den privaten Raum der Familie beschränkt bleiben, sondern die Menschen besser (sprich tugendhafter) machen und sie dadurch in die Lage versetzen, die empfindsame und bürgerliche Moral auch in den gesellschaftlichen und öffentlichen Bereich hineinzutragen. Damit erhält die Tragödie eine stark moralisierende, zweckhaft aufklärerische Funktion.

Die Nähe der Protagonisten zum Zuschauer ist hierfür unumgänglich, die postulierte Besserung des Rezipienten kann nur eintreten, wo dieser gleichsam in das Geschehen involviert wird, sich mit der dramatischen Handlung identifizieren kann.

Für Lessing waren grundsätzliche alle Menschen, unabhängig von ihrem Stand, in der Lage Mitleid auszulösen oder zu empfinden. Daraus folgte notwendigerweise die Ablehnung der Ständeklausel, die besagte, dass nur Angehörige des hohen Adels das geeignete Personal für tragisches Geschehen darstellen. Fürsten und Helden sind in der Lage einem Stück Pomp und Majestät zu geben, zur Rührung kann nach Lessing jedoch nur das Unglück derjenigen beitragen, deren Umstände denen des Zuschauers am nächsten kommen. Die geforderte Identifikation mit den Figuren unterstützte Lessing nicht mehr nur durch die dramatische Handlung, sondern zusätzliche durch die besondere Berücksichtigung der Charaktere. Das Unglück des Bühnenhelden sollte nicht allein im Schicksal und im Zufall begründet sein, sondern im Charakter der Person. Zur Mitleidserregung bedarf es der guten und menschlichen Eigenschaften, die keine zu große Distanz zum Rezipienten entstehen lassen. Durch die Einführung dieses psychologisch differenzierten gemischten Protagonisten entsteht im Zuschauer der Eindruck bzw. die Furcht, dass auch ihn das dargestellte Leid treffen könnte.[8]

1.3.4 Jakob Lenz (1751 - 1792)

Lenz bestimmte in seinen dramentheoretischen Schriften das Verhältnis von Tragödie und Komödie neu und zwar in einer Weise, die die Aufhebung der Ständeregel radikalisierte. Lenz bestimmte im Gegensatz zu Aristoteles nicht die Handlung zum Gegenstand der Tragödie, sondern den handelnden, schöpferischen und individuellen Charakter. Die Geschehnisse sollen sich aus dem individuellen Charakter ableiten lassen. Aus dieser Forderung nach Individualisierung leitete Lenz auch die klare Absage an die Ständeregel ab.

Aus dieser Tragödiendefinition ergibt sich konsequent die Bestimmung der Komödie: „Die Hauptempfindung in der Komödie ist immer die Begebenheit“ - die Figuren werden den Begebenheiten untergeordnet, dass heißt auch, dass sie nicht als autonome, als handelnde, sondern als leidende, ausgegrenzte vorgestellt werden. Sie sind Spielbälle der Verhältnisse. Darüber hinaus wird die Komödie in gewissem Sinne universalisiert, was das Personal betrifft. Lenz hob nicht nur die Ständeregel auf, sondern auch die Grenze zwischen Mittelstand und den unteren Ständen, die Komödie sollte ein Panorama der gesamten Gesellschaft liefern. Und wie der Gegenstand der Komödie, so sollte auch das Publikum jedermann sein können, wobei zugleich die Bindung der Komödie an das Lachen aufgehoben werden sollte. Denn auch die Komödie kann tragisch sein, wenn sich die Gesellschaft in einem solchen Zustand befindet. (Lenz bezeichnete seine Dramen entsprechend meist als Komödien, auch wenn sie tragische Aktionen vor Augen führten.)

Kriterium der ästhetischen Ordnung von Komödie und Tragödie war die gesellschaftliche. Die Gattung sollte sich danach richten, ob der gesellschaftliche Zustand freies Handeln zulässt (Tragödie) oder lediglich ausgegrenzte Gestalten hervorbringt (Komödie).[9]

1.3.5 Berthold Brecht (1898 - 1956)

Vor allem in Brechts epischem Theater wurde das bürgerliche Prinzip der Individualität aufgekündigt. Brechts episches Theater ließ das bürgerliche Individuum als obsoletes Prinzip hinter sich. Der Dramatiker soll versuchen die dramatische Darstellung ökonomisch-politischer Zustände herzustellen, die gesellschaftliche Misere wird in den Mittelpunkt gestellt. Die abstrakt-anonymen Konstellationen entziehen sich einer personalisierten Konfliktstruktur. Das Schicksal des Einzelnen ist Beispiel, bloß Mittel der Aufzeigung des Schicksals von Tausenden bzw. Vielen.

Brecht wandte sich explizit gegen Aristoteles und Lessing, als er als Wirkungsabsicht des Dramas nicht länger die Einfühlung des Zuschauers in die Protagonisten und die damit einhergehende Katharsis sowie das Erlebnis von Furcht und Mitleid postulierte. Er wollte verhindern, dass der Zuschauer im Miterleben seine Aktivität verbraucht. Verhindert werden sollte der Gedanke: "So ist es, so wird es immer sein. Das kann mir auch passieren, ich kann nichts daran ändern". Vielmehr sollte der Zuschauer erleben, dass das Dargestellte auch anders möglich ist, dass er Handlungsmöglichkeiten hat und dass er etwas verändern kann. Ein solches Theatererlebnis muss das, auf der Bühne dargestellte, verfremden, es darf nicht als perfekte Illusion präsentiert werden (denn dann würde sich der Zuschauer wieder  in die Situation einfühlen), sondern muss den Zuschauer auf Distanz halten. Diese Distanz wird erzeugt durch den sogenannten Verfremdungseffekt (V-Effekt), der aus Illusionsbrechungen wie einem Ansager oder einem kommentierenden Erzähler sowie aus zusätzlichen Informationen durch Spruchbänder, Plakate, Chöre oder Projektionen bestehen kann.

Brecht versuchte das bürgerliche Drama der Identifikation und des Mitleids vor allem deshalb zu überwinden, weil diese Theaterform gesellschaftliche Machtverhältnisse verfestigte. Es ging Brecht um die Demonstration spezifischer historischer Zustände, die das Handeln der Figuren bedingen, jedoch zu verändern wären.[10]

1.4 Dramatische Formen (Auswahl)

1.4.1 Tragödie

Die Tragödie ist die älteste und neben der Komödie wichtigste europäische Dramengattung, bei der das tragische Moment, zumeist die (unlösbare) Verstrickung des Menschen in sein Schicksal, den Verlauf der Handlung bestimmt. Die Tragödie entwickelte sich aus den im antiken Griechenland abgehaltenen kultischen Spielen zu Ehren des Gottes Dionysos. Dabei stand, getreu der griechischen Mythologie, zumeist die Übertretung göttlicher Gesetze (Hybris) im Zentrum des Interesses. Trotz ihrer vielfachen Wandlung im Lauf der Jahrhunderte blieb die existentielle Grundproblematik der Tragödie (die Frage nach Schuld und Sühne, Freiheit und Zwang, Ich und Welt usw.) im Verlauf ihrer Entwicklung bestehen. Der Protagonist der Tragödie befindet sich in einem Konflikt, in einer Grenzsituation, er ist zwischen Extremen gefangen und seine Gefangenschaft ist ohne Ausweg. Egal wie er sich verhalten wird, er wird scheitern. Diese faktische Unterlegenheit unter das Schicksal wird in der Tragödie kombiniert mit dem Wissen um diese Unterlegenheit. Der Held weiß, dass er scheitern muss, sein Aufbegehren gegen das Schicksal, denn er versucht ja zumindest, das Unglück abzuwenden, wird so besonders tragisch.

Heute wird der Begriff nahezu ausschließlich auf Theaterstücke bis zum 19. Jahrhundert - also auf das Drama in seiner klassischen Form bis hin zum bürgerlichen Trauerspiel - angewandt. Seit der Moderne, die klare Gattungsbestimmungen sprengte, haben sich immer stärker Mischformen zwischen Tragödie und Komödie (Groteske, Tragikomödie, absurdes Theater etc.) etabliert.[11]

1.4.2 Komödie

Neben der Tragödie ist die Komödie die wichtigste Gattung des europäischen Dramas; vor allem auf Freisetzen von Lust zielende Gestaltung komischer Ereignisse mit gutem Ausgang. Die formale Variationsbreite der Komödie reicht von der Komödie als Erzeugnis freigelassener Fantasie, der Komödie als formstrengem (Wort-) Kunstwerk bis zu Formen, die ganz der Unterhaltung verpflichtet sind (Farce, Schwank, Burleske, Posse, Boulevardstück). Variabel ist auch die Thematik: gesellschaftliche und politische Zustände in aggressiv-kritischer Darstellung, charakterliche Schwächen oder Verfehlungen einzelner Personen, Variationen bestimmter Handlungsmuster, z.B. die Umkehr von »oben« und »unten« oder die Durchsetzung des Lustprinzips der »Jungen« gegen egoistische Ansprüche der »Alten«. Die Haltung, die die Komödie erzeugen will, ist entweder Überlegenheit (Komik des Verlachens) oder Solidarisierung (Komik des Mitlachens, der Teilhabe an karnevalistischer Entgrenzung) oder heiteres Einverständnis mit den gezeigten komischen Verhältnissen, in die sich der Betrachter einbegreift (humoristische Komik).[12]

Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts informierte schon die Liste der auftretenden Personen den Zuschauer darüber, ob er lachen oder weinen sollte. War das Drama mit bürgerlichen Figuren oder gar Bauern und Dienern bestückt, konnte es sich nur um eine Komödie handeln, war es mit adeligen Helden versehen, konnte es nur eine Tragödie sein. Diese sogenannte Ständeklausel geht zurück auf Aristoteles, der die Darstellung der schlechteren Menschen der Komödie überließ, die Tragödie hingegen für die besseren Menschen reservierte.

1.4.3 Analytisches Drama

Auch Enthüllungsdrama genannt. Eine Form des Dramas, bei der sich die für den Konflikt entscheidenden Ereignisse nicht erst durch die Bühnenhandlung ergeben, sondern deren Voraussetzung sind und im Verlauf entdeckt werden. Die Aufdeckung selbst bildet zumeist den Abschluss der Handlung.[13]

Beispiele sind Heinrich von Kleists Der zerbrochene Krug (1808) und Friedrich Hebbels Maria Magdalena (1844).

1.4.4 Bürgerliches Trauerspiel

Der Ausdruck ist noch zur Zeit seiner Entstehung ein Paradoxon: Tragödien spielten in der Welt des Adels und waren für die Hofgesellschaft bestimmt, nicht für einen bürgerlichen Rahmen. Es galt die Ansicht, der Bürger könne nur in der Komödie als Hauptfigur auftreten, da ihm die Fähigkeit zum tragischen Erleben fehle.

Das neue bürgerliche Trauerspiel sollte dagegen ein Drama sein, dessen Tragik sich nicht mehr in der Welt des Hochadels entfaltet, wie es die in den Renaissance- und Barock-Poetiken festgelegte Ständeklausel vorsah, sondern in der des Bürgertums (Dritter Stand).

Das bürgerliche Trauerspiel entstand im Zuge der Emanzipationsbewegung des Bürgertums, das sich damit eine Präsentations- und Identifikationsplattform schaffte. Es war eine Möglichkeit der neuen, zunehmend gebildeten, finanziell potenten, doch politisch nahezu unbedeutenden Schicht, Präsenz zu zeigen.

Der Terminus Bürgertum ist nicht nur unter soziologischen, sondern auch unter ethischen Gesichtspunkten zu betrachten, da es sich um eine Gesinnungsgemeinschaft handelt, der Personen vom niederen Adel bis zum Kleinbürgertum angehören können, die sich aber durch einen ausgeprägten Moralkodex vom Hochadel abzugrenzen suchen. Das hat folgenden Grund: Die Herkunft aus einer guten Familie ist nicht herstellbar, aber ein vorbildlicher Lebenswandel ist herstellbar. Der Wert eines bürgerlichen Individuums ist somit nicht vorgegeben wie der des Adligen, sondern ergibt sich erst durch sein lobenswertes Verhalten.[14]

Beispiele sind G. E. Lessings Miss Sara Sampson (1755) und Emilia Galotti (1772) sowie Friedrich Schillers Kabale und Liebe (1783) .

[...]


[1] Vgl.: Asmuth, Bernhard: Einführung in die Dramenanalyse. 4. Aufl. Stuttgart: Metzler, 1994. S. 1.

[2] Vgl.: Ebd. S. 3f.

[3] Vgl.: Ebd. S. 8.

[4] Vgl.: Ebd. S. 9.

[5] Vgl.: Ebd. S. 10f.

[6] Vgl.: http://lexikon.meyers.de/meyers/Drama_(Sachbegriffe) 18.05.08

[7] Vgl.: http://www.gymnasium-borghorst.de/nathan/drama.htm 15.05.08

[8] Vgl.: Schößler, Franziska: Einführung in das bürgerliche Trauerspiel und das soziale Drama. Darmstadt: wbg, 2003. S. 29ff.

[9] Vgl.: Ebd. S. 34ff.

[10] Vgl.: Ebd. S. 38ff.

[11] Vgl.: http://de.encarta.msn.com/encyclopedia_761551901/Trag%C3%B6die.html18.05.08

[12] Vgl.: http://lexikon.meyers.de/meyers/Kom%C3%B6die 18.05.08

[13] Vgl.:  http://de.encarta.msn.com/encyclopedia_721541428/Analytisches_Drama.html 18.05.08

[14] Vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCrgerliches_Trauerspiel 18.05.08

Ende der Leseprobe aus 45 Seiten

Details

Titel
Das Drama im Deutschunterricht
Hochschule
Freie Universität Berlin
Autor
Jahr
2008
Seiten
45
Katalognummer
V93759
ISBN (eBook)
9783638070324
Dateigröße
587 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Drama, Deutschunterricht
Arbeit zitieren
Linda Kim Wegener (Autor:in), 2008, Das Drama im Deutschunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93759

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