Catull Carmen 2 (Lesbias Sperling)


Seminararbeit, 2006

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Formale Analyse
1. Einleitung und Aufgabenstellung
2. Kommentierte Übersetzung
3. Sprache, Stil und Vorbilder
4. Metrische Analyse

B. Inhaltliche Analyse
5. Interpretation: Der ‚passer’ als Dritter im Bunde
6. Das Wortfeld der Liebe und Erotik

C. Problemorientierte Analyse
7. Das ‚dirty reading’ des passer
8. Der Appendix des Carmen II ?

D. Fazit und Anhang
9. Schlussbetrachtungen
10. Literaturverzeichnis

1. Einleitung und Aufgabenstellung

Wenn man sich mit den Carmina des lateinischen Lyriker C. Valerius Catull beschäftigt, so stößt man üblicherweise rasch auf die so genannten Sperlingsgedichte. Dies liegt nicht nur an deren Stellung im Gesamtwerk unmittelbar nach dem Eröffnungsgedicht, sondern auch daran, dass sie eine beeindruckende Rezeptionsgeschichte besitzen. Wenn Fordyce über sie schreibt, „no poems of Catullus were better known in the antiquity“[1], so besitzt diese Feststellung auch noch für die heutige Zeit Geltung. Diese Hausarbeit soll sich aber, soweit dies möglich und sinnvoll erscheint, nicht mit beiden Werken, Carmen II und III, auseinandersetzen, sondern wird sich auf Carmen II beschränken und dieses genau analysieren. Als Untersuchungsgrundlage dient dabei die Ausgabe der „Oxford Classical Texts“[2], allerdings soll an einigen Stellen auch der textkritische Apparat berücksichtigt werden und es wird auf alternative Textvarianten eingegangen werden. Im ersten Teil der Arbeit wird dann eine Übersetzung in verständliches, aber auch möglichst textnahes Deutsch präsentiert werden. Diese Übersetzung wird anschließend kommentiert, einerseits um inhaltliche Bezüge zu klären, andererseits um sprachliche Auffälligkeiten, die für Kenner klassischer, lateinischer Prosa erklärungsbedürftig scheinen, zur Sprache zu bringen. Daraus folgt dann ausgehend von einzelnen Textbelegen eine Stilanalyse, ob sich auch schon mit diesem eher kurzen Werk eine Art catullscher Stil und Sprache herausarbeiten lässt, wobei auch griechische Vorbilder und Metrik mit einbezogen werden sollen.

Im zweiten Teil der Arbeit rückt dagegen eher der Inhalt in den Fokus. Dabei sollen zunächst die Beziehungen der drei Akteure, im Besonderem die Beziehung zwischen Catull und seiner Geliebten Lesbia, zueinander untersucht werden, wobei auch eingehend geprüft werden wird, ob sich durch den Wortschatz des Werkes inhaltliche Rückschlüsse ziehen lassen. Der dritte Teil, der einen problemorientierten Hintergrund haben soll, widmet sich hingegen vor allem Widersprüchen und Forschungskontroversen. Hierbei bieten sich für das Carmen II vor allem zwei thematische Schwerpunkte an. Einerseits wird eine alternative Rezeptionsmöglichkeit, die eine teilweise sehr polemische Debatte über dieses Gedicht ausgelöst hat, vorgestellt werden und es sollen deren Vertreter und ihre Hauptargumente zu Wort kommen. Die andere Kontroverse ergibt sich eher durch Überlieferungsschwierigkeiten, ein häufiges Problem antiker Literatur, denn im diesem Falle existiert ein Fragment, bei dem fraglich ist, ob es ursprünglich Teil des Carmen II war oder nicht. Auch hier werden Stimmen der Befürworter präsentiert werden und der aktuelle Stand der Forschung soll kritisch reflektiert und rezensiert werden. Um die Untersuchung abzuschließen, werden am Ende nochmals in einem Schlusskapitel die gewonnen Erkenntnisse knapp zusammengefasst werden. Zunächst aber die für diese Arbeit maßgebliche Ausgabe des Carmen II:

Passer, deliciae meae puellae,

quicum ludere, quem in sinu tenere,

cui primum digitum dare appetenti

et acris solet incitare morsus ,

cum desiderio meo nitenti (5)

carum nescio quid lubet iocari,

et solaciolum sui doloris,

credo, ut tum grauis acquiescat ardor:

tecum ludere sicut ipsa possem

et tristis animi leuare curas ! (10)

2. Kommentierte Übersetzung

Sperling, Liebling meines Mädchens,
mit dem sie für gewöhnlich spielt, den sie am Busen hält,
dem sie zum Picken die Fingerspitze gibt
und dessen scharfe Bisse sie herausfordert,
wenn es meiner strahlenden Geliebten gefällt
irgendeinen lieben Scherz zu treiben
und ein Tröstlein für ihren Schmerz
ich glaube, damit dann die heftige Liebesglut nachlässt.
Wenn ich doch nur, so wie sie, mit dir spielen
und die traurigen Liebesqualen des Herzens erleichtern könnte.

(1): Die Hauptperson des Gedichts, der Sperling[3] könnte aus formaler Sicht an dieser Stelle im Nominativ oder im Vokativ stehen, erst später, in Zeile 9 („…tecum…“) wird eindeutig klar, dass er der Angesprochene ist[4]. Ihm wird gleich zu Beginn „deliciae meae puellae“ als Apposition beigeordnet. Üblicherweise bedeutet „deliciae, -arum“ Genuss oder Vergnügen, allerdings kann es auch, so wie hier, als Kosewort für Dinge oder Personen[5] metonymisch verwendet werden.

(2): Nun werden dem Sperling eine Reihe von habituellen Tätigkeiten in Form von mehreren Relativsätzen zugeordnet. Das finite Verb „solet“ ist dabei auf alle drei Sätze zu beziehen, daher erklären sich die folgenden Infinitive. Besonders zu kommentieren ist dabei das Relativpronomen „quicum“, ein Archaismus, der von klassischen Schreibern durch „quocum“ ersetzt wurde[6]. Das Wort „sinus, -us“ besitzt die Grundbedeutung ‚Krümmung’, ‚Biegung’, ‚Rundung’, dadurch war auch die übertragene Auffassung ‚Busen’ oder ‚Brust’ nicht unüblich. Niklas Holzberg geht noch weiter und meint sogar ‚Vagina’ sei möglich gewesen.[7]

(3): Im zweiten Relativsatz wird dem Relativpronomen das Partizip Präsens Aktiv „adpetenti“ zugeteilt, das üblicherweise ‚nach etwas greifen’ oder ‚etwas begehren’ bedeutet. Da es sich hier um einen Vogel handelt, ist ‚nach etwas picken’ in diesem Kontext wohl angebracht. Um die deutsche Übersetzung verständlicher zu machen, kann etwas von der üblichen Übersetzungsweise eines Partizips abgewichen werden und ‚zum Picken’ erscheint angemessen.

(4): In dieser Zeile findet sich eine Art Ellipse, da der Bezug, wessen Bisse gemeint sind, unklar erscheint und dem Sinn nach ein ‚cuios’ zu ergänzen wäre. Des Weiteren ist hier ein weiteres Merkmal archaischen Lateins zu sehen. Der Akkusativ Plural von Wörtern, die den Genetiv Plural auf ‚-ium’ bildet, lautete ‚-is’ statt ‚-es’[8], somit wäre die Form „acris“ in klassischer Prosa ‚acres’.

(5): Das Wort „desiderium“ bezeichnet einen Wunsch oder Verlangen, konkret bezieht es sich hier auf Catulls Geliebte als Gegenstand der Sehnsucht. Sie wird allerdings noch genauer spezifiziert und mit dem liebevollen Kosewort „nitenti“ versehen, was ihre Schönheit unterstreichen soll.

(6): Grammatikalisch sind an dieser Stelle unterschiedliche Auffassungsmöglichkeiten denkbar[9]. Entweder ist „carum nescio quid“ Akkusativobjekt zu „iocari“ oder man fasst „carum“ als ‚Inneren Akkusativ’ auf, also als ein Substantiv, das eine besondere Erscheinungsform der Verbalhandlung bezeichnet, ähnlich wie ein Adverb, allerdings ist diese Frage für die Übersetzung und das Textverständnis nicht sonderlich wesentlich, da sich kein großer Bedeutungsunterschied ergibt. Bedeutsamer könnte dagegen eine Textvariante sein, nach der „karum“[10] mit ‚k’ geschrieben steht und die aufgrund dessen auch einen Ansatz für eine Zahlentheorie über Catulls Carmina darstellt[11]. Weiterhin findet sich auch hier wieder ein Archaismus, da „lubet“ statt ‚libet’ steht, ein Zeugnis dafür, dass es in vorklassischer Zeit noch Schwankungen im Vokalismus gab.

(7): Beachtenswert ist in dieser Zeile die Verwendung des Deminitivums „solaciolum“ von dem Wort ‚solacium’, was eine weitere stilistische Eigenart Catulls darstellt. Auch das „et“ zu Beginn der Zeile wird gelegentlich angezweifelt und durch ein ‚ut’ ersetzt[12]. Dieses könnte dann entweder finale Bedeutung besitzen, wobei dann die fehlende finite Verbform als Ellipse aufgefasst werden müsste, oder man fasst das ‚ut’ als vergleichend auf.

(8): Das „credo“ an dieser Stelle besitzt keine wirklich wichtige Funktion, es dient nur dazu um den folgenden Finalsatz als Meinung Catulls zu kennzeichnen. Das „tum“ in diesem, das mit ‚dann’ wiedergegeben werden muss, bezieht sich wohl auf den Akt des Spielens, also darauf, dass sich Lesbias Liebesglut, dann, beim Spielen mit dem Vogel abkühlt.

(9): Erst mit diesem Vers beginnt der zweite und zugleich letzte Satz des Gedichts. Dieser besteht lediglich aus einem Hauptsatz, der einen unerfüllbaren Wunsch der Gegenwart ausdrückt und folglich im Konjunktiv Imperfekt steht. Das Pronomen „ipsa“ bezieht sich Lesbia und ist eine Art betontes ‚sie’.

[...]


[1] C.J.Fordyce, Catullus, Oxford 1961, S.87

[2] R.A.B. Mynors , C. Valerii Catvlli Carmina, Oxford 1958, Carmen II

[3] Auf die Diskussion um welche Vogelart es sich in Wirklichkeit gehandelt habe, welche oftmals sowieso als irrelevant betrachtet wird, soll in dieser Hausarbeit nicht weiter eingegangen werden. Um Einheitlichkeit und Textkohärenz zu gewährleisten wird hier durchgängig die Bezeichnung ‚Sperling’ verwendet werden. Für weitere Informationen aber hilfreich ist: Werner Eisenhut, Catull. Gedichte, München 1993, S.194

[4] Die hier dargestellte Version entspricht der ‘opinio communis’, allerdings soll nicht verschwiegen werden, dass es durchaus auch hierzu abweichende Meinung gibt. So tritt A.A.Lund beispielsweise in seiner ‚correctio’ neben einigen anderen ‚Verbesserungen’ auch für den ‚passer’ als Nominative in. Vgl.hierzu: A.A. Lund Zur korrekten Restitution des zweiten Gedichtes Catulls in: Maia.Rivista di letterature classiche, vol.38 (1986), p.153-158, hier: p.153ff.

[5] Fordyce dazu: „The word can be applied to persons […] and even to persons“ C.J.Fordyce, Catullus, Oxford 1961, S.89

[6] Vgl. C.J.Fordyce, Catullus, Oxford 1961, S.89

[7] Vgl.Niklas Holzberg, Catull. Der Dichter und sein erotisches Werk, 2002, S.63

[8] Vgl. Hans Rubenbauer/J.B. Hofmann, Lateinische Grammatik, München, 1995,

[9] Auch für die verschiedenen Auffassungsmöglichkeiten der Verse 5 und 6 bietet C.J. Fordyce in seiner kommentierten Ausgabe eine knappe Übersicht. Vgl. C.J.Fordyce, Catullus, Oxford 1961, S.90

[10] karum V Zit. nach: R.A.B Mynors, C. Valerii Catvlli Carmina, Oxford 1958, Carmen II

[11] Diese Theorie, die ihre volle Wirkung nur dann entwickelt, wenn ‚karum’ mit ‚k-‚ angenommen wird, geht von den Zahlenwerten der einzelnen aus und zeigt auf, dass sich zwischen den einzelnen Worten und Versen zahlreiche mathematische Auffälligkeiten zeigen, die nicht zufällig zu sein scheinen. Leider kann im Rahmen dieser Hausarbeit nicht näher auf diesen Interpretationsansatz eingegangen werden, für weitergehende Informationen sei empfohlen: http://www.decemsys.de/catull/c2zw.htm , 20.11.2006. Für einen weiteren Ansatz, der auch auf Zahlen basiert, sich aber mit der Spiegelbildlichkeit von Mann und Frau beschäftigt, siehe vor allem: http://www.decemsys.de/catull/c2-spg1.htm ,22.11.2006.

[12] et V: ut B. Guarinus Zit. nach:.R.A.B. Mynors, C. Valerii Catvlli Carmina, Oxford 1958, Carmen II

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Catull Carmen 2 (Lesbias Sperling)
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Seminar für klassische Philologie)
Veranstaltung
Catull
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
16
Katalognummer
V93708
ISBN (eBook)
9783640100644
ISBN (Buch)
9783640113521
Dateigröße
437 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Catull, Carmen, Sperling), Catull
Arbeit zitieren
Daniel Conley (Autor:in), 2006, Catull Carmen 2 (Lesbias Sperling), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93708

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