Untersuchungen zur Gegnerschaft zwischen Marius und Sulla


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

39 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

I. Einführung in die Thematik
Fragestellung und Methode
Die Quellen

II. Die Faktionen in der ausgehenden Republik

III. Herkunft und Karriere der Protagonisten
Marius
Sulla

IV. Bellum Iugurthinum: Die erste Zusammenarbeit

V. Die Zeit der „Germanengefahr“

VI. Jahre der Spannung
Das Jahr 100 v. Chr.: Die Krise und ihre Hintergründe
Der Aufstieg Sullas
Die römische Innenpolitik bis 91 v. Chr
Der Bundesgenossenkrieg (91 - 88 v. Chr.)

VII. Der grosse Konflikt: Das Kommando gegen Mithridates VI

VIII. Schlussbetrachtungen

Quellen- und Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

I. Einführung in die Thematik

Fragestellung und Methode

Diese Arbeit beschäftigt sich mit zwei Männern, die in der späten römischen Republik eine große Rolle spielten: Gaius Marius als Bezwinger der germanischen Stämme, gefeiert als „Dritter Gründer Roms“[1] und siebenfacher Konsul, Lucius Cornelius Sulla Felix als Sieger über Mithridates VI. und langjähriger Diktator.

Sie werden seit langem, sowohl in den Quellen als auch in der aktuellen Forschung, als Gegenspieler gehandelt, deren Beziehung die althergebrachten Regeln der Republik gefährdete und sie zeitweise ins Chaos stürzte.

Wie stand es jedoch tatsächlich um diese Gegnerschaft? Außer Frage steht, dass ihre Interessen spätestens im Jahre 88 v. Chr. kollidierten, als es um das Kommando gegen Mithridates VI. ging. Doch wie stellen sich die genauen Hintergründe dieses Zusammenstoßes dar? Lässt sich diese Gegnerschaft tatsächlich bereits in den Jahren vor 88 zeigen, so wie es in den gängigen Darstellungen zu finden ist? Oder lassen die Quellen vielleicht auch andere Schlüsse zu?

Um genaue Einblicke zu erhalten, wird diese Arbeit das vielfältige Beziehungsgeflecht analysieren, in dem Marius und Sulla standen. Zu Beginn wird es notwendig sein herauszufinden, ob es in der ausgehenden Republik tatsächlich derart starke und unveränderliche Gruppierungen gab, wie es in einigen Darstellungen erscheint. Weiterhin wird eine chronologische Untersuchung erfolgen, deren Schwerpunkte bestimmt werden von den Zusammentreffen der beiden Protagonisten. Dabei wird Marius zunächst im Mittelpunkt stehen, da sich die zu untersuchenden Ereignisse und Zeitabschnitte unmittelbar in Zusammenhang mit seinen Erfolgen abspielten. Mehrere Fragen sollen in jedem Abschnitt beantwortet werden: Wie war Sullas Verhältnis zur Nobilität, wie das des Marius? Konnten und können sie vielleicht als Exponenten einer bestimmten Gruppe, beispielsweise der Optimaten oder Popularen, angesehen werden? Und besonders: Wie war ihr Verhältnis zueinander?

Die Quellen

Als wichtigste Quellen werden herangezogen Plutarch mit seinen Biographien über Marius und Sulla, Sallust mit seinem Werk über den Iugurthinischen Krieg und Cicero, der Marius noch persönlich begegnete und seinen Landsmann in den unterschiedlichsten Kontexten erwähnte.[2] Auch Appians Schilderung der Bürgerkriege wird berücksichtigt. Da diese Arbeit besonders motiviert wurde durch die widersprüchliche Darstellung des Marius in den Quellen, ist deren Auswertung ein Schwerpunkt. Die Autoren seien an dieser Stelle kurz vorgestellt.

Zunächst ist festzustellen, dass Cicero mit Marius einige Gemeinsamkeiten hatte: Sie waren beide homines novi, sie stammten beide aus Arpinum und wurden beide ins Exil verbannt.[3] Es gibt keine der Person des Marius ausschließlich gewidmete Darstellung des Cicero. Auffällig ist jedoch dessen häufige Erwähnung: Offensichtlich dient er als Argumentationshilfe für die unterschiedlichsten Sachverhalte und menschlichen Verhaltensweisen, sowohl im positiven als auch im negativen Sinn. Für Werner ist dies die erste von drei Kategorien der Darstellung des Marius bei Cicero.[4] Die zweite Kategorie sieht er in der Verwendung des Marius als „Kontrastfolie“, denn so kann Cicero seine eigenen Verdienste besser darstellen. Er stellt seine „bessere Moral“ in den Vordergrund, denn obwohl beide ins Exil gehen mussten, wandte er sich nicht wie sein Vergleichsmann gegen das Vaterland. Die dritte Kategorie ist das positive Beispiel des furchtlosen Marius, der Cicero mit seinem Vorbild immer wieder Mut machte. Werner sieht einen weitgehend funktionalen Gebrauch des Marius als „Mann für alle Fälle“ - aus diesem Grund ist die Darstellung bei Cicero auch nicht immer zuverlässig, die genaue Funktion im jeweiligen Kontext und die Befindlichkeit Ciceros müssen mitbetrachtet werden. Ähnliches gilt für Ciceros Haltung gegenüber Sulla: Dessen Erwähnung scheint von tagespolitischen Erfordernissen und nicht von einem Interesse an der Person bestimmt zu sein.[5] Dennoch ist eine grundsätzliche Ablehnung Sullas zu bemerken, wobei dessen Proskriptionen vermutlich Kern der Kritik waren.

Sallust, der wie Cicero im ersten Jahrhundert v. Chr. schrieb, zielt mit seinem Werk „Bellum Iugurthinum“ vorwiegend auf die dramatisch-literarische Wirkung. Um diese zu intensivieren, wird Marius’ Verhältnis zur Nobilität als besonders zwiespältig dargestellt.[6]

Sallust verurteilt die Nobilität darin, dass sie den Zugang zum höchsten Staatsamt nur unter sich vergibt und die homines novi kaum eine Möglichkeit haben es zu erreichen.[7] Trotzdem missbilligt er Marius’ Vorgehensweise:[8] Werner führt diese negative Wertung darauf zurück, dass Marius in Sallusts Auffassung seine „Fürsorgepflicht“[9] gegenüber dem römischen Volk verletzte, indem er Zwietracht säte.

Sulla ist zunächst ein „bedeutender Mann“ und dominiert die Erzählung ab dem Zeitpunkt seines Auftretens, allerdings findet sich auch folgender Passus, in dem Sallust sich auf Sullas Eroberung der Stadt Rom 88 v. Chr. bezieht:

[...] denn was er später getan hat, von dem weiß ich nicht genau, ob ich mich mehr schäme oder widerwillig bin, es zu erörtern.“[10]

Insgesamt versucht Sallust, in der Darstellung der beiden Protagonisten ausgewogen zu bleiben. Jedoch erhält der Leser von Marius ein vergleichsweise negatives Bild, was mit Sallusts literarischen Zielen zusammenhängt: Er fragte nicht unter militärischen, sondern hauptsächlich unter moralischen Gesichtspunkten.[11] Hier hatte Marius wegen seiner, von Sallust attestierten, in Numidien ausgebrochenen Gier nach Ruhm Sympathien verloren,[12] Sulla dagegen bleibt dem Leser, durch die ausführliche Schilderung seines Erfolges bei der Auslieferung Iugurthas, als sehr erfolgreich in Erinnerung.

Sallusts Darstellung der Ereignisse darf also niemals ohne Einbeziehung der literarischen Komponente betrachtet werden. Dies macht bereits die Tatsache deutlich, dass Sallust Marius’ frühe Verbindungen zu den Metellern und anderen Angehörigen der Nobilität nicht erwähnt, um ihn als „Selfmademan“ künstlich in die Position eines Gegners der Nobilität zu bringen.

Plutarch stellte in seinen Parallelviten Sulla dem spartanischen Staatsmann und Feldherrn Lysandros gegenüber, Marius dem König von Epirus, Pyrrhos. Er selbst grenzt sich als Biograph von einer Geschichtsschreibung ab.[13] Eine der Hauptintentionen seiner Biographien liegt in der Veranschaulichung einer moralischen Lebensführung, aus diesem Grund stehen die „privaten“ Einzelpersonen im Mittelpunkt.[14] Für ihn galt das Imperium Romanum unter der Herrschaft eines Monarchen als beste Staatsform, jedoch führte diese Überzeugung nicht zu einer Verherrlichung Sullas, wie sie stellenweise bei Appian zu finden ist. Plutarch sieht sowohl Sulla als auch Marius kritisch, was damit zu erklären ist, dass Plutarch für seine Darstellung jeweils eine Pro- und eine Contra-Quelle verwendete.[15] Seine Sichtweise auf Marius erscheint jedoch wesentlich distanzierter. Ein Grund für diese Haltung findet sich schon in den ersten Zeilen der Marius-Biographie, in denen Plutarch auf Marius’ Verhältnis zur griechischen Sprache und Wissenschaft eingeht. Als Grieche und „Kulturmensch“ konnte er wohl kaum Verständnis für eine Ablehnung seiner Kultur aufbringen; eine „männliche, kriegerische Natur“ oder Tugenden wie unbeugsamer Mut, Arbeitskraft, Sparsamkeit oder Gerechtigkeitssinn konnten dieses Unverständnis nicht aufwiegen.[16] Sulla dagegen wird hauptsächlich als eitel, überheblich[17] und scheinbar gänzlich unaristokratisch beschrieben, jedoch stellt Werner eine „Nemesis-Funktion“[18] des Sulla für Marius fest. So verurteilt Plutarch beispielsweise Marius‘ Handlungsweise gegen seinen Befehlshaber Q. Caecilius Metellus Numidicus im Iugurthinischen Krieg und sieht es als ausgleichende Gerechtigkeit, dass Sulla den Sieg über Iugurtha als den Seinen beansprucht.[19]

Der Historiker Appian nimmt die Monarchie als „Heilung der republikanischen Krankheit“ wahr.[20] Als römischer Bürger eines noch größtenteils ungefährdeten Imperiums in der Mitte des 2. Jahrhunderts sieht er die Dinge rückblickend in ihrer Entwicklung, an deren Endpunkt die Herrschaft eines Einzelnen stand. Dementsprechend ist Sulla als „Monarch“ weitgehend positiv dargestellt, Marius dagegen wird, zumindest in dem für uns erhaltenen Teil seines Werkes,[21] größtenteils abwertend geschildert.

Die Hintergründe und Motivationen der Autoren werden im weiteren Verlauf Berücksichtigung finden.

II. Die Faktionen in der ausgehenden Republik

In vielen der gängigen Darstellungen über die späte römische Republik überwiegt noch immer der Eindruck von festen Gruppierungen, sei damit nun die Nobilität als Gesamtes gemeint, oder nur einzelne Gruppen innerhalb der Nobilität, die als fest zusammengeschlossen wahrgenommen und dargestellt werden. Dabei wird oftmals von „Parteien“ gesprochen, meist fehlt jedoch eine Erläuterung, in welcher Weise der Schreiber oder die Schreiberin diesen Begriff versteht. Dies kann unter Umständen dazu führen, dass von einem modernen Verständnis von „Partei“ als festem und dauerhaftem Zusammenschluss ausgegangen wird. Ronald Syme beispielsweise schreibt, dass ein römischer Politiker, wenn er es zu etwas bringen will, immer Führer einer Partei sein muss.[22] Diese Parteien sind für ihn dauerhafte familiäre Bindungen und Klientelverhältnisse. Karl Christ spricht ebenfalls von den „sogenannten Adelsparteien“.[23] Christian Meier entkräftet diese sogenannte Faktionsthese, seine Ausführungen seien an dieser Stelle kurz zusammengefasst:

Meier spricht zunächst von einer „auffälligen Spaltung der Politik“ und führt aus, dass die Auseinandersetzungen zwischen großen Feldherren nicht unbedingt auch Thema in der Alltagspolitik waren.[24] Bei den Wahlen beispielsweise waren die necessitudines die wichtigsten Entscheidungshelfer, also Verwandtschaft, Klientelverhältnisse, Freundschaften oder sonstige Verpflichtungen. Hinzu kamen berühmte Adelsnamen und die Erinnerung an große Vorfahren (existimatio). Das Gemeinwohl, die res publica, spielte in diesem Kontext kaum eine Rolle. Es war überdies nicht üblich, politische Aussagen in Form von Wahlwerbung zu treffen.[25] Das alltägliche Leben war also nahezu frei von Politik und spielte dabei eine weitaus größere Rolle als diese: Es konnte vorkommen, dass ein Wähler aufgrund seiner Verbindungen in verschiedene Richtungen seine Stimmen auf zwei Gegenkandidaten verteilte.

Meier geht davon aus, dass Kandidaten aus diesem Grund im Normalfall unabhängig waren, „ alles andere als Exponenten bestimmter Gruppen oder Interessen.“[26] Der Grund dafür war, dass es innerhalb der Bürgerschaft meist nur kleinere und unbeständige Interessengruppen gab, selten größere Gruppen oder Stände gemeinsam handelten. Hinzu kam, dass die Kandidaten zwar auf die existimatio gewissermaßen als Grundkapital zurückgreifen konnten, diese jedoch erst durch die Verbindungen an Bedeutung gewannen, an denen sie selbst arbeiten mussten. Zudem lösten sich die alten, dichten Clientelen durch die Größe des Herrschaftsbereichs zunehmend auf, die „ständigem Wechsel ausgesetzten Beziehungen der Familien mussten stets neu belebt werden.“[27]

Meier bezieht seine Ausführungen hauptsächlich auf die 60er und 50er Jahre des letzten Jahrhunderts v. Chr., jedoch lassen sie sich ebenso auf die in dieser Arbeit untersuchte Zeitspanne anwenden, denn diese Entwicklung zeichnete sich Jahrzehnte zuvor ab. Er zitiert Gaetano de Sanctis, der bereits für das zweite Jahrhundert v. Chr. davor warnt, „Factionen oder Koterien auf eine zu starre und mechanische Weise zu betrachten.“[28] Sie waren gegenstandsabhängig.[29]

In diesem Kontext wird deutlich, dass auch Marius und Sulla nicht ohne Weiteres als Vertreter einer popularen oder optimatischen Politik gesehen werden können, obwohl diese stark vereinfachte Beschreibung häufiger zu finden ist. So spricht Letzner von Marius im Zusammenhang mit der „popularen Partei“.[30] Bei den Popularen handelte es sich jedoch nicht um eine Partei oder feste Gruppe, sondern lediglich um einzelne Personen, die eine bestimmte politische Methode anwendeten, um Eigeninteressen durchzusetzen.[31] Von einem längerfristigen einheitlichen Willen einer solchen Gruppe, den Marius hätte vertreten können, kann daher nicht ausgegangen werden. Ein Beispiel für populare Politik, welches im weiteren Verlauf der Arbeit behandelt wird, bietet der Volkstribun Lucius Appuleius Saturninus, mit dem Marius zusammenarbeitete.

Schur sieht Marius in der Auseinandersetzung mit Metellus zudem als Vertreter der equites.[32] Die equites standen jedoch nicht grundsätzlich in einem Konkurrenzverhältnis zu den nobiles, so dass hier ebenfalls nicht von sich gegenüberstehenden, festen Gruppierungen ausgegangen werden kann.[33] Auch hier kommt Marius nicht als gegen den Senat arbeitender Exponent in Frage.

Sullas Rolle als „optimatischer Exponent“[34] und seine unter anderem daraus folgende Gegenspielerschaft zu Marius muss ebenso kritisch beleuchtet werden. Davon ausgehend, dass von den Senatsoberen eine einheitliche und andauernde Politik gemacht wurde,[35] wenn es darum ging, die althergebrachte Ordnung der res publica und die auctoritas des Senats zu schützen, könnte Sulla als Vertreter der Senatspolitik gesehen werden, denn Marius wurde vermutlich in vielen Fällen als Bedrohung wahrgenommen. Jedoch spielten auch und besonders im gesamten Senat die oben bereits angesprochenen vielfältigen Verbindungen und Interessen eine Rolle, so dass davon ausgegangen werden darf, dass Sulla keinesfalls ausnahmslos als Vertreter senatorischer Interessen agiert hat.

Nicht vergessen werden darf, dass Marius nach seiner Rückkehr 97 v. Chr. zu den Ältesten des Senats gehörte.[36] Zudem ist die Tatsache, dass nach Sullas Tod die meisten seiner Maßnahmen und Gesetze sehr schnell rückgängig gemacht wurden, ein Indiz dafür, dass er auch vorher schon nicht auf uneingeschränkte Zustimmung gestoßen war. Doch dazu später mehr. Obwohl die Quellen diese Lösung oftmals vorzugeben scheinen,[37] kann die Antwort auf die Frage, wie Marius’ und Sullas Gegenspielerschaft zu sehen ist, nicht darauf reduziert werden, dass sie als Vertreter einer factio handelten.

III. Herkunft und Karriere der Protagonisten

Marius

Marius wurde ca. 157 v. Chr. bei Arpinum in einer dem Stand der equites zugeordneten Familie mit Verbindungen nach Rom geboren.[38] Im Alter von 23 Jahren konnte er eine militärische Karriere beginnen: 134 v. Chr. hatte P. Cornelius Scipio Aemilianus das zweite Konsulat inne und nahm ihn mit in den Krieg nach Spanien – Scipio galt offenbar als sein Patron.[39] Marius konnte sich in Spanien auszeichnen und wurde im Jahre 129 v. Chr. Militärtribun, was den Beginn einer öffentlichen Karriere bedeutete. Entgegen den Aussagen der Quellen, in denen Marius als „grobschlächtig“ dargestellt wird, scheint er sich selbst Griechisch, öffentliches Reden und Kenntnisse im römischen Recht beigebracht zu haben. Christ spricht von einer „Abneigung gegen die griechische Bildung, die er in Bausch und Bogen verwarf“,[40] während Badian ein „überraschendes Können“ für jemanden mit Marius’ Hintergrund feststellt.[41] Bei diesem zunächst recht unwichtig erscheinenden Detail lohnt es sich genauer in die Quellen zu schauen, um bereits hier Einblick in die verzerrte Darstellung des Marius zu erhalten. So spricht Sallust ihm „griechische Beredsamkeit“ und „städtische Eleganz“ ab,[42] auch Velleius Paterculus geht in diese Richtung:

„Dieser [Marius] war aus dem Ritterstand, rauh und ungehobelt, aber untadelig in seiner Lebensführung.“[43]

Plutarch übernimmt diese Meinungen größtenteils, ist aber etwas differenzierter:

„Es heißt, dass er von griechischer Wissenschaft nichts wissen wollte und sich auch niemals der griechischen Sprache bediente, wenn es um wichtige Dinge ging.“[44]

In diesem letzten Zitat deutet es sich zumindest an: Marius war des Griechischen mächtig (laut Plutarch wollte er es nur nicht einsetzen), zudem war er eine anerkannte Autorität in Fragen des Kultes – immerhin wurde er im Jahr 99 v. Chr. zum Auguren gewählt. Bei Cicero findet sich zudem folgender Hinweis auf Marius’ Kompetenz im Hinblick auf die Vergabe des Bürgerrechts:

„Fragst Du dann noch nach jemandem, der mehr Gewicht und festere Grundsätze hätte und sich durch größere Charakterstärke, Umsicht und Gewissenhaftigkeit auszeichnete?“[45]

Wie es sich in allen Details tatsächlich verhielt, bleibt ungeklärt. Festzuhalten ist jedoch, dass ohne einen bestimmten Bildungsgrad an eine politische Laufbahn, wie Marius sie nun einschlug, nicht zu denken war.[46] Was der Grund für diese verzerrte Darstellung war, wird später zu klären sein.

123 v. Chr. wurde er Quaestor, 119 Volkstribun. Sein Auftreten als Politiker geschah unter dem Protektorat eines Teils der gens metelli,[47] vermutlich sollte Marius für diese das gesamte Kollegium der Volkstribunen kontrollieren.[48] Marius brachte jedoch gegen den Widerstand großer Teile der Nobilität ein Gesetz durch, welches die Beeinflussung der Wähler bei der Abstimmung verhindern sollte.[49]

Bereits in diese Geschehnisse könnte man die Opposition des Marius zur Nobilität und eine typische populare Politik hineininterpretieren. Wie sonst ließe sich die Agitation des Marius erklären? Es wird jedoch oftmals außer acht gelassen, dass Marius kurz darauf ein Gesetz verhinderte, welches die kostenlose Getreideverteilung an das Volk ermöglichen sollte. Plutarch bietet eine Lösung für dieses auf den ersten Blick widersprüchliche Verhalten: Marius wollte sich nicht der popularen Politik verschreiben und widersetzte sich aus diesem Grund der lex frumentaria.[50] Weiterhin beschreibt Plutarch nun ein Wohlwollen von beiden Seiten, plebs und Nobilität, „ da er keine wider das Gemeinwohl zu begünstigen schien.“ Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die bald darauf folgende Ablehnung der Bewerbung des Marius um die Aedilität in diesem Kontext zu sehen ist. Ob diese Ablehnung nun auf die plebs zurückzuführen war, die bei Verzicht auf zusätzliches Getreide weniger das Gemeinwohl im Sinn hatte, oder Teile der Nobilität ihm wegen der Verletzung der fides Steine in den Weg legen wollten:[51] Die Gründe für das Scheitern seiner Bewerbung wie auch sein Verhalten insgesamt bieten sehr viele Deutungsmöglichkeiten. Wichtig ist jedoch: Es gibt keine eindeutige Positionierung des Marius, weder betreibt er Politik im Sinne der Nobilität noch populare Politik. Eindeutig sind nur die Schwierigkeiten, denen er als homo novus ausgesetzt war, da er sich nicht wie Kandidaten patrizischer Herkunft auf das Ansehen seiner Familie berufen konnte, sondern sich seinen Ruf selbstständig schaffen musste. Vielleicht wollte er sich deswegen durch einen großen Auftritt mit Hilfe der lex maria als unabhängig von seiner Patronatsfamilie zeigen?[52]

[...]


[1] Plut. Mar. 27.

[2] Werner S. 97.

[3] Vgl. Manfred Fuhrmann: Cicero und die römische Republik. Eine Biographie, München/Zürich 1989, S. 131.

[4] Werner S. 209 ff.

[5] Hermann Diehl: Sulla und seine Zeit im Urteil Ciceros. Hildesheim 1988, S. 218 f.

[6] Werner S. 27/93.

[7] Sallust 63(6).

[8] Ebd. 86(3).

[9] Werner S. 63.

[10] Sallust 95(4).

[11] Vgl. Werner S. 94.

[12] Sallust 63(2).

[13] Plut. Alexander 1. Vgl. Werner S. 233.

[14] Werner S. 225 ff.

[15] Ebd. S. 229.

[16] Plut. Mar. 2. Dies sind die Eigenschaften, mit denen Plutarch Marius charakterisiert.

[17] Plut. Sul. 6 „[...] so dass man nicht weiß, ob er von Natur mehr überheblich oder ein Schmeichler war.“

[18] Werner S. 360. Werner bezieht sich auf die „Nemesis“, die griechische Göttin des gerechten Zornes.

[19] Plut. Mar. 10.

[20] Will, W., Vorwort. In: Appian von Alexandria, Römische Geschichte. Die Bürgerkriege, Stuttgart 1989, S. 1ff.

[21] Die Bände über die Entstehung des Imperium Romanum, die sich vermutlich auch mit den Erfolgen des Marius auseinandersetzen, sind nicht erhalten. Vgl. Werner S. 217.

[22] Ronald Syme, Die römische Revolution, S. 23.

[23] Christ, Krise S. 91.

[24] Meier S.7 ff.

[25] Ebd. S. 11. Dies wird auch deutlich an einem Brief des Quintus Cicero an seinen Bruder Marcus Tullius Cicero: „Doch darf man weder bei der Bewerbung noch im Senat oder in der Volksversammlung einen politischen Standpunkt ergreifen.“ (Quintus Cicero, Commentariolum petitionis, 53. Übersetzung Günter Laser).

[26] Ebd. S.8.

[27] Ebd. S. 175.

[28] Ebd. S. 163 (Gaetano de Sanctis, Rivista di Filologia e di istruzione classica , S. 81-84, Torino 1944).

[29] Meier, Willensbildung S. 188.

[30] Letzner, Sulla S. 87.

[31] Bleicken S. 192.

[32] Schur S. 64/65. Schur schildert die Differenzen der beiden Stände seit der Zeit der Gracchen, z.B. in Bezug auf die Geschworenenbänke. Er glaubt an einen Versuch des Metellus, die Differenzen auszugleichen, indem er Marius mit nach Afrika nahm.

[33] Christian Meier: Ritterstand [2]. In: Andresen, Carl u.a. (Hg.), Lexikon der Alten Welt, Bd. 3, Düsseldorf 2001.

[34] Eder, Sulla.

[35] Meier, Willensbildung S. 186.

[36] Evans S. 128

[37] s.o. Marius’ Opposition zur Nobilität bei Sallust.

[38] Elvers, Marius. Alle biographischen Daten sind diesem Artikel entnommen, soweit nicht anders gekennzeichnet.

[39] Plut. Mar. 3, siehe auch Paterculus II 9(4).

[40] Christ, Krise S. 151.

[41] Badian S. 144.

[42] Sallust, BelIug 63(3).

[43] Paterculus II 11(1).

[44] vgl. Anm. 16.

[45] Cicero, pro balbus 47ff.

[46] Vgl. Evans S. 22.

[47] Plut. Mar. 4.

[48] Vgl. Badian S. 145.

[49] Plut. Mar. 4; Cicero leg. 3.38f. Es handelte sich hier um die sog. lex maria.

[50] Plut. Mar. 4.

[51] Vgl. Badian S. 145.

[52] Vgl. Plut. Mar. 5. Hier erklärt Marius, er sei „da ihn das Volk zum erstenmal in ein Amt gewählt habe“ seines Clientelverhältnisse ledig geworden.

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Untersuchungen zur Gegnerschaft zwischen Marius und Sulla
Hochschule
Technische Universität Berlin  (Institut für Geschichte und Kunstgeschichte)
Veranstaltung
Hauptseminar „Große Gegenspieler“
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
39
Katalognummer
V93574
ISBN (eBook)
9783638068390
ISBN (Buch)
9783638953849
Dateigröße
574 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Untersuchungen, Gegnerschaft, Marius, Sulla, Hauptseminar, Gegenspieler“
Arbeit zitieren
Regine Kemna (Autor:in), 2007, Untersuchungen zur Gegnerschaft zwischen Marius und Sulla, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93574

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