Das Phänomen filmischer Nostalgie in "The Grand Budapest Hotel" (2014)

Ein postmodernes Paradox zwischen Rückwendung und Innovation


Bachelorarbeit, 2017

33 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Zielsetzung

2. Der Begriff der Nostalgie

3. Postmoderner Film

4. Filmische Nostalgie
4.1 Zentrale Aspekte filmtheoretischer Auseinandersetzungen mit Nostalgie
4.2 Der postmoderne Nostalgie-Diskurs
4.2.1 Fredric Jamesons kontroverse Nostalgie-Kritik
4.2.2 Weitere Stimmen zur Thematik

5. Der Ausdruck von Nostalgie in The Grand Budapest Hotel
5.1 Nostalgie auf stilistischer Ebene und Nostalgia Mode
5.1.1 Kamera und Mise-en-scène
5.1.2 Intertextuelle Bezüge und Allusionen
5.1.3 Narrativik
5.2 Nostalgia Mood und die Frage nach der Tiefenebene
5.2.1 Vermittlung von Nostalgie als Emotion
5.2.2 Momente kritischer Reflexion in TGBH...
5.2.3 Rückwendung und Innovation

6. Zusammenfassung der Ergebnisse

7. Bibliographie

8. Filmographie

1. Zielsetzung

The animating emotion of 'Grand Budapest' is nostalgia for nostalgia: the past, affectionately teased as a repository of antiquated styles, recedes into art […] and in this movie the narrow winding streets of Old Europe, faintly misted, seem to bear some portent. But of what? They ominously lead nowhere, yet the images are merely pretty. (Denby 2014: 78)

In vielen Artikeln über die Tragikomödie The Grand Budapest Hotel 1 (Wes Anderson, USA/DE/UK 2014) ist der Terminus Nostalgie zu lesen . Wie in dem vorangehenden Zitat wird er in diesem Zusammenhang jedoch selten näher, über eine oberflächliche Bedeutung hinaus, analysiert. Versucht man außerdem, den auffälligen und oft thematisierten Stil dieses Films zu begreifen, lassen sich die zahlreichen Charakteristika, wenn überhaupt, am besten mit einem Begriff resümieren: postmodern.

Tatsächlich sind die beiden Konzepte, die hinter diesen Termini stehen, enger miteinander verwoben, als man zunächst annimmt. Zu beiden Phänomenen gibt es unzählige Theorien, sowohl allgemein, als auch auf das filmische Medium bezogen. In den vergangenen 30 Jahren hat sich ein kontroverser Diskurs entwickelt, der sich speziell mit der Verbindung dieser zwei Begrifflichkeiten beschäftigt, also mit postmoderner Nostalgie.

In diesem Kontext ist der US-amerikanische Theoretiker Fredric Jameson einer der wenigen Autoren, die bis dato in den vielzähligen und heterogenen Arbeiten über Nostalgie konstant zitiert und diskutiert werden (vgl. Armbruster 2016: 37). Auf den ersten Blick scheint seine Kritik postmoderner Nostalgie, die im Folgenden erläutert wird, in Bezug auf TGBH – durch diesen Eindruck der oberflächlichen Thematisierung von Nostalgie – möglicherweise zuzutreffen. Doch inwiefern äußert sich der vorliegende Film tatsächlich nostalgisch und wie hängt er mit diesem Diskurs sowie allgemein mit dem Ausdruck von Nostalgie im filmischen Medium zusammen, wenn es sich dabei im Grunde um eine Rückwendung in dem vermeintlich innovativen Medium handelt?

Die Frage nach der Relation zwischen Film und Nostalgie und dem daraus resultierenden Verhältnis zwischen Rückwendung und Innovation kann als Ursprung dieser Arbeit gesehen werden. Davon ausgehend soll konkreter erörtert werden, ob Nostalgie im filmischen Kontext – wie einige Ansätze, darunter der von Jameson, nahe legen – als genuin postmoderne Charakteristik beschrieben werden kann, die sich vor allem auf stilistischer Ebene bewegt und weder mit Historizität noch mit der Auffassung von Nostalgie als profunde Sehnsucht nach einer vergangenen 'Zeit' verbunden ist. Dazu soll TGBH als aktuelles Filmbeispiel herangezogen werden, welches oft als postmoderne Komposition zahlreicher nostalgisch-stilistischer Allusionen verstanden wird. Hier stellt sich vor allem die Frage, inwiefern der vorliegende Film nostalgisch ist und ob die darin inszenierte Nostalgie über eine rein stilistisch- visuelle Seite hinausgeht bzw. ob der Begriff der Nostalgie hier überhaupt angemessen scheint. Die durch diese Analyse gewonnenen Erkenntnisse sollen letztendlich wieder zur Ausgangsfrage zurückführen.

Um diesen Fragen nachzugehen, werden zunächst die Begriffe der Nostalgie und des postmodernen Films im Allgemeinen definiert. Im Weiteren werden wesentliche filmtheoretische Überlegungen zur Nostalgie skizziert, um schließlich auf den postmodernen Diskurs einzugehen, der für zahlreiche Theorien einen wichtigen Bezugspunkt darstellt. Darauf folgt eine Analyse des vorliegenden Films, die sich vor allem auf den hier vermittelten Ausdruck von Nostalgie, auf Makro- und Mikroebene sowie in stilistischer, emotionaler und kritisch-reflexiver Hinsicht, fokussiert. Zuletzt soll das Verhältnis von Rückwendung und Innovation darauf aufbauend untersucht werden, um zu einer abschließenden Erkenntnis über die hier kommunizierte Nostalgie zu gelangen.

2. Der Begriff der Nostalgie

„Nostalgia is a sentiment that everybody experiences but is seldom able to either define or explain“ (Feyerabend 2009: 34). Britta Feyerabend macht hier darauf aufmerksam, wie schwierig das Phänomen der Nostalgie in Worte zu fassen ist. Dennoch soll der Versuch einer Definition unternommen werden, die den Ursprung und die Entwicklung seiner Bedeutung aufzeigt.

Stangl beschreibt Nostalgie im Lexikon für Psychologie und Pädagogik als „sehnsuchtsvolle Hinwendung zu vergangenen Gegenständen oder Praktiken, wobei sich die Nostalgie sowohl auf das eigene Leben als auch auf nicht selbst erlebte Zeiten – kollektive Nostalgie – beziehen kann“ (Stangl 2017: o.S.). Aus psychologischer Sicht hielt man Nostalgie lange Zeit für eine psychische Krankheit (vgl. Stangl 2017: o.S.).

Der Terminus Nostalgie ist aus den griechischen Wörtern nostos (Heimkehr) und algos (Schmerz) zusammengesetzt und entspricht somit sinngemäß dem deutschen Wort Heimweh. Zum ersten Mal wurde er 1688 schriftlich von dem Schweizer Arzt Johannes Hofer eingeführt, der das symptomatische Heimweh junger Söldner untersuchte (vgl. Feyerabend 2009: 35). So hat man den Begriff anfangs auch primär mit der Sehnsucht nach einem anderen Ort, in erster Linie der Heimat, verbunden.

Um 1828 begann in der Forschung eine Bedeutungsverschiebung des Nostalgie-Begriffs, nach der sich der Fokus von einem geografischen allmählich auf einen zeitlichen 'Bezugspunkt' verlagerte, meist in Form einer persönlich erlebten Vergangenheit (vgl. Fischer 1980: 12 f.). Es dauerte allerdings etwa bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, bis sich dieser Bedeutungswandel auch im Deutschen unter Rückgriff auf die angloamerikanische Nutzung des Terminus etablierte (vgl. Leuschner 2003: 7). Im Deutschen weichen die Bedeutungen der Ausdrücke Heimweh und Nostalgie mittlerweile voneinander ab (vgl. Duden o.J.: o.S.), während etwa im Italienischen Heimweh auch heute noch Nostalgia heißt.

Da sich ein geografisch exakt bestimmbarer Ort oft zurückverfolgen und erneut besuchen lässt, ein mit der Zeit vergangener Moment jedoch nicht wiederholbar ist, würde selbst die Rückkehr an diesen Ort das durch Nostalgie erzeugte Verlangen nicht stillen, da die Umstände – beispielsweise Personen, Geräusche oder schlichtweg die Dekoration eines bestimmten Hauses – aufgrund der vergangenen Zeit nicht mehr die selben sind. Und auch wenn man in die Vergangenheit reisen könnte, wäre man selbst aufgrund persönlicher Veränderungen und gewonnener Lebenserfahrung nicht mehr identisch mit dem damaligen Ich (vgl. Wilson 1999: o.S.). Somit ist die Zeitlichkeit – und zwar nicht im Sinne eines 'Zeitpunktes', sondern im Sinne des unaufhaltsamen Verstreichens der Zeit – gewissermaßen der entscheidende Faktor bei der Definition von Nostalgie.

Auch Feyerabend (2009: 35) betont, dass das geografisch konkretisierbare Heimweh leichter greifbar ist und mit der Rückkehr nach Hause beendet wird, wohingegen der nostalgische, unbestimmte Wunsch nach Etwas, das physisch nicht wiedererlangt werden kann, in seiner Tragik wesentlich tiefer greift. Wie genau dabei Nostalgie in Zusammenhang mit Zeitlichkeit steht und welche Beobachtungen sich dadurch für die Definition von Nostalgie im Film ergeben, soll am vorliegenden Filmbeispiel erörtert werden. Festhalten kann man an dieser Stelle, dass sich Nostalgie auf etwas Unwiederbringliches, Vergangenes bezieht, wie zahlreiche Definitionen nahe legen. Diese im Begriff implizierte Vergangenheit findet sich in den sonst sehr divergenten Theorien zur Nostalgie einheitlich wieder: „Perhaps the only common denominator is that nostalgia somehow refers to the past“ (Armbruster 2016: 37). Wie Feyerabend treffend resümiert, ist in den meisten Definitionen die Rede von einem bittersüßen Verlangen nach Personen, Dingen oder Situationen aus der Vergangenheit, wobei der Begriff bittersüß hier signifikant ist, da er bereits auf ein emotionales Paradox verweist: „All of these synonyms contain the element of pain and anxiety while the general association is that the 'bitter' will be experienced as 'sweet'“ (Feyerabend 2009: 35). Es handelt sich also nach gängiger Ansicht um eine schmerzliche und traurige Erinnerung an etwas Positives – oder zumindest im Nachhinein als glücklich Wahrgenommenes: „[T]he nostalgic feeling is infused with imputations of the past beauty, pleasure, joy, satisfaction, goodness, happiness, love, and the like, in sum, any or several of the positive affects of being“ (Davis 1979: 14). Ein weiteres Paradox, welches dem Begriff inhärent zu sein scheint, ist das Zeitverhältnis, denn „nostalgia's momentum is anchored in the present although it is triggered by memories of the past“ (Feyerabend 2009: 35). Das bedeutet, die augenblickliche, gegenwärtige Emotion wird durch die Erinnerung an Vergangenes hervorgerufen, wodurch 'Gegenwart und Vergangenheit', wenn man der konventionellen, linearen Zeiteinteilung folgt, im Moment des Nostalgie-Empfindens gewissermaßen interferieren.

Auch Leuschner spricht von einer kontradiktorischen Synthese, die durch das Phänomen der Nostalgie hervorgerufen wird: „Zugleich wird in der Nostalgie auch ihr Gegenpol, die Utopie, konserviert“ (Leuschner 2003: 6). So sind in dem Moment, den sich die Nostalgie zurücksehnt, auch immer die Utopie von damals und die mit ihr verbundene Zuversicht enthalten.

Diese der Nostalgie immanenten Widersprüche weisen bereits auf den komplexen und ambivalenten Charakter des Phänomens hin, der in dieser Arbeit eine wichtige Rolle spielen wird.

Eine verbreitete Annahme, die sich ebenfalls bereits auf Hofers Untersuchung von 1688 zurückführen lässt und die unter anderem Fred Davis vertritt, ist, dass Nostalgie meist durch persönliche Krisen oder Orientierungslosigkeit ausgelöst wird (vgl. Feyerabend 2009: 47 f.).

Dieser Ursprung lässt sich auch für die Postmoderne beobachten, die sich in den USA in Verbindung zu Protestbewegungen entwickelt (vgl. Huyssen 1993: 13) und eine besondere Beziehung zum Phänomen der Nostalgie aufweist, was eine größere wissenschaftliche Debatte nach sich zieht.

3. Postmoderner Film

Jegliche Klassifizierung eines Films ist aufgrund der hybriden Natur dieses Mediums problematisch, wofür gerade TGBH mit seiner intertextuellen und metadiegetischen Erzählweise und seinen unterschiedlichen Stilelementen exemplarisch sein dürfte. Auch der breitgefächerte und ambivalente Begriff der Postmoderne, der mit diesem Stil verknüpft zu sein scheint, entzieht sich einer spezifischen Definition (vgl. Eder 2002: 9 f.). Dennoch muss er hier näher erläutert werden, um die folgende Thematisierung von Nostalgie zu verstehen und der filmischen Verfahrensweise, auf der das besondere Augenmerk dieser Arbeit liegt, einen Namen zu geben.

Die postmoderne Kunst entwickelt sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge einer neuen mentalen Einstellung in der Gesellschaft (vgl. Feyerabend 2009: 31 f.). Häufig wird die Entstehung der Postmoderne auch als Gegenbewegung zur damals kulturell etablierten Moderne verstanden (vgl. Huyssen 1993: 16–18). Zunächst wird ihre Tendenz im Amerika der 1950er Jahre im Bereich der Architektur bemerkt und analysiert (vgl. Feyerabend 2009: 31 f.; Huyssen 1993: 13). Erst Ende der 1970er Jahre findet die Bewegung auch Einzug in Europa (vgl. Huyssen 1993: 13). Bereits ab den 1970er Jahren setzen sich auch zunehmend Theoretiker mit der Erscheinung auseinander (vgl. Huyssen 1993: 14). Im Film finden sich vor allem ab den 1980er Jahren vermehrt postmoderne Tendenzen wieder, wobei Pulp Fiction (Quentin Tarantino, USA 1994) sicherlich eines der meistgenannten Beispiele für postmoderne Filme ist (vgl. Brunner 2012: o.S.). Der Kultstatus, der postmodernen Filmen wie diesem häufig zuteil wird, entsteht durch „ein ironisches Spiel mit Zeichen und Zuschauern, wobei ein Publikum mit erheblicher Medienerfahrung angesprochen wird, das dieses Spiel ebenso durchschaut wie goutiert“ (Brunner 2012: o.S.). Überdies kommen ab jenem Zeitpunkt vermehrt neue technische Möglichkeiten filmischer Bearbeitung zum Einsatz, wodurch das Massenpublikum vor allem von den postmodernen US-amerikanischen Blockbustern angelockt wird (vgl. Eder 2002: 2), ohne die Notwendigkeit, das gesamte Spektrum intermedialer und selbstreferenzieller Zitate zu verstehen. Auch wenn in den vergangenen Jahren bereits zunehmend von Hypermoderne oder Post-Postmoderne gesprochen wird, lässt sich die Postmoderne nicht als zeitlich begrenzte Epoche bezeichnen, die von einer anderen 'abgelöst' wurde, da ihre Charakteristika nach wie vor in zahlreichen Werken zu erkennen sind. Diese Arbeit bezieht sich demnach mit dem Begriff der Postmoderne explizit auf ein Verfahren künstlerischen und filmischen Schaffens, das neben anderen Vorgehensweisen existiert, wobei noch einmal betont werden muss, dass es hier keine klaren Grenzen gibt. Feyerabend (2009: 32) filtert aus den bekanntesten Schriften zur Postmoderne typische Merkmale postmoderner Kunst heraus. Dazu gehören Fragmentierung, Selbstreflexivität, Dezentrierung, Redundanz, mit welcher häufig die Unvollständigkeit und/oder Vielschichtigkeit einer Erzählung einhergehen, Diskontinuität, Intertextualität, Parodie, der subversive Umgang mit Grenzen und dominanten Kulturen, Pastiche und die Verbindung disjunktiver Elemente, wobei sich diese Arbeit in Bezug auf postmoderne Nostalgie vor allem mit den beiden letzteren Punkten noch intensiver beschäftigt.

Laut dem Filmwissenschaftler Jürgen Felix sind außerdem „ironisierendes Zitat, historisierender Eklektizismus, Doppel- bzw. Mehrfachcodierung, Dekonstruktion tradierter Dramaturgien, Vermischung von hoher Kunst und Massenkultur [und; J.W.] selbstreferentielle Intermedialität“ (Felix 1996: 401) spezifische Attribute postmoderner Filme, die beispielsweise das Werk von Regisseuren wie Pedro Almodóvar, David Lynch oder den Coen-Brüdern prägen.2

Die eben genannten Kennzeichen deuten bereits darauf hin, dass postmodernen Verfahren genau die Intention zugrunde liegt, konventionelle Kategorien, Genregrenzen und Regeln aufzubrechen und zu relativieren. Sie demonstrieren auch, dass der ausdrückliche Blick auf vergangene Kunstwerke, Ereignisse und Ideologien und deren Reflexion, bis hin zur Neudefinition, hier zentral sind (vgl. Feyerabend 2009: 32). So erscheinen postmoderne Eigenschaften wie Intertextualität aufgrund ihrer inbegriffenen Referenz zur Vergangenheit zunächst ideal für den künstlerischen Ausdruck von Nostalgie (vgl. Feyerabend 2009: 33). „In der Tat scheint eine nostalgische Sehnsucht nach den Lebens- und Ausdrucksformen der Vergangenheit ein starker Unterstrom in der Kultur der Postmoderne zu sein“ (Huyssen 1993: 14), dieser Zusammenhang ist also keineswegs Zufall. Laut Chase und Shaw (1989: 15) sehen einige Theoretiker in der Postmoderne generell eine Art makro-nostalgische Erfahrung. Dazu gehört auch der Kritiker Fredric Jameson, der jedoch in der Postmoderne eine gänzlich neue und negative Besetzung des Nostalgie- Begriffs erkennt, die mit der ursprünglichen Bedeutung emotionaler Nostalgie nichts gemeinsam hat. Er sieht postmoderne Methoden nicht als Möglichkeit künstlerischer Innovation, sondern als Hindernis, was im Folgenden erläutert wird.

4. Filmische Nostalgie

4.1 Zentrale Aspekte filmtheoretischer Auseinandersetzungen mit Nostalgie

Als zentrale Auslöser für das Empfinden von Nostalgie schlägt Feyerabend (2009: 46) primär sensuelle Reize vor, insbesondere audiovisuelle Quellen. So seien „photographs, music, and film […] predestined to carry nostalgic emotions for many generations of consumers“ (Feyerabend 2009: 46). Gerade aufgrund der immer größeren Verbreitung und des alltäglichen Umgangs mit audiovisuellen Medien kann es zudem vorkommen, dass diese Quellen ein nostalgisches Gefühl und eine Erinnerung in uns auslösen, obwohl wir in jenem Moment nicht anwesend oder noch nicht einmal geboren waren (vgl. Feyerabend 2009: 47).

In Bezug auf den Film ist es überdies wichtig zu beachten, dass Nostalgie nicht nur eine persönliche und individuelle, sondern auch eine kollektive Erfahrung sein kann. So kann uns das Lied As Time Goes By aus Casablanca (Michael Curtiz, USA 1942) persönlich an die eigene Kindheit erinnern, in der der Vater dieses Lied häufig auf dem Klavier spielte. Es kann aber auch die Mehrheit des Publikums nostalgisch stimmen, indem es einen besonderen Moment in der Filmgeschichte ins Gedächtnis ruft. Davis unterscheidet hier zwischen private nostalgia und period nostalgia, wobei Letztere nicht nur Menschen einer bestimmten Generation verbinden, sondern auch über mehrere Generation hinweg wirken und diese miteinander vereinen kann, was sich beispielsweise in der gemeinsamen Vorliebe für einen vergangenen Kleidungsstil ausdrückt (vgl. Feyerabend 2009: 47). Wie Boym (2001: 53 f.) erkennt, befindet sich kollektive Nostalgie immer im Austausch mit privater, da das Nostalgie-Objekt von jedem Individuum innerhalb eines Kollektivs mit einer anderen, individuellen Erinnerung verbunden wird. Das bedeutet, ein Ereignis wird zwar kollektiv in Erinnerung gerufen, allerdings auf unzählige verschiedene Arten, was zeigt, dass auch kollektive Nostalgie immer von Subjektivität geprägt ist. Diese Auffassung von Boym ist zentral für diese Arbeit, da sie zeigt, dass man sich bei der Analyse filmischer Nostalgie nicht etwa lediglich auf das Zuschauerkollektiv oder das Individuum des Regisseurs konzentrieren darf, sondern für eine umfassende Betrachtung immer sowohl die Kollektivität als auch individuelle Sichtweisen im Blick haben sollte: „[N]ostalgia remains an intermediary between collective and individual memory“ (Boym 2001: 54).

Nicht nur persönliche, sondern auch kollektive Nostalgie entsteht laut Feyerabend (2009: 50) meist aus Krisenzeiten heraus. Gerade seit der Entwicklung der Postmoderne in der Nachkriegszeit wirkt es, als folge auf eine internationale Krise unmittelbar die nächste, was auch mit der globalen Medienpräsenz und schnellen Nachrichtenübermittlung zusammenhängt, die parallel zur Postmoderne heranwächst. 2 Aus diesem Kontext erklärt sich, weshalb auch kollektive Nostalgiewellen mit der Postmoderne zuzunehmen scheinen (vgl. Feyerabend 2009: 50). Gleichzeitig geht diese Medialisierung mit der Digitalisierung und ihrem technischen Manipulationsvermögen einher, was ein immer größeres Bewusstsein für die bereits angesprochene Fragwürdigkeit der erinnerten Vergangenheit bewirkt (vgl. Feyerabend 2009: 51 f.). Der nostalgische Blick in die Vergangenheit verändert sich somit zwangsläufig für alle Kollektive im postmodernen Kontext und dabei ist der Film eines der wohl einflussreichsten Medien, die sich postmoderne Verfahren zu eigen machen und in dessen Rahmen diese neue Signifikanz von Nostalgie relevant wird.3

4.2 Der postmoderne Nostalgie-Diskurs

4.2.1 Fredric Jamesons kontroverse Nostalgie-Kritik

Laut Jameson (1993: 47) hängt die kulturelle Erscheinung der Postmoderne direkt mit der politischen Erscheinung des multinationalen Kapitalismus zusammen, weshalb das Kritisieren des einen Phänomens letztlich auch die Missbilligung des anderen bedeute. Jameson erkennt also in den kulturellen postmodernen Verfahren eine Spiegelung der politischen Dimension der medienorientierten Konsumgesellschaft und spricht postmodernen Verfahren damit automatisch jegliches Kritikvermögen an dieser sozialökonomischen Gegebenheit ab. Hier wird bereits das Problem deutlich, dass Jameson die Postmoderne in seinem Essay eher als Epoche und weniger als künstlerisches Verfahren begreift.

Die wesentlichen Kritikpunkte, die die Postmoderne laut Jameson mit sich bringt, sind kulturelle und wissenschaftliche Oberflächlichkeit und der damit einhergehende „Verlust von Historizität, der sich sowohl in unserem Verhältnis zum allgemeinen Geschichtsverständnis bemerkbar macht als auch in unser neues ‹privates› Zeitverständnis eingreift“ (Jameson 1993: 50). Gleichermaßen bedeute Postmoderne Emotionslosigkeit, „da es kein Subjekt mehr gibt, das da fühlen könnte“ (Jameson 1993: 60). Dementsprechend gebe es auch keinen individuellen, unverwechselbaren Stil mehr (vgl. Jameson 1992: 167 f.).

So ist es eine für ihn logische Konsequenz, dass Nostalgie nicht mehr in einem persönlichen und emotionalen, sondern ausschließlich in einem kollektiven und substanz- bzw. affektlosen Sinne wahrgenommen wird. Die ausgeprägte Verwendung von Pastiche 3 wird von Jameson (1993: 61) auf das Fehlen von Individualität zurückgeführt und mit einer „Kunst der Imitate“ gleichgesetzt. Dieser oberflächliche und imitative Pastiche substituiere außerdem die Parodie, da parodistische Kommentare immer auf ein Original Bezug nehmen, welches nun nicht mehr vorhanden sei (vgl. Jameson 1993: 62). „Die im Pastiche-Begriff gefaßte permanente Imitation bezeugt die historisch neuartige Konsumgier auf eine Welt, die aus nichts als Abbildern ihrer selbst besteht und versessen ist auf Pseudoereignisse und ‹Spektakel› jeglicher Art“ (Jameson 1993: 63). Somit negiert Jameson, dass gerade der auffällige, teils überspitzte Einsatz von Pastiche sowie die redundante Verwendung medialer Versatzstücke ein Mittel der kritischen Auseinandersetzung mit diesem – und auch weiteren – gesellschaftlichen Rahmen sein können, indem er darin lediglich die Institutionalisierung „offizieller westlicher Kultur“ (Jameson 1993: 48) sieht. In der Tat gibt er auch an, die Möglichkeit einer kritischen Distanz, welche er als essenzielle und zuvor allgegenwärtige Komponente der Kulturpolitik sieht, sei mit der Postmoderne nicht mehr gegeben (vgl. Für diese 'Pseudo-Erfahrung' verwendet Jameson auch den von Platon geprägten Terminus des Simulacrum, der „die identische Kopie von etwas, dessen Original nie existiert hat“ (Jameson 1993: 63) beschreiben soll. Seine Applikation dieses Begriffs erinnert folglich auch an Baudrillards Abhandlung Simulacres et Simulation von 1981. Simulation wird hier als Imitation von Authentizität und Realität begriffen, die den Platz des Realen selbst einnimmt (vgl. Feyerabend 2009: 53). Simulacra seien also Symbole und Zeichen, die die tatsächliche Bedeutung und Realität ersetzen und dazu führen, dass menschliche Erfahrung selbst nur die Erfahrung simulierter Realität sei, was durch postindustrielle Prozesse, insbesondere die Massenmedialisierung, entstanden sei (vgl. Blask 2002: 23–25). Nach dieser Theorie spiegelt das Kino diese Entwicklung wider, indem es sich selbst so lange zitiert und kopiert, bis es perfekter als das Original erscheint, was Baudrillard als 'hyperreal' bezeichnet (vgl. Feyerabend 2009: 53). Für Jameson ist der Nostalgie-Film 4 ein Paradebeispiel für die „Inkompatibilität der postmodernen ‹nostalgischen› Kunstsprache mit einer authentischen Historizität“ (Jameson 1993: 64). Die adäquate und authentische Aneignung der Vergangenheit würde hier durch eine bloße Fixierung auf die Geschichte vergangener Stile verhindert, die anhand geläufiger Assoziationen zwar eine nostalgische Grundeinstellung im Zuschauer wecken, dabei jedoch eine persönliche und historische Tiefendimension verfehlen (vgl. Jameson 1993: 64 f.). Diese Charakteristik betitelt Jameson als „nostalgia mode“ (Jameson 1992: 169) .

4.2.2 Weitere Stimmen zur Thematik

Feyerabend (2009: 27 f.) macht in ihrer Dissertation die Unzuverlässigkeit historischer 'Fakten' deutlich, die auf unterschiedliche Arten verfälscht oder manipuliert werden können, was sich durch die Möglichkeiten digitaler Bearbeitung kontinuierlich zu steigern scheint. „[B]y either a change in taxonomy, ideology, viewpoint, or even by the personal recollection of an individual, history becomes much less factual and much more fictional than one would wish“ (Feyerabend 2009: 28). Die Korrektheit der durch unterschiedliche Archive erfassten Vergangenheit ist somit aufgrund vielfältiger Faktoren oft fraglich. Auch im Film wird üblicherweise nicht-fiktionalen Formaten eine größere Glaubwürdigkeit beigemessen, als sie tatsächlich besitzen. „Both historical narratives and fictional narratives are seen as mimetic renderings of historical events since both rely on language and construct reality in one way or another“ (Feyerabend 2009: 29). Das Gleiche gilt für unsere persönliche Erinnerung, die nicht so verlässlich ist, wie man für gewöhnlich annimmt, was sowohl Forschung als auch Erfahrung bestätigen können (vgl. Feyerabend 2009: 29).

Thus, memories are without strict borders, they tend to shift and blend personal and lived recollection with impersonal and cultural memories and, in many cases, it is hard to determine, which memories are personally lived or experienced, which are learned, and which are a blend of these […]. (Feyerabend 2009: 31) So zeigt sich, dass Geschichte – unabhängig von Nostalgie – automatisch durch einen im Nachhinein erfolgenden – Weise auf die Vergangenheit beziehen. So nennt er z.B. American Graffiti (George Lucas, USA 1973), der im Amerika der fünfziger Jahre spielt, und Star Wars (George Lucas, USA 1977), dessen Bezugspunkt er in der Filmgeschichte der dreißiger Jahre sieht (vgl. Jameson 1992: 169 f.).

Bezug oder Blick auf sie modifiziert wird. Nostalgie ist in diesem Fall vielleicht nur eine bestimmte Art dieser Modifizierung, da sie – wie bereits erwähnt – meist dazu neigt, den vergangenen Moment als glücklicher oder positiver wahrzunehmen, als er tatsächlich erlebt wurde. Demnach lässt sich Jamesons Anklage der fehlenden Historizität oder Authentizität nicht vollständig rechtfertigen, da dieser Umstand weder an Nostalgie noch an Postmoderne gebunden ist, sondern vielmehr ein unüberwindbares Faktum ist, das mit der retrospektiven Beschäftigung mit Geschichte oder Vergangenheit einhergeht.

Jamesons Kritik an dieser Nostalgie ist gleichsam selbst nostalgisch und macht ihn zu einem Teil der von ihm bemängelten postmodernen Nostalgie-Politik, wie Linda Hutcheon (1998: o.S.; Abs. 21) feststellt. Denn er trauert selbst den geschichtlichen Ereignissen nach, indem er kritisiert, dass sich die von ihm genannten Filme nicht authentisch auf solche reale Momente beziehen. Hier lässt sich Hutcheons Gedanke noch weiterführen, da Jameson dadurch nicht nur selbst Nostalgie für die Geschichte äußert, sondern offensichtlich auch für den gesamten kulturellen Bereich, den man pauschalisiert als 'Moderne' zusammenfasst, insbesondere den „traditionellen historischen Roman“ (Jameson 1993: 66) und die 'vor-postmodernen' Filme, die diese vermeintliche Historizität demnach besser suggerieren konnten.

Einige Autoren unterscheiden zwischen nostalgischen Filmen und den – begrifflich durch Jameson geprägten – Nostalgie-Filmen, wobei die Nostalgie in den erstgenannten als narratives Element, in den anderen jedoch als zentrales Motiv des Films verstanden wird, indem er etwa einen bestimmten Zeitabschnitt und die damit verbundenen Umstände rekonstruiert (vgl. Feyerabend 2009: 52). Tatsache ist, dass in postmodernen Nostalgie- Filmen durch die neu gewonnenen technischen Möglichkeiten filmischer Bearbeitung eine solche 'Imitation' vergangener Zeiten realisiert wird, was auch den Diskurs über Historizität und Authentizität relevant macht (vgl. Feyerabend 2009: 53).

So behauptet auch Feyerabend (2009: 53), diese Nostalgie-Filme seien zur Historiografie eher ungeeignet, wobei sich hier aufgrund der bereits erwähnten, natürlichen Verklärung der Vergangenheit jedoch die Frage stellt, ob eine Historiografie in ihrer gebräuchlichen Vorstellung überhaupt möglich ist oder selbst nur eine Utopie ist, die gerade durch diese postmodernen Nostalgie-Filme offengelegt wird.

„In den letzten Jahren wurde zudem wiederholt darauf hingewiesen, dass auch der Nostalgiefilm durchaus über kritisches Potential verfügen kann, indem er etwa subtil die mit der rekonstruierten Zeit verbundenen Denkmuster entlarvt“ (Schrey 2015: o.S.), was gegen die von Jameson vorgeworfene Oberflächlichkeit und Absenz bzw. Unmöglichkeit einer kritischen Distanz spräche.

Auch Hutcheon, die sich insbesondere mit der Rolle von Ironie in der Postmoderne befasst, beobachtet, dass sich Ironie und Nostalgie nicht mehr zwangsläufig gegenseitig ausschließen und erkennt eine Art Symbiose beider Phänomene in postmodernen Tendenzen:

In the postmodern, in other words, […] nostalgia itself gets both called up, exploited, and ironized. This is a complicated (and postmodernly paradoxical) move that is both an ironizing of nostalgia itself, of the very urge to look backward for authenticity, and, at the same moment, a sometimes shameless invoking of the visceral power that attends the fulfilment of that urge. (Hutcheon 1998: o.S:; Abs. 24)

Wenn Nostalgie also ironisierbar ist, erhält diese Zusammenkunft gleichzeitig die Fähigkeit, den nostalgischen Zustand und dadurch womöglich auch seine Quellen, Ursachen und die damit verbundenen, vergangenen Ereignisse kritisch zu betrachten, da Ironie immer bereits eine kritische Nuance in sich trägt. Durch die postmoderne Kombination von Ironie und Nostalgie werden laut Hutcheon (1998: o.S., Abs. 25) außerdem modernistische Ansprüche auf Authentizität und Originalität untergraben, was den Begriff der Historizität als allgemeine Illusion entlarvt, ohne jedoch die ästhetischen Werte und Errungenschaften der Moderne abzuwerten. […] irony and nostalgia are not qualities of objects; they are responses of subjects --active, emotionally- and intellectually-engaged subjects. The ironizing of nostalgia, in the very act of its invoking, may be one way the postmodern has of taking responsibility for such responses by creating a small part of the distance necessary for reflective thought about the present as well as the past. (Hutcheon 1998: o.S., Abs. 27)

Der Soziologe Fred Davis versucht 1979 in seiner Monographie, das Phänomen der Nostalgie durch eine Gliederung in drei Erscheinungsformen greifbar zu machen. Die erste davon, die er Simple Nostalgia nennt, ist die einfachste und oberflächlichste Art von Nostalgie, die der Redewendung der 'guten alten Zeiten' entsprechend die Vergangenheit in ein positives Licht rückt und ohne tiefgründigere, kritische Überlegungen in dieser guten Erinnerung schwelgt. Eine verbreitete Ausdrucksform dieser Art von Nostalgie findet sich in den zahlreichen Retro- Stilen – wie etwa in der Mode oder der Musik. Sie funktioniert jedoch nur so lange, bis der kulturelle bzw. historische Kontext oder die Ursache dieses nostalgischen Verhaltens näher beleuchtet werden, da dadurch bereits ein Prozess der Reflexion eingeleitet wird (vgl. Feyerabend 2009: 36 f.). Feyerabend (2009: 37) nennt dafür als Beispiele Filme wie American Graffiti oder Back to the Future (Robert Zemeckis, USA 1985). Diese Werke verhalten sich in der Tat auf den ersten Blick vorwiegend oberflächlich nostalgisch, zumal der erwähnte Retro-Stil hier faktisch sehr auffällig und bis dato prägend für ihre filmgeschichtliche Thematisierung ist. Dennoch ist es fraglich, ob die spezifische Darstellung im filmischen Medium als durchaus reflexives Medium nicht automatisch einen Diskurs eröffnet, der über diese simple Form von Nostalgie hinausgeht. Denn auch wenn ein Film selbst nicht explizit Fragen nach dem Ursprung oder dem Kontext dieser Retro-Stilistik stellt, offeriert er sie jedem Kritiker oder Zuschauer als Gegenstand der Interpretation. Jamesons Beschreibung postmoderner Nostalgie erinnert darüber hinaus an diese Simple Nostalgia.

Als Reflexive Nostalgia bezeichnet Davis die zweite Art von Nostalgie, die kritischere Gedanken mit dem nostalgischen Blick verbindet und die Erinnerung beispielsweise auf ihren Wahrheitsgehalt und ihre Angemessenheit hinterfragt. Diese Nostalgie-Form schließt auch die Frage ein, ob die Vergangenheit tatsächlich so positiv und erstrebenswert war, wie man sie in Erinnerung hat (vgl. Davis 1979: 21). Des Weiteren beschränkt sie sich nicht auf den Wunsch nach vergangenen und insbesondere ästhetischen Werten, sondern impliziert auch Zweifel über die zurückersehnten Wertevorstellungen sowie die Ursache dieser Nostalgie (vgl. Feyerabend 2009: 38 f.). Die dritte Ausdrucksform von Nostalgie wird von Davis Interpreted Nostalgia betitelt und hat einen stark analytischen Charakter, da die Erscheinung der Nostalgie selbst ergründet und problematisiert wird (vgl. Davis 1979: 24). Es handelt sich also um ein fortgeschrittenes, interpretatives Stadium, das bereits auf den anderen beiden Erscheinungsformen aufbaut und den Versuch einer Selbstanalyse bzw. Objektivierung durch die 'Betroffenen' beinhaltet, was laut Feyerabend (2009: 39) eine genuin postmoderne Eigenschaft ist.

Svetlana Boym nimmt ebenfalls eine begriffliche Einteilung der Nostalgie vor, unterscheidet jedoch nur zwei Tendenzen. Laut Boym (2001: 41) liegt der Fokus bei der ersten, die sie Restorative nostalgia nennt, auf dem Wortteil nostos, also der Heimkehr. Diese Art von Nostalgie strebt nach der originalgetreuen Rekonstruktion des Vergangenen, wobei vor allem die verlorene Heimat und damit das Nationale im Mittelpunkt steht. Die hier ersehnte Vergangenheit ist dabei ein ernstzunehmender Wert ohne Kritikpotenzial und konkret definierbar (vgl. Boym 2001: 49). Die zweite Tendenz, Reflective nostalgia, betont hingegen den hinteren Teil des Wortes, algia, also das Gefühl des schmerzlichen Verlustes selbst.5 Hier geht es mehr um die Sehnsucht nach einer anderen Zeit und einem anderen Ort und das Gefühl der Vergänglichkeit per se als um den bestimmten Gegenstand der Erinnerung (vgl. Boym 2001: 41). Da die individuelle Erinnerung hier einen höheren Stellenwert hat, als die Rückkehr an sich, handelt es sich bei dieser Art von Nostalgie weniger um den Versuch des Wiederaufbaus einer nationalen Vergangenheit, sondern mehr um den individuellen und kulturellen Erinnerungs prozess, der zudem auch ironischer Natur sein kann, während sich die Restorative nostalgia jeglicher Ironisierung entzieht (vgl. Boym 2001: 49).5

One type of nostalgia wants to recreate the original status quo, as if saying that culture, like nature, can forever experience eternal youth and newness; whereas the other wants to show–trough emphasis on the ruin–the transience of culture, of man-made artefacts, and–in the end–of man himself. (Feyerabend 2009: 40) Feyerabend (2009: 41 f.) selbst unterscheidet zwischen den Begriffen Nostalgia und Dystalgia, wobei ersterer sich eher auf das Positive der nostalgischen Erinnerung bezieht und damit das sweet in bittersweet hervorhebt, während Dystalgie die negative Seite dieser Vergangenheit betont und für das bitter in bittersweet steht. So postuliert die Autorin durch den Terminus der Dystalgie, dass man ein nostalgisches Verlangen auch für eine Erinnerung oder Zeit empfinden kann, die eher negativ geprägt ist. Damit gibt sie der ambivalenten Form von Nostalgie einen Namen, bei der nostalgische und negative oder sogar traumatische Erinnerung aufeinandertreffen (vgl. Hirsch/Spitzer 260 f.). Feyerabend (2009: 42) unterstreicht unter Bezugnahme auf Hirsch und Spitzer, dass diese Eigenart von Nostalgie nicht unbedingt nur negativ verklärend wirken muss, sondern auch eine Möglichkeit der Aufarbeitung und Selbstfindung für das dystalgische Individuum oder Kollektiv bieten kann, indem es sich durch die Nostalgie mit dieser Ambivalenz und seinen Traumata auseinandersetzt. „Dystalgia consists of memories which go hand in hand with happy memories for which we are nostalgic“ (Feyerabend 2009: 44). Im Umgang mit diesen negativen Erinnerungen wird oft Humor – in Form von Satire, Selbstironie oder auch Sarkasmus – eingesetzt (vgl. Feyerabend 2009: 44). Auch diese Verfahren dienen der kritischen Reflexion, von der beispielsweise Hutcheon im Zusammenhang mit Ironie spricht, wodurch auch indirekt Jamesons Aussage über ausdruckslose Pastiche als einziges postmodernes Stilmittel widerlegt wird.

Unter Berücksichtigung der soeben erläuterten Theorien, untersucht diese Arbeit Nostalgie im Folgenden zunächst als Rück- Blick, der immer mit der Ambivalenz des Terminus bittersüß verbunden ist und sich nicht zwangsläufig auf ein persönlich miterlebtes Ereignis beziehen muss. Wichtig ist an dieser Stelle Jamesons ausdrückliche Bezeichnung postmoderner Nostalgie als affektlos, welcher die Auffassung von Nostalgie als Emotion gegenübersteht (vgl. Armbruster 2016: 13). Während Autoren wie Jameson Nostalgie als 'mode' verstehen, also als eine Art stilistischer 'Modus', beharren andere wiederum auf dem Verständnis von Nostalgie als Emotion, das oft oppositär dazu als 'mood' bezeichnet wird (vgl. Grainge 2002: 21). Diese Arbeit nimmt nun eine Betrachtung beider Positionen vor, um das Phänomen im Kontext des vorliegenden Films tatsächlich begreifen zu können, da der 'mode' den 'mood' womöglich nicht ausschließen muss und umgekehrt, was auch Paul Grainge (2002: 36) erkennt, der sich für eine Vermittlung zwischen beiden Seiten ausspricht. Trotz der verklärenden Wirkung von Nostalgie oder gerade deshalb steht auch die Frage nach möglichen Anzeichen ironischer oder kritischer Reflexionen im Raum, die Jameson ebenfalls negiert. Sowohl die Makro- als auch die Mikroebene des Films sollten hier außerdem bedacht werden.

5. Der Ausdruck von Nostalgie in The Grand Budapest Hotel

5.1 Nostalgie auf stilistischer Ebene und Nostalgia Mode

5.1.1 Kamera und Mise-en-scène

Die omnipräsente Symmetrie ist eines der wohl markantesten Stilmittel in Andersons Filmen und auch im vorliegenden Kontext ein wichtiger Aspekt, da durch diese symmetrische Mise-en-scène fast alle Filmstills wie Gemälde wirken. Ein Beispiel dafür ist die erste Einstellung von Monsieur Gustave, in der man ihn mit dem Rücken zur Kamera auf einem Balkon des Hotels in die verschneite Umgebung blicken sieht, wobei das Bild links und rechts von den Flügeln der Balkontür und den beiden Teilen des Vorhangs eingerahmt ist. Durch die Lichtsetzung und den farblichen Kontrast zur hellen Winterlandschaft kommt seine Gestalt fast einer gemalten Silhouette gleich, passend zum malerischen Umfeld (vgl. TC 0:09:25).

Generell kann man feststellen, dass TGBH im Gegensatz zu Andersons früheren Werken deutlich mehr statische Einstellungen aufweist, durch deren Montage der Film seine Dynamik erhält (vgl. Lee 2016: 431). Gerade das Statische unterstützt die 'malerische' bzw. artifizielle Wirkung jedes einzelnen Filmbildes und lässt die Sichtung des Films auf rein visueller Ebene beinahe wie einen virtuellen Gang durch ein Museum wirken, mit dem einzigen Unterschied, dass die Bilder auf den zweiten Blick eigentlich gar keine Museumsobjekte sein können, da sie keiner 'realen', extradiegetischen Vergangenheit entstammen.

Die für Anderson prägnanten Tableau Shots, für welche die bereits genannte Symmetrie sowie die anamorphen Weitwinkelobjektive ideale Voraussetzungen bieten, haben ebenfalls eine nostalgische Wirkung, indem sie an die Tableaux Vivants erinnern, die besonders im 19. Jahrhundert beliebt waren. Dabei wurden meist Mythologien oder Gemälde durch verkleidete Personen wie in einem dreidimensionalen Bild nachgestellt (vgl. Hüningen 2012: o.S.). Diese Tableaus wurden nicht nur in der Fotografie aufgegriffen, sie kamen auch besonders im frühen Kino Anfang des 20. Jahrhunderts zur Anwendung (vgl. Horak 2011: o.S.). Laut Michelle Langford (2006: 96) lenkt eine Tableau- Einstellung den Fokus automatisch auf den Rahmen – also die Begrenzung des Bildes – und betont damit implizit auf selbstreferenzielle Weise den inszenierten Charakter der Szene. Das Tableau eignet sich demnach als genuin postmodernes Verfahren sowie – aufgrund seiner langen Tradition – gleichsam als nostalgisches Stilmerkmal. So handelt es sich bei den Tableau Shots sogar um einen mehrfachen Rückbezug, da die Filme und Fotografien wiederum auf die Tableaux Vivants Bezug nehmen und diese wiederum auf frühere Malereien. Eine der markantesten Einstellungen dieser Art in TGBH bietet die Szene im Aufzug, welcher durch seine quadratische Form und die in intensivem Rot gefärbten Wände die Anordnung der Figuren hervorhebt. Während der Liftboy vorne links am Hebel steht, sitzen Madame D. und Monsieur Gustave in der Mitte des Aufzugs auf der rechten Bildseite nebeneinander und Zero steht weiter hinten mittig bis links, sodass ein authentischer Tableau Vivant-Effekt erzielt wird. Dabei ist die Kleidung der Figuren in ebenso gesättigten Farben gehalten wie das Rot des Aufzugs, was den artifiziellen Charakter des Bildes unterstützt. Gerade durch die akribische Komposition dieser Einstellung, die frontale Position oder 'Auslieferung' der Darsteller zur Kamera wie in einem Guckkasten und die darin enthaltene, selbstreflexive Erkenntnis über ihre Künstlichkeit, erzielt der Tableau Shot unwillkürlich eine komisch- parodistische Wirkung (vgl. TC 0:10:50).

Des Weiteren wird Andersons besonderes Faible für Literatur in diesem Film aufgegriffen (vgl. Browning 2011: 115). Die spezifische Verwendung von Schriftlichkeit in seinem Werk kann nicht nur als intermedial und somit als postmodernes Verfahren gesehen werden, sondern lässt sich auch als Nostalgie-Objekt begreifen, zumal zahlreiche Gegenstände wie handgeschriebene Briefe, Pässe oder Karten eigens für den Film im antiquierten Stil angefertigt wurden und dadurch genau auf die Art von Schriftlichkeit hinweisen, die heutzutage immer mehr verloren geht und mit der zunehmenden Digitalisierung bereits als 'antik' oder unnötig gilt. Wie die Grafikdesignerin Annie Atkins bestätigt, wurde zum Beispiel sehr darauf geachtet, dass sich die Schriftobjekte zugleich an Wes Andersons persönlichen Filmstil und an die dargestellte Zeit assimilieren, indem Schreibmaschinen aus den 1930er Jahren oder die Typographie eines Hotels aus derselben Epoche in Kairo verwendet wurden (vgl. Burgoyne 2014: o.S.).

Für TGBH wurden allein drei verschiedene Zeitungen im Stil der 1930er bis 1950er Jahre entworfen, mit den Namen Trans-Alpine Yodel, The Continental Drift und Daily Fact, wobei in der Zeitungsausgabe von 1936 , kurz nach Kriegsende, vom „Free Lutz Underground“, in der zweiten aus dem Jahr 1940 vom „Free Europa“ gesprochen wird und die dritte von 1950 bereits im kommunistischen Stil verfasst ist, da beispielsweise Lutz nun „Lutzgrad“ genannt wird und der kommunistische Stern zum Logo der Zeitung gehört (vgl. TC 0:05:13–0:05:18). Dies zeigt, wie detailliert bereits in typographischer Hinsicht gearbeitet wurde, um den Retro-Stil zu konstruieren. In Bezug auf das Literarische sind außerdem „storys coming to life from books“ (Carew 2015: 65) typisch für Anderson-Filme, was auch hier weitergeführt wird, da das Mädchen auf dem Friedhof in Lutz, in der ersten Erzählebene des Films, das gleichnamige Buch The Grand Budapest Hotel in der Hand hält, auf dessen Rückseite das schwarz-weiße Foto des inzwischen verstorbenen Autors zu sehen ist, der wiederum in der nächsten Sequenz – und damit in der nächsten Ebene – in Farbe dargestellt zu erzählen beginnt (vgl. TC 0:01:43). Dabei handelt es sich zudem um eine Mise en abyme bzw. Metalepse, die durch ihre Autoreflexivität eine der zahlreichen postmodernen Strukturen dieses Films ist.6

Eine wesentliche Eigenart des vorliegenden Films ist auch das Bildformat, welches sich analog zum zeitlichen Rahmen ändert. So kommt das moderne amerikanische Breitwandformat 1,85:1 für die ersten beiden Erzählebenen zum Einsatz, also für die Zeit ab 1985. Das anamorphe 2,40:1 Breitwandformat, das als visuelles Zeichen für CinemaScope gilt und in den 1960er Jahren besonders populär war, wurde für die dritte Erzählebene im Jahr 1968 verwendet. Die letzte Erzählebene um das Jahr 1932, also der Kern der Geschichte, wurde im Format 4:3 der klassischen Filmära der 1930er Jahre – wie etwa bei Ernst Lubitsch – gedreht (vgl. Bordwell 2015: 246 f.). So wird der Nostalgia Mode durch die Adaptierung des Formats an die jeweilige Zeit und damit auch durch Intertextualität hinsichtlich formaler Entwicklungen der Filmgeschichte unterstrichen.

Auch die Farbtöne, in denen die Bilder während der einzelnen Zeitperioden gehalten sind, erinnern jeweils an den Stil dieser vergangenen Jahrzehnte und passen sich an die Ereignisse und die Grundstimmung des Films während dieser Zeitabschnitte an. So ist das Filmbild vor allem während der anfänglichen Darstellung des Hotels in seiner Blütezeit in rosa gefärbt, als sähe man die Erinnerung an diese opulente Ära durch eine 'rosarote Brille', wodurch sich diese Färbung insgesamt an die nostalgische Stilisierung anpasst (vgl. TC 0:02:50–0:03:21). Dagegen findet man in den Einstellungen im Jahr 1968 überwiegend orange-braune Farbtöne, wie sie in den 1960er und 1970er Jahren verbreitet waren, sowohl an der Außenansicht des Hotels und der herbstlichen Einfärbung der Bäume im Hintergrund als auch am Interieur des Hotels, zum Beispiel am Dekor der Lobby und des Speisesaals (vgl. TC 0:03:22–0:06:24).

Unzählige Details wie Kleidung, Einrichtung oder Fortbewegungsmittel spiegeln ebenfalls diesen 'Retro-Look' wider. Beispiele dafür wären der alte deutsche Zigarettenautomat in der Lobby (vgl. TC 0:03:42), die gestreifte Häftlingskleidung (vgl. TC 0:45:00), der für Monsieur Gustave unentbehrliche Flakon seines Lieblingsparfums L'Air de Panache (vgl. TC 0:16:32), die Standseilbahn (vgl. TC 0:03:58), das Dreißigerjahre-Motorrad (vgl. TC 1:12:58) sowie das antiquierte Spa, das an arabische Hamams in Andalusien oder an osteuropäische Thermalbäder erinnert, zum Beispiel an das im Jugendstil erbaute Budapester Gellért-Bad (vgl. TC 0:03:55), um nur einen Bruchteil dieser Details zu erwähnen.

[...]


1 Der Filmtitel wird im Folgenden mit TGBH abgekürzt.

2 Als einige dieser Krisen lassen sich der Kalte Krieg, der Vietnamkrieg, der Klimawandel und der 11. September 2001 nennen (vgl. Feyerabend 2009: 50).

3 Pastiche lässt sich allgemein und wertungsfrei als Nachbildung und/oder Mischung unterschiedlicher Stile definieren, ohne sie zu ironisieren oder einen dieser Stile für sich zu beanspruchen (vgl. Wulff 2012: o.S.). Jameson 1993: 94).

4 Unter Nostalgie-Filmen versteht Jameson in einem Retro-Stil inszenierte Filme, die sich in einer – nicht genau definierten

5 Hier muss beachtet werden, dass die Reflective nostalgia nach Boym nicht mit der Reflexive Nostalgia nach Davis gleichzusetzen ist, da es sich um zwei verschiedene Ansätze handelt, auch wenn beide mit dem Begriff der Reflexion arbeiten.

6 TGBH weist eine außergewöhnliche Abundanz stilistischer Eigenschaften auf, die im Rahmen dieser Arbeit nicht alle aufgeführt werden können. Hier soll nur eine Auswahl der wichtigsten Attribute genannt werden, die gemäß der zuvor erfolgten Definitionen sowohl als postmoderne als auch nostalgische Stilelemente verstanden werden können. Für eine ausführlichere stilistische Charakterisierung seines Werks vgl. u.a. Zoller Seitz 2015.

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Das Phänomen filmischer Nostalgie in "The Grand Budapest Hotel" (2014)
Untertitel
Ein postmodernes Paradox zwischen Rückwendung und Innovation
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
33
Katalognummer
V932871
ISBN (eBook)
9783346260079
ISBN (Buch)
9783346260086
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wes Anderson, The Grand Budapest Hotel, Nostalgie, Postmoderne, Filmische Nostalgie, Filmwissenschaft, Filmanalyse
Arbeit zitieren
Janina Isabel Weida (Autor:in), 2017, Das Phänomen filmischer Nostalgie in "The Grand Budapest Hotel" (2014), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/932871

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