Parteienherrschaft und Klientelismus: Herrschaftsstrukturen und Mechanismen der politischen Integration


Seminararbeit, 2002

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Clientelismo - eine Einführung

2. Caudilloherrschaft - Grundlage für klientelistische Strukturen

3. Die demokratischen Parteien und Klientelismus
3.1 Partidocracia - Entwicklung der Zwei-Parteien-Herrschaft
3.2 Einflussnahme der Parteien auf die öffentliche Verwaltung
3.3 Das CEN - Verkörperung der zentralistischen Parteiführung
3.4 Klientelistische Strukturen auf wirtschaftlicher Ebene

4. Abschließende Zusammenfassung

Literatur

Partidocracia y Clientelismo:

Herrschaftsstrukturen und Mechanismen der politischen Integration

Was ist Klientelismus und wie konnte es zu klientelistischen Strukturen in der venezolanischen Gesellschaft kommen? Diese Hausarbeit soll aufzeigen, warum sich in Venezuela klientelistische Beziehungen herausbilden konnten und in welcher Form sie sich bemerkbar machten.

Dazu soll zunächst der Begriff Klientelismus an sich näher definiert werden. Weiter möchte ich einen historischen Rückblick auf die soziale Entwicklung, sprich die gesellschaftliche Struktur Venezuelas von Beginn des 19. Jahrhunderts an bis hin zum Beginn der paktierten Demokratie im Jahre 1958, nach dem Sturz des Diktators Pérez Jiménez, geben. Dieser historische Ausflug ist besonders wichtig, um die Fortexistenz von klientelistischen Wesensmerkmalen im demokratischen Venezuela zu verstehen, respektive warum schließlich nach dem Ölboom von 1974 nahezu jede Art von gesellschaftlicher Aktivität in irgendeiner Weise klientelistisch geprägt war. Anschließend soll aufgezeigt werden welche Rolle die Parteien dabei spielten. Dazu wird zuerst die Entwicklung der venezolanische Parteienlandschaft nach 1958, hin zum sog. Bipartismo (Zweiparteienherrschaft), aufgezeigt, um dann die Rolle der Parteien, in Bezug auf klientelistische Strukturen, sowohl innerhalb der öffentlichen Verwaltung, als auch in der Wirtschaft darzustellen.

1. Clientelismo - eine Einführung

Definition Klientelismus:

Informelle Beziehung zwischen zwei Personen bzw. Gruppen, die eine ungleiche soziale Stellung einnehmen, nämlich zwischen Patron und Klient. Der Patron gewährt dem Klienten Schutz und Zugang zu knappen Ressourcen (Land, Recht, staatliche Dienstleistungen etc.), während der Klient formal freiwillig dem Patron politische Unterst ü tzung, Arbeitskraft etc. zur Verf ü gung stellt. Klientelismus geht mit einer paternalistischen, personenbezogenen Kultur einher und funktioniert in Kontexten, in denen formale Institutionen (Landmarkt, Rechtssicherheit, Verfahren in Organisationen) wenig etabliert sind. Vertikale Beziehungen sind enger als horizontale Beziehungen.[1]

Das Verhältnis zwischen Parteien und der Bevölkerung, sprich die Parteibindung, wurde in Venezuela in hohem Maße durch den Klientelismus geprägt. Parteien dienten dabei den Wählern als Instrument zur Erlangung von Einzelleistungen, die als Gegenleistung für Wählerstimmen oder die Unterstützung im Wahlkampf von lokalen Politikern erbracht wurden. Die Stabilität von langfristigen Klientelbeziehungen hing dabei von der Fähigkeit der Parteien ab, die eigene Wählerklientel zu befriedigen und damit auch von deren Möglichkeiten, Einfluss auf die öffentliche Verwaltung und die Verteilung staatlicher Gelder zu nehmen.

2. Caudilloherrschaft - Grundlage für den venezolanischen Klientelismus

Klientelistische Strukturen haben in Venezuela eine lange historische Tradition. Das politische System, welches die politische Kultur Venezuelas bis 1958 prägte, die Caudillaje, bestand in Venezuela länger als in anderen Länder Lateinamerikas. Die Caudillaje verkörperte einen besonderen Typus des autoritären Regierungssystems. Caudilos waren regionale Anführer bewaffneter Milizen der Unabhängigkeits- und Bürgerkriege, die, oft selbst aus den Unterschichten stammend, über militärische Erfolge den Aufstieg in die Oberschicht vollzogen. Bis dahin hatten die Criollos, reinrassige Nachkommen von spanischen Einwanderern über Land und Wirtschaft geherrscht. Schon unter dieser Criollo-Herrschaft war die Gesellschaft nach patr ó n- clientela-Beziehungen organisiert, wobei Mestizen und Indianer sich stets in abhängiger Stellung befanden.

Progreso e ordem “ war, im Gegensatz zu dem als anarchisch bezeichneten System der Criollos, das Credo der Caudillos. Durch Plünderungen erlangten die Caudillos mit ihren Banden in kurzer Zeit Reichtum. Der Erfolg der Caudillos in dem Bemühen, die Loyalität ihrer Banden zu sichern, hing weitgehend ab von ihrer Fähigkeit, persönliche Bindungen zu ihren Gefolgsleuten aufzubauen und sie in erfolgreiche Beutezüge zu führen. Auf diesem Wege entstanden neue patrón-clientela-Beziehungen basierend auf persönlichen Herrschaftsverbindungen und Unterordnungen. Der Verteilung der Pfründe kam ergo ein entscheidender Faktor zur Sicherung der Loyalität zu. Durch das von den Caudillos praktizierte paternalistische Klientel-System wurden jene als personalistische, charismatische Führer betrachtet.

Mit dem Beginn der Erdölförderung im Jahre 1920, unter der Diktatur von General Juan Vicente Gómez, kam es zwar zu wirtschaftlichem Wachstum, die Gewinne aus dem Erdölexport flossen allerdings primär dem Staat zu. „Das traditionelle patrón-clientela- Verhältnis blieb so außerordentlich stark, wobei die Regierung und die vielen halbstaatlichen Institutionen jetzt die Rolle des nationalen Patron spielten. Dasselbe paternalistische clientela System besteht weiterhin, nunmehr in einer neuen und modernen Form.“[2]

Auch während des Trienios, dem ersten Versuch einer „demokratischen Revolution“ in Venezuela in den Jahren 1945-1948 war der Eindruck einer scheinbar gestiegenen Partizipation der Bevölkerung nicht verbunden mit der Erwartung, eigene Interessen politisch effizient durchsetzen zu können. Es wurden lediglich die hierarchisch paternalistischen autoritären Strukturen der Caudillo-Herrschaft durch die vom Staat unterstützten und offiziell organisierten Gewerkschaften, Parteien, Bauernverbände, berufsständischen Organisationen etc. auf eine formal demokratisch organisierte Geselschaft übertragen. „Demokratie mag zwar übernommen werden, aber sie nimmt die Form einer von oben geführten Demokratie an. Das Staatssystem fundiert auf einer Struktur aus institutionalisierten Bewegungen der Bevölkerung.“[3] Diese Schein- Revolution von oben ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass es in Venezuela nicht zu einer Änderung des Verhaltens in der Gesellschaft kam und dass auch nach dem Sturz von Pérez Jiménez 1958 mit Beginn der Demokratisierung Venezuelas in der Organisation der Parteien und der Interessenverbände weiterhin die traditionelle paternalistische Verknüpfung von Staat und Gesellschaft festzustellen war.

Die demokratisch gewählten Präsidenten Venezuelas in den sechziger und siebziger Jahren wurden so gemessen am Vorstellungsbild der Caudillos. „Starke politische Führung, die notfalls Gewalt anwendet gegenüber out-groups, und Patronage und Nepotismus für die eigene Gruppe sind Forderungen an den demokratischen Präsidenten, wie sie der Venezolaner gewohnt war von seinen kleinen regionalen Caudillos und den großen nationalen autoritären Diktatoren.“[4] Ebenso wurde von den demokratischen Präsidenten die Pfründeverteilung nach der Machtübernahme erwartet. Dies wurde zum Beispiel bei der Machtübernahme Calderas 1969 deutlich, als seine Gefolgsleute die Neubelegung der öffentlichen Verwaltung aus eigenen Reihen forderten. Caldera kam dieser Forderung jedoch nicht nach, was eine vorübergehende Schwächung seiner persönlichen Führerschaft und eine innerparteiliche Desintegration zur Folge hatte.

So wurde zwar mit dem Sturz von Pérez Jiménez 1958 der letzte moderne Caudillo ins Exil verbannt, aber in der sozialen und politischen Realität wirkte weiterhin das Vorbild des starken und guten, „progreso e ordem“ verkörpernden Präsidenten, wie die Caudillos sie darstellten, sprich die Caudillo-Tradition fügte sich dabei nahtlos in die patrimonialistische Prägung der Gesellschaft. Jenes patrimonialistische Erbe der iberoamerikanischen Gesellschaft kann als verantwortlich für die besonders starke Personalisierung der Politik im demokratischen Venezuela (ab 1958) gesehen werden. Lokale caudillos, sprich Politiker auf regionaler Ebene prägten dabei persönlich vermittelte Klientelbeziehungen, während die nationalen caudillos, gemeint sind die Führungskräfte der Parteien, jene als Identifikationsfiguren repräsentierten, wobei dies für das Selbstverständnis der Parteien oftmals wichtiger war als die Formulierung politischer Positionen. Folglich kann man die Parteien nicht mehr als Repräsentanten aggregierter Interessen betrachten. Einzelne regionale Politiker nahmen so eine Art Vermittlerrolle individueller Interessen ein. Die Legitimation der Parteien „beruht dabei auf der Befriedigung klientelärer Interessen und dem Ausgleich zwischen den Interessen aller relevanten politischen und wirtschaftlichen Eliten.[...]Eine derartige Personalisierung der Politik führt dabei zwangsläufig zu einem vertikal strukturierten Verhältnis zwischen Wählern und Parteien, da für die Frage, ob eine bestimmte Partei bzw. ihr Kandidat gewählt wird, die Beziehung zwischen zwei Individuen entscheidend ist, die in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen.“ [5] Es kommt dabei zu einem Austauschverhältnis zwischen Wähler und Politiker, in dem ersterer seine Stimme gegen Leistung eintauscht. Wolfram Schulz spricht in diesem Zusammenhang von einer „Privatisierung des Staates“.

Parteibindung erfolgte somit auf Basis einer Personalisierung der Patronage. „Der Wechsel der Person des Präsidenten und der regierenden Partei löst wie in der Caudillozeit sehr schnell einen Bandwagon-Effekt aus, entsprechend dem die Anhänger der bisherigen politischen Führung überwechseln zur neuen Führung, weil sie sich dort erneute Patronage als Belohnung für treue Gefolgschaft erhoffen.“[6] Hohe Raten der Wählerfluktuation zwischen den Parteien sind eine Folge dieser Patronagebeziehungen.

3. Die demokratischen Parteien und Klientelismus

3.1 Partidocracia - Entwicklung der Zwei-Parteien-Herrschaft

Die Entstehung der politischen Parteien in Venezuela findet seinen Ursprung in studentischen Protestbewegungen gegen die Caudillo-Herrschaft in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die beiden ersten Parteien, die Accion Democrática (AD) und die Partido Comunista de Venezuela (PCV) wurden allerdings erst im Jahre 1941 offiziell anerkannt. 1946 folgte die Christlich Demokratische Partei (COPEI). Desweiteren ging die Union Republicana Democrática (URD) aus einer Abspaltung von der AD hervor.

Diese vier Parteien AD, COPEI, URD und PCV bildeten den Kern des venezolanischen Parteiensystems. „All but the last of these negotiated the „Pacto de Punto Fijo“ in1958, which pledged a mutual commitment to democracy and to a common set of principles. This obligated the signatories to a long-term policy assuring a responsible democratic process. The political truce was designed to diminish partisanship and to avoid violence.”[7] Die vereinbarte Konsolidierung demokratischer Prinzipien sollte „erreicht werden durch das Bekenntnis zu gegenseitigem Respekt und Kooperation.“[8]

[...]


[1] Suter, Christian 1999: Gute und schlechte Regime: Staat und Politik Lateinamerikas zwischen globaler Ökonomie und nationaler Gesellschaft <http://www.unimuenster.de/GeschichtePhilosophie/Geschichte/ hist-sem/SW-G/Scripte/Latein/S08KatPolSoz1.htm>

[2] Wiarda, Howard J. 1971: Toward a framework for the study of political change in the Iberic-Latin tradition, S. 10

[3] Wiarda Howard J. 1971: Toward a ..., S.11

[4] Rabeneick, Manfred 1978: Das venezolanische Regierungssystem zwischen Caudilloherrschaft und Instabilität, S. 32

[5] Schulz, Wolfram 1997: Parteisystem und Wahlverhalten in Venezuela: Entstehung und Verfall eines Zweiparteiensystems, S. 33

[6] Rabeneick, Manfred 1978: Das venezolanische ... S. 54

[7] Martz, John D. 1995: Political Parties and the Democratic Crisis. in: Goodman u.a. (Hrsg.): Lessons of the Venezuelan Experience, Washington etc., S. 33

[8] Maihold, Günter 1988: 30 Jahre Demokratie in Venezuela - ein Modell für Lateinamerika? in: Sevilla (Hrsg.): Venezuela - Kultur- und Entwicklungsprobleme eines OPEC-Landes in Südamerika, S. 81

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Parteienherrschaft und Klientelismus: Herrschaftsstrukturen und Mechanismen der politischen Integration
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Das politische System Venezuelas
Note
1,7
Autor
Jahr
2002
Seiten
17
Katalognummer
V9320
ISBN (eBook)
9783638160520
ISBN (Buch)
9783638746458
Dateigröße
1058 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Parteienherrschaft, Klientelismus, Herrschaftsstrukturen, Mechanismen, Integration, System, Venezuelas
Arbeit zitieren
Marc Berger (Autor:in), 2002, Parteienherrschaft und Klientelismus: Herrschaftsstrukturen und Mechanismen der politischen Integration, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/9320

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