Die Soziologie Theodor Geigers - Bedeutung und Rezeption


Hausarbeit, 2008

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Biographie und Werk – ein kurzer Abriss

3. Weimarer Republik – „Neue Sachlichkeit“ vs. Kulturkritik
3.1. Kulturpessimismus und die „soziale Frage“
3.2. „Gemeinschaftssoziologie“
3.3. Methoden und Arbeitsfelder

4. 1933-1945: Zwischen Anpassung oder Exil

5. Bundesrepublik Deutschland
5.1. Phase der Restauration
5.2. Vom Neomarxismus in die Gegenwart

6. Fazit

7. Quellen

1. Einleitung

Theodor Geiger ist „… ein Wanderer zwischen den Welten, den Disziplinen, immer marginal, eher geduldet als geachtet.“[1]

Die vorliegende Arbeit versucht zu klären, ob dieses Urteil zutreffend ist – und wenn ja, warum ein Soziologe mit einem derart vielfältigen Werk einen solchen Satz verdient. Fest steht, dass, gemessen an der Menge von Rezensionen und Zitaten, Theodor Geiger kein Riese der Soziologenzunft zu sein scheint.[2] Und trotzdem ist ihm in Dirk Kaeslers Überblickswerk „Klassiker der Soziologie“ ein Platz neben den ganz Großen vergönnt, neben Auguste Comte, Karl Marx, Max Weber, Georg Simmel oder Norbert Elias.[3] In der Sekundärliteratur taucht Geiger mal als Marxist, mal als Liberaler oder Positivist auf – und zwar immer mit einer gewissen Berechtigung.[4]

Wenn im Folgenden von Rezeption und Bedeutung von Geigers Werk die Rede ist, so beschränken sich diese Aussagen immer auf den deutschen Raum. Die Wirkung, die er zweifelsohne in anderen Ländern hatte und hat – ganz besonders in seiner Wahlheimat Dänemark – verdient eigentlich eine eigene Untersuchung. Auch die ausführliche Vorstellung seiner Soziologie (oder besser Soziologien) verbietet sich von selbst; ein solches Unterfangen würde schlicht den Rahmen der Arbeit sprengen. Stattdessen soll in einem sehr knappen Abriss ein Überblick gegeben werden.

Danach werden Rezeption und Beurteilung des Geigerschen Schaffens in den verschiedenen Zeitabschnitten der deutschen Soziologie beleuchtet. Da die Meinung des Fachpublikums immer eng verbunden ist mit den jeweils vorherrschenden Tendenzen und Sichtweisen, ist dies zugleich eine Arbeit über die deutsche Soziologiegeschichte – und einen ihrer Vertreter, der meist zwischen den Stühlen saß.

Bei der Untergliederung des zu untersuchenden Zeitraums habe ich mich stark an Thomas Meyers „Die Soziologie Theodor Geigers. Emanzipation von der Ideologie“ orientiert, das mir überhaupt eine große Hilfe war.

Die für mich prägnanteste Aussage zu Geiger stammt von Heinrich Popitz: „Inhaltlich besteht seine Eigenart – gerade unter den deutschen Soziologen seiner Generation – darin, dass er ein von Grund auf politischer Soziologe ist… Es sind politische Fragen, die ihn treiben… Selbstverständlich ist auch das provokante Bekenntnis zu einem theoretischen und praktischen Wertnihilismus eine politische These, eine These zur erhofften neuen Phase der Aufklärung.“[5] [Unterstreichungen im Original]

2. Biographie und Werk - ein kurzer Abriss

Theodor Geiger wurde am 9. November 1891 in München als Sohn eines Gymnasialprofessors geboren[6] und gehörte damit „… in die Generation der zwei Weltkriege und der zeitgenössischen - von so unterschiedlichen Ideologien getragenen – revolutionären Bewegungen.“[7] Im Sommer 1914 bestand er die Universitätsabschlussprüfung in Rechts- und Staatswissenschaften. Noch im August desselben Jahres meldete er sich freiwillig zur Front, wurde im Oktober in Frankreich verwundet und versah danach Militärverwaltungsdienst. 1919 promovierte er im Fach Jura und zog nach Berlin, wo er sich mit Begeisterung als Dozent und Leiter der Volkshochschule Groß-Berlin betätigte.[8] 1922 trat er in die SPD ein, der er bis 1932 angehörte. Dabei war sein Verhältnis zum Marxismus, den er als zu dogmatisch empfand, zunehmend kritisch.[9]

Mit der international beachteten Studie „Die Masse und ihre Aktion“ von 1926 gelang dem autodidaktischen Soziologen der Durchbruch. Durch Empfehlung von Alfred Vierkandt und Ferdinand Tönnies wurde er 1928 auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Soziologie an der Technischen Universität Braunschweig berufen, wo er sich vornehmlich mit der „sozialen Frage“ und ihrer politischen Relevanz befasste. 1932 legte er den Klassiker „Die soziale Schichtung des deutschen Volkes“ vor. Trotz dieser Leistung wurde er als erklärter Gegner des Nationalsozialismus 1933 aus dem Staatsdienst entlassen und emigrierte nach Dänemark, wo er bis zu seinem Tod lebte und arbeitete – er verfasste seine Exilwerke in dänischer Sprache und leistete einen entscheidenden Beitrag zur Etablierung der Soziologie in Dänemark. 1938 erhielt er einen Ruf an die Universität Aarhus.

1943, nach dem Überfall Hitlers auf Dänemark, entkam er mit seiner Familie knapp nach Schweden. In Lund und Uppsala hielt er Vorträge, kehrte nach Kriegsende jedoch nach Aarhus zurück. Am 16. Juni 1952 verstarb er überraschend während der Rückreise von einer Vortragsreise in den USA.[10]

„Ein markanter Zug des Geigerschen Werkes ist die Vielfalt der bearbeiteten Themenbereiche. Die kräftigsten Spuren haben zweifelsohne seine Studien zur Klassen- und Schichtstruktur, zur sozialen Mobilität und zur Rechtssoziologie hinterlassen, die auch das Zentrum seines Schaffens ausmachen. Zwei andere wichtige Schwerpunkte bilden die Ideologiekritik und die Demokratieproblematik.“[11] Daneben befasste er sich mit Intelligenz, Erziehung, Masse, Werbung und Propaganda sowie Erbpflege. Sein gesamtes Werk – aber ganz besonders die Veröffentlichungen nach seiner Emigration - sind deutlich geprägt von Wertnihilismus, der Aufklärung, der Parteinahme für die sozial Schwachen und der Abneigung gegen Dogmen jeglicher Art.[12] Seine kritisch-analytische Haltung machte ihn zum entschiedenen Gegner von „Romantisierungen“ aller Art.[13]

3. Weimarer Republik – „Neue Sachlichkeit“ vs. Kulturkritik

3.1. Kulturpessimismus und die „soziale Frage“

Besonders in der frühen deutschen Soziologie hat Theodor Geiger wenig Spuren hinterlassen, obwohl er in der Weimarer Republik immerhin einen von nur sechs rein soziologischen Lehrstühlen innehatte – ein Umstand, der laut Meyer eher seiner langjährigen SPD-Mitgliedschaft denn seiner Stellung in der wissenschaftlichen Gemeinde zugeschrieben werden kann.[14]

Diesen Befund bestätigt auch Klaus Rodax (der allerdings für das Wintersemester 1932/1933 nur fünf soziologische Lehrstühle angibt). Er verweist auf die Gespräche des amerikanischen Soziologen Earle Edward Eubank, der im Sommer 1934 neun Kollegen aus Deutschland und Österreich befragte.[15] „In der Reihenfolge der Besuche Eubanks sind dies: Franz Oppenheimer, Alfred Vierkandt, Ferdinand Tönnies, Werner Sombart, Hans Freyer, Othmar Spann, Alfred Weber, Erich Voegelin und Leopold von der Wiese, die – mit Ausnahme Voegelins – als Soziologen von herausgehobener Bedeutung in jener Zeit angesehen werden. In ihren Antworten auf Eubanks Frage nach den Bezugs- „Klassikern“ der Soziologie äußern sie sich teilweise recht ausführlich…“[16] Das Ergebnis war deutlich: Allen voran wurde Max Weber als bedeutende Einflussgröße betrachtet, auch die Namen Georg Simmel und Ferdinand Tönnies fielen häufiger – Geigers Name dagegen wurde nur von Ferdinand Tönnies genannt.[17]

Ein eher institutioneller Grund für diesen Umstand war, dass die Technische Hochschule in Braunschweig im Gegensatz zu Berlin, Leipzig, Heidelberg, Köln oder Frankfurt am Main kein Zentrum der soziologischen Forschung war, und dass Geiger nicht bei den Soziologentagen mitwirkte.[18]

Rodax gibt allerdings zu bedenken, dass „… Geiger erst gegen Ende der zwanziger Jahre ins akademische Hochschullehramt berufen wird, also noch zu jung ist, um zu den „Machern“ der Soziologie zu gehören und aus diesem Grund noch zu wenig Zeit hatte, sich nachhaltig wissenschaftlich zu empfehlen.“[19] Geiger gehörte nicht zur „Gründergeneration“ der Soziologie in Deutschland, die mit Männern wie Georg Simmel oder Max Weber das 19. Jahrhundert und die Wende zum 20. repräsentierte; er war eher ein geistiger „Urenkel“ dieser berühmten Akademiker.

Geiger und seine Altersgenossen waren stark geprägt sowohl von biographischen als auch wissenschaftlichen Brüchen – ihr Denken wurde in hohem Maße durch den Ersten Weltkrieg und die nachfolgende Revolution von 1918 beeinflusst.[20] Die politisch-kulturelle Welt des Bildungsbürgertums war zusammengebrochen, und ein Resultat dieser umwälzenden Veränderungen war ein „Geist neuer Sachlichkeit“[21], der wenig Raum für Romantik, Fortschrittsgläubigkeit und theologische Verklärung ließ – und damit den Blick frei machte für die originäre Aufgabe der Soziologie: die wissenschaftlich-nüchterne Erklärung der sozialen Wirklichkeit.[22]

[...]


[1] Kaesler, Dirk: „Spilt Milk, oder: Wenn das Wörtchen wenn nicht wär… (Essay über: Theodor Geiger: Soziologe in einer Zeit zwischen Pathos und Nüchternheit)“, in: Soziologische Revue 20, 1997, Seite 32; zitiert nach: Meyer, Thomas, Seite 13.

[2] Vgl. ebd., Seite 11.

[3] Vgl. Kaesler, Dirk, Seite 5.

[4] Vgl. Meyer, Thomas, Seite 13.

[5] Popitz, Heinrich, Seite 108.

[6] Vgl. Geißler, Rainer; Meyer, Thomas; Seite 278.

[7] Bachmann, Siegfried, Seite 22.

[8] Vgl. ebd., Seite 23-27.

[9] Vgl. Rodax, Klaus, Seite 134.

[10] Vgl. Geißler, Rainer; Meyer, Thomas; Seite279-281.

[11] Ebd., Seite 281f.

[12] Vgl. ebd., Seite 282.

[13] Vgl. Knospe, Horst, Seite 141.

[14] Vgl. Meyer, Thomas, Seite 11.

[15] Vgl. Rodax, Klaus, Seite 109-111.

[16] Ebd., Seite 111.

[17] Vgl. ebd., Seite 113.

[18] Vgl. ebd., Seite 116f.

[19] Ebd., Seite 113.

[20] Vgl. Kaesler, Dirk, Seite 472.

[21] Kaesler, Dirk, Seite 473.

[22] Vgl. ebd.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Soziologie Theodor Geigers - Bedeutung und Rezeption
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut für Soziologie)
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
17
Katalognummer
V92996
ISBN (eBook)
9783638067003
Dateigröße
389 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Soziologie, Theodor, Geigers, Bedeutung, Rezeption
Arbeit zitieren
Manuela Jacobs (Autor:in), 2008, Die Soziologie Theodor Geigers - Bedeutung und Rezeption, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92996

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