Zu Paula Modersohn Beckers Selbstbildnissen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

23 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


INHALT

1. Einleitung in die Thematik

2. Selbstbildnis vor blühenden Bäumen (1902)
2.1 Vorikonographische Beschreibung
2.2 Ikonographische Beschreibung und Ikonik

3. Selbstbildnis (1906)
3.1 Vorikonographische Beschreibung
3.2 Ikonographische Beschreibung und Ikonik

4. Selbstbildnis mit Kamelienzweig (1907)
4.1 Vorikonographische Beschreibung
4.2 Ikonographische Beschreibung und Ikonik

5. Vergleich der Selbstbildnisse

6. Bildanalyse in Hinblick auf die formulierte Fragestellung

7. Schlussfolgerungen

Literaturverzeichnis

1. Einleitung in die Thematik

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit drei ausgewählten Selbstbildnissen der Künstlerin Paula Modersohn-Becker: „Selbstbildnis vor blühenden Bäumen“ von 1902, „Selbstbildnis“ von 1906 und „Selbstbildnis mit Kamelienzweig“ von 1907. Eine kurze Einführung in die Gattungsmerkmale der Porträtmalerei und die Besonderheiten des Selbstbildnisses bilden den Ausgangspunkt der folgenden Werkanalyse und führen auf die leitende Hauptfragestellung hin, ob es sich um autonome Porträtdarstellungen handelt.

Das Porträt thematisiert die Darstellung eines oder mehrerer Menschen mit der Zielsetzung, eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem Werk und den porträtierten Personen herzustellen. Der Abbildcharakter allein genügt aber nicht als hinreichendes Kriterium zur Bestimmung eines Porträts. Um zu einer genaueren Bestimmung des Porträtbegriffes zu gelangen, sollte auch die Frage der Porträtindividualität untersucht werden. Im Verlauf der historischen Entwicklungen wurde immer mehr zum Ziel der Darstellung, die individuelle Persönlichkeit und die Seele des Menschen im Bild sichtbar zu machen. Mit der zunehmenden autonomen Stellung des Künstlers, bekam dieser auch mehr Gestaltungsfreiheit und konnte zusätzlich individuelle Vorstellungen in das Bild einbauen. Eine Besonderheit beim Selbstporträt ist die Tatsache, dass Darstellender und Dargestellter ein und dieselbe Person ist. Das ist mithin das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zum Porträt.

Die Darstellung des Menschen bestimmt im Oeuvre der Künstlerin Paula Modersohn-Becker eine große Anzahl der Bilder. Sie porträtierte vor allem die einfache Landbevölkerung. Das Selbstbildnis begleitete Paula in ihrer gesamten Schaffenszeit. Es diente ihr als Grundlage zur experimentalen Arbeit und gleichzeitig begann sie, sich selber als Individuum wahrzunehmen und zu erforschen. Es ging ihr dabei nicht vorrangig um eine möglichst wirklichkeitsgetreue Abbildung, sondern vielmehr wollte sie das Innere nach Außen transportieren und das allgemeine Wesen des Menschen erfassen. Sie möchte hinter die Oberfläche schauen. "Was bin ich? Was ist der Mensch?", liest man in ihren Aufzeichnungen.

Es existieren sehr viele Selbstbildnisse von Paula Modersohn-Becker. Die drei ausgewählten dieser Arbeit sollen auch die Entwicklung der Künstlerin widerspiegeln. Oft stellt sich der Maler im Selbstporträt auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens oder menschlichen Lebenswegs dar.[1] Gibt es mehrere Selbstdarstellungen eines Künstlers oder einer Künstlerin, so kann man vermuten, dass der Künstler das frühere Werk revidieren wollte, um inzwischen eingetretene körperliche und seelische Veränderungen zu dokumentieren und sichtbar zu machen. Da es zahlreiche Selbstbildnisse von Paula Modersohn-Becker gibt, kann man davon ausgehen, dass in diesen Gemälden Wandlungen ihrer Person zum Ausdruck gebracht werden.

Vor diesen Gesichtspunkten sollen drei Selbstbildnisse der Malerin Paula Modersohn-Becker näher beschrieben und untersucht werden. Als erstes werden die Bilder auf der vorikonographischen Ebene beschrieben. Danach erfolgt die Beschreibung auf der ikonographischen Ebene, die sich mit dem Bedeutungsgehalt der einzelnen Bildelemente befasst und anschließend Beschreibungen auf der ikonischen Ebene. In einem Vergleich werden die Bilder gegenübergestellt und Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausgearbeitet.

Bei der Beschreibung und Analyse von Bildnissen stellt sich die Frage, um welche Art der Porträtdarstellung es sich genau handelt. Zu untersuchen wäre, ob man bei den Selbstbildnissen der Malerin Paula Modersohn-Becker von Individualporträts sprechen kann.

2. Selbstbildnis vor blühenden Bäumen (1902)

2.1 Vorikonographische Beschreibung

Paula Modersohn-Beckers Gemälde „Selbstbildnis vor blühenden Bäumen“ ist um 1902 entstanden und befindet sich heute im Museum am Ostwall in Dortmund in der Sammlung Gröppel. Das Bild hat die Maßen 33 x 45,5 cm und wurde mit Öltempera auf Pappe gemalt.

Das Gemälde zeigt das Brustbild einer Frau, die sich vor einer Landschaft mit Himmel befindet. Am unteren Bildrand verläuft ein Schriftband mit dem Titel „Paula Modersohn.“. Das Schriftband verläuft über die Brustpartie von der linken bis zur rechten Bildkante.

Der Einsieg in das Bild gelingt am rechten unteren Bildrand über den Schriftzug. Von dort gelangt man über die rechte von unten abgeschnittene Schulter hin zum Kopf der Frau. Von der Schulterpartie hinauf über den Hals und entlang der oberen Gesichtspartie verläuft eine eindeutige Linie, die dann in Höhe des Kopfes nach unten über die Schulter abfällt und von dort am linken unteren Bildrand aus dem Bild hinausführt.

Der Kopf der Frau ist mittig in das Bild gesetzt und in einer leichten Dreiviertelwendung nach links gerichtet. Der Körper der Frau, der diese Linksdrehung mit vollzieht und mehr an den rechten Bildrand rückt, ist nur bis zum Schulteransatz sichtbar. Die Frau trägt ein dunkelrotes, hochgeschlossenes Kleid mit einem bunt verzierten Stehkragen. Eine Borte mit Ornamenten verläuft vertikal auf beiden Seiten von den Schultern die Brust hinunter. Das Haupt der Frau ist leicht nach vorne geneigt. Die Haare sind in der Mitte gescheitelt und nach hinten zusammengefasst. Links erkennt man ein paar Haarsträhnen, die sich aus dem Haarknoten gelöst haben. Die Gesichtzüge wirken sehr weich und freundlich. Der Mund ist in einem kräftigen Rot gemalt und trägt den Anschein eines Lächelns. Die Augen der Frau sind sehr groß dargestellt und blicken wach und offen. Die Blickrichtung geht seitlich nach links vorne, es wird also kein direkter Blickkontakt mit dem Betrachter hergestellt. Die Augen haben jeweils in der Mitte einen hellen Punkt, dadurch bekommen sie ein gewisses Leuchten. Über den Augen erkennt man leicht geschwungene Augenbrauen. Insgesamt wirkt die Frau sehr in sich zurück gezogen.

Direkt hinter dem Kopf der Dargestellten erkennt man eine gelb blühende, breit angelegte Astkrone eines Baumes, die sich auffällig um das Haupt der Frau anordnet, so dass sich eine Halbkreisform um den Kopf bildet. Rechts und links neben der Figur sieht man zwei kleinere Bäume, die ebenfalls gelbe Blüten tragen, jedoch im Vergleich mit dem mittleren Baum in Größe und Blütendichte zurücktreten. Die Bäume sind Teil einer Landschaft, die sich hinter der nur ausschnitthaft dargestellten Figur öffnet und ungefähr in Augenhöhe der Frau in einen Himmel teilt. Die Landschaft gliedert sich vorne in einen braunen Erdbereich mit einem schmalen Grasstreifen, der sich mit der Figur schneidet und weiter hinten in grüne, flächige Wiesen übergeht. Links und rechts verläuft je ein brauner Feldweg in die Ferne.

Die Komposition weist eine gewisse Ordnung auf. Das Bild wird in der Mitte durch die Horizontlinie geteilt, darüber öffnet sich der blaue Himmel. Die Horizontlinie verläuft ungefähr auf mittlerer Höhe des Kopfes der Figur. Zusammen mit den, die Figur einschließenden Bäumen, bildet das Schriftband eine Art Rahmung für die Figur. Die links und rechts gesetzten Bäume bilden eine horizontale Linie mit dem oberen Kopfabschluss der Frau. Das Bild weist einige Parallelitäten auf. Die obere Rahmung des Schriftzuges und die Horizontlinie bilden ein paralleles Linienpaar. Weiterhin werden parallele, vertikale Linien durch die Zierborten des Kleides und der rechts und links stehenden Baumstämme gebildet. Dadurch erhält der Kopf der Figur eine Einrahmung. In der landschaftlichen Darstellung verlaufen zwei schmale Feldwege quer durch das Bild, die zueinander parallel stehen.

Der Kopf wirkt im Verhältnis zu den Schultern sehr groß und rückt dadurch optisch nach vorne. Dagegen stehen die feingliedrigen Äste der kleineren Bäume am linken und rechten Rand des Bildes. Insgesamt ist das Bild eher in die Breite angelegt.

Die Figur wurde mehr nach rechts versetzt in das Bild gesetzt, Kopf und Blick sind dagegen zur linken Seite gerichtet. Insgesamt geht die Ausrichtung der Figur nach links. Die Figur selber vollzieht die Bewegung nach links. Weiterhin sprechen für diese Bewegung sich wiederholende Linien, welche von links unten nach rechts oben aufsteigen.

Der untere Bildrand wirkt durch das Oberteil und den schwarzen Untergrund des Schriftzuges insgesamt dunkler als der obere Teil des Bildes, der farblich durch das leuchtende Gelb der blühenden Bäume und das intensive Blau des Himmels bestimmt wird. Figur und Schriftzug verbinden sich farblich gesehen. Dagegen steht die Figur mit der Umgebung im farblichen Kontrast.

2.2 Ikonographische Beschreibung und Ikonik

Das Bild weist drei Ebenen auf: Die Inschrift steht ganz vorne, dahinter erscheint die Figur und noch weiter nach hinten gerückt erscheint die Landschaft. Die blühende Baumkrone ist direkt um den Kopf angeordnet und verschmilzt mit der Figur. Die blühende Baumkrone erinnert an einen Nimbus und wiederholt die Kreisbewegung des Kopfes. Die genannten Aspekte unterstreichen die Beziehung, die zwischen Landschaft und Figur besteht.

Aufgrund des Schriftzugs, der sich am unteren Rand des Bildes befindet, liegt es nahe, Darstellende und Dargestellte als ein und dieselbe Person zu identifizieren. Es erscheint jedoch auffällig, dass Paula Modersohn-Becker hier nur den Namen ihres Ehemannes, dem Maler Otto Modersohn, für die Kennzeichnung ihres Selbstbildnisses angibt. Die Punktsetzung hinter dem Namen vermittelt zusätzlich, dass der Name hier abschließt. Scheinbar definiert sie sich zu dieser Zeit sehr stark über ihren Mann, da sie ihren eigenen Mädchennamen nicht mit einbezieht. Natürlich kann man diesen Aspekt nur vermuten. Insgesamt bekommt man aber schon den Eindruck, dass das Werk in einer Lebensphase der besonderen Verbundenheit zu ihrem Mann und der Worpsweder Heimat entstanden ist. Die Abhängigkeit zu diesen Gegebenheiten wird im Bild deutlich. Durch das Schriftband am unteren Rand des Bildes entsteht dahinter ein abgegrenzter Bildraum, in dem die Künstlerin sich in ihrer Welt darstellt. Sie erscheint selber nur als Ausschnitt vor einer sich öffnenden Landschaft. Die Figur zeigt sich im Bild in einer ländlichen Umgebung und die blühende Baumkrone ordnet sich in auffälliger Weise um den Kopf an. Die Figur grenzt sich von Außen ab, ihr Blick erscheint aber trotzdem offen und aufmerksam, ist aber auch gleichzeitig wieder nach innen gerichtet. Es liegt also eine Disparatheit des Blickes vor. Durch die Ausschnitthaftigkeit der Figur wird der Porträtcharakter des Werkes betont.

Der Schriftzug erzeugt eine gewisse Distanzstellung zum Betrachter. Die Figur grenzt sich ab und der Kontakt nach Außen findet nicht statt. Der Kopf tritt wiederum sehr stark nach vorne und somit rückt die Figur näher zum Betrachter. Die Doppelbestimmtheit des Porträts, das Miteinander von Nähe und Distanz im Bild, wird also indirekt hergestellt. Die Wahl des Ausschnittes und die begrenzte Darstellung der Person und der starke Abschnitt der Brustpartie durch den Schriftzug lassen die Figur in einer begrenzten Umgebung erscheinen, die für sich alleine in den Bildraum gesetzt steht. Weiterhin erscheint die Figur hinter dem Schriftzug nur als Fragment und die Art des Ausschnitts erinnert an eine Büstenform.

3. Selbstbildnis (1906)

3.1 Vorikonographische Beschreibung

Das Selbstbildnis von 1906 misst 62,5 x 47 cm und wurde mit Öltempera auf Pappe gemalt. Das Werk befindet sich in Bremen in der Sammlung Roselius.

Zu sehen ist eine junge Frau als Halbakt, die vor einer blühenden Hecke und blauem Himmel posiert. Die Frau hat je eine Blume in der Hand und drei Blüten in das nach hinten gebundene Haar gesteckt und trägt eine längliche Perlenkette.

Man findet den Einstieg in das Bild am rechten unteren Rand. Über den angeschnittenen, rechtwinklig am Körper liegenden Arm der Frau gelangt man über die nach oben weisende Hand der Frau zu der Blume und von dort aus geht der Blick zu der anderen Blume, die von der linken Hand der Frau gehalten wird. Von hier aus geht der Blick über den linken Arm und die linke Schulter hin zum Kopf der Frau. Der Blick der Frau führt den Betrachter schließlich wieder aus dem Bild nach rechts unten heraus.

Beide Arme sind angewinkelt, der linke Arm befindet sich in gerade nach oben abgeknickter Position und der rechte Arm wurde in einem rechten Winkel an den Körper angelegt. Die rechte Hand liegt genau zwischen den beiden Brüsten in vertikaler Ausrichtung und hält mit den Fingerspitzen eine kleine, rosa Blume, die sich exakt im unteren Bereich der Perlenkette mit dieser schneidet. In der linken, zum Körper gerichteten Hand, ungefähr auf der Höhe der linken abfallenden Schuler, befindet sich ebenfalls eine rosa Blume. Der rechte untere Arm schließt mit dem unteren Bildrand und bildet die untere Bildkante. Die Arme und Hände weisen eine stark vereinfachte Formgebung auf. Die Handgelenke sind rechtwinklig abgebogen und die Schultern sind mit den Armen zu einer Kreislinie zusammengefasst. Die Person wird durch die Armhaltung abgegrenzt. Der Blick der Frau richtet sich schräg nach rechts unten, scheint aber trotzdem auch nach innen gewendet zu sein.

Das Gesicht setzt sich aus unterschiedlichen Farbflächen zusammen, die unter den Augen und über die Wangen deutlich ins Rote übergehen. Auch das Ohr wurde in einem orange-roten Farbton ausgemalt, auf die Darstellung der Ohrwindungen verzichtete die Künstlerin. Die untere Lippe des Mundes ist dicker gezeichnet als die obere. Auf dem Scheitel der Frau liegen drei Blüten. Der Kopf ist leicht nach links geneigt und die Augen blicken nach rechts Außen.

Die Figur steht vor einem blühenden Gebüsch, dass sehr flächig und stilisiert gemalt ist. Die Figur fügt sich harmonisch in die Umgebung und die Natur ein. Die Blumen und Blüten aus dem sich hinter der Figur befindenden Gebüsch finden sich in Haar und Händen der Frau wieder. Dadurch wird eine Verbindung zwischen Figur und der Umgebung hergestellt.

Die Gewichtung geht nach rechts aus dem Bild heraus. Die Figur öffnet sich zur rechten Seite. Die Position der Arme und Hände fungieren als Abgrenzung.

Vom unteren, linken Bildrand verläuft über den linken Arm und die Schultern eine ausgeprägte, runde Linie, die insgesamt einen Halbkreis bildet, der sich auf der rechten Seite wieder öffnet. Durch die zwei Blumen lässt sich eine Diagonale ziehen, die von links oben nach rechts unten durch das Bild verläuft. Parallel dazu lässt sich eine Linie von der rechten Schulter quer durch das Gesicht ziehen, die direkt an der oberen linken Kante aus dem Bild heraus führt.

Die Malweise ist sehr flächig und zum Teil werden die Flächen durch dünne, schwarze Konturlinien begrenzt. Plastizität wird nur über die farbigen Flächen angezeigt, eine direkte Beleuchtung der Figur lässt sich nicht erkennen. Es liegt eine starke Betonung der Körperlichkeit und eine Beziehungssetzung zum Bau des Bildes vor.

3.2 Ikonographische Beschreibung und Ikonik

Das Bild zeigt die Künstlerin Paula Modersohn-Becker als Aktfigur. Es wird kein direkter Kontakt mit dem Betrachter hergestellt. Die Frau richtet ihren Blick nach rechts Außen. Zusätzlich bilden die angewinkelten Arme vor dem Körper eine Schranke zum Betrachter. Nur über die Hände gelingt es dem Betrachter indirekt Kontakt mit der Figur zu bekommen. Besonders die linke Hand richtet sich nach vorne. Gleichzeitig sind beide Hände wiederum auf das Gesicht ausgerichtet, so dass der Bezug zur Person hergestellt wird. Die vollzogene Wendung aus der Frontalität bewirkt wiederum eine Ausrichtung nach Außen. Dadurch entsteht ein Miteinander von Nähe und Distanz im Bild.

Die Figur öffnet sich mehr zur rechten Seite hin. Formal begründet sich das durch den angeschnittenen Arm und die nach rechts gehende Blickrichtung der Frau. Auffällig ist, dass fast alle Linien durch den Kopf führen. Es lässt sich somit eine starke Zentrierung auf das Gesicht der Frau erkennen. Weiterhin entsteht über die intensive Farbigkeit eine gewisse Lebendigkeit der Figur. Der Bewegungsmoment der Augen unterstützt diese Lebendigkeit. Ansonsten zeigt sich die Gestalt im Bild weitgehend zurückgenommen und geht auf Distanz zum Betrachter. Die gesamte Figur erscheint in sehr allgemein gehaltenen Zügen. Dieser Aspekt zeigt sich vor allem darin, dass im Gesicht keine Details ausgemalt wurden und die Malweise insgesamt sehr grob ausformuliert wurde. Das Individuum zeigt sich also deutlich abgegrenzt und ist sich seiner eigenen Position bewusst. Durch die verallgemeinernde Darstellungsweise im Bild rückt der Mensch an sich in den Vordergrund der Betrachtung.

Das Motiv der Blume in der Hand deutet auf eine enge Verbindung zwischen Mensch und Natur

Die Aktdarstellung bedeutet für die Künstlerin eine Befreiung von den Konventionen der damaligen Zeit, in der es nur wenige Rechte für Frauen gab. Die Nacktheit drückt weiterhin das Kreatürliche des Menschen aus und steht exemplarisch für den Menschen in seinem ursprünglichsten Zustand. Neben der Nacktheit des Körpers steht gleichbedeutend der Kopf. Beide Hände weisen auf das Haupt der Figur und sämtliche Diagonalen im Bild verlaufen hin zum Kopf. So drückt sich die Wichtigkeit des Kopfes neben dem Körper besonders aus. Paula Modersohn-Becker geht es nicht um die alleinige Darstellung von Körperlichkeit, sondern sie möchte den Menschen in seinem gesamten Wesen erfassen. Dabei geht sie zunächst von ihrer eigenen individuellen Erscheinung aus. Über die Darstellung ihrer eigenen Person gelingt es ihr, das Allgemeinmenschliche im Bild zu zeigen. Zeit und Raum spielen dabei eine untergeordnete Rolle. In dem Selbstbildnis von 1906 vereint sich die Individualität der Künstlerin mit der Wiedergabe des allgemein Menschlichen. Insgesamt stellt das Bild eine sehr ausgewogene Komposition dar und verbindet dekorative Elemente mit einer tiefen Verinnerlichung der Figur.

[...]


[1] Gasser, Manuel: Das Selbstbildnis. Gemälde großer Meister. München: Kindler 1979, S. 7.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Zu Paula Modersohn Beckers Selbstbildnissen
Hochschule
Universität Siegen
Veranstaltung
Porträtmalerei
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
23
Katalognummer
V92860
ISBN (eBook)
9783638069519
Dateigröße
529 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Paula, Modersohn, Beckers, Selbstbildnissen, Porträtmalerei
Arbeit zitieren
Martina Müller (Autor:in), 2007, Zu Paula Modersohn Beckers Selbstbildnissen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92860

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