Gehörlose Eltern und hörende Kinder. Anforderungen an Sozialpädagogische Familienhilfe


Diplomarbeit, 2006

99 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort und Danksagung

1 Einleitung

2 Gehörlosigkeit
2.1 Medizinische Grundlagen der Gehörlosigkeit
2.2 Unterschiedliche Perspektiven zur Gehörlosigkeit
2.2.1 Betroffenenperspektive und soziale Gehörlosigkeit
2.2.2 Pädagogische Sichtweisen
2.2.3 Gesellschaftliches Bild der Gehörlosigkeit
2.3 Gehörlosigkeit als Behinderung
2.3.1 Stigma
2.3.2 Sekundäreffekte
2.4 Gehörlosigkeit und Identität
2.4.1 Familiäre und institutionelle Sozialisation gehörloser Eltern
2.4.2 Folgen für die Identitätsbildung
2.4.3 Folgen für das eigene Erziehungsverhalten
2.4.4 Selbstbild gehörloser Eltern
2.5 Inhaltliche Konsequenzen für die Soziale Arbeit

3 Sozialpädagogische Familienhilfe allgemein
3.1 Rechtsanspruch und gesetzliche Grundlage
3.2 Indikationen für Familienhilfe
3.3 Zielgruppe
3.4 Inhalte und Aufgaben
3.5 Anforderungen an professionelle Fachkräfte
3.6 Kritische Aspekte

4 Sozialpädagogische Familienhilfe mit gehörlosen Eltern und hörenden Kindern
4.1 Indikationen, Zielgruppe und generelle Inhalte
4.2 Familiäre Situation
4.2.1 Situation der hörenden Kinder innerhalb der Familie
4.2.2 Situation der hörenden Kinder außerhalb der Familie
4.2.3 Mögliche Sprachsituationen in der Familie
4.2.4 Rolle der Großeltern
4.3 Inhalte der Arbeit mit der Gesamtfamilie
4.3.1 Einbeziehung der Großeltern
4.3.2 Kommunikationsstrukturen innerhalb der Familie
4.3.3 Aufbau eines sozialen Netzes
4.4 Unterschiedliche Arbeitsschwerpunkte mit Eltern und Kindern
4.4.1 Inhalte der Arbeit mit den Eltern
4.4.1.1 Umgang mit der eigenen Gehörlosigkeit
4.4.1.2 Stärkung der Erziehungskompetenz
4.4.1.3 Familienspezifische Rollenverteilung
4.4.1.4 Dolmetschen
4.4.1.5 Informationsvermittlung
4.4.1.6 Vermittlung zwischen gehörloser und hörender Welt
4.4.1.7 Aktivierung eigener Antriebe und Ressourcen
4.4.2 Inhalte der Arbeit mit den Kindern
4.4.2.1 Familienspezifische Rollenverteilung und Grenzen
4.4.2.2 Gehörlosigkeit der Eltern
4.4.2.3 Eigene spezielle Situation
4.4.2.4 Identität
4.4.2.5 Umgang und Kommunikation mit der hörenden Welt
4.4.2.6 Freizeitgestaltung
4.5 Anforderungen an professionelle Fachkräfte
4.6 Kritische Beurteilung und Ergänzungen

5 Fazit

Literatur- und Quellenverzeichnis

Vorwort und Danksagung

Die Wahl des Themas dieser Diplomarbeit resultiert aus dem studienbegleitenden Praktikum, das ich bei den ‚Ambulanten Hilfen für Gehörlose und Schwerhörige’ in Hamburg geleistet habe. Die Sozialpädagogische Familienhilfe mit gehörlosen Eltern und hörenden Kindern war intensivster Teilbereich meines Praktikums. Hierdurch bot sich mir die Möglichkeit, die besondere Situation, die sich in der Arbeit mit gehörlosen Familien ergibt, näher kennen zu lernen und im Rahmen der konkreten Intervention mit ihr umzugehen. Ferner sind mir die Deutsche Gebärdensprache und die Kultur gehörloser Menschen durch ein vorangegangenes Studium der Gebärdensprache vertraut. Durch persönliche Schwerpunktsetzung in meinem Sozialpädagogikstudium konnte ich dieses Wissen auf die Soziale Arbeit übertragen und auch in dieser Diplomarbeit verwenden.

Bedanken möchte ich mich bei Anja Bloch, Anke Böttcher, Barbara Braun, Marion Rolfes, Martin Gerlach und Jörg Tuloweit für die Unterstützung während der Erstellung dieser Arbeit.

1 Einleitung

Im Mittelpunkt der Arbeit stehen die ‚Anforderungen an Sozialpädagogische Familienhilfe (im Folgenden SPFH) mit gehörlosen Eltern und hörenden Kindern’.

In Deutschland leben ca. 80.000 gehörlose und zwischen 80.000 und 100.000 so hochgradig schwerhörige Menschen, dass diese sich nicht über Lautsprache verständigen können (vgl. Breucker-Bittner/ Müller 2004: 5). Da unsere Gesellschaft auf hörende Menschen ausgerichtet ist und das Leben in ihr auf der Lautsprache basiert, stoßen gehörlose Menschen immer wieder auf Kommunikationsbarrieren, weswegen auch von einer Kommunikationsbehinderung ausgegangen werden kann. Wenn sie aber mit anderen Betroffenen zusammen sind, existieren diese Probleme in der Regel nicht. Aufgrund dessen spricht man in diesem Bereich von zwei Welten, in denen sich gehörlose Personen bewegen (müssen). Auf der einen Seite die ‚Welt der Gehörlosen’, in der sie sich ohne Probleme aufhalten, leben und kommunizieren können und auf der anderen Seite die ‚Welt der Hörenden’, in der die Lautsprache vorherrscht, wodurch wenig verstanden wird und viele Grenzen erlebt werden.

Man kann diese Sichtweise natürlich auch auf gehörlose Eltern sowie deren hörende Kinder übertragen. Die Eltern ziehen in der Regel die gehörlose Welt vor, während für die Kinder eher ein „Pendeln zwischen [den] zwei Welten“ (Tratzki 2002: Titel) üblich ist. Sie haben aufgrund der familiären Situation und ihrer Hörfähigkeit zu beiden Welten Zugang. Hierdurch können für die Kinder Ambivalenzen entstehen, wenn ihnen eindeutige Zugehörigkeiten fehlen.

Anhand dieser Situation können vielseitige Probleme auftreten, die sich auf die Entwicklung und Identität beider Generationen beziehen. Hinzu kommt, dass gehörlose Menschen häufig eine wesentlich niedrigere Bildung sowie Laut- und Schriftsprachkompetenz als hörende Menschen haben. Dies resultiert in der Regel aus der Sozialisation von gehörlosen Kindern (den jetzigen Eltern) und deren hauptsächlich hörenden Eltern. Ferner ist der Umgang der hörenden Gesellschaft mit gehörlosen Menschen unsicher, da das Thema Gehörlosigkeit und damit zusammenhängende Merkmale unbekannt sind. Außerdem wird die Situation von hörenden Kindern gehörloser Eltern nicht richtig eingeschätzt, weil in dem Fall das Kind keine Behinderung hat und deshalb von weniger Problemen ausgegangen wird. Die aus diesen Faktoren resultierenden Schwierigkeiten können ein hohes Ausmaß annehmen. Wenn sie gehäuft und in Kumulation mit anderen auftreten können Situationen entstehen, die SPFH erforderlich machen.

Allgemein betrachtet ist SPFH eine ambulante Maßnahme der Hilfen zur Erziehung nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII). Sie richtet sich vor allem an sozial benachteiligte Familien und wirkt präventiv auf die Wahrung des Kindeswohls. Die SPFH mit gehörlosen Eltern und hörenden Kindern hat in vielen Facetten gleiche Inhalte und Auswirkungen, es liegen aber häufig andere Gründe für die entstandenen Probleme vor.

Im sozialen Bereich wird SPFH auch bei besonderen Situationen und Problemlagen eingesetzt. Hierzu gehören zum Beispiel: Sexueller Missbrauch, Gewalt in Familien, Suchtproblematiken und Familien mit behinderten Kindern. Aber auch die Arbeit mit Migranten-, Aussiedler-, Flüchtlings-, und binationalen Familien ist Thema im Rahmen dieser Maßnahme (vgl. Helming/ Schattner/ Blüml 1997: 384 ff.). Die Arbeit mit gehörlosen Eltern und hörenden Kindern lässt sich am ehesten in diesem Rahmen verorten, weil hier ebenfalls eine Zweisprachigkeit und daraus folgend unterschiedliche Kulturen in den Familien vorherrschen. Zusätzlich muss auch mit dem Thema Behinderung umgegangen werden. Die Eltern haben eine Behinderung und die Kinder wachsen deshalb unter besonderen Umständen auf.

SPFH mit gehörlosen Eltern und hörenden Kindern gehört demnach zwar in den Rahmen der ‚normalen’ SPFH, es liegen aber Unterschiede in den Inhalten und Anforderungen und daraus folgend für den Umgang vor, die in dieser Arbeit thematisiert werden sollen.

Für diesen speziellen SPFH-Bereich gibt es in Deutschland noch keine Literatur. Aufgrund dessen wurden Bücher und Artikel herangezogen, die hauptsächlich die Thematiken gehörlose Eltern und hörende Kinder mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen, Beratung für gehörlose Menschen sowie allgemeine Problemstellungen bei Gehörlosigkeit beinhalten. Hierbei ist es wichtig zu bemerken, dass erst in den letzten sieben Jahren vermehrt Literatur in Bezug auf die besondere Situation der hörenden Kinder veröffentlicht wurde. Publikationen, die allgemein SPFH zum Gegenstand haben, sind an passenden Stellen für die konkreten Inhalte der Maßnahme in diesem Bereich übertragen worden. Zur Veranschaulichung und Vertiefung dieser Punkte sowie für weitere spezielle Inhalte waren Praxiskonzepte von vier Einrichtungen aus Deutschland[1], eine Vortragsverschriftlichung, Erfahrungen aus dem Praktikum und zusätzlich wenige Artikel und Veröffentlichungen, die das Thema zumindest anschneiden, sehr hilfreich. Fremdsprachige Literatur wurde nicht zur Unterstützung verwendet, da die Strukturen im sozialen Bereich in jedem Land verschieden sind und die in deutscher Sprache vorhandene Literatur zur notwendigen Beschreibung der Lebenssituation gehörloser Menschen und ihrer Kinder ausreicht.

Der Bereich befindet sich in Deutschland also noch im Aufbau und entwickelt sich langsam. Für die Soziale Arbeit ist er demnach eine Herausforderung, die spezielle Kenntnisse erfordert. Gehörlose Eltern haben, nach dem SGB VIII, das gleiche Recht auf Unterstützung bei Erziehungsschwierigkeiten mit ihren Kindern, wie hörende Eltern. Aufgrund der vorhandenen Behinderung muss es hierfür aber spezielle Angebote geben, da die Anforderungen in der Regel nicht durch bereits existierende Einrichtungen abgedeckt werden können. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fehlen oft notwendige Kenntnisse und Erfahrungen, die schon bei der nicht vorhandenen Gebärdensprachkompetenz beginnen.

Die vorliegende Arbeit soll einen Einblick in die SPFH mit gehörlosen Eltern und hörenden Kindern und die daraus entstehenden, damit zusammenhängenden oder bereits vorhandenen Anforderungen geben, die sich vor allem auf Fachkräfte und Einrichtungen beziehen, die mit dieser Zielgruppe arbeiten.

In Kapitel 2 wird das Thema Gehörlosigkeit aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und in den letzten Abschnitten konkret auf die gehörlosen Eltern bezogen. Die umfangreiche Auseinandersetzung mit der Behinderung ist grundlegend, um die weiteren Inhalte der Arbeit verstehen zu können.

Kapitel 3 gibt einen kurzen allgemeinen Überblick über SPFH, der auch die Anforderungen an Fachkräfte sowie kritische Aspekte beinhaltet.

In Kapitel 4 wird auf die SPFH mit gehörlosen Eltern und hörenden Kindern eingegangen, in dem am Anfang ein kurzer Bezug zu Kapitel 3 hinsichtlich der Indikationen, der Zielgruppe und den generellen Inhalten erfolgt. Des Weiteren wird die familiäre Situation dargestellt, die in vielen Familien vorzufinden ist, auch wenn diese keine SPFH benötigen, da sie eine große Aussagekraft für eventuelle Inhalte einer einsetzenden Maßnahme haben kann. In den folgenden Abschnitten werden die Inhalte der SPFH mit der Gesamtfamilie und die Inhalte, die mit den Eltern und den Kindern getrennt erarbeitet werden, dargestellt. Die Kapitelabschnitte 4.5 und 4.6 enthalten die Anforderungen an Fachkräfte, eine kritische Beurteilung und Ergänzungsvorschläge.

Den Abschluss bildet das Fazit in Kapitel 5 mit allgemeinen Schlussfolgerungen, Kritik sowie eigenen Stellungnahmen.

2 Gehörlosigkeit

In der Auseinandersetzung mit dem Thema Gehörlosigkeit gilt es, als erstes den Begriff zu klären, der das Hörvermögen oder -unvermögen einer Person bezeichnen soll. Die Fachliteratur geht von unterschiedlichen Bezeichnungen und Einordnungen aus, da gehörlose Menschen keine homogene Gruppe sind. Es gibt Personen, „... die gar keine akustischen Reize aufnehmen, was relativ selten der Fall zu sein scheint, aber auch solche, die, ohne Sprache im engeren Sinne zu verstehen, doch recht differenziert Geräusche zu unterscheiden vermögen.“ (Fengler 1995: 22)

Im englischsprachigen Raum wird die Bezeichnung ‚deaf’ für Menschen verwendet, die nicht hören können oder deren Hörvermögen sehr eingeschränkt ist. Es wird aber keine genauere Einteilung oder Abgrenzung nach Graden der Schädigung etc. vorgenommen (vgl. Funk 2004: 82). In Deutschland existiert hierfür kein richtiges Äquivalent. Der Be­griff ‚gehörlos’ wird von vielen, vor allem aber von Betroffenen, benutzt. Er bezeichnet ein Defizit, nämlich das ‚Nicht-Hören-Können’, was aber auf die wenigsten wirklich zutrifft.

Die Bezeichnungen ‚hörbehindert’ oder ‚hörgeschädigt’ lassen eine Abgrenzung zu anderen Behindertengruppen zu, machen aber die Differenzierung zwischen schwerhörigen und gehörlosen Menschen schwierig, da sie für beide Gruppen nutzbar sind. Es gibt aber wichtige Unterschiede zwischen diesen Menschen, die „... sich nicht nur im Gebrauch einer jeweils anderen Sprache, sondern auch in unterschiedlichen Zugängen zur Welt [äußern]. Allerdings sind die Übergänge fließend.“ (ebd.).

Der Begriff ‚taubstumm’ wird in der heutigen Zeit nur noch von Laien benutzt. Vor allem von Betroffenen wird er abgelehnt, da er negativ besetzt ist und diese Menschen sich nicht als stumm verstehen. Sie haben zum Beispiel mit der Gebärdensprache eine Möglichkeit zu sprechen (vgl. ebd.: 81 f.). Aber auch sonst sind sie nicht stumm. Die Sprechwerkzeuge funktionieren meistens. Sie können nur nicht durch das Gehör kontrolliert werden.

„Es wird manchmal einfach vorausgesetzt, daß Gehörlose keine Laute von sich geben können und in einer lautlosen Welt leben, doch das trifft nicht unbedingt zu. Wenn sie wollen, können sie durchdringend schreien, um andere auf sich aufmerksam zu machen. Sie sprechen unter Umständen zu laut, und ihre Aussprache ist sehr schlecht, weil sie ihre Stimme nicht mit Hilfe des Gehörs steuern können.“ (Sacks, 1999: 189)[2]

Von Hiltrud Funk wird der Begriff ‚hochgradig-hörbehindert’ benutzt. Wenn betroffene Menschen sich aber selbst als gehörlos bezeichnen, wird dies akzeptiert und anerkannt (vgl. Funk 2004: 85). Sie benutzt zum Beispiel in ihrer Arbeit mit gehörlosen Familien für die Erwachsenen den Begriff ‚gehörlos’ unabhängig davon, ob sie Hörgeräte tragen und Hörmöglichkeiten bestehen oder nicht, da diese Menschen sich selbst der Gruppe der Gehörlosen zugeordnet haben (vgl. Funk 2000: 266). Funk macht hier also eine Unterscheidung in Außensicht und Innensicht auf die Hörschädigung (vgl. Funk 2004: 83).

Von anderen wird die Bezeichnung ‚gehörlos’ allgemein vorgezogen. „Begriffe wie ‚taub’, ‚taubstumm’ oder ‚hörbehindert’ sollten vermieden und der Begriff ‚gehörlos’ verwendet werden, denn diese Begriffe werden von vielen Gehörlosen als diskriminierend aufgefasst.“ (Largo-Renz 1992: 27)

Die betroffenen Menschen bezeichnen sich also meistens selbst als ‚gehörlos’, auch wenn eigentlich noch Hörreste vorhanden sind. Es gibt auch viele schwerhörige Menschen, die von ihrem Hörvermögen her ‚gut’ in der hörenden Welt und mit der Lautsprache zurechtkommen würden, sich aber trotzdem der Gruppe der gehörlosen Menschen zuordnen. Nach Meinung der Verfasserin kann und sollte jeder Mensch für sich entscheiden, wohin er gehört und womit er sich definiert. Praktische Erfahrungen haben gezeigt, dass die meisten Betroffenen sich selbst als ‚gehörlos’ bezeichnen und sich definitiv dieser Gruppe zuordnen. Die eigene Meinung soll hier berücksichtigt werden, vor allem weil es in dieser Ausarbeitung um die Soziale Arbeit mit gehörlosen Eltern, deren Familien und ihren eigenen Lebensweisen geht. Deshalb wird in dieser Arbeit für Menschen, die von Geburt an nicht hören können oder vor dem Spracherwerb ertaubt sind sowie für hochgradig schwerhörige Menschen der Begriff ‚gehörlos’ benutzt, wobei in den restlichen Kapiteln und Abschnitten auf Anführungsstriche verzichtet wird.

Um Gehörlosigkeit genauer darzustellen, wird im Folgenden auf die medizinischen Grundlagen der Gehörlosigkeit und auf unterschiedliche Perspektiven näher eingegangen. Des Weiteren werden die Themen Behinderung und Identität aus bestimmten Blickwinkeln betrachtet. Sollte es für die weiteren Ausführungen der Arbeit notwendig sein, werden am Ende der Abschnitte dieses Kapitels damit zusammenhängende und als wesentlich verstandene inhaltliche Konsequenzen kurz dargestellt. Abschnitt 2.5 beinhaltet einen kurzen allgemeinen Bezug, den diese Konsequenzen für die Soziale Arbeit haben müssen.

2.1 Medizinische Grundlagen der Gehörlosigkeit

Allgemein werden Menschen als gehörlos bezeichnet, bei denen auch durch sehr hohe Schallverstärkung mit Hörgeräten keine oder nur eine geringe auditive Wahrnehmung erreicht werden kann. „Bei Gehörlosigkeit .. ist die Wahrnehmung gesprochener Sprache auch unter optimaler Versorgung mit Hochleistungshörgeräten nicht mehr zureichend möglich.“ (Günther 2000: 115) Der Hörverlust bezieht sich auf verschiedene Frequenzbereiche (Hertz) und wird in der Maßeinheit Dezibel (dB) gemessen. Aus audiometrischer Sicht liegt Gehörlosigkeit dann vor, wenn ein Hörverlust von über 90 bis 100 dB in Bezug auf die für Sprache relevanten Frequenzen zwischen 500 und 4000 Hertz besteht (vgl. ebd.; Speck 1998: 207).

Sprache ist für die menschliche Entwicklung sehr wichtig. Aufgrund dessen wird in Hörschäden vor und nach dem Spracherwerb unterschieden. Als prälingual gehörlos werden diejenigen bezeichnet, bei denen der Hörschaden vor Abschluss des Spracherwerbs (ca. zwischen dem 4. und 8. Lebensjahr) eingetreten ist. Diejenigen, bei denen der Hörverlust nach diesem Zeitpunkt eintrat, werden als postlingual gehörlos oder ertaubt bezeichnet (vgl. Wisotzki 1998: 33). Nach Günther fällt hierunter auch „erworbene hochgradige Schwerhörigkeit“ (Günther 2000: 115). Als spätertaubt gelten Menschen, bei denen der Hörverlust im Alter eingetreten ist. Diejenigen, die einen hochgradigen Hörverlust haben, bei denen aber durch Ausnutzung der verbliebenen Hörreste eine Hör- und Spracherziehung möglich ist, bezeichnet man als resthörig (vgl. Wisotzki 1998: 33).

Das folgende Schaubild zeigt die genaue Aufteilung von Hörsprachschädigungen, nach dem auch in der Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik differenziert wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Ursachen von Gehörlosigkeit werden ebenfalls nach dem Zeitpunkt des Eintretens der Schädigung differenziert. Es wird zwischen pränataler, perinataler und postnataler und im Erwachsenenalter eingetretener Gehörlosigkeit unterschieden. Eine pränatale Schädigung ist entweder vererbt, durch Krankheit der Mutter in der Schwangerschaft (z.B. Röteln, Masern) oder durch Medikamenten-, Alkohol- oder Drogenmissbrauch der Mutter hervorgerufen. Eine perinatale Schädigung kann durch Sauerstoffmangel, Neugeborenengelbsucht oder durch eine Schädelverletzung entstehen. Postnatale Gehörlosigkeit hat ihre Ursachen zum Beispiel in einer Infektionskrankheit des Säuglings (Masern, Scharlach, Meningitis), die nicht rechtzeitig erkannt wird oder aus einem anderen Grund schwer verläuft. Des Weiteren können Schädelverletzungen Ursache sein. Im Erwachsenenalter können Lärmschwerhörigkeit bis hin zur Lärmtaubheit oder aber Altersschwerhörigkeit / Alterstaubheit Gründe sein. Die Altersschwerhörigkeit hat oft einen progressiven Verlauf, der bis zur Taubheit stetig fortschreitet. Die Ursachen hierfür sind nicht genau bekannt. Eventuell sind Umweltbelastungen verantwortlich, was aber nur schwer nachzuweisen ist (vgl. ebd.: 35 f.). Lärmtaubheit hingegen wird durch „... einmaligen bzw. kurzfristigen extremen Schalldruck (Knalltrauma z. B. nach Explosion) oder durch lang andauernden bzw. kontinuierlichen mittelstarken bis starken Lärm“ (Hensle/ Vernooij 2002: 89) hervorgerufen. Wisotzki sieht Walkmans etc. und den Lärm in Diskotheken oder auf Konzerten als hauptsächliche Gründe dafür an (vgl. Wisotzki 1998: 36).

Hinsichtlich der Geschlechterverteilung ist das männliche Geschlecht leicht häufiger von Gehörlosigkeit betroffen. Es lässt sich ein Verhältnis von 5 : 4 beobachten. Wisotzki führt dies darauf zurück, dass Jungen vermutlich häufiger von den oben genannten Ursachen betroffen sind als Mädchen (vgl. ebd.).

Diese medizinischen Grundlagen sind für die Einordnung von Gehörlosigkeit sowie für den Umgang mit ihr relevant. Der Zeitpunkt der Schädigung ist für die weitere Entwicklung, hier vor allem der sprachlichen, des Kindes wichtig. Ertaubt ein Kind postlingual, ist sein Spracherwerb meistens abgeschlossen. Es ist mit der Lautsprache in der hörenden Welt aufgewachsen. Seine weitere Förderung wird darin bestehen, die Lautsprache möglichst zu erhalten. Es geht darum

„... einen Verfall des nicht mehr selbstkontrollierbaren Sprechens und eine allmähliche kommunikativ-informative Isolierung durch apparative Hilfen – Hörgeräte oder auch Cochlea-Implantate ...– sowie kompensatorische Kommunikationstechniken – besonders Absehen, Hörtraining, Artikulation, Gebärden – zu verhindern.“ (Günther 2000: 115)

Bei pränataler Schädigung oder bei Gehörlosigkeit von Geburt an, bestehen schwerwiegende Auswirkungen auf die Entwicklung von Kommunikation, Sprache und Kognition (vgl. ebd.). Hieraus hat sich ein pädagogischer Methodenstreit entwickelt, bei dem sich die eine Seite auf die medizinisch ausgerichtete defizitäre Sichtweise der Gehörlosigkeit beruft. Dies wird in Abschnitt 2.2.2 näher behandelt.

2.2 Unterschiedliche Perspektiven zur Gehörlosigkeit

Die unter 2.1 geschilderten medizinischen Grundlagen geben die Art und die Gründe für eine Hörschädigung wieder, woraus sich ein meist defizitär ausgerichtetes Behinderungsbild ableiten lässt. Bei der Darstellung von Gehörlosigkeit müssen aber auch die eigene Perspektive der betroffenen Menschen, vorhandene pädagogische Sichtweisen sowie das Bild von Gehörlosigkeit in der hörenden Gesellschaft berücksichtigt werden.

2.2.1 Betroffenenperspektive und soziale Gehörlosigkeit

Gehörlose Menschen sehen sich selbst oft nicht als behindert an, sondern bezeichnen sich als sprachliche Minderheit mit eigener Kultur (vgl. Boyes Braem 1995: 144; Funk 2004: 32). Die medizinische Hörschädigung wird im eigenen Leben, in der Kultur der Gehörlosen nicht als Handikap gesehen. Erst im Kontakt zur hörenden Umwelt treten Probleme auf, wodurch gehörlose Menschen an Grenzen stoßen. Dies bedeutet, dass die Hörschädigung dann als solche wahrgenommen wird, wenn das Leben in der Gesellschaft Grenzen aufzeigt (dies sind in erster Linie Kommunikationsgrenzen), die für gehörlose Personen nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen zu bewältigen sind. Da unsere Gesellschaft auf hörende Menschen ausgerichtet ist, kommt diese Situation häufig vor und erklärt, warum gehörlose Menschen ihre Zeit vorzugsweise mit anderen Betroffenen verbringen.

Allgemein müssen gehörlose Menschen sich aber in beiden Welten bewegen. Zu den Kommunikationsproblemen kommen dann noch weitere hinzu.

„Gehörlosigkeit bedeutet also mehr, als nur nicht hören und – in der Folge davon – nicht sprechen zu können. Gehörlosigkeit schafft für die davon betroffenen Menschen Bedingungen, die ihre individuelle und soziale Lebenswirklichkeit fundamental prägen und die für sie, was ihr Leben in der hörenden Welt betrifft, eine ganze Reihe von – auch lebenspraktischen – Besonderheiten und Belastungen mit sich bringen.“ (neue caritas spezial, 2000: 14)

Hierzu gehören zum einen Alltagsprobleme. Viele Dinge des täglichen Lebens sind nicht selbstverständlich handhabbar, wie Türklingeln, Wecker und Telefone. Zum anderen sind aber auch wichtige Informationen und Warnhinweise, wie Hupen, Katastrophenalarm, Durchsagen im Radio oder am Bahnhof usw., nur akustisch und nicht visuell wahrnehmbar (vgl. ebd.: 16). Diese Faktoren können meistens unter Zuhilfenahme spezieller technischer Vorrichtungen (zum Bespiel Lichtsignalanlagen) kompensiert werden.

Viel wichtiger ist jedoch die emotionale Ebene. Diese spielt für gehörlose Menschen in der hörenden Umgebung eine große Rolle. Viele fühlen sich ausgeschlossen und isoliert, da sie der Kommunikation nicht folgen und somit innerhalb der Familie und des hörenden Freundeskreises nicht wirklich am Geschehen teilhaben können. „Das Ausgeschlossensein in der Familie, zu Hause, wo alle rücksichtslos reden.“ (Laborit 1999: 50) Laborit bezeichnet das Leben in der hörenden Welt, in der keine Gebärden benutzt werden, als einen „Stummfilm ohne Untertitel.“ (ebd.) Larsen spricht in diesem Zusammenhang von „sozialer Gehörlosigkeit“ (Larsen 2004: 58), womit die Tatsache gemeint ist, dass gehörlose Menschen einem gesprochenen Gespräch nicht folgen können, wenn mehr als drei Personen (inkl. der eigenen Person) daran beteiligt sind. Man muss hierbei vom Mund absehen, was schon von der Schnelligkeit eines normalen Gespräches her nicht möglich ist. Gehörlose Menschen nehmen deshalb nicht gerne an größeren Gesellschaften, wie Familienfesten etc. teil, wenn nur hörende Menschen anwesend sind (vgl. ebd.). Da diese Schwierigkeiten schon in kleinen Gruppen auftreten, kann die Situation auch auf das Familienleben und andere Lebenssituationen übertragen werden.

Vor allem für gehörlose Kinder kann hierdurch ein Gefühl der Einsamkeit entstehen, aber auch kognitive Schwierigkeiten, die aus dem Informationsdefizit und der fehlenden Sprache resultieren können (vgl. Louis-Nouvertné 2001: 72). Laborit beschreibt aus eigener Erfahrung, was im Kopf eines gehörlosen Kindes vor sich geht, wenn ihm die Gebärdensprache vorenthalten wird und es auf lautsprachliche Kommunikation angewiesen ist: „Dort herrscht Einsamkeit, Trotz, der sehnliche Wunsch nach Kommunikation und bisweilen auch Wut.“ (Laborit 1999: 50)

In der Gehörlosen- oder Gebärdensprachgemeinschaft kann hingegen ohne Probleme kommuniziert und gelebt werden. Hier haben die meisten den Wunsch, nicht über ihre Hörschädigung definiert zu werden, sondern über ihre Sprache und Kultur (s.o.). Die Behinderung und der Umgang der Gesellschaft mit dieser Situation sind aber trotzdem vorhanden und es muss sich mit diesen Faktoren auseinandergesetzt werden.

Gehörlose Menschen begreifen sich also als Zugehörige einer kulturellen Minderheit, werden aber gleichzeitig von außen als behindert angesehen, wodurch sie auch ein eigenes Bild ihrer Behinderung haben (siehe 2.4.4). „Diese Attributierung macht die Besonderheit der Personengruppe im Unterschied zu anderen behinderten Menschen aus, die sich nicht selbst als Angehörige einer eigenen Kultur definieren.“ (Funk 2004: 32) Gehörlose Menschen leben sozusagen zwischen den zwei Welten, in denen unterschiedliche Ansichten vorzufinden sind.

2.2.2 Pädagogische Sichtweisen

In Deutschland herrscht in der Gehörlosenpädagogik ein Fachstreit vor. Es gibt zwei Hauptrichtungen, wobei jede Seite die Integration gehörloser Kinder in die Gesellschaft auf ihre Weise erreichen will.

Im Mittelpunkt der einen pädagogischen Sichtweise steht „... der Lautspracherwerb und seine methodisch-didaktische Vermittlung ...“ (Hintermair 2001: 107) Hierbei wird davon ausgegangen, dass eine Integration in die hörende Welt nur über Lautsprache möglich ist und die Gebärdensprache diesem Prozess schadet. Die andere pädagogische Sichtweise hat einen möglichen Erwerb der Deutschen Gebärdensprache und einen daraus folgenden bilingualen Spracherwerb zum Ziel. Hierbei wird zum einen die Integration in die gehörlose Welt und Kultur als wichtig erachtet (vgl. Wisotzki 1998: 39 f.), zum anderen die bessere sprachliche Entwicklung in einem visuellen Sprachsystem gesehen. Daraus kann sich dann eine bessere sprachliche Verständigung (schriftlich und lautsprachlich) mit der hörenden Welt aufbauen.[3]

Der lautsprachorientierte Ansatz kann als Defizitansatz gesehen werden. Die Hörschädigung und das ‚Anderssein’ stehen hier im Mittelpunkt. Gehörlosigkeit wird nur unter dem Blickwinkel einer Behinderung betrachtet (vgl. Hintermair 2001: 108), und das gehörlose Kind soll durch die Lautsprache an die hörende Welt angepasst werden.

Durch die Verwendung von Gebärden in der Erziehung gehörloser Kinder ist eine Alternative, der Differenzansatz entstanden. Hierbei wird das Leben mit der Gehörlosigkeit als etwas Eigenständiges betrachtet. „... es wird .. genauer aufgezeigt, wie unter entsprechenden Bedingungen auch ein Leben ohne Hören Lebensqualität besitzen kann ...“ (ebd.: 108) Die Schwierigkeiten, die durch Gehörlosigkeit entstehen können werden hierbei nicht geleugnet, die Gesamtsituation wird aber positiv gesehen (vgl. ebd.).

In der pädagogischen Diskussion um Gehörlosigkeit und den besten Umgang damit steht also oft nur die Sprache im Mittelpunkt. Es wird die jeweils als am besten geeignet angesehene Form der Förderung des Kindes gesucht und mit Unterstützung der in der Regel hörenden Eltern (siehe 2.4.1) angewendet. Hierbei wird häufig nicht mehr darauf geachtet, dass Kinder auch andere grundlegende Bedürfnisse haben. Es besteht die Gefahr, dass durch ständige Fördermaßnahmen und bloße Ausrichtung aller beteiligten Personen auf die Sprache, wichtige Entwicklungsaspekte in der frühen Kindheit vernachlässigt werden. Der Wunsch der hörenden Eltern, dass ihr Kind eine Förderung erhält, durch die es irgendwann fast wie ein nicht-behindertes Kind sein wird, ist hierbei grundlegend (siehe ebd.). Diese Situation wird aber bei gehörlosen Kindern niemals eintreten, weil ihnen das entscheidende Sinnesorgan hierfür fehlt. Es wäre Aufgabe der Gehörlosenpädagogik, die Eltern darüber aufzuklären, dass die Gehörlosigkeit die Kinder als ‚ganze Personen’ betrifft (vgl. neue caritas spezial 2000: 11). „Ein hörgeschädigtes Kind nimmt die Welt in anderer Weise wahr als ein hörendes Kind, und dies betrifft nicht nur das Hören, sondern ebenso alle anderen Wahrnehmungsbereiche.“ (ebd.: 11 f.) Dieser Punkt wird im Konzept des Bilingualismus (s.o.) thematisiert, aber auch hier ist die Sprache, vor allem am Anfang der Entwicklung des Kindes zentral. Die hörenden Eltern müssen erst die Gebärdensprache lernen, um dem Umgang mit ihrem Kind gerecht werden zu können. Trotzdem wird dieser Ansatz nach Meinung der Verfasserin der Situation gehörloser Kinder am meisten gerecht, da sie durch die visuelle Sprache eine ‚echte’ Sprache als Muttersprache erhalten, mit der sie sich kindgerecht entwickeln können und dadurch auch ein besserer Zugang zur Laut- und Schriftsprache möglich ist. „Um eine Sprache richtig lernen zu können, brauchen gehörlose Kinder daher zunächst ein ausreichendes Niveau auf Gebärdensprache. Erst danach können sie bestimmte Wörter und Begriffe lernen und anfangen Sätze zu bilden.“ (Larsen 2004: 76) Bei Familien, in denen auch die Eltern gehörlos sind, treten diese Sprachproblematiken in der Regel nicht auf, da die Kommunikation automatisch in Gebärdensprache oder einer Mischung aus Gebärden und Lautsprache erfolgt.

Für Boyes Braem ist bei den unterschiedlichen Ansichten die Frage zentral, ob man die Gebärdensprache und die Gehörlosengemeinschaft als wichtig erachtet oder nicht (vgl. Boyes Braem 1995: 142). Der Kern des pädagogischen Streits liegt also in der jeweils unterschiedlichen Einstellung zur Gehörlosigkeit.

2.2.3 Gesellschaftliches Bild der Gehörlosigkeit

Gehörlosigkeit ist eine für die Gesellschaft unsichtbare Behinderung. Sie lässt sich deswegen auch nicht leicht nachvollziehen. Hensle und Vernooij sprechen von einer „verkannten Behinderung“ (Hensle/ Vernooij 2002: 97), die in ihren Auswirkungen unterschätzt und als nicht gravierend eingestuft wird (vgl. ebd.). Diese Fehleinschätzungen beruhen zum Teil auf Unkenntnis, da die Gesellschaft zu wenig informiert ist. Es gibt viele verbreitete Vorurteile, wie zum Beispiel: „... solche Menschen blieben dumm oder stumpf, könnten keine Kinder erziehen, kein Kraftfahrzeug führen oder nur wenige Berufe erlernen.“ (Fengler 1995: 27) Eine generelle Abneigung oder Ablehnung gegenüber gehörlosen Menschen, wie sie körperbehinderte oder ausländische Menschen oft erfahren, existiert weniger (vgl. ebd.).

Das Verhältnis von nicht-behinderten zu gehörlosen Menschen ist allerdings häufig sozial distanziert (vgl. Hensle/ Vernooij 2002: 98), was auf die unterschiedlichen Kommunikationssysteme, aber ebenfalls auf Unkenntnis im Umgang mit der Gehörlosigkeit zurückzuführen ist.

Oft gibt es auch soziale Abwertungen, die sich aber nicht in direkten Äußerungen oder Handlungen zeigen, sondern eher durch Unterlassungen und Ausweichen. Als Beispiel hierfür kann die Situation gesehen werden, wenn sich die Pädagoginnen und Pädagogen in einem Kindergarten schnell mit irgendwelchen Dingen beschäftigen, während eine gehörlose Mutter ihr hörendes Kind abholen kommt. Hierdurch weichen sie einer Kommunikationssituation aus. Ein weiteres Szenario wäre, wenn eine gehörlose Mutter auf einem Elternabend einer anderen Mutter mitteilt, dass sie aufgrund ihrer Gehörlosigkeit das eben Gesagte nicht verstanden hat, sich diese Mutter daraufhin wegdreht und mit jemand anderem redet (vgl. Larsen 2004: 95). Hierbei ist anzumerken, dass in diesen Situationen die anderen Personen schon vorher wussten, dass eine gehörlose Person anwesend ist. Aufgrund dessen lassen sich diese Schwierigkeiten vermehrt in Situationen vermuten, in denen die Gehörlosigkeit nicht vorher bekannt ist. Es kann dann zu unangemessenen und dadurch für die gehörlose Person abwertenden Reaktionen kommen, die aber meistens auch aus Unwissenheit über den Umgang mit Gehörlosigkeit heraus resultieren.

Grundsätzlich ist die gesellschaftliche Ansicht vorhanden, gehörlose Menschen primär als behindert zu betrachten, die einen körperlichen Defekt haben und deswegen in ihrem ‚normalen’ Leben eingeschränkt sind. Im Vergleich zu hörenden werden gehörlose Personen oft als minderwertig eingestuft und können nur erfolgreich sein, wenn sie den herrschenden Regeln folgen (vgl. Woodward 1982: 76; zit. n. Boyes Braem 1995: 142), sich also so gut wie möglich der hörenden Welt mit ihren Werten und Normen anpassen. Laborit schreibt dem Unsichtbarsein der Gehörlosigkeit die Schuld zu, dass andere (hörende Personen) immer wieder versuchen, sie auszulöschen. Gehörlose Menschen sollen sein wie hörende, mit denselben Wünschen und Frustrationen, ohne dass deren Willen und Meinung berücksichtigt wird (vgl. Laborit 1999: 79).

Durch Filme und Bücher, die das Thema Gehörlosigkeit behandeln (zum Beispiel der Film: „Jenseits der Stille“ von Caroline Link 1997), ist die Gehörlosigkeit in der Gesellschaft vermehrt präsent und kann auf ein zunehmend besseres Verständnis hoffen.

2.3 Gehörlosigkeit als Behinderung

Gehörlosigkeit ist, wie in 2.2.3 schon erwähnt, eine für die Umwelt unsichtbare Behinderung. Das ‚Nicht-hören-können’ ist die primäre Behinderung, die den betroffenen Menschen die Teilnahme am Leben in der hörenden Gesellschaft erschwert. Daraus folgt in erster Linie eine Kommunikationsbehinderung sowie weitere Effekte, die in Abschnitt 2.3.2 näher behandelt werden. Untereinander sind gehörlose Menschen hiervon aber nicht betroffen. Dieser Aspekt lässt sich bei keiner anderen Behinderungsform wiederfinden (vgl. Donath 1999: 60). Gehörlosigkeit ist nach dieser Auffassung also noch keine Behinderung an sich. Erst im Umgang mit der hörenden Welt werden die betroffenen Personen durch ihre Hörschädigung in ihren sozialen und kommunikativen Möglichkeiten behindert (vgl. Speck 1996: 204; zit. n. Funk 2004: 84).

Des Weiteren müssen das Lebensumfeld und die Umweltbedingungen der Betroffenen berücksichtigt werden. Jeder Mensch lebt in unterschiedlichen sozialen und gesellschaftlichen Bezügen, die auf die Auswirkung und Schwere der Gehörlosigkeit als Behinderung Einfluss nehmen. „Dem Individuum kann deshalb nicht eine Behinderung angelastet werden, vielmehr realisiert sich in der Interaktion, Kommunikation und Beziehung zu anderen, ob dieses sich als behindert zeigt.“ (Funk 2004: 83) Wie groß hierbei die Beeinträchtigung ausfällt, ist zusätzlich von persönlichen Variablen abhängig. Hierzu gehören Persönlichkeitsmerkmale, wie zum Beispiel Intelligenz oder Durchsetzungsfähigkeit (vgl. Speck 1998: 208), aber auch das Selbstbild und der daraus entstehende Umgang mit der eigenen Situation (siehe 2.4 und 2.4.4).

Für viele gehörlose Menschen spielt der Begriff ‚behindert’ heutzutage keine große Rolle mehr. Einerseits akzeptieren sie diesen Status, da es hierdurch finanzielle und anderweitige Vergünstigungen gibt, andererseits könnten sie aber bei ihrer Selbstdefinition darauf verzichten (vgl. Padden/ Humphries 1991: 46). Strenge Verfechter der Gehörlosen-Kultur ‚opfern’ ihren Behindertenstatus und die entstehenden Vorteile, um die Wichtigkeit ihrer eigenen sprachlichen Minderheitengruppe herauszustellen.

Im Folgenden wird auf Gehörlosigkeit als Stigma eingegangen sowie auf mögliche Sekundäreffekte, die aus einer vorhandenen Hörschädigung entstehen können.

2.3.1 Stigma

Eine Behinderung stellt im gesellschaftlichen Blickwinkel ein Stigma dar. Ein behinderter Mensch weicht durch seine Erscheinung oder durch sein Verhalten von einem nicht-behinderten ab. Diese Unterschiede können zu verschiedenen Reaktionen gegenüber der betroffenen Person, wie Ablehnung, Ängsten oder auch Mitleid, führen.

Bei einer defizitären Sichtweise auf Gehörlosigkeit existieren viele negative Bezeichnungen. Zum Beispiel, dass gehörlose Menschen: „... gemütsarm, gewissensschwach, naiv, unreif, impulsiv, unterwürfig, egozentrisch, aggressiv etc. ...“ (Hintermair 2001: 107) sind. Dies sind eindeutige Stigmatisierungen, die gehörlosen Menschen in der Medizin und Gehörlosenpädagogik, aber auch von Laien zugeschrieben werden.

Die Stigmatheorie von Goffman enthält drei verschiedene Formen von Stigmata, die eine genauere Einordnung zulassen:

1. Körperdefizite wie „physische Deformationen“,
2. „individuelle Charakterfehler“, hierzu zählt er zum Beispiel Alkoholismus, Arbeitslosigkeit und Homosexualität und
3. „phylogenetische Stigmata“, wie Rasse, Nation und Religion

(vgl. Goffman 1999: 12 f.).

Der ‚Stigmatisierte’ wird als ein Anderer, nicht Normaler wahrgenommen. Wird diese Person nicht von der Gesellschaft akzeptiert, besteht die Gefahr, dass es zu sozialen Vorurteilen kommt. Sie wird dann „... von einer ganzen und gewöhnlichen Person zu einer befleckten, beeinträchtigten herabgemindert. Ein solches Attribut ist ein Stigma ...“ (ebd.: 10 f.)

In Bezug auf Gehörlosigkeit spielt hier wieder die Unsichtbarkeit der Behinderung eine Rolle. Die betroffene Person wird nach Goffmans Kategorien nicht aufgrund der vorhandenen Schädigung stigmatisiert. Dies geschieht erst, wenn sie durch daraus folgende Auffälligkeiten, wie undeutliche Lautsprache, Nutzung visueller Sprachsysteme usw. aus dem normativen Rahmen fällt. „Die soziale Diskreditierung setzt da ein, wo die Abweichung erkannt wird. Sie bleibt aus, wo sie nicht erkannt wird ...“ (Speck 1998: 234)

Durch erfolgte andauernde Stigmatisierungen kann die Identität eines Menschen geschädigt werden. Es entsteht ein Konflikt zwischen dem inneren Bild, ein normaler Mensch zu sein und den äußeren Zuschreibungen. Die Person kann sich dadurch in Ich und Ich-Ideal spalten. Goffman visualisiert diesen Prozess beispielhaft in einer Situation, in der er als Betroffener vor einem Spiegel steht: „Diese Person da im Spiegel konnte ich nicht sein. Innerlich fühlte ich mich wie eine gesunde, gewöhnliche, glückliche Person – oh, nicht wie die da in dem Spiegel!“ (Goffman 1999: 17; Hervorh. i. O.) Nicht-Akzeptanz, kein normaler Respekt und keine normale Beachtung sind die häufigsten Reaktionen, die ‚andere’ Personen von denen als normal geltenden erfahren (vgl. Speck 1998: 233). Die unter 2.2.3 erwähnte soziale Abwertung veranschaulicht diesen Prozess beispielhaft bei gehörlosen Menschen. Schon im kleinsten Rahmen können die eben genannten Aspekte stigmatisierend wirken.

2.3.2 Sekundäreffekte

Aus der Gehörlosigkeit heraus können sich Sekundäreffekte im Leben in der hörenden Umwelt entwickeln. In dieser Ausarbeitung wird sich hierbei an Erika Larsen orientiert, die in diesem Zusammenhang von „zusätzlichen Behinderungen“ (Larsen 2004: 69) spricht. Es ist für die Soziale Arbeit wichtig zu wissen, was für einen Einfluss aus der Gehörlosigkeit folgende Effekte auf das Leben der betroffenen Menschen haben können. Larsen geht hierbei von 9 Punkten aus:

1. Gehörlos sein:

Dies ist die primäre Behinderung. Sie ist „... unpraktisch, arbeits- und zeitaufwendig und in vielen Bereichen einengend.“ (Larsen 2004: 69) Die Kompensation der Gehörlosigkeit besteht in der hörenden Gesellschaft häufig nur darin, per Dolmetschereinsatz die fehlende Lautsprache zu ersetzen, was aufwendig ist, lange dauert und Geld kostet (vgl. ebd.).

2. Lebenslänglich von Dolmetscherhilfe abhängig sein:

Der gehörlose Mensch wird in der hörenden Gesellschaft sein Leben lang von Dolmetschern abhängig sein. Larsen erwähnt hier, dass auch die hörenden Menschen von diesen Dolmetschern abhängig sind, es aber nicht so verstehen. Sie sind in ihrer Ansicht diejenigen, die den Dolmetscher anbieten und bestellen, demnach etwas für den Betroffenen tun, da nur dieser davon abhängig ist. Für viele gehörlose Menschen ist der Dolmetscherbedarf in einer Umwelt, die sich mit der Thematik nicht auskennt, eine Belastung. Es können demütigende Situationen entstehen. Zum Beispiel wird der Dolmetscher oft als Gesprächspartner angesehen, wodurch die Kommunikation über den Betroffenen hinweg läuft und seine Meinung nicht zählt. Der Mangel an professionellen Dolmetschern und daraus entstehende Kommunikationsprobleme, vor allem bei wichtigen Gesprächen sowie der häufige Wechsel der dolmetschenden Person sind weitere Faktoren. Hieraus können sprachliche Missverständnisse und Unsicherheiten, aber auch inhaltliche Verständnisprobleme entstehen, die dann meistens zu Lasten des Betroffenen gehen (vgl. ebd.: 69 ff.).

3. Sichtbarkeit aufgrund des Dolmetschers / Unsichtbarkeit wegen der Gehörlosigkeit:

Gehörlose Personen stehen entweder im Mittelpunkt, weil sich ihrer Kommunikation angepasst wird oder aber sie stehen außerhalb und können den Gesprächen nicht folgen. Hierbei helfen auch keine Nachfragen, weil der Betroffene nicht weiß, worum es geht, also auch nicht weiß, wonach überhaupt gefragt werden könnte (vgl. ebd.: 71 f.). „Dieses führt oft zu chronischer Unsicherheit, mit der es schwer ist umzugehen und die große Anforderungen, sowohl physisch als auch psychisch, an den Alltag stellt.“ (ebd.)

4. Gefühl eine Belastung zu sein:

Gehörlose Menschen brauchen häufig Unterstützung von Familienmitgliedern oder anderen hörenden Personen. Vor allem, wenn diese nicht wissen, was es bedeutet gehörlos zu sein, können hieraus Situationen entstehen, in denen der Betroffene und seine Anliegen als Belastung empfunden werden, hauptsächlich wegen des höheren zeitlichen Aufwandes. Dies wird manchmal direkt geäußert oder aber nonverbal gezeigt, was zu Verletzungen und Ängsten vor weiteren Kontaktaufnahmen führen kann. Des Weiteren kann bei Situationen, in denen die Familie hilft, ein Doppelcharakter entstehen. Zum einen hat die betroffene Person das Gefühl eine Belastung zu sein, zum anderen kann sie sich gleichzeitig ausgeliefert fühlen, wenn die Hilfe zum Beispiel ein Dolmetschereinsatz ist, der tief in die Privatsphäre blicken lässt (vgl. ebd.: 72 f.).

5. Angelernte „Hilflosigkeit“:

Gehörlose Menschen waren in ihrer Sozialisation oft Situationen ausgesetzt, in denen sie gehorchen mussten, ohne dass ihnen verständlich erklärt wurde, warum das so ist. Sie haben gelernt, dass sie nicht kompetent genug sind, um ihr Leben alleine zu schaffen. Sie mussten von ihren Eltern und ihrer Umwelt Regeln lernen, ohne diese wirklich zu begreifen und adäquat mit ihnen umgehen zu können (vgl. ebd.: 73).

6. Loyalität:

Hierbei ist die Loyalität gegenüber der eigenen ‚Behindertengruppe’ gemeint. Gehörlose Menschen werden häufig mit Gesetzen und daraus folgenden Grenzen konfrontiert. Für den einzelnen wäre es alleine oft möglich, die eigene Situation trotz dieser Schwierigkeiten zu verbessern. Allerdings müsste er sich hierfür unsolidarisch gegenüber den Anliegen seiner ‚Behindertengruppe’ verhalten, was zu Streitigkeiten und Neid führen kann (vgl. ebd.: 74 f.). Hierzu zählt zum Beispiel das Engagieren eines gebärdensprachkompetenten hörenden Freundes als Dolmetscher bei einem wichtigen Termin, obwohl das Anliegen der Gehörlosengemeinschaft darin besteht, den Einsatz von professionellen Dolmetscherinnen und Dolmetschern zu fördern.

7. Schnellere Müdigkeit wegen der anstrengenden Kommunikation:

Die Kommunikationsbehinderung kann im Umgang mit der hörenden Welt Müdigkeit und Nervosität auslösen. Das Absehen vom Mund erfordert hohe Konzentration, Willenskraft und Belastbarkeit (vgl. ebd.: 75). Es müssen zerstückelte Worte und unvollständige Satzteile richtig zugeordnet werden (vgl. hierzu auch: neue caritas spezial 2000: 12, 15), was auf Dauer ermüdet und trotzdem nicht gewährleistet, dass alles verstanden wird (vgl. Konzeption-2 2003: 1).

8. Schwierigkeiten beim Sprechen, Lesen und Schreiben:

Dieser Aspekt hängt damit zusammen, dass gehörlose Personen eine visuelle Sprache mit eigener Grammatik sprechen, die sich von der Lautsprache unterscheidet. Aufgrund ihrer Gehörlosigkeit können sie Lautsprache nicht wahrnehmen und somit auch nur eingeschränkt lernen und daraus folgend lesen. „Vergleichsweise müssten wir chinesische Schriftzeichen lesen und verstehen können, ohne die Sprache zu kennen.“ (Larsen 2004: 77)[4]

Hörende Menschen hören den ganzen Tag die Lautsprache in ihrer Umgebung. Hierbei nehmen sie nicht nur die Sprache, sondern auch Rhythmus, Tonfall, Betonung, Gefühle oder Ironie war. Diese Elemente können meistens schriftlich nicht wiedergegeben werden, aber eine hörende Person kann aufgrund ihrer Spracherfahrung einen Text in die für sie bekannte Sprache umsetzen (vgl. ebd.). Gehörlose Menschen können dies nicht und haben deshalb, zusätzlich zu dem meistens gering vorhandenem Lautsprachverständnis, Probleme im ‚richtigen’ Text- und Sprachverständnis.

„Durchschnittlich begabte gehörlose Erwachsene haben .. in der Regel in etwa das Lautsprachverständnis eines Kindes der dritten Grundschulklasse. So sind auch Medien zur Informationsaufnahme, wie Bücher, Zeitungen und Zeitschriften, gehörlosen Menschen nicht ohne weiteres zugänglich; ebenso kann die mündliche Kommunikation nicht einfach durch schriftliche Kommunikation ersetzt werden, obwohl diese ein Hilfsmittel darstellt.“ (neue caritas spezial 2000: 15)

Diese Situation lässt sich dadurch erklären, dass schon gehörlose Kinder keinen direkten Zugang zur Lautsprache haben. Hörende Kinder sind immer davon umgeben und lernen ihre Muttersprache sozusagen von selbst. Gehörlosen Kindern muss diese Sprache bewusst

und didaktisch überlegt beigebracht werden. Sie müssen neue Wörter wie bei einer Fremdsprache auswendig lernen, ohne je direkten Zugang dazu bekommen zu können, da dies alles in einem Sprachmodus passiert, den sie selbst nicht adäquat wahrnehmen und kontrollieren können. Durch die nicht kontrollierbare Artikulation kommt es häufig zu undeutlicher Aussprache und ungewohntem Klang der Stimme. Gehörlose Personen werden, selbst wenn sie als gute ‚Sprecher’ gelten, von ihrer Umwelt daher häufig falsch oder gar nicht verstanden (vgl. ebd.: 14 f.).

Der Prozess des Laut- und Schriftspracherwerbs ist für gehörlose Menschen langwierig und mühevoll. Er kann nur bei den wenigsten betroffenen Erwachsenen als annährend abgeschlossen angesehen werden (vgl. ebd.: 14).[5]

In diesem Rahmen muss aber auch erwähnt werden, dass die sprachlichen Möglichkeiten in Gebärdensprache ebenfalls eingeschränkt sein können, da diese gehörlosen Kindern mit hörenden Eltern in der Regel nicht als Muttersprache zur Verfügung steht und sich erst im Kontakt zu anderen gehörlosen Menschen zu entwickeln beginnt (siehe 2.4.1).

9. Sozialer Angst ausgesetzt sein:

Gehörlose Menschen wissen oft nicht welche ungeschriebenen Normen oder Umgangsformen in sozialen Zusammenhängen gelten. Sie können nicht über das Gehör kontrollieren (mit anderen vergleichen), welche Form der Kommunikation oder des Verhaltens in der herrschenden Situation angebracht ist. Hieraus können soziale Ängste entstehen (vgl. Larsen 2004: 78 f.). „Man hat Angst sich zu blamieren, etwas Falsches zu sagen, was andere ulkig finden.“ (ebd.: 78)

Diese Sekundäreffekte spielen in der Arbeit mit gehörlosen Menschen eine große Rolle. Man kann so bestimmte Verhaltensweisen und Reaktionen besser verstehen und einschätzen, wodurch ein adäquaterer Umgang gewährleistet ist. Vor allem die Problematik des Schreibens und Lesens wird als wichtig erachtet. Es ist in der Unterstützung dieser Klientel nicht ausreichend, auf schriftliche Informationen oder andere Medien hinzuweisen, damit sie ihre Fragen selbst beantworten können. Vielen fehlt hierzu das nötige Schriftsprachverständnis, woraus ein gesonderter Hilfebedarf abgeleitet werden kann, mit dem in der Arbeit umgegangen werden muss.

[...]


[1] Die Kontaktadressen der Einrichtungen stehen im Literatur- und Quellenverzeichnis unter ‚Unveröffentlichte Dokumente’.

[2] Quellen in alter Rechtschreibung werden ohne Änderungen zitiert sowie ohne explizit darauf hinzuweisen.

[3] Zur geschichtlichen Entwicklung der Gehörlosenpädagogik sowie weiteren pädagogischen Ansätzen siehe: Fischer/ Lane 1993 und Wisotzki 1998. Zum Hamburger Bilingualismus-Modell siehe: Günther 1999.

[4] Zum Problem des Schriftspracherwerbs gehörloser Menschen siehe auch: Louis-Nouvrtné 2001.

[5] In dieser Diplomarbeit wird u.a. aus Veröffentlichungen von gehörlosen Personen zitiert. Es zeigen sich daher bei vereinzelten Zitaten Auffälligkeiten hinsichtlich des Satzbaus und der Formulierung.

Ende der Leseprobe aus 99 Seiten

Details

Titel
Gehörlose Eltern und hörende Kinder. Anforderungen an Sozialpädagogische Familienhilfe
Hochschule
Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
99
Katalognummer
V92842
ISBN (eBook)
9783638054041
ISBN (Buch)
9783638949651
Dateigröße
621 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Für diesen speziellen SPFH-Bereich gibt es in Deutschland noch keine Literatur. Aufgrund dessen wurden Bücher und Artikel herangezogen, die hauptsächlich die Thematiken gehörlose Eltern und hörende Kinder mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen, Beratung für gehörlose Menschen sowie allgemeine Problemstellungen bei Gehörlosigkeit beinhalten oder das bearbeitete Thema zumindest anschneiden. Zusätzlich wurde mit Einrichtungskonzepten und Vortragsverschriftlichungen gearbeitet.
Schlagworte
Anforderungen, Sozialpädagogische, Familienhilfe, Eltern, Kindern
Arbeit zitieren
Diplom Sozialpädagogin Katharina Gerlach (Autor:in), 2006, Gehörlose Eltern und hörende Kinder. Anforderungen an Sozialpädagogische Familienhilfe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92842

Kommentare

  • Gast am 6.1.2013

    Ich bin selbst Sozialarbeiterin und arbeite mit Familien deren Eltern gehörlos sind und die Kinder hörend. Diese Leseprobe habe ich im wahrsten Sinne verschlungen. Frau Gerlach spricht mir sehr aus dem Herzen, denn ich muß mich immer rechtfertigen, warum diese Familien über die SPFH mehr mit der Gesellschaft partizipieren. Sehr gut gewählt ist auch die Begrifflichkeit "unsichtbare Behinderung". Ich hätte gern weitergelesen, da ich eine eigene Leistungsbeschreibung für dieses Klientel erarbeite.
    Vielen Dank für diese Leseprobe Kathrin Schünemann

Blick ins Buch
Titel: Gehörlose Eltern und hörende Kinder. Anforderungen an Sozialpädagogische Familienhilfe



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