"Black Mirror: Bandersnatch" als Hybrid zwischen Videospiel und Netflix-Film. Eine Analyse von Intermedialität im digitalen Film


Hausarbeit, 2020

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Intermedialität und -aktivität im digitalen Film: Eine theoretische Annäherung

3. Intermedialität in Black Mirror: Bandersnatch
3.1 Videospiel-Charakteristika in Black Mirror: Bandersnatch
3.2 Film-Charakteristika in Black Mirror: Bandersnatch

4. Fazit: Bandersnatch als intermedialer Hybrid zwischen Computerspiel und Film

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

Der Film als abgrenzbares Genre mit festen Regeln und Normen scheint sich im digitalen Zeitalter stetig zu verändern. Durch digitale Schaffungs- und Hybridisationsprozesse kristallisiert sich der Film immer mehr als ein Medium heraus, das keine genrespezifischen Grenzen kennt. So öffnet sich die filmische identität durch die voranschreitende Digitalisierung variablen und vor allem multimedialen Formen, die den filmischen charakter neu definieren (vgl. Rodowick 2007, 97).

Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit der multimedialen Form des interaktiven Kinos, die film- sowie videotechnische Aspekte zu kombinieren scheint. Um meiner Ausarbeitung zunächst einen theoretischen Rahmen zu verschaffen, gehe ich im ersten Kapitel näher auf das intermedialitätskonzept nach irina O. Rajewsky ein. Zudem werde ich mich dem Begriff der interaktivität als Potenzial digitaler Medien annähern. Auf Grundlage dieses theoretischen Rahmens werde ich im nächsten Schritt den interaktiven Film Black Mirror: Bandersnatch (Slade, GB/USA 2018) hinsichtlich seiner intermedialen Konstruktionsweise untersuchen. Durch die Gegenüberstellung der im Film vorhandenen video- und filmtechnischen charakteristika möchte aufzeigen, inwieweit dieser Film einen medialen Zwischenraum einnimmt und damit als grenzüberschreitendes Hybridmedium aufzufassen ist.

Zum Schluss sollen im Fazit alle Untersuchungsergebnisse für einen möglichen Ausblick herangezogen werden: Repräsentieren interaktive Film wie Black Mirror: Bandersnatch die digitale Zukunft des bewegten Bildes? Oder treten interaktive Filme als eigenständiges Hybridmedium lediglich neben das Medium des klassischen Films ohne dieses komplett zu verdrängen?

2. Intermedialität und -aktivität im digitalen Film: Eine theoretische Annäherung

Intermedialität ist ein vielschichtiger und häufig verwendeter Begriff in der Medienwissenschaft und vereinigt verschiedene Bedeutungen in sich (vgl. Rajewsky 2002, 6). Die Literaturwissenschaftlerin irina o. Rajewsky definiert intermedialität als „die Gesamtheit aller Mediengrenzen überschreitenden Phänomene“ (ebd.,12). Der Begriff der intermedialität bezieht sich demnach generell auf die grenzauflösenden Wechselwirkungen zwischen Medien sowie auf „(ästhetische) Kopplungen und Brüche, auf Übergängigkeiten [...], mediale Transformationsprozesse, interaktionen und interferenzen“ (Rajewsky 2014, 197, Herv. im orig.). innerhalb dieser interferenzen unterscheidet Rajewsky zwischen drei grundlegenden „Phänomenbereiche des Intermedialen“ (Rajewsky 2002, 18).

Ein Phänomenbereich stellen die Medienkombinationen dar. Medienkombinationen liegen dann vor, wenn sich mindestens zwei „konventionell als distinkt wahrgenommene Medien“ (ebd., 13) oder Medienelemente miteinander verflechten. Diese nähern sich einander so sehr an, dass deren Besonderheiten in eine „plurimediale Grundstruktur“ (ebd., 15) des Endproduktes eingeschleust werden. Diese intermediale Struktur zeichnet sich „gleichermaßen durch die Wechselwirkung und das getrennte Vorkommen der verkoppelten Medien aus“ (Wirth 2007, 254). Bekannte Medienkombinationen sind unter anderem Fotoromane, Bilderbücher oder opern.

Die nächste intermediale Ausprägung bezieht sich auf den Prozess des Medienwechsels. Von Medienwechsel spricht Rajewsky in Bezug auf die Übertragung eines medialen Prätextes in ein anderes Medium, wie dies beispielsweise bei Literaturverfilmungen der Fall ist. Dabei sind weniger die inhalte oder Medien an sich, sondern viel eher die Prozesse des Medientransfers und der Medientransformation als intermedial zu betrachten. intermedialität wird daher unter dieser Ausprägung „zu einem produktionsästhetisch orientierten, genetischen Begriff“ (ebd., 16).

Eine weitere Abgrenzung innerhalb des Feldes der intermedialität bezeichnet Rajewsky als intermediale Bezüge. Hierbei geht es um das Verfahren der Bedeutungskonstitution, bei dem zwar „immer nur ein Medium in seiner Materialität präsent“ (Rajewsky 2002, 21, Herv. im Orig.) ist, aber zugleich die Bezugnahme auf mindestens ein anderes semiotisches Mediensystem erkennbar wird. Zu dieser Form zählen zum Beispiel Bezugnahmen eines literarischen Textes auf ein bestimmtes Gemälde oder auf ein filmisches Genre. in meiner Hausarbeit werde ich mich verstärkt auf das Phänomen der Medienkombinationen beziehen. insbesondere die Dynamiken moderner Medien ermöglichen dabei „unzählige intermediale Kombinationsspiele“ (Müller 1996, 130). Denn „[j]e stärker die Digitalisierung voranschreitet, desto einfacher wird es, die verschiedenen Medien miteinander zu verknüpfen“ (Eick 2014, 227). Dieser zunehmende Hybridcharakter digitaler Medien lässt die alten, medialen Formen nicht einfach verschwinden. Vielmehr werden deren Funktionen von dem verkoppelten Mediensystem aufgegriffen und neu definiert.

Dadurch geht das „multimediale^..] Nebeneinander“ (Wirth 2007, 263) in ein „intermediale[s] Miteinander“ (ebd.) über, das „neue Dimensionen des Erlebens und Erfahrens“ (Müller 1998, 32) ermöglicht. So stellt auch der Medientheoretiker Marshall McLuhan fest, dass durch die „Hybridisierung von Medien [...] gewaltige neue Kräfte und Energien“ (1994, 84) freigesetzt werden. Durch die Fusion verschiedener Medien kommt es zu einer Ausweitung medialer Grenzen, die altbekannte und medienspezifische Wahrnehmungskonventionen in Frage stellt und die es in der Wissenschaft neu zu verhandeln gilt.

Die Fusion neuer Medien ist jedoch nicht nur begleitet von der Ausweitung der medialen Grenzen, sondern auch von der Aufhebung der Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten. Die Digitalisierung hat folglich nicht nur die Gestaltungsformen der Medien, sondern auch die Rezeptionsgewohnheiten hin zu einer aktiveren Partizipation und Teilhabe verändert (vgl. Röll 2013, 81). So besitzen alle neuen Kommunikationssysteme mindestens einen bestimmten Grad von Interaktivität (vgl. Rogers 1986, 5). Interaktivität wird folglich zu einem natürlichen Merkmal von digitalen Erzählstrukturen und „scheint diejenige Eigenschaft zu sein, die die ,Neuen Medien‘ von [...] den traditionellen Massenmedien unterscheidet“ (Matuszkiewicz 2014, Herv. im Orig.). Dabei darf der Terminus Interaktivität nicht mit dem Begriff der Interaktion verwechselt werden. Während Interaktivität als potentielle Eigenschaft neuer Medien aufgefasst werden kann, die mehr Entscheidungs- und Einflussmöglichkeiten eröffnet, ist Interaktion als Vorgang der Umsetzung dieses Potentials zu verstehen. Der Begriff der Interaktion hat somit prozessualen Charakter (vgl. Neuberger 2007, 35).

Durch die Anwendung digitaler Techniken trägt auch das Medium Film das Potential inne, interaktive Formen aufzugreifen und neue Seherfahrungen zu ermöglichen (vgl. Tanakinci & Ba§ci 2019, 114). Dieses, dem Film inhärente, Potential vergrößert die gestalterischen Spielräume und lässt mediale Grenzen verschwimmen: „Filme werden Games und Games werden zu Filmen“ (Eick 2014, 95).

Im Folgenden werde ich mich mit dieser intermedialen Entwicklungstendenz näher befassen und dabei als veranschaulichendes Beispiel den interaktiven Film Black Mirror: Bandersnatch heranziehen. Ich möchte untersuchen, inwiefern sich die jeweiligen Mediensysteme einander durch intermediale Kombinationsspiele annähern und ob es dabei zu unüberwindbaren Differenzen kommt. Zentrales Augenmerk meiner Analyse liegt hierbei auf die partizipatorische Erzählform als Auslöser für die mediale Grenzüberschreitung und die Hybridisierung der Genrekonventionen.

3. Intermedialität in Black Mirror: Bandersnatch

Die britische Science-Fiction-Serie Black Mirror (Brooker, GB 2011) wird auf der Streaming-Plattform Netflix ausgestrahlt und thematisiert die Auswirkungen der modernen Technologie auf die heutige Gesellschaft unter Bezugnahme eines dystopischen Blickwinkels. Jede Episode der Serie erzählt dabei eine neue, in sich abgeschlossene Geschichte. Zwischen der vierten und fünften Staffel von Black Mirror wurde im Dezember 2018 der interaktive Film Bandersnatch veröffentlicht, der laut Beschreibung von Netflix „ein bewusstseinserweiterndes Erlebnis“1 ermöglicht. Gab es auf Netflix zuvor schon zahlreiche Kinderspielfilme mit performativen inhalten, wurde mit Black Mirror: Bandersnatch das erste interaktive Format im Erwachsenensegment erschaffen.

Der Film spielt im Jahre 1984 und erzählt die Geschichte des jungen Programmierers Stefan, der ein interaktives Computerspiel basierend auf einem Fantasy-Abenteuerroman produzieren möchte. Stefan bewirbt sich bei der renommierten Softwarefirma Tuckersoft, wo auch sein größtes idol, der Programmierer Colin Ritmann, arbeitet. Seine Bewerbung hat Erfolg und Stefan kann mit der Umsetzung seines Spielkonzeptes beginnen. Dabei verliert er jedoch immer mehr den Verstand sowie den Bezug zu seiner eigenen Lebensrealität.

Die Zuschauerinnen dürfen während des gesamten Films Entscheidungen für Stefan treffen, die über sein Schicksal bestimmen und den Fortlauf der Geschichte beeinflussen. Abhängig von den getroffenen Auswahlmöglichkeiten des Publikums kann Black Mirror: Bandersnatch demnach zu fünf möglichen Enden und einer höchstmöglichen Laufzeit von über fünf Stunden führen (vgl. Fabian 2018).

Um feststellen zu können, inwieweit Black Mirror: Bandersnatch durch diese Partizipationselemente über die medialen Grenzen des Films hinaustritt, werde ich den Film zunächst im Lichte adaptierter videotechnischer Merkmale hin untersuchen.

3.1 Videospiel-Charakteristika in Black Mirror: Bandersnatch

Black Mirror: Bandersnatch ist ein interaktiver Film, welcher einige stilistische Merkmale eines computerspiels aufgreift. charakteristisch für das Medium der Videospiele ist in erster Linie das Erfordernis der aktiven Partizipation aufseiten des Spielers: „[O]ne of the key facets of the medium's modality is interactivity [...]“ (Mack 2016, 8).

Auch in Black Mirror: Bandersnatch erleben die Zuschauerinnen die Geschichte interaktiv mit. Regelmäßig werden dem Publikum Optionen auf dem Bildschirm eingeblendet, zwischen denen eine Entscheidung getroffen werden muss. Gewählt wird dabei per Knopfdruck durch einen controller, ein Display oder ein anderweitiges Eingabegerät, welches als Schnittstelle zwischen Realität und Fiktion fungiert. Erst durch diese Schnittstelle ist es den Zuschauerinnen möglich, reale Handlungen zu vollziehen, die letztlich dann auch Ausdruck in der virtuellen Welt finden. Um also an Black Mirror: Bandersnatch teilhaben zu können, wird eine technische Plattform benötigt, die interaktive inhalte unterstützt. Dieses Erfordernis legt die erste videotechnische Nuance des Films frei. Denn ein computerspiel ist in erster Linie ein Spiel, „das durch wesentliche Unterstützung von Technologie funktional wird“ (Nohr 2012, 28, Herv. im orig.).

Eine weitere videotechnische Nuance liegt auf dem Bildschirm, der durch die Einblendung der Wahlmöglichkeiten zu einem interaktiven Spielfeld wird, welches den Zuschauerinnen „ein Handeln am Bild und im Bild“ (Wiemer 2018, 28) ermöglicht. Der Bildschirm bildet somit nicht mehr nur verschiedene Filmsequenzen ab, sondern gibt zusätzlich eine Schaltfläche für die instruktionen der Zuschauerinnen frei. Die Bildlichkeit von Black Mirror: Bandersnatch setzt sich demnach aus zwei Fragmenten zusammen, nämlich „aus einer manipulierbaren, maschinenlesbaren Unterfläche und einer sichtbaren Oberfläche“ (ebd., 51). Diese manipulierbare Unterfläche reagiert auf den Input des Publikums, indem sie den passenden Output auf der sichtbaren Oberfläche produziert (vgl. Schemer-Reinhard 2018, 155). Das codebasierte System hinter Black Mirror: Bandersnatch tritt also in Dialog mit den Rezipienten und Rezipientinnen. Es kommt zu „einer auf Wechselseitigkeit basierenden Reaktionskette“ (Hensel 2018, 52), bei dem sowohl das Publikum als auch die filmische Bildkonstruktion aufeinander reagieren und miteinander interagieren. Die Zuschauerinnen können also erst durch ihr „technologiebasierte[s] Handeln“ (Nohr 2012, 28) auf der sichtbaren Bildoberfläche das Potential der interaktivität von Black Mirror: Bandersnatch erschöpfen und den Handlungsverlauf mit instruktionen steuern: „The screen is not only a surface for expressing images; it also functions as a control for executing instructions“ (Rodowick 2007, 138).

In Black Mirror: Bandersnatch wird dabei mit der einfachen Instruktion gestartet, für den Protagonisten Stefan zwischen zwei Cornflakessorten zu entscheiden.2 Im Laufe der Handlung werden die optionen stets komplexer und bedeutender, sodass die Zuschauerinnen immer stärker in die fiktionale Welt jenseits der Leinwand eingebunden werden. Statt das filmische Geschehen passiv zurückgelehnt zu rezipieren, ist das Publikum dazu gezwungen, aus dem Regressionszustand hervorzutreten. Jeder Zuschauer beziehungsweise jede Zuschauerin wird demnach zu einem „partizipativen Konsumenten“ (Piller 2006), der neben dem bloßen Anschauen des Films gleichzeitig auch aktive Entscheidungen treffen muss. Diese „Doppelrolle von Beobachtung und Teilnahme“ (Distelmeyer 2008, 99) gleicht der Praxis von Videospielen: „[T]he experience of videogames is tied inextricably to the player's investment and involvement within the game's textual diegesis [...]“ (Veale 2012).

So erlebt man das filmische Geschehen nicht nur von außen mit, sondern nimmt einen Platz innerhalb der Story ein und macht sich diese zu eigen. Das Publikum antizipiert sich durch diese partizipative Rolle von festgelegten Narrativen und kann spielerisch auf der Grundlage vorgegebener Bausteine seine eigene Filmversion zusammenstellen: „The audiences have the possibility to choose their own montage of the narrative“ (Ivars- Nicolâs/ Martinez-Cano 2019, 2).

Black Mirror: Bandersnatch gibt also nicht bloß etwas vorher Aufgezeichnetes wieder, sondern entfaltet seine Handlung erst durch die Anweisungen der Zuschauerinnen. Dadurch wird der Film mit einem für Computerspiele charakteristischen Konstruktionscharakter unterlegt, der eine aufwendigere Teilnahme und Mitwirkung des Publikums voraussetzt. Während in klassischen Filmen eine Geschichte wiedergegeben wird, wird in Black Mirror: Bandersnatch eine Welt aus verzweigten Erzähl- und Möglichkeitsräumen kreiert, die sich die Rezipienten und Rezipientinnen schrittweise selbst erschließen müssen. Dabei eröffnet jede Wahlmöglichkeit im Film „unterschiedliche, narrative Pfade“ (Distelmeyer 2008, 34). Welche Richtung die Handlung dabei einschlägt, liegt in den Händen der ZuschauerInnen. Jeder einzelne Zuschauer, jede einzelne Zuschauerin wirkt somit am Prozess des Erzählens mit und bestimmt das Tempo, mit dem die Geschichte durchlaufen werden soll. Der Film wird explorativ rezipiert und selbstreferentiell interpretiert: „It is a single universe, but with multiple observers, each with a different frame of reference [...]“ (Gimbel & Roman 2019, 10).

Durch das aktive Eingreifen in die Handlung wird allmählich die Grenze zwischen Realität und Fiktion aufgelöst und reale sowie irreale Ebenen miteinander verknüpft. Die narrative Geschlossenheit wird immer mehr durchbrochen und von einer offenen Erzählweise sowie dynamischen Zeitstruktur abgelöst. Der Film schafft es dadurch, die temporale Dynamik eines Computer spiels aufzunehmen, die auch als Hyperzeit bezeichnet werden kann. Diese Hyperzeit erlaubt es den Rezipienten und Rezipientinnen, erzählerische Knotenpunkte zu verändern oder zu früheren Erzählhandlungen zurückzukehren (vgl. Wiemer 2018, 31).

Auch in Black Mirror: Bandersnatch können die Zuschauerinnen immer wieder strategisch mit den Wahlmöglichkeiten herumexperimentieren, ihre getroffene Entscheidung revidieren und neue Szenen aufzudecken. Dies sorgt für einen dramaturgischen Bruch, der die Spielmechanik des Films betont und den Handlungsfluss des Films stört. Denn die Geschichte läuft nicht kontinuierlich weiter. Vielmehr werden einzelne Handlungsstränge wiederholt und in unterschiedlichen Variationen gezeigt. in einer Szene müssen die Zuschauerinnen für den unter Drogeneinfluss stehenden Stefan beispielsweise entscheiden, ob dieser vom Balkon springen oder dem Programmierer Colin den Vortritt lassen soll. Wählen die Zuschauerinnen den eigenen Sprung in den Tod, führt dies zum vorzeitigen Ende mitsamt einer Art Game-Over-Bildschirm, von dem man zum vorherigen Punkt der Handlung gelangt. Diese für Videospiele typische Re- Entry-Struktur unterlegt den Film nicht nur mit einer gewissen Künstlichkeit, sondern sorgt auch für einen geringeren Realitätseffekt. Durch diesen verminderten Realitätseffekt verringert sich auch gleichzeitig die intensität des Miterlebens sowie der dramatischen Spannung. indem immer wieder szenisch zurückgesprungen werden kann, sind die Entscheidungen im Film niemals endgültig und die Konsequenzen der von den Zuschauerinnen getroffenen Wahl relativieren sich: „Actions in videogames are reversible. Therefore, there is no room in them for fate or tragedy. it is always possible to go back and play until you reach a happy ending“ (Frasca 2000, 4).

Durch die Wiederholbarkeit der Szenen in Black Mirror: Bandersnatch sinkt also das Empathieempfinden des Publikums, was wiederum zu einer höheren Bereitschaft führt, riskante Entscheidungen für Stefan zu treffen, die mehr und mehr sein Schicksal berühren. Stefan ist den Zuschauerinnen folglich komplett ausgeliefert und wird „von einem allgemeinem Äußeren gelenkt, ohne die Möglichkeit zu besitzen auszubrechen“ (Zeiner 2008/2009, 20). Dadurch erscheint Stefan auf die Zuschauerinnen immer weniger als ein Subjekt mit eigenen Gefühlen und Charakterzügen, sondern viel mehr als eine funktionale Spielfigur, als eine „elektronische Marionette“ (Fritz 2011, 43), die durch das Publikum geleitet wird: „Stefan isn't much of a character because he can't be — he's a vehicle“ (Poniewozik 2019).

Stefan fungiert für die Zuschauerinnen also als eine Art Werkzeug, das ihnen die virtuelle Teilhabe in der filmischen Welt ermöglicht und deshalb das „entscheidende Element des interaktiven Bildes“ (Beil/ Rauscher 2018, 201) darstellt. Denn mit Stefan als vermittelnde instanz zwischen Darstellung und Spielmechanik werden die Zuschauerinnen partizipativ in die Bildwelt von Black Mirror: Bandersnatch eingebunden. Auch in Computerspielen werden die Charaktere von den Spielern und Spielerinnen oftmals distanzierter wahrgenommen und für ihre Handlungszwecke instrumentalisiert (vgl. Beil 2010, 60f). Indem der Protagonisten Stefan in seiner Figurengestaltung einen solchen „Werkzeug-Status“ (ebd., 61) auferlegt bekommt, nähert sich Black Mirror: Bandersnatch also den Charakteristika eines Computerspiels an.

Je weiter die Story voranschreitet, desto mehr fühlt sich Stefan fremdbestimmt und versucht gegen die unbekannte Macht anzukämpfen. So schafft er es in einer Szene, sich gegen den von den Zuschauerinnen gesetzten impuls des Fingernägelkauens zu wehren. indem er sich diesem Befehl widersetzt und selbstständig handelt, durchbricht er seinen Werkzeug-Status und dem Publikum werden die Grenzen ihrer performativen Eingriffsmöglichkeiten aufgezeigt. Dennoch wird Stefan durch das Einwirken der Zuschauerinnen immer mehr in den Wahnsinn getrieben, sodass er sich aus Verzweiflung direkt an das Publikum wendet: „Who is doing this to me? i know there is someone who is controlling me.“

Die Zuschauerinnen haben nun die Wahl, sich erkenntlich zu zeigen und Stefan über seinem Computerbildschirm zu erklären, wer sie genau sind: „I'm watching you on Netflix. i make decisions for you.“

[...]


1 https://www.netflix.com/title/80988062

2 Da der Fortlauf von Black Mirror: Bandersnatch auf individuellen Entscheidungen beruht, gibt es keine Timecodes. Demnach werden auch im Folgenden keine Zeitangaben erfolgen. im Anhang dieser Hausarbeit befindet sich jedoch ein Ablaufdiagramm. Dieses Ablaufdiagramm veranschaulicht, wie man durch die verschiedenen Wahlmöglichkeiten zu einer bestimmten Szene gelangt.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
"Black Mirror: Bandersnatch" als Hybrid zwischen Videospiel und Netflix-Film. Eine Analyse von Intermedialität im digitalen Film
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Institut für Sprach-, Medien- und Musikwissenschaft Abteilung für Medienwissenschaft)
Veranstaltung
Seminar "Theorien des digitalen Kinos"
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
21
Katalognummer
V925903
ISBN (eBook)
9783346257239
ISBN (Buch)
9783346257246
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bandersnatch, Digitalisierung, Filmwissenschaft, Games, Intermedialität, Computerspiel
Arbeit zitieren
Katrin Adler (Autor:in), 2020, "Black Mirror: Bandersnatch" als Hybrid zwischen Videospiel und Netflix-Film. Eine Analyse von Intermedialität im digitalen Film, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/925903

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