Ein Wunder Benedikts von Nursia: Wasser aus dem Felsen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

16 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Auflösung des textkritischen Apparats

3. Übersetzung

4. Interpretation
4.1 Gattungstheorie
4.2 Religionsgeschichtlicher Hintergrund
4.3 Kategorisierung des Wunders
4.4 Interpretation der Textstelle: Wasser aus dem Felsen
4.5 Stilanalyse
4.6 Positionierung des Wunders in der gesamten Vita

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis
6.1 Primärliteratur:
6.2 Sekundärliteratur:

1. Einleitung

Im Mittelpunkt dieser Arbeit soll die Interpretation des 5. Kapitels der Benediktsvita stehen. Unter anderem soll die Intention Gregors des Großen und die Stellung der Passage im Gesamtwerk untersucht werden. Außerdem wird geprüft, inwiefern Gregor beim Verfassen dieses Werkes Vorbildern aus der antiken Hagiographie und der Bibel gefolgt ist.

Dazu werden vor allem Pratsch und Theißen zu Rate gezogen, die auf diesem Gebiet sehr wichtige Arbeiten geschrieben haben. Theißen hat in seiner Arbeit „Urchristliche Wundergeschichten“ die synoptischen Wundergeschichten systematisiert und dient somit sehr gut zur Analyse der Wunder in der Benediktsvita. Pratsch hat in „Der hagiographische Topos“ vor allem die mittelbyzantinische Hagiographie analysiert und dient somit zur Einbettung der Dialoge Gregors in die hagiographische Tradition.

Der Aufbau dieser Arbeit sieht so aus, dass zunächst der textkritische Apparat aufgelöst wird, worauf die Übersetzung der gewählten Passage folgt. In der dann folgenden Interpretation wird ein Blick auf die Wundergeschichte in der Gattungstheorie geworfen, ehe der religionsgeschichtliche Rahmen erläutert wird. Dann folgt die Interpretation der gewählten Passage und die Einordnung in das gesamte Werk.

2. Auflösung des textkritischen Apparats

Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die textkritische Ausgabe von de Vogüé, ebenso die Übersetzung im nächsten Kapitel.[1]

In Zeile 4 entscheidet sich der Editor für die Lesart ex deuexo, die durch die Handschrift H (Augustodunensis 20, saec. VIII²) und im textkritischen Apparat des Editors m (U. Moricca ed., Romae 1924) überliefert ist. Die Edition b (Benedictinorum ed., Parisiis 1705) schlägt e deuexo vor. Die Handschrift G (Sangallensis 213, saec. VIII med) und die Editoren m und r (R. Mittermüller ed., Ratisbonae 1880 (Liber II)) bevorzugen die Lesart ex diuexo.

In Zeile 11 übernimmt der Editor die Lesart consolatus, die bei m, z (Zachariae testimonia graeca, saec. VIII, a Benedictinis edita) und im Apparat von b, sowie in den Handschriften G und H bezeugt ist. Dagegen nennen die Editoren b, m und r zusätzlich die Lesart consolatos, wobei sich die Edition b für consolans entscheidet.

Ebenfalls in Zeile 11 wird dimisit durch den Editor bevorzugt, welches von b, mº (codicum in madhibitorum lectiones ab editore omissae), r, z, G und H überliefert wird. Der Editor m entscheidet sich dahingegen für die Lesart admisit.

In Zeile 12 übernimmt der Editor die Lesart paruo, die bei b, m, r, G und H bezeugt ist. Der Editor m entscheidet sich jedoch für paruulo. In derselben Zeile entscheidet sich de Vogüé für die Lesart puerulo, die durch b, m und r sowie in der Handschrift G überliefert ist. Dagegen findet sich im textkritischen Apparat von m und in der Handschrift H die Lesart puero. In Zeile 13 bevorzugt der Editor die Lesart ascendit rupem, die bei m, r, G und H bezeugt ist. Die Edition b überliefert rupem ascendit. In Zeile 17 übernimmt de Vogüé die Lesart alio, die bei m und r vorgeschlagen wird und durch G und H überliefert ist. Die Edition b überliefert alia.

In Zeile 18 bevorzugt der Editor redissent. Diese Lesart ist bei m, r, G und H überliefert. Die Edition b enthält dagegen rediissent. In Zeile 19 übernimmt de Vogüé die Lesart inuenitis, wie es bei m und G überliefert wird. Die Editoren r und z entscheiden sich hier für die Lesart inuenietis, die durch die Handschrift H bezeugt ist. Die Edition b und der textkritische Apparat von m überliefern inueneritis. Zusätzlich nimmt m die Lesart inuenientes auf. In Zeile 21 entscheidet sich der Editor für die Lesart ut, die bei b, m, r, G und H bezeugt ist. Die Lesart et findet sich bei b und z. Im textkritischen Apparat von m wird zusätzlich ut a vorgeschlagen. In Zeile 22 übernimmt der Editor die Lesart dignetur, die durch b, m, r, G und H bezeugt wird. In der Edition b ist zusätzlich die Lesart dignanter vermerkt.

3. Übersetzung

1. Aber von diesen Klöstern, die er in derselben Gegend erbaut hatte, lagen drei oben in den Felsen des Gebirges. Und für die Brüder war es sehr beschwerlich, immer zum See herabzusteigen, wenn sie Wasser schöpfen mussten, vor allem weil die abschüssige Seite des Berges eine große Gefahr für sie darstellte, wegen der sie ängstlich herabstiegen.

Aus eben diesen drei Klöstern kamen damals die Brüder gemeinsam zu Benedikt, dem Diener Gottes. Sie sagten: „Es ist sehr beschwerlich für uns, wegen des Wassers täglich zum See herabzusteigen und darum ist es notwendig, dass die Klöster aus dieser Gegend verlegt werden.“

2. Nachdem er sie liebevoll getröstet hatte, schickte er sie fort und stieg in derselben Nacht zusammen mit einem Bürschchen namens Placidus, den ich schon erwähnt habe, auf einen Felsen desselben Berges. Dort betete er recht lange und legte, nachdem er das Gebet beendet hatte, drei Felssteine an derselben Stelle als Zeichen nieder. Und er ging in sein Kloster zurück, wobei niemand dort etwas bemerkt hatte.
3. Und als die bereits erwähnten Brüder an einem anderen Tag wegen des Wassermangels wieder zu ihm kamen, sagte er: „Geht und höhlt jenen Felsen, auf dem ihr drei übereinander gelegte Felssteine findet, ein wenig aus! Denn der allmächtige Gott kann sogar auf jener Bergspitze Wasser erzeugen, wenn er euch die Mühe des langen Weges abnehmen will.“

Als sie gingen, fanden sie den bereits tropfenden Felsen des Berges, den Benedikt vorausbestimmt hatte. Und nachdem sie eine Stelle im Felsen ausgehöhlt hatten, füllte sie sich sofort mit Wasser. Dieses floss so ergiebig heraus, dass es bis heute reichlich herabfließt und von jener Bergspitze aus bis in die Niederungen geleitet wird.

4. Interpretation

Vor der eigentlichen Interpretation soll zunächst die „Wundergeschichte“ im Allgemeinen in einen gattungstheoretischen und religionsgeschichtlichen Zusammenhang gestellt werden, um weiter analysieren zu können, warum Gregor der Große Wundergeschichten in die Vita Benedikts aufnimmt und wie diese auf die zeitgenössischen Leser gewirkt haben müssen. Nach der Interpretation der übersetzen Wundergeschichte wird die Untersuchung der Positionierung dieser Stelle in Bezug auf die gesamte Vita Benedikts im Vordergrund stehen.

4.1 Gattungstheorie

Wunderberichte oder Wundergeschichten existieren nicht als selbstständiges literarisches Genre. Sie sind stattdessen entweder in vorliterarischen Gattungen wie Inschriften oder Papyri vorhanden oder finden sich im Kontext anderer literarischer Gattungen. Innerhalb dieser übergeordneten Gattungen erfüllen sie einen bestimmten Zweck, dessen Ziel sich aus der Intention der übergeordneten Gattung ergibt.[2] Wundergeschichten dienen vor allem dazu, die besondere Qualität von Personen oder Orten zu betonen. Dadurch finden Wundergeschichten ihren Platz oft in Philosophen- oder Heiligenviten und Hymnen. „Wundergeschichte“ ist keine Bezeichnung für eine Gattung, sondern eine moderne Beschreibung für das Wirklichkeitsverständnis der Antike.[3]

Die Struktur einer Wundergeschichte folgt der Komposition einer jeden gestalteten Kurzgeschichte. Sie besteht aus Einleitung, Hauptteil und Schluss.[4] Dabei wird zunächst die Situation geschildert, bevor die eigentliche Wunderhandlung vollzogen wird. Im Schlussteil folgt die Feststellung des Wunders. Jede Wundergeschichte kann als Komposition eines Inventars von verschiedenen Motiven verstanden werden, die Theißen sehr übersichtlich systematisiert hat.[5] Dabei besteht eine Wundergeschichte immer nur aus einer Auswahl einiger weniger Motive, da sich die Motive zum Teil gegenseitig ausschließen. Allerdings bezieht sich Theißen hier nur auf die synoptischen Wundergeschichten. In der hellenistischen Literatur finden sich Entsprechungen von unterschiedlicher Intensität.[6]

Wendet man Theißens Motive auf das zweite Buch der Dialoge Gregors des Großen an, trifft man immer noch auf starke Entsprechungen, aber auch auf abweichende Motive. Entsprechungen finden sich vor allem in der Form der eigentlichen Wunder: das Laufen über das Wasser oder der Exorzismus sind bekannte Motive des Neuen Testaments.[7] Dahingegen fällt aber auch auf, dass viele Motive Theißens keine Anwendung finden, wie etwa die „Ablehnende Reaktion“[8] auf ein Wunder. Außerdem verwendet Gregor nicht nur Muster aus dem Neuen Testament, sondern auch, wie im vorliegenden Fall, aus dem Alten Testament.[9]

Die Frage ist, warum sich Gregor auf der einen Seite so stark auf die Wunder im Alten und Neuen Testament bezieht, aber auf der anderen Seite nicht in jeder Hinsicht diese Traditionen übernimmt.

Aus mehreren Gründen bieten sich die biblischen Wunder als Vorbilder an. Zum einen ist die Möglichkeit eines Wunders wahrscheinlicher, wenn es schon einmal passiert ist. Als zuverlässiger Zeuge dient hier dem Leser die Bibel, deren Autorität den Wundern Benedikts mehr Glaubwürdigkeit verleiht.[10] Zum anderen etabliert Gregor, indem er Benedikt Wunder vollbringen lässt, die einst durch Jesus oder andere vollbracht wurden, eine direkte Verbindung zu diesen. Außerdem will sich Gregor durch das Schreiben der Wunder Benedikts selbst in die Nachfolge der Evangelisten stellen, da er zwischen dem Neuen Testament und sich selbst keine Diskontinuität sah: „Gregory felt that he was simply adding one more page to the Gospel story“.[11] Des Weiteren garantiert die Verwendung der biblischen Topoi, dass der Rezipient das literarische Genre als Heiligenvita erkennt und mit bestimmten Erwartungen liest.[12]

[...]


[1] Grégoire Le Grand, Dialogues, Tome II (Livres I-III). Texte critique et notes par Adalbert de Vogüé, Traduction par Paul Antin, Paris 1979.

[2] Vgl. Berger 1984, 1214.

[3] Vgl. Klauck 1995, 305.

[4] Vgl. Dormeyer 1993, 167f.

[5] Theißen 1974, 57-83.

[6] Vgl. Dormeyer 1993, 169.

[7] Vgl. Mt 14,22-33 bzw. Mk 1,23–39.

[8] Theißen 1974, 81.

[9] Vgl. 4. Mose 20, 1-13.

[10] Vgl. McCready 1989, 242.

[11] McCready 1989, 243.

[12] Vgl. Pratsch 2005, 356.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Ein Wunder Benedikts von Nursia: Wasser aus dem Felsen
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Seminar für Klassische Philologie)
Veranstaltung
Bischöfe, Mönche und Asketen
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
16
Katalognummer
V92578
ISBN (eBook)
9783638065078
Dateigröße
426 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wunder, Benedikts, Nursia, Wasser, Felsen, Bischöfe, Mönche, Asketen
Arbeit zitieren
Timo Castens (Autor:in), 2008, Ein Wunder Benedikts von Nursia: Wasser aus dem Felsen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92578

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