Edmund Husserl, Lebenswelt - Ein Überblick


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

19 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Begriffsunklarheit

III. Der Ausgangspunkt: Die natürliche Einstellung

IV. Das Problem: Lebenswelt und Krisis

V. Die Lösung: Aufhebung der Lebenswelt-Vergessenheit

VI. Vorgehensweise: Nachvollzug der neuzeitlichen Naturwissenschaft

VII. Vorgehensweise: phänomenologische Epoché

VIII. Resümee

Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur

I. Einleitung

Die Philosophie ist nach Husserl Anfangs- und Endpunkt der abendländischen Geschichte im Sinne einer Teleologie. Dazu aber musste – nach all den Urstiftungen seit Griechenland eine weitere und in ihrem Sinne nach endgültige Entwicklungsstufe als eine feste theoretische Grundlage weiterer Forschungen gefunden werden: und zwar die Phänomenologie in ihrer Form als Methodik und Endstiftung.[1] Bis dato nämlich war der Forschungstrieb geradezu spiralförmig in eine sich ständig vertiefende Krise geraten, da sich die neuzeitliche Wissenschaft ihre methodische Reinheit als eine konsequente mathematische Idealisierung der Objektivität zum Preis der Subjektvergessenheit erkaufte. Die Folgen waren Skeptizismus und Psychologismus, die Husserl leidenschaftlich bekämpfte und seinem Programm einer universalen und reinen Geisteswissenschaft entgegensetzte – ein Vorhaben, das die Kluft zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften überbrücken und das Fundament für eine endgültige wissenschaftliche Seins-Erklärung legen sollte. Husserl zeigt hierin auf, dass das Wesen der Naturwissenschaft, d.h. das Wesen des forschenden Geistes eine Wissenschaft vom Geist bedingt, und dass nur der Geist in seiner Emanzipation wahrhaft methodisch-wissenschaftlich und rational erforscht werden kann. Nach diesem Beginnen erfüllt sich die ursprüngliche Intention der theoretischen Einstellung als deren Ausgangspunkt zur Überwindung der gegenwärtigen Krise in der Thematisierung der Lebenswelt als des unabdingbaren Rahmens aller objektivierenden Aktivitäten der Naturwissenschaftler. Diesem Ansinnen soll nun auch in der Seminararbeit Folge geleistet werden – insofern sich durch die Analyse und Besprechung des Husserlschen Lebenswelt-Themas und der ihm inne seienden eigenen Rationalitätsformen das Schaffen Husserls in seinen gerade für den Schulunterricht relevanten Schwerpunkten in einem ersten Ausblick wenigstens skizzenhaft zu zeigen vermag. Denn die Lebenswelt-Theorie hat in der Krisis' derart die Funktion, dass „Husserl von der Lebenswelt aus das Hauptanliegen seines Philosophierens, die Durchführung der transzendentalen Reduktion, als aus der Geschichte des Denkens gefordert und als durch die (durch die Wissenschaft geprägte) Gegebenheitsweise der modernen Erfahrungswelt motiviert, vollenden (kann) . Dem Lebenswelt-Begriff fällt daher die Aufgabe zu, die Überwindung des Versagens zu ermöglichen, das die bisherige Geschichte des Denkens in ihren Versuchen, eine universale Wissenschaft zu errichten, kennzeichnet. Mit seiner Hilfe kann der Aufbau einer universalen Wissenschaft von der Welt gelingen, die nur als transzendentalphänomenologischer Idealismus möglich ist.“[2]

II. Begriffsunklarheit

Es herrscht Begriffsunklarheit, denn Husserl hat den Begriff der ‚Lebenswelt‘ nicht erfunden; bekanntermaßen sprachen vor ihm bereits Hugo von Hofmannsthal und Georg Simmel von ‚Lebenswelt'.[3] Erschwerend kommt hinzu, dass man auch innerhalb der Philosophie Husserls keine stringente Verwendung dieses Begriffs findet - symptomatisch für Husserls sorglosen terminologischen Umgang. Dieser Umstand war aber andererseits ungemein wichtig für sein wissenschaftstheoretisches Fortleben, denn nur so konnte er von allen Seiten vereinnahmt werden und sich in beinahe jeder Disziplin ‚einnisten‘ – ja, gar in der Gebrauchssprache unserer Gesellschaft Eingang finden.[4] Wieland meint, „(…) daß Lebenswelt im Husserlschen Sinn ganz schlicht und pragmatisch die Welt auffaßt, in der wir leben, in ihren überschaubaren, alltäglichen Beziehungen.“[5] Will man nun deutlichere Konturen um diesen recht beliebig scheinenden Begriff ziehen, muss man zurück zu Husserl gehen – also zu seinem phänomenologischen Werk, denn: „Die meisten Beiträge zu diesem Thema stünden freilich auf einem weniger schwankenden Boden, würde man sich wieder mehr auf die gedanklichen Zusammenhänge zurückbesinnen, innerhalb deren Husserl das Wort ‚Lebenswelt‘ zu einem philosophischen Zentralbegriff erhoben hat.“[6] Husserls allererste[7], noch unschlüssig-vage Definition von ‚Lebenswelt‘ lautet: „Die Lebenswelt ist die natürliche Welt - in der Einstellung des natürlichen Dahinlebens sind wir lebendig fungierende Subjekte in eins mit dem offenen Kreis anderer fungierender Subjekte.“[8] Was aber zeichnet nun diese ‚natürliche‘ Einstellung aus? Dicht vor der eben zitierten Gleichsetzung von ‚Lebenswelt' und ‚natürlicher Welt‘ schreibt Husserl: „(…) seinem eigenen Leben (des Subjektes) gehört notwendig ein anschaulicher Lebens-horizont zu, und ihm als Menschenleben gehört zu ein Horizont von Dingen, die nicht bloße Körper sind (…) sondern Wertobjekte, Güter usw., alles von ihm in Apperzeptionen erfahrene und sonstwie bewußte und gesetzte Objekte, die seine Habe sind, als im Rahmen der Subjektivität liegend, affizierend - zum Denken, Werten, Begehren, Tun. Das Grundverhältnis in dieser Lebenswelt (...) ist nicht das der Kausalität, sondern das der Motivation.“[9]

III. Der Ausgangspunkt: Die natürliche Einstellung

Es war Klaus Held, der darauf hinwies, dass die Überlegungen zur Lebenswelt oft miss-verstanden wurden als fundamentale Kehrtwendung des Husserlschen Denkens in seinen letzten Lebensjahren. In Wahrheit aber stelle diese Untersuchung nichts umstürzend Neues dar, sondern korrespondiere mit den programmatischen Werken, die Husserl selbst vorher publiziert hatte: „Alle diese Texte kreisen um eine Aufgabe (...) : den geeigneten Weg zu ‚transzendental-phänomenologischen Reduktion‘, d.h. allgemeiner gesprochen: die Einführung in die transzendentale Phänomenologie.[10] Das stimmt nun auch mit dem Untertitel überein: „Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie“. Held begründet dies dergestalt, dass der Lebenswelt-Begriff als eine Entfaltung des Welt-Begriffs zu verstehen ist, der schon in Husserls früheren Abhandlungen auftauchte, und zwar in Verknüpfung mit dem Forschungsgegenstand des Übergangs von der ‚natürlichen‘ zur ‚philosophischen‘ Einstellung. ‚Natürlich‘ eingestellt ist man demnach auf Objekte, Kapitalien, Bedarfsgüter, Dinge also, die irgendwie dienlich sind und die man in seine Lebensgestaltung einbeziehen muss; Dinge auch, die sich zu einer ‚Welt‘ gliedern, in die das Subjekt auf sie bezogen eine praktische Relevanz bzw. Irrelevanz feststellt und die es nach seinem Willen ‚umformen‘ kann. Diese Welt der ‚natürlichen‘ Einstellung ist die Lebenswelt des Subjekts, die Husserl mit terminologischer Unbekümmertheit auch ‚Umwelt‘ nennt:[11]Vorausgesetztermaßen bleiben wir in natürlicher Einstellung, und das sagt nichts anderes, als wir nehmen das erfahrungsmäßige 'Sein', so wie es sich gibt, hin, nämlich als konkret daseiend, und auf diese uns nun selbstverständlich als seiende Wirklichkeit geltende Welt bezieht sich das gesamte natürliche Leben; in diese daseiende Welt, unsere 'Umwelt', wirken und schaffen wir hinein;(…).[12] Sie ist diejenige ‚Einstellung‘, welche allen anderen Einstellungen zugrundeliegt und sich in erster Linie mittels der Generalthesis der natürlichen Einstellung als eine unreflektierte, weltgläubige, verantwortungslose und unbedenkliche allem zu Grunde liegende Basis-Einstellung in einer absoluten Subjektvergessenheit[13] manifestiert: „Die zum Wesen der natürlichen Einstellung gehörige Generalthesis setzen wir außer Aktion, alles und jedes, was sie in ontischer Hinsicht umspannt, setzen wir in Klammern: also diese ganze natürliche Welt, die beständig 'für uns da', 'vorhanden' ist, und die immerfort dableiben wird als bewußtseinsmäßige ‚Wirklichkeit‘, wenn es uns auch beliebt, sie einzuklammern.“[14] Aufgrund dieses rein subjektiven Erlebnispanoramas stellt sich auch die Frage, inwieweit der Lebenswelt-Terminus überhaupt im objektiven Sinne deskriptiv fassbar ist.[15] Denn die alltägliche Lebenswelt ist für Husserl: „(…) das Allerbekannteste, das in allem menschlichen Leben immer schon selbstverständliche, in ihrer Typik immer schon durch Erfahrung uns vertraut.“[16] Natürlich – wäre sie nicht deskriptiv fassbar, müsste man Husserl unter die Mystiker einreihen und würde ihm damit großes Unrecht tun, denn schließlich war er es, der der schwammig gewordenen Philosophie neuen wissenschaftlich fundierten Boden als erste und alles andere begründende Wissenschaft – als ‚prima Philosophia‘ – gab. Sein Weg sollte sein ein Weg von der natürlichen unreflektiert-rechenschaftslosen Einstellung zur philosophischen Einstellung als Aufhebung der Subjektvergessenheit. Hierbei nun wird auch das Verfahren der Epoché eingeführt, um die natürliche Einstellung verlassen zu können: „Anstatt nun in dieser Einstellung zu verbleiben, wollen wir sie radikal ändern. [17] Man unterscheidet hierbei zwischen drei ‚Wegen‘ in die transzendentale Phänomenologie: Den ersten - über Descartes - führte Husserl in den „Ideen I“ und ansatzweise in den „Cartesianische Meditationen“ (1931) vor, den zweiten - über die intentionale Psychologie - in der „Krisis“ (1936) und in den Vorlesungen „Phänomenologische Psychologie “ (1925) und den dritten - über die Lebenswelt – ebenfalls in der „Krisis“.[18] Wenn man nun freilich mit dem Lesen der „Krisis“ beginnt, findet man statt einer Kritik an der natürlichen Einstellung eine Kritik an der Evolution der Wissenschaft[19] – wie aber ist das zu erklären?

[...]


[1] Ihre legendäre Devise lautet: „Zu den Sachen selbst !“, womit sie zu strenger Selbstdisziplin und methodischer Genauigkeit aufruft.

[2] Siehe Janssen, P.: Geschichte und Lebenswelt. Den Haag 1970. S.19.

[3] Vgl. Fellmann, F.: Gelebte Philosophie in Deutschland. Denkformen der Lebensweltphänomenologie und der kritischen Theorie. Freiburg/München 1983. S.120f..

[4] Als Folge aber wird der Begriff mit vielen verschiedenen, teils trivialen, teils willkürlichen und oft auch diffusen Bedeutungen belegt.

[5] Wieland , H.: Soziologisches Denken bei Behinderungen - Grundlegende Theorieansätze. Hagen 1993. S. 34.

[6] Held, K.: Einleitung. In: ders (Hrsg.): Edmund Husserl. Phänomenologie der Lebenswelt. Ausgewählte Texte II. Stuttgart 1986. S. 5 .

[7] Vgl. Welter, R.: Der Begriff der Lebenswelt. Theorien vortheoretischer Erfahrungswelt. München 1986. S.79.

[8] Husserl, E.: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie II: Phänomenologische Untersuchungen zur Konstitution (Hua IV): S. S.375.

[9] Siehe Ebda.: S.375.

[10] Siehe Held, K.: Husserls neue Einführung in die Philosophie: Der Begriff der Lebenswelt. In: Lebenswelt und Wissenschaft. Hrsg. von Carl Friedrich Gethmann. Bonn 1991. S.79-113. S.79

[11] Zur oft undurchschaubaren Terminologie (‚Kulturwelt‘ – ‚Lebens(um)welt‘ – ‚Heimwelt‘ – ‚Erfahrungswelt‘ –‚menschheitliche Welt‘ – ‚Welt der Normalität‘ –‚Interessen(um)welt‘ bei Husserl vgl. dazu Welter: S.77ff., bes. S.85-87.

[12] Siehe Husserl: Phänomenologische Psychologie (Hua IX). S.56.

[13] In der ‚natürlichen Einstellung‘ bin ich mir einer Welt bewusst: „(…) ich finde sie unmittelbar anschaulich vor, ich erfahre sie. Durch Sehen, Tasten, Hören usw (…) in den verschiedenen Weisen sinnlicher Wahrnehmung sind körperliche Dinge (...) für mich einfach da.“ Siehe dazu Husserl: Ideen I. S.48. Das wache Bewusstsein befindet sich allzeit, und ohne es ändern zu können, „(…) in Beziehung auf eine und selbe, obschon dem inhaltlichen Bestande nach wechselnde Welt.“ Siehe: ebd. S. 50.

[14] Siehe Husserl: Phänomenologische Psychologie (Hua IX). S.56.

[15] In welcher Sprache kann sich das transzendentale Ego äußern?

[16] Siehe Husserl: Ideen II. S.126.

[17] Siehe Husserl: Ideen I . S.61.

[18] Obwohl Husserl sich auf Descartes stützt, übernimmt er nicht dessen Vorgehensweise. Auch dessen Orientierung an der Gewissheit übernimmt Husserl nicht. Der „psychologisch verfälschte Transzendentalismus des Descartes “ (Krisis , S.86) wird zwar als historisches Vorbild vorgestellt, aber nur, um letztlich die Phänomenologie als erneuten Beginn neuzeitlicher Philosophie anzukündigen. Descartes Zweifelsversuch diene „ganz anderem Zwecke“ (Ideen I, S. 62) als die Epoché, nämlich demjenigen, eine absolut gewisse „Seinssphäre“ aufzudecken. Die Epoché dient diesem Zwecke demnach nicht. Der Zweifelsversuch soll „nur als methodischer Behelf dienen“ (Ideen I, S. 62).

[19] Vgl. Husserl: Krisis S. [19]ff..

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Edmund Husserl, Lebenswelt - Ein Überblick
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Husserl-Archiv)
Veranstaltung
Phänomenologie
Note
2
Autor
Jahr
2007
Seiten
19
Katalognummer
V92323
ISBN (eBook)
9783638061216
ISBN (Buch)
9783638956659
Dateigröße
483 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Edmund, Husserl, Lebenswelt, Phänomenologie
Arbeit zitieren
David Liebelt (Autor:in), 2007, Edmund Husserl, Lebenswelt - Ein Überblick, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92323

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