Deutsch als Fremdsprache. Werteerziehung im Unterricht

Eine empirische Studie am Lycée de Tigaza in Ostkamerun


Diplomarbeit, 2020

95 Seiten, Note: 16.5


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

WIDMUNG

VORWORT

RESUME

ABSTRACT

INHALTSVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

0. EINLEITUNG.
0.1. Thema und Forschungsrelevanz
0.2. Forschungsstand
0.3. Fragestellungen und Forschungsziele
0.4. Forschungshypothesen
0.5. Theoretische und methodische Überlegungen
0.6. Aufbau der Arbeit

1. DER DISKURS ÜBER DEN WERTBEGRIFF UND WEITERE KONZEPTE
1.1. Der Wertbegriff
1.2. Ansätze der Werteerziehung
1.2.1. Materiale Werteerziehung
1.2.2. Formale Werteerziehung
1.3. Modelle der Werteerziehung
1.3.1. Der romantische Ansatz
1.3.2. Der progressive Ansatz
1.4. Wertetypen
1.4.1. Karl-Heinz Hillmanns Werteklassifikation
1.4.2. Shalom Schwartz‘ Werteklassifikation

2. DIE UMSETZUNG EINES WERTORIENTIERTEN UNTERRICHTS IM DaF-BEREICH
2.1. Wertorientierter Unterricht
2.1.1. Kriterien wertorientierten Unterrichts
2.1.2. Merkmale und Ziele wertorientierten Unterrichts
2.1.3. Didaktische Prinzipien wertorientierten Unterrichts
2.2. Werteerziehung im DaF-Studium Kameruns: Eine Bestandsaufnahme
2.3. Möglichkeiten und Grenzen eines wertorientierten DaF-Unterrichts in Kamerun

3. DER WERTORIENTIERTE DaF-UNTERRICHT IN KAMERUN AM BEISPIEL VON AUSGEWÄHLTEN TEXTEN.
3.1. Kriterien und Gründe für die Literaturauswahl
3.2. Unterrichtsplanungen und -verläufe
3.2.1. Unterrichtsplanung und -verlauf in 4e
3.2.2. Unterrichtsplanung und -verlauf in 1ere
3.2.3. Unterrichtsplanung und -verlauf in Terminale
3.3. Analyse der Textauszüge und Präsentation der Ergebnisse
3.3.1. Chima Ojis Unter die Deutschen gefallen
3.3.2. Belingas Erzählung Ndongo fing neu an
3.3.3. Ihr und Wir Plus 1

4. DIE ENTWICKLUNG EINES ETHISCHEN BEWUSSTSEINS
4.1. Die Befragten
4.2. Erhebungsmaterial und Durchführung der Umfrage
4.3. Analyse der erhobenen Daten und Darstellung der Ergebnisse
4.3.1. Die Befragten von 4e
4.3.2. Die Befragten von 1ere
4.3.3. Die Befragten von Terminale

5. ABSCHLIEßENDE BEMERKUNGEN UND AUSBLICK.
5.1. Implikationen für die Didaktik/ Methodik des DaF-Unterrichts
5.2. Implikationen für die Deutschlehrerausbildung in Kamerun
5.3. Ausblick

LITERATURVERZEICHNIS
A. Primärliteratur
B. Sekundärliteratur: Aufsätze, Internetquelle/ Gesetz, Lehrpläne und Monographien
B.1 Aufsätze
B.2. Internetquelle/ Gesetz
B.3. Lehrpläne
B.4. Monographien

WIDMUNG

Meinen Eltern Jean Paul Nzenti und Marie Antoinette Samou

VORWORT

Der Wahl des Themas liegen zwei Seminare an der Ecole Normale Supérieure de Bertoua (ENS Bertoua) zugrunde. Das erste bezieht sich auf meine Teilnahme am Seminar ALL 442: Littérature africaine d’expression allemande, in dem ein Text analysiert wurde und mich zum Nachdenken anregte. Mein Interesse wurde während der Diskussionen im Rahmen der Lehrveranstaltung ALL 432: Didactique de l’Allemand Langue Etrangère deutlicher und löste bei mir den Wunsch aus, mich mit Wertefragen zu beschäftigen. So traf ich Ende des Semesters die Entscheidung, Schülern einige Werte im Gymnasium zu realisieren. Dabei kam ich zu folgendem Thema: Werteerziehung im DaF-Unterricht . Eine empirische Studie am Lycée de Tigaza in Ostkamerun.

Beim Verfassen dieser Arbeit bin ich auf eine große Schwierigkeit gestoßen: Es war nicht immer einfach, viele Unterrichtsstunden in knapper Zeit und mit den Anforderungen der Hospitation zu planen und durchzuführen. Dennoch konnte ich dank der Unterstützung vieler Personen die Arbeit zu Ende schreiben. Deshalb möchte ich hier die Gelegenheit nutzen, diesen Personen meinen Dank auszusprechen.

Mein allererster Dank gilt meinem Betreuer Prof. Dr. Bertin Nyemb, der alle Phasen dieser Arbeit mit unermüdlichem Gespräch und Rat begleitet hat. Er hat keine Mühe gescheut, diese Arbeit mit aussagekräftigen Anregungen zu betreuen.

Allen Dozenten, die erstrangig an meiner zweijährigen Ausbildung in Bertoua beteiligt waren, bin ich auch zum Dank verpflichtet.

Für die hilfreichen Diskussionen während der Unterrichtsplanungen und für ihre Zusammenarbeit bedanke ich mich bei Herrn Wili Chuisseu und bei allen Lernenden von 4e, 1ere und Terminale .

Jean-Claude Atangana, Alain Ndindjock III und Luisa Winzer zolle ich für das Korrekturlesen und die Überarbeitung dieser Arbeit Anerkennung.

Ich bin meinen Eltern, Jean Paul Nzenti und Marie Antoinette Samou, meinen Geschwistern William, Sandrine, Larissa und Kevine Nzenti, meiner Schwägerin, Leslie Nzenti, und allen meinen KommilitonInnen dankbar.

Dank schulde ich zu guter Letzt meiner Freundin Priscilia Domgue für die moralische Unterstützung.

Bertoua, am 22. Mai 2020 Rosny Franck Nzenti

RESUME

Les recherches sur l’éducation aux valeurs dans les études d’Allemand Langue Etrangère se sont jusqu’ici focalisées sur sa dimension réceptive (voir Nyemb 2017a ; 2017b). Le présent travail s’intitule de l’éducation aux valeurs dans le cours d’Allemand Langue Etrangère. Une étude empirique au Lycée de Tigaza à l’Est-Cameroun et se démarque des travaux antérieurs en ceci que la dimension productive de l’éducation est mise en évidence.

Ce travail vise à montrer comment enseigner les valeurs dans le cours d’allemand. Il est une réflexion sur comment les apprenants camerounais peuvent d’une part acquérir les valeurs et d’autre part les expérimenter dans le cours d’allemand. En supposant que l’apprenant puisse les acquérir à travers des textes littéraires et les vivre par le biais de productions textuelles personnelles, nous avons dispensé trois cours orientés vers les valeurs en classes de Quatrième, Première et Terminale en nous appuyant sur des textes sélectionnés. De ces cours, il ressort que les apprenants ont acquis des valeurs telles que la responsabilité, l’amour du prochain, le vivre ensemble, le partage, la reconnaissance, le respect, la tolérance, l’acceptation de l’autre, l’amour, l’égalité, l’humanité et le respect des droits de l’homme. En outre, ces cours ont donné une impulsion à un développement d’une conscience éthique chez les apprenants.

Mots clés: valeurs, éducation aux valeurs, cours orienté vers les valeurs, conscience éthique, Allemand Langue Etrangère.

ABSTRACT

Researches on Values Education in the study of German as a Foreign Language have so far focused on its receptive dimension (see Nyemb 2017a; 2017b). The present work is entitled Values Education in German as Foreign Language lesson. An empirical study at the Tigaza Government High School in Eastern Cameroon and differs from previous works in the fact that the productive dimension of education is highlighted.

This work aims to show how to teach values in the German lesson. It is a reflection on how Cameroonian learners can on the one hand acquire values and on the other hand experience them in the German lesson. Assuming that the learner can acquire them through literary texts and experience them through personal textual productions, we have given three values-oriented lessons in the Quatrième, Première and Terminale classes based on selected texts. From these lessons, it emerges that learners have acquired values such as responsibility, love of neighbor, living together, sharing, recognition, respect, tolerance, acceptance of the other, love, equality, humanity and respect for human rights. In addition, these lessons have given an impetus to the development of an ethical conscience by the learners.

Key words: values, values education, values-oriented lesson, ethical conscience, German as Foreign Language.

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: Ergebnisse zum Thema des Unterrichts in 4e

Abbildung 2: Ergebnisse zu den aus dem Unterricht hervorgehenden Werten in 4e

Abbildung 3: Ergebnisse zum Einfluss des Unterrichts auf die Person der Lernenden in 4e

Abbildung 4: Ergebnisse zur Frage, wie die Lernenden ihre Eltern respektieren in 4e

Abbildung 5: Ergebnisse zum Thema des Unterrichts in 1ere

Abbildung 6: Ergebnisse zu den aus dem Unterricht hervorgehenden Werten in 1ere

Abbildung 7: Ergebnisse zum Einfluss des Unterrichts auf die Person der Lernenden in 1ere

Abbildung 8: Ergebnisse zur Frage, wie die Lernenden ihre Eltern respektieren in 1ere

Abbildung 9: Ergebnisse zum Thema des Unterrichts in Terminale

Abbildung 10: Ergebnisse zu den aus dem Unterricht hervorgehenden Werten in Terminale

Abbildung 11: Ergebnisse zum Einfluss des Unterrichts auf die Person der Lernenden in Terminale

Abbildung 12: Ergebnisse zur Frage, wie die Lernenden ihre Eltern respektieren in Terminale

Abbildung 13: Zusammenfassung der Ergebnisse der Umfrage

0. EINLEITUNG

In diesem einführenden Kapitel sollen das Thema und die Forschungsrelevanz, der Stand der Forschung, die Fragestellungen und Forschungsziele, die Forschungshypothesen, die methodologischen und theoretischen Überlegungen sowie der Aufbau der Arbeit dargestellt werden.

0.1. Thema und Forschungsrelevanz

« Quiconque vit au Cameroun, […] ne devrait pas avoir le courage de rester indifférent face au marasme comportemental qui nous caractérise, suite à un bouleversement inquiétant de l’échelle des valeurs qui, désormais laisse notre jeunesse sans repères véritables. » Mbarga (2011:9)

Die Entscheidung, mich mit der Werte-Problematik zu beschäftigen, kommt aus der bitteren Feststellung, dass meine Heimat Kamerun dem Wertdiskurs seit langer Zeit wenig Beachtung schenkt. Bereits Anfang des 21. Jahrhunderts stellte der Kameruner Hochschullehrer Jean-Claude Mbarga diesen Sachverhalt fest. Er spricht von dem schlechten Verhalten, das unsere aktuelle Gesellschaft bzw. heutige Jugend charakterisiert. Zum Beispiel nimmt der Drogenkonsum in Schulen zu (vgl. Chaffi 2017:12). Dieser Wertewandel rechtfertigt sich aus der Tatsache, dass wir uns in einer sich globalisierenden Welt befinden, die durch unterschiedliche Wertvorstellungen gekennzeichnet ist. Menschen bzw. Jugendliche, die unterschiedliche Wertvorstellungen besitzen, können sich als eine Gefahr für die Gesellschaft erweisen, insofern als sie selbst entscheiden, was für sie gut ist oder nicht. So soll dieser Werterelativismus durch die Werteorientierung ersetzt werden. Mit anderen Worten: Es soll Jugendlichen Orientierungspunkte für das rechte Verhalten gegeben werden, um Verwirrung und Unruhe vorzubeugen. In diesem Zusammenhang ist die Aufgabe eines jeden Erziehers, die Lernenden zu Werten zu erziehen, nicht nur damit sie imstande sind, das Gute vom Bösen zu unterscheiden, sondern auch damit sie ihre Persönlichkeiten bilden. Demzufolge habe ich mir als Lehramtsstudent die Werteerziehung im DaF-Unterricht Kameruns zur Aufgabe gemacht. Die Arbeit findet ihre Relevanz in der Tatsache, dass die Werteerziehung dem kamerunischen Deutschlernenden die Möglichkeit eröffnet, über Wertefragen nachzudenken und ihn dazu befähigen soll, ein ethisches Bewusstsein zu entwickeln. Dieses ethische Bewusstsein wird den Lernenden dabei helfen, sich richtig in der Gesellschaft zu verhalten und gute Entscheidungen im Leben zu treffen.

0.2. Forschungsstand

Wirft man einen Blick auf die Geschichte der Erziehung, so stellt man fest, dass sie immer eine hervorragende Rolle in der Gesellschaft gespielt hat (vgl. Aristote 1791). Sie verfolgt u.a. das Ziel, dem Menschen zur Entfaltung seiner Persönlichkeit zu verhelfen und ihn in die Lage zu versetzen, menschliche Werte zu erwerben (vgl. Wunenburger 1994). So muss der Mensch zu Werten erzogen werden, damit sowohl er als auch die Gesellschaft sich entwickeln können. Die Werteerziehung beginnt in der Familie und setzt sich in der Schule fort.

Als „erste Erziehungsinstanz“ (Matthes 2008:44) spielt die Familie eine große Rolle in der Werteerziehung der Kinder. Die Eltern haben also die Pflicht, ihre Kinder zu erziehen, d.h. ihnen erste Wertevorstellungen durch Erziehungsstile zu vermitteln. Eleanor Maccoby und Johnson Martin (1983) zufolge wird zwischen autoritativ-demokratischem, permissivem Laisser-faire-, permissiv-vernachlässigendem und autoritärem Erziehungsstil unterschieden. Der erstere Erziehungsstil zeichnet sich durch eine hohe Kontrolle und eine hohe elterliche Wärme aus und unterscheidet sich von dem zweiten dadurch, dass dieser eine geringe Kontrolle verlangt. Während der dritte mit einer geringen Kontrolle und einer geringen elterlichen Wärme einhergeht, verlangt der letztere eine hohe Kontrolle und eine geringe elterliche Wärme (vgl. Stein 2008:105).

Als sekundäre Erziehungsinstanz verfolgt die Schule das Ziel, „Kinder und Jugendliche in das Wertesystem der Gesellschaft zu integrieren“ (Anselm 2012:401). So soll reflektiert werden, wie die Schule die Jugend Werte lehren kann. Albert Düggeli (2014) nennt drei Bedingungen, unter denen die schulische Werteerziehung gelingen kann. Erstens soll geklärt werden, wie das Wesen des Menschen verstanden werden soll. Dazu nimmt er folgendermaßen Stellung:

Gehen Erziehende nämlich davon aus, der Mensch sei ein Vollkommenheitswesen, mit einer ihm innewohnenden Werte-Essenz, dann werden sie versuchen, Werte zu klären. Werteerziehung diente also der Freilegung dessen, was als Werte in Menschen vorhanden bzw. für den Handlungskontext zugänglich zu machen ist. Wer vom Gegenteil ausgeht, den Menschen also primär als unvollkommenes Wesen versteht, das erst durch Erziehung das wird, was es werden kann, nämlich ganz Mensch, wird Werte vermitteln (ebd:53f).

In seinen Ausführungen unterstreicht Düggeli die erste Bedingung, nämlich dass die Wertevermittlung in der Schule den Menschen als ein unvollkommenes Wesen auffasst. Zweitens soll reflektiert werden, wie die eigenen Werteerfahrungen, über die der Mensch verfügt, im Unterricht von Bedeutung sein können. Drittens sollen gesellschaftliche und schulische Bedingungen, die das werteerziehende Handeln festlegen, offengelegt werden. In diesem Zusammenhang soll die Werte-Thematik von der Gesamtgesellschaft verstanden und diskutiert werden (vgl. Düggeli 2014:56). Darüber hinaus soll die Rolle der Lehrpersonen anerkannt werden. Sie sind „als professionell Handelnde, primär den Jugendlichen und ihrer positiven Entwicklung verpflichtet“ (Düggeli 2014:57).

Die Schule als Bildungsinstanz verfolgt jedoch weitere Ziele. Margit Stein zufolge sollte das Ziel der Schule sein, „zu einer ganzheitlichen und allseitigen seelischen und geistig-moralischen positiven Charakterbildung der Schülerinnen und Schüler beizutragen“ (Stein 2008:13). In diesem Sinne sollte die Schule „zu einer Wertereflexionskompetenz im Sinne eines kritischen Umgangs mit den Werten erziehen“ (Anselm 2012:410). Diese Anregung zur Wertereflexionskompetenz sollte in unterschiedlichen Schulfächern erfolgen, damit sie gelingen kann. Die Wertevermittlung soll demnach zum Unterrichtsgegenstand werden. Als Unterricht, der die Werte vermitteln kann, gilt der Deutschunterricht. Sabine Anselm (2012) bringt ihre Ansicht dazu folgendermaßen zum Ausdruck: „Innerhalb der schulischen Fächer ist insbesondere der Deutschunterricht in einer kulturwissenschaftlich zu verstehenden Ausrichtung als zentraler Ort für Werteerziehung anzusehen“ (ebd:411). So sollen Werte die Lehr-Lern-Kultur bzw. die Sprache(n) der Lernenden im Deutschunterricht berücksichtigen. Dies bedeutet, es soll geklärt werden, ob es sich um den erst-, zweit- oder fremdsprachlichen Deutschunterricht handelt.

Gerhard Rupp (2014) hat gezeigt, wie die Werte Mäßigung und Gerechtigkeit im erstsprachlichen Deutschunterricht erworben werden können. Er hat den ersten Wert in zwei Werthaltungen, Achtsamkeit und Nachhaltigkeit, aufgeteilt. Er hat gezeigt, wie die Achtsamkeit im Fuad Rifkas Gedicht Ruine des Sufis wiederzufinden war. Anhand der Gedichte von Fridolin Tschudi Das alte Lied und von Goethes Gefunden hat er die Nachhaltigkeit herangezogen. Dem zweiten Wert werden die Werthaltungen Generationen- und Weltgerechtigkeit zugesprochen. Erstere kann durch das Kapitel Von Generation zu Generation ‒ Gedichte interpretieren aus dem 9. Jahrgangsband von deutsch.perfekt herausgearbeitet werden, während Letztere anhand von Texten migrierter Autoren und deutscher Autoren hervorgehoben werden kann.

Marion Grein (o. J.) geht der Frage im zweitsprachlichen Deutschunterricht nach, inwiefern und wie die Werte im Lehrwerk Schritte Plus Neu (2015) integriert und umgesetzt werden. Sich auf die funktionale oder indirekte Wertevermittlung stützend, kommt sie zum Schluss, dass Werte in jenem Lehrwerk durch Bilder integriert werden, welche Menschen zeigen, die die Sinnhaftigkeit dieser Werte vorleben.

Jacqueline Gratz (2017) hat überprüft, ob Antonia Michaelis‘ Novelle Der Märchenerzähler als Grundlage für die Werteerziehung im schwedischen DaF-Unterricht geeignet ist. Sie geht der Frage nach, wie Werteerziehung mit Hilfe von Literatur erfolgen kann. Um diese Frage zu beantworten, hat sie die genannte Novelle durchgelesen, analysiert, interpretiert und folgende Themen herausgearbeitet: Liebe, Freundschaft und Drogen. Die Figurenanalyse hat folgende Werte verdeutlicht: Solidarität, Empathie und Hilfsbereitschaft. Am Ende ihrer Analyse schlussfolgert sie, dass sich die Novelle für unterschiedliche Aspekte innerhalb der Werteerziehung eignet.

Bertin Nyemb (2017a) hat im fremdsprachlichen Deutschstudium anhand von ausgewählten Werken von Bertolt Brecht und Siegfried Lenz gezeigt, wie der Literaturunterricht einen Beitrag zu einer Auseinandersetzung mit wertorientierten Themen leisten und an die Entwicklung eines ethischen Bewusstseins heranführen kann. Die Beschäftigung mit Lenz‘ Kurzgeschichte Die Nacht im Hotel, Brechts Keunergeschichte Der unentbehrliche Beamte und Erzählung Der Augsburger Kreidekreis im Hochschulbereich hat einerseits herausgestellt, dass Lenz‘ Text für die Menschlichkeit und die Beachtung der Kinderwürde plädiert. Andererseits erwiesen sich Brechts Texte als geeignet für die Vermittlung sozialer Werte.

Nyemb (2017b) hat anhand von den Erzählungen Max von der Grüns Kinder sind immer Erben und Etwas außerhalb der Legalität gezeigt, wie Texte wertorientiert im Literaturunterricht angewendet werden können. Als Dozent hat er die Arbeit in Gruppen organisiert, wobei sich jede Gruppe mit einem Teilaspekt einer jeden Erzählung befasst hat. Die Arbeit erfolgte in Form von Referaten und die Teilnehmer müssten ihnen gestellte Fragen beantworten. Die Arbeit mit der ersten Erzählung hat gezeigt, dass die Studierenden „ein unterschiedliches Wertesystem besitzen und dem Text wertvolle Erkenntnisse abgewinnen können“ (Nyemb 2017b:278). Die zweite Erzählung führte die Studierenden in das Thema der Korruption ein. Insgesamt hat die Auseinandersetzung mit den beiden Erzählungen dazu geführt, soziale Werte herauszuarbeiten.

Serge Yowa (2019) versucht Friedrich Dürrenmatts Drama im Deutsch- und Literaturunterricht zu didaktisieren. Er geht der Frage nach, wie ethisches Bewusstsein und ethisch-kritische Kompetenz bei den afrikanischen Deutschlernenden und Germanistikstudierenden ausgebildet werden können und welche Werte kritisch diskutiert und übernommen werden können. Er zeigt, wie das Drama analysiert werden kann, um Werte und Kompetenz zu erwerben. Er hat die im Lehrwerk Ihr und Wir IV erscheinende Komödie die Physiker analysiert, interpretiert und folgende zentrale Themen herausgefunden: Die sozial-ethische Verantwortung der Wissenschaft und die Sozialkritik. Er schlägt vor, dass ein Blick auf diese zentralen Themen im Deutsch- und Literaturunterricht geworfen werden sollte. Die Analyse von Dürrenmatts Komödie hat folgende Werte verdeutlicht: Wahrheit, Weisheit, Gerechtigkeit, Menschenliebe, Opferbereitschaft, Ausdauer und Mut. Seiner Meinung nach ist das Drama für die Wertevermittlung im Deutsch- und Literaturunterricht lesenswert.

Sylvanie Timbe (2019) befasst sich mit der Frage, wie Rafik Schamis Roman Sophia oder der Anfang aller Geschichte n einen Beitrag zur Werteerziehung angehender Deutschlehrer an der Ecole Normale Supérieure (ENS) im Literaturunterricht leisten kann. Sie zeigt anhand dieses Romans, wie Werte im Literaturunterricht vermittelt werden können. In der Tat weist sie auf das Vorgehen hin, das im Literaturunterricht Einsatz finden kann, um diesen Roman wertorientiert zu benutzen. Am Ende schlussfolgert sie, dass der Roman ein geeignetes Material ist, um Werte im Literaturunterricht zu vermitteln. Die Analyse und die Interpretation des Romans haben Werte wie Liebe, Mutterliebe, Hilfsbereitschaft, Toleranz, Respekt, Frieden und Harmonie hervorgehoben.

Zusammenfassend lässt sich Folgendes festhalten: Die einschlägige Literatur über die Werteerziehung im DaF-Studium kann in zwei Gruppen eingeteilt werden: Auf der einen Seite sind theoretische Überlegungen, d.h. Vorgehensweisen angegeben, wie die Werte im Deutschunterricht Vermittlung finden können. Zu dieser Gruppe gehören die Arbeiten von Rupp, Grein, Gratz, Yowa und Timbe. Auf der anderen Seite zählt man empirische Arbeiten, die bei Nyemb (2017a; 2017b) anzutreffen sind. Die theoretischen Arbeiten unterscheiden sich von meiner Arbeit in dem Sinne, dass ich auch wie Nyemb empirisch vorgehe. Doch besteht der Hauptunterschied mit Nyembs Untersuchungen in der Tatsache, dass ich die Werteerziehung nicht nur rezeptiv, sondern auch produktiv auffasse. Andererseits geht es in meiner Arbeit nicht um den Literatur-, sondern um den Deutschunterricht, welcher nicht nur literarische, sondern auch sprachliche und landeskundliche Elemente in Betracht zieht. Letztlich sind meine Probanden nicht im Hochschulbereich, sondern an Sekundarschulen.

0.3. Fragestellungen und Forschungsziele

Die vorliegende Arbeit wird durch die folgende Leitfrage motiviert: Wie kann der DaF-Unterricht im kamerunischen Kontext zu Werten erziehen? Aus dieser Leitfrage leiten sich folgende Nebenfragen ab:

- Wie können kamerunische Lernende Werte im DaF-Unterricht erwerben?
- Wie können kamerunische Lernende Werte im DaF-Unterricht durch Experiment erleben?

Hauptziel der vorliegenden Arbeit ist es, zu zeigen, wie Werte im DaF-Unterricht gelehrt werden können. Einerseits verfolgt die Arbeit das Ziel, zu zeigen, wie literarische Texte im DaF-Unterricht zur Werteerziehung beitragen können. Andererseits setzt sie sich zum Ziel, Werthaltungen anhand von Textproduktionen aufzuzeigen.

0.4. Forschungshypothesen

Die Haupthypothese, die dieser Arbeit zugrunde liegt, lautet: Der Umgang mit literarischen Texten und die schriftliche Produktion von Texten tragen zur Werteerziehung bei. Spezifischerweise stelle ich folgende Hypothesen auf:

- Literarische Texte sind dazu geeignet, ethische Kompetenz1 zu schulen (vgl. Yowa 2019:132) und berechtigt die Annahme, dass der Umgang mit diesen Texten kamerunischen Lernenden dabei helfen kann, Werte im DaF-Unterricht zu erwerben.
- Geht man davon aus, dass neue Texte in einem produktionsorientierten Unterricht erzeugt werden können (vgl. Nyemb 2017b) und Werte im Zentrum dieses Unterrichts stehen, so kann man vermuten, dass die schriftliche Produktion von Texten den Lernenden dabei helfen kann, Werte vorzuleben.

0.5. Theoretische und methodische Überlegungen

In der Werteforschung wird im Allgemeinen zwischen drei wesentlichen Erziehungsmodellen unterschieden: dem romantischen, technologischen und progressiven Modell. Im romantischen Modell stehen die Persönlichkeit und die Einzigartigkeit des Menschen im Vordergrund. Lernende denken selbst über Werte und Wertefragen nach. Ziel ist es, die Urteilsfähigkeit der Lernenden zu fördern. Das technologische Modell betont die Wertevermittlung durch die Lehrpersonen. Die Lernenden werden als tabula rasa betrachtet. Ziel ist die „Zustimmung zu konkret-historischen Wertauffassungen“ (Multrus 2008:28). Dilemmadiskussionen sind die Basis des progressiven Modells. Diskussionen erscheinen auf der Grundlage von Pro- und Kontra-Argumenten. Ziel ist das Erreichen moralischer Urteilsfähigkeit und die Lösung ethischer Probleme (vgl. Standop 2005:78). In dieser Arbeit soll auf das technologische Modell verzichtet werden, denn die Lernenden werden nicht als tabula rasa betrachtet. Ferner ist die Lehrperson kein Vermittler, sondern ein Begleiter. Sie begleitet die Lernenden im Lernprozess. Demnach sollen in dieser Arbeit sowohl das romantische als auch das progressive Erziehungsmodell2 berücksichtigt werden.

Das romantische Modell, das für die Beantwortung der ersten Fragestellung und die Verifizierung der ersten Hypothese relevant ist, beruht auf dem Unterrichtsverfahren der Gruppenarbeit. Durch die Erzählung Ndongo fing neu an sollten die Lernenden in Gruppen Werte beurteilen und über Wertefragen nachdenken. Was das progressive Modell angeht, ist es zur Bearbeitung der zweiten Fragestellung und Verifizierung der zweiten Hypothese von Belang. Es bezieht sich auf Unterrichtsverfahren der Partner- und Einzelarbeit. Sich auf das Lehrwerk Ihr und Wir Plus I und Textauszüge aus dem Roman Unter Die Deutschen gefallen stützend, sollte der Lernende einerseits mit seinen Mitschülerinnen und Mitschülern den Geburtstag ihres Freundes schriftlich erzählen und beurteilen. Andererseits sollte der Lernende allein seine Meinungen schriftlich über eine rassistische Situation ausdrücken und begründen.

Die methodische Vorgehensweise der vorliegenden Arbeit basiert somit auf folgenden ausgewählten Unterrichtsmaterialien: a) dem Lehrwerk Ihr Und Wir Plus 1, b) den Erzählungen Belingas Wenn die Palme ihre Blätter verliert… und c) Chima Ojis Roman Unter die Deutschen gefallen. Im Lehrwerk fokussiere ich auf den Text Nina hat Geburtstag! (S.39) und dessen Implikationen für den wertorientierten Unterricht. In der Erzählung Ndongo fing neu an beschränke ich mich auf einen Textauszug ( Hatte Ndongo… Leben, S. 57). Im Ojis Roman befasse ich mich lediglich mit einem Textauszug (S. 8-9).

Die Beschäftigung mit dem Text Nina hat Geburtstag! in 4e soll erreichen, dass die Lernenden erste Kenntnisse über den Begriff Geburtstag bekommen. Mit einem bestimmten Beispiel sollen sie zu zweit ihre eigenen Meinungen schriftlich dazu zum Ausdruck bringen (Partnerarbeit). Ziel ist es, dass die Lernenden den Geburtstag ihres Freundes erzählen und damit Werte herausfinden. Diese Tatsache wird die Förderung der Urteils- und Begründungsfähigkeit der Lernenden ermöglichen (progressives Erziehungsmodell), indem die Lernenden selbst beurteilen sollen, ob und warum der Geburtstag positiv oder negativ zu beurteilen ist.

In der Erzählung Ndongo fing neu an sollen die Lernenden von 1ere Kontakt mit dem Thema des Alkoholkonsums aufnehmen. Anhand eines bestimmten Textauszugs sollen sie eine Reihe von Fragen in Gruppen beantworten (Gruppenarbeit). Die Bearbeitung des Textauszugs sollte die Reflexion der Lernenden über die Werte und die Urteilsfähigkeit der Lernenden ermöglichen (romantisches Erziehungsmodell), indem sie über das Leben der Hauptfigur nachdenken und ihr Verhalten beurteilen sollen.

Die Arbeit mit dem Textauszug aus dem Roman sollte den Lernenden von Terminale die Möglichkeit eröffnen, sich über das Thema Rassismus auszudrücken. Den Lernenden soll eine Situation präsentiert werden, in der sie schriftlich ihre eigenen Meinungen über den Rassismus ausdrücken und begründen sollen (Einzelarbeit). Die ihnen dargestellte Situation soll die Entwicklung moralischer Urteils- und Begründungsfähigkeit und die Lösung ethischer Probleme (progressives Erziehungsmodell) ermöglichen, indem die Lernenden die Aussagen des deutschen Mannes und die Reaktion der deutschen Frau beurteilen sollen.

0.6. Aufbau der Arbeit

Unsere Arbeit besteht aus zwei Teilen: dem theoretischen und dem empirischen Teil. Sie umfasst vier Kapitel. Jeder Teil besteht aus zwei Kapiteln. Das erste Kapitel führt den Leser in die theoretische Diskussion ein und verdeutlicht den Diskurs über den Wertbegriff und weitere Konzepte. Zunächst soll der Begriff des Wertes bestimmt werden und dessen Funktionen und Merkmale sollen herausgearbeitet werden. Danach sollen die Ansätze und Modelle der Werteerziehung sowie die Wertetypen herangezogen werden. Im zweiten Kapitel soll das Konzept des wertorientierten Unterrichts im DaF-Bereich diskutiert werden. Dabei sollen zunächst Kriterien, Merkmale und Ziele sowie didaktische Prinzipien eines wertorientierten Unterrichts dargestellt werden. Dann soll die Bestandsaufnahme der Werteerziehung im DaF-Studium in Kamerun vorgelegt werden. Abschließend sollen die Möglichkeiten und Grenzen eines wertorientierten Unterrichts skizziert werden.

Im empirischen Teil soll im Kapitel 3 der wertorientierte DaF-Unterricht am Beispiel von ausgewählten Texten in die Praxis umgesetzt werden. Dabei sollen die Kriterien für die Literaturauswahl gerechtfertigt, die Unterrichtsstunden geplant und durchgeführt sowie die Ergebnisse der Unterrichte dargestellt werden. Das 4. Kapitel befasst sich mit der Entwicklung eines ethischen Bewusstseins bei Lernenden. Dabei sollen die Befragten, das Erhebungsmaterial und die Durchführung der Umfrage sowie die Analyse der erhobenen Daten und die Ergebnisse der Umfrage erläutert werden. Einen besonderen Akzent auf die abschließenden Bemerkungen und den Ausblick legt der Abschluss dieser Arbeit.

1. DER DISKURS ÜBER DEN WERTBEGRIFF UND WEITERE KONZEPTE

Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit dem Wertbegriff und den weiteren Konzepten. Einerseits soll der Wertbegriff bestimmt und seine Funktionen und Merkmale sollen herausgearbeitet werden. Andererseits sollen die Ansätze der Werteerziehung besprochen werden. Drittens sollen die Modelle der Werteerziehung diskutiert werden. Abschließend soll auf die Werttypen eingegangen werden. Dabei sollen die Klassifizierungen von Hillmann und Schwartz dargestellt werden.

1.1. Der Wertbegriff

Der Wertbegriff hat im Laufe der Zeit eine Entwicklung durchlaufen. Er ist von vornherein in einem Kontext erschienen, in dem reflektiert wurde, woran sich der Einzelne orientieren kann, wenn sich der Gottesgedanke auflösen wird. Dieser Gottesgedanke nahm zum Vorwand, „einen Sinnrahmen für die Persönlichkeitsentwicklung und ein Orientierungsmodell für individuelle Handlungen“ (Anselm 2012:402) zu sein. Allmählich begannen Leute, zu vermuten, dass der Wertbegriff etwas Subjektives an sich besaß. In diesem Zusammenhang traf man auf Carl Schmitts Analyse, die darauf hinwies, dass Werte rein subjektiv und ein Produkt subjektiv-menschlicher Interessen waren (vgl. Schmitt 1979:46). Diese Subjektivität führte dazu, dass „jeder Wert die Tendenz hat, wenn er einmal Macht über eine Person gewonnen hat, sich zum alleinigen Tyrannen des ganzen menschlichen Ethos aufzuwerfen, und zwar auf Kosten weiterer Werte.“ (Hartmann 1926:524f zitiert nach Anselm 2012:402). Damit ist deutlich, dass der Wertbegriff, weil er subjektiv ist, zur Ideologieanfälligkeit führen kann. Diese Konzipierung des Wertbegriffs als ein ideologieanfälliger Begriff ‒ darin erscheint die ideologisierende Funktion des Werts (vgl. Anselm 2012:405) ‒ hat sich in der Debatte um die Bedeutung der Werte in dem Bildungsprozess bzw. der schulischen Werteerziehung als relevant erwiesen: Schulische Werteerziehung ist eine Erziehung nach eigenen Werten. So ist es nicht erstaunlich, dass die Definitionen des Wertbegriffs je nach Autoren variieren.

Macht man sich zur Aufgabe, die Definitionen des Begriffs Wert in der Literatur zu analysieren, so stellt man fest, dass der Begriff keine einheitliche Bestimmung zulässt. In ihren Definitionen unterscheiden sich Autoren in den Komponenten, die sie heranziehen.

Dieter Frey (2016) zufolge sind Werte „Grundsätze, nach denen eine Gesellschaft oder eine Gruppe von Menschen ihr Zusammenleben richtet oder richten will“ (ebd:VII). Er versteht Werte als Prinzipien, nach denen Individuen leben sollen. Werte helfen dem Menschen dabei, seine Handlung in der Gesellschaft zu orientieren. Die Komponente Orientierung, die die orientierende Funktion des Werts (vgl. Anselm 2012:405) ausmacht, ist auch bei Jutta Standop (2005) anzutreffen: „Andererseits werden mit Werten Orientierungswerte bezeichnet ‒ gemeint sind hierbei Ideale oder Leitbegriffe, an denen wir uns in allen unseren Wertungen orientieren“ (ebd:13). In dieser Orientierungsfunktion sollen Menschen Entscheidungen treffen. In diesem Zusammenhang sind die Werte im Dienst der Gewährleistung einer sicheren Einschätzung, Einordnung und Abschätzung von Situationen und Gegebenheiten bei der Entscheidungsfindung. Folglich leisten die Werte auch eine selektive und ordnende Funktion (vgl. Schuppe 1988).

Die Komponente Orientierung ist auch bei Ute Multrus (2008) zu finden. Dazu nimmt sie folgendermaßen Stellung: Werte sind „wünschenswerte Grundhaltungen, die ein erstrebenswertes Ziel charakterisieren und den Menschen Orientierung verleihen, aber noch nicht zu aktuellen und konkreten Verhaltensweisen ausgeprägt sind“ (ebd:23). Werte sind kein Benehmen, sondern Ideen oder Vorstellungen, die das Verhalten leiten. In demselben Sinne äußert sich Jutta Standop (2005), indem sie schreibt: Werte sind „[…] Ideen, die wir bestimmten Dingen oder Verhältnissen zuschreiben. […]. Ein Wert stellt eine grundlegende Vorstellung über erwünschte (End-) Zustände dar, die ausdrücklich oder unausgesprochen für das Streben eines Individuums, einer Gruppe bzw. einer Gesellschaft charakteristisch ist“ (ebd:13). Diese Definition von Standop stellt eine andere Komponente heraus: die Idee oder Vorstellung und unterscheidet sich damit von den vorausgegangenen Definitionen.

Eine weitere Komponente, die Handlung, findet man bei Thorsten Schütt (2006): „Werte dienen als Kriterien, anhand derer Menschen eigene Handlungen auswählen und rechtfertigen sowie Ergebnisse und Handlungen anderer beurteilen“ (ebd:8). Er versteht die Werte als handlungsleitend. Vor diesem Hintergrund dienen die Werte der Strukturierung und Beurteilung eigener Handlungen und Handlungen fremder Personen und leisten damit ihre evaluative Funktion (vgl. Schuppe 1988).

Die Komponente Handlung fehlt ‒ im Gegensatz zu Schütt ‒ in der folgenden Definition. Werte sind Vorräte an gesellschaftlich und persönlich Wünschbarem, potenziellen Orientierungsmuster[n] […]. Werte sind individuelle Vorstellungen davon, was erstrebenswert sei und damit allgemeine Anhaltspunkte, an denen sich menschliches Verhalten orientieren kann (Jugendwerk der Deutschen Shell 2000:97).

Dass Werte das menschliche Verhalten steuern, heißt, dass sie verhaltensleitend sind. Das bedeutet, Werte stabilisieren das Verhalten des Einzelnen und erfüllen somit auch eine stabilisierende Funktion (vgl. Schuppe 1988). Werte werden darüber hinaus sozial vermittelt und lenken das Verhalten des Einzelnen gegenüber dem Gesellschaftssystem. So ist neben dieser stabilisierenden Funktion der Werte eine konformisierende Funktion (vgl. Schuppe 1988) anzusiedeln.

Lässt man alle diese Definitionen Revue passieren, so geht hervor, dass sie eine oder zwei der drei Komponenten umfassen. Aus allen drei Komponenten, nämlich der Orientierung, der Idee und der Handlung wollen wir unsere eigene Definition des Werts herleiten. Wir definieren Werte als hochabstrakte Ideen oder Vorstellungen, nach denen ein Mensch bzw. eine Gesellschaft strebt, die das Verhalten eines Menschen bzw. einer Gesellschaft orientieren, seine bzw. ihre Handlung definieren und leiten, aber auf keine konkreten Verhaltensweisen verweisen. Von diesem Definitionsversuch lässt sich behaupten, dass sich Werte durch einen hohen Grad an Abstraktheit und eine Interpretationsoffenheit auszeichnen. Sie sind einerseits durch die Sprache „konstituiert, fixiert und werden über diese kommuniziert“ (Standop 2005:15). Andererseits hängen sie von dem Subjekt ab, an das eine Wertvorstellung gebunden ist3 und sind mit situativen Kontexten verbunden (vgl. Bär 2019:30).

Die obigen erwähnten Definitionen zeigen, wie der Begriff Wert unterschiedlich aufgefasst wird. Ferner ist er in der aktuellen Debatte von dem Begriff Norm undifferenziert verwendet (vgl. Anselm 2014:12; Hackl 2011). Deswegen sollen beide Begriffe von dieser Verwechslung verschont geblieben werden.

Der Begriff Norm bezieht sich auf „[…] gesetzlich verankerte gesellschaftliche Regeln, die auf konkreten Geboten und Verboten beruhen“ (Nyemb 2017a:23). Normen sind Verhaltensforderungen und –regeln, die von einer Gesellschaft festgelegt sind und von einem Individuum eingehalten werden sollen. Thorsten Schütt (2006) ist auch derselben Ansicht:

Normen sind Verhaltensregeln im sozialen Umgang miteinander. Sie beschreiben sowohl erwünschte wie auch unerwünschte Zustände und Handlungen. Normen werden ‒ in Abgrenzung zu Wertorientierungen ‒ nicht durch Individuen erstellt, sondern werden in hierarchischen oder auch basisdemokratischen Institutionen durch Mehrheitsentscheidung oder Autorität aufgestellt (ebd:11).

Jutta Standop (2005) vertritt eine ähnliche Auffassung:

Normen haben den Charakter von sozialen Konventionen und von ‚Verhaltensrichtlinien‘ in einer Gruppe, Gesellschaft oder Kultur. Sie sind also Ergebnisse zwischenmenschlicher Vereinbarungen, Festlegungen […]. Solche Normen sollen das Verhalten von Individuen regulieren und festlegen, welche Einstellungen und Überzeugungen akzeptiert werden, welche Ziele zu verfolgen sind. Sie können von Individuen letztlich befolgt oder übertreten werden (ebd:18).

In diesen beiden Zitaten kommt zum Vorschein, dass Normen soziale Konventionen darstellen, die für alle Mitglieder einer Gesellschaft gültig sind. Die Übertretung von Normen wird durch Sanktionen und Bestrafung gesichert. Normen sind keine abstrakten Ideen ‒ wie die Werte ‒, sondern konkrete Ideen bzw. Regeln. Sabine Anselm (2012) geht auf weitere Unterscheidungspunkte zwischen Normen und Werten ein, wenn sie folgende Feststellung macht:

Doch im Unterschied zu den Normen, die dem Einzelnen äußerlich bleiben, zielen die Werte auf die innere Befindlichkeit, auf die Persönlichkeit des Einzelnen ab. Sie stehen für die subjektiven Einstellungen einzelner Personen und bilden die Ziele unseres Handelns. (ebd:405)

Während sich Normen für den Menschen extern anbieten, sind Werte intern an den Menschen gebunden.

Werte sind eng mit Normen verbunden. Jutta Standop (2005) bringt diese Verbindung in folgenden Worten zum Ausdruck: „Werte sind die grundlegenden Erkenntnisse und inneren Stellungnahmen über unsere Beziehungen zur Welt, Normen die daraus abgeleiteten Handlungsanweisungen“ (ebd:17). Auch Gerhard Zecha (1984) pflichtet dieser Meinung bei, indem er sagt, dass Normen „stets aus Werten abgeleitete und auf diese rückführbare Sollens- oder Verhaltensforderungen“ (zitiert nach Stein 2008:21) sind. Im gleichen Sinne meint Herbert Gudjons (2001), dass Normen „die pragmatische Form von Werten“ (ebd:191 zitiert nach Stein 2008:21) sind. Um beide Begriffe voneinander zu unterscheiden und zu verstehen, führen Margit Stein und Ute Multrus folgende Beispiele an. Stein (2008) gibt an, dass der Wert „Achtung vor dem Menschen“ (ebd:21) mit der Norm „Menschenrechtskataloge“ einhergeht. Multrus (2008) zufolge entspricht die Norm „Ein Lehrer darf keinen Schüler bevorzugen“ (ebd:23) den folgenden Werten: Gleichheit, Gerechtigkeit, Anerkennung und Solidarität.

1.2. Ansätze der Werteerziehung

Unter der Werteerziehung versteht man die Tatsache, dass Werte sowohl indirekt als auch direkt an Lernenden vermittelt werden. Die indirekte Werteerziehung bezieht sich auf „[…] das Einüben demokratischer Mitbestimmungs- und Interaktionsmöglichkeiten im Rahmen der Schule“ (Stein 2008:157). Jörg-Dieter Wächter (1997 zitiert nach Stein 2008:157) unterscheidet vier Elemente der indirekten Erziehung:

- das Zulassen von Mitwirken
- die Vorbildfunktion der Lehrkräfte
- die Sicherung einer stabilen Zugehörigkeit zur Schulgemeinschaft
- und die Eröffnung der Möglichkeit, Begegnungen in und außerhalb der Schule zu erfahren.

Bei der direkten Werteerziehung handelt es sich um „[…] Ansätze, die sich direkt auf die Vermittlung von Werten beziehen“ (Stein 2008:156). Hier werden Empathie und Einfühlungsvermögen der Lernenden gefördert (vgl. Dietenberger 2002 zitiert nach Stein 2008:159). Bezüglich dieser Ansätze soll zwischen materialer und formaler Werteerziehung unterschieden werden (vgl. Uhl 1998:156f zitiert nach Multrus 2008:24). Diese Ansätze leiten zum nächsten Abschnitt über.

1.2.1. Materiale Werteerziehung

Sie verweist auf „das Vermitteln, das Anerziehen, das Erlernen bestimmter Wertüberzeugungen, Normen, Tugenden und Gesinnungen“ (Multrus 2008:24) und verfolgt das Ziel, […] bei den Schülern materiale, d.h. inhaltlich feststehende Persönlichkeitsqualitäten wie bestimmte, als wünschenswerte beurteilte Wertüberzeugungen und bestimmte Tugenden zu fördern und bestimmte andere (z.B. moralisch schlechte) Überzeugungen und Verhaltensgewohnheiten zu schwächen oder ganz zum Verschwinden zu bringen. (ebd.)

Es geht bei der materialen Werteerziehung um die Förderung von Werten bzw. Wertüberzeugungen bei Lernenden durch die Lehrperson. Bertin Nyemb (2017a) schließt sich auch dieser Meinung an, wenn er die materiale Werteerziehung wie folgt definiert:

Es handelt sich um ein klassisches Verfahren, bei dem die Lehrenden dafür sorgen, dass den zu Erziehenden bestimmte Wertüberzeugungen, Tugenden, Normen, Gesinnungen, Persönlichkeitsqualitäten und Verhaltensgewohnheiten im Lehr-Lern-Prozess vermittelt werden“ (ebd:24).

Diese Definition fasst die materiale Werteerziehung als die Wertevermittlung zusammen.

1.2.2. Formale Werteerziehung

Sie bezeichnet die „[…] Bewusstmachung und die Reflexion individualistischer Werterklärungskonzepte“ (Multrus 2008:24). Bertin Nyemb (2017a) äußert sich dazu wie folgt: „Bei dieser Herangehensweise stehen die kritische Reflexion über Wertekonzepte, die Förderung der Beurteilungskompetenz und der Entscheidungsfähigkeit des Lernenden im Vordergrund“ (ebd:24). So wird der Akzent ‒ im Gegensatz zur materialen Werteerziehung ‒ nicht auf die Wertevermittlung, sondern auf die Entscheidungsfähigkeit des Lernenden, „[…] die Klarheit der individuellen Wertüberzeugungen und die formale Qualität von Werturteilen“ (Multrus 2008:24) gelegt.

In der vorliegenden Arbeit sollen beide Ansätze berücksichtigt werden. Der Einsatz der materialen Werterziehung rechtfertigt sich in der Tatsache, dass Werte im Gymnasium vermittelt werden sollen. Sie stützt sich auf die formale Werteerziehung, weil die Lernenden bei dieser Wertevermittlung die Entscheidung treffen sollen, was sie als grundlegende bzw. wichtige Werte betrachten, welche Werte für sie zählen und welche nicht.

1.3. Modelle der Werteerziehung

Es soll zwischen romantischem und progressivem Erziehungsansatz (vgl. Oser/Althoff 2001) unterschieden werden.

1.3.1. Der romantische Ansatz

Diesem Modell liegt ein Menschenbild zugrunde, das von Rousseau vertreten wird. Rousseau meint, dass jeder Mensch auf die Welt mit guten Sitten kommt, aber von der Gesellschaft beeinflusst wird, d.h. die Gesellschaft verdirbt den Menschen. Das Modell beschreibt die Selbstbildung der Werte im Reifungsprozess eines Kindes (vgl. Hackl 2011). Werte sind vom Individuum selbst bestimmt. Es betont die Persönlichkeit und die Einzigartigkeit des Menschen. Ziel ist „die Hinführung zu einem klaren individuellen Wertemuster“ (Schubarth 2019:87). In Bezug auf die Werte bedeutet dies: „Indem die Wertfrage in den einzelnen Menschen hineingebracht wird, stellt sich die Bedeutung von Werten als relativ dar, denn diese sind dann gut, wenn sie vom jeweiligen Einzelnen so wahrgenommen werden“ (Standop 2005:75). Was sich in dem Zitat herauskristallisiert, ist, dass dieses Modell den Werterelativismus befürwortet. Unter diesen Bedingungen erscheint die Werteerziehung als schwierig, weil die Wertorientierungen relativ und nicht universell sind.

In der Schule besteht der romantische Ansatz darin, „Schüler dazu zu bringen, über Werte und Wertefragen nachzudenken, indem sie eine Situation inszenieren“ (Timbe 2019:15). Diese Tatsache wird jene Bedingungen schaffen, in denen die Lernenden selbst imstande sind, das Richtige von dem Falschen zu trennen. Positiv bei diesem Ansatz ist die aktive Rolle der Lernenden. Die Lernenden stehen im Mittelpunkt. Ziel der Lehrperson besteht nur darin, „reale und geeignete Bedingungen zu schaffen, die für die Entfaltung von Werten der Schüler nützlich sind.“ (ebd.). Ein Nachteil dieses Ansatzes ist jedoch die Tatsache, dass die Subjektivität der Wertorientierung zur Feststellung führen kann, wonach „im Extremfall […] der Verbrecher wie der Heilige als Vorbild genommen werden“ kann (Oser/Althoff 2001:95).

1.3.2. Der progressive Ansatz

Dieser Ansatz legt den Akzent weniger auf die Wertevermittlung und mehr auf das Erreichen moralischer Urteilsfähigkeit. Er „konzentriert sich […] nicht vorwiegend auf die Übernahme bestimmter Werte und Normen […], sondern hat das Ziel den Aufbau moralischer Urteilsfähigkeit“ (Standop 2005:78). Er beruft sich auf die moralpsychologische Entwicklungstheorie von Lawrence Kohlberg. Der Heranwachsende soll ethische Probleme lösen, die ihm normalerweise erlauben, zu einer nächsthöheren moralischen Stufe zu gelangen. Die Urteilsfähigkeit sollte die Lernenden dazu befähigen, „Werte und Normen zu erklären und kritisch zu hinterfragen“ (ebd.). Im Unterricht sollen moralische Dilemmadiskussionen behandelt werden. Die Lernenden sollen frei sein, über das Für und Wider der Vorschläge ohne den erhobenen Zeigefinger des Lehrers zur Lösung des Dilemmas zu diskutieren (vgl. Multrus 2008:29). Grundlage dieses Ansatzes ist, dass die Lernenden aktiv im Erziehungsprozess sind. Sie entwickeln sich durch die Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt. Rolle des Erziehers ist es, Bedingungen zu schaffen, die eine solche aktive Teilnahme ermöglichen. Positiv bei diesem Ansatz ist eine Demokratieerziehung, da moralische Urteilsfähigkeit durch eine kontinuierliche Argumentation trainiert werden soll (vgl. Multrus 2008:30).

Zusammenfassend kann Folgendes gesagt werden: Die vorliegende Arbeit kombiniert sowohl das romantische als auch das progressive Werteerziehungsmodell. Die Persönlichkeit und die Einzigkeit der Lernenden des ersten Modells sind in dieser Arbeit von Bedeutung, denn die Lernenden sollten selbst ihre Werte bilden, indem sie über ein ihnen präsentiertes Thema nachdenken sollten. Sie sind kein tabula rasa, sondern verfügen schon über Wertüberzeugungen. Dem zweiten Modell kommt die Bedeutung zu, die moralische Urteils- und Entscheidungsfähigkeit der Lernenden zu fördern und zu entwickeln, indem sie Entscheidungen bei der Erzählung eines Geburtstags treffen, eine rassistische Situation beurteilen sollten und damit sich Werte herausbilden sollten.

1.4. Wertetypen

In diesem Abschnitt geht es um die Klassifikationen von Werten. Viele Forscher haben den Versuch unternommen, Werte zu klassifizieren (vgl. Stein 2008:23; Schwartz 1994; Rokeach 1973). Es wird darauf verzichtet, alle diese Klassifikationen zu nennen, da sie nicht alle für die vorliegende Arbeit von Belang sind. Es soll lediglich auf die Werteklassifikationen von Karl-Heinz Hillmann und Shalom Schwartz beschränkt werden, die für diese Arbeit relevant sind. Sie haben den Vorteil, sich auf empirische Untersuchungen in vielen Ländern der Welt zu stützen. Wenden wir uns zunächst der Werteklassifikation von Hillmann zu.

1.4.1. Karl-Heinz Hillmanns Werteklassifikation

In seiner Werteklassifikation unterscheidet Karl-Heinz Hillmann zwischen Werten und Unwerten. Zu der ersten Gruppe gehören Grundwerte, prosoziale Werte, Anstands- und Höflichkeitswerte, Arbeits- und Berufswerte, bürgerlich-preußische Tugenden, materialistische, hedonistische, individualistische, konservative, ethnisch-nationale, religiöse, asketische, idealistisch-nichtmaterialistische, ökologische, politische Wertorientierungen und familienorientierte Wertvorstellungen,. In der zweiten Gruppe fallen die Intoleranz und die Verantwortungslosigkeit (vgl. Hillmann 2001:29ff).

In der vorliegenden Arbeit werden nicht nur Werte beigebracht, sondern auch Unwerte. Durch Werte erfolgt die Werteerziehung in Grundwerten, prosozialen Werten und Anstands- und Höflichkeitswerten. Was die Unwerte anbelangt, erscheinen sie in der Verantwortungslosigkeit. Damit werden „Vorlieben bzw. Präferenzen“ (Wils 1996:334 zitiert nach Bär 2019:34) für den Wert Verantwortung ausgedrückt. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie die Schwartz‘sche Klassifikation aussieht.

1.4.2. Shalom Schwartz’ Werteklassifikation

Im Gegensatz zu Hillmann unterscheidet Shalom Schwartz zehn Werttypen: Macht, Leistung, Hedonismus, Stimulation, Selbstbestimmung, Universalismus, Mildtätigkeit, Tradition, Konformität und Sicherheit (vgl. Schwartz 1994:22). Die unterschiedlichen Werttypen werden auf drei Motive bezogen:

- die Sicherung des Überlebens des Einzelnen
- die Sicherung des Überlebens der Gemeinschaft
- die Sicherung des Zusammenlebens innerhalb der Gemeinschaft.

Beispielsweise referieren die Werte der Leistung, des Universalismus und der Tradition jeweils auf das Fortkommen des Individuums, das Überleben der Gemeinschaft und der Kooperation innerhalb der Gemeinschaft (vgl. Schwartz 1994:21).

Schwartz’ Klassifikation der Werte ist auch in dieser Arbeit von Belang. Die von ihm errichteten Werttypen und Unterwerte schlagen sich in den drei Unterrichtsmaterialen in der Gestalt von Universalismus, Selbstbestimmung und Mildtätigkeit nieder.

Neben diesen beiden Klassifikationen ist auch die Unterscheidung von Ute Multrus interessant für den Zweck dieser Arbeit. Sie unterscheidet zwischen moralischen (Aufrichtigkeit, Wahrheit, Gerechtigkeit, Treue), religiösen (Nächstenliebe, Gottesfurcht), politischen (Toleranz, Freiheit, Gleichheit, Gemeinwohl, Frieden, Würde, Schutz des Lebens, Verantwortung), ästhetischen (Kunst, Schönheit) und materiellen (Wohlstand) Werten (vgl. Multrus 2008:23). In dieser Arbeit werden politische Werte berücksichtigt.

Im folgenden Kapitel soll gezeigt werden, wie ein wertorientierter Unterricht konzipiert werden kann.

2. DIE UMSETZUNG EINES WERTORIENTIERTEN UNTERRICHTS IM DaF-BEREICH

Das folgende Kapitel besteht aus drei wesentlichen Teilen. Im ersten Teil soll die theoretische Diskussion über das Konzept des wertorientierten Unterrichts dargelegt werden. Der zweite Teil soll eine Bilanz über die Werteerziehung im DaF-Studium Kameruns aufstellen. Im letzten Teil sollen die Möglichkeiten und Grenzen eines wertorientierten Unterrichts in Kamerun diskutiert werden.

2.1. Wertorientierter Unterricht

Eva Matthes (2008) definiert den wertorientierenden Unterricht als „[…] die Kombination des Erwerbs von Erkenntnissen, Orientierungen und Fähigkeiten“ (ebd:39). Ein wertorientierter Unterricht vermittelt zunächst nicht nur Kenntnisse und Kompetenzen, sondern fördert auch Haltungen. Über den Erwerb von Wissen, Können und Haltungen hinaus kommt als zusätzliches Element gegenüber einem klassischen Unterricht die Ethik hinzu. Anders ausgedrückt: Jeder wertorientierte Unterricht stellt nicht nur die kognitive (das Wissen), die pragmatische (das Können) und die emotionale (die Haltungen), sondern auch die ethische Dimension heraus (vgl. Matthes 2008:38). So ist der wertorientierte Unterricht ein sehr komplexer Unterricht, der hohe Anforderungen darstellt und viel Zeit in Anspruch nimmt. Jutta Standop (2005) bringt ihre Position dazu wie folgt zum Ausdruck: „Wirksame Werteerziehung muss sich über viele Wochen und viele Problembearbeitungen erstrecken. Kurzzeitige Werte-Thematisierung hat praktisch keine Effekte.“ (ebd:94). Mit dem Zitat unterstreicht die Forscherin, dass ein wertorientierter Unterricht, der nach der Wirksamkeit strebt, viel Zeit und Energie in Anspruch nimmt. Die Frage, wie sich ein solcher Unterricht konzipieren lässt, scheint mir berechtigt zu sein. Eine Lehrperson, die einen wertorientierten Unterricht durchzuführen beabsichtigt, stützt sich auf Kriterien, Merkmale und Ziele sowie didaktische Prinzipien des Unterrichts. Im Folgenden sollen diese Dimensionen wertorientierten Unterrichts dargestellt werden.

2.1.1. Kriterien wertorientierten Unterrichts

Jutta Standop (2005) hat eine Reihe von Kriterien für einen wertorientierten Unterricht festgelegt: den Unterrichtsrahmen, den Lernprozess und die Beziehung zwischen der Lehrperson und den Lernenden.

Bei der Umsetzung eines wertorientierten Unterrichts gilt es, den Unterrichtsrahmen zu berücksichtigen. Darunter ist zu verstehen, dass jeder Unterricht zwei Instanzen in Betracht ziehen soll: die Lehrperson und die Lernenden. Während die Lehrperson den Lernenden Orientierung gibt, befassen sich die Lernenden mit bestimmten Fragen und begründen auch die Antworten dazu. Ziel ist es, die Meinungs- und Begründungsfähigkeit der Lernenden zu entwickeln.

Im Lernprozess soll gesichert werden, dass der Unterrichtsgegenstand dem Alter und dem Niveau der Lernenden entspricht. Das bedeutet, dass ein bestimmter Wert nur für eine bestimmte Klasse geeignet ist. Aufgabe der Lehrperson ist es somit, dem Alter und dem Niveau der Lernenden Rechnung zu tragen (vgl. Standop 2005:95). Nicht nur die Lehrperson, sondern auch die Lernenden sind Teil des Lernprozesses. Und als agierende Menschen sollen die Lernenden verstehen, dass der Unterrichtsgegenstand für das eigene individuelle und soziale Leben von Bedeutung sein kann. Voraussetzung dafür ist, dass sie selbsttätig sein sollen. Die Selbsttätigkeit beruht auf der Erkenntnis, dass die Lernenden sich selbst bilden können (vgl. Standop 2005:96).

Die Werteorientierung im Unterricht intendiert, dass es eine Interaktion zwischen der Lehrperson und den Lernenden existiert, in der „[…] die lernenden Schüler und Schülerinnen ihren eigenen Lernprozess aktiv konstruieren“ (Standop 2005:94). In diesem Zusammenhang soll die Lehrperson ihren Unterricht so gestalten, dass die Lernenden aktiv an den Unterrichtsprozessen teilnehmen. Diese Teilnahme kann beispielsweise in Gestalt von Meinungsäußerungen stattfinden. In diesem Sinne dürfen die Lernenden argumentativ mit der Lehrperson diskutieren. So können Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden Instanzen erfolgen. In diesem Fall sollen weder die Lehrperson noch die Lernenden versuchen, Recht zu haben. Ziel eines Meinungsstreits ist es eher, den Lernenden die Möglichkeit zu geben, sich über Themen bzw. Probleme auszudrücken und ihre eigenen Meinungen dazu zu äußern. Die Themen, über die sich die Lernenden ausdrücken, werden von der Lehrperson vorher bestimmt. So kann gesagt werden, dass die Wertorientierung eine ideologisierende Wertevermittlung ist, eine Wertevermittlung nach den Werten der Lehrperson. Da jede Lehrperson den Lernenden ihre eigenen Werte vermittelt, soll sie demnach ein Vorbild für die Lernenden sein, damit sie sich an ihr ein Beispiel nehmen und sich deren Werte aneignen (vgl. Standop 2005:95). Die Rolle eines Vorbildes einzunehmen, verlangt nicht nur Kompetenzen, sondern auch Charakter, Haltungen und Tugenden. In Kamerun verfügen aber nicht alle Deutschlehrer über moralische Tugenden und sind keine Vorbilder.

[...]


1 Die ethische Kompetenz verweist auf die Fähigkeit, ethische Werte im Umgang mit Literatur kritisch zu übernehmen (vgl. Yowa 2017:44).

2 Diese Modelle sind im Kapitel 1 näher zu erläutern.

3 Ein Wert wie Freiheit wird nicht von allen Menschen oder Gesellschaften gleichermaßen verstanden. Jeder Mensch oder jede Gesellschaft hat seine oder ihre eigene Auffassung des Werts der Freiheit.

Ende der Leseprobe aus 95 Seiten

Details

Titel
Deutsch als Fremdsprache. Werteerziehung im Unterricht
Untertitel
Eine empirische Studie am Lycée de Tigaza in Ostkamerun
Note
16.5
Autor
Jahr
2020
Seiten
95
Katalognummer
V922477
ISBN (eBook)
9783346285980
ISBN (Buch)
9783346285997
Sprache
Deutsch
Schlagworte
deutsch, fremdsprache, werteerziehung, unterricht, eine, studie, lycée, tigaza, ostkamerun
Arbeit zitieren
Rosny Franck Nzenti (Autor:in), 2020, Deutsch als Fremdsprache. Werteerziehung im Unterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/922477

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