Konzeptionen des Ausnahmezustands bei Carl Schmitt und Giorgio Agamben

Eine vergleichende Analyse


Hausarbeit, 2019

14 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Ausnahmezustand bei Carl Schmitt
2.1 Die Souveränität in der klassischen Theorie
2.2 Der Souverän und der Ausnahmezustand
2.3 Die Politische Theologie

3. Der Ausnahmezustand bei Giorgio Agamben
3.1 Das Paradoxon der Souveränität
3.2 Zoé und bios
3.3 Die Bio- Macht
3.4 Bann und nómos

4. Schlussbemerkung

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ (Schmitt 1922: 11)

Mit dieser prägnanten Definition beginnt Carl Schmitts „Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität“. In seinem Werk geht er dem Ziel nach, die Entwicklung des Begriffes Souverän aufzuzeigen und setzt ihn in Bezug zur Ausrufung des Ausnahmezustandes. Schnell steht für ihn fest, dass die Souveränität im „Entscheidungsmonopol“ (Schmitt 1922: 19) des jeweiligen Herrschers zu finden ist. Ebenen jenes „Entscheidungsmonopol“ erfährt fast hundert Jahre später mit dem Ausruf zum „Krieg gegen den Terror“ und dem sich daraus entwickelnden globalem Ausnahmezustand eine erneutes Comeback.

Die Anschläge auf das World Trade Center 2001 bedeuten für die moderne Politik einen tiefen Einschnitt. Mit der Gründung der „Koalition der Willigen“ gegen die von Bush festgelegte „Achse des Bösen“ spaltete sich die Welt in zwei Lager. Somit konnte der Präsident eine erneute Bipolarität erzeugen, wie es sie seit dem Untergang der UdSSR nicht mehr gab, auch wenn jene künstlich erzeugt wurde und keinen fest definierbaren Feind fassen konnte, so festigte sich diese Aufteilung der Welt in den folgenden Jahren. Im Zuge dessen wurden grundlegende freiheitlich demokratische Rechte der amerikanischen Bürger und Menschen anderer Länder außer Kraft gesetzt, um so augenscheinlich die Sicherheit eben jener gewährleisten zu können. Der Kampf gegen den Terror ist mittlerweile zum Alltag geworden und es scheint kein Ende in Sicht. Mit der Etablierung ebenen jenes ständigen Ausnahmezustandes zum Schutz der Bürger war das erste Opfer die Freiheit, denn mit der Sicherheit geht die Freiheit. Von der breiten Öffentlichkeit wurde diese gefährliche Entwicklung wohlwollend hingenommen, dient sie ja ihrer eigenen Sicherheit, sowie der Suche und dem Kampf gegen die inneren und äußeren Feinde.

In diesem Kontext bietet es sich an, sich mit der Konzeption der Souveränität und der praktischen Ausrufung des Ausnahmezustandes genauer zu beschäftigen, um die politischen Vorgänge unserer Zeit besser nachvollziehen zu können. In meiner Arbeit werde ich deshalb die beiden Theoretiker Carl Schmitt und Giorgio Agamben miteinander hinsichtlich der Konzeption ihrer Ausnahmezustände vergleichen. Zunächst wird auf den Ausnahmezustand nach der Definition Carl Schmitts eingegangen, auf der sich Agamben in seinem Werk „homo sacer“ beruft. Die Souveränität und die Ausnahme dienen ihm zur Entwicklung einer Philosophie von rechtsfreiem Räumen und der Reduzierung der menschlichen Existenz auf das „nackte Leben“. Die Hausarbeit versucht im Folgengen die Gemeinsamkeiten und Diskrepanzen in den Analysen und Theorien zur Souveränität und zum Ausnahmezustand von Schmitt und Agamben herauszuarbeiten und diese in einer Verheutigung zu veranschaulichen. Die Arbeit fundiert hierbei Großteils auf den beiden bereits genannten Publikationen der beiden Autoren und deren weiteren Ausführungen in anderen Werken.

2. Der Ausnahmezustand bei Carl Schmitt

2.1 Die Souveränität in der klassischen Theorie

In der klassischen Theorie basiert die Souveränität auf der Aufteilung in Herrscher und Untergebener. Die souveräne Macht war bis in das 18. Jahrhundert hinein die Entscheidung über Leben und Tod. Diese oblag dem Herrscher, der durch die Ausübung dieser Entscheidungsmacht zum Souverän der Niedergestellten wurde.

Durch Jean Bodin wurde erstmals in der Geschichte die Souveränität klar umrissen, dabei wird sie als eine „absolute und zeitlich unbegrenzte Gewalt“ (Jean Bodin 1981: 205) gekennzeichnet. In einer Zeit, in der Frankreich von konfessionellen Streitigkeiten bürgerkriegsähnlich gespalten war, schien es für Bodin vermutlich nur wieder möglich einen dauerhaften Frieden zu etablieren, wenn dem Monarchen eine allmächtige Gewalt, mit der die Ordnung der Dinge wiederhergestellt werden sollte, zugesprochen wurde. Die Begriffsentwicklung durch Bodin diente demnach der Legitimierung einer solchen absolute Macht. Mittels der zugesprochenen Souveränität konnte der Herrscher als oberste Schiedsinstanz, gegenüber den Bürgerkriegsparteien, ebenso wie gegen hohe Gegenspieler um die Macht, beispielsweise den Papst, antreten und sich durchsetzen. Infolgedessen befindet sich das Gewaltmonopol beim jeweiligen Souverän eines Landes.

2.2 Der Souverän und der Ausnahmezustand

Carl Schmitt lehnt sich bei seiner Ausführung des Souveränitätsbegriffs deutlich an Bodin an. Auch in seinem politischen Denken fungiert der Souverän als Erbauer und Garant einer gesellschaftlichen Ordnung, dem die „höchste, nicht abgeleitete Herrschermacht“ (Schmitt 1922: 12) zu eigen ist. Zentral bestimmt wird die Definition Schmitts vom Dezisionismus. Er versteht die staatliche Souveränität „nicht als Zwangs­oder Herrschaftsmonopol, sondern als Entscheidungsmonopol“ (Ebd.: 19). Dabei kann eine umfassende Darstellung der Bedeutung der souveränen Macht nach Schmitt nur mittels einer Ausnahmesituation deutlich gemacht werden. „Daß der Ausnahmezustand im eminenten Sinne für die juristische Definition der Souveränität geeignet ist, hat einen systematischen, rechtslogischen Grund. Die Entscheidung über die Ausnahme ist nämlich im eminenten Sinne Entscheidung. Denn eine generelle Norm, wie sie der normal geltende Rechtssatz darstellt, kann eine absolute Ausnahme niemals erfassen und daher auch die Entscheidung, dass ein Ausnahmefall gegeben ist, nicht restlos begründen.“ (Ebd.: 11).

Das Bürgerkriegsszenario, welches Bodins Überlegungen zugrunde liegt, stellt für Schmitt nur einen Ausnahmefall dar. Somit gleichen sich die Definitionen der beiden Theoretiker stark und auch deren Schlussfolgerungen. Die Legitimation einer staatlichen Gewalt in der Hand einer nicht an das Recht gebundenen und anderen Machtzentren übergeordneten Person für die Aufrechterhaltung der Ordnung, sowie dem Erlassen neuer Gesetzte (vgl. Ebd.: 12f).

Relevant für Schmitt ist dabei nicht die Begrifflichkeit oder die geschichtliche Entwicklung der Souveränität, sondern deren reale Anwendung. Klar formuliert: Wer über den konkreten Ausnahmefall entscheidet. Anzumerken an dieser Stelle ist der für Schmitt wichtige Umstand, dass der Zustand der Ausnahme nicht explizit objektiv begrenzt werden kann. „Es kann weder mit subsumierbarer Klarheit angegeben werden, wann ein Notfall vorliegt, noch kann inhaltlich aufgezählt werden, was in einem solchen Fall geschehen darf, wenn es sich wirklich um den extremen Notfall und um seine Beseitigung handelt.“ (Ebd.: 12). Die Not macht das Erfordernis und die Aufgabe des Souveräns, die in ihrer Beseitigung liegt, deutlich. Weiter führt Schmitt aus. „Die Verfassung kann höchstens angeben, wer in einem solchen Falle handeln darf. Ist dieses Handeln keiner Kontrolle unterworfen, wird es nicht, wie in der Praxis der rechtsstaatlichen Verfassung, in irgendeiner Weise auf verschiedene, sich gegenseitig hemmende und balancierende Instanzen verteilt, so ist ohne weiteres klar, wer der Souverän ist.“ (Ebd.: 12).

Im praktiziertem Ausnahmezustand zeigt sich allerdings auch, dass der Herrscher, der von Recht gelöst und diesem übergeordnet ist, eben jenem doch auch immer noch zugehörig ist. „Denn er ist zuständig für die Entscheidung, ob die Verfassung in toto suspendiert werden kann.“ (Ebd.: 13). Jenes führt für Schmitt zu dem unweigerlichen Schluss, dass „im Notfall [...] die Bindung nach allgemeinen natürlichen Grundsätzen“ (Ebd.: 14) erlischt und dadurch auch keine Schuldigkeit zwischen dem Souverän und den Untergebenen mehr gegeben ist. Niederschlag findet diese Schlussfolgerung in der Formulierung der These, dass der Herrscher in dieser Situation „um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht.“ (Ebd.: 20). Der Gedankenschritt Schmitts scheint logisch, denn wo die Ausnahme die bestehenden Rechte, hier in Form einer Verfassung, aufhebt, da kann auch keine Bindung des Souveräns an Rechte und Amtspflichten stattfinden. Doch gleichzeitig besteht durch das legitime Recht der Rechtssuspendierung noch eine Verbindung zwischen dem Gesetzeskörper und dem Souverän.

Dem Umstand der Ausnahme liegt nach Schmitt das Charakteristikum eines heuristischen Prinzips zugrunde: „Die Ausnahme ist interessanter als der Normalfall. Das Normale beweist nichts, die Ausnahme beweist alles; sie bestätigt nicht nur die Regel, die Regel lebt überhaupt nur von der Ausnahme. In der Ausnahme durchbricht die Kraft des wirklichen Lebens die Kruste einer in der Wiederholung erstarrten Mechanik.“ (Ebd.: 22).

2.3 Die Politische Theologie

Schmitt knüpft für seine weiteren Überlegungen eine Verbindung zur Theologie. Demnach lässt sich laut Schmitt festhalten. „Der Ausnahmezustand hat für die Jurisprudenz eine analoge Bedeutung wie das Wunder für die Theologie.“ (Ebd.: 49). Mittels dieser Similarität lässt sich für Schmitt die Entwicklung der staatsphilosophischen Ideen der vergangenen Jahrhunderte nachvollziehen. Mit der Aufklärung fand eine Übertragung von religiösen Attributen und Charakteristika, die ursprünglich als Signum der göttlichen Allmacht, ja sogar Gott selbst, dienten, auf die Inhaber staatlicher Gewalt und der Bevölkerung als Teil der politischen Gewalt statt. „Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe. Nicht nur ihrer historischen Entwicklung nach, indem zum Beispiel der allmächtige Gott zum omnipotenten Gesetzgeber wurde, sondern auch in ihrer systematischen Struktur.“ (Ebd.: 49)

Für Schmitt sind Liberalismus und die demokratische Rechtsordnung von einer Art des Deismus geprägt. Dieser verstößt nicht nur die Wunder aus der rationalen Welt, sondern darüber hinaus die im Wunder mitinbegriffene, „durch einen unmittelbaren Eingriff eine Ausnahme statuierende Durchbrechung der Naturgesetzte ebenso ablehnt wie den unmittelbaren Eingriff des Souveräns in die geltende Rechtsordnung.“ (Ebd.: 49). In deren Folge ergeben sich unzureichende Handlungsmöglichkeiten für die Politik, die deswegen „einer Zeit sozialer Kämpfe nicht gewachsen [ist].“ (Ebd.: 75). Bei seinen weiteren Ausführungen stützt sich Schmitt einerseits auf die Thesen Donoso Cortes’, andererseits auf die Weltanschauung der Gegenrevolution. „Es liegt, nach Donoso, im Wesen des bürgerlichen Liberalismus, sich in diesem Kampf nicht zu entscheiden, sondern zu versuchen, stattdessen eine Diskussion anzuknüpfen.“ (Ebd.: 75). Was für Schmitt stringent zu der Schlussfolgerung führt, dass dies nur ein Versuch sei, einem letztgültigen Entschluss umgehen zu wollen.

Der Ausnahmezustand, das Loslösen der Entscheidungen von den politischen Normen, kann sich nach dem schmittschen Politikverständnis auch in einem totalitären System herausbilden. Die klaren und stringenten Entscheidungsfindungsprozesse einer Diktatur sind nicht mit der „leeren Formalität [...] der öffentlichen Diskussion.“ (Schmitt 1991: 10). einer Demokratie vereinbar.

3. Der Ausnahmezustand bei Giorgio Agamben

3.1 Das Paradoxon der Souveränität

Der Bezug Agambens hinsichtlich seiner Definition der Ausnahme auf die Thesen Schmitts zur Souveränität und dem Ausnahmezustand sind unübersehbar. Nicht nur übernimmt er stellenweise die begrifflichen Bestimmungen Schmitts, sondern baut diese, um die, nach ihn stattfindende, verbundene Inanspruchnahme des Lebens durch den Souverän, weiter aus. Dies führt Agamben zu der Ableitung eines Paradoxons: „„Das Recht ist außerhalb seiner selbst“, oder „Ich der Souverän, der ich außerhalb des Rechts stehe, erkläre, dass es kein außerhalb des Rechts gibt.““ (Agamben 2002: 25).

Er erfasst damit das grundlegende Phänomen der Ausnahme, das sowohl den Ausschluss aus der Norm, als auch den gleichzeitigen Einschluss in die Norm umfasst. Denn der Ausnahmezustand ist durch das dünne Band der Ausgeschlossenheit immer noch in einer Beziehung zur Norm (vgl. Ebd.: 25). Mit dem erfolgten Ausschluss wird die Ausnahme zu einem Grenzfall der Norm, da die Ausnahme nicht gänzlich von der Norm getrennt werden kann, sondern dieser differiert gegenübersteht. Die Ausbildung einer Ausnahme kann in positiver oder negativer Weise erfolgen. Agamben beschreibt dies als die Beziehung zur Norm, die sich in Form der Aufhebung des Ausschlusses manifestiert (vgl. Ebd.: 30f).

Aus der Begriffsumgrenzung der Ausnahme ergibt sich für Agamben der Ausnahmezustand. Er dient ihm zu Errichtung einer Zone der Ununterscheidbarkeit zwischen Recht und Natur, Innen und Außen, Chaos und geregeltem Normalzustand, die somit einen souveränen Ausnahmezustand schaffen (vgl. Ebd.: 30). In den Thesen Agambens nimmt der Ausnahmezustand eine zentrale Position ein. In der Aufhebung der Trennlinien zwischen Chaos und Norm, die dadurch einen Raum schaffen, in dem nicht zwischen Ein- und Ausgeschlossenen unterschieden werden kann, spiegelt sich die Vereinnahmung des bloßen Lebens durch die Politik wieder.

In folgenden soll zur genaueren Erklärung der These auf die Unterscheidung zwischen dem bloßem Leben, dem zoé, und dem von Agamben so genannten politischem Leben, dem bios eingegangen werden.

3.2 Zoé und bios

„Die Griechen kannten für das, was wir mit dem Begriff Leben ausdrücken, kein Einzelwort. Sie gebrauchten zwei Begriffe, die morphologisch und semantisch verschieden sind.“ (Ebd.: 11)

Als zoé ist das rein biologische natürliche Leben zu verstehen. Es kommt in jedem Lebewesen, ob Mensch oder Tier vor und ist von allem politischem, wie Staat, Politik oder Bürokratie ausgeschlossen. In der Regel wird es auf die Bereiche der häuslichen Umgebung, des ..oikos", beschränkt. Bei Aristoteles taucht die Bezeichnung vor allem im Bezug auf die „Familie“ auf (vgl. Ebd.: 12).

Das bios hingegen, das politische Leben, stellt eine besondere Lebensweise dar und symbolisiert gleichzeitig den Einschluss in die gesellschaftliche Ordnung (vgl. Ebd.: 11f). Durch beide Begriffe werden die verschiedenen Umstände eines Lebens beschrieben, doch der kontextuelle Zusammenhang ist verschieden. Der politischen Bezug von bios verordnet es meist innerhalb einer polis und somit in den Bereich der staatlichen Politik. Das bloße, nackte Leben ist von Staatlichkeit, Politik und politischer Verantwortung ausgeschlossen, jedoch in der privaten Sphäre, beispielsweise eine Familie, eingeschlossen.

Bis in die Moderne hinein galt die Differenzierung zwischen dem rein reproduktivem Leben und dem „qualifiziertem Leben“ beim Souverän und war somit seiner Macht und Politik unterworfen. Mit dem Eintritt in die Moderne ändert sich das Bild nach Agamben, als die ,,zoe in die Sphäre der polis" (Ebd.: 14) tritt. Dies sorgte in Verbringung mit der Einführung und Ausübung neuer politischer Techniken zu einer „Politisierung des nackten Lebens“ (Ebd.: 14) als solches.

3.3 Die Bio-Macht

Unterstützung findet Agamben bei der Entwicklung seiner Theorie über die Einkehr der zoe in Politik bei Michel Foucault und seinem Werk „Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1“. Dieser erklärte mit dem Begriff Bio-Macht eine neue Form von „Machtmechanismus“ genauer. Ursprünglich fand die Macht ihren Ausgang in der Entscheidung über Leben und Tod. Seit dem 17. Jahrhundert jedoch formte sich eine neue Art, deren zentraler Fokus das Leben ist. „Man könnte sagen, das alte Recht sterben zu machen oder leben zu lassen wurde abgelöst von einer Macht, leben zu machen oder in den Tod zu stoßen.“ (Foucault 1977: 165). Im Laufe der Industrialisierung und den daraus resultierenden veränderten Lebensbedingungen verlagerte sich das Richtmaß der Souveränität vom „sterben zu machen“ hin zu „leben zu machen“. Dieser Entwicklung liegt eine Angst der Menschen um ihr nacktes Leben zugrunde. Ohne die altertümliche Beziehung zwischen Herrn und Untergebenen durch die Vergabe von Lehen, mussten die einfachen Menschen sich nach einer anderen ständigen Erwerbtätigkeit umsehen, ansonsten lief man Gefahr durch mangelnde finanzielle und naturale Mittel zu sterben. Aus dieser Gefahr heraus unterwerfen sie sich lieber einem selbst konstituierten Herrscher und dessen Macht.

Für beide Denker markiert dies eine „radikale Transformation der klassischen politisch­philosophischen Kategorien“ (Agamben 2002: 14). Allerding macht Agamben an dieser Stelle nicht halt, sondern stellt hier einen Bezug zum Paradoxon der Souveränität und dem Ausnahmezustand nach Carl Schmitt her. Dies führt ihn gleichzeitig weg von 9 Foucault. Denn für Agamben symbolisiert die aufgehobene Trennung zwischen zoe und polis eine „Grenzfigur des Lebens“, die Schwelle zur Ununterscheidbarkeit. An der Stelle, „wo sich das Leben zugleich außerhalb und innerhalb der Rechtsordnung befindet,“ evolviert sich „der Ort der Souveränität.“ (Ebd.: 37).

3.4 Bann und nomos

„Wenn die Ausnahme die Struktur der Souveränität ist, dann ist die Souveränität weder ein ausschließlich politischer noch ein ausschließlich juridischer Begriff, weder eine dem Gesetz äußerliche Potenz (Schmitt) noch eine höchste Norm der Rechtsordnung (Hans Kelsen): Sie ist die originäre Struktur, in der sich das Gesetz auf das Leben bezieht und es durch die eigene Aufhebung einschließt.“ (Ebd.: 39). Woraus die Zone der Ununterscheidbarkeit resultiert.

Insbesondere spiegelt sich das für Agamben im Vorgang des Verbannens wieder, in dem der Ausschluss gleichzeitig zu einem Einschluss wird. Der Bann stellt ein Band dar. Es äußert sich insofern, als dass der Verbannte zwar einerseits aus der Gesellschaft und dem Gesetzteskörper ausgeschlossen ist, andererseits aber durch eben jenen Vorgang weiterhin mit dem Souverän und somit der Allgemeinheit und den Normen verbunden bleibt. Ihm wurde innerhalb der Gesellschaft lediglich statt einer umschließenden Position im Zentrum, eine extreme Randposition zugesprochen (vgl. Ebd.: 39f). Was Agamben dazu bringt den Umstand zu folgern, dass es überhaupt kein außerhalb der Gesetzte gibt und weiter noch, dass die Macht des Souveräns und seines souveränen Rechts darin begründet liegt, „das Leben in seinem Bann zu halten, indem er es verlässt.“ (Ebd.: 39) Das Gebilde des Bannes dient Agamben vielmehr dazu den Raum der Ununterscheidbarkeit zu verdeutlichen, der sich neben dem Souverän auch in seinen erlassenen Gesetzen ausprägt. Dabei kennzeichnen sowohl Souverän, als auch der Verbannte eine Schwelle des Lebens an der das „nackte Leben“ im gleichen Moment außerhalb und innerhalb der Gesetzte und des nomos, der Norm, steht.

Die Verbindung hin zu dem von Schmitt begründeten Ausnahmezustand findet sich in der Souveränität, die nach ihm das Band zwischen Bann und nomos ist (vgl. Ebd.: 47f). Wiederum geht Agamben in seiner Denkweise weiter und arbeitet heraus, dass sich in der souveränen Macht Natur- und Ausnahmezustand vereinigen und ununterscheidbar zusammenfallen. Dieser rechtsleere Raum des Ausnahmezustandes und dessen Zusammenfall mit dem Naturzustand, in der Person des Souveräns, sorgt dafür, dass der Inhaber der Souveränität nun in der Lage ist uneingeschränkt in der Art und Weise zu handeln, wie er es de facto für richtig hält. Dieser Vorgang ist nach Agamben jedoch noch nicht abgeschlossen, vielmehr ist er als dauerhafter, sich immer wieder revitalisierender Prozess gesehen. „Es ist das, was geschehen ist und weiterhin vor unseren Augen geschieht: Der „rechtsleere Raum“ des Ausnahmezustandes [...] hat seine raumzeitlichen Grenzen durchbrochen (Ebd.: 48).

4. Schlussbemerkung

Unmittelbar im Zusammenhang mit der Machtergreifung der NSDAP um Adolf Hitler am 28. Februar 1933 steht die Anwendung des berüchtigten Artikel 48 der Notverordnung „zum Schutz von Volk und Staat“. Hierbei handelte Hitler ganz nach dem schmittschem Denken. Mittels Artikel 48 stand ihm das Recht zu, alle Grundrechte der Weimarer Verfassung, die sich auf die individuelle Freiheit der Bürger bezogen, außer Kraft zu setzen. Durch die Beschneidung der Rechte und Kontrollinstanzen der Politik begann das Streben Hitlers sämtliche Entscheidungsgewalt der Republik in seiner Person zu vereinen und so war schnell „ohne weiteres klar, wer der Souverän ist.“ (Schmitt 1922: 12)

In dieser Betrachtungsweise lässt sich der moderne Totalitarismus „als die Einsetzung eines legalen Bürgerkriegs“ umschreiben, „der mittels des Ausnahmezustandes die physische Eliminierung nicht nur des politischen Gegners, sondern ganzer Kategorien von Bürgern gestattet, die [...] als ins politische System nicht integrierbar betrachtet werden.“ (Agamben 2004: 8). Deutlich wird hierbei, dass der Bürgerkrieg für Agamben das Gegenteil eines Normalzustandes symbolisiert. Dieser befindet sich durch den angewandten Ausnahmezustand in einem Raum der Ununterscheidbarkeit.

Die Diskrepanz zwischen den beiden Ideenkonstrukten bezüglich der Ausnahme bei Schmitt und Agamben ist der, dass es bei Schmitt einen Raum jenseits des Gesetzteskörpers einer Gesellschaft gibt, während bei Agamben dieser als eine Art Zone der Ununterscheidbarkeit, wie oben versucht wurde herauszuarbeiten, verstanden wird. Der große Unterschied in den Ergebnissen der beiden Theoretiker liegt wahrscheinlich in der jeweiligen perspektivischen Betrachtungsweise, in der sie die Resultate ihrer Analysen sehen.

Die Ausführungen Schmitts stammen aus einer Zeit, in der Parlamentarismus in der Bevölkerung noch äußerst umstritten war oder Streitigkeiten innerhalb eines Parlaments die Regierungsgeschäfte blockierten. Große Teile der Gesellschaft, vor allem in Deutschland, waren nach dem Ende des Ersten Weltkrieges noch monarchisch eingestellt und standen der neuen Weimarer Republik mehr als skeptisch, wenn nicht sogar ablehnend, gegenüber. So konnten sich die neuen demokratischen Normen und Werte nicht in der Gesellschaft etablieren. Mit diesem Hintergrund war es für Schmitt essentiell, dass der Ausnahmezustand eine übergeordnete Macht legitimierte, die über allem Recht steht und durch das eingeräumte Entscheidungsmonopol die politische Handlungsfähigkeit bewahren kann. Dies sollte auch das Überleben des Staates sichern, in einer Zeit, als die Weltpolitik von der nationalen Politik starker Männer bestimmt wurde. Agamben hingegen sieht durch seinen veränderten Zugang zur Thematik und den Lehren aus der Vergangenheit im Ausnahmezustand eine verborgene Untergrabung der demokratischen Rechtsordnung. Für ihn zeigt sich immer deutlicher, dass „der Ausnahmezustand in der Politik der Gegenwart immer mehr das herrschende Paradigma des Regierens“ wird. (Ebd.: 9)

[...]

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Konzeptionen des Ausnahmezustands bei Carl Schmitt und Giorgio Agamben
Untertitel
Eine vergleichende Analyse
Hochschule
Universität Regensburg  (Politische Philosophie)
Veranstaltung
Einführung in die Politische Philosophie
Note
1,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
14
Katalognummer
V918865
ISBN (eBook)
9783346227775
ISBN (Buch)
9783346227782
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Politische Philosophie, Carl Schmitt, Giorgio Agamben, Homo sacer
Arbeit zitieren
Felix Lodermeier (Autor:in), 2019, Konzeptionen des Ausnahmezustands bei Carl Schmitt und Giorgio Agamben, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/918865

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