Die geographische Verortung des halbmythischen Volkes der Hyperboreer


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

21 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Die geographische Verortung der Hyperboreer
1 Grundlegende Informationen
1.1 Die Entdeckungsgeschichte des Nordens in der Antike
1.2 Das mythische Volk der Hyperboreer und der dahinter stehende Kult
1.3 Andere Randvölker
2 Die Verortung der Hyperboreer durch die antiken Autoren
2.1 Die frühesten Verortungen Hesiod, Aristeas, Pindar
2.1.1 Historisch-geographische Einordnung
2.1.2 Verortung der Hyperboreer und Vergleich mit geographischem Wissen
2.2 Herodot
2.2.1 Historisch-geographische Einordnung
2.2.2 Verortung der Hyperboreer und Vergleich mit geographischem Wissen
2.3 Hekataios von Abdera
2.3.1 Historisch-geographische Einordnung
2.3.2 Verortung der Hyperboreer und Vergleich mit geographischem Wissen
2.4 Die Autoren der frühen Kaiserzeit: Mela und Plinius
2.4.1 Historisch-geographische Einordnung
2.4.2 Verortung der Hyperboreer und Vergleich mit geographischem Wissen
2.5 Die Autoren der späten Kaiserzeit: Solinus und Martianus Capella
2.5.1 Historisch-geographische Einordnung
2.5.2 Verortung der Hyperboreer und Vergleich mit geographischem Wissen
2.6 Hyperboreer in den Alpen oder sogar in Griechenland? – Iamblichus, Poseidonios, Protarchos, Mnaseas
2.6.1 Historisch-geographische Einordnung
2.6.2 Verortung der Hyperboreer und Vergleich mit geographischem Wissen

III. Zusammenfassung der Ergebnisse

IV. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Die Hyperboreer, als mythisches Volk, welches hinter dem Boreas, also „dem Nordwind“ – so die verbreiteste Übersetzung des Volksnamens – wohnt[1], haben mit ihrem frommen und von allen Leiden des gewöhnlichen Daseins befreiten Lebensstil die Phantasie der alten griechischen Dichter und später auch anderer griechischer und römischer Autoren beflügelt. Die Faszination, die vom in jenen Zeiten noch unerforschten Norden Europas, bzw. dem Gebiet im fernen Norden von Griechenland, ausging, zeichnet sich in den generell sehr zahlreichen Mythen und Legenden ab, die sich um die „fernsten Winkel“ der damals bekannten Welt rankten. Von dem glücklichen und wie die Hyperboreer ebenso sagenumwobenen Volk der Aithiopen im Süden, über die wundersamen Erzählungen über Fabelwesen und unglaublichen Völkern im fernsten Osten, hin zu den unbekannten Weiten des Meeres jenseits der Säulen des Herakles im Westen. In dieser Arbeit soll nur der Norden und damit das mythische Volk der Hyperboreer behandelt werden.

„Zu Schiff nicht und nicht zu Fuß wandernd, könntest du finden zur Hyperboreerversammlung den wundersamen Weg“[2]. Mit diesen Worten eröffnet der griechische Dichter Pindar in seiner zehnten Olympiade seinen Bericht über das glückliche Volk der Hyperboreer. Der Vers vermittelt dem Leser, dass die Hyperboreer unerreichbar für den normalen Menschen sind, lediglich Auserwählte und die Götter dürfen zu ihnen gelangen und sich an ihrem utopischen Lebensstil erfreuen.[3]

Da die Hyperboreer jedoch nicht immer wie bei Pindar „terra incognita“ bleiben, sondern von den späteren antiken Autoren aus unterschiedlichen Zeiten, geographisch verortet werden, eröffnet sich ein interessantes Spektrum an Fragestellungen, welche sich mit der geographischen Verortung der Hyperboreer im fernen, nur wenig erforschten Norden befassen. Leitfrage soll dazu sein, inwiefern die Verortung der Hyperboreer auf rein mythischen bzw. vagen oder gar erfundenen geographischen Angaben beruht oder doch auf Kenntnissen von „realen“ – in der jeweiligen Zeit zumindest als real angesehenen - geographischen Begebenheiten basiert, die in den Hyperboreermythos einflossen. Es gilt also die Angaben der in Frage kommenden antiken Autoren über die Verortung der Hyperboreer mit den geographischen Kenntnissen ihrer jeweiligen Zeit, evtl. auch unseren heutigen Kenntnissen, zu vergleichen und damit obige Leitfrage zu beantworten.

Weiterhin soll auch untersucht werden, inwiefern es eine Kontinuität bei der Verortung der Hyperboreer gibt, ob sich die Verortung mit der Zeit ändert oder einem immer gleichen Muster folgt.

Da in Folge des geringen Umfangs der Arbeit nicht alle Autoren und somit nicht alle geographischen Verortungen des Hyperboreervolkes behandelt werden können, soll sie sich nur auf die Wichtigsten konzentrieren.

II. Die geographische Verortung der Hyperboreer

1 Grundlegende Informationen

1.1 Die Entdeckungsgeschichte des Nordens in der Antike

Die Entdeckungsgeschichte des Nordens in der Antike kann grob in zwei Phasen unterteilt werden: Zunächst die des eher geringen Erkenntnisgewinns in der griechischen Antike, vorangetrieben durch vereinzelte Händler und Reisende, die nur zaghaft die Kunde über die Beschaffenheit und die Völker des Nordens vermehrten. Dem gegenüber stehen die im Verhältnis enormen Erkenntnisgewinne während der römischen Expansion.[4] Eine wissenschaftlich motivierte Erkundungsexpedition war durch die politischen Gefüge, aber auch die technischen Mittel, die zur Verfügung standen, nicht möglich.[5] So blieb die Natur des Nordens bis in die römische Antike relativ im Unklaren. Die Reise des Pytheas stellt eine Ausnahme dar, die allerdings dadurch auch von hohem Stellenwert ist.[6] Erst mit den Eroberungen Caesars in Gallien, wird dem Nordwesten Europas ein geographisches „Gesicht“ gegeben, was nicht aufgrund wissenschaftlichen Erkenntniswillens, sondern vielmehr aus militärischen und taktischen Gründen heraus geschah.[7] Je weiter sich das römische Imperium gen Norden ausbreitet, desto mehr festigt sich ein Bild von einem kargen und unwirtlichen Norden, bewohnt von einfachen, barbarischen und rohen Völkern. Der Glanz, der einst vom unbekannten Norden ausging, verblasst zusehends und mit fortschreitender Erkundung und Erschließung des Nordens Europas im Laufe der Zeit verschwindet die sagenhafte Kunde von den Völkern am Rande der nördlichen Welt.[8]

1.2 Das mythische Volk der Hyperboreer und der dahinter stehende Kult

Die Hyperboreer sind ein halbmythisches Volk welches am Rande der nördlichen Oikumene vermutet wird. Die Beschreibung des Lebensstils der Hyperboreer klingt phantastisch, ja geradezu utopisch:

Das Klima ist sehr mild. Die Winde wehen heilsam. Das Wehen bringt keinen Schaden mit sich. Ihre Häuser sind Haine oder Lichtungen. Täglich liefern die Bäume die Nahrung. Zwistigkeiten kennen sie nicht. Von Krankheiten werden sie nicht heimgesucht. Zur Rechtschaffenheit haben sich alle verschworen. Ihren Tod führen sie freiwillig herbei und geißeln Säumigkeit beim Sterben. Wen der Lebensüberdruss packt, stürzt sich, nachdem er gespeist und getrunken hat, von einer bestimmten Klippe kopfüber ins Meer. Das halten sie für die beste Art eines Begräbnisses.[9]

Sie kennen weder Arbeit, noch Krankheit, noch Tod. Des Lebens müde stürzen sie sich in die Fluten des Meeres, was allerdings nicht als brutaler Selbstmord, sondern vielmehr als Eingehen in die Ewigkeit verstanden werden muss.[10] Sie sind demnach ein idealisiertes, wunderbares Volk. Andere Quellen heben vor allem die Frömmigkeit der Hyperboreer hervor:

„[…]und deshalb werde auch Apollon am meisten von allen anderen Göttern durch die Bewohner verehrt, ja sie seien gleichsam Priester des Gottes, den sie Tag für Tag in fortwährenden Gesängen feierten und auch sonst ganz besonders auszeichneten. Auf der Insel befinde sich auch ein großartiger heiliger Bezirk dieses Gottes[…]Ferner gebe es dort eine ganz dem Gotte geweihte Stadt, […], die [die Bewohner der Stadt, d. Verf.] in einem fort in dem Tempel zu ihren Instrumenten den Gott besängen und seine Taten verherrlichten.“[11]

Die Verbindung von Apollon und den Hyperboreern bildet auch die Grundlage für den Hyperboreerkult in Delos und Delphi. Dieser Kult hat sehr alte Wurzeln, die in das heutige Balkangebiet weisen.[12] Der Sage nach sollen einst zwei hyperboreische Jungfrauen mit Weihegaben nach Delos gekommen sein. Sie starben dort und ihre Gräber werden seitdem in einer Art Fruchtbarkeitskult verehrt.[13] Es ist interessant, dass solch ein Kult besteht, rückt er die Hyperboreer doch in die reale Welt. Eine weitere Bekräftigung der Existenz der Hyperboreer ergibt sich durch die Behauptung der Delier, es würden jedes Jahr Weihegaben von den Hyperboreer bis nach Delos weitergereicht.[14]

Durch eben jenen Kult unterscheiden sich die Hyperboreer von den anderen mythischen Völkern. Durch Delos haben sie eine Art Bekräftigung ihrer realen Existenz im fernen Norden. Diese „Sonderstellung“ macht auch die Auseinandersetzung mit ihrer Verortung noch interessanter.

1.3 Andere Randvölker

Wie bereits erwähnt sind die Hyperboreer im Norden nicht das einzige idealisierte und fromme Volk, von dem die antiken Autoren erzählen. Für alle Randgebiete der Oikumene, im Westen, Osten und Süden, gibt es ähnliche Völker.

Im Zusammenhang mit dem Süden sind die Aithiopen zu nennen, die quasi als das südliche Pendant der Hyperboreer beschrieben werden könnten. Sie werden ebenfalls als fromm und langlebig beschrieben. Gold zählt bei ihnen wenig, Eisen viel.[15] Ihre geographische Lokalisierung ist schwierig, wobei die Aithiopen durchaus den historischen Raum berühren und einst Ziel einer (fiktiven) Eroberungsexpedition waren.[16]

Im Osten erscheint Indien als idealisiertes Land, welches von den ebenso idealen Attakoren bewohnt wird.[17]

Im Westen, im offenen Meer, hinter der Meerenge von Gibraltar, gibt es weniger Kunde von unglaublichen Völkerschaften. Aber auch hier gibt es ein Beispiel: Platon lokalisiert dort sein Atlantis.[18]

Gemeinsam ist diesen Völkern ihre ideale Lebensweise, die ganz anders als die Lebenswirklichkeit der Griechen war. Doch gibt es neben jenen frommen und glücklichen Völkern auch andere, aggressive, ja geradezu grauenhafte Völker. Die Randvölker können so als Spiegel der Gesellschaft dienen und im Vergleich mit ihrer Perfektion Missstände aufzeigen. Aber sie können paradoxer Weise auch Zeichen der eigenen Überlegenheit sein und die Unterentwickeltheit der Völker außerhalb der Oikumene versinnbildlichen.[19]

[...]


[1] Daebritz, Hyperboreer, in: Wissowa, Georg (Hrsg.) Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, Bd. 17, Stuttgart 1956, Sp. 258 ff.

[2] Pind. O. 10, 29 -30.

[3] Käppel, Lutz, Bilder des Nordens im frühen antiken Griechenland, in: Ultima Thule. Bilder des Nordens von der Antike bis zur Gegenwart, Frankfurt 2001, S. 24.

[4] Timpe, Dieter, Entdeckungsgeschichte des Nordens in der Antike, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Bd. 7, 1989, S. 308.

[5] Timpe, (1989), S. 309.

[6] Timpe, (1989), S. 311.

[7] Timpe, (1989), S. 310.

[8] Käppel, Lutz, Bilder des Nordens im frühen antiken Griechenland, in: Ultima Thule, Bilder des Nordens von der Antike bis zur Gegenwart, Frankfurt am Main 2001, S. 27.

[9] Solin. 16.1 (Übersetzung Klaus Geus)

[10] Bichler, (2000), S. 37.

[11] Diodor

[12] Daebritz, (1956), Sp. 276.

[13] Hdt. IV 35.

[14] Hdt. IV 33.

[15] Bichler, (2000), S. 29.

[16] Hdt. III, 17.

[17] Plin. nat., VI, 55.

[18] Plat., Tim., 24d-25d.

[19] Romm, James S., The edges of the earth in ancient thought: geography, exploration, and fiction, Princton 1992, S. 10 ff.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die geographische Verortung des halbmythischen Volkes der Hyperboreer
Hochschule
Universität Mannheim  (Seminar für Alte Geschichte)
Veranstaltung
Antike Utopien und Staatsentwürfe
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
21
Katalognummer
V91867
ISBN (eBook)
9783638058964
Dateigröße
461 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Verortung, Volkes, Hyperboreer, Antike, Utopien, Staatsentwürfe
Arbeit zitieren
Bakkelaureus Artium Christopher Sommer (Autor:in), 2005, Die geographische Verortung des halbmythischen Volkes der Hyperboreer, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91867

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