Haben mystische Erfahrungen einen Bezug zur Realität?


Magisterarbeit, 2008

84 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

A. EINLEITUNG

B. VORÜBERLEGUNGEN
1. Analyse der normalen Wahrnehmung
2. Was ist mystische Erfahrung?
3. Gibt es solche Erfahrungen überhaupt?
4. Wie ereignen sich mystische Erfahrungen?

C. Wie kann gezeigt werden, ob mystische Erfahrung einen Bezug zur Realität hat?
1. Können wir unseren Sinnen trauen?
2. Wie kann die Sinneswahrnehmung bewiesen werden?
I. Einfache empirische Argumente
II. Descartes’ a-priori - Argument
III.Das Evolutions-Argument
3. Unter welchen Bedingungen erkennen wir die Gültigkeit der Sinneswahrnehmung an?

D. Anwendung der Kriterien der Sinneswahrnehmung auf mystische Erfahrung
1 Gibt es Gründe, die gegen die Zuverlässigkeit von mystischer Erfahrung sprechen?
I. Mystische Erfahrung kann psychologisch erklärt werden
II. Mystische Erfahrungen können nicht in der Sprache wiedergegeben werden
III. Nur wenige Menschen haben mystische Erfahrungen
2. Gibt es Gründe, die für die Zuverlässigkeit von mystischer Erfahrung sprechen?
I. Vorüberlegungen
II. Schwierigkeiten der Untersuchung
i. Verschiedene Interpretationen einer Erfahrung?
ii. Begriffe
III. Einwand
IV. Empirische Untersuchung
i. Taoismus
ii. Buddhismus
iii. Vedanta
iv. Meister Eckhart
v. Transpersonale Psychologie
3. Konklusion

E. VERGLEICH SInneswahrnehmung / Mystische Wahrnehmung
1. Analyse der normalen Sinneswahrnehmung
2. Sinneserfahrung im Vergleich zur mystischen Erfahrung
3. Kritik von Seiten des Konstruktivismus
4. Resümee

F. SCHLUSSWORT

Literaturverzeichnis

Bildverzeichnis

„Noli foras ire, in teipsum redi;

in interiore homine habitat veritas.”

(Gehe nicht hinaus, kehre in dich selber zurück;

die Wahrheit wohnt im inneren Menschen.)[1]

Augustinus

A. EINLEITUNG

Von jeher fragten sich die Menschen: „Gibt es mehr als das, was wir sehen?“ –

„Ist das, was wir normal sehen, überhaupt wirklich?“ So fragt die Philosophie unter anderem: „Was kann ich wissen?“, „Was ist die Welt?“, „Was ist wahr?“ Viele Philosophen zweifelten, ob die Welt so ist, wie sie uns scheint. Platon schrieb zum Beispiel im Höhlengleichnis, die Menschen sähen nur einen Schatten der Wirklichkeit, sie glichen Menschen, die in einer Höhle gefesselt sind und lediglich die Schatten von künstlichen Gegenständen an der Wand sehen, die sie für wirklich halten. „Auf keine Weise also können diese irgend etwas anderes für das Wahre halten als die Schatten jener Kunstwerke …“[2]. Das, was wir sehen, ist für Platon also nur das Abbild von wirklichen Gegenständen, die er Ideen nennt.

Heute begegnet uns die Frage „Was ist wirklich ist?“ in erfolgreichen Filmen wie zum Beispiel Matrix, einem Science-Fiction Film, in dem der Zuschauer nach einiger Zeit erfährt, dass die normale Wirklichkeit, wie wir sie kennen, nur ein Computerprogramm ist, in das das Bewusstsein jedes einzelnen integriert ist. Das, was real scheint, ereignet sich nur in einer virtuellen Realität. Der große Erfolg solcher Filme und Geschichten spiegelt die Aktualität dieser existentiellen Fragen wieder.

Verbunden mit diesen Fragen ist die Frage nach einer transzendenten Wirklichkeit beziehungsweise der Existenz Gottes. In der Geschichte der Philosophie wurde versucht, die Existenz einer größeren Macht, die Existenz Gottes, logisch zu beweisen.[3] Alle Versuche können als fehlgeschlagen betrachtet werden.[4] Gott beziehungsweise die Existenz einer „höheren Macht“ kann nicht bewiesen werden. Falls es so etwas wie Gott gibt, kann dieser mit dem Verstand nicht begriffen und bewiesen werden.[5]

Die Mystiker vertraten diese Ansicht schon immer. Ihre Botschaft war und ist: Die einzige Beweismöglichkeit ist die eigene Erfahrung des Göttlichen: die mystische Erfahrung. Diese sei nicht nur besonderen Menschen vorbehalten, sondern für jeden Menschen erreichbar.

In dieser Arbeit werde ich das Thema ‚mystische Erfahrung’ von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachten. Ausgehend von der Tatsache, dass Menschen behaupten, sie hätten Erfahrungen dieser Art gemacht, stellen sich folgende Fragen, die ich behandeln werde: Erstens: Was ist überhaupt eine mystische Erfahrung? Zweitens: Gibt es diese Erfahrungen? Gibt es Menschen, die Erfahrungen dieser Art machen? Oder gehören sie ins Reich der Märchen? Wenn es diese Erfahrungen geben sollte: Drittens: Wie ereignen sie sich? Wie passiert es, dass jemand eine mystische Erfahrung hat? Und viertens: Haben mystische Erfahrungen einen Bezug zur Realität? Oder sind sie wie Psychosen, die für den Betreffenden durchaus wirkliche Erfahrungen sind, aber keinen Bezug zur Realität haben?

Zur Klärung der Frage, ob mystische Erfahrung einen Bezug zur Realität hat, werde ich die Sinneserfahrung zum Vergleich heranziehen und die Kriterien für die Gültigkeit von Sinneserfahrung herausarbeiten. Diese Kriterien werde ich dann auf mystische Erfahrung anwenden. Erfüllt die mystische Erfahrung diese Kriterien? Es wird sich im Laufe dieser Arbeit zeigen, dass dem so ist. Mystische Erfahrung erfüllt die Gültigkeitskriterien, die für die Sinneserfahrung gelten. Das bedeutet, mystische Erfahrung hat denselben epistemischen Status wie Sinneserfahrung.

Das zeigt allerdings noch nicht, ob mystische Erfahrung einen Bezug zur Realität hat. Es könnte auch der Fall sein, dass Sinneserfahrung keinen Bezug zur Realität hat. Deshalb werde ich im letzten Teil (Kapitel E) die Sinneserfahrung genauer untersuchen und sie mit der mystischen Erfahrung vergleichen. Hier wird sich zeigen, dass wir bei der normalen Sinneswahrnehmung nicht einfach aus unseren Augen schauen, sondern, dass der Wahrnehmungsprozess äußerst komplex ist und unsere Vorstellungen von der Welt einen bedeutenden Einfluss auf unsere Wahrnehmung haben. „ … we … experience our interpretations …“[6] Bei der Betrachtung der mystischen Erfahrung wird sich zeigen, dass diese keine Interpretationen beinhaltet und daher nur die mystische Erfahrung eine Erfahrung ist, die einen Bezug zur Realität hat. Dieser Schluss ist aber davon abhängig, wie wir Realität definieren. Er trifft nur zu, wenn wir mit Realität das meinen, was unabhängig vom Menschen existiert. Wenn wir Realität als die Realität des Menschen definieren, können wir sagen: Mystische Erfahrung hat den gleichen Status wie Sinneserfahrung; denn sie erfüllt dieselben Kriterien und deshalb Teil der menschlichen Realität.

Während des Schreibens an dieser Arbeit ist mir aufgefallen, dass alle Personen, denen ich von dieser Arbeit erzählt habe, mit Interesse und Begeisterung darauf reagiert hatten: „Mystik … das hört sich ja spannend an.“ Aber nur wenige hatten eine konkrete Vorstellung, was Mystik denn eigentlich bedeutet. Dem Wort hängt etwas Geheimnisvolles, Interessantes, Obskures und Anziehendes an. In der Literatur finden sich die verschiedensten Definitionen davon. Cuthbert Butler schreibt in Western Mysticism:

„Es [das Wort ‚Mystik’] wird heute auf alles nur Mögliche angewandt: auf Theosophie und Christian Science, auf Spiritismus und Hellsehen, Dämonenlehre und Zauberei, Okkultismus und Magie, ungewöhnliche seelische Erlebnisse, soweit sie nur irgendwie religiös gefärbt sind, auf Offenbarungen und Visionen …“[7]

Das Zitat zeigt die Unklarheit des Begriffs ‚Mystik’. Die Vorstellungen und Meinungen, die mit dem Begriff ‚Mystik’ verbunden werden, sind extrem verschieden. William James schreibt über den negativen Beigeschmack des Begriffs:

„Die Worte ‚Mystik’ und ‚mystisch’ werden oft nur als Worte des Tadels gebraucht, mit dem wir jede Meinung belegen, die wir als vage und weitläufig sentimental ansehen und ohne Grundlage in den Tatsachen oder der Logik. Für einige Autoren ist ein ‚Mystiker’ jeder Mensch, der an Gedankenübertragung und Seelenwanderung denkt. Benutzt man es auf diese Weise, hat das Wort wenig Wert …[8]

Ohne eine genaue Definition des Begriffs macht die Suche nach einer Antwort auf die Frage, ob mystische Erfahrung einen Bezug zur Realität hat, keinen Sinn.

B. VORÜBERLEGUNGEN

1. Analyse der normalen Wahrnehmung

Bevor ich damit beginne, die mystische Erfahrung zu diskutieren und zu definieren, möchte ich einen Blick auf die normale Wahrnehmung werfen: Warum nehmen wir die Welt so wahr, wie wir sie wahrnehmen? Manch einer könnte geneigt sein zu antworten: „Weil die Welt nun mal so ist“. Dahinter steckt die Vorstellung, wir würden aus unseren Augen wie aus Fenstern in die Welt hinausschauen. Dem ist aber nicht so. Das, was wir sehen, hören, fühlen, schmecken, tasten, ist das Produkt unseres Gehirns. Die Welt da draußen hat zum Beispiel keine Farben. Wir wissen aus der Physik, dass die Wellenlänge des Lichts verschieden groß sein kann. Sind die Wellen recht lang, so sehen wir es rot; ist die Wellenlänge recht kurz, so sehen wir es violett. Und den größten Teil des Spektrums sehen wir gar nicht. Dies zeigt: Die Welt hat keine Farben; Farben sind lediglich die Interpretation unseres Gehirns. Kant unterscheidet zwischen dem „Ding an sich“, also wie das Ding in Wirklichkeit ist, und dem „Ding für uns“, also wie die Dinge uns erscheinen, wie sie durch unsere Sinnesorgane vermittelt werden.[9]

Viele Merkmale des Menschseins lassen sich durch die Analyse der propositionalen Sprache verstehen. Der Mensch ist das einzige uns bekannte Lebewesen, das eine propositionale Sprache besitzt und unter anderem deshalb Mensch, weil er eben eine solche spricht. Was können wir durch die Analyse der Sprache über den Menschen sagen? Ernst Tugendhat schreibt in Egozentrizität und Mystik: Alle Sprachen der Erde weisen folgende Merkmale auf: Erstens: Die elementaren Zeicheneinheiten sind prädikative Sätze; jeder Satz besteht aus einem Prädikat und einem oder mehreren singulären Termini. Zweitens: Die Sätze können in verschiedenen Modi gebraucht werden; man kann etwas feststellen, etwas fragen, etwas befehlen. Drittens: Können alle Sätze verneint werden. Das bedeutet, der Mensch kann Stellung beziehen, er kann überlegen, und „…weil das so ist, gewinnt das Zeichen eine Funktion auch außerhalb der Kommunikation – man möchte sagen für das Denken des Einzelnen, aber gerade dadurch ergibt sich überhaupt erst so etwas wie Denken. … Daß ein Fragen nach Gründen möglich ist, liegt in der semantischen Struktur der assertorischen Sätze.“, schreibt Tugendhat.[10] Was folgt daraus? Was können wir durch die Analyse der menschlichen Sprache über den Menschen sagen? Das für diese Fragestellung zentrale Wort der menschlichen Sprache ist das Wort „ich“. Mit „ich“ nehme ich auf mich selbst Bezug, auf mich als eine Person.

„… mit dem Wort „ich“ für sich alleine ist nicht gesagt, welcher einzelner ich bin, da es nicht eine identifizierende Funktion hat, aber es ist darin impliziert, daß ich ein einzelner bin, von allen anderen innerhalb eines objektiven Universums Unterschiedener bin …“[11]

Dadurch, dass wir in unserer Sprache und unserem Denken das Wort „ich“ verwenden und damit auf uns selbst referieren, entsteht die Grundstruktur unserer Wahrnehmung: Wir werden zu einem Subjekt, das sich getrennt vom Rest des Universums wahrnimmt. Das Selbstbewusstsein des Menschen lässt sich von daher mit der Verwendung des Wortes „ich“ erklären und herleiten. Tugendhat spricht daher von „ich-Sagern“.[12]

„… mit der prädikativen Sprache ergibt sich in eins ein Bewusstsein von anderen Objekten und von sich als einem Objekt unter anderen, beides im Zusammenhang eines Bewusstseins von einer objektiven Welt … Ein Sprecher der propositionalen Sprache könnte kein Bewußtsein von sich haben, wenn er nicht ein Bewußtsein von allem – von einer objektiven Welt – hätte, und er könnte kein Bewusstsein von einer objektiven Welt haben, wenn er nicht auf sich referieren könnte.“[13]

Dieses Zitat von Tugendhat ist zentral für diese Arbeit. Menschen, die eine prädikative Sprache sprechen, erleben sich selbst als ein Subjekt und gleichzeitig eine Vielzahl von Objekten. Das Erleben als Subjekt geht einher mit dem Wort „ich“. Mit dem Erleben als Subjekt geht einher: die Trennung vom anderen, das als Objekt erlebt wird. Ein weiteres Charakteristikum der propositionalen Sprache sind die singulären Termini. Durch diese nehmen wir das Andere nicht als ein abstraktes Objekt wahr, sondern als verschiedene konkrete Objekte in einer unmessbaren Vielzahl. Chuang Tzu schreibt: „Wenn es kein Anderes gibt, dann gibt es auch kein Ich. Wenn es kein Ich gibt, ist niemand da, der Unterschiede setzt“[14]

Wie wir normalerweise die Welt erleben, hat also unter anderem seinen Ursprung in der propositionalen Sprache. Das Selbstbewusstsein des Menschen ist aufs engste verbunden mit dem Wort „ich“.

„Unser normales sprachbedingtes Bewußtsein bringt eine Welt scharfer Unterschiede hervor: Schwarz und Weiß, dies und das, ich und du und es. Im mystischen Bewußtsein des Einsseins mit der unendlichen Harmonie findet eine Versöhnung der Gegensätze statt, … eine Überschreitung unserer tief eingewurzelten Subjekt-Objekt-Beziehung zu Dingen und Menschen.“[15]

Aldous Huxley

2. Was ist mystische Erfahrung?

Wichtig zu verstehen ist: Ohne Selbstbewusstsein kein Objektbewusstsein. Das bedeutet:

„ … mit ‚bloßem’ Bewußtsein [kann] nicht das Objektbewußtsein gemeint [sein], sondern das vorsprachliche Phänomen, daß es mentale Zustände gibt, die lediglich die Eigenschaft des Bewusstseins haben, das noch kein Bewußtsein-von ist, und mit der prädikativen Sprache ergibt sich in eins ein Bewußtsein von anderen Objekten und von sich als einem Objekt unter anderen…“[16]

Die prädikative Sprache bringt das Subjekt-Objekt-Bewusstsein hervor, welches ein Bewusstsein―von ist: Das Subjekt S ist sich des Objektes O bewusst. Subjekt und Objekt bedingen einander. Das heißt, wenn es kein Subjekt gibt, kann es auch kein Objekt geben. Das pure Bewusstsein kann also kein Bewusstsein von Objekten sein. Es ist ein Bewusstsein ohne Subjekt, ohne Objekt.

Mystische Erfahrung ist:

1. Mystische Erfahrung ist der bewusste, wache Zustand des Menschen ohne Denkprozess, ohne Sprache und ohne Interpretation.
2. Daher löst sich die im normalen Bewusstsein erlebte Trennung von Subjekt und Objekt auf; was bedeutet, dass das Subjekt und alle Objekte verschwinden.
3. Das Bewusstsein im mystischen Zustand ist leer (in dem Sinn, dass es keine Objekte beinhaltet).
4. Der Mystiker erlebt eine undifferenzierte Einheit, die er auch als pures Bewusstsein, als Leere oder als das Sein erleben kann.
5. Da das Bewusstsein kein Objekt zum Inhalt hat, dessen es sich bewusst werden kann, wird sich das Bewusstsein seiner selbst bewusst.

Im normalen Bewusstsein nehmen wir immer irgendwelche Objekte wahr. Das Bewusstsein ist sich bewusst – bewusst von O. Im Zustand der mystischen Erfahrung ereignet es sich, dass das Bewusstsein keinen Inhalt mehr hat, - die Objekte verschwinden, nicht aber das Bewusstsein. In diesem Zustand wird sich das Bewusstsein seiner selbst bewusst. Das Bewusstsein nimmt sich selbst wahr. Mystiker berichten von dieser Erfahrung, dass es nur ein Bewusstsein gibt; nicht eine Vielzahl verschiedener Bewusstseine.[17]

Stace untersucht dieses Phänomen. Er fragt: ‘Was trennt die Bewusstseine zweier Menschen?’ Er stellt folgende Überlegung an: Person A hat ein leeres Bewusstsein. Person B hat ein leeres Bewusstsein. „ … minds are distinguished from one another by their empirical content and by nothing else.”[18] Daher gibt es nichts, dass die beiden „Bewusstseine” voneinander trennt. Nur der Bewusstseinsinhalt kann beide „Bewusstseine“ unterscheiden. Daraus folgert Stace: Im Zustand der mystischen Erfahrung kann es logisch nur ein Bewusstsein geben.

Die Mystiker verwenden verschiedene Beschreibungen. Das Problem ist immer, dass sie eine Erfahrung außerhalb des Bereichs der Sprache in Sprache wiederzugeben versuchen. Folgende Aussagen sind geläufig: Alles ist eins. Subjekt und Objekt sind eins. Subjekt und Objekt lösen sich auf. Alle Dinge und ich sind eins. Es ist eins. Reines Bewusstsein. All-Einheit. Unio mystica. Mystische Vereinigung. Oft verwenden die Mystiker auch bildliche Beschreibungen: Die Zuckerpuppe, die sich im Ozean auflöst. Der Regentropfen, der in den Ozean fällt. Der Falter, der in die Flamme einer Kerze fliegt.

Wie kann man sich eine solche Erfahrung vorstellen? Erleben wir unsere normale Wirklichkeit doch vollkommen verschieden: Als ein Subjekt, als ein ‚Ich’, das sich seiner selbst bewusst ist, und außerhalb seines Selbst ‚das Andere’ in unendlicher Vielzahl wahrnimmt. In der Brihad-Upanischade heißt es:

„Wo es eine Dualität gibt, da sieht eins das andere, da riecht eins das andere, da schmeckt eins das andere … Aber wo alles das eigene Selbst geworden ist, womit und wen würde man sehen? Womit und was würde man riechen? Womit und wen würde man schmecken?“[19]

Ken Wilber veranschaulicht diese Erfahrung in Wege zum Selbst: Er vergleicht die Wellen an der Oberfläche eines Ozeans mit der Vielheit der Dinge, den Ozean selbst als die Einheit.

„Bewußtsein der All-Einheit ist jedoch nicht so sehr eine bestimmt Welle, sondern vielmehr das Wasser selbst. Und es gibt keine Grenze, keinen Unterschied, keine Trennung zwischen dem Wasser und allen Wellen. Das Wasser ist in allen Wellen gegenwärtig …“[20]

Mit dieser Analogie können wir uns ungefähr vorstellen, was Erfahrung der Einheit bedeutet. Am Beispiel des Ozeans: Wir selbst sind eine Welle (Subjekt), von der wir aus eine Vielzahl anderer Wellen (Objekte) betrachten; der Mystiker blickt nach innen, taucht in den Ozean und erkennt, dass all die unzähligen Wellen eins sind (Subjekt und alle Objekte), dass es auf dieser Ebene keine verschiedenen Wellen gibt. Er kann sagen, dass das Eine in allem ist (der Ozean ist in allen Wellen) und dass alles im Einen ist (alle Wellen sind im Ozean).

Der Mystiker erfährt eine undifferenzierte Einheit, da er sich in einem außersprachlichen Zustand befindet. Mystische Erfahrung ist ein Zustand des Bewusstseins, der kein Objekt zum Inhalt hat. Mystische Erfahrung ist eine Form der Wahrnehmung: Wahrnehmung in der Bedeutung, eine Präsentation im Bewusstsein zu erleben. Der Mystiker nimmt eine undifferenzierte Einheit, eine Einheit zwischen Subjekt und Objekt wahr. Wir können die Begriffe mystische Erfahrung und mystische Wahrnehmung gleichsetzen, genauso wie wir auch Sinneserfahrung und Sinneswahrnehmung gleichsetzen können.[21]

An diesem Punkt zeigt sich aber auch die Schwierigkeit, mystische Erfahrung mit Begriffen zu beschreiben. Eine Erfahrung außerhalb des Bereichs der Sprache ist eben schwer in der Sprache zu beschreiben. Gewöhnlicherweise setzt der Gebrauch der Begriffe Bewusstsein, Wahrnehmung und Erfahrung ein Objekt voraus. Wir fragen: Was nimmt er wahr? Was erfährt er? Damit aber setzen wir ein Objekt voraus. Wir können zwar sagen, dass er eine undifferenzierte Einheit wahrnimmt. Das heißt aber: Wir klassifizieren die Einheit als ein Objekt. Streng genommen widersprechen wir uns aber damit. Die Einheit von Subjekt und Objekt kann unmöglich das Objekt einer Erfahrung sein.

Mystische Erfahrung ist ein nicht-intentionalen Ereignis. Dieses kann nicht vollkommen in einer intentionalen Sprache beschrieben werden. Um aber davon reden zu können, müssen wir es in der uns geläufigen Sprache diskutieren, wenn auch diese nicht im Stande ist, die Erfahrung adäquat wiederzugeben. Mystiker gebrauchen von daher oft bildhafte Beschreibungen, wie zum Beispiel: Sich im Ozean auflösen. Forman vermeidet ebenfalls den Begriff „Erfahrung“ und spricht von einem Ereignis, dem Pure Consciousness Event. Karl Albert verwendet den Begriff ‚mystischer Intuition’. Er unterstreicht: Mystische Erfahrung ist „ … nicht durch einen Schluß, durch einen Akt des Verstandes zustandegekommen, sondern durch unmittelbaren Anblick einer Wirklichkeit. Die gemeinte Anschauung geschieht aber nicht durch die Sinne, bei denen das Erkennende und das Erkannte, Subjekt und Objekt, verschieden sind, sondern in der Art mystischer Erkenntnis, einer Erkennungsweise geistiger Art, in der Subjekt und Objekt zur Einheit verschmelzen.“[22] Das Begriffs-Problem dürfte an dieser Stelle klar geworden sein. Ich werde im Folgenden weiterhin die Begriffe „mystische Erfahrung“ und „mystische Wahrnehmung“ verwenden; denn diese Arbeit betrachtet mystische Erfahrung von außen, also aus einer Perspektive, in der ein Subjekt existiert, das eine Erfahrung macht:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3. Gibt es solche Erfahrungen überhaupt?

Aber gibt es solche Erfahrungen überhaupt? Gibt es Menschen, die die zuvor

definierte mystische Erfahrung wirklich gemacht haben? Ist es möglich, bei Bewusstsein zu sein, ohne dass das Bewusstsein einen Inhalt hat? Oder sind dies nur Phantasien, Mythen, Träume, Projektionen, Poesie? In einer Vielzahl von Berichten behaupten Menschen, dies erfahren zu haben: Meister Eckhart schreibt: „All die verschiedenen Dinge sind nicht Teile – sondern das Eine selbst.“[23] Und bei Chuang Tzu finden wir den Satz: „Alle Dinge und ich sind eins.“[24] Sowohl Eckhart als auch Chuang Tzu beschreiben eine Erfahrung der Einheit – Subjekt und alle Objekte sind eins.

Aber handelt es sich wirklich um Erfahrungen? Oder haben wir es hier mit theoretischen Überlegungen zu tun? Weder Chuang Tzu, noch Eckhart schreiben explizit: „Ich habe erfahren, dass …“. Stace schreibt:

„We notice that here, as everywhere in his writing, Eckhart does not bring himself into the matter, or speak of his own experience. Indeed he does not say in so many words that the oneness of all things of which he speaks is anyone’s actual experience. He merely states that this oneness is a fact. Might it not be only a metaphysical speculation or simply a fancy? It might, so far as Eckhart’s explicit sentences tell us. But no one who is familiar with his style of writing can doubt that the ‘depth’ of which he speaks is the depth of his own experience.”[25]

Eckhart selbst schreibt: „Der Mensch soll sich nicht haben noch sich genügen lassen mit einem bloß gedachten Gott …“[26] Eckhart ging es nicht allein um philosophische Theorie, ihm ging es im wesentlichen um Erfahrung, um Kontakt mit dem Göttlichen: „Du mußt aus dir selber in dich selber gehen: da liegt und wohnt die Wahrheit, die niemand findet, der sie in äußeren Dingen sieht.“[27] Eckhart gibt konkrete Anweisungen. Die von ihm beschriebene Einheit ist keine theoretische Annahme, sondern eine erfahrbare Wirklichkeit. Genauso ging es auch in der Tradition des Taoismus um Erfahrung: Lao-tse schreibt: „Wer ewig ohne Begehren, Wird das Geheimste schauen; Wer ewig hat Begehren, Erblickt nur seinen Saum.“[28] Damit drückt er aus, dass das Geheimste, nämlich die Einheit eine erfahrbare Realität ist.

Weder bei Eckhart noch bei Chuang Tzu ist es wahrscheinlich, dass sie ihre Erfahrungen „erfunden“ haben. Beide sind herausragende Persönlichkeiten, deren Lebenswerk auf mystischen Erfahrungen basiert. Sie haben ihre Erfahrungen in Werken veröffentlicht und ihre daraus abgeleitete Philosophie präsentiert sich als ein geschlossenes Gedankensystem. Daher können wir ihnen unser Vertrauen aussprechen. Es ist wahrscheinlicher, dass es mystische Erfahrungen gibt, als dass es sie nicht gibt. Es ist wahrscheinlich, dass manche Menschen einen sprach-transzendenten Zustand, in dem es weder Subjekt noch Objekt gibt, sondern lediglich eine undifferenzierte Einheit, erfahren.

Auch Ergebnisse aus der Neuropsychologie deuten auf die Existenz solcher Erfahrungen hin. Während des Zustands der tiefen Meditation konnten Veränderungen im Gehirn festgestellt werden. Da mystische Erfahrungen eher selten vorkommen, und sich meistens nicht „auf Abruf“ ereignen, sind sie für wissenschaftliche Untersuchungen schwer zugänglich. Allgemein anerkannt ist, dass sie dem Zustand der Meditation ähnlich sind, beziehungsweise, dass der höchste Zustand der Meditation die mystische Erfahrung ist. Daher beziehen sich viele Studien, die sich mit mystischer Erfahrung befassen, auf Ergebnisse mit Meditierenden.

So konnte Davidson bei meditierenden tibetischen Lamas eine erhöhte Gamma-Wellen- Oszillation messen.[29] Und Austin schreibt in Zen and the Brain, dass er mindestens drei Bereiche des Gehirns ausmachen konnte, die im Zustand der Meditation starke Veränderungen aufwiesen: Die Amygdala, das Mittelhirn und der Hypothalamus.“[30] Die Veränderungen der Gehirnaktivität weisen darauf hin, dass Veränderungen im Bewusstsein stattfinden und damit, dass mystische Erfahrungen tatsächlich stattfinden.

Abschließend können wir die Frage, ob es mystische Erfahrungen (unabhängig von ihrem Wert oder ihrem Bezug zur Realität) überhaupt gibt, mit „sehr wahrscheinlich“ beantworten. Sowohl die übereinstimmenden Berichte vertrauenswürdiger Mystiker (aus der Innenperspektive) als auch die Ergebnisse der Neuropsychologie (aus der Außenperspektive) deuten auf die Existenz dieser Erfahrungen hin. Wir werden im Laufe dieser Arbeit weiteren Berichten von Mystikern begegnen. In Folge dessen wird sich diese Position noch weiter erhärten. Mit absoluter Gewissheit lässt sich die Frage natürlich nicht beantworten. Nur die eigene Erfahrung kann als letzter Beweis für die Existenz solcher Erfahrungen dienen. Das aber gilt wiederum für alle Erfahrungen. Aber: „Die Tatsache, daß es eine religiöse Bewegung [wie den Zen-Buddhismus, in dessen Zentrum mystische Erfahrungen stehen] gibt, an der viele Jahrhunderte und viele geistvolle Köpfe gearbeitet haben, ist genügend Anlaß, wenigstens den ernsthaften Versuch zu wagen, solche Vorgänge in den Bereich des wissenschaftlichen Verständnis zu ziehen.“[31]

„Betreibe das Lernen:

So mehrst du dich täglich.

Betreibe den Weg:

So minderst du dich täglich.“[32]

Lao-tse

4. Wie ereignen sich mystische Erfahrungen?

Mystische Erfahrung geht also unter anderem einher mit einer Veränderung der

Gehirnaktivitäten. Was löst diese Veränderungen im Gehirn und im Bewusstsein des Mystikers aus? Dr. Bucke[33], ein kanadischer Psychiater zum Beispiel berichtet, dass sich seine Erfahrung spontan ereignete. Zu Erfahrungen dieser Art gibt es verständlicherweise keine Ergebnisse aus Experimenten.

James zitiert in Die Vielfalt der religiösen Erfahrung Berichte von Menschen, die eine solche Erfahrung mittels Alkohol, Lachgas oder Äther gemacht haben. James: „Nüchternheit verkleinert, unterscheidet und sagt Nein; Trunkenheit erweitert, schafft Einheit und sagt Ja.“[34] „Das trunkene Bewußtsein ist ein Stück des mystischen Bewußtseins … Lachgas und Äther, besonders Lachgas in ausreichender Mischung mit Luft, stimulieren das mystische Bewußtsein in außerordentlichem Maße“.[35] Eine durch Anästhetika induzierte mystische Erfahrung, zitiert aus Die Vielfalt der religiösen Erfahrung:

„In diese alles durchdringende Atmosphäre gelangen wir vergessend und vergessen; und hinfort ist jedes alles in Gott. …Das Eine bleibt, das Viele ändert sich und schwindet; und ein jeder ist das Eine, das bleibt.“[36]

Deutlicher als Alkohol, Lachgas und Äther können psychedelische Drogen wie Meskalin, Psylocybin oder LSD mystische Erfahrungen hervorrufen. Durch Experimente in den sechziger und siebziger Jahren wurde vor allem LSD ausführlich und systematisch untersucht.[37] Wenn wir uns also vor Augen halten, dass Veränderungen im Bewusstsein mit Veränderungen in der Gehirnaktivität einhergehen, verwundert es auch nicht, dass mittels Substanzen, die das Gehirn beeinflussen, das Bewusstsein verändert werden kann. Die Frage ist allerdings, in welcher Art das Bewusstsein sich verändert? Jedem bekannt sind sicherlich Erfahrungen der Bewusstseinsveränderung mittels Alkohol. Aber die meisten dieser Erfahrungen dürften wohl keinen mystischen Charakter gehabt haben.

Können psychedelische Drogen automatisch mystische Erfahrungen hervorrufen? Und wie bewerten wir diese Erfahrungen? Haben sie den gleichen Wert wie Erfahrungen, die sich spontan ereignen oder durch eine Technik herbeigeführt werden? William McNamara schreibt:

„Können Drogen mystische Erfahrungen herbeiführen? Ganz sicher nicht. Mystische Erfahrung ist ein freies Geschenk Gottes. Drogen können u.U. die Möglichkeit solcher Erfahrung bei einem dafür bereits moralisch disponierten Individuum erhöhen …“[38]

Die Position erscheint insofern einleuchtend, da Drogen nicht immer und bei jedem mystische Erfahrungen hervorrufen. Masters und Houston fanden in einer Studie mit 206 Teilnehmern heraus, dass nur 3% (6) der Teilnehmer Erfahrungen hatten, die den Kriterien für ‚mystische Erfahrung’ genügten.[39] Zu diesen sechs Teilnehmern muss erwähnt werden, dass alle über 40 Jahre alt, kreativ und „well-adjusted“ waren und schon zuvor spirituelle Techniken praktiziert hatten.[40] Dadurch erweist sich die Theorie von psychedelischen Drogen als „Pillen für die Erleuchtung“ als nicht haltbar.

Warum aber sollte man den Erfahrungen der sechs Teilnehmer, die den Kriterien entsprachen, die Echtheit und den Wert aberkennen? Nur weil eine chemische Substanz sie hervorgerufen hat? Jeder Bewusstseinsvorgang hat eine chemische Komponente im Gehirn: Ich sitze hier vor meine Computer; diese Wahrnehmung verliert ihren Bezug zur Realität nicht, nur weil sie durch chemische Vorgänge im Gehirn erklärt werden kann.[41]

Stace nennt in Mysticism and Philosophy in diesem Kontext das Prinzip der kausalen Indifferenz (Principle of Causal Indifference):[42]

X hat eine Erfahrung P1

Y hat eine Erfahrung P2

P1 und P2 sind sich ähnlich

à P1 und P2 sind keine zwei Arten von Erfahrungen

Wendet man dieses Prinzip auf mystische Erfahrungen an, bedeutet das: Es ist nicht entscheidend, wie eine Erfahrung entsteht; entscheidend ist, ob die Erfahrungen bezüglich ihrer Inhalte übereinstimmen.

Drogen rufen nicht automatisch mystische Erfahrungen hervor. Andererseits können wir einer Erfahrung, die durch eine Substanz hervorgerufen oder verstärkt wurde, nicht ihren Wert absprechen; denn bei allen Bewusstseinsvorgängen und somit auch mystischen Erfahrungen, die spontan auftauchten oder durch eine spirituelle Technik herbeigeführt wurden, kann eine Veränderung im Gehirn festgestellt werden.[43]

Schon William James hat in seiner Vorlesung The Varieties of Religious Experience auf spirituelle Techniken hingewiesen: den Yoga, die Meditation des Buddhismus, die Oration des Christentums, das die-Seele-Freihalten des Sufismus. Die verschiedenen Traditionen beschreiben verschiedene Wege, auf denen der Übende sich langsam und mit viel Geduld dem letzten Ziel, der Erfahrung der Einheit annähert. In vielen Traditionen kommt der Konzentration eine wesentliche Bedeutung zu.

Patanjali beschreibt in den Yoga-Sutras den vollkommenen Meditationsprozess, der zu samadhi, zur mystischen Erfahrung führt. Der erste Schritt ist das Praktizieren von dharana, der Konzentration auf einen Punkt. Der Schüler richtet seine Aufmerksamkeit auf einen Punkt, wie zum Beispiel den Atem, ein geistiges Bild oder ein Objekt. Gelingt es ihm, die Aufmerksamkeit ununterbrochen über einen bestimmten Zeitraum dort zu halten, gelangt er automatisch zur nächsten Stufe, zu dhyana, dem Zustand der Meditation. Subjekt und Objekt werden eins. Der Meditierende wird eins mit dem Objekt, auf das er sich konzentriert.. Von diesem Zustand aus gelangt er dann nach einiger Zeit in den höchsten Zustand der Meditation, in samadhi, ein reines Bewusstsein, wo Objekt und Subjekt verschwinden und der Meditierende eins mit allem wird.[44]

[...]


[1] Augustinus: Liber de vera religione, XXXIX (72), zitiert nach: C.G. Jung: Zur Psychologie westlicher und östlicher Religion, S.119

[2] Platon: Politeia, Buch VII (515c)

[3] „Die philosophiegeschichtlich bedeutendsten Gottesbeweise können zu drei Gruppen zusammengefasst werden: (1) kosmologische Argumente, (2) teleologische Argumente und (3) der ontologische Gottesbeweis …

der kosmologische Gottesbeweis. Dieser besteht aus zwei Beweisen, einem so genannten Bewegungsbeweis, in dem die Existenz eines letzten unbewegten Bewegers bewiesen werden soll, und einem Kausalitätsbeweis, in dem die Existenz einer letzten Ursache belegt werden soll. Die Argumentationen verlaufen dabei wie folgt:

(P1) Es existiert etwas, das sich bewegt.

(P2) Alles, was sich bewegt, wird von etwas anderem bewegt.

(P3) Das kann unmöglich so ins Unendliche fortgehen

(C) Es existiert ein erster unbewegter Beweger

(P1) Es existiert etwas, was verursacht ist.

(P2) Alles, was verursacht ist, ist von etwas anderem verursacht.

(P3) Es ist unmöglich, so ins Unendliche fort zufahren

(C) Es existiert eine erste Ursache

… [Der teleologische Gottesbeweis]:

(P1) Es existieren Dinge, die keine Erkenntnis haben und die auf ein Ziel hin tätig sind

(P2) Wenn ein Ding, das keine Erkenntnis hat, auf ein Ziel hin tätig ist dann wird es von einem Wesen auf dieses Ziel hin gerichtet

(C) Es existiert ein erkennendes Wesen, das alle Naturdinge auf ein Ziel hin richtet

ontologische Gottesbeweis ... Hier wird die begriffliche Sonderstellung des Gottesbegriffs, nach der Gott das einzige Wesen ist, das ontisch notwendig existiert, als Beleg für die Existenz Gottes genutzt. Die Argumentation verläuft (hier nach dem von Descartes in den Meditationen entwickelten Beweis) in etwa auf folgende Weise:

(P1) Gott besitzt notwendig alle Vollkommenheiten.

(P2) Existieren ist eine Vollkommenheit.

(C) Gott existiert.“

(Markus Betz: Der Gottesbeweis in Berkeleys „Three Dialogues between Hylas and Philonous “, S.11)

[4] Mackie hat in Das Wunder des Theismus die verschiedenen Gottesbeweise diskutiert. Er kommt zu dem Schluss: „Wir haben verschiedene Argumente geprüft, die zugunsten des Theismus vorgetragen werden. Wir konnten keines finden, das schlüssig wäre, und auch keines, dem größeres Gewicht zukäme.“ (Mackie, S.239)

[5] Aber genauso wenig kann seine Nicht-Existenz bewiesen werden. Das stärkste Argument gegen die Existenz Gottes ist sicherlich die Anführung des Theodizee-Problems: „Wie kann man an Gott glauben, wenn man das gewaltige Ausmaß an Verbrechen, Naturkatastrophen, Kriegen, - schlicht das gesamte Elend des menschlichen Lebens ins Auge faßt?“ (Markus Betz: Das Theodizee-Problem, S.3) Aber wenn überhaupt, dann widerlegt diese Argumentation nur die Existenz des theistischen Gottesbildes (Gott ist allgütig, allmächtig und allwissend). Siehe hierzu die geschichtliche Entwicklung des Gottesbegriff auf S.45f.

[6] Stephen Bernhardt: Are Pure Consciousness Events Unmediated?, in: Robert Forman: The Problem of Pure Consciousness, S.227

[7] Cuthbert Buttler: Western Mysticism, zitiert nach William McNamara, in: Tart (Hrsg.): Transpersonale Psychologie, S.498

[8] William James: Die Vielfalt der religiösen Erfahrung, S.358f.

[9] Kant schreibt: „Alles, was uns als Gegenstand gegeben werden soll, muß uns in der Anschauung gegeben werden. All unsere Anschauung geschieht aber nur vermittelst der Sinne; der Verstand schaut nichts an, sondern reflektiert nur. Da nun die Sinne nach dem jetzt erwiesenen uns niemals und in keinem Stück die Dinge an sich, sondern nur ihre Erscheinungen zu erkennen geben, diese aber bloße Vorstellungen der Sinnlichkeit sind, „so müssen auch alle Körper mitsamt dem Raume, darin sie sich befinden, für nichts als bloße Vorstellungen in uns gehalten werden und existieren nirgend anders als bloß in unseren Gedanken. … Es sind uns Dinge als außer uns befindliche Gegenstände unserer Sinne gegeben, allein von dem, was sie an sich selbst sein mögen, wissen wir nichts …“ (Kant: Prolegomena, §13)

[10] Ernst Tugendhat: Egozentrizität und Mystik, S.16f.

[11] Ebenda, S.28

[12] Das Erleben des Einzelnen als Subjekt bringt auch eine Schattenseite mit sich: das Allein-Sein. Und damit das Bedürfnis, diese Einsamkeit zu überwinden. Erich Fromm weist in Die Kunst des Liebens darauf hin: „Dieses Bewußtsein seiner selbst als einer eigenständigen Größe , …, daß er allein und abgesondert … ist – all das macht seine abgesonderte Existenz zu einem unerträglichen Gefängnis. Er würde dem Wahnsinn verfallen, wenn er sich nicht aus diesem Gefängnis befreien könnte – wenn er nicht … sich mit der Welt außerhalb seiner selbst vereinigen könnte.“ (Fromm: Die Kunst des Liebens, S.17)

[13] Tugendhat, S.28f.

[14] Chuang Tzu, zitiert nach: Alan Watts: Der Lauf des Wassers, S.88

[15] Huxley: Die Kultur und das Individuum, in: Huxley: Moksha, S.273

[16] Tugendhat, S.28f.

[17] vgl. Rinpoche: Das tibetische Buch vom Leben und Sterben, S.70

[18] Stace: Mysticism and Philosophy, S.151

[19] Brihad-Upanischade, zitiert nach: Capra: Das Tao der Physik, S.142

[20] Ken Wilber: Wege zum Selbst, S.188

[21] Mit meiner Definition möchte ich nicht ausschließen, dass es auch noch andere Formen der mystischen Erfahrung geben kann. In dieser Arbeit werde ich mich allerdings nur mit mystischen Erfahrungen als Erfahrung der Leere und der Einheit auseinandersetzen.

[22] Karl Albert: Einführung in die philosophische Mystik, S.4

[23] Meister Eckhart, zitiert nach: D.T. Suzuki: Der westliche und der östliche Weg, S.81

[24] Chuang Tzu, zitiert nach: Chang Chung-yuan: Tao, Zen und schöpferische Kraft, S.62

[25] Stace, S.64

[26] Meister Eckhart, zitiert nach: Kurt Leider: Deutsche Mystiker, S.29

[27] Leider: Deutsche Mystiker, S.28f.

[28] Lao-tse: Tao-tê-King, Kapitel 1

[29] Vgl. Fußnote 69

[30] Ulrich Schnabel: Die Biologie des Glaubens, in: GEO Wissen, Nr.29, S.39

[31] C.G. Jung: Geleitwort, in : D.T. Suzuki: Die große Befreiung, S.18f.

[32] Lao-tse: Tao-tê-king, Kapitel 48

[33] vgl. Bu>

[34] James, S.365

[35] a.a.O.

[36] Ebena, S.367

[37] vgl. Stanislav Grof: Kosmos und Psyche

[38] William McNamara: Die mystische Tradition des Christentums und die Psychologie, in: Tart (Hrsg.): Transpersonale Psychologie, S.499f.

[39] Um eine LSD-Erfahrung als eine mystische Erfahrung zu klassifizieren, benutzten Master und Houston dieselben Kriterien, die von Zen-Meistern seit Jahrhunderten zur Überprüfung von satori -Erfahrungen verwendet wurden. (Austin: Zen and the Brain, S.428f.)

[40] Austin, S.429

[41] Ein Einwand, der in ähnlicher Form von Russell vorgetragen wurde: Die normalen Aktivitäten im Gehirn seien so angelegt, dass wir die Wirklichkeit sehen. Eine Veränderung dieser Vorgänge würde bedeuten, dass wir ein falsches Bild der Wirklichkeiten vermittelt bekämen. Aber was bringt uns zu der Annahme, dass unsere normale Wahrnehmung uns ein realitätsgetreues Bild vermittelt?

In den fünfziger Jahren wurde am Massachusetts Institute of Technology Untersuchungen zur Wahrnehmung der Frösche durchgeführt. Der Titel der Studie hieß: „Was das Froschauge dem Froschhirn mitteilt.“ Sie kam zu dem Ergebnis, dass das Froschhirn keinerlei Kenntnis von der Aussicht hat, die sich vor ihm erstreckt. Nørretranders schreibt: „ Das Auge des Frosches teilt seinem Gehirn das Auftreten von vier Dingen im Gesichtsfeld mit: 1. von deutlichen Kontrastlinien (die zum Beispiel erkennen lassen, wo der Horizont ist), 2. von plötzlichen Veränderungen der Lichtverhältnisse (die zum Beispiel darauf hindeuten, daß sich ein Storch nähert), 3. von Rändern, die sich bewegen (die zum Beispiel etwas über die Bewegungen des Storches aussagen), und 4. von der Randkrümmung kleiner, dunkler Objekte. Sie seien versucht, schreiben die Autoren, letztere als ‚Insekten-Dektoren’ (bug perceivers) zu bezeichnen.“ (Nørretranders, S.281 ff.) Der Frosch sieht nicht viel von der Welt, er nimmt nur wahr, was für sein Überleben notwendig ist. Die Ergebnisse sind sicherlich nicht eins zu eins auf den Menschen übertragbar, dennoch erscheint es logisch, da die Wahrnehmung ein Ergebnis der Evolution ist, dass das vordergründige Ziel der Wahrnehmung das Überleben des Einzelnen ist. Überleben ist dann gewährleistet, wenn das Bewusstsein für das Überleben notwendige Information empfängt. Zimbardo schreibt: „Da sich das Bewußtsein in der Evolution herausgebildet hat, sollte es nicht verwundern, daß einige seiner Funktionen direkt dem Überleben der menschlichen Spezies dienen. … [Das Bewußtsein] reduziert den Strom der eingehenden Reize … Durch diese beschränkende Funktion des Bewußtseins wird ein Großteil der Informationen ausgeblendet, die für unsere unmittelbaren Ziele und Zwecke nicht relevant sind.“ (Zimbardo, S.175)

Normale Wahrnehmung hat also nicht zum Zweck, die äußere Wirklichkeit möglichst detailgetreu abzubilden, sondern die Informationen zur Verfügung zu stellen, die das Überleben sichern.

[42] Stace, S.29

[43] vgl. Forschung mit buddhistischen Mönchen: Fußnote 69

[44] Zimmer: Philosophie und Religion Indiens, S.387ff.

Unternimmt man einen Selbstversuch, stellt man schnell fest, dass es nicht einfach ist, die Konzentration wirklich auf einem Punkt zu halten.

Ende der Leseprobe aus 84 Seiten

Details

Titel
Haben mystische Erfahrungen einen Bezug zur Realität?
Hochschule
Universität Hamburg
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
84
Katalognummer
V91857
ISBN (eBook)
9783638049375
ISBN (Buch)
9783638944052
Dateigröße
1100 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Der Vf. hat sich eine spannende, jedoch auch extrem intrikate Fragestellung gewählt, welche ontologische, semantische und epistemologische Facetten hat. Da das von ihm herangezogene historische Material in der Hauptsache bloß exemplifizierenden Belegcharakter hat, ist die Arbeit der Substanz nach kein philosophiegeschichtliches, sondern ein systematisches Projekt.
Schlagworte
Haben, Erfahrungen, Bezug, Realität
Arbeit zitieren
Markus Asano (Autor:in), 2008, Haben mystische Erfahrungen einen Bezug zur Realität?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91857

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