Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Die Macht der Sensation


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

20 Seiten, Note: 1,5 (D); 5,5 (CH)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Gründe für die Entstehung der Erzählung
2.1. Der Fall um Professor Peter Brückner

3. Die Darstellung des Boulevardjournalismus
3.1. Die Sprache der ZEITUNG
3.2. Das Verfahren der ZEITUNG
3.3. Die Figur des Werner Tötges oder: Warum er sterben muss

4. Sensation um jeden Preis
4.1. Der Sensationsjournalismus am Beispiel der BILD-Zeitung
4.2. Das Verfahren der Emotionalisierung in der BILD-Zeitung

5. Bölls Kritik

6. Schlusswort

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In der vorliegenden Arbeit soll Bölls Erzählung ‚Die verlorene Ehre der Katharina Blum’ genauer betrachtet werden, allem voran, die Rolle der ZEITUNG. Im ersten Kapitel soll geklärt werden, was Böll dazu veranlasst hat, diese Erzählung zu schreiben. Dabei wird einerseits auf den Fall „Professor Brückner“ eingegangen, als auch auf die „Baader-Meinhof-Affäre“ und Bölls damit verbundenem Angriff auf die „Springer Presse“. Das darauf folgende Kapitel soll einen Einblick in die Sprach- und Verfahrensweisen der ZEITUNG geben und aufzeigen, welcher pressewidriger Mittel sich die ZEITUNG bedient, um Katharinas Fall zur Sensation zu machen. Zudem soll die Figur des Werner Tötges genauer betrachtet werden, sowie dessen Tod durch Katharinas Hand. Der Fokus liegt hier vor allem auf der Frage, warum Katharina Tötges erschiesst oder anders gesagt, warum er sterben muss. Abschliessend soll aufgezeigt werden, wie es sich in der Realität mit einem Blatt wie der ZEITUNG verhält. Die BILD-Zeitung dient dabei als Wirklichkeitsbezogenes Pendant zur ZEITUNG in Bölls Roman. Damit soll ein Aktualitätsbezug geschaffen aber auch Parallelen zur ZEITUNG gezogen werden.

Da die Arbeit in ihrem Unfang beschränkt ist, kann keine umfassend detaillierte Betrachtung vorgenommen und damit auch kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. Es wird aber in jedem Fall versucht, einen möglichst tiefen Einblick in die folgende Thematik zu geben.

2. Gründe für die Entstehung der Erzählung

Der Erzählung ‚Die verlorene Ehre der Katharina Blum’ liegt eine wahre Begebenheit zugrunde, die zum besseren Verständnis vorab erzählt werden sollte. Auch wenn der Autor zu Beginn klarstellt, dass Person und Handlung der Erzählung frei erfunden sind[1], so liegt dem Ganzen doch ein Ereignis zugrunde, welches Böll dazu veranlasst hat, diese Erzählung niederzuschreiben.

2.1. Der Fall um Professor Peter Brückner

Am 20. Januar 1972 wurde der damalige Direktor des Psychologischen Seminars an der Technischen Hochschule Hannover, Professor Peter Brückner, durch den damaligen niedersächsischen „Kultusminister“[2] seines Amtes enthoben, weil er Angehörigen der Baader-Meinhof-Gruppe Unterschlupf gewährt haben sollte.[3] Brückner wurde während des Ermittlungsverfahrens gegen Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe durch wahrheitswidrige Aussagen eines unglaubwürdigen Zeugen belastet und verdächtigt, diesen Unterschlupf gewährt zu haben. Er berichtete in einem Interview mit Huber Höring:

„Ich sah mich bald einer Situation gegenüber, die mich zum Opfer abstempelte, dem allgemeine Verachtung zuteil wurde. […]. Es entstand eine Scheinrealität um mich herum. Je nachdem, wann und in welchen Zeitungen Berichte über mich erschienen, setzte bei Tag und bei Nacht eine Flut von anonymen Telefonanrufen ein. Es gab viele Drohbriefe. Auf der Strasse wandten sich viele von mir ab. Ich sah mich plötzlich betroffen, belastet, diffamiert […].

Das Problem der Isolierung traf mich unvermittelt. Es entstand eine Publicity, die nicht Folge von Verdienst oder Verbrechen war. Im Herbst 1972 entdeckte ich in einer Sonntagszeitung mein Konterfei unter einem Artikel mit der Schlagzeile: Im Bett macht Ulrike ihre Männer munter. […]. Durch die Negativ-Publicity war ich zur Unperson geworden […]. Die soziale Distanz gegenüber dem, der zur öffentlichen Unperson geworden ist, wächst. Jedes Treffen – auch mit Freunden und Leuten aus der eigenen politischen Gruppe – wird zur Veranstaltung. Dadurch schwindet die Chance, unbefangen miteinander umgehen zu können. Es gab auch noch andere Beispiele dieser Art. Damit will ich nicht sagen, die mit solcherart Berichten befasst gewesenen Journalisten seien unfähig gewesen. Nur habe ich einige kennengelernt, die zu allem fähig waren!“[4]

Die Baader-Meinhof-Gruppe war die Vorläuferin der Roten Armee Fraktion (RAF). Ihre Gewalttaten konzentrierten sich bis 1972 vor allem auf US-amerikanische Einrichtungen. Die Gruppe wurde nach dem Kaufhaus-Brandstifter Andreas Baader und der Journalistin Ulrike Meinhof benannt, welche in ihren Beiträgen Verständnis für diesen Kaufhaus-Anschlag zeigte und sich damit auf die Seite des „Konsumterrors“[5] stellte. 1970 wurde Andreas Baader mit Waffengewalt aus dem Gefängnis befreit. Daran beteiligt war auch Ulrike Meinhof und Baaders Anwalt Horst Mahler. Diese gewaltsame Befreiung war die Geburtsstunde der Roten Armee Fraktion (RAF). Die RAF führte zwei Jahrzehnte lang einen bewaffneten Kampf gegen das imperialistische System, dem auch hohe Repräsentanten von Politik und Wirtschaft zum Opfer fielen. Die RAF löste sich 1998 auf, viele ihrer Kapitalverbrechen blieben jedoch ungeklärt.[6]

Die Vorkommnisse um Peter Brückner und das „damit aufgeworfene Problem der publizistischen Dimension der Gewalt“[7] dienten Böll als wirklichkeitsbezogenes Vorbild für seinen Roman. Böll habe mit seiner Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ das darstellen wollen, was im Zusammenhang mit der Baader-Meinhof-Auseinandersetzung die Rolle des Professor Brückner gewesen war. Heinrich Böll wollte damit aufzeigen, wie manche Menschen durch die Medien in ihrem psychischen Zustand zerstört worden sind, indem sie fast wie Aussätzige behandelt wurden und dadurch ihren Ruf in der Öffentlichkeit einbüssten.[8]

Bölls Aversion gegen den Boulevardjournalismus, allem voran gegen die BILD-Zeitung und Springer-Presse, scheint aber bereits vor der ‚Brückner-Affäre’ bestanden zu haben. In seinem Artikel über die Baader-Meinhof-Gruppe aus dem Jahre 1972 wirft er der BILD-Zeitung unter anderem „Lynchjustiz“[9] vor:

„Die Bezeichnung Rechtsstaat wird fragwürdig, […] wenn man die Qualität des Rechts der Quantität von Erfolg und Popularität opfert […]. Es ist Zeit, den nationalen Notstand auszurufen. Den Notstand des öffentlichen Bewusstseins, der durch Publikationen wie „Bild“ permanent gesteigert wird. […] Ich kann nicht begreifen, dass irgendein Politiker einem solchen Blatt noch ein Interview gibt. Das ist nicht mehr kryptofaschistisch, nicht mehr faschistoid, das ist nackter Faschismus, Verhetzung, Lüge, Dreck.“[10]

3. Die Darstellung des Boulevardjournalismus

In seiner Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ zeigt Böll jene journalistischen Verfahrensweisen auf, „die man gemeinhin als ‚Bildzeitungs-Jargon’ bezeichnet.“[11] Die ZEITUNG steht dabei symbolisch für eine ideologische Gewalt, „die so satanisch ist, dass nicht einmal das Lamm ihr gegenüber seine Unschuld zu behaupten vermag.“[12] Die Protagonistin Katharina Blum wird zum Opfer jener Berichterstattung, „die nur ein einziges Ziel verfolgt: Die Mächtigen zu schonen, die kleinen zu erledigen […].“[13] Durch die Verfälschungen und Verdrehungen der ZEITUNG wird Katharina Blum, die aus Liebe gehandelt hat, an den Pranger gestellt und gedemütigt, bis sie aus Verzweiflung den Mann erschiesst, der ihr die Ehre geraubt hat. Im folgenden Kapitel soll nun aufgezeigt werden, mit welchen Mitteln und Verfahren die ZEITUNG Katharina Blum ins Unglück stürzt.

3.1. Die Sprache der ZEITUNG

Die Sprache der ZEITUNG unterscheidet sich grundlegend von derjenigen der Romanfiguren.[14] Während sich die Figuren des Romans einer alltäglichen bis vulgären Sprache bedienen, die „nur gelegentlich sensibel ist“[15], gebraucht die ZEITUNG eine „in jeder Weise undifferenziert[e] und vorverurteilend[e] [Sprache], [die] keineswegs sensibel [ist].“[16] Zudem bedient sich die ZEITUNG, verglichen mit der Sprache der Romanfiguren, keiner vulgären, sondern einer geradezu erhabenen Sprache.[17] Dies zeigt sich beispielsweise an folgender Aussage der ZEITUNG:

„Die harmlosen Karnevalsfreuden eines redlichen Arbeiters jedenfalls dürften getrübt sein.“[18] Auch Katharinas geschiedener Mann Brettloh scheint hochgestochen zu reden, wenn er in der ZEITUNG mit den Worten zitiert wird: „[…], einen Porsche hätte ich dir wohl nie bieten können, nur ein bescheidenes Glück, wie es ein redlicher Arbeitsmann zu bieten hat, der der Gewerkschaft misstraut. Ach, Katharina.“[19] In Wirklichkeit jedoch spricht der, einfache Mann’ nicht so.[20] Hier ist der Reporter vielmehr darauf bedacht, den „einfachen Menschen“[21], wie er sagt, „Artikulationshilfe zu geben.“[22] Doch genau diese ‚Hilfe’ ist auch zugleich die Taktik der ZEITUNG, Aussagen der Betroffenen so wiederzugeben, dass sie ihre eigenen Interessen stützen, nämlich, Katharinas Fall in der Öffentlichkeit als einen politischen Fall erscheinen zu lassen.[23] Auch die Aussage von Katharinas Mutter wird verdreht. Sagte sie ursprünglich: „Warum musste das so enden, warum musste das so kommen“[24], so heisst es in der ZEITUNG: „So musste es ja kommen, so musste es ja enden.“[25] Selbst Blorna wird auf diese Art und Weise ‚geholfen’, obwohl er als Rechtsanwalt keineswegs zu den „einfachen Menschen“[26] gehört. Seine Bemerkung, Katharina sei eine „sehr kluge und kühle Person“ wird von der ZEITUNG so verdreht, dass es schlussendlich heisst, Katharina sei „eiskalt und berechnend“[27].

Die ZEITUNG verbreitet aber nicht nur „Lügen [und] Verdrehungen“[28], sondern auch falsche Anschuldigungen. Diese sind jedoch, nach Scheiffele, schwerer zu durchschauen: „In ihrer genau ausgeklügelten Mischung von Wahrheit und Lüge sind sie im rechtlichen Sinn kaum eindeutig als Verleumdungen erfassbar.“[29] Katharina wird in der ZEITUNG als „RÄUBERLIEBCHEN“[30] betitelt. Diese Bezeichnung ist nicht grundsätzlich inkorrekt, denn Katharina liebt Götten ja wirklich, das ist eine Tatsache, jedoch hat das Wort „Liebchen“ in dieser Verbindung „den Beigeschmack der Bedeutung ,Dirne’ […].“[31] Die ZEITUNG verzichtet hier bewusst auf eine sachlichere bzw. neutralere Bezeichnung wie „Freundin“[32] oder „Geliebte“[33]. Dadurch wird das Bild, das sich der Leser von Katharina macht, von vornherein auf bestimmte Weise gefärbt.[34]

Ein weiteres Beispiel solcher Verleumdungen durch die ZEIZUNG ist die Verdrehung der Aussage von Dr. Hiepertz, in der es heisst, Katharina sei: „Eine in jeder Beziehung radikale Person, die uns geschickt getäuscht hat.“[35] Der genaue Wortlaut von Hiepertz lautete nämlich ursprünglich:

[...]


[1] Vgl. Böll, Heinrich: Die verlornen Ehre der Katharina Blum oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann. Ungekürzte Ausgabe. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1974. S. 6.

[2] Beth, Hanno (Hrsg.): Heinrich Böll. Eine Einführung in das Gesamtwerk in Einzelinterpretationen. Kronberg: Scriptor Verlag 1975. S. 57.

[3] Vgl. Ebd. S. 57.

[4] Höring, Hubert: Betroffen – belastet – diffamiert. Briefe. In: Der Spiegel 34 (1974). S. 7.

[5] Dpa: Stichwort: Rote Armee Fraktion (RAF). http://www.morgenweb.de/nachrichten/politik/20070213_raf_stichwort.html (18.02.2007).

[6] Vgl. Ebd.

Lemo: Rote Armee Fraktion. 1974-89 Linksterrorismus. http://www.dhm.de/lemo/html/DasGeteilteDeutschland/NeueHerausforderungen/Linksterrorismus/roteArmeeFraktion.html (18.02.2007).

[7] Beth 1975: 57.

[8] Ebd. S. 57.

[9] Böll, Heinrich: „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“ In: Der Spiegel 3 (1972). S. 55.

[10] Böll 1972: 55.

[11] Jens, Walter: Buchrezension zu „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“. Hessischer Rundfunk (23.7.74) In: Heinrich Böll: Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann. Mit Materialien und einem Nachwort des Autors. Zürich: Ex Libris 1985. S. 243.

[12] Ebd. S. 249f.

[13] Ebd., S. 244.

[14] Vgl. Krebs, Sonja: Rechtsstaat und Pressefreiheit in Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“. Ein Beitrag zu Verfassungstheorie und Verfassungs-wirklichkeit im Spiegel der Literatur. Diss. masch. Mainz: 1990. S. 43.

[15] Ebd. S. 42.

[16] Ebd. S. 43.

[17] Scheiffele, Eberhard: Über die Rolltreppe. Studien zur deutschsprachigen Literatur mit einem Entwurf materialer literarischer Hermeneutik. München: IUDICIUM Verlag GmbH 1999. S. 246.

[18] Böll 1974: 38.

[19] Böll 1974: 37.

[20] Vgl. Scheiffele 1999: 246.

[21] Böll 1974: 92.

[22] Ebd. S. 92.

[23] Vgl. Krebs 1990: 43. und Scheiffele 1999: 247.

[24] Böll 1974: 91.

[25] Ebd. S. 37.

[26] Ebd. S. 92.

[27] Ebd. S. 33.

[28] Böll 1974: 104.

[29] Scheiffele 1999: 247.

[30] Böll 1974: 32.

[31] Scheiffele 1999: 247.

[32] Ebd. S. 247.

[33] Ebd. S. 247.

[34] Vgl. Ebd. S. 247.

[35] Böll 1974: 38.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Die Macht der Sensation
Hochschule
Université de Fribourg - Universität Freiburg (Schweiz)
Note
1,5 (D); 5,5 (CH)
Autor
Jahr
2007
Seiten
20
Katalognummer
V91801
ISBN (eBook)
9783638058575
ISBN (Buch)
9783640129683
Dateigröße
476 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ehre, Katharina, Blum, Macht, Sensation, Thema Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Arbeit zitieren
Helena Stamatovic (Autor:in), 2007, Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Die Macht der Sensation , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91801

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