Jenseits von Stand und Klasse? Eine Untersuchung von Ulrich Becks Klassenparadigma


Seminararbeit, 2008

13 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Sozialstrukturanalyse nach Beck
2.1 Der Individualisierungsprozess
2.2 Die Auflösung der Klassen
2.3 Konfliktbildung bei Beck

3. Klassentheorie
3.1 Marxistische Klassentheorie

4. Becks Klassenparadigma in der Diskussion

5. Fazit

1. Einleitung

Das Ziel der folgenden Arbeit ist es, sich mit der Sozialstrukturanalyse von Ulrich Beck auseinander zu setzen. Dabei wird sie inhaltlich dargelegt, auf ihre Aktualität geprüft,einer aktuellen marxistischen Klassentheorie entgegengestellt und diskutiert. Zu Beginn wird die Individualisierungstheorie von Ulrich Beck, die seiner Sozialstrukturanalyse zugrunde liegt, erläutert und mögliche Probleme kurz diskutiert. Dabei liegt der Hauptschwerpunkt auf den Ursachen der Individualisierung, die anhand von Studien andere Autoren überprüft und vertieft werden. Auf die Problematik einer genauen Definition soll im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden.1

Im Hauptteil der Arbeit soll die auf der Individualisierung aufbauende Sozialstrukturanalyse von Beck mit ihrer spezifischen Charakteristik dargelegt werden. Dabei werden einige Hauptträger der Individualisierung, wie der moderne Sozial- oder Wohlfahrtsstaat, im Mittelpunkt stehen, andere, wie räumliche Veränderung und die Mediennutzung nur marginal behandelt.

Im Anschluss soll Beck eine postfordistische Klassenanalyse entgegengestellt werden. Dabei werde ich hauptsächlich auf Ben Diettrichs Publikation „Klassenfragmentierung im Postfordismus“ Bezug nehmen, da der Autor der verschiedenen aktuellen Debatten um ein Klassenmodell aufgreift und zu synthetisieren versucht.

Zum Schluss werde ich verschiedene Kritikpunkte sowohl an Becks Sozialstrukturanalyse als auch an der Klassentheorie darlegen und diskutieren. Dabei wird überprüft, inwieweit Becks Klassenparadigma in einer postfordistischen Gesellschaft an Aktualität eingebüßt hat, die besonders im Hinblick auf das Erklärungspotential bezüglich gesellschaftlicher Konflikte analysiert werden soll.

2. Sozialstrukturanalyse nach Beck

2.1 Der Individualisierungsprozess

Zu Beginn muss kurz dargelegt werden, das Beck nur einen Individualisierungsschub beschreibt. Dies wird in seinem Werk nicht allzu deutlich, jedoch steht er damit in einer langen Tradition. Laut Junge haben bereits vor Becks Individualisierungsthese, die erst in den sechziger Jahren beginnt, drei Individualisierungsschübe stattgefunden. Soziologen wie George Simmel und Max Weber stellten zum Beispiel den dritten Individualisierungsschub fest (Vgl. Junge 2002: 37 ff.).

Für Beck ist Individualisierung ein dreiteiliger Vorgang, der in der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren begann (Vgl. Beck 1986: 122). Diese kohärenten Etappen gliedern sich wie folgt auf: Zu Beginn wird das Individuum aus seinen traditionellen Strukturen heraus gelöst, es findet die Freisetzung statt. Ohne die traditionellen Strukturen sind dem Individuum keine Handlungsnormen mehr vorgegeben, es „leidet“ an Stabilitätsverlust. Die dritte Etappe der Individualisierung ist paradox; das Individuum,das durch Freisetzung von traditionellen Institutionen an Freiheit gewonnen hat, wird reintegriert (Vgl. Beck 1986: 206). Der Vorgang ist somit ambivalent.

Die Individuen werden nach ihrer Freisetzung in sekundäre Institutionen integriert. Diese Institutionen „steuern dagegen Handeln indirekt, aber nicht weniger wirksam“ (Leisering 1998: 66). Jedoch erhöhen sie im Gegensatz zu traditionellen Institutionen den Handlungsspielraum. Diese Institutionen sind als Beispiel der Markt oder das Bildungssystem, von denen die Individuen abhängig werden.

Den Auslöser dieses Individualisierungsschubes nennt Beck den „Fahrstuhl-Effekt“. „die »Klassengesellschaft« wird insgesamt eine Etage höher gefahren. Es gibt [...] ein kollektives Mehr an Einkommen, Bildung, Mobilität, Recht, Wissenschaft, Massenkonsum.“(Beck 1986: 122). Die soziale Ungleichheit ist an sich aber geblieben. Ursachen dieses „Fahrstuhl- Effektes“ sind nach Beck der wirtschaftliche Wiederaufbau in den fünfziger und sechziger Jahren sowie eine Bildungsexpansion in den sechziger und siebziger Jahren (Vgl. Beck 1986: 123). Zudem fand eine erhöhte soziale und geografische Mobilität statt (Vgl. Beck 1983: 38). Durch das gestiegene Einkommen2 fand eine so genannte „Demokratisierung“(Beck 1986: 123) von Konsumgütern statt. Die Löhne der unteren Gesellschaftsschicht gingen nun weit über ihre Reproduktionskosten hinaus. Dadurch wurde der Konsum von Autos und Fernsehern möglich. Darüber hinaus sank die Erwerbsarbeitszeit (Vgl. Beck 1983: 39). Des Weiteren fand ein Wandel der Wohnform statt, die sich in der „Verbürgerlichung“ des Wohnens äußerte. Es wurden „alte Wohngebiete durch neue urbane Gro ß stadtsiedlungen mit ihren lockeren Bekanntschafts- und Nachbarschaftsverhältnissen ersetzt...“ (Beck 1983: 39). Somit fand nach Beck eine einzigartige Veränderung innerhalb der Struktur der unteren Schicht statt. Die Folge war das Relativieren und Verschwinden von sozialmoralischen Milieus. Zudem ließ sich eine Zunahme der Arbeitsmarktabhängigkeit beobachten, die alternative Arbeitsformen immer mehr verdrängt. Dabei werden immer mehr Bevölkerungskreise lohnabhängig (Vgl. Beck 1983: 39).

Weiterhin Charakteristisch für die Individualisierung ist die Entstehung des Wohlfahrtsstaates. Als sekundäre Institution stellt der individuelle Rechte (und teilweise Pflichten) wie Versicherungen und Lohnersatzleistungen bis hin zur gänzlichen Vollversorgung wie Rente bereit. Diese Möglichkeiten führten dazu, „ da ß insbesondere der Sozialstaat dazu beigetragen hat, breitere Bevölkerungskreise in Individualisierungsprozesse einzubeziehen “ (Leisering 1998: 71).

2.2 Die Auflösung der Klassen

„Der Unterschied liegt auch hier in dem Neuen, das mit der Entwicklung der Bundesrepublik entsteht - den wohlfahrts- und sozialstaatlichen, arbeitsrechtlichen »Abpufferungen« der Lohnarbeit“ (Beck 1986: 131). Die sozialen und politischen Rechte lösen die Individuen aus ihren Klassenzusammenhängen heraus, da für sie keine Not mehr besteht, sich als Klasse zusammenzufinden. Der gehobene Lebensstandard, hervorgerufen durch erhöhtes Einkommen, sozialstaatlichen Sicherungssysteme, Reduzierung der Arbeitszeit und Bildungsexpansion verringert nun die Ansatzpunkte für Klassensolidaritäten. Die Kategorien Arbeiter und Angestellter sind nun für Beck ohne Gehalt, da sie ständische Identitäten voraussetzen. Diese werden im Zuge der Individualisierung aber vollkommen aufgelöst. Somit kann es auch keine soziale Mobilität mehr geben, da keine Klassenschranken mehr existieren. Daraus folgert Beck: „... mit zunehmender Individualisierung schwinden die Voraussetzungen, das Hierachiemodell sozialer Ungleichheiten lebensweltlich zu interpretieren.“ (Beck 1983: 53). Die Entwicklung kann aber auch rückläufig sein. Durch die Verringerung oder Aufhebung der Rahmenbedingungen kann es zu neuer, nichtständischer Klassenbildung kommen (vgl. Beck 1986: 134). Dies schließt Beck nicht aus und warnt vor einer Zukunft der Armut, die ohne den Ausbau des Sozialstaates und rechtlich gesichertem Einkommen droht.

2.3 Konfliktbildung bei Beck

Trotz der Auflösung von Klassen gibt es weiterhin Widersprüche. Vorhandene Konflikte sind den Klasse jedoch nicht mehr immanent, sondern betreffen diese nur noch partiell. Dies kann folgendermaßen aussehen: Das Individuum kann „... zur Verhinderung des Fluglärms mit den Anrainern aus verschiedenen Schichten in einer Bürgerinitiative koalieren, Mitglied der Industriegewerkschaft Metall sein und angesichts der heraufziehenden Wirtschaftskrise politisch rechts wählen.“ (Beck 1983: 57). Förderlich ist hierbei, dass durch Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit die Bedeutung des Betriebes als Ort der Konflikt- und Identitätsbildung sowie der Konfliktaustragung immer mehr abnimmt. Diese verlagert sich nun in den privaten Bereich, ist abhängig von privaten sozialen Beziehungen und Lebensstilen. Zudem ergeben sich dauerhafte Konfliktlinien anhand zugewiesener Merkmale wie Geschlecht, Hautfarbe, Alter etc. (Vgl. Beck 1986: 159).

Seit den achtziger Jahren wird eine Tendenz erkennbar, die Beck den Fahrstuhl-Effekt nach unten nennt. Die soziale Ungleichheit verschärft sich und führt zu Massenarbeitslosigkeit (Vgl. Beck 1986: 143). Beck warnt davor, nun zu einer Klassentheorie zurückzukehren. Stattdessen verändert die Individualisierung die Art der Massenarbeitslosigkeit. Diese wird nun als persönliche Angelegenheit wahrgenommen, nicht mehr aber als kollektives Schicksal. Der gemeinschaftliche Aspekt der Arbeitslosigkeit wird erst sekundär über andere erfahrbar und beispielsweise in Arbeitskämpfen persönlich fassbar. Allerdings tritt zu der kollektiven Problemlösung nun die individuelle in Konkurrenz. Konkret könnte dies im Arbeitskampf so aussehen: Das Individuum muss sich entscheiden, ob es sich am kollektiven Arbeitskampf (um Lohnerhöhung, Arbeitszeitverkürzung, etc.) beteiligt oder eine hohe Abfindung für sich wählt.3

Zudem erkennt Beck die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Dieser teilt sich nun in einen „...industriegesellschaftlich einheitlichen Normalarbeitsmarkt und einem risikogesellschaften flexibel-pluralen Markt für Unterbeschäftigungen [...]“ (Beck 1986: 228). Zweiterer besitzt darüber hinaus die Tendenz, den Normalarbeitsmarkt zu dominieren.

Des Weiteren muss Beck seine These relativieren, das jeder gleichermaßen, auch finanziell Bessergestellte, gleichermaßen von Arbeitslosigkeit bedroht ist: „Das Damoklesschwert der Arbeitslosigkeit hängt inzwischen über allen Bereichen und Hierachiestufen des Ausbildungssystems (wenn auch - statistisch - einmal als Guillotine, einmal als Küchenmesser) ...“ (Beck 1986: 239). Da er die Gesellschaft nicht mehr in Klassen unterteilen kann, muss er nun auf Berufe bzw. Bildungsabschlüsse zurückgreifen: „Experten gehen übereinstimmen davon aus, daß gerade auch Facharbeiter in Zukunft einen steigenden Anteil an Arbeitslosen stellen werden“ ( Beck 1986: 240). Arbeitslosigkeit verstärkt sich umso mehr, je tiefer die betroffene Person in der Gesellschaft steht.

3. Klassentheorie

3.1 Marxistische Klassentheorie

Durch die Verstärkung von sozialer Ungleichheit und dem Abbau sozialstaatlicher Leistungen gibt es neben Becks Paradigma Versuche, die marxistische Klassentheorie zu aktualisieren. Einen Versuch der Konstruktion möchte ich hier skizzieren.

Die heutigen Klassentheoretiker wissen, dass ein aussagekräftiges Klassenmodell über Marx Antagonismus hinausgehen und an Komplexität zunehmen muss. Zu Beginn werden die Faktoren bestimmt, aus denen sich eine Klasse strukturiert. Hierbei wird zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Klassenstrukturierung unterschieden. Die primäre Strukturierung „...entsteht durch die ökonomischen, politischen und ideologischen Momente, die im Produktionsprozeß wirken, im Falle der Arbeitslosen durch die politischen und ideologischen Momente ihrer Reproduktionsweise “ (Diettrich 1999: 281). Distributionsverhältnisse wie Lohn und Freizeit bestimmen die sekundäre Strukturierung4. Der letzte Strukturierungsprozess, die tertiäre Strukturierung, wirkt als Klassenkampferfahrung auf die beiden erstgenannten Prozesse zurück und beeinflusst diese. Daraus ergibt sich eine mögliche mehrfache Klassenposition.

Der Versuch einer Konstruktion gliedert sich wie folgt: Die Gesellschaft besteht aus vier Klassen. Als herrschende Klasse dient das Kapital bzw. das Bürgertum. Diesem untergeordnet sind die Klasse der LohnarbeiterInnen, die Klasse der häuslichen Reproduktion und die Klasse der Arbeitslosen.

[...]


1 Auf diese Problematik gehen Jagodzinski und Klein genauer ein, siehe Jagodzinski/Klein 1998

2 Grund hierfür ist unter anderem die Verbesserung der Fließbandarbeit durch Henry Ford, der Namensgeber für die Epoche des Fordismus wurde (Vgl. Hirsch 1986: 51 ff. ; Diettrich 1999: 119)

3 Zur Problematik der Abfindungen im Arbeitskampf siehe Wildcat Nr. 79, Herbst 2007, S. 16 ff.

4 Bei Beck als Lebensstile bezeichnet, die in der Risikogesellschaft für das Individuum bestimmend sind und die Klassen ablösen

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Jenseits von Stand und Klasse? Eine Untersuchung von Ulrich Becks Klassenparadigma
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Einführung in die soziologische Theorie von Parsons, Luhmann, Beck
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
13
Katalognummer
V91783
ISBN (eBook)
9783638058827
ISBN (Buch)
9783638948906
Dateigröße
451 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jenseits, Stand, Klasse, Eine, Untersuchung, Ulrich, Becks, Klassenparadigma, Einführung, Theorie, Parsons, Luhmann, Beck
Arbeit zitieren
André Walter (Autor:in), 2008, Jenseits von Stand und Klasse? Eine Untersuchung von Ulrich Becks Klassenparadigma, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91783

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