Angst im gymnasialen Sportunterricht - Erscheinungsformen und Reduktionsmaßnahmen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorüberlegungen
1.1 Begriffliche Annäherung und Formen von Angst
1.2 Relevanz für den Schulsport
1.3 Theoretische Aspekte zur Angstreduktion

2. Beispiel zum Hospitationsschwerpunkt „Ängstliche Schüler“
2.1 Schilderung des Falles
2.2 Ermittlung der Diskrepanzen
2.3 Handlungsempfehlungen

3. Stundenkonzeption und -ablauf
3.1 Einleitung (Erwärmung)
3.2 Hauptteil (Stationsbetrieb)
3.3 Schluss (Regeneration / Entspannung)

4. Reflexion zum Lehrversuch

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Vorüberlegungen

In mehrperspektivischer Hinsicht kommt der „Angst-Thematik“ eine hohe Relevanz zu: Zum Einen sollte dabei das Interesse inhaltlich geleitet sein. Bereits zur eigenen Schulzeit konnte jene Problematik als ein häufiges und allgegenwärtiges Phänomen beobachtet und erfahren werden. Jeder Schüler hatte in irgendeiner Hinsicht Angst: So überkam beispielsweise auch mich in gymnastischen Inhalten stets ein unangenehmes Empfinden, sodass man sich unwohl fühlte. Bereits innerhalb gesammelter Lehrerfahrungen, begegnete mir schließlich jene Emotion - wenngleich auf der „anderen Seite“ als Lehrperson - erneut. Insofern erscheint es für jeden Sportlehrer unumgänglich, sich mit dieser Thematik auseinander zu setzen. Von großem Interesse sollten dabei Strategien und Lösungsansätze zum angemessenen und leistungsfördernden Umgang mit jener Angst sein. Diese auf Seiten der Schüler zu minimieren und auf einem erträglichen Maße einzupegeln, um auf diese Weise die Zahl etwaiger „Leistungsverweigerer“ zu reduzieren, zählt schließlich u.a. zum Aufgabenspektrum des Lehrers. So sollte es dem Pädagogen nicht egal sein, wenn sich der Ein oder Andere schlichtweg mit einer oftmals die Angst überspielenden Lapidar-Begründung eine Sechs billigend in Kauf nehmend eintragen lässt - jene Methode bildet für eine Großzahl der Schülerklientel schließlich in der Konsequenz ein probates Mittel zur Umgehung und Vermeidung von Situationen, die als beängstigend empfunden werden.[1] So lassen sich besonders im Rahmen der schulischen Unterrichtseinheit „Gerätturnen“ u.a. durchaus häufig Facetten der Angst beobachten.

1.1 Begriffliche Annäherung und Formen von Angst

„Angst“ ist eine hochkomplexe physische und psychische Emotion im Sport. Daher scheint es zunächst erforderlich, die vorliegend thematisierte Begrifflichkeit weiter zu spezifizieren. „Angst“ hat nicht zwangsläufig immer nur negative, sondern durchaus auch positive Seiten, da sie u.a. in Gefahrensituationen eine biologische Schutzreaktion des Körpers bewirkt. Im Hinblick auf die konzeptionelle Vorarbeit zum Stundenentwurf „Angst im Schulsport am Gymnasium“ ist es zunächst jedoch vonnöten, die Formen und damit unterschiedlichen Ausprägungsvarianten von Angst zugunsten didaktischer Aspekte zu verdeutlichen, ohne dabei den Fokus primär auf medizinisch-physiologische Zusammenhänge zu richten. Hackfort positioniert sich dazu wie folgt: „Sport kann [...] nicht nur Möglichkeiten der Motivationsbefriedigung (z.B. des Gesundheits-, Bewegungs-, Leistungsmotivs und sozialer Motive) bieten, sondern birgt auch Risiken, die im Sportunterricht z.B. zu Verletzungsangst, Angst vor Blamage oder Angst vor Misserfolg führen.“[2] Die vorliegende Arbeit stützt sich differenzierend auf eben jene drei unterschiedenen Hauptursachen der Angstentwicklung: So kann in Situationen von Leistungsüberprüfungen z.B. die sog. Prüfungsangst[3] (PA) festgestellt werden, welche entsprechend das äquivalente Pendant zur „Angst vor Misserfolg“ bildet. Diesbezüglich ergibt sich bereits eine elementare Perspektive in fächerübergreifender Sicht: Sobald die ‚Augen auf einen allein gerichtet’ sind, kommen bei vielen Schülern Momente des Unwohlseins auf. Man fühlt sich beobachtet, unter Druck gesetzt und fürchtet, einem standardisierten Anspruch nicht gerecht werden zu können. Dies spürt sowohl gleichermaßen der Prüfling am Stufenbarren im Sportunterricht als auch der ‚Gedichtezitierer’ im Literaturunterricht des Faches „Deutsch“. Hackfort ergänzt dahingehend schließlich noch, dass darüber „hinaus [...] die Bezüge z.B. einer sportspezifischen Misserfolgsängstlichkeit mehr oder weniger generell sein [können], d.h., diese Misserfolgsängstlichkeit kann sich etwa auf Ballspiele und/oder Turnen und/oder Schwimmen beziehen.“[4] Des Weiteren tritt im Schulsport typischer Weise gehäuft die sog. Verletzungsangst (VA) auf, d.h. eine Art Selbstschutzform, die mit risikobehafteten Situationen einhergeht. Sie stellt ein Signal für die im sportlichen Kontext subjektiv empfundene Gefahrensituation dar. Auffällig ist dabei, dass sich dieses Faktum im Rahmen des schulischen Unterrichts offensichtlich nahezu alleinig auf das Fach „Sport“ beschränkt, weshalb diesem auch im Besonderen das Augenmerk gewidmet werden sollte. Ferner ergeben sich im sportlichen Wettkampf regelmäßig und gehäuft Dispositionen, in denen man einerseits zum „Helden“ avancieren und sich andererseits jedoch auch „bis auf die Knochen blamieren“ kann. Besonders in Situationen mit vermeintlich niedrigem Anforderungsniveau hat man des Öfteren eher mehr „zu verlieren“ als „zu gewinnen“ – oder mit anderen Worten: Ein Erfolg wird weniger ausgiebig belohnt als eine Fehlhandlung eklatant negativ gewertet wird. In diesem Fall kann man von der sog. Angst vor Blamage (BA) sprechen. Eine dahingehend typische Situation stellen beispielsweise Niederlagen von Jungen gegen Mädchen in diversen Wettkämpfen oder dergleichen dar. In der Forschungsliteratur findet sich eine Bandbreite an weiteren Differenzierungs- bzw. Erscheinungsformen jenes Gemütszustandes. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit stützt sich der folgende lehrpraktische Teil schwerpunktmäßig jedoch auf die im vorangegangen Abschnitt dargelegten Ausführungen. Laut Psychoanalytischem Ansatz nach Freud (um 1890) entspricht das der Stundenkonzeption vorausgehende, in der Praxis beobachtete und nachfolgend kommentierte Fallbeispiel der sog. „Realangst“[5]. Die Behavioristen des Lerntheoretischen Ansatzes fassen Angst dagegen einem Konditionierungsprozess entsprechend als eine erlernte Verhaltensweise auf. Jene Lernprinzipien müssen dabei jedoch nicht als Reiz-Reaktions-Sequenz direkt im Individuum ablaufen: So kann auch über die Beobachtung anderer Personen Angst „erlernt“ werden. Beim Lernen am Modell reicht bereits Beobachtung eines Vordermanns aus, der beispielsweise beim Sprung „verunglückt“. Realangst ist nun schließlich in der sekundären Sozialisationsinstanz ‚Schule’ häufig als Angst vor Schmerz und körperlicher Schädigung (als eine zentrale Angstform im Sportunterricht) zu beobachten. Dabei muss die Schmerzerwartung nicht unbedingt auf die persönliche Erfahrung des Sportlers zurückgehen. Ein zu vermeidender Generalisierungseffekt kann sogar so weit führen, dass die gesammelte Schmerzerfahrung beispielsweise beim Sprung auch auf andere Geräte übertragen wird. Im schlechtesten Falle könnte dies wiederum eine völlige Verneinung des Geräteturnens zur Folge haben. Laut Zieschang (1979, 242) beeinflussen folgende Variablen den Eintritt bzw. die Ausprägung des Angstgefühls, woraus sich unmittelbare Ansatzpunkte für die Unterrichtspraxis ergeben:

- Intensität der physischen Gefährdung
- Raum-zeitliche Nähe der physischen und/oder psychischen Gefährdung
- Ähnlichkeitsgrad der Reizsituation mit einer anderen als gefährlich erfahrenen
- Schweregrad unangenehmer Folgen, die bei Versagen zu erwarten sind
- Grad der Misserfolgs-Wahrscheinlichkeit

Des Weiteren werden auch die Wahrnehmungsleistungen beeinflusst. Große Angst bewirkt dabei, dass sich für den Betroffenen situative Gegebenheiten verändern und diese durch ihn nicht der Realität entsprechend wahrgenommen werden. Daraus erwachsen z.T. eklatante Fehleinschätzungen (wie z.B. Gerätehöhe und/oder -länge beim Kastensprung), was wiederum eine weitere Ursache vieler Sportunfälle sein kann. Angst in Folge von Orientierungsmangel tritt auch bei Sprüngen über Geräte (einer bewegungstechnischen Struktursynthese[6] aus Sprung- und Beinschwungbewegung entsprechend) bzw. Rotationen um die Längs- und Breitenachse auf. Infolge mangelhafter Bewegungserfahrungen (respektive daraus resultierender Informationsdefizite), die im Schulsport heutzutage bedauerlicherweise mehr die Regel als die Ausnahme bilden, fungiert dieser existentielle Mechanismus als Schutz, der den Menschen vor Schäden beim sportlichen Handeln bewahrt.

1.2 Relevanz für den Schulsport

Wie in Punkt 1.1 dargelegt, wird sich im Hinblick auf den praktischen Teil mit der Thematisierung und ‚Therapierung’ schwerpunktmäßig der m.E. nach drei wesentlichen Erscheinungsformen von Angst im sportspezifischen Rahmen gewidmet. Innerhalb eines Stationsbetriebes erfolgt die Konfrontation der Schüler mit Situationen, in denen jene obig erläuterten Risiken im Mittelpunkt stehen sollen. Die dargelegte Fallschilderung der im Rahmen eines Praktikums hospitierten Szene dient als einführender Teil zur Schilderung beispielhafter Ausschnitte aus dem schulischen Alltag – damit soll u.a. aufgezeigt werden, dass es sich bei der Angstthematik keinesfalls lediglich um ein gedankliches Konstrukt handelt, sondern es sich durchaus um real existierende und alltäglich vorkommende Ereignisse erlebter Schulkultur handelt. Jenem Bezug zur unterrichtlichen Praxis schließt sich eine exemplarische Ermittelung von Diskrepanzen zwischen und Norm und Wirklichkeit an. Lösungsmöglichkeiten zur Aufhebung jener Divergenzen soll sich schließlich noch am Ende anhand konstruierter Situationen im Praxisteil angenähert werden. Handelt es sich um Schüler der gymnasialen Oberstufe, so kann man an deren geistig fortgeschrittenen Entwicklungsstand in der Praxis bereits gut anknüpfen. Dies bedeutet im vorliegenden Fall, dass mit der Gruppe bereits eine Kommunikation bezüglich der Verbalisierung von Ängsten und der Wiedergabe von eigenem Handeln und Befinden durchaus ergiebig möglich sein kann. Theoretische Aspekte werden demnach nutzbringend besprochen, reflektiert und diskutiert, woran sich gleichermaßen auch der bewusstere Vollzug von geeigneten Angstreduktionsmaßnahmen anschließt.

Die Bedeutung der Untersuchung und auch entsprechenden Intervention bei Feststellung von Ängstlichkeit im Sportunterricht geht bereits daraus hervor, dass „spezifische Ängste nicht nur einen Einfluss auf die Leistung im Sportunterricht und außerschulischen Sport haben, sondern schon wesentlich die Zuwendung zum Sport und die Bereitschaft zur längerfristigen sportlichen Betätigung mitbestimmen.“[7] Doch gerade die (möglichst dauerhafte) Bindung an den Sport und damit Etablierung im Alltag eines jeden Menschen sollten gerade u.a. nicht nur hinsichtlich der positiven Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System und seiner sozialen Integrationsfunktion fester Bestandteil sein: „Dies [Bereitschaft zur längerfristigen sportlichen Betätigung] gilt nicht nur für in sportlichen Ausnahmesituationen entstehende Ängste, sondern vor allem für – hier als „sportbezogene Ängstlichkeit“ bezeichnete – überdauernde angstthematische Voreingenommenheiten im Sport. Sportspezifische Ängstlichkeit veranlasst Kinder, diesen Tätigkeitsbereich so weit wie möglich zu meiden. Die Folgen können kurzfristig darin bestehen, dass solche Kinder als weniger attraktive Spielkameraden gelten und ihnen Anerkennung in diesem Bereich versagt bleibt. Langfristig kann jener Umstand zu einer Abneigung diesem Betätigungsfeld gegenüber führen und damit zu einer Einschränkung der Erfahrungs- und Freizeitmöglichkeiten.“[8]

[...]


[1] „Empirische Studien zeigen, dass sich Zusammenhänge zwischen subjektiven Befindlichkeiten von Schülern im Sportunterricht und dem Grad ihrer Zuwendung zum Tätigkeitsfeld Sport in der Freizeit nachweisen lassen. Für die Entwicklung eines dauerhaften Sportinteresses und einer sinnerfüllten Sportpartizipation bei (annähernd) allen Schülern stellt es sich so als unumgänglich dar, die Variablen des Schulsportgeschehens zu bestimmen und gezielt zu beeinflussen, die Abwehrhaltungen gegenüber dem Sport verursachen und aufrechterhalten. Eine solch zentrale und intervenierende Variable bildet die Angst der Schüler im Sportunterricht. Um mit ihrer Angst unter den Bedingungen des Sportunterrichts quasi in eigener Regie fertig zu werden, entwickeln Schüler oft naive Angstbewältigungsstrategien. Auch das Meiden von sportlichen Aktivitäten generell kann sich als naive Angstbewältigungsstrategie erweisen. Solche (...) [Strategien] stellen somit spontane „Lösungen“ für ein Problem dar, dessen Bewältigung nie Thema des Sportunterrichts wurde. Um eine neue Lösung finden zu können, müsste der Schüler im Problemlösebereich mit einem für diese Fragen kompetenten Experten (Sportlehrer) interagieren können.“ (Schack: Intervention zur Entwicklung der Handlungskontrolle sport-bezogen ängstlicher Schüler – Problemstellung und Ansatz, S. 314 f.)

[2] Hackfort: Theorie und Analyse sportbezogener Ängstlichkeit, S. 9. (Hervorhebungen von mir, A.S.)

[3] Die Namen „Prüfungsangst“, „Verletzungsangst“ und „Angst vor Blamage“ werden im Nachfolgenden aus Gründen der ökonomischen Praktikabilität auch mit den Kürzeln „PA“, „VA“ bzw. „BA“ Erwähnung finden. Hackfort ergänzt seine Ausführungen zu den Angstdimensionen im Sportunterricht noch um die „Angst vor Konkurrenz“ und die „Angst vor Unbekanntem“, die vorliegend allerdings keine weitere Erwähnung finden.

[4] Ebd.

[5] Darunter ist jene Form von Angst zu verstehen, die sich auf Gefahren der Außen- und Umwelt bezieht; also eine, die auf ein bestimmtes Objekt, eine bestimmte Person oder eine bestimmte Situation gerichtet ist. Sie stellt die Angst vor Schmerz und körperlicher Schädigung dar und kann genau beschrieben werden (der Turner hat z.B. wie im vorliegenden Fall Angst, sich am Gerät zu verletzen [durch erwartete Nichtüberbrückung der Länge] oder eine Bewegung in Abwesenheit seines Lehrers zu turnen). (Vgl. Baumann: Formen der Angst und deren Vermeidung im Geräteturnen. S. 262-269.)

[6] Vgl. Thorhauer: Sport - Theorie für die Sekundarstufe I, S. 61 und S. 64.

[7] Hackfort: Theorie und Analyse sportbezogener Ängstlichkeit, S. 9.

[8] Ebd.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Angst im gymnasialen Sportunterricht - Erscheinungsformen und Reduktionsmaßnahmen
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Sportwissenschaft)
Veranstaltung
Stufenbezogene Fachdidaktik
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
20
Katalognummer
V91747
ISBN (eBook)
9783638058438
ISBN (Buch)
9783638948654
Dateigröße
467 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Angst, Sportunterricht, Erscheinungsformen, Reduktionsmaßnahmen, Stufenbezogene, Fachdidaktik
Arbeit zitieren
Stud. phil. Annabelle Senff (Autor:in), 2005, Angst im gymnasialen Sportunterricht - Erscheinungsformen und Reduktionsmaßnahmen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91747

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Angst im gymnasialen Sportunterricht - Erscheinungsformen und Reduktionsmaßnahmen



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden