Rolle der Sozialen Arbeit bei der Betreuung von Menschen mit Demenzerkrankungen


Hausarbeit, 2020

63 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Aufbau der Arbeit

2. Demenz
2.1 Formen und Symptome von Demenz
2.1.1 Primäre demenzielle Erkrankungen
2.1.2 Sekundäre demenzielle Erkrankungen
2.1.3 Alzheimer
2.2 Rechtliche Regelungen zur Betreuung Demenzkranker
2.2.1 Geschäftsfähigkeit und Willenserklärungen
2.2.2 Betreuungsrechtliche Regelungen
2.2.3 Fahrtauglichkeit
2.3 Betreuungs- und Unterbringungsformen bei Demenzerkrankungen
2.3.1 Häusliche Versorgung
2.3.2 Teilstationäre und stationäre Versorgung

3. Selbstbestimmung
3.1 Definition von Selbstbestimmung
3.2 Selbstbestimmung im medizinisch-pflegerischen Kontext
3.3 Lebensqualität von demenzkranken Menschen
3.4 Selbstbestimmungsmöglichkeiten bei Demenzerkrankungen
3.5 Typische Freiheits- und Selbstbestimmungseinschränkungen bei demenzkranken Menschen
3.6 Benötigte Ressourcen zur Aufrechterhaltung der Selbstbestimmung bei demenzkranken Menschen
3.6.1 Materielle Ressourcen
3.6.2 Immaterielle Ressourcen

4. Rolle der Sozialen Arbeit bei Menschen mit Demenzerkrankungen
4.1 Theoretische Konzepte der Sozialen Arbeit mit Anwendungsmöglichkeiten bei Demenzerkrankungen
4.1.1 Lebensweltorientierung
4.1.2 Biografische Lebensbewältigung
4.1.3 Empowerment
4.1.3.1 Begriffliche Klärung und Charakteristik des Empowermentkonzepts
4.1.3.2 Theoretische Einordnung des Empowermentkonzepts
4.1.3.3 Rolle des Empowermentkonzepts im Kontext von Demenzerkrankungen
4.2 Akteure der Sozialen Arbeit und deren Qualifikation
4.2.1 Aufgabenfelder
4.2.2 Angehörigenberatung und -betreuung
4.2.2.1 Angehörige von demenzkranken Menschen als Adressaten der Sozialen Arbeit
4.2.2.2 Inhalte und Gesprächsführung bei der Angehörigenberatung
4.2.2.3 Voraussetzungen und Erfolgsfaktoren der Angehörigenberatung
4.2.2.4 Begleitete Gesprächs- und Selbsthilfegruppen für Angehörige
4.2.3 Unterstützungsleistungen für demenzkranke Menschen
4.2.3.1 Begleitete Selbsthilfegruppen für demenzkranke Menschen in einer Frühphase der Erkrankung
4.2.3.2 Sozialpädagogische Betreuung von Wohngruppen

5. Entwurf einer ethisch wünschenswerten Betreuungsform von demenzkranken Menschen
5.1 Bewertungsdimensionen für die Unterbringungssituation von demenzkranken Menschen
5.2 Best-Practice-Beispiele im In- und Ausland
5.2.1 Pflegeheim De Bleerinck in den Niederlanden
5.2.2 St. Nikolaus Krankenhaus in Wallerfangen
5.2.3 Musik- und Tanzcafé der Alzheimer Gesellschaft München
5.2.4 Technische Hilfsmittel in deutschen Pflegeheimen
5.2.5 Freiburger Modell – Wohngruppen in geteilter Verantwortung für demenzkranke Menschen
5.3 Verbesserungsansätze

6. Fazit

Literatur

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Verteilung der primären Demenzen

Abbildung 2: Beeinträchtigungen der Angehörigen von demenzkranken Menschen

Abbildung 3: Grundriss des Pflegeheims De Bleerinck im niederländischen Emmen

Abbildung 4: Zieldimensionen der geteilten Verantwortung

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Schweregradeinteilung bei einer Alzheimer-Erkrankung

Tabelle 2: Technische Hilfsmittel bei der häuslichen Betreuung von demenzkranken Menschen

Tabelle 3: Verfahren zur Messung der Lebensqualität von Demenzkranken

Tabelle 4: Wichtige Faktoren beim Leben mit Demenz

Tabelle 5: Bewertungsdimensionen für die Unterbringungssituation von demenzkranken Personen

Tabelle 6: Technische Hilfsmittel und deren Auswirkungen auf die Selbstbestimmung

1. Einleitung

1.1 Problemstellung

Der Sozialen Arbeit wird zugeschrieben, dass die Förderung von alten Menschen im Allgemeinen und von alten demenzkranken Menschen im Besonderen, bisher eher eine untergeordnete Rolle spielt. So wird bemängelt, dass es im Hinblick auf die Betreuung demenzkranker Menschen wesentlich weniger sozialarbeiterische Konzeptionen gibt als dies in anderen Tätigkeitsfeldern der Fall ist. Dies ist umso bedeutsamer, als dass es durch den demografischen Wandel bzw. durch die gesellschaftliche Alterung zu einer Zunahme an demenziellen Erkrankungen kommt. Die Anzahl an dementen Menschen erhöht sich nicht nur absolut sondern auch in Relation zur jüngeren, nichtdementen Bevölkerung (vgl. Rensch 2012, S. 544f.).

Es erscheint offensichtlich, dass die Lebenssituation von demenzkranken Menschen und deren Angehörigen durch vielfältige Herausforderungen geprägt ist, insbesondere dann, wenn die Angehörigen die demenzkranke Person zuhause betreuen. Neben der medizinisch-pflegerischen Betreuung erscheint es daher unerlässlich zu sein, dass die demenzkranken Menschen und die pflegenden Angehörigen Unterstützung erhalten, die sich auf die Bewältigung des Alltags sowie auch auf den psycho-sozialen Bereich bezieht. Gerade bei Demenzerkankungen, bei denen die Betroffenen sukzessive an Fähigkeiten verlieren, erscheint es in normativer Hinsicht wünschenswert, dass die Betroffenen ein größtmögliches Maß an Selbstbestimmung haben und einer möglichst geringen Fremdkontrolle unterliegen.

In der vorliegenden Arbeit soll nun der Frage nachgegangen werden, welche Möglichkeiten die Soziale Arbeit aufweist, um positiv auf die Lebenslage demenzkranker Menschen und deren Angehörigen einzuwirken. Insbesondere gilt es zu untersuchen, wie die Soziale Arbeit die Selbstbestimmung von demenzkranken Menschen bestmöglich fördern bzw. aufrechterhalten kann. Von Relevanz ist dabei, welche allgemeinen Konzepte und Instrumente der Sozialen Arbeit auf die Betreuung demenzkranker Menschen und deren Angehörigen übertragen werden können.

1.2 Aufbau der Arbeit

Im zweiten Kapitel wird die Demenz thematisiert, wobei zunächst die Formen und Symptome von Demenz erörtert werden. In diesem Zusammenhang wird auf die primäre und sekundäre Demenz und gesondert auf die Alzheimer-Erkrankung eingegangen. Nach einer Darlegung der rechtlichen Grundlagen hinsichtlich der Betreuung Demenzkranker, stehen die Betreuungs- und Unterbringungsformen bei Demenzerkrankungen im Mittelpunkt.

In Kapitel 3 erfolgt eine Auseinandersetzung über die Selbstbestimmung. Nach einer Definition dieses Begriffes wird veranschaulicht, wie die Rahmenbedingungen der Selbstbestimmung im medizinisch-pflegerischen Kontext gestaltet sind. Im weiteren Verlauf wird die Lebensqualität von demenzkranken Menschen behandelt, bevor die Selbstbestimmungsmöglichkeiten bei Demenzerkrankungen fokussiert werden. Ein weiteres Forschungsinteresse liegt auf den materiellen und immateriellen Ressourcen, die für die Aufrechterhaltung der Selbstbestimmung bei Demenzerkrankungen erforderlich sind.

Im Fokus des vierten Kapitels steht die Rolle der sozialen Arbeit bei der Betreuung von dementen Menschen. Hierfür werden zunächst die theoretischen Konzepte der Lebensweltorientierung, der biografischen Lebensbewältigung und des Empowerment berücksichtigt. Ferner werden die Akteure der Sozialen Arbeit im Hinblick auf die Betreuung Demenzkranker analysiert. Von Relevanz sind dabei die Aufgabenfelder, die Angehörigenberatung sowie konkrete Maßnahmen für demenzkranke Menschen. Zu Letzteren gehören vor allem Selbsthilfegruppen für Menschen, die sich in einer Frühphase der Erkrankung befinden.

In Kapitel 5 wird der Ansatz verfolgt, eine ethisch wünschenswerte Betreuungsform von Demenzkranken entworfen. In diesem Kontext werden zunächst Best-Practice-Beispiele aus dem In- und Ausland angeführt. Berücksichtigung finden vor allem das niederländische Pflegeheim De Bleerinck sowie das St. Nikolaus Krankenhaus im saarländischen Wallerfangen, das ein umfangreiches Projekt zur Förderung demenkranker PatientInnen eingerichtet hat. Zudem wird aufgezeigt, welche innovativen technischen Pflegemittel innerhalb von stationären Einrichtungen eingesetzt werden und wie diese Hilfsmittel die Selbstbestimmung der PatientInnen positiv beeinflussen kann. Auch wird auf das sogenannte Freiburger Modell eingegangen, das sich auf die Gestaltung von Wohngruppen für demenzkranke Menschen bezieht. Daran anknüpft erfolgt die Entwicklung von Verbesserungsansätzen.

Die Arbeit schließt mit einem Fazit, das auf die Frage bezogen ist, wie die Soziale Arbeit bei der Betreuung Demenzkranker Selbstbestimmungsrechte ermöglichen kann.

2. Demenz

2.1 Formen und Symptome von Demenz

In Bezug auf die Formen und Symptome von Demenz wird üblicherweise zwischen primären und sekundären demenziellen Erkrankungen differenziert (vgl. Radenbach 2014, S. 19).

2.1.1 Primäre demenzielle Erkrankungen

Die primären demenziellen Erkrankungen machen den größten Anteil der Demenzen aus. Die primäre Demenz, die nach gegenwärtigem Kenntnisstand als unheilbar gilt, kann in eine degenerative und eine vaskuläre Demenz unterteilt werden, wobei es auch Mischformen gibt. Charakteristisch für die degenerative Demenz ist, dass ein Abbau der Nervenzellen im Gehirn erfolgt. Dabei schrumpfen die Zellen in bestimmten Gehirnregionen oder sterben ganz ab. Es kommt zu stetig voranschreitenden Abbauprozessen, wodurch die geistige Leistung sowie die Alltagsbewältigung weitegehend gleichmäßig nachlassen. Zu der degenerativen Demenz zählen unter anderem die frontotemporale Demenz (Morbus Pick) sowie die Parkinson Krankheit (vgl. Abaz 2017, S. 49). Auch die Lewy-Körperchen Demenz, Prionenerkrankungen und Chorea Huntington werden unter diesem Demenztypus subsumiert (vgl. Zimmermann 2009, S. 10). Darüber hinaus wird die Alzheimer-Erkrankung, auf die in Kapitel 2.1.3 gesondert eingegangen wird, der degenerativen Demenz zugeordnet (vgl. Abaz 2017, S. 49).

Bei der vaskulären Demenz handelt es sich um eine zerebrale Durchblutungsstörung. Für diesen Demenztyp werden oftmals die Begriffe ‚Multi-Infarkt-Syndrom‘, ‚Morbus Binswanger‘ oder ‚chronisch zerebrovaskuläre Insuffizienz‘ verwendet (vgl. Steinhagen-Thiessen / Hanke 2003, S. 10). Die vaskuläre Demenz zeichnet sich dadurch aus, dass Veränderungen der kleinen Blutgefäße im Gehirn eintreten. Ursache für die vaskuläre Demenz sind viele kleine, aufeinander folgende Hirninfarkte. Der Abbauprozess erfolgt bei dieser gefäßbedingten Erkrankung üblicherweise stufenförmig bzw. schubweise, so dass jeder Hirninfarkt mit einer Verschlechterung der geistigen Fähigkeiten einhergeht. Bis zum Eintreten eines nächsten Schubs bleibt der Zustand relativ gleich (vgl. Abaz 2017, S. 49). Auch im Zusammenhang mit einer HIV-Erkrankung können voll ausgeprägte Demenzen entstehen (vgl. Sturma / Heinrichs 2014, S. 231).

Insgesamt können 90 Prozent aller Demenzerkrankungen der primären Demenz zugeordnet werden, so dass die sekundäre Demenz, auf die im nachfolgenden Kapitel eingegangen wird, zehn Prozent der Demenzfälle ausmachen (vgl. Roy 2013, S. 47). Abbildung 1 zeigt auf, wie innerhalb der primären Demenz die Verteilung der Erkrankungen gestaltet ist. Dabei zeigt sich, dass die degenerative Demenz weitaus häufiger als die vaskuläre Demenz ist (vgl. Roy 2013, S. 49).

Abbildung 1: Verteilung der primären Demenzen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Roy (2016), S. 49.

2.1.2 Sekundäre demenzielle Erkrankungen

Der Begriff der sekundären demenziellen Erkrankungen bezieht sich darauf, dass die Demenz die Folge einer anderen Erkrankung darstellt, wobei die auslösende Ursache außerhalb des Gehirns liegt (vgl. Radenbach 2014, S. 19). Sekundäre demenzielle Erkrankungen stellen somit funktionelle Störungen des Gehirns dar, die keine hirnorganische Ursache haben. Diese Demenzform kann durch Krankheiten (Schilddrüsenerkrankungen, Herz-Kreislauf-Krankheiten etc.), durch Hirnverletzungen oder durch chronische Vergiftungen (insbesondere Alkohol, Drogen und Medikamente) entstehen (vgl. Sturma / Heinrichs 2014, S. 231). Auch Tumore oder Depressionen können eine sekundäre Demenz zur Folge haben (vgl. Abaz 2017, S. 50). Wird die Grunderkrankung erfolgreich behandelt, ist in vielen Fällen auch die demenzielle Erkrankung reversibel (vgl. Sturma / Heinrichs 2014, S. 231). Demnach kann eine gezielte Behandlung der Grunderkrankung zu einer Verbesserung oder sogar vollständigen Wiederherstellung der geistigen Leistungsfähigkeit führen (vgl. Abaz 2017, S. 50).

2.1.3 Alzheimer

In der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD, International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) wird zwischen zwei Alzheimer-Typen unterschieden. Der Typus 1 setzt frühestens ab dem 65. Lebensjahr ein. Der Krankheitsverlauf verläuft bei diesem Typus langsamer, wobei Gedächtnisstörungen das Hauptmerkmal darstellen. Typus 2 beginnt bereits vor dem 65. Lebensjahr und ist durch einen relativ raschen Verlauf geprägt, der von vielen Beeinträchtigungen und Störungen begleitet wird (vgl. Matolycz 2016, S. 64).

Ein zentrales Symptom einer beginnenden Alzheimer-Erkrankung ist die Vergesslichkeit im Arbeits- und Alltagsleben, Probleme bei der räumlichen und zeitlichen Orientierung, Sprechprobleme, Minderung der Urteilsfähigkeit, Zerstreutheit bei gewohnten Handlungen, Verlust der Motivation und eine ausgeprägte Veränderung der Stimmung. Es kommt nicht nur zu einer Abnahme des Erinnerungsvermögens, vielmehr wird die Kompetenz reduziert, Zusammenhänge zur erfassen (vgl. Abaz 2017, S. 52).

Die Menschen, die sich in einem mittleren Krankheitsstadium befinden, sind oftmals in körperlicher Hinsicht noch verhältnismäßig fit. Die Personen mit einer schweren Alzheimer-Erkrankung sind vollkommen von anderen Menschen abhängig, da sie selbst einfachste Anweisungen nicht ausführen können. Im Endstadium sind diese Personen nicht fähig, ihre Umwelt wahrzunehmen (vgl. Grond 2009, S. 22). Somit sind diese Demenzkranke häufig nicht mehr fähig, „Krankheitseinsicht zu zeigen, Endlichkeit zu thematisieren und ihr Sterben zu antizipieren; der gedankliche Weg in die Zukunft (‚Was muss ich noch erleiden? Wie wird es einmal mit mir sein? Gibt es ein Fortleben nach dem Tod?’) ist ihnen unzugänglich“ (Lamp 2010, S. 25). Gleichsam führen die kognitiven Einbußen bei diesen PatientInnen zu einer fehlenden Schmerzerinnerung, einer unzureichenden Fähigkeit der Schmerzkommunikation und zu einer veränderten Schmerzverarbeitung (vgl. Schwermann 2010, S. 45). In manchen Fällen geben diese Demenzkranke auf Befragen sogar an, keine Schmerzen zu haben, obwohl dies nicht der Realität entspricht (vgl. Herbke 2010, S. 95).

Gemäß einer gängigen Einteilung können bei einer Alzheimer-Erkrankung sieben Schweregrade voneinander abgegrenzt werden (vgl. Philipp-Metzen 2008, S. 29). Dies ist in Tabelle 1 dargestellt.

Tabelle 1: Schweregradeinteilung bei einer Alzheimer-Erkrankung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung auf Grundlage von Philipp-Metzen (2008), S. 29f.

Die Vergesslichkeit bei einer beginnenden Alzheimer-Erkrankung unterscheidet sich in Art und Ausmaß von der klassischen Vergesslichkeit, von der zahlreiche Menschen in einem höheren Lebensalter betroffen sind (vgl. Matolycz 2016, S. 66). Hierbei handelt es sich um eine altersassoziierte, kognitive Leistungseinschränkung leichterer Art, die als ‚Mild Cognitive Impairment‘ bezeichnet wird. Es herrschen dabei Gedächtnis-, Lern- und Konzentrationsstörungen vor, die aber nicht den Grad einer Demenz erreichen (vgl. Philipp-Metzen 2008, S. 25). Typisch für eine klassische Vergesslichkeit ist, dass die Betroffenen beispielsweise nicht das Datum oder den Wochentag wissen. Auch werden oftmals Gegenstände (Schlüssel, Brille etc.) liegengelassen und vergessen. Bei einer beginnenden Alzheimer-Erkrankung kann es dagegen vorkommen, dass die Betroffenen nicht mehr wissen, wie sie an einen bestimmten Ort gekommen sind oder wie sie den Weg zurückfinden sollen. Zudem werden Gegenstände in einer nichtfunktionalen Beziehung zueinander gebracht, so dass beispielsweise die Medikamentenschachtel im Blumentopf abgelegt wird (vgl. Matolycz 2016, S. 66). Während bei einer klassischen Vergesslichkeit den Betroffenen bestimmte Worte oder Begriffe nicht mehr einfallen, kommt es bei einer beginnenden Alzheimer-Erkrankung häufig zu ausgeprägten Wortfindungsstörungen, so dass beispielsweise „anstelle des ‚gesuchten‘ Wortes oft eines verwendet wird, das im Inhalt einigermaßen ähnlich ist oder damit zu tun hat (etwa ‚Schal‘ anstelle von ‚Winter‘) […]“ (Matolycz 2016, S. 66).

2.2 Rechtliche Regelungen zur Betreuung Demenzkranker

Innerhalb der rechtlichen Regelungen scheint vor allem von Interesse zu sein, wie die Geschäftsfähigkeit von demenzkranken Menschen gestaltet ist und in welcher Form sie Willenserklärungen vornehmen können. Darüber hinaus sind auch betreuungsrechtliche Regelungen zu untersuchen.

2.2.1 Geschäftsfähigkeit und Willenserklärungen

Die häufigsten rechtlichen Probleme im Kontext von Demenzerkrankungen resultieren daraus, dass die PatientInnen immer weniger in der Lage sind, ihre „persönlichen Angelegenheiten selbst zu regeln, Rechtsgeschäfte abzuschließen und Willenserklärungen abzugeben“ (Fischer-Börold / Zettl 2006, S. 103). Erschwert wird dies durch den Fakt, dass die Betroffenen immer weniger im Stande sind, ihre eigenen Leistungsgrenzen zu erkennen. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, dass die PatientInnen in der Anfangszeit ihrer Erkrankung rechtliche Dokumente verfassen, aus denen ihre Entscheidungen und Wünsche hervorgehen. Zusammen mit den Angehörigen können dadurch finanzielle und insbesondere gesundheitliche Fragen im Sinne der PatientInnen geregelt werden (vgl. Fischer-Börold / Zettl 2006, S. 103f.).

Wenn eine Person die Diagnose einer demenziellen Erkrankung erhält, muss im Einzelfall geprüft und entschieden werden, ob die Person weiterhin geschäftsfähig ist. Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ist nicht genau festgelegt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit eine Geschäftsunfähigkeit vorliegt. Die fehlenden Kriterien sind dahingehend zu interpretieren, dass das Gesetz so ausgerichtet ist, einer Person so lange wie möglich die Geschäftsfähigkeit zuzubilligen. Eine Geschäftsunfähigkeit hat zur Folge, dass die Betroffenen nicht mehr über ihre Finanzen, ihre Immobilien oder größere Produktkäufe entscheiden können. Gemäß § 1896 des Bürgerlichen Gesetzbuch wird für geschäftsunfähige Personen eine gesetzliche Betreuung eingerichtet. Dabei wurde in den 1990er Jahren der Begriff der Entmündigung aus diesem Gesetzespassus herausgestrichen (vgl. Ohlmann 2017, S. 12f.).

Eine zentrale Rolle spielt die Frage der Geschäftsfähigkeit bei der Erstellung eines Testaments. Um zu verhindern, dass ein solches Testament später angefochten wird, ist es empfehlenswert, dass die sogenannte Testierfähigkeit durch einen Psychiater oder einen Facharzt geprüft und bestätigt wird. Durch eine Demenzerkrankung ist die Willensfähigkeit der PatientInnen nicht automatisch aufhoben, zum Beispiel hinsichtlich der Partizipation an einer wissenschaftlichen Studie respektive einem medizinischen Heilversuch. In diesem Fall können die Betroffenen selbständig eine Entscheidung darüber treffen, welche Behandlungsform sie erhalten möchten (vgl. Fischer-Börold / Zettl 2006, S. 104).

2.2.2 Betreuungsrechtliche Regelungen

Das Betreuungsrecht gibt den gesetzlichen Rahmen für die Vertretung der PatientInnen in persönlichen Angelegenheiten vor, die nicht mehr von ihnen selbständig vorgenommen werden können. Hierzu gehören unter anderem die Entscheidung bezüglich der Aufnahme in ein Pflegeheim oder die Verwaltung des Vermögens. Die Betreuung kann von einem Angehörigen des Patienten umgesetzt werden oder von einer fremden Person. Zur Veranlassung einer Betreuung sind folgende Schritte erforderlich:

- Zunächst wird ein ärztliches Gutachten benötigt, aus dem die Ursache, der Umfang und die voraussichtliche Dauer der Betreuung hervorgehen.
- Anschließend wird beim örtlichen Vormundschaftsgericht ein Antrag auf Betreuung gestellt.
- Das Vormundschaftsgericht trifft eine Entscheidung über das Erfordernis der Betreuung. Hierbei wird das angeführte ärztliche Gutachten berücksichtigt, wobei es auch zu einer persönlichen Anhörung der demenzkranken Personen kommt (vgl. Fischer-Börold / Zettl 2006, S. 106).

Ein wichtiges Betreuungsinstrument ist die Vorsorgevollmacht. Mit dieser Erklärung „kann eine Person eine andere rechtlich dafür bestimmen, sich um ihre finanziellen Angelegenheiten zu kümmern und / oder andere Entscheidungen in ihrem Interesse zu treffen, sobald sie selbst hierzu nicht mehr in der Lage ist“ (Pulsford / Thompson 2016, S. 73). Dies bedeutet, dass die bevollmächtigte Person nicht sofort ein rechtswirksames Handeln für die PatientInnen vornehmen darf, sondern erst zu dem in der Vollmacht definierten Zeitpunkt (vgl. Pulsford / Thompson 2016, S. 73). In der Vollmacht werden persönliche und finanzielle Belange der demenzkranken Person geregelt. Tritt ein medizinischer Notfall ein, weist die bevollmächtigte Person das Recht auf, sämtliche Regelungen zu treffen. Hierzu zählen vor allem ein weitreichendes Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der erforderlichen Heilbehandlungen sowie das Recht auf Einsicht in die Krankenakte (vgl. Fischer-Börold / Zettl 2006, S. 106).

Ein weiteres zentrales Betreuungsinstrument ist die Betreuungsverfügung. Wenn die demenkranke Person keine Bevollmächtigten hat, die sich um seine Angelegenheiten kümmern können, bestellt das Betreuungsgericht einen Betreuer als gesetzlichen Vertreter. Mittels einer Betreuungsverfügung können die PatientInnen vor Eintritt der Betreuungsbedürftigkeit Vorschläge zur Person der Betreuungskraft äußern. Auch können Wünsche hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung der Betreuung unterbreitet werden. Im Gegensatz zur Vorsorgevollmacht und zur Betreuungsverfügung bezieht sich eine Patientenverfügung lediglich auf den Bereich der Gesundheitsvorsorge. Die Patientenverfügung ist generell unabhängig von einer bestimmten Betreuungsperson und in vielen Fällen auslegungsfähig bzw. -bedürftig. Aus diesem Grund gilt es als ratsam, wenn eine Patientenverfügung mit einer Vorsorgevollmacht und / oder einer Betreuungsverfügung kombiniert wird (vgl. Lanzrath 2016, S. 58).

2.2.3 Fahrtauglichkeit

Ein weiterer rechtlicher Aspekt bei einer beginnenden Demenzerkrankung stellt die Frage nach der Fahrtauglichkeit dar. Im Bereich der leichten Demenz gibt es keine definierte Grenze, die sich auf den Verlust der Fahrtauglichkeit bezieht (vgl. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde / Deutsche Gesellschaft für Neurologie 2010, S. 82). Gleichsam ist bereits in einem frühen Krankheitsstadium die Reaktionsfähigkeit herabgesetzt. Auch die Einschätzung von Geschwindigkeiten und Entfernungen sind häufig eingeschränkt. Zuständigkeit für die Entscheidung über die Fahrtauglichkeit ist das örtliche Verkehrsamt. Problematisch ist in vielen Fällen, dass die Betroffenen das Autofahren nicht gerne aufgeben möchten. Zu ihrem eigenen Schutz und zum Schutz anderer Verkehrsteilnehmer kann es ratsam sein, gegebenenfalls den Führerscheinentzug herbeizuführen. Aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht stehen dabei die Angehörigen oder andere Betreuungspersonen in der Verantwortung, eine Meldung an das Straßenverkehrsamt abzugeben (vgl. Fischer-Börold / Zettl 2006, S. 104).

2.3 Betreuungs- und Unterbringungsformen bei Demenzerkrankungen

Im Folgenden wird nun die Unterbringungssituation von demenzkranken Menschen näher beleuchtet, wobei vor allem zwischen einer häuslichen Versorgung und einer stationären Unterbringung unterschieden werden kann.

2.3.1 Häusliche Versorgung

In Deutschland leben zwei Drittel der rund 1,1 Millionen demenzkranken Menschen in privaten Haushalten. Bei den allermeisten PatientInnen besteht der Wunsch, so lange wie möglich in der vertrauten Umgebung leben zu können. Die meisten Demenzkranken, die häuslich versorgt werden, werden von Ehepartnern, erwachsenen Kindern oder anderen Angehörigen betreut, die ihrerseits wieder Beratungsangebote und andere Unterstützungsformen nutzen. Die Lebenssituation von demenzkranken Personen und ihren Angehörigen gestaltet sich verschiedenartig, jedoch dominieren drei Konstellationen:

- Ein Ehepartner erkrankt an Demenz und wird vom anderen Ehepartner betreut und gepflegt. Die beiden Ehepartner, die so lange wie möglich zusammen in ihrer Wohnung oder ihrem Haus wohnen bleiben möchten, erhalten Unterstützung von ihren erwachsenen Kindern, von Verwandten und Freunden.
- Eine alte Person lebt allein und erkrankt an Demenz. Die Person kann die Alltagstätigkeiten nicht mehr erledigen und die erwachsenen Kinder können nur eine eingeschränkte Betreuung leisten, da sie eine eigene Familie haben, berufstätig sind und / oder entfernt wohnen.
- Eine demenzkranke Person lebt allein, kann aber auf keinerlei Unterstützung von Kindern Verwandten oder Freunden hoffen. Durch finanziellen und organisatorischen Aufwand kann es aber gelingen, dass die Betreuung von professioneller Seite in der eigenen Wohnung erfolgt (vgl. Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. 2009).

Aus medizinischer Perspektive gilt die häusliche Versorgungsform bei demenzkranken Menschen als die ideale Wohnform, jedoch unter der Voraussetzung, dass Angehörige einen Großteil der Betreuung übernehmen können (vgl. Dettbarn-Reggentin / Reggentin 2006, S. 32). Die häusliche Pflege „stößt dann an ihre Grenzen, wenn die Angehörigen fehlen oder durch die Pflege bereits derart überlastet sind, dass eine Weiterführung der Pflege für die Pflegeperson wie auch für die zu pflegende Person zu Gefährdungen führen kann“ (Dettbarn-Reggentin / Reggentin 2006, S. 32).

Um eine häusliche Pflege für demenzkranke Personen adäquat umzusetzen zu können, sind bestimmte bauliche Rahmenbedingungen erforderlich. So muss die Wohnung derart gestaltet sein, dass die physischen Einschränkungen der PatientInnen ausgeglichen werden können, beispielsweise durch Stützklappgriffe im Badezimmer, durch Treppenlifte oder durch Hublifter. Zudem muss die Wohnung so groß sein, dass es genügend Platz für die Pflegepersonen gibt (Übernachtungsmöglichkeiten, Hilfestellungen im Bad etc.). Idealerweise sollte die Wohnung in drei Bereiche untergliedert werden können, nämlich in eine Gefahrenzone, in eine sichere Zone und in eine Erholungszone. Die Gefahrenzone sollte von den PatientInnen nicht betreten werden können. Die Erholungszone ist primär die Angehörigen und Pflegekräfte gedacht und nimmt die Funktion eines Rückzugsortes ein. Die sichere Zone, die den größten Teil der Fläche ausmachen sollte, ist der hauptsächliche Aufenthaltsbereich für die PatientInnen und die betreuenden Personen (vgl. Marquardt 2006, S. 23).

In Tabelle 2 ist aufgeführt, welche technischen Hilfsmittel bei der Betreuung von demenzkranken Menschen wünschenswert bzw. notwendig sind. Die Hilfsmittel lassen sich in die Bereiche Sicherheit, Kompetenzerhaltung und Anregung unterteilen (vgl. Heeg / Kühnle 2005, S. 7).

Tabelle 2: Technische Hilfsmittel bei der häuslichen Betreuung von demenzkranken Menschen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung auf Grundlage von Heeg / Kühnle (2005), S. 7.

2.3.2 Teilstationäre und stationäre Versorgung

Auch wenn die Mehrzahl der demenzkranken Personen häuslich betreut wird, wird die Mehrzahl der PatientInnen im fortgeschrittenen Krankheitsstadium in einer vollstationären Einrichtung untergebracht sein. So erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Heimunterbringung mit zunehmendem Krankheitsschweregrad. Vor allem wenn die demenzkranken Menschen immobil werden, aggressiv sind oder die Kontrolle über ihre Ausscheidungen verlieren, ist für zahlreiche Angehörige der Punkt erreicht, an dem sie eine Unterbringung der demenzkranken Person für geeigneter halten als die häusliche Pflege (vgl. Sonntag / von Reibnitz 2014, S. 13).

Für die Aufnahme von demenzkranken Menschen in ein Alten- bzw. Pflegeheim ist ein Pflegebedarf erforderlich, der vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen – auf Grundlage des Sozialgesetzbuches XI – festgestellt werden muss. In der jüngeren Vergangenheit sind viele Altenheime dazu übergangen, ihre Betreuungsmöglichkeiten für demenzkranke Personen zu verbessern. Vor allem aufgrund des demografischen Wandels ist davon auszugehen, dass zukünftig immer mehr demenzkranke Personen in stationären Einrichtungen untergebracht sind, da nicht genügend Angehörige zur Verfügung stehen, die eine Betreuung vornehmen können (vgl. Dettbarn-Reggentin / Reggentin 2006, S. 33).

Neben den klassischen Pflege- und Altenheimen gibt es für demenzkranke Menschen auch eine vollstationäre Unterbringung in Wohngruppen. Dabei lassen sich im Wesentlichen vier Typen von Wohngruppen voneinander abgrenzen:

- Pflegedienst/Träger-Wohngruppen. Diese werden vor allem von privaten Diensten geleitet, die PatientInnen an sich binden und neue KlientInnengruppen erschließen möchten.
- Angehörigen-Wohngruppen. Angehörige von demenkranken Menschen initiieren eine Wohngruppe. Dies erfolgt oftmals vor dem Hintergrund, dass die Angehörigen mit dem vorherrschenden Betreuungsangebt unzufrieden sind und eine bessere Versorgung sowie mehr Mitverantwortung und Gestaltungsmöglichkeiten haben möchten.
- Bürgerschaftliche Wohngruppen. Die Bürgerschaft bzw. ein bürgerschaftlicher Verein möchte seine Vision einer guten Versorgung für demenzkranke Menschen realisieren (vgl. Klie / Schuhmacher 2009, S. 14f.).

Teilstationäre Einrichtungen können wiederum die Lücke, die sich zwischen der häuslichen und der vollstationären Betreuung auftut, schließen. So kann eine teilstationäre Betreuung vor allem den Übergang in eine vollstationäre Einrichtung hinauszögern. Zu den teilstationären Einrichtungen gehören Tagesstätten, die sich an demenzkranke Menschen und andere PatientInnen richten, die sich in einem Krankheitsstadium befinden, das noch eine Vielzahl an Aktivitäten erlaubt. Zu den Aktivitäten, die in einer Tagesstätte offeriert werden, gehören vor allem gemeinsame Unternehmungen, Bewegungsangebote und kreatives Gestalten. Eine weitere teilstationäre Betreuungsform sind Tagespflegeeinrichtungen, die sich speziell auf die Betreuung von demenzkranken Personen ausrichten. Die Betreuung der PatientInnen wird von professionell ausgebildeten Pflegekräften umgesetzt, die beispielsweise auch Medikamente verabreichen. Die Tagespflegeeinrichtungen, die oftmals an ein Altenheim angegliedert sind, verfügen üblicherweise über einen Fahrdienst, so dass die PatientInnen morgens abgeholt und abends wieder nach Hause gebracht werden. Schließlich gehören auch Tageskliniken zu den teilstationären Betreuungsformen. Diese Kliniken sind häufig an gerontopsychiatrische Zentren oder psychiatrische Krankenhäuser angeschlossen. Die Tageskliniken sind mit Tagespflegeeinrichtungen vergleichbar, doch ist die Aufenthaltsdauer auf die Zeit der erforderlichen Behandlung begrenzt (vgl. Knaack 2014, S. 27f.).

3. Selbstbestimmung

3.1 Definition von Selbstbestimmung

Der Begriff der Selbstbestimmung bezieht sich darauf, dass eine Person die Möglichkeit hat, Entscheidungen zu treffen, die sich an den eigenen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und Werthaltungen ausrichten. Im Sinne einer Negativdefinition kann Selbstbestimmung auch als die Abwesenheit einer Fremdbestimmung definiert werden. Unter dem Begriff der Fremdbestimmung ist zu verstehen, dass eine Person von anderen Personen bestimmt oder überstimmt wird. Die Selbstbestimmung bedeutet nicht, dass auf Hilfen verzichtet wird, vielmehr haben selbstbestimmte Individuen die Option, über den Inhalt und die Form der Hilfen zu entscheiden (vgl. Glasenapp 2010, S. 57). Allgemein bezieht sich die Selbstbestimmung auf die individuelle Lebensgestaltung in sämtlichen Lebensbereichen. Hierzu gehört, dass die Person in der Lage ist, die individuellen Ressourcen zu erschließen, um möglichst viele Entscheidungen, die die Lebensführung betreffen, eigenverantwortlich zu treffen. Maßgebend ist hierbei eine subjektorientierte Perspektive, so dass die Bewertung der Selbstbestimmung dem betreffenden Individuum obliegt. In dieser Hinsicht sind die Menschen gewissermaßen Experten in eigener Sache und können beurteilen, inwiefern sie ihren Wünschen und Bedürfnissen selbstverantwortlich nachgehen möchten (vgl. Prochnow 2009, S. 34).

3.2 Selbstbestimmung im medizinisch-pflegerischen Kontext

Die Selbstbestimmung ist kein Ansatz, der der Medizin seit jeher immanent ist. Vielmehr war in früheren Zeiten vorherrschend, dass ÄrztInnen darüber entschieden, wie PatientInnen behandelt wurden, oft gegen deren Willen. In diesem Kontext wird von einer paternalistischen Medizin gesprochen (vgl. Battaglia 2016, S. 88). Dies geschieht aus der Haltung heraus, dass ÄrztInnen aufgrund ihrer medizinischen Kenntnisse zu wissen meinen, was für PatientInnen in einer bestimmten Situation das Beste ist. Diese Haltung war bis zu Beginn der 1970er Jahre im medizinisch-pflegerischen Bereich hierzulande dominierend. So war es die Regel, dass ÄrztInnen häufig selbständig, ohne Rücksprache mit den PatientInnen, die Entscheidungen über Therapien und Operationen trafen. Diese Einstellung ist nicht nur negativ zu sehen, da PatientInnen oftmals vor medizinische Entscheidungen gestellt sind, die sie nicht überblicken können und somit auch keine Festlegung erfolgen kann (vgl. Husebö 2003a, S. 43ff.). Problematisch ist heutzutage, dass die Medizin in zunehmendem Maße technisiert und auch weiter verwissenschaftlicht wurde. So verfügen ÄrztInnen über Informationen, die für die Kranken und ihre Angehörigen häufig schwer verständlich sind. Somit nimmt die Ungleichheit in der ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehung zu, wobei die Gefahr besteht, dass damit wieder eine verstärkte paternalistische Medizin umgesetzt wird. Nicht nur zahlreiche ÄrztInnen sind der Auffassung ‚doctor knows best‘, sondern auch viele PatientInnen (vgl. Battaglia 2016, S. 88f.). Die situative Dominanz von ÄrztInnen und PflegerInnen gegenüber den PatientInnen muss jedoch nicht per se mit einer Reduzierung der Selbstbestimmung der PatientInnen einhergehen. Denn die situative Dominanz kann auch auf die Förderung der PatientInnen-Selbstbestimmung ausgerichtet werden, so dass überhaupt erst Selbstbestimmung entsteht (vgl. Kotsch / Hitzler 2011, S. 74).

In verschiedenen medizinischen und pflegerischen Themenfeldern, wie beispielsweise Schwangerschaftsabbruch, Behinderung, Patientenverfügungen oder Sterbehilfe, avancierte der Begriff der Selbstbestimmung zu einer normativen Leitidee. Dabei wird der Selbstbestimmungsbegriff innerhalb dieser Themenfelder unterschiedlich definiert und kann kaum allgemeingültig festgelegt werden. Somit ist es für die Begriffsbestimmung im medizinisch-pflegerischen Kontext stets erforderlich, das jeweilige Umfeld zu berücksichtigen (vgl. Kotsch / Hitzler 2011, S. 69f.).

Hervorzuheben ist, dass dem Prinzip der Selbstbestimmung in der Medizin gewisse Grenzen gesetzt sind, nämlich dann, wenn PatientInnen eine Behandlung wünschen, die nach Kenntnis der ÄrztInnen keine oder sogar eine negative Wirkung auf die PatientInnen hat. Ein weiterer Ansatz, der PatientInnen etwas mehr Eigenverantwortung einräumt, ist das so genannte informierte Einverständnis. Bevor eine Behandlung oder gegebenenfalls ein medizinisches Experiment mit den PatientInnen durchgeführt wird, erhalten diese detaillierte Informationen über die Behandlung und ihre Konsequenzen. Zudem müssen sie ausdrücklich und freiwillig die vorgeschlagene Therapie bejahen. Bei einer solchen Haltung wird das Recht der PatientInnen auf Information respektiert. So können die PatientInnen und deren Angehörigen jederzeit Fragen stellen und eventuell eine vorgeschlagene Therapie ablehnen. In manchen Fällen kann dieses Prinzip des informierten Einverständnisses als sinnvoller angesehen werden als das Prinzip der Patientenselbstbestimmung (vgl. Husebö 2003a, S. 43ff.). Eine Einschränkung des Prinzips der Selbstbestimmung ergibt sich im medizinisch-pflegerischen Zusammenhang zudem dadurch, dass die medizinisch-pflegerischen Kräfte auch dem Fürsorgeprinzip verpflichtet sind. Da die Berücksichtigung des einen Prinzips häufig mit einer Verletzung des anderen Prinzips einhergeht, ergeben sich für die Pflegepersonen oftmals konflikthafte Situationen (vgl. Kotsch / Hitzler 2011, S. 74).

Generell gibt es verschiedene rechtliche Ansätze, die darauf ausgerichtet sind, die Selbstbestimmung von PatientInnen zu stärken. Der Europarat hat 1967 ein Dokument mit Titel ‚Die Rechte des Kranken und des Sterbenden“ entlassen‘ das als Konkretisierung der allgemeinen Menschenrechte interpretiert werden kann und in dem die Selbstbestimmung und Würde von kranken und sterbenden Menschen betont wird. Zu den sechs Rechten der Kranken und Sterbenden gehört:

- Das Recht auf Freiheit (Akzeptanz oder Ablehnung einer medizinischen Behandlung)
- Das Recht auf persönliche Würde und Integrität
- Das Recht auf Information
- Das Recht auf adäquate Behandlung
- Das Recht, nicht leiden zu müssen
- Das Recht, nicht allein sterben zu müssen (vgl. Husebö 2003b, S. 350).

3.3 Lebensqualität von demenzkranken Menschen

In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung herrscht Einigkeit darüber, dass sich die Lebensqualität von Demenzkranken durch das Zusammenwirken von kognitiven Kompetenzen, Alltagsaktivitäten, psychischem Wohlbefinden sowie sozialer Interaktion bestimmt. Die Lebensqualität von demenzkranken Menschen steht demnach insbesondere damit in Verbindung, ob ihre Bedürfnisse nach Bindung, Zuneigung, körperlicher Nähe, Beschäftigung, Einbindung, Identität und Trost befriedigt werden. Auch herrschen, gemäß einer Studie der Alzheimer Gesellschaft Bochum, Bedürfnisse nach Mobilität, Selbständigkeit und Anerkennung vor. Selbst wenn sich die Erkrankung bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befindet, ist häufig noch ein Interesse nach grob- und feinmotorischen Aktivitäten sowie nach taktilen Reizen vorhanden. Darüber hinaus schätzen es demenzkranke Personen sehr, wenn sie ihre Lieblingsessen, Süßigkeiten oder auch Tabak konsumieren können. Problematisch wirkt sich auf die Lebensqualität auf, dass sich viele soziale Beziehungen – wie zur Familie, zu Freunden und Bekannten – durch die Demenzerkrankung verändern oder sogar ganz verloren gehen (vgl. Kautz 2014, S. 10f.).

Es sind bereits unterschiedliche Verfahren und Messmethoden entwickelt worden, um die Lebensqualität von Demenzkranken zu erfassen (vgl. Gust / Staack 2015, S. 42f.). In Tabelle 3 sind verschiedene Verfahren, die von unterschiedlichen Akteuren umgesetzt werden, aufgeführt.

[...]

Ende der Leseprobe aus 63 Seiten

Details

Titel
Rolle der Sozialen Arbeit bei der Betreuung von Menschen mit Demenzerkrankungen
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
1,3
Autor
Jahr
2020
Seiten
63
Katalognummer
V917179
ISBN (eBook)
9783346237385
ISBN (Buch)
9783346237392
Sprache
Deutsch
Schlagworte
rolle, sozialen, arbeit, betreuung, menschen, demenzerkrankungen
Arbeit zitieren
Diplom-Soziologe / PR-Berater (DPRG) Tilmann Wörner (Autor:in), 2020, Rolle der Sozialen Arbeit bei der Betreuung von Menschen mit Demenzerkrankungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/917179

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