Exklusion und Inklusion von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen


Hausarbeit, 2020

18 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definitionen
2.1 Definition von Exklusion
2.2 Definition und zentrale Merkmale von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

3. Exklusion und Inklusion von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
3.1 Historische Entwicklung der Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
3.2 Behördliches Verfahren der Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
3.3 Exklusionssituation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
3.3.1 Ausgrenzungserfahrung durch behördliche Maßnahmen
3.3.2 Exklusionserfahrungen in Bezug auf Bildung, Arbeit und gesellschaftliche Teilhabe
3.4 Ansätze der Inklusion
3.4.1 Ansatz der Inklusion durch Vormundschaft
3.4.2 Ansatz der Inklusion durch internationale Konventionen
3.4.2.1 Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen
3.4.2.2 Haager Minderjährigenschutzabkommen (MSA) / Haager Kinderschutz-übereinkommen (KSÜ)

4. Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Anzahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Deutschland im Zeitraum von 2009 bis 2018

Abbildung 2: Behördliches Verfahren der Aufnahme von UMF

1. Einleitung

Für die Stellung eines Individuums innerhalb der Gesellschaft ist es bekanntlich wichtig, dass das Individuum über soziale Teilhaberechte und -chancen verfügt. Offenkundig gibt es aber zahlreiche Menschen, bei denen eine Exklusion bzw. Ausgrenzung von gesellschaftlichen Prozessen vorherrscht. Als eine Gruppe, die der Gefahr einer Exklusion besonders ausgesetzt ist, können die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge angesehen werden. Denn diese Gruppe ist durch eine fehlende elterliche Unterstützung (zumindest vor Ort), durch begrenzte Rechte aufgrund der Minderjährigkeit und durch den Flüchtlingsstatus gekennzeichnet.

In der vorliegenden Arbeit wird nun der Frage nachgegangen, wie sich die Exklusionssituation der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (UMF) darstellt und welche Ansätze es gibt, bei dieser Gruppe eine soziale Inklusion herzustellen.

2. Definitionen

Bevor die Exklusion und Inklusionsmöglichkeiten von UMF näher untersucht werden, werden zunächst die Begriffe ‚Exklusion‘ und ‚unbegleitete minderjährige Flüchtlinge‘ definiert.

2.1 Definition von Exklusion

Der Begriff der Exklusion hat sich in verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen etabliert, wobei dieser Terminus nicht in einheitlicher Weise verwendet wird. Gleichwohl kommt mit dem Exklusionsbegriff in den meisten Fällen zum Ausdruck, dass Einzelpersonen oder Personengruppen ausgegrenzt werden. Die Ausgrenzung kann sich dabei auf das ökonomische System, wie insbesondere auf den Arbeitsmarkt, beziehen. Häufig wird der Begriff der (sozialen) Exklusion jedoch verwendet, um einen Ausschluss aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilbereichen (Bildung, Kultur, politische Partizipation etc.) hervorzuheben.1 So wird insbesondere dann von einer sozialen Exklusion gesprochen, wenn Individuen „in einem Maße von Gesellschaftsfunktionen ausgeschlossen werden, zu denen sie aus Sicht gängiger Normvorstellungen Zugang haben sollten und aus eigenem Antrieb Zugang haben wollen.“2 Der Gegenpol zur sozialen Exklusion ist die soziale Inklusion, die gleichzeitig der sozialen Exklusion entgegenwirken soll.3 Als die drei zentralen Dimensionen der Inklusion gehören die Partizipation durch Bürgerrechte, die Einbindung durch Erwerbsarbeit sowie die Integration in familiäre und freundschaftliche Beziehungen.4

Kennzeichnend für Personen, die von einer Exklusion betroffen sind, ist üblicherweise eine materielle und/oder immaterielle Deprivation, die die Teilhabechancen am gesellschaftlichen Leben einschränkt. Die Exklusion kann gezielt bzw. beabsichtigt erfolgen oder sie ist die Folge von vorherrschenden Strukturen, so dass die Ausgrenzung eher indirekt eintritt.5 Zu diesen Strukturen können sowohl Gesetze als auch Traditionen gehören. Als elementarste Form von Exklusion kann der Ausschluss aus kommunikativen Prozessen angesehen werden. Dabei werden die Betroffenen oftmals nicht direkt ausgeschlossen, vielmehr herrschen ein Nicht-Angesprochen-Werden oder ein Nicht-Wahrgenommen-Werden vor, was bei den Betroffenen das Gefühl hervorrufen kann, dass keine Zugehörigkeit besteht.6

2.2 Definition und zentrale Merkmale von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

Der Terminus ‚unbegleitete minderjährige Flüchtlinge‘ umfasst drei verschiedene Begriffe, nämlich den des ‚Unbegleitet-Seins‘, der der ‚Minderjährigkeit‘ sowie den des ‚Flüchtlings‘. Diese drei Begriffe werden je nach Perspektive in unterschiedlicher Weise ausgelegt. Der Gesetzgeber definiert als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge „eine Person, die gemäß § 2 BGB [Bürgerliches Gesetzbuch] nicht volljährig ist und nicht von einer Person begleitet wird, die dem deutschen Recht nach die elterliche Sorge gemäß & 1626 BGB oder eine Vormundschaft innehat“.7 Ob die unbegleitete minderjährige Person ein Flüchtling darstellt, steht mit der Auslegung der Flüchtlingseigenschaft in Verbindung, wobei sich das deutsche Recht an der Genfer Flüchtlingskonvention ausrichtet. Ein Flüchtling muss dabei seine individuelle politische Verfolgung belegen.8

Nicht alle UMF stellen einen Asylantrag. Vor allem in den Fällen, in denen Betreuer oder Vormünder davon überzeugt sind, dass ein Asylantrag erfolglos bleibt, wird von einem Antrag abgesehen. Stattdessen wird der Versuch unternommen, bei der zuständigen Ausländerbehörde eine vorübergehende Aussetzung der Ausreisepflicht oder ein vorläufiges Aufenthaltsrecht zu erwirken. Zu den Fluchtursachen der UMF gehören (Bürger-) Kriege, Armut, Naturkatastrophen, ethnische und religiöse Verfolgung sowie jugendspezifische Fluchtgründe (drohende Genitalverstümmelung, Zwangsprostitution, sexueller Missbrauch, Kinderarbeit, Sklaverei, drohende Zwangsrekrutierung als Kindersoldaten, Zwangsheirat etc.). In einigen Fällen hoffen die Eltern, dass einem minderjährigen Kind ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht eingeräumt wird und sie anschließend leichter nachreisen können. Das Kind nimmt somit eine sogenannte Ankerfunktion ein.9

In der Bundesrepublik stehen die UMF in einem Spannungsfeld zwischen Kinder- und Jugendhilferecht einerseits und dem Aufenthalts- und Asylrecht andererseits. Hinzu kommen noch internationale Übereinkommen und Richtlinien.10

3. Exklusion und Inklusion von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

Zum besseren Verständnis der Exklusion und Inklusion von UMF wird zunächst dargelegt, wie sich die Anzahl und somit die Relevanz von UMF im Zeitverlauf verändert haben und wie das behördliche Verfahren zur Aufnahme der UMF gestaltet ist.

3.1 Historische Entwicklung der Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

Die ersten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge kamen im Jahr 1979 in die Bundesrepublik. Dabei handelte es sich um 1.500 aus Südostasien stammende Kontigentflüchtlinge. Mitte der 1980er Jahre migrierten vor allem Kinder und Jugendliche aus den Krisengebieten Äthiopien/Eritrea, Iran, Afghanistan und Sri Lanka. Mit Wegfall des Eisernen Vorhangs 1989 kam es zu einem deutlichen Anstieg an unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, insbesondere aus dem ehemaligen Jugoslawien, Rumänien, Albanien, Irak, Angola, Liberia, Somalia, Sierra Leone, Sudan und der Türkei (Volksgruppe der Kurden). Trotz der Zunahme spielten die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in der politischen Diskussion in Deutschland lange Zeit eine marginale Rolle.11

Aus Abbildung 1 wird ersichtlich, wie sich die Anzahl an UMF seit 2009 entwickelt hat. Während es im Jahr 2009 nur rund 1.300 waren, waren es im Jahr 2016 – auf dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise – knapp 36.000. Seither ist die Anzahl an UMF jedoch stark rückläufig, bewegt sich aber noch auf einem deutlich höheren Niveau als zu Beginn der 2010er Jahre.12

Abbildung 1: Anzahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Deutschland im Zeitraum von 2009 bis 2018

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Statista GmbH (2018), im Internet unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/581550/umfrage/unbegleitete-minderjaehrige-asylbewerber-in-deutschland/

3.2 Behördliches Verfahren der Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

In Abbildung 2 ist illustriert, wie sich das behördliche Verfahren der Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vollzieht.

Abbildung 2: Behördliches Verfahren der Aufnahme von UMF

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Hoffmeyer-Zlotnik / Tangermann (2018), S. 25.

UMF, die nach Deutschland einreisen, kommen nach der vorläufigen Inobhutnahme zunächst in eine Erstaufnahme- bzw. Erstversorgungseinrichtung, der sogenannten Clearingstelle. Dort erfolgt ein Clearingverfahren, für das die Jugendämter zuständig sind und in dessen Rahmen die persönlichen Daten abgeklärt sowie der pädagogische Hilfebedarf ermittelt werden.13 Das Clearingverfahren kann je nach Bundesland unterschiedlich ausgestaltet sein und unterschiedlich lange dauern. In diesem Verfahren wird auch geklärt, ob eine Rückkehr des UMF in das Herkunftsland ohne Gefahren möglich ist, ob ein Asylantrag gestellt wird, ob ein Bleiberecht aus humanitären Gründen angestrebt wird oder ob eine Familienzusammenführung in einem Drittland in Frage kommt. Seit 2005 sind die Jugendämter verpflichtet, auf Grundlage des Sozialgesetzbuches III den UMF umgehend nach der Einreise einer Jugendhilfeeinrichtung zuzuteilen und ihnen einen Vormund an diese Seite zu stellen.14

Nach Abschluss des Clearingverfahrens, das üblicherweise einige Monate dauert, zieht der UMF in eine geeignete Einrichtung weiter. Dabei gibt es auch spezielle Wohngemeinschaften, die von Sozialpädagogen betreut werden. Dort können die Jugendlichen eine umfassende bedarfszentrierte Hilfe (Sprachunterricht, Hausaufgabenhilfe, psychosoziale Betreuung, Therapie, Rückkehrberatung etc.) erhalten.15

Generell ist hervorzuheben, dass sich der Ablauf und die Qualität der Clearingverfahren in Deutschland regional erheblich voneinander unterscheiden. Während in manchen Clearingeinrichtungen eine jugendgerechte Unterbringung und Betreuung erfolgt, gibt es auch Orte, in denen die UMF mehr oder weniger auf sich alleine gestellt sind.16

3.3 Exklusionssituation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

3.3.1 Ausgrenzungserfahrung durch behördliche Maßnahmen

Die Behandlung durch staatliche Behörden kann von den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen als eine Form von Exklusion und Ausgrenzung erlebt werden. Das folgende Fallbeispiel bezieht sich auf das Altersfestsetzungsverfahren bei UMF, das dann zum Tragen kommt, wenn das Alter des UMF nicht durch Dokumente eindeutig belegt werden kann. Das Jugendamt ist verpflichtet, bei Zweifeln am Alter des UMF dessen Alter festzulegen.17 In der „Durchführung des Gesprächs zur Altersfestsetzung und der Inaugenscheinnahme sind nicht nur das äußere Erscheinungsbild und die personenbezogenen Daten des Flüchtlings zu bewerten, sondern auch die psychische Reife, sozialisatorische und sonstige Umwelteinflüsse, die Aussehen oder Verhalten beeinflusst und kognitive Verhaltensmuster geprägt haben könnten“.18 Die gesetzliche und moralische Brisanz, die mit der Altersfestsetzung verbunden ist, wurden unlängst deutlich: Ende Juni 2015 wurde bekannt, dass in Hamburg umfangreiche medizinische Untersuchungen vorgenommen werden, um das Alter der UMF, die vom Kinder- und Jugendnotdienst für volljährig eingeschätzt wurden, genau zu bestimmen. Hierzu gehören nicht nur Panoramaschichtaufnahmen der Kieferknochen sowie Röntgenbilder von Händen und Schlüsselbeinen, sondern auch eine Inaugenscheinnahme verschiedener Körperregionen. Neben dem Gesicht gehören bei männlichen UMF die Genitalregion und bei weiblichen UMF die Brustdrüsen dazu.19

Gemäß § 49 des deutschen Aufenthaltsgesetzes ist die Altersfestsetzung prinzipiell rechtens. Allerdings enthält Artikel 6 der UN-Kinderrechtskonvention den Passus, dass die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit verbietet. Die Sozialarbeitenden stehen somit in einem Spannungsverhältnis zwischen dem deutschen Aufenthaltsgesetz und der internationalen Kinderrechtskonvention. Sozialarbeitende können sich - auch wenn dies augenscheinlich ein rechtlicher Graubereich darstellt - auf die Kinderrechtskonvention berufen, um die medizinische Altersfestsetzung nicht einzuleiten. In diesem Fall hätte die internationale Konvention dahingehend einen Effekt zugunsten des UFM, als dass die potenziell gesundheitsbeeinträchtigende (z.B. Röntgen) und schamvolle (Begutachtung verschiedener Körperregionen) Untersuchung nicht durchgeführt wird.20

[...]


1 Vgl. Yara Rodrigues Guerra (2017), S. 87f.

2 Schütte (2012), S. 105.

3 Vgl. Schütte (2012), S. 105.

4 Vgl. Korntheuer (2016), S. 42.

5 Vgl. Yara Rodrigues Guerra (2017), S. 87f.

6 Vgl. Korntheuer (2016), S. 42f.

7 Kampelmann (2005), S. 202.

8 Vgl. Kampelmann (2005), S. 201f.

9 Vgl. Parusel (2015), im Internet unter: http://www.bpb.de/apuz/208007/unbegleitete-minderjaehrige-auf-der-flucht?p=all

10 Vgl. Hummitzsch (2013), im Internet unter: http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/newsletter/169174/unbegleitete-minderjaehrige-fluechtlinge

11 Vgl. Kampelmann (2005), S. 201.

12 Vgl. Statista GmbH (2018), im Internet unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/581550/umfrage/unbegleitete-minderjaehrige-asylbewerber-in-deutschland/

13 Vgl. Meißner (2003), S. 200.

14 Vgl. Hummitzsch (2013), im Internet unter: http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/newsletter/169174/unbegleitete-minderjaehrige-fluechtlinge

15 Vgl. Parusel (2009), S. 33.

16 Vgl. Deutscher Caritasverband e.V. (2013), S. 12.

17 Vgl. Bolk (2014), S. 46.

18 Bolk (2014), S. 47.

19 Vgl. Veit (2015), im Internet unter: http://www.taz.de/Minderjaehrige-Fluechtlinge-in-Hamburg/!5207454/

20 Vgl. Bolk (2014), S. 47f.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Exklusion und Inklusion von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
1,5
Autor
Jahr
2020
Seiten
18
Katalognummer
V917167
ISBN (eBook)
9783346237347
ISBN (Buch)
9783346237354
Sprache
Deutsch
Schlagworte
exklusion, inklusion, flüchtlingen
Arbeit zitieren
Diplom-Soziologe / PR-Berater (DPRG) Tilmann Wörner (Autor:in), 2020, Exklusion und Inklusion von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/917167

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