Die Ironie der Weltgeschichte. 200 Jahre Friedrich Engels


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2020

17 Seiten


Leseprobe


Der am 28. November 1820 im rheinländischen Barmen bei Wuppertal geborene Friedrich Engels machte in revolutionär demokratischen Kreisen Epoche zunächst auf dem Gebiet der Theorie. Durch eine kleine ökonomische Schrift, die den Titel trug: „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie“ und die Anfang 1844 in den „Deutsch Französischen Jahrbüchern“ veröffentlicht wurde, in einer Zeitschrift, in der auch Marx Artikel publizieren ließ. Zugleich legte er den Keim zu einer Revolution der Geschichtswissenschaft: Der Fabrikantensohn Engels wurde durch seinen Aufenthalt in der Industriemetropole Manchester, wo sein Vater Anteilseigner einer Textilfirma war, „…mit der Nase darauf gestoßen worden, dass die ökonomischen Tatsachen, die in der bisherigen Geschichtsschreibung gar keine oder nur eine verachtete Rolle spielen, wenigstens in der modernen Welt eine entscheidende geschichtliche Macht sind; dass sie die Grundlagen bilden für die Entstehung der heutigen Klassengegensätze in den Ländern, wo sie vermöge der großen Industrie sich voll entwickelt haben, also namentlich in England, wieder die Grundlage der politischen Parteienbildung, der Parteikämpfe und damit der gesamten politischen Geschichte sind“. 1. Damit hatte er laut Franz Mehring und Lenin nicht nur Karl Marx auf die zentrale Bedeutung der Ökonomie für das wissenschaftliche Verständnis gesellschaftlicher Zusammenhänge aufmerksam gemacht, er legte überhaupt erst den ökonomischen Grundstein für eine materialistische Geschichtsauffassung, die als Wissenschaft wird auftreten können, insbesondere dann, wenn durch den dialektischen Materialismus die Geschichte der Gesellschaft eine gesetzmäßige wird. Durch Marx und Engels erst wurde zur Substanz der Geschichtswissenschaft das Studium der ökonomischen Entwicklungsgesetze der Gesellschaft. Hatte Engels in Manchester das Verhältnis zwischen Ökonomie und Politik geklärt, so Feuerbach das Verhältnis zwischen den Menschen und der Religion (der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen) 2. und Marx das von Hegel verdrehte Verhältnis zwischen Staat und bürgerliche Gesellschaft. Letztere, die ökonomische Basis, bedingt den ersten, den Überbau. Der Staat ist nicht Subjekt gesellschaftlicher Entwicklung. Marx kritisiert die Philosophie: es genügt nicht, dass der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muss sich auch zum Gedanken drängen. Wir können also von einer Serie dem deutschen Idealismus geschuldeter fundamentaler Subjekt-Objekt Umkehrungen und ihren Korrekturen sprechen oder von einer Korrekturserie verkehrten Weltbewusstseins, die sich aus dem Rückgriff der Linkshegelianer auf den französischen Materialismus des 18. Jahrhunderts ergab.

Rousseau, einer der Ahner der bürgerlichen französischen Revolution, erkannte 1749 in einem quasireligiösen Erweckungserlebnis auf dem Weg von Paris nach Vincennes, die Preisfrage der Akademie zu Dijon lesend, ob Künste und Wissenschaften zum Fortschritt der menschlichen Kultur beigetragen haben und durch sie wie von tausend Lichtern geblendet, dass der Mensch von Natur aus gut ist und dass es nur die Institutionen sind, die ihn verderben. Die bürgerliche Revolution war daher auch ekstatisch, wie Marx im 18. Brumaire schrieb, in Feuerbrillanten gefasst. Engels erkannte nüchtern die Bedeutung widersprüchlicher ökonomischer Tatsachen, kommende proletarische Revolutionen sind folglich für ihn und Marx qualvoll, kritisieren beständig sich selbst und verhöhnen grausam ihre Halbheiten und ihre Widersprüche. 3. Als die „linken Kommunisten“ um Bucharin, Radek, Uritzki zusammen mit den linken Sozialrevolutionären Anfang 1918 in girondistischer Manier einen energischen revolutionären Krieg gegen die Truppen des deutschen Imperialismus forderten, bezeichnete Lenin diese Politik als Drang eines Menschen nach dem Schönen, Effektvollen und Blendenden, der aber das objektive Verhältnis der Klassenkräfte und der materiellen Faktoren im gegenwärtigen Augenblick der begonnenen sozialistischen Revolution absolut nicht berücksichtigt“. 4. Und Lenins Brief an die amerikanischen Arbeiter vom 20. August 1820 endet mit dem Gedanken, dass die Arbeiter langsam, aber unentwegt zur kommunistischen, bolschewistischen Taktik kommen. 5.

Vor den „Umrissen“ hatte Engels unter dem Pseudonym „Friedrich Ostwald“ einige Artikel für Zeitungen, insbesondere für Karl Gutskows „Telegraph für Deutschland“ geschrieben, auch mit einer sozialkritischen Note, schwerpunktmäßig war die Literatur des „Jungen Deutschland“ sein Thema. Aber die „Umrisse“ sind nach den Worten von Marx im Vorwort zur „Kritik der politischen Ökonomie“ von 1859 eine „geniale Skizze zur Kritik der ökonomischen Kategorien“. Für Sombart allerdings waren sie „ein reichlich konfuses Werklein“, wie Sombart überhaupt Engels keine Bedeutung für das Werk von Marx zuschreibt: Engels sei „im Grunde seiner Seele, seiner wesenhaften Veranlagung nach, gar kein Sozialist…Er war nichts anderes als der Freund von Karl Marx. Diese Freundschaft war sein Weltgrund, sie wurde sein Schicksal. Jede Ungeheuerlichkeit seiner Lehrmeinung wird von den fröhlichen, schelmischen Augen Lügen gestraft. Hätte er seine Seele nicht an Karl Marx verkauft, er wäre als junger Mann natürlich „revolutionär“ gewesen, dann aber ein genußfreudiger Fabrikant mit Sportneigungen und anderen Hobbies geworden…. 6.

Nach dem Niedergang der russischen Revolution von 1905 erfanden die Revisionisten eine spezifische, man möchte sagen sportliche Engelsche Dialektik, um sie als Mystik (Berman), als veraltet (Basarow) abzutun. 7. Für Kautsky waren die „Umrisse“ hingegen der ERSTE (kursiv von Karl Kautsky) Schritt zum wissenschaftlichen Sozialismus 8. wie auch für Georg Lukacs, der zu Recht darauf hinweist, dass nach dem nationalökonomischen Erstlingswerk sich das theoretische Schaffen von der Literatur weg primär der Wirtschaft und der Politik zuwendet. 9. Hinter dem hochtrabenden Begriff „Nationalökonomie“ verbirgt sich nach Engels eine schäbige und menschenverachtende „komplette Bereicherungswissenschaft“, eine reine Privatökonomie. Unter dem Schleier von Philanthropie und Höflichkeit finde ein Handel genannter legaler Betrug statt. „Je näher die Ökonomen der Gegenwart kommen, desto weiter entfernen sie sich von der Ehrlichkeit“. 10.

Die ganze antibourgeoise Radikalität des 24jährigen wird dadurch markant, dass er vom EKELHAFTEN NEID (kursiv von Heinz Ahlreip) spricht, zu dem das Privateigentum geführt habe. Es gibt Privatdozenten, Doktoren und Professoren etwa der Philosophie, die über den wissenschaftlichen Sozialismus dozieren noch und noch – das führt keine Revolution herbei. Erst aus einem gesunden Klassenhass bei entsprechender ökonomischer Reife der kapitalistischen Gesellschaft heraus greifen die Lohnsklavinnen und Lohnsklaven kollektiv zu militanten Mitteln, um das ekelhafte Bürgertum niederzuhalten. Kann man es denn anders als ekelhaft bezeichnen, wenn der Sozialdemokrat Steinbrück für einen Vortrag vor den Stadtwerken Bochum 25 000 Euro kassiert und der SPD-Vorstand ihm daraufhin das volle Vertrauen ausspricht. 11. Engels hatte doch recht, wenn er von Bereicherungswissenschaft sprach. Schon Rosa Luxemburg sprach vom „Ekel“, den die Praxis der westeuropäischen Arbeiterbewegung hervorruft. 12. Der Kapitalismus pervertiert jede Wissenschaft: „Die Arbeiter arbeiten sich krank“ 13. und die Wissenschaft arbeite gegen sie. Es war eine enorme Erkenntnis, mitten im wissenschaftsgläubigen 19. Jahrhundert festzustellen , dass die Wissenschaft sich gegen die arbeitenden Menschen richtet. Wie Rousseau und ohne guten Wilden anders als Rousseau, der in der Mitte des 18. Jahrhunderts der gebildeten Welt ihren Heiligenschein abnahm. Auch heute ist es noch so, dass der Prolet nach dem Öffnen der Eingangstür einer Arztpraxis trotz aufgelegter philanthropischer Masken „Territorium des Klassenfeindes“ betritt. Kein Prolet darf je vergessen, dass die Bourgeoisie „den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in IHRE (kursiv von Heinz Ahlreip) bezahlten Lohnarbeiter verwandelt“. 14. Den Kulminationspunkt der Unsittlichkeit erblickte Engels in der Börsenspekulation in Fonds, „wodurch die Geschichte und in ihr die Menschheit zum Mittel herabgesetzt wird, um die Habgier des kalkulierenden oder hasardierenden Spekulanten zu befriedigen“. 15. Dass die Menschheit nicht mehr Mittel der Geschichte sei – das war eine richtige, wenn auch noch rohe Bestimmung des Kommunismus.

War der 24jährige Engels bereits Kommunist? „Produziert mit Bewußtsein, als Menschen, nicht als zersplitterte Atome ohne Gattungsbewußtsein…“ 16. rief der junge Mann in die ekelhafte kapitalistische Welt hinein. Diese Botschaft ging aber noch von einem abstrakten Humanismus aus, wie sie typisch war für einen ethisch-philosophischen Kommunismus. Engels gesteht 1885, dass er gegenüber revolutionären Arbeitern noch von „philosophischen Hochmut“ durchdrungen war. 17. Zu dieser Zeit hatte er die essentiellen Schwerpunkte einer kommunistischen Revolution noch nicht erfasst. Erstens: Die revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse, die die Errichtung ihrer Diktatur beinhaltet, war noch nicht erkannt worden. Dieser Durchbruch zur Einsicht ihrer politischen Selbsttätigkeit gelang aber wenig später in der 1845, ein Jahr nach dem schlesischen Weberaufstand bei Otto Wigand in Leipzig erschienenen „Lage der arbeitenden Klassen in England“, in der Anklage erhoben wird gegen die englische Bourgeoisie wegen Mordes und Raubes. 18. Dabei sah Engels im durch Mord und Raub verursachten Elend nicht nur das Elend, sondern dass gerade in ihm die Umkehr zur Emanzipation erfolgt, dass aus dem Elend das Proletariat als selbständige gesellschaftliche Kraft mit einer weltgeschichtlichen Mission aufstehen wird. Hegel hatte bereits idealistisch gelehrt, dass der Geist um so größer sei, aus je größerem Gegensatz er in sich zurückkehre. 19. Ohne die deutsche Philosophie gäbe es keinen wissenschaftlichen Sozialismus. „… der Gegensatz des Begriffes ist der absolute…“. 20. Es galt, diesen semi-revolutionären Elan des Hegelschen Idealismus, Hegel war nur in seiner Jugend revolutionär, materialistisch zu wenden: in der gesellschaftliche Klassenkampfpraxis totalisiert die kapitalistische Ausbeutung als letzte mögliche Form der Ausbeutung zum finalen Klassenkampf, in dem die ausgebeuteten Volksmassen ein Recht haben, die Konterrevolutionäre zu bestrafen. Zweitens: Eben so wenig finden sich Ansätze zur Entwicklung der Mehrwerttheorie. Das Privateigentum ganz allgemein, nicht seine Konkretisierung als Einzeleigentum an den Produktionsmitteln, wurde als Quelle aller Grundübel der bürgerlichen Gesellschaft angesehen – ganz wie es in den klassischen Sätzen Rousseaus am Anfang des zweiten Teils des zweiten Diskurses zu lesen ist: „Der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und dreist sagte: „Das ist mein“ und so einfältige Leute fand, die das glaubten, wurde zum wahren Gründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wieviele Verbrechen, Kriege, Morde, Leiden und Schrecken würde einer dem Menschengeschlecht erspart haben, hätte er die Pfähle herausgerissen…“. 21.

Nach den Aufregungen der 48er Revolution, an der Engels als demokratischer Journalist und Soldat Willichs (der später im amerikanischen Bürgerkrieg als General für die Abschaffung der Sklaverei kämpfte) teilnahm, konnte Marx im Londoner Exil ab Frühjahr 1850 endlich der Spur folgen, die Engels ausgelegt hatte: dem Studium der Ökonomie der kapitalistischen Ausbeuterordnung, allerdings mit einem enormen Vorteil: er studierte diese mit Hilfe der materialistischen Dialektik, seiner „schärfsten Waffe“. 22. Erste Früchte ließen nicht lange auf sich warten: dass die Mutter der 48er Revolution die Welthandelskrise von 1847 war, dass es einen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Krise und revolutionären Aufbruch, zwischen Prosperität und triumphierender Reaktion gibt, dass also nach 48 auf Grund der einsetzenden bisher unerhörten Prosperität – von 1850 bis 1880 erhöhte sich die durch Dampfkraft erzeugten Pferdestärken in England von 1,3 auf 7,6 Millionen – Abschied zu nehmen ist von dem Gedanken einer baldigen Revolution in Europa, dem die Vulgärdemokratie anhing. (Am 13. Juli 1854, zehn Jahre nach dem Weberaufstand, setzte der preußische Gesandte Bismarck im Deutschen Bundestag das Verbot aller Arbeitervereine durch). In der Tat – Marx in London, Engels ab 1850 in Manchester – warteten beide auf das Herannahen der alles (die Weltrevolution) entscheidenden ökonomischen Weltkrise.

Als sie über den Ärmelkanal, Engels über Gibraltar kommend, ins englische Exil gingen, wussten sie noch nichts von der Notwendigkeit dieser Krise, besonders Engels stand unter dem Eindruck von Moses Heß, der in seinem Buch „Die europäische Triarchie“ eine baldige soziale Revolution in England als Vollendung der deutschen Reformation und der französischen Revolution prophezeite. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse in London desillusionierten sie: die „große Angst“ der Bourgeoisie von 1848 wich immer mehr einem Selbstvertrauen in eigene bürgerliche Stärke, und beide richteten sich nun auf einen längeren Aufenthalt in England ein, ja starben dort im Exil. An einer demokratischen Revolution hatten sie im Sinne Jean Paul Marats teilgenommen, ganz bewusst war ja das Marx-Engelsche tägliche Revolutionsblatt „Neue Rheinische Zeitung“ 1848 als „Organ der Demokratie“ aufgetreten, keineswegs als Organ des Kommunismus, wie es Kautsky irrtümlich in seinem Aufsatz zum 70. Geburtstag von Engels darstellt. In einem Flugblatt wurde eine Staatsbank gefordert, die das Papiergeld als unentbehrliches Instrument des bürgerlichen (!!) Verkehrs „verwohlfeilert“. 23. In einer Polemik mit Plechanow im April 1917 deutet auch Lenin eine solche Maßnahme als nicht sozialistische. 24. Die Autoren des Kommunistischen Manifestes verteidigten lediglich „bis zuletzt die Interessen des Volkes … gegen die Kräfte der Reaktion“. 25. Deshalb war ihr außenpolitisches Konzept auch kurz und knapp: Krieg gegen Russland, dem Bollwerk der europäischen Reaktion, dem Land, das seit 1789 alle westeuropäischen fortschrittlichen politischen Bewegungen von sich abgewehrt hatte. Das wirkte nach bis zur Erklärung August Bebels im Jahre 1891 vor dem Erfurter Parteitag, dass wir im Falle eines russischen Angriffs mehr an einem Kampf gegen den Hort der Barbarei interessiert sind als die bürgerliche Elite Deutschlands. Rosa Luxemburg verweist darauf, dass am 4. August 1914 das alte Programm von Marx und Engels herhalten musste für die scheinrevolutionär heilige sozialdemokratische Hetze gegen Russland. 26. Die Nazis konnten die Assoziation Russlands mit der Barbarei ausnutzen, in der Wochenschau zum Angriff auf die Sowjetunion wurde vom Schutz der Zivilisation gegen die Barbarei gesprochen. (Este Bilder von zerlumpten gefangengenommenen Rotgardisten wurden mit der Aussage kommentiert: das sind die Verbündeten der englischen Lords und Plutokraten). Wie gesagt; an einer proletarischen Revolution haben Marx und Engels nie teilgenommen.

Mit Begeisterung, aber eben passiv, verfolgten sie die Pariser Commune als Geburt einer neuen Gesellschaft aus einer alten wie einen naturgeschichtlichen Prozess. 27. Und auch in dieser ersten essentiellen proletarischen Revolution ging ein Teil der Arbeiter mit den weißen „Versaillern“. In England wurden sie zudem Zeugen, wie die Führer der englischen Bewegung sich durch „koloniale“ Extraprofite korrumpieren ließen und zu Führern ohne revolutionäre Impulse herabsanken, nachdem sie schon den Niedergang der Chartistenbewegung miterlebt hatten. 28. Nicht zufällig verweist Lenin bei seinen Ausführungen, warum es zur Spaltung des Sozialismus gekommen war, auf etliche Passagen aus dem englischen Briefwechsel von Marx und Engels, in denen die opportunistische Entartung thematisiert wird. Dieser Briefwechsel belegt, dass eben der wissenschaftliche Sozialismus gemeinsam ausgearbeitet wurde. Marx und Engels schwammen gegen die Strömung – zum Glück. Denn sie verbanden strenge und höchste Wissenschaftlichkeit mit revolutionärem Geist (es sind die Wissenschaftler ohne revolutionären Geist, die ihnen deshalb Einseitigkeit bzw. Parteilichkeit vorwerfen) und hinterließen deshalb das Wertvollste, was die fortschrittliche Menschheit heute und bis auf weiteres theoretisch besitzt: DAS KAPITAL – Das Gold der arbeitenden Menschheit. Deshalb hat Lenin vollkommen Recht: „Man kann den Marxismus nicht verstehen und nicht in sich geschlossen darlegen, ohne sämtliche Werke von Engels heranzuziehen“. 29.

Engels durchdachte kurz vor seinem Tod 1895 die neue Situation als Soldat: „Die Geschichte hat aber auch uns unrecht gegeben, hat unsere damalige Ansicht als eine Illusion enthüllt. Sie ist noch weiter gegangen: Sie hat nicht nur unseren damaligen Irrtum zerstört, sie hat auch die Bedingungen total umgewälzt, unter denen das Proletariat zu kämpfen hat. Die Kampfweise von 1848 ist heute in JEDER (kursiv von Heinz Ahlreip) Beziehung veraltet…“. 30. In dieser Einleitung zu einem Werk von Marx zur 48er Revolution durchmustert der alte Engels kurz vor seinem Tod noch einmal kritisch kommunistisches und demokratisches Gedankengut kurz vor 1848, man kann durchaus von kommunistischen Gedankengut ausgehen, denn ab Juni 1847 waren Marx und Engels Mitglieder des „Bundes der Kommunisten“ geworden, dessen Losung lautete: „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch ! Eine Folge hiervon war die Änderung der revolutionären Taktik: nicht mehr die Überrumpelung im Barrikadenkampf „mit EINEM GROSSEN (kursiv von Friedrich Engels) Schlag“ 31., der das entscheidende Mittel in der 48er Revolution war, sondern das langsame Vordringen im harten, zähen Kampf von Position zu Position – in Deutschland mit Hilfe des allgemeinen Stimmrechts. (In romanischen Ländern galt unter revolutionären Arbeitern das Stimmrecht als Instrument der Regierungsprellerei). Standen die Revolutionäre von 48 noch im Banne des Jakobinismus 32. und war in der 48er noch etwas von der Ekstase als dem Geist des Tages zu verspüren, so kam mit der die gesellschaftlichen Verhältnisse durchdringenden marxistischen Wissenschaft der Gegensatz der qualvollen proletarischen Revolution gegenüber der bürgerlichen in Feuerbrillanten gefassten desillusionierend immer mehr zum Vorschein. Allerdings – dem Barrikadenkampf hat Engels nie abgeschworen, wie das später revisionistisch verfälscht wurde, auch wenn die Barrikade für ihn allen Zauber verloren hatte. „Machen wir uns keine Illusionen darüber: Ein wirklicher Sieg des Aufstandes über das Militär im Straßenkampf, ein Sieg wie zwischen zwei Armeen, gehört zu den größten Seltenheiten. Darauf hatten aber auch die Insurgenten es auch ebenso selten angelegt. Es handelte sich für die nur darum, die Truppen mürbe zu machen durch moralische Einflüsse … Gelingt das, so versagt die Truppe oder die Befehlshaber verlieren den Kopf, und der Aufstand siegt“. 33. Eine endgültige Absage ist das freilich nicht, Engels ging davon aus, dass der Barrikadenkampf nicht am Anfang der revolutionären Erhebung stehen wird, sondern erst in ihrem weiteren Verlauf gewichtig werden könnte. Und die Geschichte sollte Engels Recht geben: Während der Barrikadenkämpfe in der russischen Revolution von 1905 bildete sich in Moskau eine neue Taktik des Barrikadenkampfes heraus (Kautsky war einer der ersten, die das erkannten): die Partisanentaktik von 10er, 3er, ja sogar 2er Gruppen. Auch darf andererseits die Bedeutung des allgemeinen Stimmrechts nicht überbewertet werden, es ist lediglich ein Gradmesser der Reife des Proletariats – mehr nicht- und es bleibt ein Mittel der politischen Prellerei, wie Lenin sagt : ein „Werkzeug der Herrschaft der Bourgeoisie“. Die Opportunisten verlangen eben mehr vom allgemeinen Stimmrecht und verfallen der reinen Legalität. Sie verbreiten die Illusion, dass man durch das allgemeine Stimmrecht „im heutigen Staat“ den Willen der Mehrheit der Werktätigen zum Ausdruck bringen kann. 34. Man darf nicht opportunistisch in die reine Legalität des allgemeinen Stimmrechts abrutschen, sondern man muss neben den Wahlergebnissen immer mitentwickeln, dass die Führung des bewaffneten Aufstandes der Volksmassen die höchste Kunst bleibt. Jeder wirkliche Revolutionär träumt davon, sehnt sich danach, arbeitet darauf hin, Tag und Nacht. Dennoch sprach Engels kurz vor seinem Tode von einer „Ironie der Weltgeschichte“, die alles auf den Kopf stellt. Revolutionäre bekämen unter der Gesetzlichkeit „pralle Muskeln und rote Backen“ und sähen aus wie das ewige Leben. 35. Außerdem hatte er schon 1891 in der Kritik des Erfurter Parteiprogramms die demokratische Republik als die spezifische Form für die Diktatur des Proletariats angesehen.

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Details

Titel
Die Ironie der Weltgeschichte. 200 Jahre Friedrich Engels
Autor
Jahr
2020
Seiten
17
Katalognummer
V916671
ISBN (eBook)
9783346236302
ISBN (Buch)
9783346236319
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Engels Marxismus 200. Geburtstag Dialektischer Ironie der Weltgeschichte Materialismus
Arbeit zitieren
Heinz Ahlreip (Autor:in), 2020, Die Ironie der Weltgeschichte. 200 Jahre Friedrich Engels, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/916671

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