Mediale Gewalt = Reale Gewalt?


Examensarbeit, 2006

88 Seiten, Note: 2+


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

2. ZUR BESTIMMUNG DES GEWALTBEGRIFFS
2.1. Strukturelle Gewalt
2.2. Personale Gewalt
2.3. Physische und psychische Gewalt
2.4. Entstehung von Gewalt
2.5. Der Gewaltbegriff in medialen Zusammenhängen
2.6.Zusammenfassung

3. MEDIEN
3.1. Definition Medien
3.2. Die Funktion von Medien
3.3.Fernsehkonsum von Kindern
3.3.1. Der quantitative Fernsehkonsum von Kindern von 3- bis 13-Jahren
3.3.2. Der qualitative Fernsehkonsum von Kindern und Jugendlichen
3.4. Darstellung von Gewalt im Fernsehern
3.5. Motive zum Konsum von Gewalt im Fernsehen
3.6. Wahrnehmung von Gewalt
3. 7. Zusammenfassung

4. MODELLE ZUR ERKLÄERUNG DER WIRKUNG MEDIALER GEWALTDARSTELLUNGEN
4.1. Stimulus-orientierte Ansätze
4.1.1. Stimulus-Respons-Ansatz
4.1.2. Theorie der kognitiven Dissonanz
4.1.3. Verstärkertheorie (Geißler 1992, 23 ff.)
4.2. Rezipienten-orientierte Ansätze
4.2.1.Theorie des Two- Step- Flow
4.2.2. Uses- and- gratification- approach
4.2.3. Dynamisch- transaktionaler Ansatz
4.2.4. Kultivierungshypothese
4.3. Zusammenfassung

5. HABEN GEWALTAKTE VON KINDERN UND JUGENDLICHEN IHRE URSACHE IN GEWALTDARSTELLUNGEN?
5.1. Beispiele für Nachahmungstaten
5.2. Der Wirkungsbegriff
5.3. Die klassischen Wirkungsansätze
5.3.1. Theorien, die Aggressionsmindernde Wirkungen erklären
5.3.1.1. Katharsisthese
5.3.1.2. Inhibitionsthese
5.3.2. Theorien, die Aggressionssteigernde Wirkungen erklären
5.3.2.1. Erregungstheorien
5.3.2.1.1. Frustrations- Aggressions- Theorie
5.3.2.1.2. Excitation-Transfer-Theorie
5.3.3. Lerntheorien
5.3.3.1. Die sozial-kognitive Lerntheorie
5.3.3.2 Habitualisierungstheorie
5.3.3.3. Suggestitionsthese
5.3.4. These der Wirkungslosigkeit
5.4. Der Stand der Wirkungsforschung
5.4.1. Einfluss auf die kognitive Leistungsfähigkeit
5.4.2.Emotionale Effekte
5.4.2.1. Angst
5.4.2.2. Gewalt
5.5. Zusammenfassung

6. PÄDAGOGISCHE PRÄVENTIONSMÖGLICHKEITEN
6.1. Selbstkontrolle und Verantwortung der Medien
6.2. Medienpädagogische Ansätze

7. MEDIALE GEWALT= REALE GEWALT?

Literaturverzeichnis

1. EINLEITUNG

Am 20. April 1999 betreten der 17-jährige Dylan Klebold und sein 18-jähriger Freund Eric Harris ihr High-School-Gebäude in Littelton, Colorado. Sie sind mit zwei abgesägten Schrotflinten, einer Neun Millimeter - Pistole, einem Karabiner, 30 selbstgebauten Sprengsätzen und einer 10kg-Bombe ausgerüstet. Dabei tragen sie Skimasken und lange schwarze Trenchcoats. Während ihres Amoklaufs töten sie zwölf Schüler und einen Lehrer. Anschließend erschossen die Täter sich selbst.

Gasthoven, 12 Februar 2002: Der 19-jährige Michael Weinhold, als Tod verkleidet, bricht in ein Familienhaus ein und ersticht die 12-jährige Vanessa mit mindestens 21 Stichen. Michael ahmte seine Helden ”Billy” nach, den Mörder aus dem Film Scream, dessen Maske er an seine Wand hängen hatte. ,Scream` und ,Halloween` hatte Michael Weinhold mindestens 50-mal gesehen. Die Polizei fand 72 Gewalt-Videofilme in seinem Zimmer, von denen allein 60 aufgrund der besonders hohen Brutalität auf dem Index stehen.

Am 26. April 2002 tötete der 19-jährige Robert Steinhäuser, der 2 Monate vor seiner Abiturprüfung von seiner Schule, dem Gutenberg-Gymnasium, wegen Dokumentenfälschung verwiesen worden war, zwölf Lehrerinnen und Lehrer, eine Schulsekretärin, zwei Schülerinnen, einen Polizisten und anschließend sich selbst. “Ich möchte, dass mich einmal alle kennen und ich berühmt bin”, hatte Robert seinen Mitschülern gegenüber `mal erwähnt.

Drei (von vielen) schrecklichen Taten - und bei allen wurde schnell in den Medien, der Politik etc. das Spielen von Gewalt-Computerspielen und das Rezipieren von Horror- Videos als Ursache genannt. Denn bei allen Tätern wurden solche gewalttätigen Computerspiele wie DOOM, Quake etc. und ein hohes Maß an ”Blut triefenden” Gewaltfilmen sichergestellt.

Doch besteht wirklich ein Ursache-/ Wirkungs-Zusammenhang zwischen den Massenmedien (Computerspiele, Videos, Actionfilme, Zeichentrickfilme etc.) und auftretender Gewalt? Machen Medien Mörder? Welche Auswirkungen hat der Konsum von Massenmedien? Welche Ansätze bietet die Medienpädagogik?

Mit diesen Fragestellungen hat sich die Wissenschaft stark befasst und eine große Anzahl von Studien und Theorien publiziert.

JO GROEBEL und ULLI GLEICH machten bereits 1993 (S.15) ca. 5000 systematisch erfasste Bücher und Artikel über dieses Thema allein in Deutschland ausfindig. Beliebt ist schon seit der Einführung des Fernsehens die These, so genannte Schundfilme, in denen Gewalt eine große Rolle spielt, hätten eine Zunahme der Gewalttätigkeit in unserer Gesellschaft zur Folge. Auf der anderen Seite existieren Standpunkte, die jegliche Wirkungen von medialer Gewalt abstreiten. Zwischen diesen extremen Gesichtspunkten stehen Wissenschaftler, nach deren Positionen weder von einer monokausalen Wirkung noch von einer Nicht-Wirkung ausgegangen werden kann. Sie plädieren für eine Einbeziehung des Umfeldes und insbesondere der familiären Situation, um der Frage nach möglichen Wirkungen von Gewaltdarstellungen auf Kinder und Jugendliche gerecht zu werden. Als exemplarisches Beispiel sei hier eine These von THEUNERT (1987,56) zu nennen: “Reale Gewalttätigkeit von Individuen - so lässt sich dieser Aspekt auf das Problem Gewalt übertragen - hat mehr als nur eine Ursache. Die Ursachen liegen weder ausschließlich im Individuum selbst noch ausschließlich in seinem gesellschaftlichen Umfeld, vielmehr im Wechselprozess zwischen diesen beiden Komponenten.”

Als fester Teil im kindlichen Alltag kann von dem Leitmedium Fernsehen als einer neuen Sozialisationsinstanz neben den Eltern gesprochen werden. Junge Rezipienten sind den Wirkungen der Fernsehinhalte besonders stark ausgesetzt, da sie bis zu einem Alter von 7 bis 9 Jahren längst nicht alle Geschehnisse auf dem Bildschirm kognitiv nachvollziehen können (vgl. Wilhelm/ Myrtek/ Brügner 1997, 31). Die Berücksichtigung der Wirkungen weiterer Medien mit violenten Inhalten wie Computerspiele oder das Internet wäre in einem weiteren Rahmen ebenfalls interessant, würde hier jedoch den Rahmen sprengen.

In der vorliegenden Arbeit setze ich mich mit der Frage der Wirkung von Gewaltdarstellungen in den Medien auf Kinder und Jugendliche auseinander. Das Fragezeichen im Titel deutet schon daraufhin, dass in diesem Themenbereich keine Einigkeit über allgemeingültige Aussagen besteht und auch nicht voraussehbar zu sein scheint. Der Begriff der Gewaltdarstellung bezieht sich dabei ausschließlich auf ausgeübte Gewalt im Medium “Fernsehen”.

Grundlage dieser Arbeit bildet die zu Beginn skizzierte Gewaltpräsenz im deutschen Fernsehprogramm und die darauf folgende Zusammenfassung des aktuellen Fernsehverhaltens der Kinder und Jugendlichen. Des weiteren sollen die Argumente für die Motivation zur Rezeption von Gewaltdarstellungen herausgearbeitet werden.

Das vierte Kapitel befasst sich mit Modellen, die zur Klärung der Wirkung medialer Gewaltdarstellungen angewendet werden. Hierbei gehe ich auf die Stimulus- orientierten und die Rezipienten- orientierten Ansätze ein.

Im darauf folgenden 5.Kapitel, dem Hauptteil dieser Arbeit, widme ich mich vorerst den Nachahmungstaten, die mich auf dieses Thema “Mediengewalt = reale Gewalt????... aufmerksam gemacht haben. Im Anschluss daran wende ich mich den klassischen Wirkungsansätzen zu, die aus zahlreichen Untersuchungen zur Medienwirkung hervorgegangen sind. Der Schwerpunkt ist den Auswirkungen, den Gewaltdarstellungen im Fernsehen auf Kinder und Jugendliche ausüben, gewidmet. Er fokussiert, unter Einbezug der aktuellen Forschungstrends, mögliche Einflüsse auf ihr Gewaltverhalten und ihre Angst.

Aufbauend auf diesen Erkenntnissen werden abschließend die Grenz- und Präventionsmöglichkeiten skizziert. Dabei gehe ich auf die Selbstkontrollen der Medien und auf die Arbeit der Medienpädagogik und ihre Ansätze ein.

Begonnen werden soll im Folgenden jedoch mit den umstrittenen Begriff ‚Gewalt’, der bis dato ungenügend und in den meisten Studien sehr unterschiedlich verwendet wird, und daher eine Präzisierung des Diskurses der Gewaltwirkung weiterhin erschwert.

2. ZUR BESTIMMUNG DES GEWALTBEGRIFFS

Da in dieser Hausarbeit eine Analyse zum Zusammenhang zwischen medialer und realer Gewalt durchgeführt wird, müssen als erstes folgende Fragen geklärt werden: Was ist unter Gewalt zu verstehen? Wann tritt Gewalt auf? Welche Formen von Gewalt gibt es und wo fängt Gewalt an? Wie entsteht Gewalt?

Zunächst wird der Begriff ohne direkten Bezug auf die Medien definiert, denn Gewalt gibt es nicht erst, seit es Medien gibt, sondern es ist ein allgemein-gesellschaftliches Phänomen.

Gewalt tritt in unserer Gesellschaft in den unterschiedlichsten Formen auf, so dass individuelle Definitionen von Gewalt zum Vorschein kommen.

Der Terminus ,Gewalt` ist auch durch die Experten wie Juristen oder Medienwissenschaftler aktuell nicht eindeutig definiert und wird in der Gesellschaft sehr vielschichtig genutzt.

Wie vielschichtig die mit dem Terminus ,Gewalt` bezeichneten Handlungszusammenhänge sind, zeigt die “exemplarische Auflistung” von MERTEN, K. (1999, 15):

1 Gewalt gegen bestimmte Personen und Personengruppen (innerfamiliäre Gewalttaten, Gewalt gegen kollektiv definierte Opfergruppen)
2 Gewalt an bestimmten Orten bzw. in bestimmten sozialen Zusammenhängen (Gewaltfelder wie Schule, Familie, Arbeitsplatz etc.)
3 Gewalt auf der Basis unterschiedlicher Motivation (politisch motivierte Gewalt)
4 Gewalt als abstraktes Phänomen (soziale Phänomene wie steigende Gewaltbereitschaft und Gefährdung der öffentlicher Sicherheit)
5 Gewalt als natürliches Phänomen (Naturkatastrophen)
6 Gewalt in unterschiedlichen Ausprägungen (Mobbing, Vandalismus, sexuelle Gewalt):

Ein zentrales Bestimmungskriterium von Gewalt wird mit den Begriffen ´Macht´ und ´Herrschaft´ gekoppelt. Macht und/ oder Herrschaft gelten dann als Gewalt, wenn schädigende Folgen das Ergebnis sind. Die Voraussetzung für Gewaltausübung ist durch Macht und/ oder Herrschaft gewährleistet, für personale ebenso wie für strukturelle Gewalt(vgl. Theunert, H.1987, 62). Unter ,Macht` wird in Anlehnung an Brockhaus die Summe von Einflussmöglichkeiten in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht verstanden. In der Soziologie meint ,Macht` die Chance in einer sozialen Beziehung, den eigenen Willen auch gegen Widerstrebern durchzusetzen. In der Ethik hingegen gilt Macht meist nur durch ihre Bindung an die Tugenden der Gerechtigkeit und Klugheit als sittlich gerechtfertigt.

Herrschaft ist demgegenüber die Ausübung von Macht über Untergebene und Abhängige durch Machtmittel

(vgl. Brockhaus 2000,341/66). Herrschaft ist demnach ohne Macht wertlos, denn ohne Macht kann Herrschaft nicht existieren, umgekehrt ist das schon möglich.

HAUSMANNINGER und BOHRMANN (2002, 103) differenzieren zwischen Gewalt und Gewalttätigkeit, die ethymologisch auf die unterschiedlichen Bedeutungen im Lateinischen zurückgehen, nämlich auf »potestas« ( Macht) und »violentia« (Aggression). Während Gewalt in Form der »potesta« als ein Element sozialer Strukturierung angesehen werden kann, ist die Gewalttätigkeit als »violentia« = Aggression zu verstehen. Violentia ist bewusstes, aber auch unbeabsichtigtes Zufügen eines Schadens an Personen, Sachen, Tieren, der Umwelt oder der Gesellschaft.

Der Begriff ,Gewalt` wird von einigen Wissenschaftlern mit dem Begriff Aggression verbunden. Aus wissenschaftlicher Sicht ist jedoch der Aggressionsbegriff der Übergeordnete. Er bezeichnet eine auf Verletzung eines anderen Menschen zielende Handlung. Die offene Handlung wird dabei als Aggression, die Absicht zur Handlung als Aggressivität bezeichnet (vgl. Kunczik, M.1998, 16).

Auch GROEBEL und GLEICH (1993, 42) setzen die beiden Begriffe in Zusammenhang und bedeutungsgleich an: “ Auf der Ebene individueller Aggressionen wird allgemein ein Verhalten dann als aggressiv bezeichnet, wenn erkennbar eine Person oder eine Gruppe von Personen eine andere Person oder Gruppe sowie Tiere und Sachen bewusst und mit Absicht schädigt oder bei einer Handlung eine solche Schädigung in Kauf nimmt” .

Den synonymen Gebrauch der beiden Begriffe (Gewalt und Aggression) verwendet auch NEIDHARDT (1973,15). Den Begriff Aggression definiert er folgendermaßen: ”Aggressionen sind Verhaltensweisen, die in der mehr oder weniger bewussten Absicht geschehen, ein Objekt zu verletzen - im Falle sozialer Aggressionen: einen Menschen, seinen Ruf, seinen Körper, sein Bewusstsein, seine Integrität.”

“Gewalt liegt immer dann vor, wenn als Folge der Ausübung von Macht oder von Herrschaft oder von beidem, oder als Folge der Existenz von Macht- und Herrschaftsverhältnissen Menschen geschädigt werden. Als erstes Bestimmungskriterium für Gewalt ist hiernach die bei dem oder den Betroffenen feststellbare Folge, die durch Gewalt bewirkte Schädigung. Diese ist prinzipiell - jedoch nicht zwangsläufig - von den Betroffenen als subjektives ´Leiden´ erfahrbar. Das Ziel der Gewaltausübung tritt gegenüber der Folge in den Hintergrund, es ist sekundäres Bestimmungskriterium: Auch wenn kein Ziel erkennbar ist, aber eine Folge sichtbar, liegt Gewalt vor” (Theunert, H. 1987, 59 ff.).

Da es der Rahmen dieser Arbeit nicht zulässt, eine vertiefende Diskussion und Definition dieser Begrifflichkeit darzulegen, werden im Folgenden, wie in der Fachliteratur, zwischen vier theoretischen Formen der Gewalt unterschieden: personelle, strukturelle, physische und psychische Gewalt.

2.1. Strukturelle Gewalt

Strukturelle Gewalt kann mit SCHORB, B./ THEUNERT, H. wie folgt definiert werden: “Mit dem Begriff struktureller Gewalt bezeichnen wir alle Formen von Gewalt, die in den Strukturen eines gesellschaftlichen Systems selbst liegen und aus ungleichen Herrschafts- und Machtverhältnissen resultieren. Strukturelle Gewalt kennzeichnet weniger situative Gewalthandlungen oder abgrenzbare Gewaltakte zwischen Personen, sondern vielmehr gesellschaftliche Zustände, die qua ihrer Existenz und Internalisierung oder qua ihrer repressiven Aufrechterhaltung bei einzelnen oder bei Gruppen von Menschen Schädigungen und `Leiden` erzeugen” (vgl. Schorb, B./ Theunert, H. (1984): Gewalt im Fernsehen: In welchen Formen sie sich darstellt und wie junge Konsumenten damit umgehen. In: Schorb, B./ Schneider- Grube, S./ Theunert, H. (Hrsg.): Gewalt im Fernsehen - Gewalt des Fernsehens? Berlin: 25- 46 (30)).

Alternativ bestimmt KUNCZIK (1996,14) den Begriff der strukturellen Gewalt:

“Strukturelle Gewalt sind die in einem sozialen System verankerten Ungerechtigkeiten, wobei weder ein Akteur erkennbar sein muss, noch ein Opfer sich der gegen ihn gerichteten strukturellen Gewalt in Form von ungleichen Machtverhältnissen oder Lebenschancen bewusst sein muss. Wann und in welchem Umfang strukturelle Gewalt auftritt, ist immer im Zusammenhang mit der Wertestruktur des jeweils entscheidenden Individuums zu sehen.”

2.2. Personale Gewalt

THEUNERT, H. (1987,89) definiert personale Gewalt wie folgt: “ Personale Gewalt geht von einer konkreten Person aus, zeigt sich in ihrem Handeln und Verhalten […]. Die Folgen sind sichtbar in physischer oder psychischer Schädigung. […] Personale Gewaltverhältnisse sind in der Regel in allen Komponenten erklärbar, häufig lassen sich strukturelle Gewaltverhältnisse als auslösende Bedingungen ausmachen.”

,,Bei personaler Gewalt beruht die Gewalthandlung auf - zumindest situativ - ungleichen Machtverhältnissen zwischen den Beteiligten, die sich in physischer und psychischer Gewaltanwendung des oder der Ausübenden und in physischer Schädigung des oder der Betroffenen ausdrücken” (Schorb, B./ Theunert, H. (1984):Gewalt im Fernsehen- In welchen Formen sie sich darstellt und wie junge Konsumenten damit umgehen. In: Schorb, B./ Schneider- Grube, S./ Theunert, H. (Hrsg.): Gewalt im Fernsehen - Gewalt des Fernsehens? Sindelfingen: 25-46(30)).

Nach der Definition von KUNCZIK (1996,15) wird personale Gewalt wie folgt definiert: ”Die beabsichtigte physische und/ oder psychische Schädigung einer Person, von Lebewesen und Sachen durch eine andere Person”.

Das bedeutet, dass sowohl z.B. Schläge, Tritte und Erschießen als physische, als auch z.B. Beleidigungen, Drohungen und Einschüchterungen als psychische Gewaltakte Teil dieser Definition personaler Gewalt sind und sich diese Definition auf situative Machtverhältnisse bezieht. Das heißt, dass diese Machtverhältnisse von einem konkreten Moment abhängig und jederzeit wandelbar sind, weil sie auf einer individuellen Ebene reproduziert werden, jedoch nicht unbedingt allein durch individuelle Bedingungen erklärt werden können. Dies resultiert aus der engen Verknüpfung von personaler und struktureller Gewalt, wobei strukturelle Gewaltverhältnisse oft die Voraussetzungen für personale Gewalt schaffen.

Personale Gewalt wird demnach durch strukturelle begünstigt und strukturelle Gewalt dagegen durch personale Gewalt aufrechterhalten.

2.3. Physische und psychische Gewalt

Personale Gewalt wird nach THEUNERT (1987, 86,89) in physische und psychische Gewalt unterteilt:

“Unter physischer Gewalt sind alle Formen gefasst, die körperliche Zerstörung, Verletzung oder Einschränkung zur Folge haben, also die Gewalt, die Menschen anderen Menschen körperlich zufügen. Neben Gewaltverhältnissen zwischen Menschen umfasst sie auch die Fälle, in denen Tiere als Beteiligte auftreten z. B. (Tierquälerei) und in denen Gewalt gegen Gegenstände (Zerstörung von Besitz = Zerstörung der Existenz = psychische, physische Gewalt) ausgeübt wird”.

Psychische Gewalt definiert Theunert wie folgt : , ... findet ausschließlich zwischen Menschen statt. Ausübende und Betroffene sind immer eine oder mehrere Personen. Sie umfasst alle Formen von Gewalt, deren Folge psychische Verletzung oder Beschränkung ist, die also die geistige und seelische Verfassung der Betroffenen schädigen”.

2.4. Entstehung von Gewalt

Die Frage nach der Gewaltentstehung, die mir unausweichlich für die Beantwortung der Frage “Mediale Gewalt = reale Gewalt” erscheint, ist in diesem Kontext schwer zu beantworten, denn gewalttätiges Verhalten bei Kindern und Jugendlichen ist ein durch viele miteinander verbundene Faktoren verknüpft. Gründe für gewalttätiges Verhalten können sein: Frustration, Enttäuschung, Versagen, Überforderung, Mangel an Zuwendung und Liebe in der Familie wie im Freundeskreis und der vielleicht daraus resultierende Medienkonsum sowie Isolation, Orientierungslosigkeit, materielle Lebenssituation und nicht erreichbare Wünsche. (vgl. Männle, U.(4/1997): Vorwort. In: Politische Studien, Sonderheft: Gewaltprävention bei Kindern und Jugendlichen. Was tun wir für den friedlichen Umgang miteinander?, Atwerb-Verlag, 1997, 4).

Gewalttätiges Handeln wird nach GOTTFRIED und ZÖPFL als ein Ausdruck einer gestörten Beziehung des Individuums zu sich selbst, zu anderen Menschen oder sogar zur ganzen Welt verstanden (vgl. Gottfried, Th. / Zöpfl, H. (4/1997): ,,Lebensvertrauen" ist die beste Gewaltprävention.

Pädagogische Anmerkungen zu einem gesellschaftspolitischen Schlagwort, in: Politische Studien, Sonderheft: Gewaltprävention bei Kindern und Jugendlichen. Was tun wir für den friedlichen Umgang miteinander?, Atwerb-Verlag, S. 105).

MÄNNLE postuliert weiterhin, dass Kinder nicht mit solchen Verhaltensweisen wie “Aggressivität” oder “Gewalttätigkeit” zur Welt kommen, sondern erst im Laufe ihrer Lebensgeschichte und ihrer Sozialisation diese Verhaltensweisen erlernen. Die Gewalterfahrungen werden in der Familie, der ersten Sozialisationsinstanz der Kinder, gemacht. Danach prägen die Sozialisationsinstanzen wie Kindergarten, Schule, Medien, Sportvereine und überhaupt die umgebende Gesellschaft das Verhalten der Kinder. (vgl. auch Jäger, R.S. (4/1997): Gewaltprävention: Fakten, Strategien und Visionen - Eine Bestandsaufnahme und Perspektiven zur Weiterentwicklung (Vortrag am 16.6.1997 München), In: Politische Studien, Sonderheft: Gewaltprävention bei Kindern und Jugendlichen. Was tun wir für den friedlichen Umgang miteinander?, Atwerb-Verlag, S. 31).

Die Frage, wie sich solche erlernten, aggressiven Verhaltensweisen auf die Kinder auswirken, wird von HURRELMANN und PALENTIEN beantwortet. Den Autoren zufolge können sich die erlernten Aggressionen entweder nach innen richten oder nach außen. Bei den nach innen gerichteten Aggressionen ist die eigene Person Objekt der Schädigung. Die Schädigung kann emotional, physisch oder psychisch ausgerichtet sein. Diese Form der Ausrichtung kann bei der betreffenden Person zu einer Behinderung der Weiterentwicklung führen.

Bei den nach außen gerichteten Aggressionen, kann sich die Wut sowohl auf die eigene Person als auch auf Fremde sowie Gegenstände richten. Die Schädigung kann körperlicher, verbaler, sozialer oder auch sexueller Natur sein. Als Beispiel einer nach außen gerichteten Schädigung, wird die Gewalt von Eltern auf ihre Kinder gesehen. Hierbei wird der subjektiv erlebte Stress, der beispielsweise bei der Arbeit hervorgerufen wurde, als eine Art Regulierung von Belastungen auf die Kinder projiziert (vgl. Hurrelmann, K. / Palentien, Ch.(1995): Gewalt in der Familie, Schule und Freizeit - Ursachen, Hintergründe und Motive. In: Kofler, Georg [Hrsg.]: Sündenbock Fernsehen? Aktuelle Befunde zur Fernsehnutzung von Jugendlichen, zur Wirkung von Gewaltdarstellungen im Fernsehen und zur Jugendkriminalität. Berlin: S.147).

2.5. Der Gewaltbegriff in medialen Zusammenhängen

In der Diskussion um Gewalt in den Medien geht es in erster Linie um Gewalttätigkeit. Mit Gewalttätigkeit sind Formen der sozialen Interaktion gekennzeichnet, die sich einerseits gegen die soziale Ordnung richten und die andererseits die Schädigung von Personen oder Sachen, Tieren oder der Umwelt herbeiführen, je nachdem, wie weit man den Rahmen für Schädigung durch Gewalttätigkeit zieht (vgl. Hausmanninger, Th./ Bohrmann, Th. 2002,103).

“Das Medium reproduziert real vorhandene strukturelle Gewalt, es gibt Gewalt wieder oder es produziert diese selbst durch die Art und Weise der Darstellung”

(Schorb, B./ Theunert, H. (1984): Gewalt im Fernsehen - In welchen Formen sie sich darstellt und wie junge Konsumenten damit umgehen. In: Schorb, B./ Schneider- Grube, S./ Theunert, H.(Hrsg): Gewalt im Fernsehen - Gewalt des Fernsehens?, Sindelfingen: 25- 46 (35)).

Die drei theoretisch ermittelten Dimensionen des Gewaltbegriffes - physische, psychische und strukturelle - sind auch in den Fernsehsendungen vorfindbar. Personale Gewalt jedoch hat im Fernsehprogramm einen stärkeren Anteil. Formen physischer Gewalt dominieren hauptsächlich in Unterhaltungssendungen, speziell in Krimis, Spielfilmen und Slapsticks. In Unterhaltungssendungen wie Nachrichten liegt der Schwerpunkt eher auf physische Gewaltformen.

Strukturelle Gewalt findet sich insgesamt häufiger in Informationssendungen als im Unterhaltungsgenre (vgl. ebd.1984, 34).

Im Artikel 135 des Strafgesetzbuches wird folgendes als Mediengewalt bezeichnet; “eindringliche Darstellung von grausamen Gewalttätigkeiten gegen Menschen und Tiere, die die elementare Würde des Menschen in schwerer Weise verletzt, und zwar ohne schutzwürdigen kulturellen und wissenschaftlichen Wert.”

Die in den Massenmedien präsentierte Gewalt orientiert sich an der gesellschaftlichen Realität. Im Bereich der Information (Nachrichten) ist sie nur eine Wiedergabe dessen, was die Realität bietet - und im Bereich der Unterhaltungssendungen orientiert sich Gewalt an real Vorfindbarem, als eine Art Abbild der Realität, wiewohl sie nicht Realität präsentiert (vgl. Theunert, H. 1987, 111).

Auf den Punkt bringt KÜBLER die Problematik um Gewaltdarstellungen in den Medien, wenn er schreibt:

“1. Mediengewalt ist symbolische Gewalt.
2. Alle symbolische Gewalt ist von Menschen gemacht und inszeniert, selbst wenn

sie beabsichtigt, Wirklichkeit wiederzugeben.

3. Bildschirmgewalt ist nicht unterschiedslos identisch, sondern muss nach ihren Wirklichkeitspräsentationen, Gattungs- und Handlungskontexten sowie nach ihren Beeinflussungspotentialen differenziert werden.” (Kübler, H.D.(1995): Mediengewalt: Sozialer Ernstfall oder medienpolitischer Spielball? Ein Dauerthema im Interessenclinch zwischen Politik, Kommerz und Wissenschaft. In: Friedrichsen, M./ Vowe, G. (Hrsg.): Gewaltdarstellungen in den Medien, Opladen: 69- 108 (S.81 ff.).

KEPPLINGER und DAHLEM hingegen differenzieren den Begriff “Mediengewalt” in natürliche und künstliche, sowie in reale und fiktive Gewalt. Unter dem Begriff reale Gewalt wird die Präsentation von Verhaltensweisen verstanden, die psychische und physische Schädigungen bewirken. Fiktive Gewalt bedeutet demgegenüber die Präsentation von Verhaltensweisen, die dies nur vorgibt. Unter natürlicher Gewalt wird die lebensechte Präsentation (Realfilm) verstanden.

Die künstliche Darstellung ist demnach die lebensechte Präsentation, wie sie beispielsweise in Zeichentrickfilmen vorzufinden ist (vgl. Kepplinger/ Dahlem (1990): Medieninhalte und Gewaltanwendungen, in: Schwind et. al. (Hrsg.): Ursache, Prävention und Kontrolle von Gewalt. Analysen und Vorschläge der unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission), Berlin: 384)).

2.6.Zusammenfassung

In der hier vorliegenden Arbeit verwende ich den Begriff der personalen Gewalt, die sowohl physische als auch psychische Schädigungen hervorruft. Da strukturelle Gewalt gesellschaftliche Systeme und Zustände beschreibt, soll der Begriff hier nicht zentral behandelt werden. Strukturelle Gewalt ist immer auch Einfluss auf personale Gewalt. Personale, physische und psychische Gewalt sind in größerem Rahmen vertreten und deshalb auch für das hier zu behandelnde Thema unausweichlich.

Die Gründe für und die Entstehung von Gewalt sind vorwiegend in der Familie zu suchen. Kinder, die mit gewaltbereiten Eltern und Geschwistern aufwachsen, werden von einem so gemeinschaftsfeindlichen Verhalten geprägt, dass ihr weiteres Handeln dadurch bestimmt wird. Mitbestimmende Einflüsse für gewalttätiges Verhalten wären weitere Sozialisationsinstanzen wie Kindergarten, Schule und die lebensnahe Umgebung.

Die dargestellte Gewalt im Medium Fernsehen geht auf die reale Gewalt zurück. Filme spiegeln die Wirklichkeit wieder. Demnach würde es keine mediale Gewalt geben, wenn die Gesellschaft gewaltfrei wäre.

3. MEDIEN

Um den Einfluss medialer Gewalt auf die Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen darzustellen, ist es im Vorfeld nötig, ein Grundverständnis bezüglich des hier verwendeten Medienbegriffs zu entwickeln. Anschließend gehe ich auf die Funktion der Medien ein; welchen Raum sie im Leben von Kindern einnehmen und warum die Kinder die Medien, speziell das Fernsehen, nutzen.

3.1. Definition Medien

Mit dem Begriff ,Medien` werden alle Einrichtungen der Gesellschaft erfasst, die sich zur Verbreitung von Kommunikation technischer Mittel und der Vervielfältigung bedienen. Darunter fallen Bücher, Zeitungen, die Verbreitung der Kommunikation über Funk (Radio), Fernsehen, Video, Computer (vgl. Luhmann, N. 1996, 10). Alle diese Medien haben gemein, dass sie Informationen über räumliche und zeitliche Instanzen hinweg speichern und übertragen. In besonderem Maße stellen Massenmedien, wie zum Beispiel das Fernsehen, eine Rolle bei der Vermittlung und Verbreitung von Meinungen, Informationen und Kulturgütern an einen möglichst großen Rezipientenkreis dar.

Eine andere Definition von Medien, die eher wirtschaftlich orientiert ist, bietet Dieter PROKOP, der unter Medien “Massenmedien” versteht, die Inszenierungen jeglicher Art bieten - informierend wie unterhaltend -, die beim Publikum beliebt sind, sich gut verkaufen und hohe Einschaltquoten, Auflagen, Chartpositionen bringen

(vgl. Prokop, D. 2004,303).

“[…]Medium ist stets ein vermittelndes Element, über welches die eigentliche Information transportiert wird. So lässt sich die Funktion des Lehrenden auch als die eines Mediums begreifen, da er versucht, den Lernenden spezifische Inhalte zu vermitteln: Einschränkend ist hierbei allerdings anzumerken, dass der Lehrende zu einem nicht unerheblichen Anteil auch die Inhalte selber bestimmt”

(Schweer, M. K. W. : Medien im Alltag, in: Ders. (Hrsg.) :Aktuelle Aspekte medienpädagogischer Forschung. Interdisziplinäre Beiträge aus Forschung und Praxis, Wiesbaden 2001, 9-19 (S.10)).

Nach der Definition von HERZIG werden Medienangebote aufgefasst als zeichenfähige Musteranordnungen, die kognitiven Systemen in Kommunikationsprozessen Anlässe zur Bedeutungszuweisung und Wissensproduktion bieten. Eine solche semiotisch begründete Definition geht davon aus, dass die Nutzung von Medien ein aktiver Vorgang ist, in dem ein Individuum - als kognitives System - einem wahrgenommenen Muster eine Bedeutung zuweist und dabei sowohl an vorhandene kognitive Strukturen und Erfahrungen anknüpft, als auch neues Wissen generiert (vgl. Herzig, B. (2001): Lernförderliche Potenziale von Multimedia. Medienbezogene, lerntheoretische und didaktische Aspekte. In: Schweer, M. K. W.( Hrsg.): Aktuelle Aspekte medienpädagogischer Forschung. Interdisziplinäre Beiträge aus Forschung und Praxis, Wiesbaden:149-186 (S.150/151)).

Medien, so eine der Grundannahmen des vorliegenden Ansatzes, sind als ein integrierter Bestandteil gesellschaftlicher Realität, als Teil der gesellschaftlichen Kommunikation, als soziale und als materielle Größe aufzufassen. Die materielle Seite präsentiert sich als Instrument der Vermittlung und als Botschaft” (Theunert, H./ Schorb, B. (2000): Kontextuelles Verstehen der Medienaneignung. In: Paus- Haase/ Schorb (Hrsg.): Qualitative Kinder - und Jugendmedienforschung. Theorie und Methoden: Ein Arbeitsbuch, München:33-57 (S.33/34)).

3.2. Die Funktion von Medien

“Zuerst die Freunde, dann die Medien” so lautet das Motto der Kinder. Wenn aber keine Freunde da sind, wenn Kinder und Jugendliche alleine sind und niemand da ist, mit dem sie spielen können, tritt Fernsehen doppelt so häufig auf wie die Beschäftigung mit einen Computer. Sie steht aber nicht nur hinsichtlich der Häufigkeit, sondern auch hinsichtlich der Beliebtheit an erster Stelle der Freizeitbeschäftigung. (vgl. Barthelmes, J./ Herzberg, I./ Nissen, U. 1983, 25).

Desweiteren werden die Funktionen der Medien als Bedürfnisse beschrieben, die das Kind in seiner täglichen Interaktion mit seiner Umwelt zu befriedigen sucht. Je nach ihrem Bezugspunkt lassen sich die Bedürfnisse unterschiedlich einteilen: zum einen sind es kognitive, soziale und emotionale Bedürfnissen.

Zum anderen können sie bestimmten Medieninhalten zugeordnet werden. Die Medieninhalte werden dabei oft als die wichtigste Quelle der Bedürfnisbefriedigung betrachtet. Der Wunsch nach Phantasieerlebnis und der Wunsch nach Realitätserfahrung sind weitere wichtige Beweggründe für die Rezeption (vgl. Barthelmes, J./ Herzberg, I./ Nissen, U. 1983, 58 ff.).

“Spannung, ein bisschen ,,Kribbeln im Bauch” und ein gutes Ende - das sind die zentralen Elemente, die sie von Geschichten im Fernsehen erwarten” (Schumacher, G.(1998): Magazine und Zeichentrick - beliebte Programmgenres der Kinder.

In: Zentralstelle Medien der deutschen Bischoffskonferenz und

Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (Hrsg.): Debatte Kinderfernsehen. Analyse und Bewertung von TV- Programmen für Kinder. 47- 52 (S.47)).

Kinder und Jugendliche wählen mit Absicht bestimmte Inhalte aus, in denen sie Antworten auf ihre Themen finden, mit denen sie sich aufgrund ihrer Entwicklung und ihrer Interessen beschäftigen: gut und böse, Spaß und Ernst, Action und Abenteuer, Liebe und Beziehung, Suche nach Selbstbildern als Mädchen oder Junge bzw. als Frau oder Mann, Suche nach Vorbildern sind dabei maßgebend.

Beim Umgang mit Medien suchen die Kinder und Jugendlichen aber auch nach einem >>Stück Geborgenheit<< in ihrem Alltag. Die Medien bieten den Kindern und Jugendlichen eine Art Vertrautheit (vgl. Barthelmes, Jürgen (01/ 2003): Was machen Kinder und Jugendliche nur mit Medien…. In: Zeitschrift für Jugendschutz, 5-10 (S. 5, 6).

Eine etwas andere Funktion schreiben BRUNS et. al. dem Fernsehen zu.

Das Fernsehen ist ihrer Meinung nach ein Grundbedürfnis des Menschen; es ist der Wunsch des Individuums über seine “biologisch-körperliche Begrenztheit” hinaus mittels dieses Mediums zeitlich und räumlich in die Ferne zu sehen und in andere virtuelle Realitäten einzutauchen ( vgl. Bruns, T./ Marcinkowski, F./ Nieland, J.U./ Ruhrmann, G./ Schierl, T. : Das analytische Modell, in: Schatz, H. (Hrsg.) : Fernsehen als Objekt und Moment des sozialen Wandels. Faktoren und Folgen der aktuellen Veränderungen des Fernsehens, Opladen 1996, 19-55 (S.19/20)). SCHUMACHER, Gerlinde stellt eine Umfrage von 1990 vor, in der Kinder die Gründe für ihre Fernsehrezeption nennen.

Dabei kamen folgende Antworten heraus:

- um die Zeit zu füllen,
- um zu lernen,
- um Gesellschaft zu haben (die Fernsehfiguren),
- um sich über das Fernsehprogramm unterhalten zu können,
- um zu flüchten,
- um schlechte Laune zu überwinden,
- aus Langeweile u. a.”

(vgl. Schumacher, G. (1998): Magazine und Zeichentrickfilme - beliebte Programmgenres der Kinder.S. In: Zentralstelle Medien der deutschen Bischoffskonferenz und Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (Hrsg): Debatte Kinderfernsehen. Analyse und Bewertung von TV- Programmen für Kinder 47-52(S.34).

“Medieninhalte bieten quasi das Drehbuch, mit dem die Kinder ihre `innere Person` inszenieren können, solange diese (noch) nicht mit der `äußeren Person` übereinstimmt. Auf diese Weise erhalten sie die Möglichkeit, angestrebte Handlungsmöglichkeiten im voraus einüben zu können, um sie dann gegebenenfalls parat zu haben” (Paus Haase, I. (1998): Fernsehhelden im Alltag. Wie Kinder Fernsehen mit ihrem Alltag verbinden. In: Zentralstelle Medien der Deutschen Bischofskonferenz und Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (Hrsg.): Debatte Kinderfernsehen. Analyse und Bewertung von TV- Programmen für Kinder, 77- 84 (S.79/80).

Richtet man den Blick auf die speziell hoch favorisierten Helden und Heldinnen, so sind sie ein Teil des Kinderalltags. Sie dienen Kindern in der mittleren Kindheit und der beginnenden Pubertät als Ausdrucksmittel für persönliche Anliegen, für Gespräche und andere Kontakte, zur Rollenauseinandersetzungen in Peer-Groups und Kinderfreundschaften.

Bei Spielsituationen wählen Kinder oft zur Beschäftigung, Auseinandersetzung, Bearbeitung oder Identifikation einer Figur aus, die sie in wesentlichen Teilen als ähnlich ansehen (erweitertes Ich), die aber die für sie wichtigen Fähigkeiten besser vertreten und Wünsche besser ausdrücken können als sie selbst. Medien erfüllen auch, je älter die Kinder werden, die Funktion der Abgrenzung zu den Erwachsenen als ein deutliches Zeichen von `eigenständiger` Kultur, als Verbindungsglied zwischen Freunden und Gruppen (vgl. Paus- Haase, I. (1998): Fernsehhelden im Alltag. Wie Kinder Fernsehen mit ihrem Alltag verbinden. In: Zentralstelle Medien der Deutschen Bischofskonferenz und Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (Hrsg.): Debatte Kinderfernsehen. Analyse und Bewertung von TV- Programmen für Kinder,77-84 (S.77 ff.).

3.3. Fernsehkonsum von Kindern

Die erste Fragestellung beschäftigt sich mit dem Fernsehkonsum von Kindern. Wichtig ist es hier, zwischen quantitativem und qualitativem Fernsehkonsum zu unterscheiden. Quantitativ meint hier: Wie lange schauen die Kinder fern? Zu welchen Zeiten? Wie regelmäßig und warum? Qualitativ hingegen meint: Welchen Inhalten wenden sie sich zu und warum? Die Erhebung der Daten ist für die Diskussion der Gewaltwirkungsforschung, auf die ich später eingehen werde, unerlässlich, um darüber Aufschluss geben zu können, ob Dauer und oder Präferenzen einen Einfluss auf die Gewaltbereitschaft haben.

3.3.1. Der quantitative Fernsehkonsum von Kindern von 3- bis 13-Jahren

Die durchschnittliche Sehdauer der 3- bis 13-jährigen an einem durchschnittlichen Tag betrug im Jahr 2002 62%. Im Vergleich zum Jahr 1992 gab es eine Reduzierung um zwei Drittel. Die Sehdauer ist allerdings auf 97 Minuten am Tag gestiegen. Es gab eine Zunahme von 4 Minuten. Auch die Verweildauer ist in den vergangenen Jahren ebenfalls leicht zurückgegangen, und zwar von 156 Minuten pro Tag im Jahr 1992 auf 151 Minuten im Jahr 2002.

Die Drei- bis Fünfjährigen sehen durchschnittlich 70 Minuten am Tag fern; bei den Sechs- bis Neunjährigen erhöht sich die Fernsehnutzung auf 92 Minuten täglich, und die Zehn- bis 13-Jährigen schließlich sehen mit 116 Minuten pro Tag am längsten fern. Kinder sehen also, je älter sie werden, umso mehr fern.

Erhebliche Differenzen in der Sehdauer bestehen jedoch bei dem Vergleich Werktags/ Wochenende, wie die nachfolgenden Daten beweisen: mit 63% ist der Sonntag, der Tag mit der höchsten Reichweite und einer Sehdauer von 110 Minuten; der Samstag ist der Tag mit der höchsten Sehdauer (114 Minuten). Während der Woche, also Montag - Donnerstag liegt die Tagesreichweite bei 61%. Die Kinder sehen hier im Durchschnitt 88 Minuten täglich fern.

[...]

Ende der Leseprobe aus 88 Seiten

Details

Titel
Mediale Gewalt = Reale Gewalt?
Hochschule
Universität Hamburg
Note
2+
Autor
Jahr
2006
Seiten
88
Katalognummer
V91333
ISBN (eBook)
9783638050302
Dateigröße
734 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mediale, Gewalt, Reale, Gewalt
Arbeit zitieren
Emine Tairi (Autor:in), 2006, Mediale Gewalt = Reale Gewalt?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91333

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