Die Transformation Schlesiens im Zuge der hochmittelalterlichen Ostsiedlung


Hausarbeit, 2020

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Schlesische Verhältnisse vor der Ostsiedlung

3. Transformation im Zuge der Ostsiedlung

4. Die Rolle der Landesherren

5. Konflikte

6. Fazit

7. Bibliografie

1. Einleitung

Von der Entdeckung des Themenkomplexes während der Aufklärung bis in die heutige Zeit hinein wird der Besiedelung der östlichen Gebiete Europas im Hochmittelalter eine politische Bedeutung beigemessen und diese dient auch als Konzept „Germanica Slavica“ der historischen Legitimation territorialer Ansprüche.1 Das Aufgreifen der Thematik „Ostsiedlung“ in der Forschung während der Aufklärung zeigt sich in Texten Herders, der kriegerische Germanen und friedfertige Slawen einander gegenüberstellte.2 Seit dieser Darstellung wurde die „Ostsiedlung“ unterschiedlich bewertet. So kam es im Zuge des Wieners Kongresses zu einer positiven Konnotation zur Legitimation der Integration der östlichen Gebiete.3 Begleitend zur deutschen Reichsgründung erhält die „Ostsiedlung“ eine dominierende, kolonisatorische Deutschtumsperspektive.4 Während der NS-Zeit diente die „Ostkolonisation“ als historische Basis für die Wiedergermanisierung der östlichen Gebiete Europas.5 Die westliche Nachkriegsforschung versuchte daraufhin die emotionale Ladung des Themas zu entschärfen, indem man nun von einer „Ostbewegung“ sprach.6 Währenddessen sahen DDR-Historiker, wie Eva Engel, die in ihren Augen konfliktreiche „Ostsiedlung“ als Grundstein zur Etablierung der negativ konnotierten Feudalherrschaft.7 Neueste Forschungen versuchen die „Ostsiedlung“ als universalgeschichtlichen Prozess der fortschreitenden Verwestlichung der europäischen Ostgebiete darzustellen.8

Die Frage, die sich nun stellt, ist, ob man die „Ostsiedlung“ des Hochmittelalters als Teil dieser Verwestlichung sehen kann und wie diese, in Anbetracht der genannten Perspektiven, vonstattenging . Konkret heißt das, handelte es sich um eine gewaltsame und aufzwingende Verwestlichung oder um einen harmonischen Prozess der Akkulturation.

Geklärt werden soll diese Frage anhand des Beispiels Schlesiens. Die Selektion Schlesiens lässt sich dadurch begründen, dass sich Schlesien zu Beginn der Siedelbewegung um 1200 zu einer Art selbständigen Einheit zwischen Böhmen und Polen formiert hatte9, was eine gezielte wissenschaftliche Betrachtung einfacher macht. Am Ende der Besiedlung um 1300 weist das Herzogtum trotz der vorherigen starken Verflechtung mit dem Osten eine signifikante Westanlehnung auf.10 Dies weist darauf hin, dass die Ostbesiedlung hier besonders intensiv und erfolgreich ablief, was ebenfalls eine gute Voraussetzung für eine wissenschaftliche Untersuchung ist. Der andere Grund, warum Schlesien sich als Beispiel anbietet, ist die durchaus ertragreiche Quellenlage in Form von Lokationsurkunden. Um nun die Fragestellung dieser Arbeit auf einen Satz zu verkürzen: Handelte es sich bei der hochmittelalterlichen „Ostsiedlung“ in Schlesien um eine friedliche westliche Akkulturation? Die vorliegende Arbeit stellt die Verhältnisse in Schlesien vor der Ostbesiedlung dar und wie diese sich im Laufe des 13. Jahrhunderts veränderten. Die Rolle der piastischen Landesherren in Schlesien wird beleuchtet und mögliche Konflikte, die im Zuge der Besiedelung entstanden, werden erläutert. Diese Komponenten sollten hilfreich sein, um abschließend die Fragestellung zu beantworten.

2. Schlesische Verhältnisse vor der Ostsiedlung

Wenn man sich die Verhältnisse in Schlesien vor der Umstrukturierung anschaut, sollte man sich der gesamteuropäischen Verhältnisse des Hochmittelalters bewusst sein. So herrschte zu jener Zeit ein Kulturgefälle zwischen dem fortschrittlichen Mittelmeerraum und Westeuropa gegenüber Ost- und Nordeuropa.11 Auch das spätere Deutschland war dem Osten Europas zivilisatorisch überlegen, jedoch nicht in dem starken Ausmaß wie der Süden und Westen.12

Betrachtet man nun Schlesiens geopolitische Position in Europa um 1200, so sieht man, dass es in einer ständig bedrohten Lage zwischen Polen und Böhmen stand.13 Diese beiden Einflusssphären kämpften zuvor 150 Jahre lang um Schlesien, bis es durch Lothar III. zu einer Teilung Schlesiens zum Vorteil Polens kam.14 Von da an war Schlesien ein Teilfürstentum der polnischen Monarchie und stand zudem in Tributabhängigkeit zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches15, was allerdings schon vor der Teilung der Fall war. 1202 kam es zum Zerfall Polens in einzelne eigenständige Fürstentümer.16 So regierten die schlesischen Piasten nun selbst über Schlesien, standen allerdings immer noch in Tributsabhängigkeit zum deutschen Kaiser.17 Dies war die Situation um 1200, dem Zeitpunkt vor der Hauptphase der Ostsiedlung. Die zu dieser Zeit herrschenden siedlungstechnischen, wirtschaftlichen, kulturellen und hierarchischen Strukturen sollen im Folgenden beleuchtet werden. Hierbei sollte angemerkt werden, dass bereits vor 1200 Prozesse der Ostsiedlung stattfanden, jedoch mehrheitlich noch nicht ihre signifikante Wirkung zeigten.

Zur Verwaltung war das schlesische Land in so genannte Kastellaneien aufgeteilt.18 Diese dienten als militärische, gerichtliche und abgabentechnische Bezirke, wobei eine Burganalage als Mittelpunkt diente.19 Ihnen saß ein Kastellan als Vertreter des Fürsten vor.20 Besiedelung fand innerhalb der Kastellaneien in nicht ortsfesten Weilern statt, die voneinander durch Waldgebiete abgetrennt waren und im Vergleich zu späteren Siedlungen als sehr klein bewohnt beschrieben sind.21 Gemarkungen bzw. systematisch vermessenes Land der Weiler existierte nicht22 und politisch handelsfähig konnten die Siedlungen auch nur durch einen Zusammenschluss mehrerer Weiler werden23. Auch Städte im modernen Sinne waren nicht vorzufinden, sondern man spricht von nichtagrarischen Mittelpunkten.24 In diesen Mittelpunkten lebten unfreie Dienstleute und es gab kein professionelles Handwerk.25 Die herrschaftliche Intensivierung bezog sich nur auf die Burg und nicht auf die Nachbarschaft.26 Außerdem hatte ein Markt, sollte er überhaupt vorkommen, keine große Bedeutung.27 Auch eine ausgeprägte Form der Münzwirtschaft war dort nicht etabliert. So herrschte dort die Gewichtsgeldwirtschaft oder der Naturalientausch.28

Des Weiteren verfügten die nichtagrarischen Mittepunkte über keine rechtliche Selbstständigkeit.29

Die wirtschaftliche Struktur lässt sich recht schnell beschreiben. So spielten vor allem Viehzucht und aneignende Wirtschaft wie Fischerei, Jagd und Bienenbeuterei eine dominante Rolle.30 Allerdings wurde auch ungeregelte Feldgraswirtschaft auf unvermessenem Boden betrieben.31 Man erkennt, dass die Rationalität bei der Landwirtschaft noch keine starke Rolle einnahm. Die Produktion diente hauptsächlich dem Eigenbedarf und der Zahlung der Abgaben und war somit nicht für den Handel auf dem Markt bestimmt.32

Kulturell waren die schlesischen Weiler unselbständig.33 Es befanden sich nur wenige Kirchen auf schlesischem Gebiet und diese waren als Großpfarreien dem herrschaftlichen Gefüge untergeordnet.34 Das Verhältnis zu den Landesherren lässt sich als stark eigenkirchlichrechtlich beschreiben35 und die kirchliche Konzentration lag bei Breslau, da es dort einen Bistumssitz gab.36 Dieser war der einzige in Schlesien. Außer diesem Sitz gab es noch ein Kollegialstift in Glogau und drei oder vier Klöster in Breslau, Leubus und vielleicht in Rybnik.37 In Summe gab es demnach relativ wenig kulturelle Institutionen und auch das Klosterwesen an sich war unterentwickelt.38

Die Einwohner Schlesiens waren größtenteils Bauern und Dienstleute, die mehrheitlich persönlich unfrei und ohne Eigentumsrecht waren.39 Sie unterlagen dem landesherrlichen Recht iura ducalia, welches den Kriegsdienst, den Bau und die Bewachung von Burgen, Jagddienste, die Beherbergung des Herzoghofs, die Gerichtsbarkeit und die Abgaben regelte.40 Vor allem die Abgabenlast der unfreien Untertanen war drückend41. So gab es neben dem Kirchenzehnt, der oft in Naturalien abgegeben werden musste und dessen Durchführung der Erhebung beschwerlich für die Bauern war42, auch den Peterspfennig, den jeder Untertan an die römische Kirche zahlen musste43. Einen Hochadel gab es um 1200 nicht und auch die generelle Macht- und Besitzstellung des Adels war eher niedrig.44 Den näheren Umkreis der Fürsten bildeten wenige hervorgehobene Familien, die die fürstlichen Ämter besetzten45 und die Kastellanen, die wie bereits genannt als Vertreter der Fürsten in den Kastellaneien agierten.

3. Transformation im Zuge der Ostsiedlung

Die Einwanderung aus dem Westen nach Schlesien bewirkte durch den importierten Wissenstransfer eine Modernisierung in der Region46, welche eine Vormachtstellung Schlesiens unter den polnischen Teilstaaten bewirkte47. Auch geopolitisch neigte man sich verstärkt dem Heiligen Römischen Reich zu und wurde abhängiger von diesem.48 Diese neuen Gegebenheiten lassen sich anhand der Veränderungen in den siedeltechnischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Strukturen sehen. Dieses Kapitel der Arbeit stellt den Zustand Schlesiens nicht an einem fixierten Zeitpunkt dar, sondern beschreibt Entwicklungen, die sich im Verlauf des 13.Jahrhunderts abspielten. Dass man kein exaktes Datum nennen kann, liegt zum einen daran, dass die Auswirkungen der Ostsiedlung in Oberschlesien später einsetzten als in Niederschlesien49 und zum anderen, dass speziell auf dem Land Veränderungen schwer datierbar sind, da dort wenig Schriftlichkeit herrschte50.

Das Siedlungsmuster des modernisierten Schlesiens zeichnet sich durch das entstandene Weichbildsystem aus, welches die Kastellaneienverfassung ablöste.51 Dieses System beruhte auf der systematischen Aneinanderreihung von deutschrechtlichen Städten im Abstand von ungefähr 15 km, wobei jede Stadt von umliegenden Dörfern umgeben war.52 Aus diesen größtenteils autarken Metropolregionen, eingeteilt in Gerichts- und Wirtschaftseinheiten, setzte sich Schlesien zusammen.53 Der Kerngedanke dieses Systems war die Arbeitsteilung zwischen Dorf und Stadt.54 Möglich wurde dieses System erst durch die von den Siedlern importierte Vermessungskunst, welche die systematische Verhufung des Landes und somit planmäßige Städte, Dörfer und Großsiedlungen ermöglichte.55 Diese wurden entweder „aus wilder Wurzel“ auf gerodetem Land oder in Anlehnung an ältere slawische Märkte oder Kastelllaneienburgen gegründet bzw. ausgebaut.56 Dieses Muster der Reorganisation wird auch nochmals anhand archäologischer Quellen deutlich.57 Die Verbreitung dieses Systems zeigte sich vor allem dadurch, dass Schlesien infolge der Ostsiedlung ein dichteres Städtenetz aufwies als die es direkt umgebenden Nachbarn, mit Ausnahme von Sachsen.58

[...]


1 BRATHER/KRATZKE, Die Germanica Slavica.

2 GRAUS, Die deutsche Ostsiedlung aus tschechischer Sicht, S. 35.

3 LÜBKE, Ostkolonisation, Ostsiedlung, Landesausbau im Mittelalter, S. 471.

4 Ebd., S. 474.

5 Ebd., S. 477.

6 Ebd., S. 479.

7 ENGEL, Die feudale deutsche Ostexpansion im 12. und 13. Jahrhundert, S. 338-341.

8 LÜBKE, Ostkolonisation, Ostsiedlung, Landesausbau im Mittelalter, S. 483f.

9 KUHN, Die Neugestaltung von Schlesien und Kleinpolen; MORAW, Das Mittelalter (bis 1469), S. 74-90.

10 WÜNSCH, Deutsche und Slawen im Mittelalter, S. 46.

11 MORAW, Das Mittelalter (bis 1469), S. 127-139.

12 Ebd.

13 WÜNSCH, Deutsche und Slawen im Mittelalter, S. 22; MORAW, Das Mittelalter (bis 1469), S.74­90.

14 MORAW, Das Mittelalter (bis 1469), S. 56-71.

15 Ebd.

16 Ebd.

17 Ebd.

18 Ebd.

19 Ebd.

20 Ebd.

21 Ebd.; Ebd., S. 114-127.

22 Ebd.

23 KUHN, Die Neugestaltung von Schlesien und Kleinpolen.

24 MORAW, Das Mittelalter (bis 1469), S. 56-71.

25 Ebd.

26 Ebd.

27 Ebd.

28 Ebd.

29 KUHN, Die Neugestaltung von Schlesien und Kleinpolen.

30 Ebd.; IRGANG, Schlesien im Mittelalter, S. 20-29.

31 MORAW, Das Mittelalter (bis 1469), S. 56-71.

32 Ebd.

33 KUHN, Die Neugestaltung von Schlesien und Kleinpolen.

34 MORAW, Das Mittelalter (bis 1469), S. 56-71.

35 IRGANG, Schlesien im Mittelalter, S. 20-29.

36 MORAW, Das Mittelalter (bis 1469), S. 56-71.

37 KUHN, Die Neugestaltung von Schlesien und Kleinpolen.

38 MORAW, Das Mittelalter (bis 1469), S. 56-71.

39 KUHN, Die Neugestaltung von Schlesien und Kleinpolen.

40 IRGANG, Schlesien im Mittelalter, S.20-29; KUHN, Westslawische Landesherrn als Organisatoren S. 228.

41 KUHN, Die Neugestaltung von Schlesien und Kleinpolen.

42 Ebd.

43 MORAW, Das Mittelalter (bis 1469), S. 128.

44 IRGANG, Schlesien im Mittelalter, S. 20-29.

45 MORAW, Das Mittelalter (bis 1469), S. 56-71.

46 CONRADS, Hort der Toleranz.

47 KUHN, Die Neugestaltung von Schlesien und Kleinpolen.

48 WÜNSCH, Deutsche und Slawen im Mittelalter, S. 46.

49 IRGANG, Schlesien im Mittelalter, S. 20-29.

50 MORAW, Das Mittelalter (bis 1469), S. 114-127.

51 Ebd., S. 100-114; KUHN, Westslawische Landesherrn als Organisatoren, S. 248.

52 POHL, Die mittelalterliche Ostsiedlung.

53 MORAW, Das Mittelalter (bis 1469), S. 100-114.

54 Ebd.

55 KUHN, Die Neugestaltung von Schlesien und Kleinpolen.

56 IRGANG, Schlesien im Mittelalter, S. 20-29.

57 FOKT, Transformation des schlesischen Altsiedellandes im Lichte archäologischer Forschungen, S. 193f.

58 MORAW, Das Mittelalter (bis 1469), S. 100-114).

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Transformation Schlesiens im Zuge der hochmittelalterlichen Ostsiedlung
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Veranstaltung
Wirtschaft und Handel im Hochmittelalter
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
19
Katalognummer
V912707
ISBN (eBook)
9783346232021
ISBN (Buch)
9783346232038
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ostsiedlung, Schlesien, Hochmittelalter, Verwestlichung, Ostkolonisation
Arbeit zitieren
Luc Michaelis (Autor:in), 2020, Die Transformation Schlesiens im Zuge der hochmittelalterlichen Ostsiedlung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/912707

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