Die Entwicklung der öffentlichen Schlachthöfe anhand des Berliner Zentralvieh- und Schlachthofes


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

41 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung in das Thema

2. Die Stadt im Modernisierungsprozeß
2.1. Allgemeine Entwicklungslinien
2.2. Berlins Entwicklung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts

3. Die Hygienisierung der Gesellschaft und die Assanierung der Städte
3.1. Der Zusammenhang von Krankheit und Hygienisierung
3.2. Hygienisierung der Gesellschaft
3.3. Die Assanierung Berlins im 19. Jahrhundert

4. Die Entwicklung der kommunalen Schlachthöfe
4.1 Kurze Einführung in die Geschichte des Schlachtwesens
4.2 Die Wichtigkeit der Fleischbeschau bei der Diskussion zur Einführung der öffentlichen Schlachthöfe
4.3 Kurze Geschichte des Berliner Schlachtwesens
4.4 Der Bau des öffentlichen Berliner Vieh- und Schlachthofes
4.5 Hygienisierung des Schlachtwesens im Schlacht- und Viehhof zu Berlin

5. Zusammenfassung

6. Literatur- und Quellenverzeichnis
6.1. Quellenverzeichnis
6.2 Literaturverzeichnis

1. Einführung in das Thema

Die Geschichte unserer heutigen Schlachthöfe ist eng verbunden mit den kommunalen Einrichtungen, die überwiegend zum Ende des 19. Jahrhunderts errichtet wurden. In dieser Arbeit soll es darum gehen, die Entwicklungslinien dieser öffentlichen Schlachthöfe aufzuzeigen. Dabei soll besonderes Augenmerk auf den Alten Schlachthof zu Berlin gelegt werden, da sich die Quellenlage dafür am Anfang als sehr gut darstellte.[1] Zunächst einmal werden die einzelnen Gründe, aber auch die gesellschaftlichen Zusammenhänge zu klären sein, die zu der Entwicklung der öffentlichen Schlachthöfe führten. Dazu gehören vor allem die Entwicklungen der Stadt und die Hygienebewegung im 19. Jahrhundert. Diese waren wiederum beeinflußt von der Entwicklung des Bürgertums seit dem 18. Jahrhundert und immer wieder auftretenden Krankheiten und Seuchen. So sieht von Simson die frühen Epidemien als Beweggrund für die Assanierung der Städte, da sie sowohl die Öffentlichkeiten als auch die politischen Entscheidungsträger bewegten.[2]

Den zeitlichen Rahmen dieser Arbeit setzt die im 19. Jahrhundert einsetzende Industrialisierung, mit ihren weitreichenden Folgen für die gesamte Bevölkerung. Die Errichtung des öffentlichen Schlachthofes war eingebunden in diesen Rahmen und wurde von diesem beeinflußt.

Da die kommunalen Schlachthöfe, die zum Ende des 19. Jahrhundert fast ausschließlich städtische Erscheinungen waren, soll zunächst einmal versucht werden, welche Entwicklung die Stadt in diesem Jahrhundert nahm. Wie sah deren Entwicklung, speziell die von Berlin, aus? Ab der Mitte des 19. Jh., mit der Industrialisierung, vollzog sich der historische Bruch zwischen klassischem und modernen Städtebau in den Industriestaaten Europas. Neue bauliche Aufgaben rückten in den Mittelpunkt: Umbau der Innenstädte, Stadterweiterung, Wohnungsbau und Reorganisation des Verkehrs. Welchen Einfluß hatte dabei die Hauptstadtfunktion Berlins? Diese Frage könnte, wie heute auch immer wieder, einen Einfluß auf die gesamte Hygienebewegung haben. Denn Berlin war seit dem 18. Jahrhundert die Hauptstadt des Staates Brandenburg-Preußen, der sich im 19.Jahrhundert zu einer der führenden Kontinentalmächte entwickelte.

Bei der ersten Sichtung der Sekundärliteratur fiel auf, daß mit dem Schlachthof der Begriff der Hygiene eng verbunden war. Ihren Anfang nahm die Hygienebewegung in England und Frankreich, wo die gesellschaftlichen Umbrüche durch die Revolution von 1789 bereits früher einsetzten.[3] Hauptthemen waren die öffentliche Wasserversorgung in den Städten und die Abfallentsorgung. Die Städte gewannen ihr Trinkwasser aus Flüssen, in denen gleichzeitig Abwässer und Abfall landeten. Zum Problem wurde das in der Zeit der Industrialisierung, als sich die Menschen in den Städten konzentrierten und zudem die Industrie große Mengen Wasser verbrauchte.

Zudem fiel die Zeit der Hygienebewegung ab der Mitte des 19. Jahrhundert eng zusammen mit der Entwicklungsphase der Industrialisierung. Somit wird zu klären sein, welche Zusammenhänge zwischen den beiden historischen Erscheinungen bestanden. Denn gerade in der letzten Phase der Industrialisierung ist eine Häufung der Hygienemaßnahmen zu erkennen.[4] Die Einrichtung der Schlachthöfe an den Rand der urbanen Bebauung war nur eine unter vielen Maßnahmen des Gesundheitswesens. Zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde die bis dahin unbekümmerte Ansiedlung industrieller Betriebe nicht länger gestattet. So wurden neben den Schlachthäusern auch andere tierverarbeitende Produktionsstätten, wie Knochenmühlen und Seifensiedereien, die einen bestialischen Gestank verbreiteten, außerhalb bewohnter Gebiete um- und angesiedelt.[5] Es kann dabei nicht auf alle Maßnahmen der Assanierungspolitik[6] eingegangen werden, so daß neben dem Schlachtwesen die Kanalisation, die in allen Städten zu den dringlichsten Aufgaben gezählt wurde, kurz thematisiert wird.[7] Wichtig erscheint zudem die genaue Benennung der wichtigsten Kräfte der Hygienebewegung.

1868 erschien das preußische Gesetz, betreffend die Errichtung öffentlicher, ausschließlich zu benutzender Schlachthäuser.[8] Warum führte es nicht zu der entsprechenden schnellen Umsetzung dieser Maßnahme? So wurde der Schlachthof in Berlin, der Hauptstadt Preußens, erst 1881 eröffnet, 13 Jahre nach der gesetzlichen Grundlage. Das Handwerk der Metzger oder Fleischer und Schlächter schien eine Veränderung durch die Einrichtung der öffentlichen Schlachthöfe zu durchleben. So wurden in der frühen Literatur die drei Begriffe für das Handwerk meist synonym benutzt. Ihnen gemein war die frühere Einordnung in eine gemeinsame Zunft. In der Literatur zu den modernen Schlachthöfen wurde die Synonymität aufgehoben. Grund schien die rationelle Aufteilung und Spezialisierung des Arbeitsprozesses in das Töten des Schlachtviehs und dessen Verarbeitung zu sein.

Es soll versucht werden, die Entwicklungen des Berliner Schlacht- und Viehhofes so ausführlich darzustellen, wie es die vorliegende Quellen- und Literaturlage erlaubt. Es soll kein Anspruch auf Vollständigkeit gelegt werden, da dazu noch weitere Forschung in Archiven nötig wäre.

2. Die Stadt im Modernisierungsprozeß

2.1. Allgemeine Entwicklungslinien

Der Prozess, der mit dem Umbau der Städte zur Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert einsetzte, wird in der Geschichtsforschung als Urbanisierung bezeichnet. Franz-Josef Brüggemeier bezeichnet den Bevölkerungswachstum, die Industrialisierung und die damit verbundenen Belastungen für die Kommunen als explizit städtische Phänomene.[9] Urbanisierung meint dabei nicht nur die quantitative Erweiterung des städtischen Siedlungsraumes, sondern auch die gesellschaftlichen Veränderungen, die davon ausgingen. Im Mittelpunkt des Interesses der Stadtgeschichtsforschung steht vor allem die impulsgebende Leistung der Stadt für die rasche Modernisierung der Gesamtgesellschaft, die einen nachhaltigen Strukturwandel der Gesellschaft zur Folge hatte.[10]

Die Anfangszeit der Urbanisierung zeichnete sich zunächst durch einen starken Bevölkerungswachstum, einer Bevölkerungsverschiebung, sowie eine im allgemeinen ungeplant verlaufende bauliche Stadtentwicklung aus.[11] Neue und alte Strukturen vereinten sich zu einem „Chaos“ durch die Vermischung von Industrie und Gewerbe mit den Wohngebieten, die sich durch eine immer mehr zunehmende Wohndichte auszeichneten. Dadurch kam es in den Städten zu großen hygienischen Risiken.[12] Das zum Teil noch mittelalterliche Stadtbild wurde im 19. Jahrhundert vehement verändert.

Das wirtschaftliche Schwergewicht verlagerte sich in der Urbanisierungsphase vom agrarischen Sektor auf den gewerblichen und dienstleistenden Sektor, die sich in der Stadt ansiedelten und konzentrierten. Als Folge entstanden neue gesellschaftliche Gruppen, wie z.B. eine industrielle Arbeiterschaft. Zudem änderte sich auch die politisch-finanzielle Macht in den Städten. Das Bürgertum gelangte in Form des Beamtentums an die Schaltzentralen der Macht. Die gesellschaftlichen Veränderungen stellten sowohl die Verwaltung als auch die Bewohner vor neue ökonomische, technische, soziale und gesundheitspolitische Probleme und Aufgaben. Man begann mit der Errichtung von Kommunikations- und Verkehrsnetzen. Zu allem kam eine zunehmende politische Partizipation der Bürger durch Reformen des Wahlrechts. Das alles trug zu einem neuen urbanen Lebensstil bei, der kollektive Einstellungen und Verhaltensweisen schuf.[13]

Unter Stadtbautheoretikern wurde diskutiert, wie die moderne Stadt auszusehen hatte. Für Rudolf Eberstadt sollte es für eine moderne Großstadt charakteristisch sein, daß Wohnort und Arbeitsplatz getrennt sind.[14] Es kam zu einer „vollständigen Umkehrung in der Stellung des Zentrums und des Außenbezirks“.[15] Reinhard Baumeister entwickelte in den 1870er Jahren ein stadtplanerisches Gesamtmodell auf der Grundlage einer funktionalen räumlichen Organisation.[16] Die Großindustrie sollte an der Peripherie angesiedelt sein, wo eine gute Anbindung an das Fernverkehrsnetz möglich war und die Bodenpreise gering waren. Zugleich konnten so gesundheitsschädliche Einflüsse von den äußeren Wohngebieten ferngehalten werden.

2.2. Berlins Entwicklung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts

Zum Anfang des 13. Jahrhunderts kamen die ersten Kolonialisten aus dem Rheinland in die Doppelstadt Berlin/ Cölln. Mit der Fertigstellung des Schlosses zu Cölln an der Spree 1451 beginnt diese Stadt die Residenz der Hohenzollern zu werden. Das Zusammenwirken von absoluten Fürsten mit den größten Städten erforderte, daß der Fürst seine dauernde Residenz in der größten Gewerbestadt seines Landes nahm.[17]

Mit der Regierung des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. (1640-1688), der den Brandenburgisch-Preußischen Staat zu einer europäischen Macht erhob, begann auch für Berlin die moderne Entwicklung.[18] Von entscheidender Bedeutung war dabei zunächst der Ausbau des mittelalterlichen Berlins in eine Festungs- und Garnisonsstadt, die zur Repräsentation des Herrschers diente.

1709 erhielten die fünf Stadtteile Berlins einen einzigen Magistrat mit einer einheitlichen Gerichtverfassung.[19] Handel, Verkehr und Industrie blühten in der Sicherheit auf. Die Einwohnerzahl stieg in der Amtszeit Friedrich I. von 16.900 im Jahre 1690 auf 61.000 im Jahre 1712. Der Aufstieg Berlins von der Kleinstadt zur Großstadt hatte begonnen.

Aus dem Interesse der preußischen Fürsten an steigenden Akziseeinnahmen[20] entwickelte sich die staatliche Wirtschaftspolitik, die systematisch versuchte, Gewerbe anzusiedeln und den Warenverkehr in die Stadt zu lenken.[21] In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war Berlin ein Zentrum der Manufaktur: Wollgewerbe, Baumwollproduktion, Porzellanherstellung.

Träger und Initiatoren der kapitalistischen Dynamik sind in Preußen also zunächst das preußische Militär und der Staat.[22] Berlin war als absolutistische Residenzstadt vollkommen abhängig vom Hof, von den Beamten, vom Militär und von der staatlichen Gewerbe- und Handelspolitik. Gleichzeitig begünstigten sie auch den Standort Berlin, indem staatliche Mittel in den Ausbau der Infrastruktur und der Wirtschaft flossen. Soldaten, Offiziere, Beamte verbrauchten hier ihren Sold, ihr Gehalt und ihre Renten. Diese merkantilistische Politik bestimmte noch im 18. Jahrhundert die Finanzpolitik Berlins.[23]

Der Merkantilismus und die feudalen Strukturen stellten sich in Folge immer mehr als Hindernis für die Wirtschaft dar.[24] Berlin besaß zu dieser Zeit immer noch eher den Charakter einer preußischen Provinzstadt.[25] Nach der Besetzung durch napoleonische Truppen 1806-1808 blühte Berlin unter der Politik der Reformen Hardenbergs und Steins neu auf.[26] Besonders Berlin profitierte von der Steinschen Städteordnung[27] von 1808 und der Einführung der Gewerbefreiheit von 1810[28] durch Hardenberg.[29] Die Städteordnung stellte das erste kommunale Verfassungsrecht des preußischen Staates dar und brachte die Stadt unter die Selbstverwaltung der Bürger durch gewählte Stadtverordnete. Den Bürgern wurde damit wieder ein Recht auf Einwirkung auf die Verwaltung gegeben, die sie durch die absolutistischen Fürsten verloren hatten. Gleichzeitig verloren die Städte ihre eigene Gerichtsbarkeit und die Polizeigewalt.[30]

Die preußischen Reformen besaßen eine wirtschafts- und gesellschaftspolitische Zielsetzung. Die vordringlichste Aufgabe war, neue Arbeitsplätze zu schaffen, die „die Kapazität der ständisch gebundenen Wirtschaft überstieg“.[31] Beide Reformen bildeten die „Vorraussetzungen für die Entwicklung Berlins zur modernen Industriegroßstadt“[32] durch moderne Betriebs- und Produktionsformen.[33]

Berlin entwickelte sich im 19. Jahrhundert zum politischen, kulturellen und wirtschaftlichem Zentrum Brandenburg-Preußens. 1810 wurde die Universität gegründet, die das wissenschaftliche Leben bereicherte und zur bedeutendsten in Deutschland wurde. Zum wirtschaftlichen Aufschwung Berlins trugen weitere preußische Reformen bei. 1818 fielen die Zollschranken, welche den preußischen Warenstrom in die anderen Provinzen behinderte.[34] Ein weiterer Schritt war die preußische Gewerbeordnung, die an die Gewerbefreiheit von 1810 anschloß.[35]

Ein neues Zeitalter brach mit der Eröffnung der ersten Eisenbahnlinie nach Potsdam 1838 an. Diese bringt die Wende vom Manufakturwesen zur Großindustrie. Die industrielle Revolution begann für Berlin; vor allem die Schwerindustrie und Metallverarbeitung begann sich anzusiedeln.[36]

Besonders die Zeit von 1820-30 war eine Zeit reger Bautätigkeit in der preußischen Hauptstadt. Der Hobrechtplan von 1862, ein Bebauungsplan für Berlin, folgte liberalen gesellschaftspolitischen Vorstellungen.[37] Vorbild war der Haussmann-Plan für Paris. Geplant waren breite Straßen, große Plätze und weit geschnittene Wohnblöcke, die sogenannte Mietskaserne wurde zu Berlins besonderer Ausdrucksform.[38]

Ab 1871 wurde Berlin zum Zentrum des Deutschen Reiches, was zu einem kontinuierlichen Anstieg der Wohnungsbevölkerung führte.[39] Ab den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts explodiert die Bevölkerung von 1861 etwa 500.000 auf 1,9 Mio. um die Jahrhundertwende. Die Stadt expandiert nach allen Seiten. Mit dem allgemeinen Wachstum Berlins im 19. Jahrhundert ging eine absolute Abnahme der Wohndichte in der Innenstadt einher.[40] Der Wachstum fand vorwiegend in den Stadtrandbezirken statt. Der Ausbau zur wilhelminischen Reichshauptstadt nach 1871 zerstörte das bis dahin noch in sich geschlossene mittelalterliche Bild der Innenstadt endgültig.[41] Berlin als Reichshauptstadt verkörperte ab 1871 die Verbindung des preußischen Militärstaates, der modernen Technologie und der kapitalistischen Rationalisierung.[42]

Berlins Expansion stellte sich seit dem 17. Jahrhundert als eine kontinuierliche Entwicklung dar. Erst mit dem Einsetzen der Industrialisierung explodierte sie räumlich und wirtschaftlich. Dabei nahmen auch die hygienischen Missstände außergewöhnliche Formen an.

3. Die Hygienisierung der Gesellschaft und die Assanierung der Städte

3.1. Der Zusammenhang von Krankheit und Hygienisierung

Noch um 1850 herrschten in den Städten die gleichen hygienischen Verhältnisse, wie die letzten Jahrhunderte zuvor. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts stand die Assanierung der Städte im Mittelpunkt der Hygieneexperten. Ziel war die Gefahrenabwehr. Die europäische Bewegung der Stadthygiene des 19. Jahrhunderts hatte ihren Anfang in London. Dort wurde 1831 das „Boards of Health“ gegründet, dem alle Abwehrmaßnahmen gegenüber der Cholera oblag.[43] Im Gegensatz zu den anderen europäischen Metropolen verfügte London bereits über ein Abwassernetz, so daß sich die Cholera nicht so stark verbreitete.[44]

Die deutsche Sanitätsbewegung begründet sich auf den Engländer Chadwick, der 1842 einen Report über die sanitären Lebensbedingungen der Arbeiterklasse in Großbrittanien veröffentlichte.[45] 1854 setzte mit Haussmann in Paris der umfassende Umbau der französischen Metropole ein, und damit auch die Beseitigung der hygienischen Probleme.[46]

Bei den Wurzeln der Hygienebewegung wird in der Forschungsliteratur immer wieder die Cholera als Initiatorin für Maßnahmen angeführt. Robert Koch spricht von der Cholera als „unser alter Verbündeter“[47], durch die die Bewilligung neuer Kredite für die Hygiene erst möglich wurde. Die Cholera erregte in den Ländern, in denen sie auftauchte, Aufsehen und Ängste. Sie stellte die Behörden hinsichtlich deren Reaktionen auf die Probe und konnte so deren Mängel aufdecken. Es folgten zum Teil soziale Auseinandersetzungen. Aber schon bald nach der ersten Epidemie reagierte die Öffentlichkeit gelassener und vernünftiger.[48]

Evans bestätigt ihre verheerende psychologische Wirkung, doch führt er weiter an, daß die Reformer die Cholera dazu benutzt hätten, um eigene Argumente zur Hygienisierung zu untermauern. Florian Tennstedt bestätigte die Meinung, die Cholera sei die „große Lehrmeisterin der praktischen Hygiene und der öffentlichen Gesundheitspflege des 19. Jahrhunderts“ gewesen. Evans kritisiert, daß Tennstedt für diese Behauptung lediglich eine zeitgenössische Quelle anführt.[49] Grundsätzlich anderer Meinung hinsichtlich des Reformcharakters der Cholera ist die Medizinhistorikerin Margaret Pelling. Vielmehr wurde durch diese Krankheit von Reformen abgelenkt. Auch Virchow kritisierte bereits „eine abschreckende Gleichgültigkeit, um nicht zu sagen Rohheit der Anschauung“ in der Bevölkerung zu Fragen der öffentlichen Gesundheitspflege. „Die Krankheit kommt, ein Glied der Familie oder mehrer werden dahingerafft, man beweint sie, - und man vergisst, wenn nicht sie, so doch meistens die Ursache ihrer Krankheiten. Von Zeit zu Zeit erhält ein Haus die Bezeichnung eines Cholerahauses; eine Zeit lang fehlen die Miether, endlich füllen sich die Räume wieder, als wäre nichts vorgegangen“.[50]

[...]


[1] Die Eröffnung des Berliner Vieh- und Schlachthofes erfolgte im März 1881.

[2] Vgl. John von Simson, Water Supply and Sewerage in Berlin, London and Paris: Developments in the 19th Century, in: Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert. Historische und Geographische Aspekte, hrsg. von Hans Jürgen Teuteberg, Köln/ Wien 1983, S. 430.

[3] Unter Napoleon entstand ein Konzept der hygiène publique: öffentliche Einrichtungen sollten die allgemeine Gesundheit fördern und die unteren Schichten im Interesse der Gesundheit regulieren. Vgl. Jörg Heininger, Zur Sozialhygiene, in: Berlin Central-Viehhof, hrsg. von Susanne Schindler – Reinisch, Berlin 1996, S. 164.

[4] Vgl. Horst Matzerath, Urbanisierung in Preußen 1815- 1914, Stuttgart/ Berlin u.a. 1985 (Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik; Band 72), S. 383.

[5] Vgl. Franz-Josef Brüggemeier, Stadtluft. Luftverschmutzung und Luftreinhaltung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Stadt und Gesundheit. Zum Wandel von „Volksgesundheit“ und kommunaler Gesundheitspolitik im 19. und frühen 20. Jahrhundert, hrsg. von Jürgen Reulecke und Adelheid Gräfin zu Castell Rüdenhausen, Stuttgart 1991, S. 53.

[6] Definition Assanierung nach Labisch: eine naturwissenschaftliche Durchleuchtung und öffentlich-technische Reinigung der mittelbaren und unmittelbaren Lebensverhältnisse, vgl. Alfons Labisch, Experimentelle Hygiene, Bakteriologie, soziale Hygiene: Konzeptionen, Interventionen, soziale Träger – eine idealtypische Übersicht, in: Stadt und Gesundheit. Zum Wandel von „Volksgesundheit“ und kommunaler Gesundheitspolitik im 19. und frühen 20. Jahrhundert, hrsg. von Jürgen Reulecke und Adelheid Gräfin zu Castell Rüdenhausen, Stuttgart 1991, S.39.

[7] Die neue Kanalisation in Paris z.B. war derart erfolgreich, daß sie zu den größten Attraktionen der Stadt gezählt wurde. Vgl. David Jordan, Die Neuerschaffung von Paris. Baron Haussmann und seine Stadt, Frankfurt a. M. 1996, S. 293.

[8] Zum genauen Wortlaut des Gesetzes: siehe Anhang.

[9] Vgl. Brüggemeier, Stadtluft, S. 49.

[10] Wehler bezeichnet die Urbanisierung als einen Teil der Modernisierung, die im ausgehenden 18. Jahrhundert einsetzt. Vgl. hierzu v.a.: Hans-Ulrich Wehler, Modernisierungstheorie und Geschichte, Göttingen 1975, S. 58-63. Matzerath versteht in seiner Studie zur Urbanisierung Preußens die Urbanisierung ebenfalls als einen Teilprozeß der Modernisierung, vgl. Matzerath, Urbanisierung in Preußen, S. 20-23 und S. 383.

[11] Vgl. zur Urbanisierung: Wolfgang R. Krabbe, Die deutsche Stadt im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 1989, S. 68-83 und speziell zur Urbanisierung in Preußen: Matzerath, Urbanisierung in Preußen.

[12] Vgl. Beate Witzler, Großstadt und Hygiene, Stuttgart 1995, S. 10f.

[13] Vgl. ebd., S. 10.

[14] Vgl. Rudolf Eberstadt, Handbuch des Wohnungswesens und der Wohnungsfrage, Jena 1910, S. 175-177.

[15] Ebd., S. 175.

[16] Vgl. Reinhard Baumeister, Stadterweiterung in technischer, baupolizeilicher und wirtschaftlicher Bedeutung, Berlin 1876, S. 83ff., zitiert nach: Schwippe, Heinrich Johannes, Zum Prozeß der sozialräumlichen innerstädtischen Differenzierung im Industrialisierungsprozeß des 19. Jahrhunderts. Eine faktorial-ökologische Studie am Beispiel der Stadt Berlin 1875-1914, in: Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert. Historische und Geographische Aspekte, hrsg. von Hans Jürgen Teuteberg, Köln/ Wien 1983, S. 242f.

[17] Vgl. Goerd Peschken, Die Kolonialstadt, in: Exerzierfeld der Moderne. Industriekultur in Berlin im 19. Jahrhundert), hrsg. von Jochen Boberg, Tilman Fichter, Eckhart Gillen, München 1984, S.12-17.

[18] Vgl. zur Entwicklung Berlins im 17. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts auch: Berlin und seine Bauten, hrsg. vom Architekten-Verein zu Berlin, erster Teil, Berlin 1877, S. 29-44.

[19] Friedrich Wilhelm vereinigte 1709 die königlichen Privatstädte mit der Doppelstadt Berlin - Cölln.

[20] Die Akzise ist eine in den Städten erhobene indirekte Steuer.

[21] Unter Friedrich II. (1740-1786) erfolgte vor allem die Voraussetzungen zum wirtschaftlichen Aufschwung, Hafenbauten, Fabriken. Er versuchte vor allem die materiellen Grundlagen des städtischen Wohlstandes, wie Gewerbe und Handel zu fördern. Vgl. dazu auch Bernd Rabehl, Absolutismus, Militär und Industrie, in: Exerzierfeld der Moderne. Industriekultur in Berlin im 19. Jahrhundert, hrsg. von Jochen Boberg, Tilman Fichter, Eckhart Gillen, München 1984, S. 21.

[22] Vgl. Vorwort der Herausgeber in Exerzierfeld der Moderne. Industriekultur in Berlin im 19. Jahrhundert, hrsg. von Jochen Boberg, Tilman Fichter, Eckhart Gillen, München 1984, S. 6.

[23] Vgl. Rabehl, Absolutismus, Militär und Industrie, S.23.

[24] Vgl. ebd., S.29.

[25] Vgl. Daniela Guhr, Rundgang durch ein Jahrhundert, in: Berlin Central-Viehhof, hrsg. von Susanne Schindler – Reinisch, Berlin 1996, S. 161.

[26] Preußen wandte sich mit diesen Reformen ab vom interventionistischen Prinzip staatsrechtlicher Stadtverwaltung und wurde zum Vorreiter des modernen Stadtrechts.

[27] Freiherr Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein ruft in seiner Nassauer Denkschrift vom Juni 1807 zu einer Regierungsbeteiligung aller gebildeten Klassen auf. Diese Schrift, basierend auf Anregungen der Königsberger Stadtverwaltung, bildet die theoretische Grundlage der Steinschen Städteordnung von 1808. Alle Kräfte der Nation sollten am Staat mitarbeiten. Bei den Kräften waren vorwiegend die Personen gemeint, die als besitzhabend galten. Ziel war eine freie, selbständig, unabhängige Verfassung. Vgl. Walter Hubatsch (Hrsg.), Freiherr vom Stein, Briefe und amtliche Schriften. 2. Band, Teil 1, Stuttgart 1959, S. 380-398.

[28] 1810 wurde damit der Zunftzwang in den preußischen Städten offiziell aufgehoben, was eine bedingte Gewerbefreiheit zur Folge hatte. Doch in der Realität behielten die Zünfte noch einige Zeit die Kontrolle der handwerklichen Arbeit in den Städten.

[29] Vgl. allgemein zur Städte- und Gewerbereformen: Karl Heinrich Kaufhold, Gewerbefreiheit und gewerbliche Entwicklung in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Blätter für Landesgeschichte, 118. Jahrgang (1982), S. 73-114; in Preußen: Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution (Industrielle Welt: Schriftenreihe des Arbeitskreise für moderne Sozialgeschichte, Band 7), Stuttgart 1975, S. 560-598 und zur Städteordnung speziell: Matzerath, Urbanisierung in Preußen, S. 29f..

[30] vgl. Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, Stuttgart 1975, S. 565.

[31] Barbara Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit. Die Reformpolitik des preußischen Staatskanzlers Hardenberg (1810-1820), Göttingen 1983, S. 225.

[32] Peter Reichhardt, Stadterweiterung, in: Exerzierfeld der Moderne. Industriekultur in Berlin im 19. Jahrhundert), hrsg. von Jochen Boberg, Tilman Fichter, Eckhart Gillen, München 1984 S. 91.

[33] Vgl. Vogel, Gewerbefreiheit, S. 228.

[34] Die Zersplitterung des preußischen Staatsgebietes benachteiligte Preußen besonders. Das preußische Zollgesetz war nur der Anfang der Einführung der Zollfreiheit. Als Bevollmächtigter des Allgemeinen Deutschen Handels- und Gewerbevereins reichte Friedrich List mehrere Schriften ein, in denen er den Freihandel in ganz Deutschland forderte. Vgl. dazu Manfred Görtemaker, Deutschland im 19. Jahrhundert, 2. durchgesehene Auflage, Bonn 1986, S. 141-149.

[35] Diese Gewerbeordnung war eine Reaktion auf die strikte Ablehnung der Gewerbefreiheit durch die Zünfte und bedeutete für letztere die Entmachtung. Vgl. zu dieser Entwicklung: Koselleck, Preußen, S. 596-600.

[36] Zu den größten Betrieben der Schwerindustrie, die sich in Berlin ansiedelten, gehörten die Firmen Borsig (2000 Arbeiter 1873), Schering, AEG und Siemens. Vgl. zur Schwerindustrie: Sammelband Exerzierfeld der Moderne. Industriekultur in Berlin im 19. Jahrhundert, hrsg. von Jochen Boberg, Tilman Fichter, Eckhart Gillen, München 1984, S. 140-159 und 324-351.

[37] Zu Details des Plans von Hobrecht vgl. Horst Matzerath, Ingrid Thienel, Stadtentwicklung, Stadtplanung, Stadtentwicklungsplanung. Problem im 19. und 20. Jahrhundert am Beispiel der Stadt Berlin, in: Die Verwaltung. Zeitschrift für Verwaltungswissenschaft, 10. Band (1977), (S. 173-196), S. 176.

[38] Zur Entwicklung der Mietskaserne, die heute noch das Stadtbild Weddings, Tiergartens und Kreuzberg prägen, vgl. Eberstadt, Handbuch des Wohnungswesens, S. 59-67.

[39] Zu der Bevölkerungsstatistik 1864-1910: vgl. Schwippe, Prozeß der Differenzierung, S. 263.

[40] Vgl. Horst H. Siewert, Die Stadtbahnprojekte, in: Exerzierfeld der Moderne. Industriekultur in Berlin im 19. Jahrhundert, hrsg. von Jochen Boberg, Tilman Fichter, Eckhart Gillen, München 1984, S. 98.

[41] Vgl. Reichhardt, Stadterweiterung, S. 96.

[42] Vgl. Rabehl, Absolutismus, Militär und Industrie, S. 29.

[43] Vgl. Michael Dorrmann „Das asiatische Ungeheuer“. Die Cholera im 19. Jahrhundert, in:, Das große Sterben. Seuchen machen Geschichte, hrsg. von Hans Wilderotter, Dresden 1995, S. 218f.

[44] Dieses Abwassernetz hatte noch nicht die Funktion einer Kanalisation im heutigen Sinne, sondern dienten vorwiegend der Ableitung von Niederschlägen und ab 1815, gegen Gebühr, zur Entsorgung der Abtritte. Vgl. John von Simson, Kanalisation und Stadthygiene im 19. Jahrhundert, Düsseldorf 1983, S. 18f.

[45] Vgl. von Simson, Water Supply, S. 439; eine kurze Einführung zur Person Chadwicks und dessen Zielen in: von Simson, Kanalisation, S. 16-36.

[46] Vgl. zu Haussmanns Reformen in Paris: Jordan, Neuerschaffung von Paris.

[47] Ackerknecht zitiert aus Robert Kochs Briefen, die er transkribiert hat. Erwin H. Ackerknecht, Geschichte und Geographie der wichtigsten Krankheiten, Stuttgart 1963, S. 20.

[48] Vgl. Richard J. Evans, Tod in Hamburg. Stadt, Gesellschaft und Politik in den Cholera-Jahren 1830 – 1910, Reinbek bei Hamburg 1990, S. 597.

[49] Zur Forschungsdiskussion vgl. Florian Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialpolitik in Deutschland. vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg, Göttingen 1981, S. 207-210 und Evans, Tod in Hamburg, S. 598-601.

[50] Rudolf Virchow, zitiert in: Stürzenbacher, Stadthygiene, S. 165.

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Details

Titel
Die Entwicklung der öffentlichen Schlachthöfe anhand des Berliner Zentralvieh- und Schlachthofes
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
41
Katalognummer
V91120
ISBN (eBook)
9783638042956
ISBN (Buch)
9783638941488
Dateigröße
590 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Sie haben eine fabelhafte Arbeit vorgelegt, die nicht nur grundsolide ist. Dabei erörtern Sie vorbildlich Fragen des menschlichen Zusammenlebens, verweben diese mit Urbanisierungsaspekten, Nahrungs- und Technikgeschichte, wissenschaftshistorischen Fragen und der Geschichte der Hygienebewegung. Im Seminar hatte ich ja den Standpunkt vertreten, daß eine über 30seitige Gefahr laufe „geschwätzig“ zu werden. Diese Gefahr ist in ihrem Falle glücklicherweise nicht eingetreten.
Schlagworte
Entwicklung, Schlachthöfe, Berliner, Zentralvieh-, Schlachthofes, Hauptseminar
Arbeit zitieren
Dargleff Jahnke (Autor:in), 2004, Die Entwicklung der öffentlichen Schlachthöfe anhand des Berliner Zentralvieh- und Schlachthofes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91120

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