Der Lunfardo - Definitions- und Eingrenzungsversuche, historisch-genetischer Überblick, Zusammensetzung und Beispiele


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definitions- und Eingrenzungsversuche
2.1. Definition
2.2. Eingrenzung

3. Historisch-genetischer Überblick
3.1. Entwicklungsphase (1865-1918)
3.2. Anpassungsphase (1918-1950)
3.3. Rückbesinnungsphase (1950 – zur Gegenwart)

4. Funktion und Gebrauch des Lunfardo

5. Zusammensetzung und Beispiele für den Lunfardo
5.1. Neologismen
5.1.1. Methode der Einschränkung
5.1.2. Methode der Verallgemeinerung
5.1.3. Methode der Verschiebung
5.2. Morphologische Veränderungen
5.2.1. freiwillige Deformationen
5.3. préstamos
5.3.1. externe Entlehnungen
5.3.2. interne Entlehnungen

6. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Im Jahre 1962 wurde die „Academia Porteña del Lunfardo“ gegründet, welche eine private Institution ist und sich allgemein mit der sprachwissenschaftlichen Forschung und speziell mit der Entwicklung der Umgangssprache in Buenos Aires beschäftigt. Hierbei wird besonderes Augenmerk auf den Soziolekt, den Lunfardo, gelegt. Diesem wurden von vielen Forschern und Studierenden der Sprachwissenschaft bisher unzählige Essays und Bücher gewidmet, da das Interesse nach wie vor ungebrochen ist. Bei näherer Betrachtung ist festzustellen, dass es sich als sehr schwierig erweist, den Lunfardo zu definieren und einzugrenzen, da sich hierbei die Wissenschaftler weitestgehend uneinig sind. Benigno B. Lugones, ein ehemaliger Polizeiangestellter, veröffentlichte bereits im Jahre 1879 zwei Texte mit den Titeln „Los beduinos urbanos“ und „Los caballeros de la industria“, welche im Laufe der Zeit zu den Vorreitern weiterer Studien zum Lunfardo wurden. Von der Neugier für diesen Soziolekt gefesselt, waren Antonio Dellepiane mit seinem Buch „El idioma del delito“ und José S. Alvarez mit seinen „Memorias de un vigilante“ in den Jahren 1894 und 1897 die beiden nächsten, welche sich mit dem Phänomen Lunfardo beschäftigten. Im Laufe der Zeit verwandelte sich dieser von seinem primitiven Ursprung der Gauner und Randgruppen in ein Vokabular, welches vortrefflich von Schauspielern dargestellt und von berühmten Dichtern, sowie Autoren von Tangotexten eingearbeitet wurde, indem sie gewisse Umgebungen und Klischees bedienen, die mit der eigenen Welt der Vorstadt verbunden sind.[1]

In dieser Arbeit geht es darum, den Lunfardo zu analysieren. Eingehend werde ich versuchen einen Überblick über diverse Definitionstheorien zu geben. Folgend gilt es, den Lunfardo in den historischen Hintergrund einzubetten, sowie Funktion und Gebrauch zu beleuchten. Im Kern meiner Betrachtung soll die Zusammensetzung des Lunfardo stehen, wobei hier verschiedene Beispiele in die Betrachtung einfließen, um ein besseres Verständnis zu ermöglichen.

Der Rahmen dieser Hausarbeit gebietet ein Maximum an faktischer Beschränkung. Daher möchte ich verdeutlichen, dass es sich bei dieser Arbeit nur um einen Problemaufriss handeln kann, ein Aufriss, mit dem ich erreichen möchte, dass der Lunfardo und seine Theorien näher betrachtet werden. In einem solchen Rahmen ist die Komplexität hingegen nur bedingt vermittelbar.

2. Definitions- und Eingrenzungsversuche

2.1. Definition

Der Lunfardo hat seinen Ursprung in Buenos Aires und wird im gesamten Gebiet des Río de la Plata gesprochen. Der Name „Lunfardo“ entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zu Beginn wurde dieser lediglich von den unteren Bevölkerungsschichten gesprochen. Im Laufe der Jahre weitete sich der Lunfardo überdies auf alle sozialen Gesellschaftsschichten aus und ist noch heute in der Alltagssprache existent.

Der Versuch die Entstehung des Lunfardo zu charakterisieren, führte zu einer Polarisierung der grundsätzlichen Auffassungen der Sprachwissenschaftler. Germinal Nogués gelingt es in sachdienlichem Maße diese Entfremdung darzustellen:

El Lunfardo se originó, para algunos, entre los delincuentes y para otros en los conventillos. Lunfardo significa, de hecho, ladrón y surgió, sin duda, entre una de estas dos culturas marginales.“[2]

Stellvertretend für das eine Lager kann der Vorsitzende der „Academia Porteña del Lunfardo“, José Gobello, hinzugezogen werden. Für sein Dafürhalten können Charakteristika wie Syntax und die Existenz eines individuellen grammatikalischen Gefüges keine Anwendung finden. Charakteristika, welche eine Sprache zu einer unverwechselbaren und individuellen Einheit einer jeden Gesellschaft gestalten, sind beim Lunfardo nicht existent. Daraus resultierend kann eine Einordnung in Felder wie Sprache, Dialekt, oder Jargon[3] nicht vollzogen werden. Gobello unternimmt einen Versuch das Phänomen des Lunfardo einzugrenzen. Dieser lautet wie folgt:

Vocabulario compuesto por voces de diverso origen que el hablante de Buenos Aires emplea en oposición al habla general.“[4]

Für ihn ist der Lunfardo in seiner Form lediglich ein kombiniertes Vokabular, welches als Gegenstück zur Generalsprache angewandt wird. Dies kann als Ausdruck inneren Widerstandes gegen das gesellschaftliche Grundgefüge verstanden werden. Jene Darlegung ist jedoch für die genaue Veranschaulichung des Lunfardo nicht hinreichend genug. An dieser Stelle scheint es sinnvoll weitere Wissenschaftler heranzuziehen, um eine präzisere Betrachtung gewährleisten zu können. Bei Teruggi beispielsweise lässt sich folgende Definition finden:

Lunfardo es la denominación que se da al argot originado en Buenos Aires en la segunda mitad del siglo XIX y que, con innovaciones y modificaciones, forma parte del habla espontánea de las masas populares de dicha ciudad y – en mayor o menor grado – de buena parte de la población argentina.“[5]

Im Gegensatz zu Gobello ist Teruggi der Auffassung, dass der Lunfardo eine Bezeichnung des grundlegenden argentinischen Argots ist und sich somit in die Gruppe der Soziolekte einreiht. Er setzt sich zusammen aus innovativen und modifizierten Wörtern, welche die gesprochene Sprache der breiten Masse durchzieht.

Im Allgemeinen bezeichnet der Argot in seiner ursprünglichen Form den Soziolekt der Gauner und Bettler Frankreichs während des Mittelalters. Im übertragenen Sinne ist dieser als Überbegriff für jede Form von Gruppensprache dienlich. Es wird eine Art „Geheimsprache“ kreiert, um geflissentlich die Standardsprache zu umgehen. Bei Teruggi lässt sich folgende Definition finden:

La palabra argot, de origen francés, se emplea internacionalmente para denotar el habla peculiar de un grupo social diferenciado.“[6]

Somit ist ersichtlich, dass es sich beim Jargon und Argot um denselben Sachverhalt handelt, mit dem Unterschied, dass die Bezeichnung für den Grundgedanken an sich landesspezifisch differiert. So bezeichnen die Italiener den hier definierten Ausdruck als „gergo“, die Spanier verwenden die Wörter „bribia“, „germanía“, „hampa“ oder „caló“ und die Franzosen „argot“.[7]

Gleichwohl ist ihm seine eigene Ausführung über den Soziolekt nicht hinreichend genug, so dass er eigens eine Präzisierung dieser vornimmt.

Si quisiéramos precisar más el lunfardo con un enfoque lingüístico, se podría decir que es un habla popular argentina compuesta de palabras y expresiones que no están registradas en los diccionarios castellanos Corrientes.“[8]

Hiermit bestätigt er die These von Gobello, indem er verfügt, dass der Soziolekt eine argentinische Umgangssprache darstellt, welche gekennzeichnet ist durch zusammengesetzte Wörter und Ausdrücke. Diese lassen sich seinem Erachten nach in keinem Wörterbuch der spanischen Sprache wieder finden.

Auf der anderen Seite sind Sprachforscher und Wissenschaftler zu finden, welche sich der Theorie von Amaro Villanueva anschließen. Carlos Ulanovsky oder Antonio Dellepiane sind an dieser Stelle zu erwähnen. Desgleichen lässt sich Teruggi hier einordnen, da er diese Auslegung ebenso teilt. Die Sprachwissenschaftler sind der Auffassung, dass der Lunfardo eine Entstellung des Lombardo sei, welcher der Lombardei in Italien entstammt. Durch Immigration der Neapolitaner nach Argentinien entstand die Möglichkeit, den italienischen Soziolekt zu importieren. Es handelt sich hierbei um einen Ausdruck, der im Italienischen „Dieb“ bedeutet. Zwischen den Wissenschaftlern herrscht Einigkeit darüber, dass der Lunfardo anfänglich als eine Art geheime Sprache diente. Folglich stellte dieser Soziolekt eine besondere Form der Umgangssprache von Dieben und anderen Minoritäten dar, welche in schlechten Verhältnissen lebten, um sich somit vor der Polizei sprachlich schützen zu können.

Wie allgemein bekannt, unterzieht sich Sprache an sich einem fortwährenden Wandel, welcher nicht gesteuert und kontrolliert werden kann. Es existiert hierbei eine Analogie zwischen Sprache und Gesellschaft. Insoweit sich die Gesellschaft einem Wandel unterzieht, wird die Modifikation der Sprache vorangetrieben. Ulanovsky weist darauf hin, dass der alte, neue und neueste Lunfardo im Laufe der Zeit ein fester Bestandteil der Umgangssprache geworden ist und sich allgemein etabliert hat. Die geographischen Schranken haben sich verschoben und dieser findet folglich in vielen anderen Städten des Landes Anwendung. Desgleichen durchdringt er nunmehr eine Vielzahl gesellschaftlicher Bereiche, was mithilfe der Medien realisiert werden konnte. Des Weiteren waren sowohl der Tango, als auch die Lustspiele hilfreiche Mittel, um eine landesweite Verbreitung zu verwirklichen.[9]

Schaut man sich die Aussagen von Lipski an, stellt man fest, dass er über den Entstehungsort des Lunfardo keine genaue Aussage treffen kann. Dessen ungeachtet bezieht er sich ebenfalls auf Villanueva. Er verfügt, dass in Buenos Aires die italienische Gemeinschaft den Lunfardo sprach und maßgeblich für die Verbreitung des Lunfardo verantwortlich war, jedoch nicht zwangsläufig für dessen Entstehung. Viele Wörter des Lunfardo stammen seines Erachtens aus dem Spanischen, dem Portugiesischen, dem Französischen und ebenso aus dem Englischen.[10]

2.2. Eingrenzung

Es ist äußerst schwierig festzulegen, wo die Grenzen des Lunfardo zu verorten sind. Wo liegt die Linie zwischen Lunfardo und Argentinismus[11] ? Wie sieht es mit dem Koloquialismus oder dem Regionalismus aus? Inwieweit gibt es Wörter der porteños[12], die keine Lunfardismen sind? Gobello stellt die Verbindung zwischen Lunfardo und Argentinismus folgendermaßen dar:

Los lunfardismos son argentinismos, aun cuando palabras que se consideran lunfardismos son usadas en otros países hispanohablantes con un significado simular o igual.“[13]

Somit zählen Lunfardismen zum Argentinismus. Zugleich stellt er dem jedoch gegenüber, dass es eine bedeutende Anzahl von Argentinismen gibt, welche keine Lunfardismen sind. Diese reichen vom Regionalismus bis hin zu den förmlichen Wörtern. Ebenso hält er fest, dass die Lunfardismen auch Koloquialismen[14] sind. Demgegenüber kommt der Umkehrschluss jedoch nicht zum Tragen.

Den Zusammenhang zwischen dem Lunfardo und dem Regionalismus stellt er wie folgt heraus:

Los lunfardismos son regionalismos propios de la ciudad Buenos Aires y las zonas urbanas que lindan con ella; lo que podríamos llamar porteñismos. De todos modos, muchas palabras lunfardas son usadas en el resto del país, especialmente en las áreas urbanas.“[15]

Aber auch hier sieht es in der Umkehrung ebenfalls so aus, dass eine Vielzahl von Regionalismen existiert, die wiederum keine Lunfardismen sind. Regionalismen stellen Wörter dar, welche nur in einer bestimmten Region eines Landes gebraucht werden. In einer anderen Zone indes von der Bezeichnung an sich differieren, jedoch die gleiche Bedeutung innehaben. Als Beispiel hierzu dient die Süßkartoffel, welche in dem einen Landesteil ‚ batata ’ genannt wird und im restlichen Land als ‚ camote ’ Anwendung findet.

Bei Teruggi dagegen kann man nur eine Aussage für die Unterscheidung zwischen Lunfardo und den Argentinismen finden.

El límite superior del lunfardo es entonces del lunfardo una amplia franja indefinida. Por encima de esa franja flotan las palabras aceptadas, que en muchos casos serán argentinisnos; por debajo de ella, reptan los lunfardismos. Para muchos autores, la diferencia entre lunfardismo y argentinismo se torna „indetectable“ […].“[16]

[...]


[1] Vgl. Chávez, Fermin 1992: 500 años de la lengua en tierra argentina., Buenos Aires: Ministerio de cultura y educacion de la nación, S. 268ff.

[2] Nogués, Germinal 1993: Buenos Aires, ciudad secreta., Buenos Aires: Ruy Diaz-Sudamericana Editorial S.A., S. 146.

[3] Der Jargon ist eine als Umgangssprache bezeichnete Sondersprache und somit in die Gruppe der Soziolekte einzuordnen. Hier kommt es zu einer vereinfachten Kommunikation innerhalb eines sozialen Milieus, also einer gesellschaftlich, kulturell oder beruflich abgegrenzten Gruppe.

[4] Gobello, Jose, zitiert in: López, Nora 2002: Lunfardo Consolidado y Lunfardo Consolidándose., in:

http://ar.geocities.com/lunfa2000/pone.html.

[5] Teruggi, Mario E. 1978: Panorama del lunfardo. Génesis y esencia de las hablas coloquiales urbanas., Buenos Aires: Editorial Sudamericana, S. 15.

[6] Ebd., S. 15.

[7] Dellepiane, Antonio 1894: El idioma del delito., Buenos Aires: Editor Arnoldo Moen, S. 9.

[8] Teruggi, Mario E. 1978: Panorama del lunfardo. Génesis y esencia de las hablas coloquiales urbanas., Buenos Aires: Editorial Sudamericana, S. 26.

[9] Vgl. Ulanovsky, Carlos 1994: Los argentinos por la boca mueren/2 (duquesa)., Buenos Aires: Grupo Editorial Planeta, S. 86.

[10] Vgl. Lipski, John M. 1994: Latin American Spanish., London/New York: Longman, S. 176.

[11] Hier handelt es sich um Wörter, welche nur im argentinischen Raum gesprochen und verstanden werden.

[12] Bezeichnung für die Einwohner Buenos Aires.

[13] Vgl. López, Nora 2002: Qué es el Lunfardo., in: http://ar.geocities.com/lunfa2000/pone.html.

[14] In die Gruppe der Koloquialismen sind Neologismen sowie Extranjerismen einzuordnen.

[15] Vgl. López, Nora 2002: Qué es el Lunfardo., in: http://ar.geocities.com/lunfa2000/pone.html.

[16] Teruggi, Mario E. 1978: Panorama del lunfardo. Génesis y esencia de las hablas coloquiales urbanas., Buenos Aires: Editorial Sudamericana, S. 37.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Der Lunfardo - Definitions- und Eingrenzungsversuche, historisch-genetischer Überblick, Zusammensetzung und Beispiele
Hochschule
Technische Universität Dresden
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V90981
ISBN (eBook)
9783638072373
ISBN (Buch)
9783656061519
Dateigröße
534 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lunfardo
Arbeit zitieren
Antje Rohloff (Autor:in), 2007, Der Lunfardo - Definitions- und Eingrenzungsversuche, historisch-genetischer Überblick, Zusammensetzung und Beispiele, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90981

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Der Lunfardo - Definitions- und Eingrenzungsversuche, historisch-genetischer Überblick, Zusammensetzung und Beispiele



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden