Die franziskanische Observanzbewegung

Ein Beispiel für die Ordensreformen des Spätmittelalters


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

27 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Lage der Christenheit im Spätmittelalter

3. Missstände in den Klöstern
3.1. Zisterzienser
3.2. Benediktiner
3.3. Bettelorden

4. Die Ordensreformen des Spätmittelalters
4.1. Die Reformkongregationen der Benediktiner
4.2. Andere Reformbewegungen
4.3. Äußere Einflüsse auf die Reformen
4.4. Widerstand gegen die Reformen

5. Armut als Reformprogramm: Die franziskanische Observanzbewegung
5.1. Der Armutsstreit
5.2. Die Observanzbewegung
5.2.1. Die Phase der Herausbildung der Observanzbewegung (1368-1418)
5.2.2. Die zweite Reformphase nach dem Konzil von Konstanz (1418-1528)
5.3. Einflussnahme von außen

6. Schlussbetrachtung

Literatur

1. Einleitung

Das Spätmittelalter war – wie der Name schon andeutet – als „Spätzeit“ geprägt von der Auflösung der hochmittelalterlichen Lebensform. Überall machten sich Zerfallserscheinungen bemerkbar. Auch und insbesondere die Kirche war davon betroffen. Die Zeit vor der Reformation steht für die Kirche im Zeichen des verzweifelten Versuchs einer „reformatio generalis in capite et membris“.

Die großen Veränderungen der Zeit trafen auch die Ordensgemeinschaften und hier führten sie ebenso zu Zerfall und Dekadenz. Regeln und Statuten hatten ihre Prägekraft verloren und die Ideale der Ordensgründer gerieten in Vergessenheit. Dem Mönchtum drohte der Niedergang. Denn, so Peter Hawel, „nur deshalb bekamen die Orden soviel Zulauf, weil nach wie vor das monastische Leben als die höchste Verwirklichung des Christentums angesehen und angestrebt wurde. […] Mit dem Spätmittelalter scheint sich dieser absolute Anspruch des Mönchtums offensichtlich verloren zu haben […]. Sein Höhepunkt war gegen Ende des 13. Jahrhunderts überschritten, und trotz gutgemeinter Reformen lief es seiner Erstarrung entgegen.“[1]

Jene Ordensreformen – und im Speziellen die Reformbewegung der Franziskaner – sind Gegenstand dieser Arbeit. Man könnte meinen die Verwendung dieses Zitats in der Einleitung nähme eine negative Beurteilung der Ordensreformen bereits vorweg. Ziel dieser Arbeit ist jedoch, die Erfolge der Ordensreformer herauszustellen und zu zeigen, dass keineswegs prinzipiell von einem Niedergang des Mönchtums die Rede sein kann.

Die Phase der spätmittelalterlichen Ordensreformen wird von der Forschung vielmehr mittlerweile „mit dem 12. Jahrhundert, der Zeit der Entstehung der Reformorden, dem 13. Jahrhundert, dem Saeculum der Bettelorden, und dem 19. Jahrhundert, das nach Revolution und Säkularisation eine erstaunliche Neublüte und Expansion der Vita religiosa erlebte, auf eine Stufe gestellt.“[2] Warum diese Einordnung gerechtfertigt ist, soll hier dargestellt werden.

Zunächst soll jedoch die Lage der Christenheit im Spätmittelalter beleuchtet werden um hier jene Faktoren zu entdecken, die sich so zermürbend auf die Ordensgemeinschaften auswirkten. Auch wie die Zerfallserscheinungen im Ordenswesen sich konkret ausnahmen gilt es zu klären.

Es schließt sich eine kurze Übersicht über die Reformen in den einzelnen Orden an. Exemplarisch wird hier der Weg der benediktinischen Reformen nachgezeichnet. Eine detaillierte Darstellung aller Ordensreformen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.[3] Die Wahl fiel auf die Benediktiner, weil deren Reform einerseits beispielhaft auch für die anderen Ordensreformen ist, andererseits weil sie vergleichsweise sehr erfolgreich war.

Der Schwerpunkt dieser Arbeit wird aber auf die franziskanische Reformbewegung gelegt. Deren Weg wird hier von ihren Wurzeln, die bereits in der Gründerzeit des Ordens lagen, bis zu ihrer größten Blüte – die jedoch gleichzeitig eine Spaltung des Ordens herbeiführte – nachverfolgt.

SCHLUSSWORT

2. Die Lage der Christenheit im Spätmittelalter

Karl S. Frank sagt über das 14. und das 15. Jahrhundert, dass diese Zeit „von der Auflösung der hochmittelalterlichen Gesellschaftsform geprägt“ war. Und weiter: „Dieser Vorgang mußte zur Verunsicherung und Hilflosigkeit der Klostergemeinschaften führen, besonders der alten, die nur schwer Wege der Akkomodation finden konnten.“[4]

Doch nicht nur damit hatten die Mönchsorden am Ende des Mittelalters zu kämpfen. Eine ganze Reihe von Faktoren wirkte drückend auf die Institution Kirche und damit auch auf die Ordensgemeinschaften.

Die zu Beginn des 14. Jahrhunderts einsetzenden Naturkatastrophen, verbunden mit Missernten und Hungersnöten wie auch die Pest, die ein Drittel der europäischen Bevölkerung hinwegraffte,[5] trafen natürlich auch die Klostergemeinschaften. Neben dem Personalverlust brachten sie die Kirche darüber hinaus auch in Erklärungsnot und hinterließen die Ordensgemeinschaften in hilfloser Resignation und Orientierungslosigkeit.[6] Der Hundertjährige Krieg, der in Frankreich wütete, wirkte sich verheerend auf die Klöster aus.[7]

Im 14. Jahrhundert verschlechterten sich kontinuierlich die gesellschaftliche und auch die innerkirchliche Akzeptanz der höchsten geistlichen Institutionen.

Zunächst war es die Anbiederung der Päpste an Frankreich seit Clemens V., die schließlich in deren Unterordnung unter die Interessen der französischen Krone gipfelte, die dem Ansehen des höchsten kirchlichen Würdenträgers – und mit ihm der Gesamtkirche – schwer schadete.[8] Das große abendländische Schisma, dass die Kirche seit 1379 in zwei, seit 1409 gar in drei Lager spaltete, deren Päpste jeweils die höchste Vollmacht in der Christenheit als Spitze der hierarchisch aufgebauten Kleruskirche für sich beanspruchten, richtete noch schwereren, bleibenden Schaden an der kirchlichen Autorität an. Es stürzte nicht nur die Menschen in tiefgehende Skrupel hinsichtlich ihres eigenen Heilsstandes.[9] Ein französischer Kleriker schrieb um 1400: „Wir sehen wie alles in Unordnung gebracht, umgestürzt und verwirrt wird. Die weltweite Harmonie der kirchlichen Rechtsordnung ist aufgelöst. Das Haupt liegt darnieder. Die Glieder brechen auseinander. Das gesamte Gefüge wird auseinandergebrochen und zerfällt. Alle Ordnungen, alle Ränge, alle Würden, alle Stände und Ämter erschlaffen.“[10] Die Trennung, die es in der abendländischen Kirche verursachte, verlief auch durch die großen Ordensgemeinschaften.

Der aufkommende Nationalismus und mit ihm die Nationalkirchenentwicklung, begünstigt durch die Schwäche des Papsttums durch das Schisma, fügte diesen Bruchlinien weitere hinzu, indem er die Internationalität der großen Orden angriff und sie in nationale Grenzen zwängte.[11] Vor allem in England und Frankreich machten sich die Herrscherhäuser die Schwäche der Amtskirche zunutze, um ihre eigene Herrschaft über die jeweilige Landeskirche geltend machen zu können. Die Könige griffen in die kirchliche Pfründenvergabe ein, belegten den Klerus mit Steuern und schränkten die kirchliche Jurisdiktion ein, indem sie ihr die eigene voranstellten.[12] In England wurde diese Entwicklung durch die Lehren des John Wyclif bestärkt. Dieser begrüßte die Unterordnung des kirchlichen Rechts- und Finanzwesen unter die weltliche Gewalt als ein Mittel, um die Kirche von allem Streben nach Reichtum und Herrschaft zu reinigen und sie damit seinem Ideal einer geistlichen Kirche anzunähern.[13] Wyclifs Thesen strahlten auch auf Kontinentaleuropa aus und entfalteten ihre nachhaltigste Wirkung in Böhmen, wo sie von Jan Hus aufgenommen wurden.

Was Wyclif da anprangerte war vielleicht der Aspekt, der dem Ansehen der Kirche am meisten Schaden zufügte: Vor allem die Päpste, aber auch der hohe Klerus, legten ein sehr weltliches Gebaren an den Tag. Sie achteten auf eine repräsentative Hofhaltung und waren darin sogar für so manchen weltlichen Herrscher ein Vorbild. Finanziert wurde die kostspielige Hofhaltung schließlich teilweise sogar durch den Verkauf geistlicher Ämter (Simonie).

Dass die Verwalter der amtlichen Religion zu einem großen Teil augenfällig engagierter dem eigenen Interesse dienten als dem Seelenheil ihrer Unterstellten, ließ den Ruf nach strukturellen kirchlichen Reformen immer lauter werden.

Für die großen Orden kam als weitere Bedrohung das Kommendenwesen hinzu – insbesondere in Frankreich, Spanien und Italien. Dabei galt die Abtei als Pfründe, die einem Laien oder Kleriker übertragen wurde, der gar nicht zum Orden gehörte. Dieser hatte theoretisch die Güter des Klosters zu verwalten und zu schützen. In der Regel stand er aber den geistigen Anliegen des Konventes fern und nutzte den Klosterbesitz im eigenen Interesse, während das Kloster verarmte.[14]

Gudrun Gleba fasst zusammen: „Disperspektivität und Dysfunktionalität sind die Forschungsbegriffe, die man für die Auswirkungen dieser Krisen geprägt hat. Sie bezeichnen die geistige und geistliche Verunsicherung und Orientierungslosigkeit, die eine Vielzahl von Menschen in ihrem Denken und Handeln beeinträchtigten, ebenso wie die strukturellen Probleme, die durch die sinkende Funktionsfähigkeit vieler Institutionen – allen voran Königtum und Kirche – verursacht wurden.“[15]

Nicht zuletzt bekamen die Ordensgemeinschaften die Auswirkungen zu spüren. Gegen die von außen her drängenden Kräfte des Zerfalls konnten die Klostergemeinschaften sich verschieden verhalten. Die meisten wählten den Weg des Nachgebens: Verzicht auf Strenge und Klosterdisziplin.

3. Missstände in den Klöstern

Invenimus dictum monasterium in spiritalibus ab observancia regulari in multis declinasse et in temporabilibus notabiliter defecisse.

„Wir befinden dieses Kloster auf geistigem Gebiet in vielen Dingen abweichend vom Gehorsam gegenüber der Regel und auf weltlichem Gebiet auffallend vernachlässigt.“

So lautete das Fazit vieler Visitationsberichte aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Was war geschehen?

Im Folgenden soll anhand einiger Beispiele aus verschiedenen Orden ein Bild davon vermittelt werden, wie sich das Mönchtum im Spätmittelalter seiner Umgebung präsentierte. Generell kann bei allen Ordensgemeinschaften – vielleicht mit Ausnahme der Kartäuser[16] – von ähnlichen Missständen ausgegangen werden.

[...]


[1] Hawel 1993, S. 374.

[2] Elm 1989, S. 4, meine Hervorhebung.

[3] Siehe hierfür Klueting 2005.

[4] Frank 1996, S. 109.

[5] Vgl. Dinzelbacher 2000, S. 52.

[6] Vgl. Frank, S. 118.

[7] Vgl. Gleba 2004, S. 214.

[8] Vgl. Zschosch 2004, S. 235f.

[9] Vgl. ebda., S. 244.

[10] Nikolaus von Clémanges: De ruina ecclesiae 42, zit. n. Zschosch 2004, S. 245. Der Autor war lange Zeit päpstlicher Sekretär in Avignon.

[11] Vgl. Frank 1996, S. 109.

[12] Vgl. Zschosch 2004, S. 247ff.

[13] Vgl. ebda., S. 249.

[14] Vgl. Hawel 1993, S. 386; Frank 1996, S. 109f.

[15] Gleba 2004, S. 214.

[16] Vgl. Klueting 2005, S. 61ff. Die Kartäuser prägten für sich das Wortspiel: C artusia numquam reformata, quia numquam deformata – „Der Kartäuserorden wurde niemals reformiert, weil er niemals deformiert war.“

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Die franziskanische Observanzbewegung
Untertitel
Ein Beispiel für die Ordensreformen des Spätmittelalters
Hochschule
Technische Universität Darmstadt  (Institut für Geschichte)
Veranstaltung
"Das Reich am Ende des Mittelalters"
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
27
Katalognummer
V90801
ISBN (eBook)
9783638051583
Dateigröße
490 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit beleuchtet die spätmittelalterlichen Ordensreformen die in fast allen großen Mönchsorden stattfanden. Der Schwerpunkt liegt bei der Observanzbewegung unter den Franziskanern.
Schlagworte
Observanzbewegung, Reich, Ende, Mittelalters
Arbeit zitieren
Vincent Steinfeld (Autor:in), 2007, Die franziskanische Observanzbewegung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90801

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