Senioritätsentlohnung und Effizienzlohntheorie


Studienarbeit, 2008

56 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretische Grundlagen
2.1 Effizienzlohntheorien
2.1.1 Neoklassische Effizienzlohnmodelle
2.1.1.1 „Shirking“-Modell
2.1.2 Soziologische Effizienzlohnmodelle
2.1.2.1 „Gift-Exchange“-Modell
2.1.2.2 „Fair-wage/effort“-Modell
2.1.3 Kritik an der Effizienzlohntheorie
2.2 Konzepte steigender Alters-Einkommens-Profile
2.2.1 Humankapitaltheorie
2.2.1.1 „On-the-Job-Training“
2.2.1.2 Schulische Aus- und Weiterbildung
2.2.2 Sortierprozesse
2.2.2.2 „Job-Matching“
2.2.3 Senioritätsentlohnung als Leistungsanreiz
2.3 Senioritätsentlohnung als Anreizsubstitut für unfreiwillige Arbeitslosigkeit

3 Empirische Untersuchungen
3.1 Empirische Befunde für die Senioritätsentlohnung
3.1.1 Arbeitsmarkterfahrung und Produktivität
3.1.2 Abhängig Beschäftigte und Selbständige im Vergleich
3.1.3 Senioritätsentlohnung – ein Anreizinstrument?
3.2 Empirische Befunde gegen die Senioritätsentlohnung
3.2.1 Lohnentwicklung und Training
3.2.2 Betriebszugehörigkeit, Arbeitsmarkterfahrung und Entlohnung – eine „Sorting“-Erklärung
3.2.2.1 Die Studie von Abraham und Farber
3.2.2.2 Die Studie von Altonji und Shakotko
3.2.3 Frei- und unfreiwillige Betriebswechsler im Vergleich

4 Ergebnis

Anhang

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2.1: Alters-Einkommens-Profil mit und ohne allgemeinem Training

Abbildung 2.2: Alters-Einkommens-Profil bei spezifischem Training

Abbildung 2.3: Entwicklung der Wertgrenzproduktivität, der Lohnsätze und der Reservationslöhne

Abbildung 3.1: Erwerbstätige nach monatlichem Nettoeinkommen und Altersgruppen

Abbildung 3.2: Schar an Möglichkeiten von Arbeiter A und Arbeiter B bei Selbständigkeit (RM) und bei Lohnarbeit (JX) mit ihren Indifferenzkurven

Abbildung 3.3: Gegenwartswerte der Einkommen von Lohnarbeitern und Selbständigen nach linearer Regression

1 Einleitung

In einem Modell der Lohnbildung, in dem die einzelnen Arbeitsmärkte durch vollständige Information und vollkommene Flexibilität von Löhnen und Preisen charakterisiert sind, agieren Arbeitsanbieter und -nachfrager als Mengenanpasser. Sie richten ihr bevorzugtes Maß an Transaktionen nach der Höhe des Reallohns, so dass sich auf jedem Arbeitsmarkt ein Markt räumender Gleichgewichtslohn einstellt.[1]

Die Realität sieht anders aus. In Deutschland werden Löhne zu einem großen Teil in Tarifverträgen vereinbart und diese teilweise für allgemeinverbindlich erklärt. Damit gehen oft auch sukzessiv steigende Entlohnungsprofile einher. Es kann generell beobachtet werden, dass die Höhe des Einkommens mit steigendem Alter zunimmt.

Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass einige Unternehmen ihren Arbeitern Löhne oberhalb des Markt räumenden Niveaus zahlen. Arbeiter haben dann nicht die Möglichkeit durch Lohnunterbietung an Arbeitsplätze zu gelangen und es entsteht unfreiwillige Arbeitslosigkeit. Die Effizienzlohntheorie begründet dies mit der Anreiz-funktion höherer Löhne.

Wenn also die Schaffung von Anreizen das Ziel dieser Unternehmen ist, stellt sich die Frage ob es nicht andere, womöglich volkswirtschaftlich effizientere Möglichkeiten gibt. Solch eine Möglichkeit müsste in gleichem Maße in der Lage sein Anreize zu schaffen. Sie wäre effizienter, wenn sie zusätzlich unfreiwillige Arbeitslosigkeit dämpfen oder gar beseitigen könnte. Die Senioritätsentlohnung ist diesbezüglich ein vieldiskutierter Ansatz. Sie ist dadurch charakterisiert, dass die Höhe der Entlohnung zuerst unterhalb und später oberhalb der Grenzproduktivität des Arbeiters liegt und ist somit ein Konzept eines steigenden Alters-Einkommens-Profils.

In der wissenschaftlichen Diskussion besteht Uneinigkeit darüber, weshalb der Lohn mit der Zeit steigt. Lässt sich zeigen, dass dieser Anstieg auf Anreizeffekte zurückzuführen ist, dann besteht die theoretische Möglichkeit für das Konzept der Senioritätsentlohnung die Ziele der Effizienzlohntheorie zu erreichen und gleichzeitig unfreiwillige Arbeitslosigkeit zu senken.

In der vorliegenden Arbeit wird diese Fragestellung beleuchtet. Dazu wird zunächst ein Überblick der theoretischen Grundlagen gegeben. Ausgehend von der Erläuterung der Ziele und Modellansätze der Effizienzlohntheorie werden im Anschluss die verschiedenen Konzepte steigender Alters-Einkommens-Profile aufgezeigt. Darauf folgt die Darstellung der theoretischen Möglichkeit, dass die Senioritätsentlohnung als Anreizsubstitut für unfreiwillige Arbeitslosigkeit fungieren kann.

Mit diesem Hintergrund werden relevante empirische Untersuchungen zu verschiedenen Zusammenhängen der Lohnentwicklung vorgestellt. Zuerst werden Befunde dargelegt, die eine Rolle der Anreizeffekte am Lohnanstieg einräumen. Im Anschluss daran wird auf Befunde eingegangen, die keinen Anteil von Anreizeffekten am Anstieg von Alters-Einkommens-Profilen sehen und somit gegen die Senioritätsentlohnung als Anreizsubstitut für unfreiwillige Arbeitslosigkeit sprechen.

Abschließend folgt eine Zusammenfassung der Arbeit und ihrer Ergebnisse.

2 Theoretische Grundlagen

In diesem Kapitel werden die theoretischen Grundlagen zum umfassenden Verständnis der Senioritätsentlohnung, der Effizienzlohntheorie und ihres Zusammenhangs erläutert. Dazu wird zunächst die Effizienzlohntheorie definiert, bevor die verschiedenen Modell-ansätze vorgestellt und kurz Kritikpunkte dazu genannt werden (Abschnitt 2.1). Im Anschluss daran wird die Senioritätsentlohnung in ihrem Umfeld, als ein Konzept eines steigenden Alters-Einkommens-Profils, vorgestellt (Abschnitt 2.2). Als letzter Abschnitt wird die Beziehung zwischen der Senioritätsentlohnung und der Effizienzlohntheorie erklärt und der Frage nachgegangen, ob die Senioritätsentlohnung als Anreizsubstitut für unfreiwillige Arbeitslosigkeit fungieren kann (Abschnitt 2.3).

2.1 Effizienzlohntheorien

„Löhne und Lohnstrukturen haben nach allgemeiner ökonomischer Auffassung die Funktion, Märkte zu räumen.“[2] Doch seit über achtzig Jahren ist das makro-ökonomische Paradoxon der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit zu beobachten[3]: Obwohl ein Überangebot an Arbeitskraft besteht und Arbeiter bereit wären unterhalb der laufenden Lohnrate zu arbeiten, kommt es nicht zu aggressiven Lohnsenkungen. Die Unternehmen zahlen ihren Arbeitern mehr als ihrem potentiellen Ersatz.

Zwischenzeitlich werden dem Lohn konkurrierende Zusatzaufgaben neben der Räumung des Arbeitsmarktes zugesprochen. Er hat außerdem eine Informations-, Distributions-, und Motivationsfunktion.[4]

Die Effizienzlohntheorien analysieren die Lohnbildung und bieten Erklärungs-ansätze, weshalb Unternehmen es trotz unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nicht lohnend finden, ihre Löhne zu kürzen. Die Hypothese ist, dass der gezahlte Reallohn die Arbeitsproduktivität beeinflusst. Wenn eine Lohnsenkung die Produktivität negativ beeinflusst, kann das zu einer Erhöhung der Arbeitskosten führen.[5]

Demzufolge kann es bei gewinnmaximalem Verhalten vereinbar sein, über dem Markt räumenden Niveau liegende Löhne zu zahlen, da sie nicht nur einen Kostenfaktor, sondern auch einen Gewinn erhöhenden Anreiz darstellen.[6]

Der Effizienzlohnansatz geht von einer Volkswirtschaft mit identischen Unternehmen bei vollkommener Konkurrenz aus. Jedes Unternehmen hat dieselbe Produktionsfunktion, wobei der Output Q eine Funktion der Beschäftigung N und des Reallohns w ist:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten (2.1)

e = Arbeitsanstrengung („effort per worker“)

w = Reallohn

N = Anzahl der Arbeiter

Ein Gewinn maximierendes Unternehmen, welches sich den Lohnsatz w und den Beschäftigungsumfang N selbst aussuchen kann, wird einen Reallohn w * wählen, der die „Solow-Bedingung“[7] erfüllt. w * ist der Effizienzlohn. Er maximiert den Gewinn pro Effizienzeinheit. Jedes Unternehmen sollte so lange Arbeitskräfte nachfragen, bis das Grenzprodukt gleich diesem Reallohn w * ist (Gleichung 2.2).[8]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten (2.2)

Im Gleichgewicht wird es solange unfreiwillige Arbeitslosigkeit geben, wie das aggregierte Arbeitsangebot die aggregierte Nachfrage und der Effizienzlohn den Reservationslohn übersteigt.[9]

Es wurden verschiedene Ansätze zur Begründung dieses Zusammenhangs zwischen Lohnhöhe und Produktivität entwickelt. Leibenstein (1957) formulierte als erster einen Effizienzlohnansatz, indem er den Zusammenhang zwischen Löhnen, Ernährung und Krankheit in Entwicklungsländern betrachtete. Im Folgenden werden die am häufigsten diskutierten Ansätze für Industrieländer vorgestellt. Eine Gemeinsamkeit ist die Loslösung der Entlohnung von der reinen Grenzproduktivitätsbetrachtung und die Erweiterung um eine Anreizfunktion. Dabei unterscheidet man zwischen neoklassischen und soziologischen Effizienzlohnmodellen.[10]

2.1.1 Neoklassische Effizienzlohnmodelle

In den neoklassischen Effizienzlohntheorien verhalten sich die einzelnen Beteiligten als Nutzenmaximierer. Die einzig bestimmenden Faktoren ihrer Nutzenfunktionen U sind die Höhe des Arbeitsentgeldes W und der Grad der Arbeitsanstrengung e.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten (2.3)

Für Arbeitnehmer steigt der Nutzen mit steigendem Lohn und sinkender Anstrengung, für Arbeitgeber verhält es sich genau umgekehrt. Akerlof und Yellen (1986) unterteilen die neoklassischen Modelle in das „Shirking“-Modell, das „Labor Turnover“-Modell und in „Adverse Selection“. Die Ansätze unterscheiden sich hinsichtlich der Ursachen für die Abhängigkeit zwischen Lohnhöhe und Arbeitsproduktivität.[11]

2.1.1.1 „Shirking“-Modell

Der Ansatz des „Shirking“-Modells geht davon aus, dass Unternehmen unvollkommene Informationen hinsichtlich des Arbeitsverhaltens ihrer Arbeiter haben, und dass ein Arbeiter den Grad seiner Arbeitsanstrengung frei wählen kann. Er versucht diesen Grad möglichst gering zu halten, da er negativ in seine Nutzenfunktion eingeht.[12]

Der Arbeiter kann sich bis zu einem gewissen Maße der Bummlerei („Shirking“) hingeben, ohne Gefahr zu laufen dabei erwischt zu werden und Konsequenzen befürchten zu müssen. Das Principal-Agent-Problem entsteht, da eine klare Regelung über Arbeitsverträge nicht möglich ist. Dies liegt zum einen daran, dass Arbeitsverträge nicht alle möglichen Szenarien erfassen und nicht alle Inhalte in der notwendigen Detaillierung regeln können. Zum anderen ist eine Durchsetzung der Vertragsinhalte durch Kontrollen („Monitoring“) zu teuer und nur unvollständig möglich.[13] Die Alternative des Stücklohns oder anderer direkter Leistungsentlohnungen scheiden aus, weil ohne regelmäßige Kontrollen Zurechenbarkeitsprobleme entstehen.[14] [15]

Der Arbeiter hat bei einem geräumten Arbeitsmarkt keine Strafkosten zu befürchten, wenn er beim „Shirking“ entdeckt wird. Das Schlimmste was ihm passieren könnte, wäre ein Firmenwechsel bei gleicher Entlohnung. „With imperfect monitoring and full employment, therefore, workers will choose to shirk.”[16] Ein Weg für Unternehmen ihren Arbeitern einen Anreiz zu höherer Arbeitsanstrengung zu schaffen und Bummlerei einzudämmen, ist die Heraufsetzung dieser Strafkosten durch die Zahlung von Löhnen oberhalb des Markt räumenden Niveaus.

Wenn andere Firmen keine Effizienzlöhne zahlen hat ein beim Bummeln entdeckter Arbeiter nach der Entlassung aus dem Effizienzlohn zahlenden Betrieb mit Einkommenseinbußen zu rechnen. Zahlen alle Unternehmen den gleichen Effizienz-lohn, so steigt der Durchschnittslohn und das resultierende Gleichgewicht beinhaltet Arbeitslosigkeit. Ein bummelnder Arbeiter würde Gefahr laufen seinen Arbeitsplatz zu verlieren und keine neue Anstellung zu finden. „The equilibrium unemployment rate must be sufficiently large that it pays workers to work rather than to take the risk off being caught shirking.”[17] In beiden Fällen dient die Zahlung von Löhnen oberhalb des Markt räumenden Niveaus als Disziplinierungsmittel für potentielle Bummler. Es lohnt sich daher für jedes Unternehmen höhere Löhne zu zahlen um „Shirking“ einzudämmen. Arbeitslose können nicht durch Lohnunterbietung an Arbeit gelangen, denn zahlte das Unternehmen niedrigere Löhne, würde der Arbeiter es vorziehen zu bummeln. Im Vergleich zum einfachen Effizienzlohnmodell erweitert das „Shirking“-Modell die Nutzenfunktion des Unternehmens um die neuen Variablen: Durchschnitts-lohn, aggregierte Arbeitslosigkeit und Nutzen der Arbeitslosigkeit.[18] Die sich einstellende Arbeitslosigkeit ist optimal, da sie Arbeitsanreize schafft, aber nicht pareto-optimal. Sie ist unfreiwillig, weil gleichartige Arbeiter unterschiedlich behandelt werden und Arbeitslose es streng vorziehen zu arbeiten.[19]

2.1.1.2 „Labor Turnover“-Modell

Das „Labor Turnover“-Modell hat die Sicherung der Betriebstreue zum Ziel und betrachtet dabei die Folgekosten, die durch einen Betriebswechsel („Turnover“) entstehen.[20] Im Vergleich zum „Shirking“-Ansatz tritt die Kündigungswahrschein-lichkeit eines Arbeiters an die Stelle der Bummlerei. Arbeiter wechseln ihren Arbeitsplatz nur dann, wenn sie bei einem anderen Unternehmen besser verdienen. Die Kündigungswahrscheinlichkeit ist folglich umso geringer, je höher das relative Lohnniveau ist und je weniger Alternativen auf dem Arbeitsmarkt bestehen.[21]

Ein Betriebswechsel ist für ein Unternehmen kostspielig; er verursacht direkte Kosten, wie Neueinstellungs- und Anlernungskosten, und indirekte Kosten, wie die verminderte Produktivität während der Übergangszeit. Unternehmen haben ein Interesse über der Markträumung liegende Löhne zu zahlen, weil sie einen Anreiz zu höherer Betriebstreue darstellen. Das Effizienzlohnniveau ist erreicht, wenn die Fluktuations-kosten gleich dem Kündigungsnutzen des Arbeiters sind. Es kommt zu unfreiwilliger Arbeitslosigkeit, da alle Arbeiter unabhängig von der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit den gleichen Effizienzlohn erhalten. Ein einheitlicher Lohn kann nicht gleichzeitig zwei Teilarbeitsmärkte räumen. Es werden weniger Neueinstellungen vorgenommen, weil erfahrene Arbeiter aufgrund des Effizienzlohnes nicht kündigen.[22]

2.1.1.3 „Adverse Selection“

Der „Adverse Selection“-Ansatz enthält eine weitere Begründung für den Zusammen-hang zwischen Produktivität und Lohn. Er setzt bei der Neueinstellung von Arbeitern an und unterstellt, dass Unternehmen unvollkommene Informationen über die Fähigkeiten eines Bewerbers haben und diese nur mit hohen Kosten gemessen werden können. Die erwartete Arbeitsleistung eines Arbeiters hängt direkt von seinen Fähigkeiten ab und der Bewerberpool ist in dieser Hinsicht heterogen. Der Bewerber kennt seine tatsächlichen Fähigkeiten und bestimmt dementsprechend seinen Reservationslohn. Durch die positive Korrelation zwischen den Fähigkeiten und dem Reservationslohn dient die Lohnhöhe als Indikator für die Arbeitsqualität.[23]

Ein Unternehmen kann seine Lohnvorstellungen verschweigen oder publik machen. Im ersten Fall setzt das Unternehmen einen dem Bewerber unbekannten Effizienzlohn fest und lässt ihn einen Lohnvorschlag machen. Liegt der Vorschlag unterhalb des Effizienzlohnes, wird der Bewerber abgelehnt. Das Unternehmen geht dann davon aus, dass seine Fähigkeiten nicht dem Anforderungsprofil entsprechen, da er den Lohnvorschlag entsprechend seines Reservationslohnes wählt. „The willingness of an individual to work for less than the going wage places an upper bound on his ability, raising the firm’s estimate that he is a lemon.”[24]

Die andere Möglichkeit des Unternehmens ist, das Lohnangebot publik zu machen. Hohe Löhne locken verstärkt produktive Arbeitskräfte an und schrecken jene ab, die ihre Fähigkeiten als unzureichend einstufen. In beiden Fällen bewirkt die Zah-lung von Effizienzlöhnen eine Negativauslese („Adverse Selection“) der Bewerber und damit eine Erhöhung der Produktivität.[25]

2.1.2 Soziologische Effizienzlohnmodelle

Soziologisch orientierte Effizienzlohnansätze betrachten Arbeits- und Gerechtigkeits-normen, sodass die Beteiligten nicht mehr als rein individualistische Maximierer agieren. Sie erklären Phänomene, die für die neoklassischen Modelle unerklärbar sind, beispielsweise weshalb Unternehmen Arbeiter nicht entlassen, obwohl sie sich als unproduktiv herausstellen oder weshalb Unternehmen Arbeitsstandards festlegen, die von den meisten Arbeitern übertroffen werden.[26] „Die Hypothese (…) lautet, daß eine Reduzierung des Lohnes auf das markträumende Niveau dazu führen kann, daß die "Arbeitsmoral" bei den Arbeitnehmern zerstört wird und die Arbeitsanstrengung bei niedrigem Lohn sinkt.“[27]

2.1.2.1 „Gift-Exchange“-Modell

Akerlof (1982) lieferte das erste zur Effizienzlohntheorie führende soziologische Modell. Darin ist die Arbeitsanstrengung jedes Arbeiters von den herrschenden Arbeitsnormen innerhalb seiner Gruppe abhängig, wobei sie nicht mit dem vom Unternehmen gesetzten Mindeststandard identisch sein müssen. Arbeitsanstrengungen die diesen Mindeststandard übersteigen, erklärt er als Geschenk des Arbeiters, aufgrund der Entwicklung freundschaftlicher Gefühle für das Unternehmen wie für die Kollegen. Im Gegenzug wird von den Arbeitern ein Geschenk („Gift-Exchange“) in Form von fairer Lohnhöhe und fairen Mindeststandards erwartet.[28]

Umgekehrt kann das Unternehmen durch Geschenkzahlungen, die über das benötigte Minimum hinaus gehen, die Gruppenarbeitsnormen und damit die Durchschnittsanstrengung erhöhen. Die Arbeiter wählen im Gegenzug ein dem Unternehmen gegenüber wohlwollendes, nicht schadhaftes Verhalten. Arbeiter können in den meisten Unternehmen beträchtlichen Schaden verursachen, sei es durch Beschädigung von Maschinen und Werkzeugen, Verlegung von Dokumenten, Diebstahl, Unterschlagung, oder Beleidigung wichtiger Kunden. Solch ein Verhalten ist für das Unternehmen nur schwer erkennbar, daher muss es auf das Wohlwollen der Arbeiter vertrauen, um diese Schädigungen zu vermeiden.[29]

In beiden Fällen führt die Effizienzentlohnung zu einer Verbesserung der Arbeitsmoral und damit der Produktivität.

2.1.2.2 „Fair-wage/effort“-Modell

Bei diesem Ansatz hängt der Grad an Motivation und individuell gewählter Arbeitsan-strengung davon ab, inwieweit sich der Arbeiter vom Unternehmen gerecht entlohnt fühlt. Die Lohnhöhe wird als fair empfunden, wenn gleiche Leistung auch gleich entlohnt wird, wenn die wahrgenommene Arbeitsleistung der wahrgenommenen Entlohnung entspricht und wenn die Kosten der Beschäftigung rückerstattet werden.[30] Bei hohen Unternehmensgewinnen erwartet der Arbeiter eine faire Beteiligung. Er reagiert auf eine subjektiv empfundene Unterbezahlung mit der Verminderung seiner Arbeitsanstrengung. Hat der Arbeiter das Gefühl einer fairen Partnerschaft mit dem Unternehmen, nimmt seine Arbeitsmoral und Loyalität zu. Eine Überbezahlung hat keine Steigerung der Arbeitsanstrengung jenseits von e = 1 zu Folge. In diesem Fall bewertet der Arbeiter lediglich seine eigene Leistung höher.[31]

2.1.3 Kritik an der Effizienzlohntheorie

Kubon-Gilke (1989) findet Kritikpunkte an den soziologischen Effizienzlohnmodellen hauptsächlich in der kognitiven Sozialpsychologie.

„Der Hauptkritikpunkt an den Effizienzlohnmodellen der neoklassischen Tradition betrifft deren Annahme, daß die Entlohnung der Arbeitnehmer ausschließlich aus einem Zeitlohn besteht.“[32] Außerdem kann durch eine Nutzenfunktion, die als Variable lediglich die Einkommenshöhe und die Arbeitsanstrengung hat, Arbeitslosigkeit nur dann erklärt werden, wenn asymmetrisch verteilte Informationen zugunsten des Arbeitnehmers bestehen und kein „Signaling“ (s. Abschnitt 2.2.2) vorhanden ist.[33] Es gibt andere Ansätze, die das Ziel der Effizienzlohntheorie erreichen, ohne dass es zu Arbeitslosigkeit kommt.

An Stelle von „Adverse Selection“, mit hohen Effizienzlöhnen und der einhergehenden Arbeitslosigkeit, können Unternehmen kostengünstigere Testverfahren oder Probezeiten zur Bestimmung der unbekannten Produktivität einführen.

Die Kritik am „Labor Turnover“-Ansatz liegt in der gleichen (Effizienz-) Lohnhöhe für Neueingestellte und für ältere Arbeiter. Einen Ausweg stellt die Beteiligung der Arbeiter an den Trainingskosten in Form eines Lehrgeldes dar.[34]

Im Falle des „Shirkings“ verschafft die Erhebung von Eintrittsgebühren oder Geldstrafen („Bonding“) einen Leistungsanreiz und führt zu effizienter Markträumung, wenn die Arbeiter genügend Mittel haben sie zu zahlen (s. Abschnitt 2.3). Arbeitslose wären bereit eine Gebühr zu zahlen um Arbeit zu bekommen und Unternehmen hätten einen Anreiz mehr Arbeiter einzustellen, da die Gebühren die Arbeitskosten senken. Die Aussicht, dass der Arbeiter nach einer Entlassung noch einmal Gebühren zahlen muss um wieder Arbeit zu erlangen, substituiert die Effizienzlöhne als Arbeitsanreiz.[35] Als Alternative dient außerdem das Konzept der Senioritätsentlohnung (s. Abschnitt 2.2.3), auf die im nächsten Kapitel ausführlich eingegangen wird.[36]

2.2 Konzepte steigender Alters-Einkommens-Profile

Ein steigendes Alters-Einkommens-Profil ist ein Lohnpfad, der mit zunehmendem Alter eines Arbeiters oder seiner Betriebszugehörigkeit wächst. Uraschen können beispielsweise individuelle Produktivitätssteigerungen oder arbeitsvertragliche Regelungen, wie die Senioritätsentlohnung, sein. Unter Senioritätsentlohnung versteht man ein Entlohnungsschema, bei dem ein Arbeiter mit steigendem Alter oder Betriebszugehörigkeit, „zunächst unterhalb und dann oberhalb seines Wertgrenzprodukts entlohnt wird“[37]. Die Sicherung der Betriebstreue zur Minimierung der Fluktuations-kosten oder die Schaffung von Leistungsanreizen können dabei Ziele darstellen. Verschiedene Theorien bieten Erklärungsansätze, weshalb der Lohn mit der Betriebszugehörigkeit zunimmt. Im Folgenden werden steigende Alters-Einkommens-Profile aufgrund der Humankapitaltheorie, aufgrund von Sortierprozessen sowie die Senioritätsentlohnung als Leistungsanreiz vorgestellt.

2.2.1 Humankapitaltheorie

Franz (1999) definiert Humankapital als den „Bestand an Wissen und Fertigkeiten (...), dessen Zunahme die Produktivität des (...) Betreffenden erhöht“[38].

Die Humankapitaltheorie betrachtet das Humankapital unter dem Gesichtspunkt der Bildungskosten. Ein Arbeiter kann in der laufenden Periode in sein Humankapital investieren und dabei Einkommenseinbußen hinnehmen. Er hat dafür Aussicht auf eine künftig höhere Entlohnung. Einkommenswirksame Investitionen in Humankapital beinhalten „On-the-Job-Training“, Schulbildung und generelle Informationsausweitung. Sie verbessern die Fähigkeiten oder das Wissen des Arbeiters und erhöhen Produktivität und damit das Realeinkommen.[39] Marshall (1982) formuliert die Bedeutung der Investition in Humankapital wie folgt: „The most valuable of all capital is that invested in human beings.“[40]

2.2.1.1 „On-the-Job-Training“

„On-the-Job-Training“ beschreibt die arbeitsplatzbezogene, innerbetriebliche Aus- und Fortbildung. Dabei erhöhen Arbeiter ihre Produktivität durch das Erlernen neuer und die Perfektionierung alter Fertigkeiten. Die Steigerung der Produktivität erfordert Investitionen. Sie kann nur mit der Entstehung von Kosten erhöht werden, da sonst eine unendliche Nachfrage nach Training bestehen würde. Ein Unternehmen bietet Training nur dann an, wenn die Gegenwartswerte aller Erträge daraus mindestens gleich den Gegenwartswerten aller Aufwendungen sind. Wird Training ausschließlich in der ersten Periode angeboten, dann ergeben sich die Aufwendungen aus den Löhnen W 0 und den direkten Trainingskosten k, und die Erträge aus dem erzielten Grenzprodukt MP 0 und dem Ertrag aus der Bereitstellung von Training G.

[...]


[1] vgl. Franz (1999), S. 269.

[2] Gerlach/Hübler (1989), S. 8.

[3] vgl. Akerlof/Yellen (1986), S. 1 f.

[4] vgl. Gerlach/Hübler (1989), S. 8.

[5] vgl. Yellen (1984), S. 200.

[6] vgl. Franz (1999), S. 310.

[7] vgl. Solow (1979), S. 80 f.

[8] vgl. Yellen (1984), S. 200.

[9] vgl. Akerlof/Yellen (1986), S. 3.

[10] vgl. Franz (1999), S. 310.

[11] vgl. Akerlof/Yellen (1986), S. 4 ff.

[12] vgl. Katz (1986), S. 240.

[13] vgl. Gerlach/Hübler (1989), S. 9.

[14] Die Effizienzlohnmodelle der neoklassischen Tradition gehen davon aus, dass die Entlohnung der Arbeiter ausschließlich aus einem Zeitlohn besteht.

[15] vgl. Yellen (1984), S. 201.

[16] Shapiro/Stiglitz (1984), S. 433.

[17] Shapiro/Stiglitz (1984), S. 433.

[18] vgl. Yellen (1984), S. 202.

[19] vgl. Katz (1986), S. 241.

[20] vgl. Franz (1999), S. 315.

[21] vgl. Katz (1986), S. 246.

[22] vgl. Salop (1979), S. 118 ff.

[23] vgl. Katz (1986), S. 247 f.

[24] vgl. Akerlof/Yellen (1986), S. 7.

[25] vgl. Franz (1999), S. 315.

[26] vgl. Yellen (1984), S. 204.

[27] vgl. Kubon-Gilke (1990), S. 56 f.

[28] vgl. Akerlof (1982), S. 549 f.

[29] vgl. Weiss (1991), S. 56.

[30] vgl. Kubon-Gilke (1990), S. 65.

[31] vgl. Gerlach/Hübler (1989), S. 10.

[32] Kubon-Gilke (1990), S. 29.

[33] vgl. Schlicht (1987), S. 6.

[34] vgl. Franz (1999), S. 316.

[35] vgl. Weiss (1991), S. 57 f.

[36] Lazear/Rosen (1981) diskutieren die weitere Variante der „Rank-Order Tournaments“, in denen Arbei-ter untereinander konkurrieren und der Produktivere eine Beförderung mit höherer Entlohnung erhält.

[37] Franz (1999), S. 215.

[38] Franz (1999), S. 74.

[39] vgl. Becker (1993), S. 29 ff. Die Investitionen in die Verbesserung der emotionalen und physischen Gesundheit werden in dieser Arbeit nicht ausgeführt.

[40] Marshall (1982), S. 469.

Ende der Leseprobe aus 56 Seiten

Details

Titel
Senioritätsentlohnung und Effizienzlohntheorie
Hochschule
Technische Universität Darmstadt  (Finanzwissenschaft)
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
56
Katalognummer
V90612
ISBN (eBook)
9783638048156
Dateigröße
728 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Senioritätsentlohnung, Effizienzlohntheorie
Arbeit zitieren
Thomas Schmidtchen (Autor:in), 2008, Senioritätsentlohnung und Effizienzlohntheorie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90612

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