Das Vaterunser - Exegese zu Mt. 6, 9-13 mit Bezugnahme auf Lk. 11,2-4

Analyse und Vergleich


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

18 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Textzusammenhang bei Matthäus und Gebets-Gliederung

III. Gattung und Geschichte

IV. Gebetsanalyse
Die Anrede
1. Bitte
2. Bitte
3. Bitte
4. Bitte
5. Bitte
6. Bitte
7. Bitte

V. Doxologie

VI. Resümee

VII. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

In der westlichen Welt gibt es sicherlich kein bekannteres Gebet als das Vaterunser – also die Worte, die Jesus im Matthäus- und Lukasevangelium spricht, um den Menschen ein Gemeinschaftsgebet zu lehren. Aber inwieweit ist diese Lehre verstanden worden? Wissen alle heutigen Christen mit den Worten des Vaterunsers noch etwas anzufangen, oder ist es zu einem leeren Gebet geworden, das nur aus Tradition in der Liturgie der Kirche erhalten geblieben ist? Oder anders gefragt – wie verständlich sind überhaupt die so leicht dahin gesprochenen Worte dieses Gebets?

Nur ein Beispiel – so heißt es: „Und führe uns nicht in Versuchung !“ Doch hat Jesus wirklich so zu Gott gebetet? An anderen Stellen der Bibel steht nämlich geschrieben, dass der ‚Teufel‘ der Versucher ist und, dass Gott gerade von der Versuchung befreit. Mehr noch: „Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde“, steht im Jakobusbrief der Bibel (1, 13). Und Paulus betont: „Bisher hat euch nur menschliche Versuchung getroffen. Aber Gott ist treu, der euch nicht versuchen lässt über eure Kraft, sondern macht, dass die Versuchung so ein Ende nimmt, dass ihr‘s ertragen könnt.“ (1. Kor 10, 13). Dennoch betet die Christenheit in den kirchlichen Konfessionen bis heute zu Gott „Führe uns nicht in Versuchung“. Aber warum – wenn doch Gott ohnehin niemanden in Versuchung führt?

Was also meinte Jesus, als er dieses Gebet sprach – und vor allem, welches Gebet sprach er wirklich? Um sich nun der Ursprungsform des Vaterunsers anzunähern, soll jede Bitte einzeln auf ihren Inhalt und Wortlaut untersucht werden und dann jeweils punktuell entschieden werden, welche Version wahrscheinlich die ursprünglichere ist. Auch wenn sich diese Arbeit vorrangig mit der Fassung des Matthäus befasst – welche ja auch zunächst mit dem Vaterunser in Verbindung gebracht wird, da ihr Wortlaut eher dem des heute üblichen Vaterunsers entspricht – soll auch der Text des Lukas immer wieder zum Vergleich herangezogen werden. Eine Exegese des Vaterunsers in der Fassung des Evangelisten Matthäus kann also nur unter ständiger Berücksichtigung des Lukas-Textes vollständig sein. Anhand eines Übersetzungsvergleiches sollen zunächst Schlüsselworte und Unklarheiten in der Bedeutung gefunden werden. Diese sollen dann im Folgenden diskutiert und – auch im synoptischen Vergleich mit Lukas – auf ihre ursprüngliche Bedeutung durchleuchtet werden. Weiterhin sollen die Übersetzungen der drei bekanntesten Bibelausgaben im jeweiligen Vergleich analysiert werden.

II. Textzusammenhang bei Matthäus und Gebets-Gliederung

Das Vaterunser im Matthäusevangelium befindet sich „(…) im Herzen der Bergpredigt (Mt 6,9-13), genau in der Mitte des mittleren von drei Lehrstücken über Almosen, Beten und Fasten.[1] Denn nachdem sich Jesus in Vers 1-4 mit dem Almosengeben auseinandergesetzt hat, beginnt er ab Vers fünf eine Sinneinheit über das Beten. In Vers 5-7 gibt er zunächst bildliche Anweisungen für die Gebetshaltung des Beters, denn der Betende soll nicht demonstrativ die Gesten des Betenden einnehmen – wie oftmals praktiziert – da es nicht darauf ankomme, dass jeder das Gebet hört und den Beter als solchen erkennt, sondern darauf, dass der Beter sein Gebet wirklich aus dem Herzen spricht. Und zur Unterstützung dieses Begehrens liefere er (Jesus) eine adäquat-würdige Textvorlage, denn er wolle keineswegs das öffentliche Beten verbieten, wie dies oft vermutet wurde, sondern lediglich betonen, dass es keines öffentliches Betens oder vieler Worte bedürfe, damit Gott die Gesuche seines Volkes erhöre. Jesus akzentuiert sogar, dass Gott unsere Bitten kenne, bevor wir sie überhaupt artikulieren könnten.

Das Vaterunser lässt sich nun auf den ersten Blick in zwei inhaltliche Teile untergliedern. Der erste Teil – inklusiv Vers 10 – beschäftigt sich mit dem „Weg und Walten Gottes in der Geschichte[2], während der zweite Teil – ausschließlich der abschließenden Doxologie – sich mit dem „Weg des Menschen[3] befasst. Hierbei ist außerdem zu beobachten, dass der erste Teil aus zwei ‚Du-Bitten‘ und der zweite Teil aus drei ‚Wir-Bitten‘ besteht.

Die ‚Du-Bitten‘ enthalten die ersten zwei Verse und haben eine eschatologische Orientierung. Sie beschäftigen sich mit dem Sehnen des Menschen nach dem Kommen des Gottesreiches.

Die ‚Wir-Bitten‘ formen den zweiten Teil, der sich mit den „(…) drei Urbedürfnissen des Menschen vor Gott (...), die schon im Psalter als solche thematisiert und als Bedürfnisse (...) des Menschen (...) ausgewiesen sind[4] befasst. Diese „Urbedürfnisse“ sind die Grundlebensmittel, die Sündenamnestie und der Schutz vor dem Bösen.

III. Gattung und Geschichte

Die Gottesanrede am Anfang und in den Bitten identifiziert das Vaterunser als ein Gebet mit den unterschiedlichen Elementen des Bitt- wie auch des Lobgebets. Da die Bitte jedoch das dominante Element des Gebets ist, muss es zunächst in die Gattung der Bittgebete eingeordnet werden. Damit steht es in der Tradition der im Alten Testament vorherrschenden Gattung der Klagelieder.[5] Die abschließende Doxologie jedoch lässt zudem die Einteilung des Vaterunsers in die Gattung der Lobgebete angängig und zweckmäßig erscheinen, wie Cullmann im Verweis auf Lochmann zum Schluss seiner Exegese hin referiert.[6]

So wenig eindeutig wie die Gattung, ist auch die Überlieferungsgeschichte – so wird immer wieder folgende Frage diskutiert: Wie ist die Ursprache und wie ist die Urform des Vaterunser?

Jesus sprach Aramäisch – das muss aber noch nichts bedeuten, denn offizielle jüdische Gebete wurden auf Hebräisch gesprochen. Hier aber meint Gretlot, dass dies nicht für private Gebete gelten müsse, und zu denen würde nun auch das Vaterunser zählen.[7]

Was nun die Urversion angeht, vermuten die Parteigänger der Zwei-Quellen-Theorie sie in der Logien-Quelle Q, da das Vaterunser sich eben zweimal finden lässt (einmal in Mt. 6, 9-13 und einmal in Lk. 11,2-4.); wohingegen beide sich sowohl im Umfang als auch im Wortlaut differenzieren. Welche von beiden Versionen authentischer ist, bleibt unklar.[8] Natürlich könnte man argumentieren, dass die Lukas-Version die ältere ist, da Matthäus sie bis auf kleine Unterschiede vollständig enthalte, Texterweiterungen stets wahrscheinlicher sind als Kürzungen, die Johannesjünger erwähnt werden und die Schlussdoxologie fehlt – schlussendlich beweisen tut das aber nichts. Dessen eingedenk scheint es praktisch die Ursprungsform keinem Evangelium zuzurechnen und die überlieferten Vaterunser allesamt als variierende Gebetsanleitungen einzelner christlicher Gemeinden anzusehen.[9]

[...]


[1] Siehe Mussner, F., Vaterunser. In: Calwer Bibellexikon. Bd. 2. Stuttgart 2003. S. 1399.

[2] Siehe Deissler, A.: Der Geist des Vaterunsers im alttestamentlichen Glauben und Beten. In: Das Vaterunser. Hrsg. von Michael Brocke und Johann Barta. Freiburg, 1974. S.133.

[3] Siehe ebda.

[4] Mussner: S. 1402.

[5] Vgl. Deissler: S 132.

[6] Vgl. Cullmann, O.: Das Gebet im Neuen Testament. Tübingen 1997. S. 91.

[7] Vgl. ebda. S. 53.

[8] So war Origenes der Meinung, Jesus habe das Vaterunser in zwei verschiedenen Versionen bei zwei verschiedenen Gelegenheiten gelehrt und beide Versionen könnten als originaler Wortlaut Jesu gelten. Vgl. dazu Cullmann: S.52.

[9] Vgl. Vögtle, A.: Das Vaterunser – ein Gebet für Juden und Christen? In: Das Vaterunser. Gemeinsames im Beten von Juden und Christen. Hrsg. von Matthias Brocke u.a..1974. S. 165-195. S.181: „Auch entspricht es der jüdischen Gebetstradition, bereits vorhandene Gebete weiterzuentwickeln.“

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Das Vaterunser - Exegese zu Mt. 6, 9-13 mit Bezugnahme auf Lk. 11,2-4
Untertitel
Analyse und Vergleich
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Institut für Biblische und Historische Theologie)
Veranstaltung
Interdisziplinäres HS: Vulgata: Sprache und Auslegung des Neuen Testaments
Note
1
Autor
Jahr
2007
Seiten
18
Katalognummer
V90596
ISBN (eBook)
9783638045551
ISBN (Buch)
9783638941938
Dateigröße
518 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vaterunser, Exegese, Bezugnahme, Interdisziplinäres, Vulgata, Sprache, Auslegung, Neuen, Testaments
Arbeit zitieren
David Liebelt (Autor:in), 2007, Das Vaterunser - Exegese zu Mt. 6, 9-13 mit Bezugnahme auf Lk. 11,2-4, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90596

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