Von der Blütezeit zur Unterwerfung – religiöses Leben in Estland


Hausarbeit, 2006

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

1 Einleitung

2 Religiöses Leben in Estland vor der sowjetischen Okkupation

3 Die erste russische Okkupation

4 Die deutsche Okkupation

5 Die zweite sowjetische Okkupation
a) Vorschrift zur Überwachung der Religionsgemeinschaften
b) Nationalisierung des Kirchenbesitzes
c) Weitere Maßnahmen
d) Auslöschen der Traditionen
e) Von Außen nach Innen

6 Die orthodoxe Kirche

7 Die Lage im Kaukasus – ein Vergleich

8 Fazit

Literatur

1 Einleitung

Der Glaube an Gott war aus Sicht der Führung der Sowjetunion eine Verschwendung menschlicher Kräfte. Wo es sich die Kommunistische Partei zur Aufgabe gemacht hatte, den neuen Sowjetmenschen zu formen, konnte Religion, und damit der Glaube an etwas Höheres als an die eigene Partei, nur stören. Im Kampf um die Ideologie im Staat war das Gotteshaus ein Rivale. Die Verbindung zwischen ihm und der sowjetischen Gesellschaft galt es zu durchtrennen. Dass dies in Teilen der Sowjetunion unterschiedlich erfolgreich war, wird diese Arbeit aufzeigen.

Im Zentrum der Betrachtung soll Estland stehen. Der baltische Staat, religiös vorwiegend geprägt durch die evangelisch-lutheranische Kirche, wenngleich auch in der Gesellschaft nicht übermäßig verbreitet, wurde 1940 von der Sowjetunion okkupiert. Sogleich wurden von der Sowjetführung die ersten Maßnahmen gegen Kirche und Gläubige ergriffen. Wie sahen diese aus und konnte der neue Machthaber damit seine Ziele erreichen? Bereits ein Jahr später stand das Land bis 1944 unter deutscher Besatzung. In dieser Zeit verbesserte sich die Situation der Gläubigen, dennoch war vereinzelten Gruppen nicht alles möglich wie noch Ende der 30er Jahre, der Blütezeit des Kirchenlebens in Estland. So blieben z.B. die Zeugen Jehovas eine verbotene Organisation, die Baptisten erhielten nicht alle Gebetsräume zurück.

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte durch die erneute sowjetische Herrschaft ein starker Druck auf das estnische Kirchenleben ein. Betrachtet wird der Zeitraum von 1944 bis zum Tod des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei, Josef Stalin, 1953. Besonders Ende der 40er Jahre wurden durch die Parteiführung harte Vorgaben zur Bekämpfung erlassen. Wie genau sahen diese aus? Wie reagierte die Bevölkerung, wie die Geistlichen?

Um die Situation in Estland zu vergleichen, wird sich ein größeres Kapitel dieser Arbeit mit einem anderen Gebiet, in dem ebenfalls Maßnahmen gegen das religiöse Leben ergriffen wurden, nämlich dem Kaukasus, befassen. Hier begann die religiöse Bekämpfung (hier war es der Islam, der verbreitet war) bereits rund zwei Jahrzehnte früher als auf dem Baltikum. Dennoch hatten geistliche Führer Mitte der 20er Jahre noch genauso viel Einfluss auf die Bevölkerung in Aserbeidschan oder Usbekistan. Warum war dies so? Welche Maßnahmen ergriffen die Verantworlichen auf dem Kaukasus, um die Religion aus dem Leben der Menschen auszulöschen?

Besonders hilfreich bei der Bearbeitung des Kaukasus-Teils waren die Arbeiten Baberowskis, einem der international rennomiertesten Wissenschaftler, der sich mit dem Stalinismus beschäftigt. Seine Arbeiten „Der Feind ist überall: Stalinismus im Kaukasus“ aus dem Jahr 2003 sowie „Stalinismus an der Peripherie: Das Beispiel Azerbajdzan 1920-1941“ finden in dieser Arbeit große Beachtung. Für den Hauptteil wurde allen voran auf den Aufsatz von Plaat „Die Veränderungen im religiösen Leben Estlands während der deutschen und der sowjetischen Okkupation 1940-1953“ sowie die beiden Arbeiten von Altnurme „Die Estnische Evangelisch-Lutherische Kirche und die Besatzungsmächte 1939-1953“ und „The Sovietization of the Estonian Evangelical Lutheran Church“ zurückgegriffen.

2 Religiöses Leben in Estland vor der sowjetischen Okkupation

Der Großteil der Gläubigen in Estland war Mitte der 30er Jahre evangelisch-lutheranisch. So gaben 78,6 Prozent der Landeseinwohner bei einer Volkszählung im Jahre 1934 an, Lutheraner zu sein. 19 Prozent bekannten sich als orthodoxe Christen, kleinere Gruppen der Bevölkerung zählten sich zu den Baptisten, Adventisten oder waren in Freikirchen vereinigt. Allerdings war die Verbundenheit zu den Gemeinden nicht besonders eng. Die Teilnahme am orthodoxen Abendmahl zum Beispiel war gering, die evangelisch-lutheranische Kirchensteuer wurde nur selten entrichtet: Im Jahr 1937 bezahlten nur 24 Prozent der Mitglieder die Steuer. Jaan Kiivit junior, der ehemalige Landesbischof der evangelisch-lutheranischen Kirche Estlands, auf der das Hauptaugenmerk der Betrachtung liegen soll, bezeichnete den Zeitraum vor der sowjetischen Okkupation nichtsdestotrotz als Blütezeit der lutherischen Kirche in dem baltischen Staat. Die Gemeinden hatten 153 Kirchen sowie 42 Hilfskirchen zur Verfügung.[1] Doch mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 änderte sich die Situation schnell. Estland verlor die Eigenstaatlichkeit und eine lang andauernde Besatzung begann. Kurz darauf waren rund 56 Pastoren, allesamt Deutschbalten und Wacholderdeutsche, einem Aufruf Adolf Hitlers gefolgt und hatten das Land verlassen. Insgesamt verfügte die evangelisch-lutherische Kirche am Ende des Jahres 1939 über 213 ordinierte Pastoren.[2]

3 Die erste russische Okkupation

Im Rahmen des Zweiten Weltkrieges wurde Estland 1940 der Sowjetunion einverleibt. Schon im Herbst des Jahres 1939 waren erste sowjetische Stützpunkte errichtet worden. Zu dieser Zeit befanden sich 25.000 russische Soldaten im Land. Im Juni 1940 wurden weitere 90.000 Mann nach Estland beordert. Die estnische Armee hatte nur 14.000 Soldaten entgegen zu setzen.[3] Für die Kirchen und die Gläubigen brachte die Fremdherrschaft Restriktionen mit sich. Mit einer atheistischen Propagandawelle sollte der kirchliche Einfluss aus der Gesellschaft verbannt werden. Bereits im Sommer 1940 wurde das Fach Religion in den Schulen nicht mehr unterrichtet, am 31. August 1940 wurde die Theologische Fakultät der Universität Tartu geschlossen.[4] Religiöse Organisationen wie die Zeugen Jehovas oder mehrere christliche Jugendorganisationen waren von nun an illegal.[5] Den Kirchen wurde verboten, eine Steuer zu erheben, nur noch Spenden waren erlaubt.

Der Versuch der Sowjetführung, den Einfluss der Kirchen in Estland aus dem gesellschaftlichen Leben zu streichen, muss aber als misslungen angesehen werden. Vielmehr war das Gegenteil der Fall: In dieser Zeit erhöhte sich die Aktivität des Kirchenlebens. Für viele Esten war die Kirche Symbol des Widerstandes gegen die neu errichtete Ordnung. Interne Kirchenangelegenheiten blieben von der Sowjetführung nahezu unangetastet. Dennoch muss in diesem Zusammenhang auch von Opfern während dieser Okkupation gesprochen werden. So wurden zwei Pastoren der evangelisch-lutheranischen Kirche erschossen, 15 deportiert und in Juni 1941 sieben Pastoren in die Rote Armee einberufen.[6] Über weitere Schicksale geben die vorhandenen Quellen keine Auskunft.

Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass die Kirche zwar erste Maßnahmen über sich ergehen lassen musste, die innere Struktur zu erschüttern, sowie die Aktivität der Mitglieder zu mindern, vermochten die neuen Machthaber aber nicht – bei Letzterem war sogar das Gegenteil der Fall. Die Aktivitäten in den Kirchengemeinden nahmen während der deutschen Besatzung in den Jahren 1941 bis 1944 sogar noch zu.

4 Die deutsche Okkupation

Das religiöse Leben in Estland entspannte sich zwischen den Jahren 1941 und 1944. So erhielten die Kirchen und Gemeinden Teile des enteigneten Besitzes zurück. An einigen Schulen wurde auch der Religionsunterricht wieder eingeführt, die Theologische Fakultät in Tartu wurde 1943 wieder eröffnet[7].

Doch war den Gemeinden nicht alles erlaubt, was vor der ersten sowjetischen Besatzung erlaubt war. So erhielten beispielsweise die Baptisten nicht all ihre Gebetsräume und ihren Besitz zurück. Die deutschen Besatzer konzentrierten sich aber, ganz nach ihrer Anschauung, vor allem auf die Bekämpfung des Judentums. Juden wurden ermordet, ihre thelogischen Schriften zerstört. Synagogen wurden vernichtet und auch nicht wiederaufgebaut.[8]

Die Zeugen Jehovas blieben eine verbotene Organisation. Während des Krieges, zum großen Teil bedingt durch die Sorgen und Ängste der Menschen, steigerten sich aber allen voran die Aktivitäten der lutheranischen Kirchenmitglieder, der Bapisten als auch der evangelischen Christen und der Pfingstler.[9] Nach der erneuten Besatzung Estlands durch die Sowjetunion 1944 kam es zu ausgeweiteten Maßnahmen gegen die Kirche.

[...]


[1] Plaat, J.: Die Veränderungen im religiösen Leben Estlands während der deutschen und der sowjetischen Okkupation 1940-1953, in: Mertelsmann, O. (Hrsg.), Vom Hitler-Stalin-Pakt bis zum Tod Stalins. Estland 1939-1953 (S. 151-169), Hamburg 2005, hier S. 151.

[2] Altnurme, R.: Die Estnische Evangelisch-Lutherische Kirche und die Besatzungsmächte 1939-1953, in: Mertelsmann, O. (Hrsg.), Vom Hitler-Stalin-Pakt bis zum Tod Stalins. Estland 1939-1953 (S. 170-182), Hamburg 2005, S. 171. (Im Folgenden „Besatzungmächte)

[3] Rannut, M.: Beyond linguistic policy: The Soviet Union versus Estonia, in: Rolig-Papir, 48. S. 23-52, hier S. 39.

[4] Vgl. Vööbus, A.: The Universitiy of Tartu. Role and Accomplishment, in: Studies in the history of the Estonian people : with reference to aspects of social conditions, in particular, the religious and spiritual life and the educational pursuit, Stockholm 1982.

[5] Perlitz, H.: The Fate of Religion and Church Under Soviet Rule in Estonia 1940-1941, in: A. Torma (Hrsg.): The Church in Estonia, New York 1944, S. 31.

[6] Altnurme, R.: Estnische Evangelisch-Lutherische Kirche in der Sowjetunion (bis 1964), in: Siret Rutiku and Reinhart Staats (Hrsg.): Estland, Livland und westliches Christentum. Estnisch-deutsche Beiträge zur baltischen Kirchengeschichte. Kiel 1998 (S. 219-246), S. 235-237.

[7] Altnurme, Besatzungsmächte, S. 172.

[8] Taagepera, R.: Estonia: return to independence, Boulder 1993. S. 85.

[9] Plaat, S. 156.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Von der Blütezeit zur Unterwerfung – religiöses Leben in Estland
Hochschule
Universität Hamburg
Veranstaltung
Russland an der Ostsee. Die Rolle des Baltikums in der Geschichte des Russischen Reichs/der Sowjetunion
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
18
Katalognummer
V90348
ISBN (eBook)
9783638045056
ISBN (Buch)
9783638941211
Dateigröße
441 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Blütezeit, Unterwerfung, Leben, Estland, Russland, Ostsee, Rolle, Baltikums, Geschichte, Russischen, Reichs/der, Sowjetunion
Arbeit zitieren
Pavo Prskalo (Autor:in), 2006, Von der Blütezeit zur Unterwerfung – religiöses Leben in Estland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90348

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