Libertinäre Liebesbeziehungen im intermedialen Transfer

Der Briefroman "Les Liaisons dangereuses" von Choderlos de Laclos und dessen filmische Umsetzung im 20. Jahrhundert


Examensarbeit, 2006

71 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1. Intermedialität

2. Libertinage und romantische Liebe

3. Choderlos de Laclos' Briefroman: Les Liaisons dangereues
3.1 Zusammenfassung der Handlung
3.2 Zeit und Wirkung des Romans
3.3 Besonderheiten des Briefromans
3.4 Libertinage und romantische Liebesbeziehungen
3.4.1 Der Vicomte de Valmont
3.4.2 Die Marquise de Merteuil
3.5 Die Machtbeziehungen in den Liaisons dangereuses

4. Roger Vadims Film: Les Liaisons dangereuses 1960
4.1 Handlung des Films und Abweichung zum Roman
4.2 Zeit und Wirkung des Films
4.3 Besonderheiten der Verfilmung
4.4 Libertinage und romantische Liebesbeziehungen
4.4.1 Valmont
4.4.2 Juliette de Merteuil
4.5 Machtbeziehungen in den Liaisons dangereueses 1960

5. Stephen Frears Film: Dangerous Liaisons
5.1 Handlung des Film und Abweichung zum Roman
5.2 Zeit und Wirkung des Films
5.3 Besonderheiten der Verfilmung
5.4 Libertinage und romantische Liebesbeziehungen
5.4.1 Der Vicomte de Valmont
5.4.2 Die Marquise de Merteuil
5.5 Machtbeziehungen in den Dangerous Liaisons

6. Roger Kumbles Film: Cruel Intentions
6.1 Handlung des Films und Abweichung zum Roman
6.2 Zeit und Wirkung des Films
6.3 Besonderheiten der Verfilmung
6.4 Libertinage und romantische Liebe
6.4.1 Sebastian Valmont
6.4.2 Kathryn Merteuil
6.5 Machtbeziehungen in den Cruel Intentions

7. Schluss

QUELLEN

0. Einleitung

Die Liaisons dangereuses von Choderlos de Laclos bilden den zentralen Aspekt dieser Arbeit mit dem Titel „Libertinäre Liebesbeziehungen im intermedialen Transfer. Die filmische Umsetzung des Briefromans von Laclos im 20. Jahrhundert“. Themen wie Liebe, Intrigen und Machtspiele des Briefromans von 1782 sind noch immer aktuell, was die vielfältige Beschäftigung mit dem Roman erklärt. Zu nennen sind beispielsweise das Theaterstück Les Liaisons dangereuses Christopher Hamptons von 1985, die Fortschreibung des Romans aus dem Blickwinkel der Marquise von Christiane Baroche 1987 und die hier behandelten Filme von Roger Vadim 1959, Stephen Frears 1989 und Roger Kumble 1999.

Wegen der Perspektivenvielfalt der Laclos- Forschung und des vermehrten Interesses an filmischen Umsetzungen des Romans, rücken die Themen Liebe, Libertinage und Macht in den Mittelpunkt dieser Arbeit. Diese werden sowohl im Roman Les Liaisons dangereuses als auch in den Filmen analysiert.

Bei den ausgewählten Filmen handelt es sich um Kinofilme, die auch außerhalb ihres Entstehungslandes gezeigt wurden und daher ein großes Publikum ansprechen konnten. Der erste Film, der hinsichtlich der Liebe, Libertinage und Macht untersucht wird, sind die Liaisons dangereueses 1960 von dem französischen Regisseur Roger Vadim. Der 1959 gedrehte Film bietet eine Aktualisierung des Laclos-Stoffs, er überträgt die Handlung in die späten fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Dreißig Jahre später erscheint der Film Dangerous Liaisons des Briten Stephen Frears in den Kinos. Dieser zeichnet sich im Gegensatz zu der Verfilmung Vadims durch eine größere Nähe zur Vorlage aus. Gegenüber des ebenfalls 1989 erschienen Films Valmont von Milos Forman, der auch die Handlung des Briefromans Laclos' als Basis verwendet, wird hier aufgrund eines größeren Erfolgs beim Publikum die Interpretation Frears' gewählt. Roger Kumbles Film wird als letzter im Rahmen dieser Arbeit behandelt. Die Cruel Intentions des Amerikaners von 1999 schaffen für den Zuschauer einen aktualisierten Zugang zum Stoff des Briefromans.

Ziel der Arbeit ist es, Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Romans zu den Verfilmungen hinsichtlich der Libertinage, den Liebesbeziehungen und den Machtverhältnissen der handelnden Personen zu untersuchen.

Dazu wird unter Punkt 1 der Gliederung auf den Begriff der Intermedialität eingegangen, besonders auf das Verhältnis zwischen Roman und Film. Dieses wird sowohl in negativer als auch abschließend in positiver Sichtweise dargestellt.

Die Libertinage und die romantische Liebe als wichtiger zu untersuchender Punkt der Arbeit wird unter 2. behandelt. Es wird die Abgrenzung vom Modell der Libertinage des 18. Jahrhunderts und

der romantischen Liebe des 19. Jahrhunderts geschaffen. Der Liebesdiskurs des 20. Jahrhunderts wird nur kurz angerissen.

Der 3. Gliederungspunkt beschäftigt sich mit dem Briefroman Laclos. Entstehungszeit und Wirkung werden beleuchtet und die Besonderheiten des Briefromans untersucht, der durch seine Unmittelbarkeit eine Verbindung zum Film darstellt. Die Themen Libertinage, Liebe und Macht werden ebenfalls als wichtiger Teil behandelt.

Unter Punkt 4 bis 6 werden die Filme Vadims, Frears' und Kumbles hinsichtlich ihrer Entstehungszeit und Wirkung auf den Zuschauer analysiert. Die Besonderheiten der jeweiligen Verfilmung spielen ebenfalls eine Rolle in der Arbeit. Das Hauptaugenmerk liegt jedoch auf den libertinen beziehungsweise amourösen Beziehungen der Figuren. Fragen, die beantwortet werden, sind: Durch welche Merkmale zeichnen sich die Beziehungen zwischen den Figuren aus? Welche Veränderungen hinsichtlich des Liebesdiskurses sind bei dem Vergleich von Roman und Film ersichtlich?

Neben dem libertinen beziehungsweise romantischen Diskurs ist die Ausübung der Macht der Figuren untereinander ebenfalls ein Thema, dass vergleichend zwischen Roman und Film beleuchtet wird.

Am Ende der Untersuchungen soll dem Leser ein Einblick in die Gemeinsamkeiten und Abweichungen der Libertinage, der romantischen Liebesbeziehungen und der Machtkonstellationen der in Roman und Film handelnden Figuren gegeben werden. Sich abzeichnende Tendenzen werden herausgefunden.

Die zu den Untersuchungen benötigten Primärquellen liegen in unterschiedlicher Weise vor. Der Briefroman Laclos' wird in seiner Ausgangssprache zitiert, während Ausschnitte aus den Filmen auf Deutsch wiedergegeben werden.

1. Intermedialität

Intermedialität ist laut Joachim Paech „in“ (1998, 14). Doch was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Der Begriff Intermedialität lässt sich von den lateinischen Begriffen inter - zwischen und medius - Mittler, vermittelnd ableiten und bezeichnet „im weiten Sinn jedes Überschreiten von Grenzen zwischen konventionell als distinkt angesehen Ausdrucks- oder Kommunikationsmedien“ (Nünning, 2004, 298). Bei der Intermedialität wird differenziert nach beteiligten Medien, wobei es sich in diesem Fall um den literarischen Text Les Liaisons dangereuses von Laclos und die Filme Les Liaisons Dangereuses 1960 von Roger Vadim, Dangerous Liaisons von Stephen Frears und Roger Kumbles Cruel Intentions handelt. Weiterhin ist von Bedeutung, inwieweit eines der beteiligten Medien auf das andere Bezug nimmt. Es wird unterschieden in partielle Bezugnahmen, wobei nur Teile eines Mediums in ein anderes transferiert werden und totale Bezugnahme, die ganze Teile eines Werks betreffende Intermedialität (Nünning, 2004, 298). In diesem Fall dient bei allen behandelten Verfilmungen der Roman Laclos' als Basis, es handelt sich um eine totale Bezugnahme.

Laut Irina O. Rajewsky ist eine allgemeine Definition der Intermedialität schwierig, da eine “Vielzahl heterogener Phänomene unter dem Oberbegriff der Intermedialität“ zusammengefasst sind (2002, 6). Ein Forschungsbereich, in dem sich der Begriff durchgesetzt hat, ist das neue Medium Film, das sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. Hier wird das Verhältnis von Literatur und Film untersucht, wozu auch Adaptationen[1] zählen.

Bei Franz- Josef Albersmeier gehört die „Adap(ta)tion eines buchliterarisch fixierten Textes durch die Medien Hörfunk, Film, Fernsehen und Video“ zu einer Art des Medienwechsels, durch den Interferenzen zwischen unterschiedlichen Medien aufgezeigt werden können (2005, 240).

Der Medienwechsel wird jedoch nicht immer zwangsweise als positiv angesehen. Literaturverfilmungen stoßen nicht in jedem Fall auf Akzeptanz. Eine Unterscheidung in „hohe“ und „niedere“ Literatur in Kombination „mit der anrüchigen Jahrmarktsherkunft des Films legte... d en Grundstein für Vorurteile gegenüber der filmischen Bearbeitung von Literatur.“ (Gladziejewski, 1998, 1). So äußert sich Erwin Koppen (1961,103) über Vadims Les Liaisons Dangereuses 1960:

„Sie [die Laclos- Legende[2] ] hat erst jetzt in Frankreich zu einem öffentlichen Skandal geführt, indem der Schriftsteller Roger Vailland und der Regisseur Roger Vadim unter Mißbrauch des Titels Les Liaisons dangereuses einen zwar nicht schlechten, aber doch unappetitlichen Sittenfilm mit modernem Milieu gedreht haben, der so wenig mit der eigentlichen Substanz des Laclosschen Romans zu tun hat, daß der französische Schriftstellerverband die Hersteller auf gerichtlichem Wege zwingen mußte, den Film in Les Liaisons dangereuses 1960 umzutaufen .“

Koppen kritisiert die wenig werkgetreue Adaptation der Literaturverfilmung: die Verlagerung der Handlung in seine Gegenwart und die Veränderung der Beziehung zwischen Valmont und Madame Merteuil. So führt die Verfilmung nach Koppen zu keiner Erweiterung der Rezeption der Liaisons Dangereuses, sondern kann wegen der von ihm festgestellten fehlenden Nähe zum Roman diesem eher schaden als nutzen.

Schon Theodor W. Adorno urteilte : „Ein Werk ist der Todfeind des anderen.“ (1970, 313f.) und drückt somit seine Ablehnung für Kunstkritik aus, die vergleichend urteilt. Würde diese Aussage auf die Künste der Literatur und des Films bezogen, so wären Verfilmungen eines literarischen Werkes rein negativ belegt.

Auch Joachim Paech beschreibt eine mögliche negative Sichtweise der Entwicklung der Literatur und des Films:

„Die Entwicklung der Beziehung zwischen Literatur und Film verläuft von nun an zunehmend widersprüchlich: Auf der einen Seite wird der Film das Sprechen lernen und als Kino- und später Fernseh- und Video- Film die Kulturindustrie mehr und mehr dominieren; die Literatur wird als Futter für diesen unersättlichen Moloch herhalten müssen und das literarische Erzählen wird den Konsumenten als filmisch wiederkehren. Film wird sich in den Erzähltraditionen einrichten, in die Institutionen der Literatur und Kunst eindringen und dort mit den literarischen Medien konkurrieren.“ (Paech, 1997, 151).

Literatur und Kunst werden als konkurrierende Medien beschrieben, von einer „wechselseitigen Erhellung der Künste“ (Paech, 1998, 15) ist nicht die Rede. Der Film wird hier eher als ein Abklatsch der literarischen Werke angesehen, welcher der Literatur die Leser nimmt.

Doch Joachim Paech beschreibt die aktuelle Sichtweise positiv, es gehört zur Charakteristik der Intermedialität, „zu einem Marktplatz für Ausschluß suchende geisteswissenschaftliche Disziplinen zu werden, die in die Jahre gekommen sind und beginnen, sich in ihrer selbstgewählten und eifersüchtig verteidigten Splendidisolation unbehaglich zu fühlen“ (1998, 5).

Demnach verabschiedet „das Konzept der Intermedialität... besonders in Deutschland gepflegte Vorstellungen über Medienkonkurrenz“ (Moninger, 2004, 7). Es soll nicht mehr in bessere Literaturwerke und einfachere Literaturverfilmungen unterschieden werden, sondern die Möglichkeit der Erweiterung der Eindrücke durch Verfilmungen gezeigt werden.

Das Konzept der Literaturverfilmung ist nach Franz- Josef Albersmeier ein „offenes“ Genre, denn niemand kann einem Drehbuchautor oder Regisseur vorschreiben, wie er einen literarischen Text verfilmt (Albersmeier, 1992, 172). So sollen bei einer Literaturverfilmung beide Künste, die Literatur und der Film nebeneinander bestehen und dem Rezipienten eine komplexere Sichtweise auf den Stoff ermöglichen.

Durch ein Überführen des Stoffes der Liaisons dangereuses aus dem literarischen Kontext in einen filmischen werden dem Rezipienten der beiden Werke unterschiedliche Sichtweisen geliefert. So steht bei der Intermedialität nach Kirsten von Hagen „das produktive Spannungsverhältnis [im Zentrum] unterschiedlicher Medien, das neue ästhetische und semantische Effekte zeitigen kann.“ (Hagen, 2002, 12). So können „neue Horizonte der Wahrnehmung“ eröffnet werden (Moninger, 2004, 9).

Daher ist „der Begriff der Intermedialität in bestimmten Maße geeignet, den thematischen und methodischen Zusammenhang, die Wechselwirkungen und Interferenzen sowie die Konvergenz und Komplementarität der verschiedenen Medien zu verdeutlichen“ (Roloff, 1995, 271).

Ausgehend von dieser Beschreibung der Intermedialität und der Legitimität von Literaturverfilmungen (Gladziejwesky, 1998, 7), die nicht angezweifelt werden soll, da laut Albersmeier in „gewissen Perioden der Filmgeschichte bis zu 50% aller produzierten Filme dem Bereich der Literaturverfilmung zuzurechnen sind.“ (1992, 175), wird unter Punkt 3 bis 6 die Beziehung des Romans von Laclos zu den Verfilmungen Vadims, Frears und Kumbles der Liaisons dangereuses untersucht.

2. Libertinage und romantische Liebe

Der Begriff der Libertinage soll zunächst sehr allgemein beschrieben werden:

„Si par „libertinage“ on veut entendre, en un sens très large et modérément péjoratif, un effort non accidentel de libération à l'égard des contraintes subjectives qui pèsent sur les relations entre les hommes et les femmes à l'intérieur d'une société donnée, alors il faut reconnaître qu'un tel libertinage est de tous les temps et de tous les pays.“ (Cazenobe, 1991, 1).

Doch was zeichnet die Libertinage des 18. Jahrhunderts in Frankreich aus? Welche Merkmale sind zu erkennen?

Die Libertins der hier nachfolgend behandelten Werke haben „... une jouissance sensuelle, des succès de vanité, le plaisir de se venger, de tromper, de triompher par l'intelligence, la délectation de mal faire et de faire souffrir en humiliant, les délices d'un pouvoir exercé autant sur soi que sur les autres.“ (Cazenobe, 1991,4) zum Ziel.

Aber wie hat sich der Begriff der Libertinage beziehungsweise des Libertins mit den eben genannten Zielen herausgebildet?

Erstmals wurde der Begriff des Libertins 1477 in einer französischen Übersetzung des Neuen Testaments verwendet. Er kennzeichnete die Verbindung von der Idee der Freiheit und dem sozialen Abstieg (Delon, 1992, 12).

Im 16. Jahrhundert ist der Libertin ein Freidenker, der „sich nicht den Gesetzen der Religion unterordnet.“ (Wortmann, 2000,253).

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts werden Anhänger einer Sekte aus Flandern von Calvin als Libertins bezeichnet, da sie die Religionen als politische Erfindungen ansehen und so gegen religiöse Verhaltensweisen verstoßen. Von katholischen Aposteln übernommen, bezeichnet der Begriff dann „religiöse und moralische Verhaltensweisen, die von der Rechtsgläubgikeit abweichen“ (Delon, 1992, 12).

Während der Regierungszeit Ludwig des XV. wurden die Wörter Roué, Débauché und Petit-maître neben dem Begriff des Libertins geprägt.

Die Roués trugen diese Bezeichnung wegen ihrer Verhaltensweisen, Gewalt und Vulgarität, aufgrund derer sie nicht selten durch Folter anhand von Rädern sterben mussten, während „der Libertin ... ein gottloser, in der Débauche lebender Mensch [ist] ; [ist] die Libertinage eine Ausschweifung und Unordnung“ (Delon, 1992, 10). Der Petit-maître ist das Gegenstück zum Roué: er „übertreibt die Höflichkeit, die der roué zu vergessen scheint.“

(Delon, 1992, 20).

Im 18. Jahrhundert ist der Libertin nicht nur ein anti-religiöser Freigeist, sondern auch ein „unmoralischer, seinem (sinnlichen)Vergnügen nachjagender Mensch“ (Wortmann, 2000, 253).

Die Libertinage ist zu einem jeu de société geworden, das strengen Regeln folgt. Weiterhin kann sie als ein jeu dramatique, ein theatralisches Spiel, bezeichnet werden, bei dem alle Beteiligten einstudierten Rollen folgen bis zum mise à mort, dem symbolischen oder wirklichen Tod des verführten Opfers (Vailland, 1953, 51).

Nach Roger Vailland ist der Libertin des 18. Jahrhunderts „libre à l'égard de Dieu et des autorités civiles. ... et se prouve libre à l'égard de l'amour.“ (Vailland, 1953, 55). Die wichtigste Regel der Libertinage, die er befolgen muss ist demnach: „...le séducteur ne soit jamais séduit.“ (Vailland, 1953, 55). So kann der Verführer niemals selbst Opfer einer Verführung werden, er muss souverän bleiben und darf sich nicht verlieben, denn „le libertinage est exactement l'inverse de l'amour passion“ (Vailland, 1953, 55). Würde sich der Libertin verlieben, wären die Prinzipien der Libertinage verletzt und somit die Art und Weise zu „lieben“ einer ganzen Gesellschaftsschicht.

Ein weiteres Merkmal der Libertinage beziehungsweise des Libertins ist seine Handlungsbereitschaft. Im Gegensatz zum leidenschaftlich Liebenden zeigt sich der Libertin aktiv bei der Umwerbung seines Liebesobjekts, während der Passionné sich seiner Liebe hingibt, ihr gehorcht: „le libertin agit, le passionné subit“ (Vailland, 1953, 58).

Das Liebesobjekt des Libertins wird von diesem frei gewählt, der Libertin fällt nicht aus seiner Rolle, er ist niemals Objekt, sondern immer Subjekt: „Il [le libertin] est toujours sujet, jamais objet.“ (Vailland, 1953, 59).

Bei der Verführung steht bei dem Libertin nicht der sexuelle Akt im Vordergrund, sondern die Überzeugung des ausgewählten Objekts zur Hingabe. Anke Wortmann beschreibt es wie folgt: „Trotz aller Freizügigkeit geht es mehr um die Strategien der Verführung als um die Erfüllung des sexuellen Begehrens.“(2000, 254).

Die Überzeugung des ausgewählten Objekts erreicht der Libertin durch Maskerade. Er verstellt sich und vertuscht seine wahren Absichten und Gefühle. Andrejs Petrowski schreibt zum Wirkungsfeld des Libertins:

„Es ist eine Welt, in der die innere Absicht und das äußere Verhalten unvereinbar auseinanderklaffen. ... Die Welt der Libertins ist ein Theaterspiel, das aus der zweifachen Rolle der Maskierung des eigenen Inneren und der Demaskierung der anderen besteht.“ (Petrowski, 2002, 149).

Der Libertin täuscht vor, ein Anderer zu sein als er ist, um sein Opfer verführen zu können. Danach stellt er sein Opfer bloß, er demaskiert es und gibt es der Kritik der Gesellschaft preis.

Doch wie verfährt der Libertin bei der Verführung?

Nach Roger Vailland existieren folgende Figuren bei der Libertinage: le choix, la séduction, la chute und la rupture.

Bei der Auswahl des Opfers, le choix, sucht sich der Libertin ein geeignetes weibliches Subjekt aus, das er umwirbt (Friedrich, 1998, 53). Er erweckt den Anschein, dass er sich in sein Opfer verliebt hat.

Die Verführung, la séduction, besitzt die gleichen Regeln wie die Hetzjagd (Vailland, 1953, 87). Das Opfer wird nicht in Ruhe gelassen, bis es aufgibt und der Widerstand bricht.

Der Fall, la chute, entspricht der Aufgabe der Moralvorstellungen des Opfers: „la consommation du péché“ (Vailland, 1953, 93). Das Opfer überschreitet eine selbstgesetzte Grenze und verletzt die (nach außen hin) geltenden Moralvorstellungen.

Nach der Eroberung macht der Libertin sein Abenteuer öffentlich, was zur gesellschaftlichen „Hinrichtung“ der verführten Frau (Friedrich, 1998, 53) oder zu deren realem Tod führt .

Für diese Tat werden die männlichen Libertins nicht etwa bestraft, sie „ernten in einer gesellschaftlichen Halböffentlichkeit Ruhm für ihre perfide Eroberung“ (Friedrich, 1998, 53). Für den Libertin gilt:

„Je raffinierter die Verführungskunst, je höher die gesellschaftliche Stellung des Opfers und je größer die Anzahl der Eroberungen, desto größer der Ruhm und dementsprechend die Befriedigung des amour propre .“ (Friedrich, 1998, 55).

Der Libertin ist, wie die wichtigste Regel nach Vailland besagt, nicht selbst emotional in das Geschehen involviert. Sein Ziel bei der Verführung ist die Stärkung seiner Eigenliebe, der amour propre. Was mit dem Opfer nach der Bekanntgabe seines Fehlverhaltens in der Öffentlichkeit passiert, ist dem Libertin egal. Er ist selbstbezogen, seine Verführung und vorgetäuschte Liebe nur von kurzer Dauer.

Eine Verstärkung des Erfolgserlebnisses für den Libertin stellt sich dann ein, wenn die zu verführende Frau eine Grenze[3] überschreitet, der Verführer sie zu einer Transgression bewegt.

Nach Michel Foucault hat die Transgression einen Bezug zur Entheiligung: „...une profanation dans une monde qui ne reconnaît pas plus de sens positif au sacré, n'est-ce pas à peu près cela qu'on pourrait appeler la transgression?“ (Foucault, 1994, 234). Allgemein stellt Foucault fest: „La transgresion est un geste qui concerne la limite; ...“ (Foucault, 1994, 236). Die Transgression ist eine Grenzerscheinung, die sich auf die christliche Moral beziehen kann und als deren Nichteinhalten beziehungsweise deren Grenzübertretung beschrieben wird. So stellt Sabine Friedrich fest:

„Die christliche Verbotsüberschreitung besitzt demgegenüber einen ganz besonderen Status. Das Phänomen, das die menschliche Selbstwahrnehmung bis zur Ekstase steigern kann- die Sexualität-, stellt für das Christentum die Sünde dar. Es ist daher naheliegend, die Selbstüberschreitung als die Überschreitung einer Selbst- und Weltwahrnehmungsgrenze anzusehen, die nicht einmal angetastet werden dürfte.“ (Friedrich, 1998, 60).

Das Individuum, das eine Grenze überschreitet setzt sich unter anderem über geltende christliche Normen hinweg. Der Libertin verneint diese Grenze für sich, er stellt deren Existenz in Frage. Doch die Grenze muss existieren, damit sie vom Libertin überschritten werden kann:

„Dies ist das Paradox der Trangression, das die Libertinage in ihrem Grunde kennzeichnet. Der Libertin braucht zu seiner Anerkennung ein Außen, muß aber dieses Außen zugleich verneinen.“ (Petrowski, 2002, 155).

Der Libertin braucht außerdem nicht nur die Grenze, um selbst gegen sie zu verstoßen, sondern auch um sein Opfer bei der Überschreitung dieser zu beobachten. So missachtet nicht nur er selbst die Grenzen der christlichen Moral, sondern übt so viel Macht über sein Opfer aus, dass dieses durch seine Verführungstaktik selbst die Grenzen überschreitet. Dem Libertin wird „eine Transgressionserfahrung auf eine neue, parasitäre Weise“ ermöglicht (Friedrich, 1998, 61).

Bei der Libertinage handelt es sich in den meisten Fällen um einen männlichen Libertin und ein weibliches Opfer. Doch auch eine weibliche Libertinage ist möglich. Deren Besonderheiten sollen nun behandelt werden.

Im Gegensatz zur männlichen Libertinage, bei der der Libertin sich durch einen mehr oder weniger öffentlichen Kampf gegen die Tugenden der Frauenwelt auszeichnet: „...affirmant sa liberté contre celle d'autrui, son combat se déroule essentiellement contre la vertu de la femme“ (Jaton, 1983, 153), ist die weibliche Libertinage weniger offensichtlich, würde bei ihrer Entdeckung jedoch einen weit größeren Skandal herbeiführen als die männliche:

„Le libertinage féminin, qui n'est apparemment pas plus audacieux, a une puissance de scandale plus grande et représente une attaque plus virulente contre l'intégrité de l'ordre social.“ (Jaton, 1983, 153).

Die weibliche Libertinage ist ein Vorgehen, ein Protest gegen die herrschenden Gesellschaftsnormen, die Libertine überschreitet durch ihr Verhalten eine Grenze.

Weibliche und männliche Libertinage sind gekennzeichnet durch unterschiedliche Verhaltensweisen der Verführer. Während für den männlichen Libertin die Eroberung erst zu seiner vollen Zufriedenheit beendet ist, wenn das Opfer durch seine Bekanntmachung der Verführung aus der Gesellschaft verstoßen wird, muss sich die weibliche Libertine in Zurückhaltung üben, denn würde sie ihr „Opfer“ der Beurteilung der Öffentlichkeit preisgeben, wäre sie es und nicht ihr Opfer, dass von der Gesellschaft verschmäht wird. Nancy K. Miller ist der Ansicht: „It's[4] a very different game for women to play.“ (Miller, 1998, 18). So zeigt sich die weibliche Libertinage im Vergleich zur männlichen:

„Le libertinage féminin apparaît comme l'ombre inquiétante du libertinage masculin: plus solitaire, plus audacieux et plus secret, il est intuitivement ressenti comme plus dangereux et comme digne de plus grands châtiments.“ (Jaton, 1983, 155).

Bei den weiblichen Libertins spielt die Täuschung eine größere Rolle als bei den männlichen. Die Maskerade muss perfekt beherrscht werden um nicht entdeckt und bestraft zu werden.

Die weibliche Libertinage richtet sich gegen die männliche, „...où l'homme veut être le maître et où la femme doit être une esclave volontaire...“ (Jaton, 1983, 157).

Jedoch kann die Libertine nie offen triumphieren. Nach Anne Marie Jeton bewegt sich die Libertine in einem Kreis ohne Ausweg:

„...luttant avec les armes de l'ennemi, violence, fourberie, trahison, la libertine peut gagner une bataille mais n'abolit jamais la guerre.“ (Jaton,1983, 161).

Da sie mit den Mitteln ihrer männlichen Gegner kämpft, kann sie sich auf diese Art und Weise nicht befreien.

Wie bereits in diesem Punkt erwähnt, handelt es sich bei der Libertinage nach Roger Vailland um das Gegenteil der amour passion. Nach diesem ist der romantisch Liebende eine Marionette seiner Gefühle:

„La passion entraîne, emporte, subjugue, réduit en esclavage. L’amant passioné ne choisit pas: Eros le frappe de sa flèche;...il re çoit un „coup de foudre“... C’est „l’amour- fou“, ...“ (Vailland, 1953, 57f.).

Der wirklich Liebende hat im Gegensatz zum Libertin seine Gefühle nicht unter Kontrolle.

Der Soziologe und Philosoph Niklas Luhman beschreibt in seinem Werk „Liebe als Passion“ Merkmale und Entwicklung der romantischen Liebe des 19. Jahrhunderts. Seine Sichtweise als Gegensatz zur Libertinage soll nun erläutert werden. Niklas Luhmann sieht die Liebe nicht als Gefühl,

„..sondern [als] ein [en] Kommuniaktionscode, nach dessen Regeln man Gefühle ausdrücken, bilden, simulieren, anderen unterstellen, leugnen und sich mit all dem auf die Konsequenzen einstellen kann, die es hat, wenn entsprechende Kommunikation realisiert wird.“ (Luhmann, 1994, 23).

Die romantische Liebe ab circa 1800 zeichnet sich durch „..eine Beziehung von individuellem Subjet und Welt.“ (Luhmann, 1994, 168) aus. Romantische Liebe bejaht die Individualität des Liebenden, sie erklärt „...die Konkretheit und Einzigartigkeit des Individuums zum universalistischen Prinzip.“ (Luhmann, 1994, 167).

Ein weiteres wichtiges Merkmal der leidenschaftliche Liebe ist die Aussicht auf ein länger währendes Verhältnis der Liebenden:

„In diese semantische Form gebracht, versucht das Konzept der romantischen Liebe über den amour passion hinauszugehen, und dies in zwei Hinsichten: durch Einbeziehung von grenzenlos steigerbarer Individualität und durch ...Aussicht auf Dauer, als Versöhnung mit Ehe.“ (Luhmann, 1994, 178).

Im Gegensatz zur amour passion führt die romantische Liebe zu einer Vereinigung von Liebe und Partnerschaft. Weiterhin gehört zur Liebessemantik das Element der Exklusivität:

„Es gilt als ausgemacht, und darüber besteht weithin Konsens, daß man nur eine Person zur gleichen Zeit wirklich lieben könne.“ (Luhmann, 1994, 23).

Nur eine Person wird geliebt, diese ist nicht beliebig austauschbar.

Die verliebten Personen deuten den Zufall ihrer Begegnung als Schicksal:

„Während sich höfische und dann galante Liebe selbstverständlich nur an Damen wenden konnte, die man schon kannte, so daß die Wahl auf Vorinformation gestützt werden konnte, wird jetzt mit der Symbolmarke Zufall auch der Anfang einer Liebesbeziehung gesellschaftlich ausdifferenziert Die Kombination Zufall/ Schicksal besagt dann: daß das voraussetzungslose Beginnen die Bedeutung der Liebesbeziehung nicht beeinträchtigt, vielmehr als Unabhängigkeit von jeder Außenprägung diese Bedeutung gerade steigert, sozusagen in sich verabsolutiert.“ (Luhmann, 1994, 181).

Als wichtigstes Merkmal der romantischen Liebe kann das Lieben um der Liebe Willen gesehen werden: „Gerade daß für die Liebe nur die Liebe zählt, heißt zwar, daß sie eine Welt für sich konstituiert- aber eben auch: für sich eine Welt.“ (Luhmann, 1994, 177). Dabei kommt es nicht auf die Befriedigung der amour popre wie bei der Libertinage an, die Liebe wird nicht vorgetäuscht, sondern es geht um die realen Gefühle der Liebenden.

Die romantische Liebe und die Libertinage zeichnen sich demnach durch folgende Gegensätzlichkeiten aus: Bei der Libertinage ist das Ziel die Befriedigung der amour popre, der Eigenliebe. Die Eitelkeit des Libertins steht hier im Zentrum. Es gibt eine bestimmte Vorgehensweise der Libertinage, nach der Verführung des ausgewählten Objekts und dessen mise à mort ist die Beziehung zwischen Libertin und Opfer beendet:

„Dieses Konzept[5] impliziert die Direktheit und kurze Dauer von Liebesbeziehungen..., die die emotionale Bindung (passion)quantitativ, durch eine Vielzahl erotischer Bindungen kompensiert.“ (Schamel, 1999, 27).

Bei der romantischen Liebe zeichnet sich die Beziehung zwischen den Liebenden durch eine Exklusivität aus, die Individualität der Einzelpersonen ist hier wichtig. Die romantische Liebe ist von längerer Dauer als die Libertinage, da sie nicht nach dem Ablauf eines bestimmten Regelwerks beendet ist. Außerdem kann der Ablauf der romantischen Liebe nicht nach Regeln erklärt werden, da sie von Eindrücken und Verhaltensweisen der beteiligten Individuen abhängig ist.

Im 20. Jahrhundert ist es schwierig, einen vorherrschenden Liebescode zu finden, denn

„...[f]ür das zwanzigste Jahrhundert gilt das Koexistieren von verschiedenen Liebessprachen nebeneinander, so daß das sprachliche Verfahren als ein „Zappen“ durch verschiedene „Liebeskanäle“, als ein „Switchen“ von einem Kanal zum anderen, verstanden werden kann.“ (Felten, 1999, 324f.).

So gibt es im 20. Jahrhundert keinen festgelegten Liebescode mehr, der Liebende kann zwischen den verschiedenen Möglichkeiten zu Lieben wählen.

Roland Barthes vergleicht die Figuren der Liebe, die möglichen Codes, mit einer Opernarie:

„Ainsi l’amoureux en proie à ses figures: il se démène dans un sport peu fou, il se dépense, comme l’athlète; il phrase, comme l’orateur, il est saisi, sidére dans un rôle, comme une statue. La figure, c’est l’amoreux au travail. ... „ Je suis angoisse!“ „Angoscia!“, chante quelque part la Callas. La figure est en quelque sorte un air d’opéra, ...“ (Barthes, 1977, 8f.)

Die Liebesfigur ist nach Barthes (1977, 10) „..comme un son coupé de toute mélodie- ou se répète, à satiété, comme le motif d’une musique planante.“ Hier ist es der Liebende, der sich für ein Liebesmodell entscheidet. Er ist bei der Wahl frei und muss sich keinem gängigen Liebescode unterwerfen.

3. Choderlos de Laclos' Briefroman: Les Liaisons dangereues

3.1 Zusammenfassung der Handlung

Die Marquise de Merteuil und der Vicomte Valmont planen im Zentrum des Romans eine Intrige. Auslöser ist der Comte de Gercourt, ein ehemaliger Liebhaber der Merteuil, der diese verlassen hat. Sie will sich dafür rächen und animiert den Vicomte de Valmont, mit dem sie ebenfalls ein Liebesverhältnis hatte, ihre Verwandte Cécile de Volanges zu verführen, mit der sich Gercourt verheiraten will. Der Comte de Gercourt legt bei seiner jungen Braut besonderen Wert auf ihre Jungfräulickeit. Diese wäre ihr durch Valmont genommen und nach dessen Öffentlichmachen der Verführung wäre Gercourt vor der Pariser Gesellschaft blamiert.

Doch Valmont zeigt kein Interesse an der Eroberung, da diese bei der jungen unwissenden Cécile keinen Reiz für ihn darstellt. Lieber widmet er sich der tugendhaften und verheirateten Présidente de Tourvel, die auf dem Landgut seiner Tante Madame de Rosemonde zu Gast ist und versucht sie mit allen Mitteln zu verführen. Dort redet jedoch Céciles Mutter, Madame de Volanges, schlecht über Valmont und erzählt der Présidente von seinem Ruf als Verführer. Als dieser davon erfährt, ist er bereit, sich auf Madame de Merteuils Forderung einzulassen: Cécile aus Rache zu verführen und als Zeichen seiner Verführungskünste ebenfalls die keusche und tugendhafte Présidente zu erobern. Als Gegenleistung soll Madame de Merteuil ihre Liebhaber Prévan und Belleroche mit Valmont betrügen und so ihre Beziehung erneuern.

Madame de Merteuil bemüht sich, ein Verhältnis zwischen Cécile und ihrem Musiklehrer Danceny anzubahnen um Céciles Ruf zu schaden. Beide schreiben sich zurückhaltend Liebesbriefe, wobei Madame de Merteuil dafür sorgt, dass Céciles Mutter die Briefe findet. Schließlich schafft es Valmont auf eigenwillige Weise, Cécile zu verführen.

Auch der Présidente de Tourvel kann der Vicomte überzeugend vorspielen, in sie verliebt zu sein. Sie gibt sich ihm hin.

Als Valmont seine „Belohnung“ bei Madame de Merteuil fordert, ist sie nicht bereit ihm diese zu geben, denn ihrer Meinung nach hat Valmont gegen die Grundsätze der Libertins verstoßen: Er hat sich in die Présidente verliebt. Valmont, der durch Madame de Merteuil einsieht, dass er so seinem Ruf als Libertin schadet, entscheidet sich gegen die Présidente und bricht mit ihr durch einen von der Merteuil geschriebenen Brief. Doch selbst dann ist diese nicht bereit, der Verabredung mit Valmont zu folgen. Zwischen dem Vicomte und der Merteuil kommt es zu einer Kriegserklärung, beide agieren nun nicht mehr miteinander, sondern gegeneinander. Valmont führt Cécilie und Danceny endgültig zusammen und nimmt der Merteuil so bewusst ihre neueste Eroberung, den Ritter Danceny. Die Marquise rächt sich an Valmont, indem sie ihrem Liebhaber Danceny von dem Verhältnis zwischen Cécile und dem Vicomte erzählt. Danceny fühlt sich in seiner Ehre gekränkt und fordert Valmont zum Duell heraus. Dieser stirbt beim Duell, überreicht Danceny jedoch vorher die demaskierenden Briefe der Madame de Merteuil. So hat der sterbende Vicomte die Marquise der Gesellschaftskritik preisgegeben. Sie verliert ihr Vermögen und wird durch Blattern entstellt.

Die von Valmont verführte und ihrer Grundsätze beraubte Tourvel stirbt in geistiger Verwirrung im Kloster. Cécile geht ebenfalls ins Kloster und ihr Geliebter, der Ritter Danceny, zurück nach Malta.

3.2 Zeit und Wirkung des Romans

Bei dem Erscheinen des Romans 1782 war die Leserschaft der Liaisons dangereuses in zwei Lager gespalten: die Befürworter des Romans, die einen moralischen Nutzen aus dem Text zogen sowie die gesellschaftskritischen Absichten des Autors erkannten und die Gegner, die die Sittenlosigkeit und Verderbtheit kritisierten (Koppen, 1961, 8; 101).

Nach Erwin Koppen herrschte beim Erscheinen der Liaisons dangereuses, genauer seit dem Tode Ludwig des XIV. bis zur Revolution 1789, nicht zu Unrecht der Ruf der Sittenlosigkeit. Kennzeichnend war „eine Unbekümmertheit und Offenheit in erotischen Dingen“ (Koppen, 1961, 7f.). Diese Offenheit betraf nicht die gesamte Bevölkerung, sondern den Hof von Versailles und die Salons in Paris. Damit handelte es sich um weniger als 1% der Gesamtbevölkerung Frankreichs. Doch dieser Teil repräsentierte Frankreich, war zwar in politischer Hinsicht entmachtet, doch war diese „ „ Auslese“ schon seit mehreren Dezennien von sittlicher Korruption zernagt“ (Koppen, 1961, 8) und konnte so nicht als gutes Beispiel fungieren. Grund für die Verführungen und Liebschaften war nicht die Leidenschaft, sondern die Freude am Spiel:

„In der französische Hocharistokratie des 18. Jahrhunderts gehörte es einfach zum savoir-vivre, daß man die Gesetze der Moral nicht respektierte. Man verführte, oder ließ sich verführen, nicht aus Leidenschaft, kaum aus physischem Bedürfnis, sondern aus Spielerei.“ (Koppen, 1961, 8f.)

Die Liebe war dabei nicht von Bedeutung, sondern zu einem „mehr oder weniger geistreichen Pläsir, dem Jagdvergnügen vergleichbar, kurz, zum zeitvertreibenden Gesellschaftsspiel abgesunken.“ (Knufmann, 1965, 175; siehe Libertinage).

Die Freiheiten der Frauen bei diesem Spiel sind eingeschränkter als die des Mannes, „da die Gesellschaft sie zur Passivität verurteilt, [sie] von vornherein die Unterlegene ist.“ (Knufmann, 1965, 176). Die von der Gesellschaft bewilligte Freiheit der Frau bestand darin, dass sie sich dem Werben eines Mannes verschließen oder ihm nachgeben konnte (Knufmann, 1965, 176, f.).

So waren in der Zeit der „Unsittlichkeit“ die Frauen weniger frei als die Männer und sollten im Hintergrund bleiben (siehe weibliche Libertinage Punkt 2 ). Für die libertinen Spiele des französischen Adels interessierte sich jedoch ein Großteil Bevölkerung: Die erste Auflage des Buches war innerhalb kürzester Zeit vergriffen und der Bedarf in den weiteren Jahren war groß. „Die Liaisons dangereuses waren zu einem der großen Bucherfolge des Jahrhunderts geworden.“ (Koppen, 1961, 16f.).

Bei fast allen zeitgenössischen Kritikern bestand Einigkeit, „daß Laclos die Sitten einer gewissen Schicht getreulich wiedergegeben hat.“ (Koppen, 1961, 64).

3.3 Besonderheiten des Briefromans

Zur Zeit der Entstehung des Briefromans von Laclos hatte der Briefverkehr eine privilegierte Rolle inne, er war „...die einzige Form der Kommunikation..., die räumliche Distanzen überbrücken konnte, ...“ (Hagen, 2002, 29) und daher für die Figuren der Liaisons dangereuses in vielen Fällen unerlässlich.

Der Brief im 18. Jahrhundert gilt als „...das privilegierte Medium der authentischen Selbstäußerung...“ (Vedder, 2002, 12). Er schafft eine Intimität zwischen Sender und ausgewähltem Empfänger, der Schreiber teilt dem Empfänger eine an ihn gerichtete Nachricht mit, die nicht für Dritte bestimmt ist. So „...wird der Briefverkehr also als subjektzentrierte Kommunikation von „Herz zu Herz“ begriffen..“ (Vedder, 2002, 12). Der Brief birgt Geheimnisse, Gefühle und Gedanken des Schreibers, die nur für den Adressaten sichtbar sein sollen: „Ein Brief vermag – wie unbestimmt auch immer- Spuren der Erregung zu übertragen und Affekte hervorzurufen.“ (Vedder, 2002, 14).

Doch passiert es in den Liaisons dangereuses, dass ein Brief nicht vom Sender selbst kommt, ihn ein Dritter lesen kann oder der Brief fingiert ist?

Das Briefgeheimnis verletzt Valmont, indem er zwei Briefe Dancenys, Brief 64 an Madame de Volanges und Brief 65 an Cécile in einem Brief an seine Komplizin Madame de Merteuil schickt, damit diese vom Fortschritt ihrer Vorhaben erfährt:

„Vous verrez, ma belle amie, en lisant les deux lettres ci-jointes, si j'ai bien rempli votre projet. Quoique toutes deux soient datées d'aujourd'hui, elles ont été écrites hier, chez moi et sous mes yeux...“ (Laclos, 1995, 134)

Er gewährt der Merteuil nicht nur unerlaubt Einsicht in die Briefe, er hat den verliebten Ritter Danceny sogar beim Schreiben der Briefe überwacht. Valmont spielt weiterhin seine Macht über die Verliebten aus und diktiert Cécilie einen Brief (Brief 117) an Danceny und schaltet sich so als Zwischeninstanz ein. Der Brief verliert so von ursprünglicher Vertrautheit und Exklusivität für den Empfänger.

Die Täuschung durch Briefe wird von den beiden Libertins des Romans, der Marquise de Merteuil und dem Vicomte Valmont, als Verführungsstrategie benutzt:

„Bei ihnen ist der Brief weit mehr als ein Mittel, miteinander zu kommunizieren: Er wird zu einem Lebensprinzip. Ihre Vorgehensweise der Illusionierung und -gewaltsamen- Desillusionierung manifestiert sich in ihrer Art zu schreiben. In ihrer Hand wird der Brief zur Waffe. Briefe täuschen, demaskieren, nehmen Rache und schließlich töten sie sogar.“ (Hagen, 2002, 32).

So kann der private Brief und dessen Charakteristik als Medium der Vertrautheit und der Authentizität für die Opfer der Libertins zur Falle werden. Sie geben sich dem Inhalt hin ohne diesen in Frage zu stellen. Jedoch ist es für die Libertine Madame de Merteuil nicht einfach, einen Brief zu schreiben, der etwas vortäuscht, was nicht wirklich gefühlt wird:

„De plus, une remarque que je m'étonne que vous n'ayez pas faite, c'est qu'il ya rien de si difficile, en amour, que d'écrire ce qu'on ne sent pas.“ (Laclos, 1995, 67).

Doch auch wenn es Madame de Merteuil schwer fällt, etwas zu schreiben, was nicht ihren Emotionen entspricht, so gehört die Verstellung dennoch zum Repertoire der Libertins (siehe Punkt 2). Durch die Maskerade kommt es bei den Libertins zur Verführung des Opfers und bei einem erneuten Erleben durch das Beschreiben des Erlebten im Brief erreicht der Libertin die Erotisierung des Geistes:

„Il répond aussi à des raisons psychologiques: la lettre est un instrument précieux pour des êtres qui veulent assurer la domination de leur intelligence par un art de persuader qui est un art de pervertir, qui sont en quête d'un public pour leurs succès, et dont l'érotisme de tête trouve une satisfaction plus grande à raconter leurs plaisirs qu'à les éprouver.“ (Versini, 1968, 309).

Die Briefe bei den Liaisons dangereuses haben neben der Wiedergabe von Erlebtem auch eine handlungsmotivierende Funktion und dienen dem Gedankenaustausch (Hagen, 2002, 36).

Eine Besonderheit des Briefromans ist die Illusion der Wirklichkeit. Dem Leser des Romans wird durch den éditeur und den rédacteur eine fiktionale beziehungsweise authentische Herkunft der Briefe vermittelt.

[...]


[1] Aus dem Lateinischen adapatare: anpassen

[2] Laclos= Valmont; Koppen, 1961, 69

Es wird hier von der Vermutung ausgegangen, dass Laclos der imaginären Figur Valmonts entsrpicht.

[3] Nach den Figuren Vaillands: la chute

[4] Nancy K. Miller bezieht sich hier auf die Libertinage

[5] das Galanteriemodell (zur Beschreinbung außerehelicher Beziehungen)

Ende der Leseprobe aus 71 Seiten

Details

Titel
Libertinäre Liebesbeziehungen im intermedialen Transfer
Untertitel
Der Briefroman "Les Liaisons dangereuses" von Choderlos de Laclos und dessen filmische Umsetzung im 20. Jahrhundert
Hochschule
Universität Leipzig
Note
1,5
Autor
Jahr
2006
Seiten
71
Katalognummer
V90289
ISBN (eBook)
9783638044929
ISBN (Buch)
9783638941174
Dateigröße
704 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Libertinäre, Liebesbeziehungen, Transfer
Arbeit zitieren
Nicole Harsch (Autor:in), 2006, Libertinäre Liebesbeziehungen im intermedialen Transfer, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90289

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