Die inklusive Wohngemeinschaft als alternatives Wohnkonzept. Wie lässt sich Inklusion im Alltag umsetzen?


Fachbuch, 2020

63 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Abschnitt I – Begriffsbestimmungen
2.1 Begriffsbestimmung Inklusion
2.2 Begriff Behinderung
2.3 Begriff Wohnen

3 Abschnitt II - Methode
3.1 Methodische Grundlagen
3.2 Übersicht der Experteninterviews
3.3 Ergebnisse in 3 Abschnitten

4 Abschnitt III – Präsentation der Ergebnisse
4.1 1 Die inklusive Wohngemeinschaft
4.2 2 Konzeptionelle Grundlagen
4.3 3 Abschließender Blick

5 Abschnitt IV - Schlussteil
5.1 Interpretation der Ergebnisse
5.2 Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

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Impressum:

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Zusammenfassung

Menschen mit Behinderung werden in ihrer Wohnsituation schon lange benachteiligt. Durch die Konkretisierung und Einforderung von Menschenrechten entwickeln sich mit den Jahren neue Perspektiven, für eine Deinstitutionalisierung und Bewusstseinsveränderung, für Menschen mit Behinderung. Als ein junges und alternatives Konzept, auf der Ebene der Wohnformen für Menschen mit Behinderung, bietet sich die inklusive Wohngemeinschaft an. Mittels Experteninterviews soll die inklusive Wohngemeinschaft näher analysiert, und dabei herausgefunden werden, welche Faktoren für eine gelingende Inklusion gebraucht werden. Notwendig ist dafür eine sorgfältige Planung von Rahmenbedingungen, Zielen und Aufgaben verankert in einem Konzept für eine inklusive Wohngemeinschaft. Doch trotz all der Planung im Vorfeld, sollte stets beachtet werden, dass erst in der praktischen Umsetzung unerwartete Probleme hinzukommen können, und eine Möglichkeit auf die Anpassung von Konzepten jederzeit gegeben sein muss.

Abkürzungsverzeichnis

BTHG Bundesteilhabegesetz

GG Grundgesetz

SGB IX Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung

SGB XII Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe

UN-BRK UN-Behindertenrechtskonvention

USA Vereinigte Staaten von Amerika

1 Einleitung

Wir schreiben das Jahr 2009 als in Deutschland die UN-Behinderten­rechtskonvention, die für eine Gleichberechtigung und Konkretisierung der universellen Menschenrechte für Menschen mit Behinderung, in Kraft tritt (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2018: oS). Über zehn Jahre sind nun seit Inkrafttreten vergangen und dennoch hört man immer wieder von Ausgrenzungs- und Diskriminierungsproblematiken, vor allem im Wohnbereich, für behinderte Menschen. Mit der Zeit entstehen vielerorts neue Wohnkonzepte für Menschen mit Behinderung. Dabei gilt die inklusive Wohngemeinschaft als die neueste inklusive Wohnformmöglichkeit für Betroffene (Theunissen & Schirbort, 2010: 65 f.). Nur, wofür genau steht diese Wohnform? Und wie kann hier mehr Inklusion umgesetzt werden? Die Fragen führten mich zu einer tieferen Auseinandersetzung mit dem Thema der inklusiven Wohngemeinschaft. Während betitelte Zeitschriftenartikel und Konzepte, durch die Möglichkeit des Internets, online schnell Verbreitung finden, fiel das Ergebnis der empirischen Literatursuche über inklusive Wohngemeinschaften eher bescheiden aus. Um dennoch die theoretischen Grundlagen von Inklusion und der inklusiven Wohngemeinschaft zu verstehen, musste hier ein anderer Zugang geschafft werden, der sich schließlich in Form von Experteninterviews gestaltete. Um mit der Arbeit einen akademischen Beitrag zur Diskussion der Inklusion von Menschen mit Behinderung zu leisten, erschien es mir wichtig nicht nur die inklusive Wohngemeinschaft an sich selbst zu erläutern, sondern viel mehr was es denn braucht, damit die inklusive Wohngemeinschaft im Sinne der Inklusion gelingen kann. Daher orientiert sich die vorliegende Arbeit an der entstehenden Forschungsfrage: „Welche konzeptionellen Grundlagen brauchen inklusive Wohngemeinschaften um Inklusion im Alltag umsetzen zu können?“

Im Forschungsfokus steht hier das spezifische Wissen von Experten, die bereits im Kontext einer inklusiven Wohngemeinschaft tätig sind, und so gelingende aber auch problematische Faktoren aus ihrem Alltag kennen. Bei der Literaturrecherche lag der Fokus besonders auf den Autoren Jo Jerg und Georg Theunissen. Dabei vertritt Jo Jerg besonders die Professur der sozialen Arbeit und Inklusion und bietet eine umfangreiche Literatur über die Inklusionsentwicklung in unserer Zeit. Georg Theunissen, ein renommierter Heil- und Sonderpädagoge und Vertreter des ‚Empowerment-Konzepts‘, trägt durch seine jahrelange Arbeitserfahrung, der sozialen Arbeit mit geistig behinderten Menschen, einen großen Beitrag zur Entwicklungs- und Lebenswelt von Menschen mit Behinderung bei. Um die Grundidee und das Vorhaben einer inklusiven Wohngemeinschaft zu verstehen, werden zunächst die einzelnen Begriffe, die im Zusammenhang mit der Forschungsfrage stehen, erläutert. Diese befinden sich im ersten Abschnitt der Arbeit und sollen systematischen zu einem Verständnis, in welchen Instanzen die Forschungsfrage angesiedelt ist, aufbauen. Im zweiten Abschnitt der Arbeit beginnt der praktische Teil. Zunächst werde ich hier mein methodisches Vorgehen näher erläutern, sowie eine Einleitung zu den geführten Experteninterviews geben, um anschließend in Abschnitt drei die Forschungsergebnisse der Experteninterviews zu präsentieren. Im Prozess der Verschriftlichung entstehen dabei neue Teilfragen, durch die die Hauptfrage und Antwort vertieft und präzisiert werden soll. Im vierten und letzten Abschnitt der Arbeit werden noch einmal ergänzende Forschungsinterpretationen der Ergebnisse aus dem dritten Abschnitt, um schließlich im Fazit Bezug auf die Frage selbst, mit einer Antwort, zu nehmen. Neben der Beantwortung der Forschungsfrage wird im Fazit ebenfalls ein Rückblick über den Forschungsprozess stattfinden und soll mögliche neue Anreize verschaffen, die weitere Ideen und Überlegungen zu dem Thema offen lassen.

2 Abschnitt I – Begriffsbestimmungen

2.1 Begriffsbestimmung Inklusion

2.1.1 Der Weg der Inklusion

Soziale Befreiungsbewegungen entstehen meist aus problematischen und politischen Kontexten, in dem sich ein oder mehrere Menschen für ihr politisches Recht und seine Existenz einsetzen. Neben namhaften Befreiungsbewegungen, gehört der Inklusionsgedanke zu einem politischen Interessensbild auf nationaler Ebene. Um diesen politischen Inklusionsgedanken in einem historischen Kontext der Behindertenarbeit zu verstehen, ist es zunächst wichtig zusammenliegende Faktoren einzugrenzen und darzustellen. Im Jahre 1948 verabschiedeten die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte auf internationaler Ebene. Menschenrechte stehen jedem Menschen universell gleichermaßen zu und beruhen auf der unantastbaren Menschenwürde (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 1 Abs. 1). Neben den Menschenrechten der Vereinten Nationen, besitzen die verschiedenen Staaten eigens erfasste Grund- und Bürgerrechte, die nur den Staatsbürgern des jeweiligen Landes vorbehalten sind und zumeist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verstärken und erweitern sollen. So wird beispielsweise im Grundgesetz (folgend GG), Artikel 3 festgehalten:

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Abschnitt 1, Artikel 3)

Dieser Artikel des Grundgesetzes bezieht sich auf das Grundrecht Deutschlands, dass alle Menschen gleich sind, ihnen gleichermaßen Rechte zustehen und sie unabhängig von Werten gleichermaßen behandelt werden sollen. Trotz immer mehr Gesetzen, die den Menschen Sicherheit und Gleichbehandlung sichern sollten, findet in der Nachkriegszeit eine, am psychiatrischen Modell angelehnte, Institutionalisierung für Menschen mit Behinderung, in Deutschland statt. Das psychiatrische Modell war besonders von der nationalsozialistischen Auffassung geprägt, dass behinderte Menschen minderwertige oder lebensunwerte Menschen seien und somit beseitigt werden müssen, um ein reines Deutschland zu erhalten. Durch das Normalisierungsprinzip im Jahre 1950, welches als zentrale Maxime für erwachsene Menschen mit einer geistigen Behinderung entwickelt wurde (Theunissen & Schirbort, 2010: 60), sollte das Leben der betroffenen Menschen in allen Bereichen so normal wie möglich gestaltet werden. Während betroffene Adressaten vor den Zumutungen der Gesellschaft geschützt werden sollten, als auch die Gesellschaft vor ihnen, wurden Anstalten, Einrichtungen oder Institutionen angeboten, um so normal wie möglich aber auch isoliert aufgrund ihrer Erkrankung leben sollten (vgl. Theunissen &Schirbort, 2010: 60). Es folgte die Ansammlung von Einrichtungen mit behinderten Menschen, die sich zu sogenannten Behinderten Häusern entwickelten. Im Rahmen dieser Umsetzung wurde das Ziel des Normalisierungsprinzips verfehlt und grenzte Betroffene durch eine Stigmatisierung ein. Dies hatte zur Folge, dass Menschen mit Behinderung, früher wie auch heute noch, vorwiegend in stationären Sonder-Welten gelandet sind (Theunissen in Fink & Hinz, 2011: 29 f.). Erst in den 60er Jahren kamen weltweit erste Kritiken gegenüber der Stigmatisierung und Ausgrenzung von behinderten Menschen auf (vgl. Theunissen & Schirbort, 2010: 46 f.). Kritiker waren und sind meistens betroffene Menschen, die selbst institutionalisiert werden sollten, bereits in einer Einrichtung lebten, Angehörige von betroffenen Personen, Fachexperten oder Bürgerrechtler. Deutschland voraus waren damals höher Entwickelte Industrienationen wie zum Beispiel die Vereinigten Staaten von Amerika (folgend USA), in denen erste Kritische Ansätze gegenüber der Institutionalisierung umgesetzt wurden und Inklusionsansätze herausgearbeitet wurden (vgl. Theunissen & Schirbort, 2011: 61). Die soziale Gerechtigkeit und Anerkennung behinderter Menschen sollte für eine Deinstitutionalisierung der Angebote sorgen, sodass, durch eine politische Interessensvertretung für die Rechte Behinderter und Inklusion, im Jahre 1975 erstmals die kostenlose Beschulung aller behinderten Kinder sowie das Mitspracherecht für betroffene Eltern, für eine Reformbewegung der Gesetze in den USA sorgte. Nutzt man den Inklusionsbegriff aus dem angloamerikanischen Sprachgebrauch, so bedeutet dieser übersetzt die Zugehörigkeit oder die Einbeziehung (vgl. Theunissen & Schirbort, 2010: 13 f.). Doch wenn sich auch die Teilhabechancen für behinderte Menschen, im Vergleich zur Mitte des letzten Jahrhunderts, verbessert haben, muss hier die Entstehung von sogenannten Sonderschulen kritisch betrachtet werden, da diese zu einer Aussonderung und Gruppierung von Menschen mit Behinderung führen (vgl. Theunissen & Schirbort, 2010: 16). Daher muss mit dem Hintergrund dessen was der Inklusionsgedanke und die Rechte der Menschen beinhalten, nunmehr für behinderte Menschen nicht nur eine Anpassung zur Normalisierung an die Lebensstandards gegeben werden, sondern eine Umwelt der inklusiven Gesellschaft, die auf Respekt und Anerkennung aller Menschen gleichermaßen ausgelebt werden kann (Theunissen & Schirbort, 2010: 20 f.). Aus Ansätzen der Selbstbestimmung und Autonomie geht es vor allem um eine Umverteilung der Macht durch eine tatsächliche Normalisierung und Deinstitutionalisierung, indem der behinderte Mensch selbst darüber entscheiden kann, was gut und was nicht gut für ihn ist und wo dieser Mensch selbst leben möchte (Theunissen in Fink & Hinz, 2011: 29 f.). Dabei bilden die Selbstbestimmung und Autonomie wichtige Bestandteile des Empowerments, der als ein Kern des Inklusionsgedankens verstanden wird. Weiter wird der Begriff Inklusion vom Kern der Partizipation unterstrichen, der die Ansätze der Teilhabe und Mitwirkung beinhaltet. So lässt sich von Kludas (in Fink & Hinz, 2011: 233) folgende Stichpunktsammlung über Inklusion zusammenfassen:

„Inklusion ist Teilhabe. Teilhabe für jeden einzelnen Menschen unabhängig davon wie anders ein Mensch ist, zum Beispiel durch verschiedenste Faktoren in seinem individuellen Leben. Inklusion befähigt Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und sieht die Verschiedenheit der unterschiedlichen Menschen als Bereicherung. Inklusion ist das Ergebnis von Empowerment und Partizipation und ein Gewinn für alle.“

2.1.2 Inklusion und Integrität

Das vorige Kapitel nimmt Bezug auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die sich auf die Teilhabe, Selbstbestimmung und Gleichstellung aller Menschen bezieht. Neben dem Original, welches seinen Ursprung in der englischen Sprache findet, existieren für anderssprachige Länder der vereinten Nationen offizielle länderspezifische Übersetzungen. Unglücklicherweise hat sich für die vorwiegend deutschsprachigen Länder Schweiz, Österreich und Liechtenstein sowie Deutschland ein Übersetzungsfehler ergeben, der zur Folge hat, dass für das englischsprachige Wort „Inclusion“ in der offiziellen deutschen Übersetzung das Wort „Integration“ wiederzufinden ist (vgl. Flieger & Schönwiese, 2011: 29). Jedoch hat das Wort Integration sowohl im Englischen, als auch im Deutschsprachigen Raum, eine völlig andere Bedeutung. So lässt sich die Integration folgendermaßen beschreiben:

„Wer integriert werden muss, ist schon einmal draußen gewesen. Und […] nicht dazu gehören, mag ja jedem Menschen da und dort oder im Laufe seinen [sic!] Lebens irgendwann schon passiert sein. Aber wenn ganze Gruppen von Menschen in einer Gesellschaft draußen sind und mühsam wieder herein geholt (also integriert) werden müssen, dann hat man in diesem Gemeinwesen oder in diesem Staat etwas falsch gemacht.“ (Fink & Hinz, 2011: 21)

Diese Aussage von Fink macht deutlich, dass die Integration auf einer anderen Ebene als die Inklusion handelt. So wird jemand integriert, wer schon ausgesondert wurde. Die Inklusion dagegen geschieht im Gestern, heute aber auch im Morgen und steht dabei für eine gelebte Wertehaltung ein, die sich auf ein Alle bezieht. Das Alle bezieht sich dabei nicht nur auf das Individuum, sondern auch auf die Wertevorstellungen aller Institutionen, Organisationen und Maßnahmen (vgl. Jerg, Armbruster & Walter, 2005: 126 f.). Mit dem Hintergrund, dass Inklusion Rahmbedingungen schafft, die allen Bürger gleichermaßen die Teilhabe ermöglicht und somit Zugang zu allen Prozessen und Ressourcen der Gesellschaft eröffnet, wird die Spanne zwischen dem, was Integration und Inklusion ist, entscheidend größer. So hört man nicht selten im Bereich der UN-Behindertenrechtskonvention (folgend UN-BRK) (siehe Gesetzeslagen für Menschen mit Behinderung) und Inklusion von einem Paradigmenwechsel, der sich in Zusammenhang mit dem Wort Integration gestaltet. Trotz Kritik gegenüber der gravierend falschen Übersetzung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in das Deutsche, gibt es bis auf in Österreich keine Fehlerkorrektur. Aus diesem Grund hat sich der Verein das Netzwerk Artikel 3 e.V.“ dazu entschlossen, eine korrekte Übersetzung der Rechte online und als Broschüre zu veröffentlichen, die seit 2009 zur Verfügung steht und damit zu einer Bewusstseinsbildung beitragen soll (vgl. Flieger & Schönwiese, 2011: 29).

2.1.3 Gegenbegriffe der Inklusion

Als Gegenbegriffe zur Inklusion stehen die Begriffe Exklusion und Segregation. Gemeint ist damit etwas wie Aussonderung, Ausgrenzung oder Trennung. Dabei wird der Begriff Segregation vor allem in der Deutung von schulischer Ausgrenzung bei behinderten Menschen genutzt. Die Exklusion basiert eher auf der Ebene von generellen Verhaltensauffälligkeiten (vgl. Theunissen, 2010: 13), was aber nicht gleich negativ besetzt sein muss. So beschreibt Wansing (2005: 47) die Inklusion als einen Prozess, der Menschen in die Leistungen und Prozesse der Gesellschaft einbezieht und dabei zu einer individuellen Lebensführung führt. Durch den Zugang zu verschiedenen Ressourcen, Leistungen und Prozessen, ist dem Menschen ein selbstbestimmtes Leben möglich woraus sich eine Individualität ergibt, die Wansing als Exklusionsindividualität beschreibt (ebd.). Die Exklusionsindividualität charakterisiert den Menschen in unserer heutigen Gesellschaft aufgrund auf der vielfältigen Systemmöglichkeiten, die ihm zustehen, und dadurch frei selektive Lebensbereiche ausgewählt werden können. Somit ist der Exklusionsbegriff im Zusammenhang mit Inklusion nicht zwingend als Negativ zu sehen (vgl. Wansing, 2005: 47).

2.1.4 Inklusion als Modewort

Mit der einhergehenden Kritik über die Institutionalisierung in den 60er Jahren und der Forderung nach mehr Teilhabe, Gleichberechtigung und Rechten für behinderte Menschen, wandelt sich der Sprachgebrauch auf Ebene der Behindertenhilfe. Die Bevölkerung erlebt einen gesellschaftlichen Wandel in der Behindertenarbeit, insbesondere durch die UN-BRK. Nicht nur Werbekampagnen und Wortspielereien des Begriffs Inklusion finden im Alltag gebrauch (Aktion Mensch e.V., oJ: oS). So hat sich schon im Jahre 1996 die ursprünglich namhafte „Internationale Liga der Vereinigungen für Menschen mit geistiger Behinderung“ in „Inclusion International“ umbenannt, um damit einen neuen Impuls im Bereich der Inklusion zu setzen und einer Aussonderung und Nicht-Teilhabe entgegenzuwirken. Die Dimension der Teilhabe und Inklusion hat im Heute auch die Hochschulen erreicht, wo nun ganze Studiengänge den Inklusionstitel zieren (Uni Frankfurt, Diversität und Inklusion (MA)). Doch auch wenn sich die Verbreitung und die Möglichkeit von Inklusion immer größer und weiter gestaltet, darf man nicht außer Acht lassen, dass hier die Gefahr einer Modewort-Verwendung besteht und die ursprüngliche praktische Bedeutung von Inklusion verloren geht (vgl. Theunissen & Schirbort, 2010: 13).

2.2 Begriff Behinderung

2.2.1 Definition Behinderung

Auf der Suche nach einer Begriffsdefinition stößt man früher oder später auf das Sozialgesetzbuch der Rehabilitation und Teilhabe (folgend SGB IX). Das SGB IX hält die wichtigste Rechtsgrundlage zur Teilhabe für Menschen mit Behinderung fest (vgl. Bücker, 2013: 12) und gibt in Paragraph 2, Absatz 1 eine medizinrechtliche Erklärung über Behinderung ab:

„Menschen mit Behinderung sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sich in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.“ (SGB IX, §2 Abs. 1)

Als Ergänzung zu dieser auf die Körpermerkmale betonten Begriffsbestimmung, gibt das Bundesteilhabegesetz (folgend BTHG) eine eigene Begriffsbestimmung, nach der eine Behinderung erst aus der Wechselwirkung mit gesellschaftlichen Barrieren entsteht:

„Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“ (BTHG, Artikel 1, Absatz 2)

Das BTHG fordert eine stärkere Teilhabe von Menschen mit Behinderung und spielt eine wichtige Rolle für die Zukunft der Behindertenhilfe, wie das folgende Kapitel zeigt.

2.2.2 Gesetzeslagen für Menschen mit Behinderung

Den größten internationalen Einfluss auf die Behindertenpolitik gibt das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung, welches im Jahre 2009 von Deutschland ratifiziert wurde und in Kraft getreten ist. Das Übereinkommen der UN-BRK leitet sich aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1949 ab und befasst sich mit der Konkretisierung der Rechte, die die Teilhabe von Menschen mit Behinderung stärken und entwickeln soll. Beim Übereinkommen über diese Rechte, geht es in keinem Falle um Sonder- bzw. Spezialrechte für Menschen mit Behinderung, sondern vielmehr um die Bewusstseinsmanifestation, dass die Menschenrechte für alle Menschen gelten, ob mit oder ohne Behinderung (Fink u. Hinz, 2011: 69). Dabei steht die UN-BRK in einem engen Zusammenhang zum BTHG, für das sie einen wichtigen Grundbaustein vorgegeben hat, um das deutsche Recht für behinderte Menschen weiterzuentwickeln. Mit dem BTHG, welches 2016 vom deutschen Bundestag verabschiedet wurde, sollen die individuelle Selbstbestimmung und der einzelne Mensch mehr im Mittelpunkt stehen. Es ist das größte sozialpolitische Reformvorhaben der Bundesregierung. Zukünftig wird gemeinsam mit dem behinderten Menschen, statt wie bisher über ihn hinweg, eine individuelle Beratung und Handlung umgesetzt. Leistungsorientierte Unterstützung wird mit dem neuen BTHG ebenfalls nicht mehr abhängig vom Setting, in dem der Betroffene lebt, ausgerichtet, sondern am notwendigen individuellen Bedarf. Dies steigert die Möglichkeit der eigenen individuellen Lebensplanung und Hilfe. Selbstbestimmung wird gefördert (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2018: oS). Neben den Gesetzen der UN-BRK und des BTHG, stellen das SGB IX und das Sozialgesetzbuch Sozialhilfe (folgend SGB XII) weitere wichtige Rechtsgrundlagen dar. Das SGB IX regelt dabei den Leistungsanspruch auf die Selbstbestimmung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben von behinderten Menschen, wenn sie die Voraussetzung einer Behinderung gemäß § 2 des SGB IX erfüllen. Im zwölften Sozialgesetzbuch wird Bezug auf die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen genommen. Demzufolge haben behinderte Menschen, die gemäß § 2 SGB IX behindert sind, einen Leistungsanspruch auf Eingliederungshilfe um eine drohende Behinderung oder deren Folgen zu mildern oder zu beseitigen (Bücker, 2013: 12).

2.3 Begriff Wohnen

2.3.1 Wohnen

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Begriff der inklusiven Wohngemeinschaft auf der Ebene von Menschen mit und ohne Behinderung im Bereich des Wohnens. Doch was bedeutet das Wohnen eigentlich und welchen Wert hat es auf uns Menschen? Das folgende Kapitel soll kurz einen Einblick zum Thema Wohnen geben, um den eigentlichen Ausgangspunkt „inklusive Wohngemeinschaft“ näher verstehen zu können.

Ein nächtlicher Spaziergang durch die Innenstadt genügt um die zahlreichen beleuchteten Fenster zu sehen, hinter denen sich Schatten von Menschen abzeichnen. Schaut man genauer hin, wird erkennbar, dass kein Fensterhintergrund dem anderen gleicht. Verschiedenfarbige Wände, verschiedene Möbel und Pflanzen zieren die Vielfalt der einander reihenden Fenster. Diese Fenster sind Bestandteile von Räumen, die wiederrum Bestandteil einer Wohnung sind (vgl. Thesing, 1998: 27). Wohnungen dienen Menschen um darin zu leben. Dies lässt zumindest das Deutsche Wörterbuch erahnen. So verwendet dieses für den Begriff leben synonyme Wörter wie weilen oder sein ( Müller, 1997: 446), die ebenso synonym mit dem Begriff wohnen zu verstehen sind (vgl. Müller, 1997: 827). Doch was veranlasst den Menschen dazu, in einem oder mehreren Räumen zu wohnen? Und sind Menschen von einem gleichen Wert des Wohnens betroffen? Spätestens hier wird ersichtlich, wie interessant und fragenreich das Thema „Wohnen“ sein kann, obwohl diese vom eigentlichen Ziel der Arbeit abgehen. Daher beziehe ich mich hier auf die kurze Umschreibung von Thesing (1998: 31), der das Wohnen als Rückzugsort für das Individuum sieht. Der Rückzugsort oder die Wohnung dient als Schutzraum vor Regen und Kälte, Sonne und Hitze, aber auch als Abgrenzung zu anderen Mitmenschen, um in Ruhe schlafen zu können oder außer Acht von anderen Menschen Sein zu können (ebd.). Der Mensch als ein Lebewesen braucht die Möglichkeit, einen Ort zu haben, wo er sich ausleben kann und zugleich sicher ist. Durch die Verschiedenartigkeit von Menschen, gestalten sich das Wohnen und der Ort des Wohnens vielfältig. Die freie Gestaltung der Wohnung, in der das Individuum lebt, ermöglicht es, Werte der Selbstverwirklichung und Selbstverfügung zu erleben (Thesing: 1998: 38). Anlehnend an die Selbstverwirklichung eines Individuums wird hier der Blick auf die Bedürfnispyramide von Abraham Maslow geworfen, die einen wichtigen Beitrag zum Aspekt der Selbstverwirklichung und der seelischen Gesundheit des Menschen darstellt. Danach gehend, lebt der Mensch nach Bedürfnissen, um zu überleben, und ist stets bestrebt, diese zu erfüllen. Diese Bedürfnisse gelten uneingeschränkt für Menschen mit oder ohne Behinderung gleichermaßen (Scheichenberger & Scharb, 2018: 74 f.). Unbeantwortet bleibt nun die Frage, ob alle Menschen gleich vom Charakter des Wohnens betroffen sind. Bezüglich der Annahme, dass das Wohnen Werte der individuellen freien Lebensgestaltung fördert, kann man mutmaßen, dass jedes Individuum den Bedarf auf das Wohnen hat.

2.3.2 Die inklusive Wohngemeinschaft

Die inklusive Wohngemeinschaft lässt sich als eine Wohnform für Menschen mit und ohne Behinderung erklären, die ihren Ursprung in der Einforderung von Werten und Menschenrechten aus den Gesetzesgrundlagen hat. Der Mensch formt seine Wohnidentität mit persönlichen Gegenständen, an denen er Gefallen findet und zu denen er Bezug hat. Schaut man sich die Merkmale von Sondereinrichtungen für behinderte Menschen an, so handelt es sich oft um Häuser, Heime und Wohnstätten, die vom Eigentümer vorgegeben sind. Der mit Behinderung betroffene Mensch hat hier oft keine Möglichkeit zur freien Gestaltung seiner Einrichtung, in der er wohlmöglich den Großteil seines Lebens verbringt. Doch entzieht man dem Individuum die Möglichkeit auf freie Entfaltung in seiner Unterbringung, so verliert es das Heimatsgefühl, wird haltlos und entwickelt eine Hilflosigkeit, die sich negativ auf die persönliche Entfaltung auswirken kann (vgl. Thesing, 1998: 29 ff.). Hier greift besonders Artikel 19 der UN-BRK, welcher sich auf die freie Entscheidungs- und Entfaltungsmöglichkeit, die durch die Freiheit der Wohnungswahl gegeben ist, bezieht (siehe Kapitel Wohnen), indem der behinderte Mensch selbst wählen und entscheiden kann, wo und mit wem er lebt:

„Artikel 19 – Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens anerkennen das gleiche Recht aller Menschen mit Behinderungen, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben, und treffen wirksame und geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen den vollen Genuss dieses Rechts und ihre volle Einbeziehung in die Gemeinschaft und Teilhabe an der Gemeinschaft zu erleichtern, indem sie unter anderem gewährleisten, dass:

a) Menschen mit Behinderung gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthalt zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben.
b) Menschen mit Behinderungen Zugang zu einer Reihe von gemeindenahen Unterstützungsdiensten zu Hause und in Einrichtungen sowie zu sonstigen gemeindenahen Unterstützungsdiensten haben, einschließlich der persönlichen Assistenz, die zur Unterstützung des Lebens in der Gemeinschaft und der Einbeziehung in die Gemeinschaft sowie zur Verhinderung von Isolation und Absonderung von der Gemeinschaft notwendig ist;
c) Gemeindenahe Dienstleistungen und Einrichtungen für die Allgemeinheit Menschen mit Behinderung auf der Grundlage der Gleichberechtigung zur Verfügung stehen und ihren Bedürfnissen Rechnung tragen. (UN-Behindertenrechtskonvention, 2018: Artikel 19)

Anlehnend an die in der Arbeit erwähnte Gesetzeslage, zielt die inklusive Wohngemeinschaft auf eine Wohnform für Menschen mit Behinderung ab, die den Werten des Wohnens gerecht wird und betroffenen Menschen trotz geringer Selbstverantwortung die Entscheidungsfreiheit auf ihren Aufenthalt gibt.

Dabei beziehen sich die Grundgedanken der inklusiven Wohngemeinschaft auf die Rechte für behinderte Menschen, sowie auf die Wohngemeinschaftsklausel der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und der Eingliederungshilfe (BAGüS) von 1987:

„Auch Personen, die nicht über das volle Maß der Selbstverantwortung verfügen, können in Wohngemeinschaften leben. Die Eigenständigkeit kann auch bei der Notwendigkeit regelmäßiger Beratung und Mithilfe durch Dritte gegeben sein. […] solange sich daraus nicht eine Regelmäßigkeit und Intensität im Sinne einer Betreuung „Rund-um-die-Uhr“ in fremder Verantwortung entwickelt“ (Bundesarbeitsgemeinschaft der Überörtlichen Träger der Sozialhilfe, 1987: 4)

Weiterhin lässt sich der Begriff der Wohngemeinschaft wie folgend definieren:

„Als Wohngemeinschaft wird das Zusammenleben von mehreren Personen bezeichnet, die keine Familie sind, sondern sich aufgrund von übereinstimmenden Willens der Mitglieder zu dieser Form des Zusammenlebens in Selbstverantwortung für die Regelung der eigenen Angelegenheiten zusammengeschlossen haben. Sie regeln eine Mithilfe fremder Personen bei den Angelegenheiten des täglichen Lebens eigenverantwortlich.“ (Bundesarbeitsgemeinschaft der Überörtlichen Träger der Sozialhilfe, 1987: 2)

Durch die Möglichkeit des Lebens in der Gemeinschaft werden kritische Betrachtungspunkte der Isolation oder Vereinsamung verschoben (vgl. Theunissen, 2010:67). Dabei kann das Wohngemeinschaftsverhältnis aus Menschen mit und ohne Behinderung bestehen. Durch die Mitbewohnergemeinschaft vereint das Inklusive Wohnen Werte der Inklusion und Unterstützung und ist von der Grundidee an den Ansatz der „Independent-Living-Bewegung“ aus den USA anzulehnen. Dabei bestehen die Leitideen dieser Wohnformen aus der Selbstbestimmung und Freiwilligkeit der Bewohner und bilden im Sinne eines ambulanten Settings eine Gegenform des Institutionalisierungsprozesses (vgl. Thesing, 1998: 75 f.). Aus dieser Idee heraus entstehen in den letzten Jahren immer mehr Inklusive Wohnformen, die behinderten Menschen ein autonomes Leben in einer Wohngemeinschaft ermöglichen, und auf die Freiwilligkeit, von behinderten und nicht behinderten Menschen, zusammen in einer Wohnform setzt.

2.3.3 Begriff Konzept

Das Wort Konzept lässt sich aus dem lateinischen Wort „ con scribere “ her nehmen und bedeutet übersetzt „zusammenschreiben“. Dabei bezieht es sich auf den (ersten) Entwurf oder die Verschriftlichung eines Planes (vgl. Kreft & Müller, 2010: 20). Die Welt ist umgeben von Handlungs- und Aufgabenfeldern, die der Mensch gestaltet, sei es der Job, die Schule oder einfach nur das Kochen in der eigenen Wohnung. Handlungs- und Aufgabenfelder brauchen Konzepte, die als Strukturierungs- und Orientierungspfad dienen. So wird gewährleistet, dass das Handlungsfeld qualitativ gleich bleibt, verbessert werden kann, sein Ziel und Zweck überprüfbar und erfüllbar ist. Somit lassen sich Konzepte in allen Bereichen von Aufgaben- und Handlungsfeldern wiederfinden. Die Strukturierung des Konzeptes teilt sich dabei in einzelne Abschnitte, die spezifischen Funktionen und Vorgehensweisen des jeweiligen Handlungsfeldes auf. So dient das Konzept im Sinne einer Reglementierung, während es Bezug auf das Aufgabenfeld, und die Funktionen nimmt. Ein Konzept soll festhalten, welche Leistungen mit einem Ziel verknüpft sind, welche Arbeitsformen das jeweilige Handlungsfeld anbietet, welche Angebote es für Interessenten gibt und welche Grundidee hinter der ganzen Planung steht. Gerät das Handlungsfeld und somit das Konzept in Aktion, so kann anhand der Verschriftlichung überprüft werden, ob das Ziel erfüllt wird oder nicht (vgl. Kreft & Müller, 2010: 20).

3 Abschnitt II - Methode

3.1 Methodische Grundlagen

Mit dem einhergehenden Verständnis über Konzepte aus dem gleichnamigen Kapitel über Konzepte und der Leitfrage „Welche konzeptionellen Grundlagen brauchen inklusive Wohngemeinschaften um Inklusion im Alltag umsetzen zu können“, gestaltet sich das methodische Vorgehen dieser Arbeit. Die Fragestellung zielt dabei auf die Idee, funktionierende konzeptionelle Grundlagen von inklusiven Wohngemeinschaften zu erforschen und zu verschriftlichen. Um so nah wie möglich mit Konzepten von inklusiven Wohngemeinschaften in Berührung zu kommen, entschied ich mich in der Forschungsarbeit für die Form des qualitativen Experteninterviews. Schließlich erhielt ich die Möglichkeit, drei Interviews durchzuführen. Zu den Experteninterviews entschied ich mich, da die inklusive Wohngemeinschaft ein eher junger Bereich in der Behindertenhilfe ist, was für mich ein Grund, für eine erschwerte Suche nach guter Literatur, war. Durch den direkten Kontakt zu Experten in dem noch jungen und wachsenden Bereich war es mir möglich, Zugang zu spezifischem Wissen zu erhalten, mit dem die zu interviewenden Experten täglich konfrontiert sind. Dadurch ist es hier möglich, nicht nur Fakten und Leitideen zu inklusivem Wohnen zu erfahren, sondern auch Fakten der täglichen Arbeit (vgl. Pfadenhauer in Bogner, Littig & Menz, 2002: 113 f.). Im weiteren Forschungsprozess habe ich mich an die qualitative Inhaltsanalyse von Mayring gelehnt, die dem Datenmaterial der Interviews eine sinnvolle Strukturierung durch Kodes ermöglicht (vgl. Schirmer, 2009: 265 f.). Als Erhebungsinstrument für die Experteninterviews wurde ein Interviewleitfaden erstellt, der als Orientierung im Interview dienen sollte und sich durch offene Fragen gestaltete. Um Kodes erstellen zu können, bedarf es vorab einer Verschriftlichung der Sprachinhalte der Interviews. Dazu wurden die Interviews mit einem Smartphone aufgezeichnet und anschließend von mir transkribiert. Durch das Transkribieren werden die gesprochenen Inhalte des Interviews zu auswertbaren Daten (vgl. Schirmer, 2009: 86 ff.). Mittels des Kodierens werden Parallelen aus den drei Interviews systematisch geordnet und zentrale Begriffe zusammengetragen und in Überkodes generiert. Im letzten Teil, der Auswertung der Interviews, können dann aus den verschiedenen Kodes Darstellungen und Interpretationen erarbeitet und präsentiert werden (vgl. Schirmer, 2009: 105). Für die Begriffsbestimmungen entlang der Fragestellung dienten empirische Quellen zur qualitativen Literaturforschung.

3.1.1 Vorgehensweise

Während sich die vorliegende Arbeit im ersten Teil mit den Begriffsbestimmungen aus empirischer Literaturforschung auseinandersetzt, werden die Forschungsergebnisse der Interviews im dritten und vierten Abschnitt näher beleuchtet und zusammengefasst. Um fachgerechte Experteninterviews zu führen, wählte ich als Interviewpartner Institutionen aus, die bereits mit dem Thema des Inklusiven Wohnens vertraut waren. Ein zuvor erstellter Leitfaden diente während der Interviews als Orientierung (siehe Anhang) und konzentrierte sich auf die von mir erstellten Oberkategorien „Konzeptfragen“, „Rahmenbedingungen“ und „Inklusionsfragen“. Die Interviews wurden mit einer Einverständniserklärung zur Tonbandaufnahme und Anonymisierung eingeleitet, die sowohl von mir als auch den zu Interviewenden unterzeichnet wurde. Dabei erhielt ich aus den verschiedenen Befragungen jeweils rund 60 Minuten Gesprächsmaterial, auf die in Abschnitt III näher Bezug genommen wird. Für eine genauere Übersicht aller Kodes aus den Gesprächsmaterialien, gibt es im Kapitel Einleitung der Ergebnisse (Abbildung 1) eine systematische Auflistung.

3.2 Übersicht der Experteninterviews

Eine Übersicht der Experteninterviews zeigt die nachfolgende Tabelle.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im Text beziehe ich mich jeweils auf die Angaben des Interviews (I1, I2, I3).

3.3 Ergebnisse in 3 Abschnitten

Zur Auswertung der Interviews nutzte ich die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring und das dazu von mir entwickelte Kodiersystem (siehe Abbildung 1). Die Verschriftlichung der Kodes in der einsortierten Reihenfolge soll dabei zu einem aufbauenden Verständnis entlang der Forschungsfrage führen. Dabei lässt sich das Kodiersystem in folgende drei Abschnitte einteilen:

1 Die inklusive Wohngemeinschaft
2 Konzeptionelle Grundlagen im Bereich Inklusives Wohnen
3 Abschließender Blick

Wie Abbildung 1 zu entnehmen ist, stehen die Überkodes als Überschrift von weiteren Kodefeldern. Dabei dienen die jeweiligen Abschnitte der Übersicht und Unterscheidung der Kodes. Im ersten Teil „Die inklusive Wohngemeinschaft“ werden Forschungsergebnisse präsentiert, die die inklusive Wohngemeinschaft im Bereich der Behindertenhilfe und Wohnen prägen. Anschließend wird im Abschnitt „Konzeptionellen Grundlagen für Inklusives Wohnen“, Bezug auf die Grundlagen und Rahmenbedingungen für Inklusive Wohnkonzepte genommen. Das literarische Verständnis zum Thema Konzept, lässt sich im Kapitel Konzepte finden. Im letzten Teil, der Ergebnispräsentation „Abschließender Blick“, werden mögliche Gefahrenpunkte und Perspektiven näher erläutert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Abbildung 1)

4 Abschnitt III – Präsentation der Ergebnisse

4.1 1 Die inklusive Wohngemeinschaft

Im ersten Teil der Arbeit wurde die inklusive Wohngemeinschaft aus einem gesellschaftlichen Kontext heraus erklärt. Der nun darauf aufbauende Abschnitt über die inklusive Wohngemeinschaft, umfasst ergänzende Überlegungen und Faktoren, die das Leben im inklusiven Wohnen - aus Sicht der Experten - ausmachen. Dabei lassen sich folgende Überkodes zusammenfassen:

- Die inklusive Wohngemeinschaft heute
- Wohnen
- Der Alltag
- Fachkräfte

1.1 Die inklusive Wohngemeinschaft heute. Nach Aussagen der Interviews glauben alle fest daran, dass die Nachfrage nach inklusivem Wohnen groß ist, und es kein Problem bei der Nachbesetzung eines frei werdenden Platzes geben sollte (I1, 11; I2, 23; I3, 24). Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass es schätzungsweise nur 40- bis 50 inklusive Wohngemeinschaften in Deutschland gibt. Ein Grund der geringen Anzahl von inklusiven Wohngemeinschaften könnte im Zusammenhang mit der Aussage in Interview 3 zusammenstehen, die Bezug auf eine schwierige Umsetzung des Perspektivwechsels von Inklusion nimmt (I3, 34). Offen ist, also wie sich die Zukunft der Idee vom inklusiven Wohnen gestaltet. Denn neben der großen Nachfrage, die alle Interviewpartner empfinden, berichtet auch Interviewpartner 1 von interessierten Menschen, die sich im Planungsprozess befinden, und die Einrichtung vor Ort sowie das bestehende Konzept der inklusiven Wohngemeinschaft anschauen (I1, 11).

1.2 Wohnen. Die inklusive Wohngemeinschaft baut auf ein gemeinsames Wohnen zwischen Menschen mit und ohne Behinderung auf (I1, 14; I2, 12; I3, 7). Vor allem geht es dabei, im Sinne der Sozialraumorientierung, um eine Inklusion von Menschen und dem vollen Recht auf ein selbstbestimmtes Leben (I2, 27; I3, 11). Ideen zur Gestaltung von inklusiven Wohngemeinschaften entstehen nicht selten von betroffenen Eltern behinderter Kinder. Besonders im zweiten Interview erfuhr ich vom Kampf gegen den teils immer noch vorherrschenden Institutionalisierungsgedanken. Eltern wünschen sich für ihr behindertes Kind, dass es trotz Beeinträchtigung so normal wie möglich leben kann (I2, 28) und dazu gehört auch die eigenständige Lebensgestaltung in einer Wohnung. Aus dem verbündeten Interesse von Eltern entstehen dann oft Vereine, die gemeinsam auf eine Lösung hinarbeiten (I3, 32-33). Besonders Interviewpartner 1 beschreibt den Weg der Eltern, für ihr Kind das Beste zu ermöglichen, als einen anstrengenden:

„Die Angehörigen von behinderten Menschen sind - sage ich mal - permanent im „Kampfdauermodus“ um für ihr Kind etwas zu erreichen. Das müssen sie auch sein finde ich, um für ihre Kinder das Maximum zu erreichen, sehr viel Energie und Kampf.“ (I1, 29)

Mit dem Beiwohnen in der inklusiven Wohngemeinschaft verpflichtet sich der nicht behinderte Mitbewohner für einen gewissen Stundensatz pro Woche, die behinderten Mitbewohner zu unterstützen, gilt dabei aber in keinem Falle als Fachkraft der Wohngemeinde. Allem voraus steht hierbei die Freiwilligkeit Vordergrund (I1, 2-5; I3, 7). Die zeitliche Einteilung der Stunden, die geleistet werden sollen, entscheiden die verschiedenen Konzepte und Träger der inklusiven Wohngemeinschaften individuell. Der Vorteil, den die nicht behinderten Mitbewohner hieraus ziehen ergibt sich, laut Konzeptvorstellung von Interview 1 und 3, neben einem Mietnachlass und der Sensibilisierung im Kontakt mit Behinderung (I1, 4; I3, 21, 27).

[...]

Ende der Leseprobe aus 63 Seiten

Details

Titel
Die inklusive Wohngemeinschaft als alternatives Wohnkonzept. Wie lässt sich Inklusion im Alltag umsetzen?
Autor
Jahr
2020
Seiten
63
Katalognummer
V902723
ISBN (eBook)
9783963551048
ISBN (Buch)
9783963551055
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Inklusion, Behindertenhilfe, Inklusive Wohngemeinschaft, UN-Behindertenrechtskonvention, Diskriminierung bei der Wohnungssuche, Recht auf Privatsphäre, Sozialraumorientierung, Barrierefreiheit, Inklusion im Alltag, was bedeutet Inklusion, Inklusion Integration, Inklusion Bedeutung, Integration Inklusion, Was ist Inklusion, Inklusion Behinderte, Integration und Inklusion, Inklusion Behinderung, inklusiv wohnen, behindert wohnen
Arbeit zitieren
Fabian Kropla (Autor:in), 2020, Die inklusive Wohngemeinschaft als alternatives Wohnkonzept. Wie lässt sich Inklusion im Alltag umsetzen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/902723

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