Die IGS als Politikum

Die IGS als Gegenstand der bildungspolitischen Auseinandersetzung zwischen SPD und CDU auf Bund- und Länderebene am Beispiel Niedersachsens


Seminararbeit, 2007

15 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.) Einleitung

2.) Die Gesamtschulen als bundesweit bildungspolitische Kontroverse

3.) Stellung und Struktur der IGS in Niedersachsen

4.) Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

1.) Einleitung

Seit mehr als 35 Jahren existieren Integrierte Gesamtschulen in der bundesdeutschen Schullandschaft und sind für eine Vielzahl von SuS, Eltern, Lehrern und anderen bildungspo-litisch interessierten Bürgern nicht mehr wegzudenken. Dennoch war die Einrichtung und Entwicklung dieser Schulform ein steiniger, umkämpfter Weg, der von Auseinandersetzungen zwischen den großen Volksparteien CDU und SPD geprägt wurde. Ziel der vorliegenden Abhandlung ist es, diese Kontroversen nachzuzeichnen. Dafür wird zunächst die Entwicklung der Gesamtschulen in der BRD dargestellt, um dann anhand der Schulgesetzgebung in Niedersachsen die politischen Auseinandersetzungen auf der Landesebene zu betrachten.

2.) Die Gesamtschulen als bundesweit bildungspolitische Kontroverse

Die Gesamtschule hat ideengeschichtlich eine lange Tradition, die sich bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Obwohl die Vorstellung einer Einheitsschule im Zuge der Reformpädagogik im ersten Drittel des 20.Jahrhunderts schon große Wirksamkeit erlangte, setzte die eigentliche Einrichtung von Gesamtschulen erst ab Anfang der 1970ziger Jahre ein und wurde zu einem heiß diskutierten Politikum.[1]

Angestoßen durch die bildungspolitischen Schriften von Georg Picht zur „Bildungskatastrophe“ und Ralf Dahrendorf zur „Bildung als Bürgerrecht“, kam Ende der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts eine starke Kritik am dreigliedrigen Schulwesen der BRD auf und führte zu vielfältigen Reformdiskussionen.[2] Der 1965 gegründete Deutsche Bildungsrat sprach sich daraufhin in seiner Empfehlung zur Einrichtung von Schulversuchen mit Gesamtschulen von 1969 dafür aus, probeweise Gesamtschulen einzuführen, die den überkommenen, konventionellen Schulformen als „neue, wesentlich systemfremde Erscheinung“ gegenüberstehen und diese letztendlich überwinden sollten.[3] Dabei orientierte er sich an den US-amerikanischen High Schools, der neuen Comprehensive School in England und an der reformierten neunjährigen schwedischen Gesamtschule.[4] Auf Basis dieser Empfehlung wurden bundesweit zunächst 40 Gesamtschulen als Versuchsschulen eingerich-tet, sowohl in der Form der Integrierten Gesamtschule (IGS) als auch der Kooperativen Gesamtschule (KGS).[5]

Der Bildungsrat verfolgte eine Reihe von Zielen. Zunächst sollte die Schulausbildung reformiert werden, um allen SuS[6] bis zum Ende der Sekundarstufe I eine zeitgemäße, wissenschaftsorientierte Grundbildung zu vermitteln und um bessere Voraussetzungen für die Ausbildung qualifizierter Arbeitskräfte zu schaffen. Außerdem sollten Begabungsreserven „abgeschöpft“ werden, indem man auch bildungsferneren Schichten weiterführende Bildungs-gänge eröffnete.[7]

Des Weiteren wurde beabsichtigt, einen Beitrag zu größerer Chancengleichheit und sozialer Integration zu leisten, und soziale Disparitäten in der Bildungsbeteiligung und beim Schulerfolg abzubauen. Zu diesem Zweck setzte man auf individuelle Förderung und kom-pensatorische Hilfsangebote, und räumte den Lernerden die Möglichkeit einer Profilbildung entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit und Neigung ein.[8]

Da die herkömmliche, auf Homogenität setzende Selektion im gegliederten Schulsystem eine hohe Fehlerquote in sich barg und nur schwer revidierbar war, sollten in den Gesamtschulen die Bildungswege bis zum Ende der Sekundarstufe I offengehalten werden. Durch Formen der progressiven Leistungsdifferenzierung und Förderung sollten Laufbahnentscheidungen nicht verfrüht erfolgen und jederzeit korrigierbar sein. Eine größere Durchlässigkeit zwischen Leistungsstufen sollte dabei die Benachteiligung von Kindern aus unteren Gesellschaftsschichten vermeiden und zu mehr sozialer Gleichheit führen.[9]

Mit dem Konzept der Integrierten Gesamtschule wurde ein besonderer Schwerpunkt auf eine gemeinsame Beschulung von SuS aller Sozialschichten gelegt. Soziale Koedukation und Integration hatten zum Ziel, der Verfestigung sozialer Ungleichheiten entgegen zu wir-ken.[10] Gemeinsame soziale Erfahrungen sollten gesellschaftliche Unterschiede aufdecken und bewusstmachen, und dabei zu einer Artikulation und Diskussion der mit ihnen einhergehen-den Konflikte führen. Zudem sollten auch die als selbstverständlich angesehenen familiären Lebensformen hinterfragt werden, da Reflektion und Distanz zur eigenen Herkunft eine Individualisierung begünstigen.[11] Weitere Ziele der IGS waren die Demokratisierung der inneren Schulkultur und die Herstellung von Öffentlichkeit zur Förderung der Demokratie in der Gesamtgesellschaft.[12] Außerdem schrieb sich die IGS eine grundlegende Curriculumsrevi-sion, die Einführung fächerübergreifenden Lernens und eine Veränderung der herkömmlichen Leistungsbewertung auf die Fahne.[13]

Politisch gesehen stellte die Empfehlung von 1969 einen Minimalkonsens aller im Deutschen Bildungsrat vertretenen Bundesländer und Parteien dar. Einig waren sich alle Beteiligten, dass soziale Chancengleichheit hergestellt werden und eine individuelle Begabungsförderung erfolgen sollte. Zudem sollte die Möglichkeit einer radikalen Schulreform durch ein wissen-schaftliches Versuchsprogramm geprüft werden, bevor eine verbindliche Grundsatzentschei-dung getroffen werden sollte.[14]

Darüber hinaus verfolgten die Bundesländer mit der Gesamtschulidee unterschiedliche Vorstellungen. Eine Gruppe von Ländern sah in dem Schulversuch den ersten Schritt zur Verwirklichung der Gesamtschule und suchte nach einem generalisierbaren Prototyp, bzw. nach verallgemeinerungsfähigen Strukturelementen. Eine weitere interpretierte den Schulver-such eher als ein Experiment mit Gesamtschulvarianten, das in die Entwicklung eines oder mehrerer Gesamtschulmodelle münden sollte. Eine dritte Gruppe wollte lediglich erproben, ob sich die Gesamtschule im Vergleich zum dreigliedrigen Schulsystem bewährt.[15]

[...]


[1] Vgl. Kiper, Hanna. Einführung in die Schulpädagogik. Beltz: Weinheim und Basel, 2001. 100f

[2] Bönsch, Manfred. Gesamtschule – Die Schule der Zukunft mit historischem Hintergrund. Schneider-Verlag: Hohengehren, 2006. 96; Wenzler, Ingrid. Bundesrepublik Deutschland. Die Gesamtschule: Kräfte und Gegenkräfte im bildungspolitischen Konflikt. In: Herrlitz, Hans-Georg / Weiland, Dieter / Winkel, Klaus. Die Gesamtschule: Geschichte, internationale Vergleiche und politische Perspektiven. Juventa-Verlag: Weinheim, München, 2003.S. 71, 74

[3] Brockmann, Jürgen / Littmann, Klaus-Uwe / Schippmann. Niedersächsisches Schulgesetz (NSchG): Kommentar mit Ausführungsbestimmungen. Kommunal – und Schulbuchverlag Heinig: Wiesbaden. Loseblattsammlung, Stand Juni 2006. § 12, S. 2; ; Galas, Dieter / Habermalz, Wilhelm / Schmidt, Frank. Kommentar zum Niedersächsischen Schulgesetz. In: Seipp, Paul. Schulrecht: Ergänzbare Sammlung für Schule und Schulverwaltung in Landesausgaben. Ausgabe für das Land Niedersachsen. Band 1. Luchterhand: Neuwied. Loseblattsammlung. Stand: Mai 2007.

S. 54f; Wenzler, 71; vgl. Meyer / Schittko, 1

[4] Kiper, 101; Wenzler, 73

[5] Kiper, 102; Brockmann / Littmann / Schippmann –Schippmann § 12, S.2; Bönsch, 97; Herrlitz, Hans-Georg. Einleitung. In: Herrlitz, Hans-Georg / Weiland, Dieter / Winkel, Klaus. Die Gesamtschule: Geschichte, internationale Vergleiche und politische Perspektiven. Juventa-Verlag: Weinheim, München, 2003.S. 17; Wenzler, 71

[6] Im Folgenden wird zur Vereinfachung wird die Abkürzung „SuS“ für „Schülerinnen und Schüler“ verwendet.

[7] Vgl. Kiper, 101, Meyer / Schittko, 1, 3; Wenzler, 72; Herrlitz – Dokumentation, 53

[8] Kiper, 101; Vgl. Meyer / Schittko, 3; Brockmann / Littmann / Schippmann –Schippmann § 12, S.2; Herrlitz – Dokumentation, 54f; Wenzler, 72; Brockmann / Littmann / Schippmann –Schippmann § 12, S.2; vgl. Galas / Habermalz / Schmidt. S. 54f

[9] Vgl. Kiper, 101; Meyer / Schittko, 1, 11; Brockmann / Littmann / Schippmann –Schippmann § 12, S.2; Herrlitz – Dokumentation, 55, 58f; Wenzler, 72

[10] Herrlitz – Dokumentation, 60; Kiper, 101f;

[11] Herrlitz – Dokumentation, 60

[12] Kiper, 101f; Meyer / Schittko, 10; Galas / Habermalz / Schmidt. S. 55;

[13] Kiper, 101,

[14] Herrlitz - Einleitung, 17

[15] Vgl. Kiper, 103

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die IGS als Politikum
Untertitel
Die IGS als Gegenstand der bildungspolitischen Auseinandersetzung zwischen SPD und CDU auf Bund- und Länderebene am Beispiel Niedersachsens
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Institut für Politische Wissenschaft)
Veranstaltung
Fachpraktikum an der IGS Roderbruch
Autor
Jahr
2007
Seiten
15
Katalognummer
V90234
ISBN (eBook)
9783638044776
ISBN (Buch)
9783638941150
Dateigröße
431 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Wurde in der Nachbesprechung von der Dozentin sehr positiv kommentiert.
Schlagworte
Politikum, Fachpraktikum, Roderbruch
Arbeit zitieren
Dipl.Jurist Marco Sievers (Autor:in), 2007, Die IGS als Politikum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90234

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