Sportexerzitien im Schulalltag. Grundlagen und sportdidaktisches Konzept


Academic Paper, 2019

66 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I. Exerzitien: Alles zur größeren Ehre Gottes
1. Definition des Exerzitienbegriffs
2. Die „Geistlichen Übungen“ nach Ignatius von Loyola
2.1 Biographische Daten und Fakten zu Ignatius von Loyola
2.2 Die „Geistlichen Übungen“
2.2.1 Entstehungsgeschichte
2.2.2 Aufbau und Grundaxiome der ignatianischen Gebetsweise
2.2.3 Anweisungen, Betrachtungen und Regeln
2.2.4 Methodik
2.3 Die Wirkungsgeschichte der ignatianischen Exerzitien
3. Die Exerzitien für den Alltag nach Pater Anselm Grün
3.1 Biographische Daten und Fakten zu Pater Anselm Grün
3.2 Die Alltagsexerzitien
3.2.1 Zeitpunkt, Dauer und Art
3.2.2 Gestaltung des Tages
3.2.3 Ziele

II. Sportexerzitien: Spiritualität des Unterwegsseins
1. Definition des Sportexerzitienbegriffs
2. Entstehungsgeschichte der Sportexerzitien
2.1 Die prägende Rolle des bischöflichen Ordinariats Limburg
2.2 Günther Hrabě de Angelis – „Vater der Sportexerzitien“
3. Schwerpunkte und Bestandteile der Sportexerzitien
3.1 Besinnung
3.2 Bewegung
3.3 Begegnung
3.4 Weitere Bestandteile des Konzepts
3.5 Skizze eines Tagesablaufes
4. Modelle der Sportexerzitien nach der DJK-Methode
4.1 Wanderexerzitien
4.2 Pilgerexerzitien
4.3 Radfahrexerzitien
4.4 Kanuexerzitien
4.5 Wintersportexerzitien

III. Sportexerzitien im Alltag: Didaktische Überlegungen
1. Angebote der Katholischen und Evangelischen Kirche in Würzburg
2. Sportexerzitien im (Schul-) Alltag
2.1 Sportdidaktisches Konzept zur Integration der Sportexerzitien in den Alltag
2.1.1 Hinweise zur Gestaltung
2.1.2 Struktur
2.2 Ideen zur Umsetzung der Sportexerzitien im Alltag
2.2.1 Geistliche Impulse
2.2.2 Sportliche Impulse
2.3 Sportdidaktisches Konzept zur Integration der Sportexerzitien in den Schulalltag
2.3.1 Hinweise zur Gestaltung
2.3.2 Struktur
2.4 Ideen zur Umsetzung der Sportexerzitien im Sport- und Religionsunterricht
3. Eigene Erfahrungen

Schlussbetrachtungen

Literaturverzeichnis

Einleitung

Aufbau und Gliederung

Die Zulassungsarbeit mit dem Titel „Sportexerzitien – Ein Ansatz, Körper, Geist und Seele in Einklang miteinander zu bringen“ ist der besseren Übersicht halber in drei große Gliederungspunkte unterteilt. Zu Beginn wird ein Grundverständnis über die Exerzitien aufgezeigt, welches von einer intensiven Auseinandersetzung mit Ignatius von Loyola und seinen „Geistlichen Übungen“ gekennzeichnet ist. Dieser Abschnitt wird bewusst ausführlich beschrieben, da letzten Endes die Exerzitienbewegung von Ignatius von Loyola ausgeht und er somit die Grundlage für alle weiteren Exerzitienformen geschaffen hat. Anschließend werden die Exerzitien im Alltag mit Hilfe der Ansichten von Pater Anselm Grün (OSB1 ) beleuchtet.

Der zweite große Abschnitt beschäftigt sich dann mit dem eigentlichen Thema der Sportexerzitien und geht dabei explizit auf Günther Hrabé de Angelis, den „Vater der Sportexerzitien“, ein. Darüber hinaus werden seine Schwerpunkte und Bestandteile der Sportexerzitien, nämlich Besinnung, Bewegung und Begegnung, thematisiert und sie werden mit ausgewählten grundlegenden Modellen der Sportexerzitien nach der DJK-Methode abgeschlossen.

Im dritten und wohl auch innovativsten Teil wird schließlich der Fokus auf den Anwendungsbereich der Sportexerzitien in der Praxis gelegt. Dabei soll vor allen Dingen versucht werden, die Sportexerzitien mit einem gezielten sportdidaktischen Konzept in den Alltag zu integrieren und für jedermann interessant zu gestalten. Ferner sollen die Sportexerzitien auch in der Schule im Sport- und Religionsunterricht greif- und erlebbar gemacht werden.

Zu jedem der drei Oberpunkte erfolgt eine kurze Einleitung in das Thema, dann ein theoretischer Abschnitt, um die Hintergründe genau zu betrachten, und anschließend werden praxisnahe Beispiele in die Umsetzung in das tägliche Leben integriert. Am Ende der Zulassungsarbeit folgt ein Fazit mit einem Rück- und Ausblick. Durch den gewählten Aufbau sowie die Gliederung ist eine gute Übersicht der wissenschaftlichen Arbeit gewährleistet.

Zielstellung und Methodik

Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, die drei großen Themenbereiche „Exerzitien“, „Sportexerzitien“ und „Sportexerzitien im Alltag“ ausführlich darzustellen, im deskriptiv- hermeneutischen Stil zu erarbeiten und diese Formen voneinander zu differenzieren. Getreu der Devise von Theresa von Avila2 „Tu deinem Leib etwas Gutes, damit deine Seele Lust hat, in ihm zu wohnen!“, soll den Leserinnen und Lesern ein Zugang zu sozial-ethischen, religiösen, theologischen und philosophischen Fragen ermöglicht und gleichzeitig zum Sporttreiben und zur Körperlichkeit motiviert werden. Durch Spiritualität und Achtsamkeit, die unter anderem durch die Sportexerzitien gelehrt werden, können das Körper- und Wohlgefühl der Person gestärkt werden und somit dem Menschen zur inneren Ruhe, körperlichen Fitness, Ausgeglichenheit und zur Selbstfindung verhelfen. Das Praktizieren von Sportexerzitien bewirkt einen ausgeglicheneren Lebensstil, da das eigene Leben positiv beeinflusst werden kann. Außerdem ist es möglich, auf diese Weise Kontakte zu den Mitmenschen aufzubauen und zu Gott anzubahnen, um jedem von beiden dankbar zu erweisen. Die Aufgabe besteht im besonderen Maße darin, mit Hilfe eines sportdidaktischen Konzeptes die Sportexerzitien in den Alltag zu integrieren, um sie zu jeder Zeit und an jedem Ort anwenden zu können. Zur Erreichung dieses Zieles müssen die Sportexerzitien vom formal-konzeptionistischen Rahmen abweichen. Die Arbeit soll aufzeigen, dass (Sport-) Exerzitien, welche im Alltag durchgeführt werden, einen positiven Effekt auf das Leben und das Wohlgefühl eines jeden Menschen haben können, sofern man sich auf sie einlässt. Die Sportexerzitien sollen als energetische Kraftquelle dienen, um den Alltag besser zu meistern und aus den Übungen zusätzliche Erfahrungen zu sammeln.

Chancen und Grenzen

Die Literatur im Bereich der Exerzitien ist durchaus umfangreich und kann gut eingesetzt werden. Schon bei den Sportexerzitien vermindert sich jedoch die Anzahl der Quellen und das Schriftgut für diese Übungsform im Alltag ist sehr überschaubar. Natürlich bringt die kaum ausreichende Literatur im Bereich der sportlich-geistigen Betätigung für den Alltag so Grenzen mit sich. Es ist folglich schwierig, auf wissenschaftlich fundierte Aussagen in diesem Bereich zurückzugreifen. Diese Situation birgt aber wiederum eine große Chance, da man gerade im dritten Teil wirklich von einem Eigenanteil sprechen kann. Bisher haben sich nur recht wenige Autoren mit dem Thema der Sportexerzitien, insbesondere derer im Alltag, beschäftigt und so können die im Rahmen dieser Arbeit erzielten Ergebnisse dazu dienen, für den Breitensport nutzbar gemacht zu werden. Ferner kann die Umsetzung der Sportexerzitien im schulischen Kontext ein großer Gewinn für die Schülerinnen und Schüler sein.

Persönlicher Hintergrund

Das interdisziplinäre Thema der Sportexerzitien, welches den Sport und die Theologie gleichermaßen anspricht, wurde für mich erstmals im Seminar „Gesellschaft, Kirche und Sport“ bei Herrn PD Dr. Dr. Stefan Schenk im Wintersemester 2017/18 greifbar. Zuvor hatte ich mich noch nie mit dem Gedanken der Sportexerzitien beschäftigt, geschweige denn davon gewusst, dass es ein derartiges Phänomen überhaupt gibt. Das Thema hat mich jedoch sofort fasziniert und nach einem motivierenden Gespräch mit Herrn Schenk wurde ich ermutigt diese wissenschaftliche Arbeit zu verfassen. Natürlich ist es kein leichtes Unterfangen, ein Thema zu bearbeiten, zu dem es nur wenig Literatur gibt. Aber dennoch bin ich mir sicher, dass man daraus auch einen Nutzen für den Breitensport und den Sport- und Religionsunterricht ziehen kann. Weiterhin muss angemerkt werden, dass es sich bei der Arbeit nur um einen Versuch bzw. Ansatz handelt und gerade der letzte Teil nicht unbedingt auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert. Dennoch ist es möglich, Menschen die Grundlage der (Sport-) Exerzitien näher zu bringen und gegebenenfalls auch dazu zu motivieren, deren Übungsformen im Alltag zu praktizieren.

Ein besonderer Dank gilt abschließend Herrn PD Dr. Dr. Stefan Schenk, der für Fragen und Anliegen immer ein offenes Ohr hatte und mich stets bei allen Angelegenheiten bezüglich des Themas unterstützte.

I. Exerzitien: Alles zur größeren Ehre Gottes

Der erste große Abschnitt beinhaltet als Grundlage die Definition des Begriffs der Exerzitien. Hierbei sollen die Fragen geklärt werden, was man unter Exerzitien versteht und auf welchen entscheidenden Elementen die geistlichen Übungen basieren. Anschließend setzt sich dieser Teil mit der Entstehungsgeschichte der Exerzitien auseinander und es wird insbesondere auf Ignatius von Loyola, seine biographischen Daten und Fakten, seine „Geistlichen Übungen“, die meist 30 Tage andauern, sowie seine spirituellen Erfahrungen eingegangen. Außerdem werden die Exerzitien in der Gegenwart, im Besonderen bei Pater Anselm Grün, beleuchtet. Dabei soll vor allen Dingen zu Grüns Exerzitien im Alltag Stellung bezogen werden und der Zeitpunkt, die Dauer und die Art, sowie die Gestaltung des Tages und die Zielsetzung der Exerzitien im Alltag im Fokus stehen. Der dritte Punkt „Die Exerzitien für den Alltag nach Pater Anselm Grün“ dient schließlich als Verbindungsstelle zur persönlichen Auseinandersetzung im dritten Teil dieser Arbeit.

1. Definition des Exerzitienbegriffs

Unter dem Begriff „Exerzitien“ (lat. exercitia spiritualia) versteht man die Zeiträume der Besinnung auf das eigene Leben, sowie auf die Gegenwart Gottes. Dieser spirituelle Einklang soll mit Hilfe der geistlichen Übungen, die mit Ignatius von Loyola ihre eigentliche Prägung und Tradition in der Katholischen Kirche erhielten, erreicht werden (vgl. Haas, 1991). Exerzitien sind Zeiten der Stille und das Schweigen soll dabei helfen, immer mehr die Stimme Gottes zu hören und die „Augen des Herzens zu öffnen, damit wir erkennen, zu welcher Hoffnung wir berufen sind.“ (Eph 1,18). Sie sind jedoch auch Zeiten des Gebetes, der Besinnung auf das eigene Leben und seine Botschaften, der Meditation der Heiligen Schrift, der Betrachtung und der Ausrichtung auf die geheimnisvolle Gegenwart Gottes in einem einfachen Dasein. Darüber hinaus sind Exerzitien Zeiten des täglichen Gesprächs mit einem geistlichen Begleiter bzw. einer Begleiterin. Hierbei geht es um Fragen wie: Was suche ich eigentlich? Was hat sich in mir bewegt und sich mir gezeigt? Wie geht es in meinem Leben weiter? Viele Exerzitienhäuser bieten 30-tägige oder einwöchige Exerzitien mit Einzelbegleitung oder Vorträgen an. Seit den 1990er Jahren gibt es außerdem „Exerzitien im Alltag“, bei denen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einmal in der Woche treffen und sich austauschen können (vgl. Lambert, 2011, S. 4).

Unter dem Aspekt der Ganzheitlichkeit der Exerzitien werden zunehmend auch die körperlich-physischen Dimensionen des Lebens und sozial-ethische Themen miteinbezogen. Die Bezeichnung ist heute zu einem Sammelbegriff geworden, denn darunter werden unter anderem Gruppen- und Einzelexerzitien, aber auch Besinnungstage, geistliche Wochenenden, Wüsten- oder Einkehrtage subsumiert. Die grundlegenden Elemente sind neben Gebet, Meditation, Fasten, Schweigen und Gesprächen auch künstlerische oder körperliche Betätigungen. Die Exerzitien, im Evangelischen Kontext auch „Rüstzeiten“ genannt, finden in unserer Gesellschaft eine immer größer werdende Akzeptanz, da sich zunehmend mehr Menschen nach spirituellen Quellen sehnen. Insbesondere sind solche Kreise betroffen, die sonst kaum oder gar nicht mit der Kirche in Verbindung stehen. Deshalb versuchen auch die christlichen Gemeinschaften, dieser Entwicklung Rechnung zu tragen (vgl. Hrabé de Angelis, 1998, S. 504f.).

2. Die „Geistlichen Übungen“ nach Ignatius von Loyola

„Alles zur größeren Ehre Gottes.“ So lautet einer der bekanntesten und wohl meist zitierten Aussprüche von Ignatius von Loyola. Eine Aussage, die gleichzeitig auch der Wahlspruch des von ihm gegründeten Ordens, der „Gesellschaft Jesu“, ist. An und für sich sollte dieser Satz gar keine große Besonderheit darstellen, da er eine Anforderung formuliert, der sich jeder Christ, der nach Heiligkeit strebt, verpflichtet fühlt. Wie also kommt es, dass gerade dieser Spruch die Maxime des Ordens ausdrückt? Ist nicht der Anspruch vermessen, dass der sündige Mensch in einer Welt, die keineswegs perfekt ist, Gott irgendetwas liefern könnte, was ihm zu größerem Ruhm dient? Kann denn gerade der Mensch, der auf die Gnade und Barmherzigkeit Gottes angewiesen ist, von sich aus etwas Besseres bewirken? „Ad maiorem Dei gloriam“ ist also gar nicht so leicht zu verstehen, wie es zunächst den Anschein erweckt (vgl. Rahner, 1966, S. 183-187).

Ignatius von Loyola steht an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit. In seinen „Geistlichen Übungen“ sieht er die Pflicht des Individuums zu wählen, zu reflektieren und Verantwortung vor Gott und den Menschen zu übernehmen. Ignatius‘ Anforderungen an den Gläubigen sind genauso radikal wie die seines Zeitgenossen Martin Luther, da sie aus sehr ähnlichen Erfahrungen gewonnen sind. Will nun der Mensch zur größeren Ehre Gottes handeln, bedeutet das, dass er dem Willen Gottes gemäß handeln muss. Inwieweit das möglich ist, wird insofern fraglich, als über den Menschen ja bereits bestimmt ist. So meint Karl Rahner beispielsweise: „Wir sind gar nicht einfachhin diejenigen, die die größere Ehre Gottes verfügen können, sondern Gott hat (…) bereits über uns verfügt zu seiner geringeren Ehre.“ (Rahner, 1966, S. 192). Alles, was der Mensch somit noch tun kann, besteht darin, sein Leben in Gottes Hand zu legen, auch wenn es bereits dort ist, und dennoch zu versuchen, jede unerwartete Frage, die ihm im Leben gestellt wird, nach der Norm der „größeren Ehre Gottes“ zu beantworten. Dabei wird dieses „Ja“ zu Gott jeden Tag aufs Neue gefordert. Annehmen zu können, dass das Leben einerseits geschichtlich und andererseits fatalistisch orientiert, und dieses eben nicht auf ewig kontrollier- und unterwerfbar ist, stellt die eigentliche Herausforderung dar, die der Wahlspruch des Ignatius beinhaltet (vgl. Rahner, 1966, S. 187-198). Seine „Geistlichen Übungen“ liefern eine Anleitung, sich für wenige Wochen aus dem Alltag herauszunehmen und sich im Gebet der Herausforderung der Zustimmung zu Gott zu stellen.

2.1 Biographische Daten und Fakten zu Ignatius von Loyola

Die wohl wichtigste Quelle zur Lebensgeschichte des Ignatius von Loyola ist eine Schrift, die heute gemeinhin als „Bericht des Pilgers“ bezeichnet wird. Ignatius erzählt darin von sich in der dritten Person als „Pilger“. Der Bericht wird nur zwei Jahre vor seinem Tod von einem Mitbruder des Jesuitenordens aufgezeichnet und setzt im Alter von 26 Jahren ein. Aufschluss über Leben und Werk geben außerdem „Erinnerungen an unseren Vater Ignatius“, festgehalten von demselben Bruder, sowie eine umfangreiche Sammlung von rund 7000 Briefen und Schreiben (vgl. Knauer, 2006, S. 9f.).

Geboren wird Ignatius im Jahr 1491 als dreizehntes Kind einer baskischen Adelsfamilie in der Provinz Guipúzcoa, im Nordosten Spaniens, als Iñigo López de Loyola. Seinen Namen wird er ab seinem Studium in Paris nur noch in latinisierter Form nennen. In dieser Zeit befinden sich Spanien und im Besonderen die Welt im Umbruch und mit dem Sturz der Mauren erhält Spanien erstmals seit Jahrhunderten seine Freiheit zurück. Außerdem wird ein Jahr später Amerika entdeckt, wohin sobald viele Prediger der Orden ziehen. Nicht zuletzt steht die Reformation bevor, die durch den Zeitgenossen Martin Luther ausgelöst wurde (vgl. Stierli, 1987, S. 15f.).

Ignatius von Loyola strebt in seiner Jugend nach militärischem Ruhm. Mit einer Anstellung als Page am Hof des Großschatzmeisters von Kastilien erhält er eine erste Ausbildung. Der langen Zeitspanne von zehn Jahren sind im „Bericht des Pilgers“ allerdings nur wenige Zeilen gewidmet. Ignatius spricht von sich als „ein den Eitelkeiten der Welt ergebener Mensch“ (Loyola, 1998, Nr. 1,1). Als er 30 Jahre alt ist und im Offiziersdienst des Vizekönigs von Navarra, einer Provinz im Norden Spaniens, steht, wird er bei der Schlacht gegen die Franzosen um die Festung von Pamplona schwer verwundet und entrinnt nur knapp dem Tod. Auf die Verletzung folgt ein langes Krankenlager in der Heimat. Ignatius, der sich sonst eher mit Ritterromanen befasst, kann dort nur auf religiöse Literatur zurückgreifen, darunter die „Legenda Aurea“3 des Dominikaners Jacobus des Voragine und die „Vita Jesu Christi“4 von Ludolf dem Kartäuser. Die Erfahrung von Krankheit und Nahtod und die Lesung der Heiligenviten lösen in Ignatius einen Prozess der Wandlung aus und entfachen in ihm den Wunsch, sich in den Dienst Jesu Christi zu begeben (vgl. Knauer, 2006, S. 11f.).

Nach seiner Genesung stürzt Ignatius sich in ein neues Leben der Pilgerschaft und Buße. In Manresa, einer Stadt in der Nähe Barcelonas, wo er sich mehrere Monate aufhält, lebt er in Armut, Selbstgeißelung und trägt ein Büßergewand. Ignatius vertieft sich in Gebet und strenge Beichte. Der Gedanke, Sünder zu sein und nie genug der Beichte und Buße tun zu können, quält ihn allerdings so lange, bis er nahe am Selbstmord ist. In dieser Zeit lässt er keine Hilfe von Außenstehenden zu. Es ist eine Phase der Läuterung und der Erfahrung der Extreme, die Ignatius später als Erziehung seiner selbst durch Gott betrachten wird. Er beginnt nur allmählich zu begreifen, dass das Evangelium Christi keine Geißelung des sündigen Menschen ist, sondern als Befreiung und hoffnungsfrohe Botschaft verstanden werden darf. Diese christliche Lehre der Liebe von Gott zu den Menschen, die die „Gesellschaft Jesu“ verinnerlichen wird, muss Ignatius erst verstehen lernen (vgl. Knauer, 2006, S. 12-14). Mit dem Wunsch, „in Jerusalem zu bleiben“ und „den Seelen zu helfen“ (Loyola, 1998, Nr. 45,3), bricht Ignatius 1523 schließlich zur Pilgerreise auf. Im Heiligen Land darf er allerdings nicht lange verweilen. So beginnt er ein Lateinstudium in Barcelona und daraufhin das Studium der Theologie und der Philosophie in Alcalá. Mit seinem Werk der theologischen Überlegungen erlangt Ignatius mehr und mehr Bekanntheit und findet einige Gefährten. Dadurch wird allerdings auch die Inquisition auf ihn aufmerksam. Im Laufe der Jahre wird Ignatius mehrere Male verhört und in Haft genommen, da ihm jedoch nie Irrlehren nachgewiesen werden können, wird er jedes Mal unter Auflagen wieder freigelassen. Paris ist ein weiterer Ort seiner theologischen Ausbildung, wo er vor allem die scholastische Disputation zu schätzen lernt und 1535 Magister der Philosophie wird. Eine erste feste Gefährtengruppe findet sich am 15. August 1534 in einer Kapelle am Montmartre ein, um ein Gelübde abzulegen. Die Männer verbindet das gemeinsame Ziel, in Jerusalem im Dienst am Nächsten zu arbeiten oder sich zu demselben Zweck vom Papst unterweisen und aussenden zu lassen. Tatsächlich erhält die Gruppe, als sie sich 1537 zur Karwoche in Rom aufhält, unverhofft den Segen und die Erlaubnis des Papstes, nach Jerusalem zu gehen. Einige der Gefährten erhalten sogar die Priesterweihe, darunter auch Ignatius (vgl. Knauer, 2006, S. 14-23).

Die Ordensgründung der „Gesellschaft Jesu“

Erstmals stellt sich die Frage nach einer Ordensgründung, als zwei der Gefährten fortgeschickt werden sollen und die Gruppe zu zersplittern droht. Ignatius und seine Wegbegleiter entscheiden sich nach gründlichem Abwägen für diesen Schritt und erhalten 1540 mit der Bulle „Regimini militantis ecclesiae“ die offizielle Bestätigung durch Papst Paul III. Fortan sind sie nicht mehr ein loser Freundeskreis mit gemeinsamen Idealen, sondern ein Orden mit apostolischen Zielen (vgl. Stierli, 1987, S. 23). Bereits ein Jahr zuvor hatte Ignatius in einer kleinen Kapelle in La Storta bei Rom eine Vision gehabt, bei der er sich von Gott auf die Seite Jesu Christi gestellt sah. So ist die Namensgebung „Societas Jesu“ von diesem Selbstbild inspiriert, Jesus zugeordnet zu sein (vgl. Knauer, 2006, S. 23-25). Die Brüder werden auch „Preti Pelligrini“, „Preti Reformati“ oder „Compañia de los sacerdos de Jesús“ genannt, aber „Gesellschaft Jesu“ setzt sich schließlich durch (vgl. Switek, 1992, S. 370). Ignatius, der dem Orden als Oberer voransteht, gibt außerdem mit seinem Werk der „Geistlichen Übungen“ die Richtlinien vor und die Aufgaben der „Gesellschaft Jesu“ sollen das öffentliche Predigen, geistliche Übungen und Liebeswerke sowie die Unterweisung einfacher Menschen im Christentum sein (vgl. Loyola, 1998, S. 304).

Ignatius von Loyola wird unter anderem für seine Eloquenz und seinen Verstand geschätzt, aber auch für die Offenherzigkeit und Unvoreingenommenheit, die er jedem entgegenbringt, ganz gleich welchen Ranges er ist. Die Versorgung der Kranken im Orden liegt Ignatius, der an einem Gallenleiden erkrankt ist, besonders am Herzen (vgl. Knauer, 2006, S. 25-32). Am 31.Juli 1556 stirbt Ignatius mit 65 Jahren. Die „Gesellschaft Jesu“ zählt zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als 1000 Ordensmitglieder, die an zwölf Orten in Italien, Deutschland, Spanien, Frankreich und Portugal und sogar in Brasilien und Indien tätig sind. Selig gesprochen wird Ignatius 1609 durch Papst Paul V. und heiliggesprochen wird er 1622 von Papst Gregor XV. zusammen mit berühmten Persönlichkeiten wie z.B. der Mystikerin Theresa von Ávila (vgl. Knauer, 2006, S. 33).

2.2 Die „Geistlichen Übungen“

Berühmt geworden ist Ignatius vor allem durch sein Werk der „Geistlichen Übungen“. In seinem Sinne sind geistliche Übungen alle spirituellen Betätigungen, die zum Ziel haben, „das Gewissen zu erforschen, sich zu besinnen, zu betrachten, mündlich und geistig zu beten“ (Loyola, 2006, S. 27). Die Zeit, die man mit Exerzitien verbringt, ist immer eine Zeit des Rückzugs und der Besinnung auf sich selbst. Doch geistliche Übungen fordern auch ein und man stellt sich beispielsweise Fragen wie: Wo stehe ich vor Gott? Wie ist es um das Heil meiner Seele bestückt? Wohin führt mich mein Weg?

So viele Anleitungen in den „Geistlichen Übungen“ auch gegeben werden, so werden darin doch nie vorgefertigte Antworten zu finden sein. Auf die Exerzitien muss man sich einlassen können. „Wenn ich den Mut und die Lebendigkeit habe, das zu glauben (…), daß Gott mir in diesen Tagen etwas sagen wird, was ich dann nicht mehr aus meinem Leben hinwegdisputieren kann, dann könnten meine Exerzitien wirklich ignatianische werden“ (Rahner, 1965, S. 17), bemerkt auch Karl Rahner. Freilich gibt es keine Garantie dafür, dass Gott antwortet, doch bereits alleine die Gnade Gottes ist es, durch die Übungen der Exerzitien hindurch auf das Geheimnis des Lebens und Sterbens Jesu Christi zu blicken (vgl. Rahner, 1965, S. 15-18). Nicht umsonst wird das Wort „Übung“ verwendet, denn das tägliche Gebet erfordert einige Zeit und Training, bis man sich eingefunden hat. Ignatius vergleicht die geistlichen Übungen der Seele mit leiblichen Übungen, die ebenso regelmäßig immer wieder gemacht werden müssen (vgl. Loyola, 2006, S. 27). Ohne ein gewisses Maß an Anstrengung und Überwindung geht es nämlich nicht. Er selbst spricht aus eigener Erfahrung, denn schließlich hat Ignatius jahrelang auf seinem Weg zu Gott mit sich gerungen. Wer Exerzitien durchführt, begibt sich auf einen Prozess, der neben Hingabe auch Disziplin erfordert, denn wenn die Übungen Auswirkungen auf die Lebensführung haben sollen, können sie nicht nur eine kurze Bestätigung von Affekten oder Erfüllung von Wünschen sein (vgl. Kiechle, 2001, S. 80f.).

2.2.1 Entstehungsgeschichte

Die „Geistlichen Übungen“ von Ignatius von Loyola erschienen erstmals 1548 in Rom in lateinischer Sprache. Nach eigenen Aussagen hat Ignatius den Text schrittweise selbst verfasst und erste Gedankengänge zu seinen Übungen entstanden bereits während seines Krankenaufenthalts in der Heimat. Damals verfasste Ignatius einen rund 300 Blätter umfassenden Text, angelehnt an und inspiriert von Ludolf dem Kartäuser und seiner „Vita Jesu Christi“ (vgl. Loyola, 2006, S. 19f.). Ignatius steht mit seinen „Geistlichen Übungen“ insofern ganz in christlich-spiritueller Tradition, als er die vielen geistlichen Bewegungen des Mittelalters vereint, darunter die Bewegung der „Devotio Moderna“5 mit ihrer Kontemplation über das Leben Jesu, oder auch die klar strukturierten Formen der Meditation, wie sie etwa der Kartäuser Guigo II. mit seiner vierstufigen „Scala Claustralium“6 lehrte. Dabei sind die „Geistlichen Übungen“ kein Lehrbuch, sondern Anleitung und Aufforderung zur praktischen Durchführung der Übungen (vgl. Switek, 1992, S. 357-259).

2.2.2 Aufbau und Grundaxiome der ignatianischen Gebetsweise

Die Haltung der „Indifferenz“

Das „Prinzip und Fundament“, mit dem die „Geistlichen Übungen“ beginnen, dient in zweierlei Hinsicht als Einstimmung auf die ignatianische Gebetsweise. Zum einen wird dem Übenden eine Perspektive vermittelt, wohin sich die Exerzitien bewegen können, und zum anderen wird ihm ein erster Geschmack nach mehr gegeben, denn die Sehnsucht zum Gebet soll geweckt werden. Die innere Einstellung, die Ignatius dabei mit dem Wort „Indifferenz“ beschreibt, ist keine erlernbare Fertigkeit, sondern Gnadengabe. Der Wunsch, sich zu öffnen und sich ganz auf die Geheimnisse Jesu Christi einzulassen, ist aber durchaus als Voraussetzung für die Exerzitien zu betrachten (vgl. Köster, 2000, S. 17f.).

In der einmaligen Ausgangslage, in der sich der Mensch als Abbild Gottes befindet, steht er auch im Mittelpunkt der Schöpfung. Sich auf Gott hinzuordnen, „ihm Ehrfurcht zu erweisen und ihm zu dienen und mittels dessen seine Seele zu retten“ (Loyola, 2006, S. 38; Geistliche Übungen [GÜ] Nr. 23), sieht Ignatius als Sinn des menschlichen Lebens überhaupt. Zu diesem Zweck darf sich der Mensch der ihm gegebenen Schöpfung bedienen. Doch die Grundspannung zwischen Krankheit und Gesundheit sowie Reichtum und Armut machen es ihm nicht immer leicht, das Erstrebenswerte in den Dingen der Welt zu erkennen. Was wirklich ehrbar macht und auf den Weg zur Ebenbildlichkeit führt, setzt eine gewisse „Indifferenz“ gegenüber den Dingen der Welt voraus. Ignatius versteht darunter nicht stoische Gleichgültigkeit, sondern eine Balance der Affekte und die Fähigkeit, sich von irdischen Abhängigkeiten zu lösen. Ziel aller Entscheidungen soll immer das Ideal der Ebenbildlichkeit Gottes sein, denn durch nichts kann der Mensch Gott mehr lobpreisen, als ihm nachzufolgen. Nur wer einen Schritt zurücktritt und im „Gleichgewicht der Waage“ (Loyola, 2006, S. 84; GÜ Nr. 179), wie Ignatius es auch nennt, die Welt und sich selbst betrachten kann, bewegt sich gottgemäß auf seinen Bestimmungsort zu. Im Idealfall befolgt der Übende dabei die „Regeln zur Unterscheidung der Geister“ (vgl. Loyola, 2006, S. 127-134; GÜ Nr. 313-336).

Er kann die Entscheidung, vor die er gestellt wird, aus einiger Distanz betrachten und ist somit erst fähig, das zu wählen, was ihn Gott näherbringt. Eine solche Haltung fördert auch die Konzentration und Gottesliebe während der Übungen (vgl. Köster, 2000, S. 18-23). Das „Prinzip und Fundament“ steht auch deshalb an erster Stelle noch vor den eigentlichen Übungen, weil sich der Übende darin als von Gott geschaffen und geliebt erfahren darf. Sein Lebensziel ist die Nähe Gottes. Diese Zuversicht soll die Ausgangslage für die Betrachtung des Lebens Jesu sein.

Gott in allen Dingen suchen und finden

Gleichwie mit dem „Prinzip und Fundament“ eine Hinführung zu den Übungen gegeben ist, findet sich mit der „Betrachtung, um Liebe zu erlangen“ (vgl. Loyola, 2006, S. 100f.; GÜ Nr. 230-237) eine Zusammenfassung des gesamten Exerzitienvorgangs, der auch in den Alltag übertragen werden soll. Obwohl sich die Exerzitien dem Ende neigen, soll der Betende sich bemühen, Gott in allen Dingen zu suchen und zu finden. Es ist eine Übung, während der sich der Übende seiner gewollten Existenz in Dankbarkeit zuwenden darf. Der Gegenstand des zu betrachtenden Geheimnisses ist er selbst und sein Dasein vor Gott. Schritt für Schritt soll sich der Übende besinnen, wie er vor Gott steht, welche Gaben er Gott zu verdanken hat und was er selbst geben kann, wie Gott in allen Dingen der Schöpfung zu finden ist, und dass er sich selbst als Abbild Gottes betrachten kann und zuletzt, wie Gott auf Erden für ihn und die Menschheit eintritt und - am Kreuz - eingetreten ist. Die Liebe, die Gott dabei schenkt, durchdringt alles. Der Betende darf die Exerzitientage in dem Wissen, geliebt zu werden und kostbar zu sein, abschließen.

Da bei dieser Übung das Selbst des Übenden im Vordergrund steht, ermöglicht sie eine individuelle Antwort. Denn so wie Gott jedem einzelnen Menschen als Abbild seiner selbst geschaffen hat und indem er das „Sein gibt, erhält, belebt“ (Loyola, 2006, S. 101; GÜ Nr. 236) und „einen Tempel aus mir macht“ (Loyola, 2006, S. 101; GÜ Nr. 235), und folglich jeder Mensch einen eigenen Lebensweg geschenkt bekommt, kann auch die Antwort auf diese Gnade keine unpersönliche und vorgefertigte sein. „Ich soll entdecken, mit welchen Gaben und in welchen Aufgaben ich meiner individuellen Berufung und Sendung nachkommen soll“ (Köster, 2000, S. 31), sodass die Exerzitienzeit für den Betenden kein Selbstzweck war, sondern in der Welt Frucht tragen kann. Das während der Exerzitien Erlangte darf im Alltag nicht vergessen werden. Damit die Liebe nicht einseitig bleibt, muss sie vom Geliebten auch erwidert werden, sonst kann keine dauerhafte Beziehung zustande kommen (vgl. Köster, 2000, S. 25-33).

Das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit

Eine Betrachtung, die Ignatius bereits für die Exerzitien, vor allem aber auch für den Alltag vorsieht, ist das „Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“. Bei dieser „Allgemeinen Erforschung“ (vgl. Loyola, 2006, S. 46; GÜ Nr. 43) soll sich der Betende abends auf einen Tagesrückblick einlassen. Diese ist damit umfassender als die „Besondere Erforschung“ (vgl. Loyola, 2006, S. 40; GÜ Nr. 24), die dreimal täglich, morgens, mittags und abends, gehalten werden kann. Er tut dies, indem er Schritt für Schritt die Ereignisse des vergangenen Tages durchgeht und objektiv betrachtet. Ignatius teilt die Betrachtung in Gedanken, Worte und Werke auf, die nacheinander bedacht werden sollen. Welche Begegnungen fanden statt, welche Gedanken haben erfreut und welche Ereignisse beunruhigt? Zunächst darf der Betende Gott für alles Erhaltene danken, auch wenn es sich dabei um Bedrückendes handelt. Aber auch die Sünden, die der Betende in seinem Verhalten entdeckt, sollen bedacht werden, damit er „um Verzeihung für die Fehler bitten“ (Loyola, 2006, S. 46; GÜ Nr. 43) kann und um sich für den kommenden Tag Besserung vorzunehmen (vgl. Köster, 2000, S. 47-49).

Das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit fördert die Sensibilität gegenüber allen alltäglichen Handlungen und ist auch für die im Gebet wenig Geübten geeignet. Außerdem kann der bzw. die Betende damit einen kleinen Teil des während der Exerzitientage Erlernten im Alltag weiterführen. Die absolute Hinordnung des geschöpflichen Menschen zu Gott und das sich bedingungslose Öffnen sind Grundpfeiler, die den Übenden bei den Exerzitien begleiten sollen. Ignatius stellt deshalb nicht eine bloße Anleitung in den Raum, wie Tag für Tag bei den Exerzitien vorgegangen werden soll, sondern bettet das Gebet in verschiedene theologische Überlegungen und hilfreiche Regeln ein.

2.2.3 Anweisungen, Betrachtungen und Regeln

Ignatius beginnt sein Werk mit einigen Anmerkungen zu Methode und Durchführung der geistlichen Betrachtungen, die vor allem an den Begleitenden gerichtet sind (vgl. Loyola, 2006, S. 27-37; GÜ Nr. 1-22). Die Übungen umfassen vier Zeitspannen, die das Leben und Sterben Jesu Christi zum Thema haben. Wenn hierbei im Folgenden von „Wochen“ die Rede ist, sind damit nicht starre sieben Tage gemeint, sondern vier zeitlich flexible Abschnitte. Ignatius geht von 30 Tagen oder vier Wochen aus. Täglich sollen fünf Betrachtungen zu je einer Stunde gehalten werden. Die Begleitperson soll anhand passender Schriftstellen die Exerzitien leiten und dem Übenden hilfreich beiseite stehen. Dabei ist es wichtig, dass sich das Tempo und der Anspruch der Texte ganz nach den Fähigkeiten des Übenden ausrichten und der Begleiter den nötigen Freiraum gewährt. „Denn nicht das viele Wissen sättigt und befriedigt die Seele, sondern das „Innerlich-die-Dinge-Verspüren-und-Schmecken“ (Loyola, 2006, S. 28; GÜ Nr. 2).

In der „Betrachtung, um Liebe zu erlangen“ (vgl. Loyola, 2006, S. 100f.; GÜ Nr. 230-237) gibt Ignatius anschließend Anregungen zu Gedankengängen, wie der Übende vor Gott steht, ihn in allen Dingen der Schöpfung begutachtet und ihm in diesem Bewusstsein dankt. Des Weiteren beschreibt Ignatius verschiedene Betrachtungsformen zu den Zehn Geboten, den sieben Todsünden, den drei Seelenfähigkeiten und den fünf Sinnen (vgl. Loyola, 2006, S. 102-106; GÜ Nr. 238-260). Bei den Zehn Geboten beispielsweise soll bei jedem einzelnen Gebot eine bestimmte Zeit verweilt werden, um sich anschließend daran zu messen, bis das nächste Gebot folgt. Ähnlich kann man bei anderen Auflistungen vorgehen, die das Glaubensleben betreffen. Das Vaterunser und andere bekannte Gebete können wiederum betrachtet werden, indem der Betende den Text Wort für Wort durchgeht, um an einer Stelle stehen zu bleiben, wenn er „bei einem oder zwei Worten so guten Stoff zu denken oder Geschmack und Trost findet“ (Loyola, 2006, S. 105; GÜ Nr. 254). Auch kann man bei der Betrachtung eines Gebets darauf achten, bei jedem Wort genau einen Atemzug lang zu verweilen. Anschließend findet sich in den „Geistlichen Übungen“ die Reihe von Geheimnissen, die Ignatius zur Betrachtung empfiehlt und mit kurzen Worten erläutert (vgl. Loyola, 2006, S. 107-126; GÜ Nr. 261-312).

Wie mit den verschiedenen Regungen in der Seele umgegangen werden soll, wird von Ignatius in den letzten Regeln beschrieben. Er nennt diese die „Regeln zur Unterscheidung der Geister“ (vgl. Loyola, 2006, S. 127-134; GÜ Nr. 313-336). Böse Geister bestärken das schlechte Handeln oder stellen Hindernisse auf, während gute Geister mit Gewissensbissen und Vernunftgedanken eingreifen oder „Mut und Kräfte, Tröstungen, Tränen, Eingebungen und Ruhe (…) schenken“ (Loyola, 2006, S. 127; GÜ Nr. 315). Ignatius stellt das gegensätzliche Paar von „Tröstung“, die gottgeschenkt ist und in Demut genommen werden soll, und „Trostlosigkeit“ auf, dem der Betende in Geduld begegnen soll. Bildlich zeichnet Ignatius die Geister als gute und böse Engel, die auf die Gedanken- und Gefühlswelt des Menschen Einfluss nehmen. Zuletzt gibt Ignatius Hinweise zum Verhalten beim Geben von Almosen, zur irrtümlichen Auffassung, gesündigt zu haben, und zur Solidarität der Kirche gegenüber (vgl. Loyola, 2006, S. 135-144; GÜ Nr. 337-370).

2.2.4 Methodik

Im Folgenden soll näher auf die Methodik der „Geistlichen Übungen“ eingegangen werden. Am besten ist es, die Exerzitien an einem stillen Ort durchzuführen und selbst dabei zu schweigen, um seine ganze Sorge nur auf eines legen zu können, „nämlich seinem Schöpfer zu dienen und seiner eigenen Seele zu nützen“ (Loyola, 2006, S. 35f.; GÜ Nr. 20). Ein tägliches Gespräch mit dem Begleiter ist vorgesehen. Während der vier Wochen wird dabei kaum von dem von Ignatius vorgeschlagenen Schema abgewichen. Die fünf täglichen Betrachtungen von je einer Stunde werden zu bestimmten Zeiten um Mitternacht, vor dem Frühstück, vormittags, nachmittags und vor dem Abendessen empfohlen (vgl. Loyola, 2006, S. 70; GÜ Nr. 128).

Vor der Übung müssen sowohl Texte als auch der Ort des Gebets vorbereitet werden. Nach der Gebetsstunde empfiehlt sich eine kurze Reflektion darüber, welche Punkte des Gebets besonders berührt haben oder aber schwerfielen, um zu „schauen, wie es mir in der Betrachtung oder Besinnung gegangen ist“ (Loyola, 2006, S. 57; GÜ Nr. 77). Wo konnte man sich öffnen, wo hat man sich Gott verweigert? Die Selbsterkenntnis hilft, die nächste Übung aus einem frischen Blickwinkel zu beginnen. Auch Notizen dürfen angefertigt werden (vgl. Köster, 2000, S. 35-38).

Die ersten beiden Übungen behandeln je ein neues Geheimnis oder Thema. Die beiden darauffolgenden Übungen dienen der Wiederholung und vertiefen das bereits Bedachte, „indem ich auf die Punkte merke und bei ihnen innehalte, wo ich größere Tröstung oder Trostlosigkeit oder größeres geistliches Verspüren erfahren habe“ (Loyola, 2006, S. 53; GÜ Nr. 62). So kann sich der Betende ganz auf die Stimmung und Botschaft eines Geheimnisses einlassen, bei einem Gedanken verweilen oder ihn aber entfalten. Während der letzten Übung schließlich soll der Betende die fünf Sinne auf die Betrachtung lenken (vgl. Köster, 2000, S. 35f.).

Jede Übung beginnt mit demselben Vorbereitungsgebet, das heißt der Bitte um die Gnade Gottes und die Öffnung des Herzens zu ihm hin. Damit ist die Ausgangslage des Betenden vorgegeben. Er öffnet sein inneres Auge und begibt sich auf die Suche. Die Lesung und Betrachtung der Geschichte und die persönliche Kontaktaufnahme mit dem Geschehen nehmen den wohl größten Teil der Übung in Anspruch. Wie sieht der Rahmen der Perikope aus, wer sind die Akteure und in welchem Beziehungsgeflecht stehen sie? Wie ist die Atmosphäre? Der Betende darf „mit der Sicht der Vorstellungskraft den körperlichen Raum“ (Loyola, 2006, S. 48; GÜ Nr. 47) sehen und sich dabei ganz auf die Spannung und den Verlauf einlassen, um die Geschichte aus unmittelbarer Nähe mitzuerleben. Dabei ist es ihm erlaubt, sich mit den Akteuren zu identifizieren. Vielleicht erkennt er sich zum Beispiel im Pharisäer wieder und bleibt damit an einem Punkt hängen, der ihn beschäftigt (vgl. Kiechle, 2001, S. 88f.).

Es ist offensichtlich, dass damit eine sehr persönliche Perspektive gegeben wird, gerade weil der Vorstellungskraft keine Grenzen gesetzt sind. So wird der Text unmittelbar und aktuell. Ist der Betende bereit, soll er sich zum biblischen Geschehen äußern. Er bittet darum, dass sich ihm das Geheimnis erschließt, auch wenn er weiß, dass es sich bei jeder Erkenntnis um die Gnade Gottes handelt (vgl. Loyola, 2006, S. 51; GÜ Nr. 55). Ziel ist es, sich auf sich selbst zu besinnen und die eigene Sehnsucht spüren und formulieren zu können. Was bedeutet das Geheimnis für mich? Wo hat es mich berührt, wozu möchte ich mich äußern? Wo begegnet mir Gott? Das Gespräch mit Gott zum Schluss der Übung darf geführt werden, „so wie ein Freund zu einem anderen spricht oder ein Knecht zu seinem Herrn“ (Loyola, 2006, S. 51; GÜ Nr. 54). Es kann somit der Ausklang der Übung sein, oder auch ihr Höhepunkt. Ein Vaterunser oder ein ähnliches bekanntes Gebet darf sich daran anschließen (vgl. Köster, 2000, S. 39-44).

Gewissermaßen nimmt die fünfte, abendliche Betrachtung eine Sonderstellung unter den Übungen ein. Bei ihr soll man sich auf die fünf Sinne konzentrieren. Zu sehen, wer in der Geschichte agiert, zu hören, was die Personen sprechen, und die Umgebung zu riechen, zu schmecken und zu ertasten, soll noch einmal wiederholt werden. Ignatius sagt, dass das insbesondere dort geschehen soll, „wo man größere Regungen und geistlichen Geschmack verspürt hat“ (Loyola, 2006, S. 98; GÜ Nr. 227). Nachdem sich das spanische „gustos“ neben Geschmack auch als Genuss oder Freude übersetzen lässt, ist deutlich, in welche Richtung die letzte Übung des Tages gehen soll. Alles, was im Positiven berührt hat, kann noch einmal reflektiert werden. Dankbarkeit und Erkenntnis über das Geschenkte dürfen im Übenden aufkommen, und so führt die fünfte Betrachtung gleichermaßen zur Liebe zum Herrn, der in allen Dingen der Welt verköstigt werden kann. So endet der Tag mit dem Gefühl der Liebe und des Aufgefangen-Seins (vgl. Köster, 2000, S. 44-46).

2.3 Die Wirkungsgeschichte der ignatianischen Exerzitien

Was die Wirkungsgeschichte der ignatianischen Spiritualität betrifft, so spielt natürlich die Reformation eine große Rolle, auch wenn die „Gesellschaft Jesu“ keine gegenreformatorischen Ambitionen hegte. Dennoch wurde der Orden gerade in den ersten Jahren der Reformation teilweise sehr polemisch angegriffen. Die Exerzitien des Ignatius entwickelten sich schnell zum Bestandteil der Katholischen Frömmigkeit schlechthin. Bald wurden sie in das Programm von Klöstern und Seminaren aufgenommen. Auch in den Gemeinden wurden sie dem breiten Volk zugänglich gemacht, meist in abgekürzter Form von drei oder acht Tagen, sodass man spätestens mit dem 17. Jahrhundert von einer „Exerzitienbewegung“ sprechen kann. Heute ist das Angebot der Exerzitien sehr breit gefächert, was nicht zuletzt an den Bemühungen der Jesuiten und den vielen gegründeten Exerzitienhäusern liegt. Oft wird auch dazu übergegangen, ignatianische Exerzitien nicht mehr nur in reduzierter, sondern auch in vollständiger Version anzubieten (vgl. Switek, 1992, S. 363f.).

Bedenklicher als die Kritik aus reformatorischen Kreisen ist freilich die innerkirchliche. Später wurde den ignatianischen Exerzitien vorgeworfen, dass mit den „Geistlichen Übungen“ das Gebet verflacht werde auf eine „militärische Gebetsmethode, die die Seele und ihre verschiedenen Fähigkeiten auf Kommando in Gang setze“ (Switek, 1992, S. 367).

3. Die Exerzitien für den Alltag nach Pater Anselm Grün

Pater Anselm Grün beruft sich bei seinen „Exerzitien im Alltag“ oft auf eine Form der ignatianischen Exerzitien. Dabei geht sie auf eine einzelne, über längere Zeit fast vergessene Anmerkung in den „Geistlichen Übungen“ zurück, in der Ignatius zu täglichen anderthalb Stunden Betrachtung über mehrere Tage oder Wochen hinweg rät, wenn der Übende nicht mehr Zeit für vollständige Exerzitien aufwenden kann (vgl. Loyola, 2006, S. 35; GÜ Nr. 19). Deshalb wird heute diese Art der Exerzitien immer häufiger angeboten und sie können unter anderem in der Fastenzeit zur Vorbereitung auf Ostern oder in der Adventszeit zur Ankunft auf Weihnachten dienen und finden in einem Zeitraum von vier bis fünf Wochen statt. Im Alltag können sie für jeden Menschen zu einer Möglichkeit werden, das tägliche Leben aus einer spirituellen Quelle heraus zu meistern. Nicht nur Pater Anselm Grün, auch einige internationale Bistümer bieten die Exerzitien für den Alltag an.7

[...]


1 OSB ist die Abkürzung für Ordo Sancti Benedicti, dem Benediktiner-Orden.

2 Theresa von Avila war eine Mystikerin und Heilige in der Katholischen Kirche. Sie lebte von 1515-1582 (vgl. www.zitate-online.de/sprueche/historische-personen/19756/tu-deinem-leib-etwas-gutes-damit-deine-seele.html).

3 Die „Legenda Aurea“ ist eine in lateinischer Sprache verfasste Sammlung von ursprünglich 182 Traktaten zu den Kirchenfesten und vor allen Dingen zu Lebensgeschichten Heiliger und Heiligenlegenden (vgl. Zeeden, 1979, S. 121).

4 Die „Vita Jesu Christi“ ist ein Buch, das nicht nur eine Biographie von Jesus, sondern auch eine Geschichte, ein Kommentar und eine Reihe von dogmatischen und moralischen Dissertationen, spirituellen Anweisungen, Meditationen und Gebeten enthält (vgl. Zeeden, 1979, S. 121).

5 „Devotio Moderna“ beschreibt die „Neue Frömmigkeit“ im 14. Jahrhundert. Es handelt sich dabei um eine religiöse Erneuerungsbewegung innerhalb der Kirche (vgl. Zeeden, 1979, S. 128).

6 Die „Scala Claustralium“ enthält Darstellungen der Gebetsform der lectio divina („göttlichen Lesung“), die eine Methode der betenden Meditation über Bibeltexte beschreibt (vgl. Zeeden, 1979, S. 129).

7 In Deutschland bieten z.B. die Bistümer in Mainz, Trier, Passau, Augsburg oder das Erzbistum München, aber auch die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, um nur einige zu nennen, ebenfalls Exerzitien im Alltag an. Im Folgenden soll aber ausschließlich die Methode Anselm Grüns beleuchtet werden.

Excerpt out of 66 pages

Details

Title
Sportexerzitien im Schulalltag. Grundlagen und sportdidaktisches Konzept
College
University of Würzburg
Grade
1,7
Author
Year
2019
Pages
66
Catalog Number
V901613
ISBN (eBook)
9783346298614
ISBN (Book)
9783346298621
Language
German
Keywords
Sport, Religion, Exerzitien, Sportexerzitien, Körper, Geist, Seele, Einklang, Geistliche Übungen, Ignatius von Loyola, Anselm Grün, Günther Hrabé de Angelis, Modelle der Sportexerzitien, Sportexerzitien im (Schul-) Alltag
Quote paper
Sebastian Fries (Author), 2019, Sportexerzitien im Schulalltag. Grundlagen und sportdidaktisches Konzept, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/901613

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