ADHS. Das Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätssyndrom aus multiperspektivischer Sichtweise


Seminar Paper, 2007

30 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Fallgeschichte:

3 Medizinisch-biologische Sichtweise

4 Psychologische Sichtweise

5 Die Sichtweise der Betroffenen

6 Elternperspektive

7 Schulische Perspektive

8 Soziologische Perspektive

9 Perspektive der Sozialen Arbeit

10 Schlussbetrachtung

11 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS; würde man eine Umfrage starten, würde vermutlich fast jeder schon einmal von dieser Störung gehört haben, ein beachtlicher Teil würde wahrscheinlich sogar erklären können, worum es sich dabei handelt und eine immer noch recht große Anzahl der Befragten, würde einen Betroffenen kennen. Dank der Medien und in jüngster Zeit auch durch die zahlreichen kritischen Diskussionen der Behandlung mit Medikamenten und Büchern, wie „Die Krankheitserfinder“ von Jörg Blech, die sich gerade mit diesen hitzigen Debatten beschäftigen, ist ADHS mittlerweile in aller Munde.

Trotzdem rührt meine Motivation mich mit diesem Thema im Zuge meiner Hausarbeit zu beschäftigen nicht daher, sondern vielmehr aus der Tatsache, dass ich mein Praxissemester im Bereich einer Tagesgruppe für verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche absolvieren werde. Einige der dort Betreuten bekamen die Diagnose ADHS, weshalb für mich diese Arbeit nun eine Chance darstellt, mich bereits im Voraus intensiv mit dieser Thematik zu beschäftigen. Die Ansicht, dass man im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe als SozialarbeiterIn häufig mit dieser Störung konfrontiert ist, letztlich auch dadurch, dass sie die mittlerweile am Häufigsten diagnostizierte seelische Störung im Kindes- und Jugendalter darstellt (vgl. Blech 2005, 111), bekräftigt zusätzlich meine Entscheidung für dieses Thema.

Ich werde im Laufe meiner Hausarbeit ADHS aus den unterschiedlichsten Perspektiven beleuchten, um einerseits eine einseitige und eingeschränkte Sichtweise auf die Störung zu vermeiden und andererseits, da ich der Meinung bin, dass diese Multiperspektivität Voraussetzung für eine erfolgreiche Soziale Arbeit ist.

An den Anfang meiner Arbeit habe ich eine Fallgeschichte gestellt um dem Leser einen Eindruck der Bemerkbarkeit und der Auswirkungen von ADHS im Alltagsleben, wie auch von der Diagnose und der Therapie zu gewähren.

In meinem Hauptteil werde ich mit der medizinisch-biologischen Sichtweise beginnen. Ich habe diese Perspektive an den Anfang gestellt, da es meiner Meinung nach diejenige Sichtweise darstellt, die am meisten Auskunft darüber gibt, was sich hinter dem Begriff ADHS verbirgt.

Im weiteren Verlauf werde ich dann spezieller auf die Lebenswelt der Betroffenen, der Angehörigen und der Situation in der Schule eingehen. Im Vordergrund sollen hier die individuellen Gefühle, Gedanken und Probleme, als auch die Bewältigungsmöglichkeiten stehen.

Des Weiteren befasse ich mich mit der psychologischen und der soziologischen Perspektive.

Ans Ende meiner Arbeit habe ich die für mich am interessantesten Sichtweise, nämlich die der Sozialen Arbeit hinsichtlich ADHS, gestellt. Ich denke, dass diese Perspektive sich sehr gut als abschließende eignet, da sie in gewisser Weise die zuvor behandelten Perspektiven voraussetzt. Denn wie bereits erwähnt, benötigt man um erfolgreiche Soziale Arbeit zu leisten, Kenntnisse aus allen Perspektiven.

Im Zuge meiner Auseinandersetzung mit den verschiedenen Sichtweisen, werde ich mich immer wieder auf den in Kapitel 2 geschilderten Fall beziehen, um damit die wissenschaftlichen Überlegungen auf die Praxis zu übertragen und dem Leser dadurch die Thematik eindrücklicher und verständlicher vor Augen zu führen.

Ursprünglich war es meine Absicht meinen Schwerpunkt auf die Perspektive der Betroffenen zu legen. Im Laufe meiner Beschäftigung mir der Thematik, habe ich mich jedoch dafür entschieden, von einer Schwerpunktsetzung abzusehen und bin dazu übergegangen, mich mit allen Sichtweisen nahezu gleichwertig zu befassen. Diese Überlegung rührt daher, dass ich in Anbetracht meiner späteren Profession nicht eine Perspektive in den Mittelpunkt rücken möchte, sondern über alle Bescheid wissen muss. So wird die Arbeit wenig erfolgreich sein, wenn ausschließlich am Kind angesetzt wird und dabei seine Familie und die Situation in der Schule außen vor gelassen wird. Ebenso wenig sinnvoll erachte ich, sich als SozialarbeiterIn nicht mit der medizinisch-biologischen Sichtweise zu befassen. Denn diese Perspektive ist unabdingbar um sich das nötige Grundlagenwissen über die Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung zu erarbeiten.

Ich werde nun mit einer Fallgeschichte einsteigen, welche ich aus Lehrbüchern entnommen habe und durch eigene Erfahrungen mit Betroffenen ergänzt habe.

2 Fallgeschichte:

In einer ausführlichen klinischen Exploration wurde beim 7 jährigen Tom mit Hilfe der Diagnosecheckliste festgestellt, dass auf ihn die Kriterien einer

Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, nach dem internationalen Klassifikationssystem DSM-IV, zutreffen.

Seiner Mutter nach, war er bereits als Säugling äußerst anstrengend, schrie viel und hatte Schlafprobleme. Ansonsten entwickelte sich Tom jedoch seinem Alter entsprechend. Er hatte keine ernsthaften Krankheiten und sowohl seine sprachliche als auch seine motorische Entwicklung verliefen weitgehend ohne Bedenken. Jedoch befand er sich auf Grund seines risikofreudigen Verhaltens überdurchschnittlich oft in ärztlicher Behandlung. Bereits als Kleinkind war er extrem zappelig und unruhig. Er konnte sich im Kindergarten schlecht integrieren und reagierte auf Vorschriften mit Trotzverhalten. Oft verlor er schnell die Geduld und die Lust am Spielen, weshalb es keine Seltenheit war, wenn er ein gemeinsames Spiel mit seiner 2 Jahre älteren Schwester nach kürzester Zeit abbrach.

In voller Bandbreite begannen Toms Schwierigkeiten erst mit seiner Einschulung. Er war den Anforderungen, die an ihn gestellt wurden nicht gewachsen. Es fiel ihm äußerst schwer still zu sitzen und sich zu konzentrieren, so dass er häufig ohne Erlaubnis von seinem Stuhl aufstand oder mit seinem Nachbarn redete. Es war ihm oft unmöglich aufgetragene Aufgaben zu erledigen oder Anweisungen zu befolgen, weshalb er weit hinter seinem möglichen Leistungsniveau zurückblieb. Hinzu kam, dass er recht ungern zur Schule ging, da er nicht in der Lage war freundschaftliche Kontakte zu Gleichaltrigen aufzubauen bzw. aufrechtzuerhalten und in seiner Klasse eine Außenseiterposition einnahm. Das ging zeitweise so weit, dass Tom in der Klasse gehänselt wurde und seiner Mutter erzählte er hätte Bauchschmerzen, um nicht in die Schule zu müssen.

Auch die Situation in der Familie war geprägt von der ständigen Unruhe Toms. Es kostete seine Mutter viel Zeit und Geduld ihn zum Erledigen seiner Hausaufgaben und seiner anderen Verpflichtungen zu bewegen. Die psychisch belastende Lage übertrug sich nicht selten auch auf die Beziehung zwischen den Elternteilen.

Nachdem Toms Lehrerin seine Mutter darauf aufmerksam machte, dass sein auffälliges Lern- und Sozialverhalten möglicherweise durch ADHS bedingt sein könnte, suchte sie Rat beim Kinderarzt, welcher sie für eine testpsychologische Untersuchung an eine spezialisierte Verhaltenstherapeutin vermittelte.

Im Zuge dieser Diagnosestellung wurden sowohl die Eltern als auch Toms Lehrer gebeten einen Fragebogen auszufüllen. Es stellte sich heraus, dass Tom auf den Skalen soziale Probleme, wozu seine Schwierigkeiten gehörten, von den Klassenkameraden akzeptiert zu werden, als auch auf der Skala der Aufmerksamkeitsstörungen, was seine extreme Ablenkbarkeit und motorische Unruhe beinhaltet, wie auch auf der Skala des aggressiven und impulsiven Verhaltens, überdurchschnittliche Auffälligkeiten zeigte. Tom wurde im Laufe der Untersuchung einem Intelligenztest unterzogen, bei dem er mit durchschnittlichem Ergebnis abschloss. Lediglich seine Lese- und Rechtschreibfähigkeit war unzureichend, weshalb zunächst der Verdacht auf eine Lese- und Rechtschreibschwäche aufkam.

Nach der Feststellung, dass Tom von ADHS betroffen ist, beschloss man ihm durch eine so genannte Multimodale Therapie zu helfen. Ansatz einer solchen Therapie ist die Kombination aus medikamentöser Behandlung und verhaltenstherapeutischen Interventionen.

Tom nimmt von nun an täglich Ritalin, ein Methylphenidat, dass sein störendes Verhalten mindert und es ihm ermöglicht sich besser konzentrieren zu können. Zusätzlich geht Tom ein Mal in der Woche zu einem Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten. Ziel ist es, seine Konzentrations- und Ausdauerfähigkeit, seine Selbstorganisation und sein Sozialverhalten spielerisch zu stärken. Das Therapieprogramm setzt jedoch nicht ausschließlich beim Betroffenen selbst an, sondern sieht ebenfalls eine Eltern- und Familienzentrierte Therapie als auch eine Kindergarten- bzw. Schulzentrierte Intervention vor. Ziel der Therapie ist es, die alltäglichen Interaktionen zwischen Tom und seiner Familie insoweit zu verändern, dass Verhaltensprobleme gemindert und Problemsituationen besser bewältigt werden können. Hierbei wird, ebenso wie in der Kindergarten- bzw. Schulzentrierten Interaktion, mit Hilfe von positiven Verstärkern, bei denen Tom für angemessenes Verhalten belohnt wird, gearbeitet. In der Schule waren für Tom bereits kleine Veränderungen hilfreich. So kann er sich seit er einen Einzeltisch hat besser konzentrieren, da er nicht mehr ständig durch seinen Sitznachbarn abgelenkt werden kann.

Durch diese Multimodale Therapie konnte Tom neue Verhaltensweisen erlernen und es fällt ihm nun leichter sich zum Beispiel bei Schul- und Hausaufgaben zu konzentrieren. Letztlich sind für diese positiven Veränderungen mitunter auch die klaren Regeln und der strukturierte Tagesablauf ausschlaggebend, den die Familie mit Hilfe der Verhaltenstherapeutin erarbeitete (vgl.: Comer 1995, 688; Esser 2003, 172-173).

3 Medizinisch-biologische Sichtweise

Aus medizinischer Sicht ist denke ich zunächst einmal wichtig, worum es sich bei ADHS handelt, anders gesagt was für Symptome auftreten.

Kinder mit ADHS sind häufig bereits im Säuglingsalter, wie es auch bei Tom der Fall ist, äußerst unruhig. Auch in ihrer weiteren Kindheit sind sie geprägt von einem überdurchschnittlichen Bewegungsdrang und immenser motorischer Unruhe, was dadurch sichtbar wird, dass sie ständig ‚unter Strom stehen’. Besonders in der Schule zeigt sich, dass sie leicht ablenkbar sind und es ihnen schwer fällt sich zu konzentrieren. So bricht zum Beispiel auch Tom ein gemeinsames Spiel mit seiner Schwester oft sehr früh ab. Des Weitern sind die Betroffenen ungeduldig und handeln des Öfteren ohne nachzudenken.

Die geschilderten Symptome lassen sich in drei Kriterien unterteilen: Aufmerksamkeitsstörung, Hyperaktivität und Impulsivität. Diese Kriterien sind bei der Diagnosestellung von Bedeutung. Zu finden sind sie in den beiden Klassifikationssystemen International Classification of Disease, kurz ICD-10 und dem Diagnostic Statistical Manual, dem DSM-IV.

Für mich stellt sich nun die Frage, wann ein Kind die Diagnose ADHS erhält. Hierzu ist in den Diagnosekriterien der Klassifikationssysteme zu lesen, dass

„- die Symptome mindestens sechs Monate lang in einem dem Entwicklungsstand des Kindes unangemessenem Ausmaß vorliegen,
- die Störung nach ICD-10 (bzw. nach DSM-IV einige beeinträchtigende Symptome der Störung) bereits vor dem siebten Lebensjahr aufgetreten ist,
- die Beeinträchtigungen durch diese Symptome sich in zwei oder mehreren Lebensbereichen (z.B. in der Schule/am Arbeitsplatz und zu Hause oder nach ICD-10 auch an einem anderen Ort) zeigen, and dem die Kinder beobachtet werden können,
- deutliche Hinweise auf klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen in sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsbereichen vorhanden sein müssen“(Konrad 2002, 14).

DSM-IV unterscheidet zwischen drei verschiedenen Typen; einem vorherrschend unaufmerksamen Typ, einem überwiegend hyperaktiv-impulsivem Typ und einem Mischtyp. ICD-10 unterscheidet zwischen einer einfachen Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung und einer Hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens, bei der, wie der Name bereits verrät, zusätzlich eine Störung des Sozialverhaltens vorliegt

(vgl. Comer 1995, 688; Esser 2003, 174-175; Konrad 2002, 12-15; Neurologen im Netz).

Wichtig ist mir noch anzumerken, dass natürlich für eine Diagnose nicht alle in der Tabelle aufgeführten Symptome vorliegen müssen. Wie viele notwendig sind um von ADHS zu sprechen, unterscheidet sich je nach Klassifikationssystem.

Abgesehen von der Diagnose ist für die medizinisch-biologische Sicht von Bedeutung, welche Ursachen zu diesem Krankheitsbild führen. Hierzu muss zunächst einmal klar gestellt werden, dass die Forschung bis jetzt noch keine eindeutigen Beweise erbringen konnte. Es sich demnach bei den folgenden Ursachen lediglich um Hypothesen handelt.

Bei den Faktoren, die zu ADHS führen, wird mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen, dass es sich um eine Vielzahl von unterschiedlichen Ursachen, neurobiologischer Art und psychosozial ungünstiger Einflüsse handelt. Aufgrund von Zwillingsstudien und Forschungen, die belegen, dass bei der Hälfte der Kinder, von denen ein Elternteil von ADHS betroffen ist, die Störung ebenfalls diagnostiziert wird, kann von einer Prädisposition, das heißt einer genetischen Veranlagung gesprochen werden. Des Weiteren hat man durch molekulargenetische Untersuchungen festgestellt, dass bei den Betroffenen der Dopamin-D4-Rezeptor verändert ist (vgl. Davison 2002, 538; Konrad 2002, 25; Neurologen im Netz; Wittchen 2006, 590).

Das lässt mich zu einem weiteren Faktor biochemischer Art kommen, den die medizinisch-biologische Perspektive als Ursache für die Störung heranzieht.

Sie nimmt eine Funktionsstörung im Stirnhirnbereich an. Dank neuer Verfahren wurde festgestellt, dass die Ursache dieser Funktionsstörung ein Mangel an Neurotransmittern ist. Neurotransmitter sind Botenstoffe, welche eine Hirntätigkeit erst möglich machen. Bei ADHS ist das so genannte Dopamin-Noradrenalin-System gestört. Wenn man sich vor Augen führt, dass Dopamin für zielorientiertes Handeln, die Fein- und Grobmotorik und für die Regulation des Gedächtnisses und des Stirnhirnes eine entscheidende Rolle spielt und Noradrenalin den Antrieb und die emotionale Stimmung reguliert, für die Regulation des Gedächtnisses und für die Automatisierung von Abläufen zuständig ist und bei Mangel zu Impulsivität führt, wird meiner Meinung nach verständlich, weshalb Betroffene Probleme der Aufmerksamkeit, Impulsivität, Motorik und Aktivität haben.

Des Weiteren fällt es ihnen schwer aus Fehlern zu lernen, da auf Grund des Noradrenalinmangels, wie bereits erwähnt, die Automatisierung von Handlungsabläufen nicht ausreichend funktioniert.

[...]

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Details

Title
ADHS. Das Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätssyndrom aus multiperspektivischer Sichtweise
College
University of Applied Sciences Esslingen
Course
Störung, Leiden, Anderssein
Grade
1,0
Author
Year
2007
Pages
30
Catalog Number
V90089
ISBN (eBook)
9783638044257
ISBN (Book)
9783656824701
File size
732 KB
Language
German
Keywords
ADHS, Störung, Leiden, Anderssein, Thema ADHS
Quote paper
Stefanie Steckroth (Author), 2007, ADHS. Das Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätssyndrom aus multiperspektivischer Sichtweise, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/90089

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