Die Außenpolitik Anwar Sadats zwischen 1970 und 1973 und ihre Implikationen für den Oktoberkrieg


Hausarbeit, 2016

32 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Hinführung und Themafrage
1.2. Quellenlage
1.3. Forschungsstand

2. Die politische und soziökonomische Ausgangslage für Anwar al-Sadat
2.1. Die Bedeutung Ägyptens in einer bipolaren Welt
2.2. Die Weichenstellung für Sadats Außenpolitik

3. Die Friedensinitiativen nach dem Junikrieg 1967
3.1. Der Rogers-Plan
3.2. Die Friedensinitiative Sadats im ‚Jahr der Entscheidungen‘ 1971
3.3. Die amerikanische Perzeption der Politik Sadats

4. Die Haltung Israels – Status quo und das Sicherheitsbedürfnis

5. Die Beziehungen zur Sowjetunion
5.1. Auf Konfrontationskurs mit der Sowjetunion

6. Die Beziehungen zu den arabischen Staaten

7. Zusammenfassung und Ausblick
7.1. Res ümee

8. Bibliographie
8.1. Quellen
8.2. Darstellungen
8.3. Internetquellen

1 . Einleitung

1.1. Hinf ührung und Themafrage

„Wir haben unseren Stolz und das Selbstvertrauen nach den Schlachten des Oktoberkrieges nach 1973 wiedergewonnen, genauso wie es unsere Streitkr äfte getan haben. Wir sind nicht l änger von Komplexen motiviert, ob es sich um defätistisches Minderwertigkeitskomplexe oder um jene, die aus Argwohn und Ha ß geboren werden.

Darum konnten sich die gegnerischen Seiten, sobald sich der Pulverdampf verzogen hatte, zusammensetzen und über die Probleme diskutieren […] Nun, da der Kampf vor über ist, hegen wir nichts als Respekt füreinander“ 1

Am Ende seiner Memoiren zieht der ägyptische Präsident, Anwar Sadat, mit diesen Worten eine Bilanz des Jom-Kippur-Krieges.2 Obgleich die Israelis nach Kriegsende den Suezkanal überquert, auf der Westküste einen Brückenkopf gebildet und die Dritte Armee auf der Sinai Halbinsel eingeschlossen hatten, war es Sadat, der zentrale Ziele seiner Außenpolitik erreicht oder die Grundlage dafür geschaffen hat. Israels Nimbus der Unbesiegbarkeit war auf eine harte Probe gestellt worden, während die Ägypter mit ihren arabischen Verbündeten eindrucksvoll bewiesen hatten, dass sie zu einem koordinierten Krieg in der Lage sind.3 Beide Seiten mussten ihre Selbst- und Fremdbilder revidieren und begegneten sich in den darauffolgenden Verhandlungen um die Umsetzung der Resolution 242 zunehmend kompromissorientierter.4 Der Oktoberkrieg bildet somit den Höhepunkt eines jahrelangen Abnutzungskampfes zwischen Ägypten und Israel und markiert gleichzeitig dessen Ende.

Sadat stellte retroperspektivisch nach den ergebnislosen Verhandlungen zwischen Hafis Ismail, dem Außendiplomat Ägyptens, und dem amerikanischen Außenminister Henry Kissinger im Vorfeld des Oktoberkrieges für sich fest:

„[…] dass der Schlüssel zu allem - politisch, wirtschaftlich, militärisch- darin lag die Situation zu verändern, die eine Folge der Niederlage von 1967 war. Unser Selbstvertrauen und das Vertrauen der Welt in uns musste wiederhergestellt werden [ … ] die Hauptaufgabe bestand darin, die Schande und Dem ütigung der Niederlage zu beseitigen “.5 Somit schien für Sadat klar gewesen zu sein, dass die Folgen des Junikrieg 1967 verantwortlich sind für die desolate Lage Ägyptens auf wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene. Eben daraus entstand für ihn die Aufgabe, eben diese Verhältnisse durch eine Beseitigung der Demütigung zu ändern. Sechs Jahre später sollte Sadat das mit einem Sieg gelingen, der allerdings mehr durch seine politischen als durch militärische Erfolge als solcher zu verbuchen ist. Ägypten wurde für die USA verhandlungs- und kontraktfähig und überwand den toten Punkt in der Nahostpolitik, indem es die USA dazu bewegte, Friedensverhandlungen zu betreiben, in denen die Interessen Ägyptens und der arabischen Staaten einen neuen Stellenwert einnehmen konnten.6

Wie kam es dazu, dass Sadat nur in der Aufnahme eines neuen Krieges die Möglichkeit sah, die Folgen des Sechs-Tage-Krieges zu Gunsten Ägyptens zu revidieren? Die folgende Seminararbeit widmet sich seiner Außenpolitik bis zum Ausbruch des Oktoberkrieges und analysiert diese in besonderen Hinblick darauf, in welchem Zusammenhang sie mit dem Ausbruch des Oktoberkrieges steht, inwiefern sich Kriegsvorbereitungen in ihr abzeichneten, was wichtige Momente waren, in denen sich Alternativem zum Konflikt anbahnten und warum der Angriff trotzdem stattfinden musste.

Der erste Teil der Seminararbeit exponiert die politische Ausgangslage Sadats zu Beginn seines Regierungsantritts 1970. Dabei wird in einem kleinen Exkurs die geopolitisch-strategische Bedeutung Ägyptens für das bipolare System der beiden Supermächte vor dem Hintergrund des Kalten Krieges gegeben, um die Handlungsdeterminanten auf politischer Ebene zwischen den drei Nationen besser nachvollziehen zu können. Den Schluss des ersten Teils bildet eine Zusammenfassung der Motive und außenpolitischen Ziele Sadats mit besonderem Fokus auf denjenigen, denen eine Rolle für den Ausbruch des Oktoberkrieges zuteilwird.7

Den Übergang zum Hauptteil bildet eine Analyse der Friedensverhandlungen und deren Entwicklung in der Zeit von Amtsantritt Sadats bis zum Vortag des Oktoberkrieges. Dabei soll Die vom UN-Sicherheitsrat am 22. November 1967 verabschiedete Resolution 242 war das Ergebnis des Junikrieges. Die für den Oktoberkrieg relevantesten Punkte waren der Abzug der israelischen Truppen aus den im Konflikt unrechtmäßig okkupierten Gebieten (Ost-Jerusalem, das Westjordanland, Gaza Streifen, die Sinai Halbinsel, Golanhöhen) und die für Israel essentielle Anerkennung der Souveränität, der territorialen Integrität und der politischen Unabhängigkeit der beteiligten Staaten. Der Text der Resolution 242 ist auf Deutsch abgedruckt in: Bunzl, John: Der Nahostkonflikt, Analysen und Dokumente, Wien 1981, S. 220f. besonders der Rogers Plan von amerikanischer Seite und anschließend die Initiative von Sadat 1971 behandelt und eruiert werden, an welchen Streitpunkten zwischen Israel und Ägypten und in den außenpolitischen Ambitionen der Vereinigten Staaten diese gescheitert sind. Parallel zu den Verhandlungen wird die offenen Hinwendung Ägyptens zu den USA, die bereits unter Nasser stattfand, durchleuchtet, um aufzuzeigen, welche wirtschaftspolitischen Motive sich hinter diesem außenpolitischen Kurswechsel verborgen hatten, wie er von Seiten der USA wahrgenommen wurde und warum Ägypten trotz dieses offenen Kurses am Ende doch Israel, dem Patron der USA, angegriffen hatte.

Das darauf aufbauende Kapitel fasst die Einstellung der Israelis zusammen und geht der Frage nach, durch welche Seite am ehesten eine friedliche Beilegung des Konfliktes verhindert wurde bzw. hätte verhindert werden können.

Das nächste Kapitel hat die Beziehung Ägyptens mit seiner jahrzehntelangen Patronatsmacht, der Sowjetunion, und die Folgen des außenpolitischen Kurswechsel Sadats zum Thema. In einem ersten Schritt wird in einem kurzen Exkurs ein Überblick über die Entwicklung des Patron-Klient-Verhältnisses zwischen der Sowjetunion und Ägypten offeriert. Der Kern des Kapitels arbeitet die einzelnen Schritte der Abkehr von der Sowjetunion und deren Gründe heraus, um am Ende der Frage nachzugehen, warum Sadat den Bruch mit der Sowjetunion de facto nicht vollzog, sondern gleichzeitig die Verbindung nach außen hin bereits 1971 mit dem Sowjetisch-Ägyptischen Freundschaftsvertrages festigte.

In jedem dieser drei Kapitel bilden die Perzeption des innen- und außenpolitischen Kurses Sadats einen Schwerpunkt. Es wird allerdings versucht, diesen aus der Perspektive Sadats, Israels und der USA, hier besonders aus der Sicht Kissingers, zu durchleuchten, um die Entwicklungen besser rekonstruieren zu können. Wiederholungen werden sich daher nicht vermeiden lassen.

Das letzte Kapitel bezieht sich auf die Modifizierung der internationalen und regionalen Politik Ägyptens hinsichtlich der arabischen Staaten.8 In welchen Verhältnissen stand Sadat zu den arabischen Staaten, besonders zu denen, die sich vom revolutionären Ägypten unter Nasser distanziert hatten. Welche Interessen verfolgte Sadat, weswegen er die Beziehungen zu den arabischen Staaten zu verbessern suchte und auf welche Weise und mit welchen Motiven mobilisierte er die blockfreien Länder so, dass er sie - eigenen Angaben nach- auf ihrer Gipfelkonferenz in Algier im September 1973 auf den Krieg einschwören konnte, da Israel ihn wolle und „ nichts, außer einer kompletten Kapitulation der Araber, Israel zufrieden stellen werde “.9

Den Schlussteil bildet eine Zusammenschau der erarbeiteten Ergebnisse und die Antwort auf die Frage danach, ob Sadat mit dem Oktoberkrieg seinen Zielen tatsächlich nähergekommen ist.

1.2. Quellenlage

Bevor es in medias res geht, gibt der Autor einen Einblick in die Quellenlage und den Forschungstand der Seminararbeit. Die wichtigste und ausführlichste Quelle stellt für die folgende Seminararbeit die Memoiren von Sadat selbst dar: Unterwegs zur Gerechtigkeit – auf der Suche nach Identität – die Geschichte meines Lebens. Mit diesem Werk lassen sich sehr detailliert die Gedanken hinter der Politik Sadats rekonstruieren. Doch nicht nur in der Außenpolitik, sondern auch in seinem Buch lässt der Verfasser das Ideal eines altorientalischen Führers aufleben und verherrlicht sich selbst. Die Größe seiner Person und seiner Taten – die aus der Retroperspektive alle einen Sinn ergeben – stehen den ernüchternden und oft umstrittenen realen außenpolitischen Aktivitäten konträr gegenüber.10 Auch berücksichtigen seine Äußerungen kam Ereignisse, die außerhalb seines persönlichen Sphäre stattfinden. Aus diesem Grund sind die Aussagen in seinem Buch mit großer Vorsicht zu werten und müssen stets mit seriösen Quellen und objektiven wissenschaftlichen Arbeiten kritisch geprüft werden. Ebenso verfährt der Autor bei der Analyse von Interviews und Reden Sadats, sofern sie für die Beantwortung der Themafrage hilfreich sind.

Eine weitere wichtige Quelle sind die Memoiren Henry Kissingers, die einen tiefen Einblick in die Motive der amerikanischen Außenpolitik in Bezug auf Israel und Ägypten geben und Auskunft darüber, wie die Person und Politik Sadats gewertet wurde.

Für die Analyse der israelischen Politik bieten sich neben spezifischer Fachliteratur der elfte Band der Akteneditionen: „ Berichte aus Israel “ von Rolf Steininger an, der die – teilweise wertenden - Berichte des diplomatischen Vertreters Österreichs, Arthur Agstner, zur israelischen Außenpolitik im behandelnden Zeitraum umfasst und man mit diesen vielen detaillierten Informationen zu Handlungsmotiven israelischer Politiker und Parteien extrapolieren kann.

1.3. Forschungsstand

Der Forschungsstand zur ägyptischen Außenpolitik -Analyse ist sehr überschaubar. In erster Linie ist man auf deskriptive Literatur und den Rückschlüssen und Indizien daraus angewiesen, die sich aus struktureller Fluktuationen eruieren lassen.11

Für die Außenpolitik Ägyptens und dessen Bedeutung im bipolaren Weltsystems der USA und der Sowjetunion bieten sich im besonderes Maße das Werk von Horst Mahr: „ Die Rolle Ägyptens in der amerikanischen und sowjetischen Außenpolitik. Von der Suez-Krise 1956 bis zum Sechs-Tage-Krieg 1967 “ und für die amerikanische Nahost-Politik besonders das Werk „ Amerikanische Nahost-Politik: Kontinuität und Wandel von Nixon bis Regan “ von Christian Hacke. Für die Situation Ägyptens nach dem Sechs-Tage-Krieg und die regionalen Dynamiken und Interessen der Konfliktparteien bieten der Aufsatz von Thomas Scheben „ Ein Bündnis mit begrenzter Haftung. Ägypten im Kalten Kri e g “ und die Monographie von Bassam Tibi „ Konfliktregion Naher Osten. Regionale Eigendynamik und Großmachtinteressen “ einen guten Überblick. Zum Schluss sei auf zwei Beiträge aus dem Europa-Archiv verwiesen, die als Bestandteil der führendsten außenpolitischen Zeitschrift fundiert den Rogers-Plan und die Nahost-Politik behandeln.12 Marion Mushkat analysiert die innere Diskussion Israels um den Rogers-Plan und Udo Steinbach sucht nach neuen Perspektiven in der Nahost-Politik kurz vor Ausbruch des Krieges. Das Besonders an diesen Beiträgen ist ihre zeitliche Nähe zu den Ereignissen. Ad rem.

2. Die politische und sozi ökonomische Ausgangslage für Anwar al-Sadat

Im Folgenden wird die politische und wirtschaftliche Ausgangssituation für Sadat vor dem Hintergrund des Junikrieges demonstriert sowie eine Einführung in die geostrategische Bedeutung Ägyptens während des Kalten Krieges gegeben.

2.1. Die Bedeutung Ägyptens in einer bipolaren Welt

Ägypten fungierte schon in den 50er Jahren sowohl für UdSSR als auch USA als „ Hebel politischen Einflusses13 im Nahen Osten. Das Land am Nil bildet den Mittelpunkt der arabischen Welt und stellte eine Verbindung her zwischen Atlantik, Europa, Ostafrika, dem indischen Subkontinent, Südostasien, dem Fernen Osten und Australien.14 Eine zusätzliche strategische Aufwertung erfährt Ägypten durch seine Kommunikations- und Schifffahrtswege, allen voran den Suezkanal, für den es sogar 1956 mit Krieg überzogen wurde.

Ferner besaß das Land zu dem behandelten Zeitraum das größte Bevölkerungswachstum der arabischen Länder. Mit einer Bevölkerung von 37 Millionen im Jahr 1975, konnte Ägypten für den Oktoberkrieg eine Million Soldaten aufstellen, die größte Armee in diesen Regionen. Dieses große Menschenpotential spiegelte sich nicht nur in der Armee wider, sondern auch in der ägyptischen Wirtschaft. Ägypten stellte in den sechziger Jahren 70% aller Hochschulabsolventen der ostarabischen Staaten, die als Beamte der ägyptischen Politik Gewicht verliehen.15 Nachdem sich Großbritannien und Frankreich aus dem Nahen Osten zurückgezogen hatten, entstand ein Machtvakuum, in das die beiden neuen Supermächte in ihrer imperialistischen Dynamik einzudringen versuchten. Die USA und die Sowjetunion betrachteten Ägypten als die Spitze der emanzipierten Länder. Ägypten sollte den anderen Entwicklungsstaaten als Beispiel für die jeweilige politisch-ideologische Weltanschauung dienen. Dadurch hofften die Supermächte in einer Region Fuß zu fassen, die noch kein Schauplatz ihres Kräftemessens war. Zwischen ihnen herrschte ein Gleichgewicht des Schreckens.16 Der Kampf um Prestige, Einfluss und Klienten musste deshalb stellvertretend in peripheren Gegenden von ‚subordinierten Staaten’ ausgetragen werden, die ihren Platz in der bipolaren Welt noch nicht gefunden hatten.17 Neben diesen Standortfaktoren, waren besonders die politischen Führer attraktiv, da sie einen enormen Einfluss auf die erdölreichen arabischen Staaten besaßen. Der charismatische Präsident Ägyptens, Gamal Abdul Nasser, der in Ägypten eine „korrumpierte Monarchie“ gestürzt und den Großmächten in der Suezkrise 1956 gestrotzt hatte,18 war zum „Sprecher der Araber“ avanciert. Über diesen versuchte die Sowjetunion den Nahen Osten Fuß zu penetrieren und somit den Ölfluss regulieren zu können, da Westeuropa bis 1973 80% ihres Bedarfs als Erdöl über den Nahen Osten bezog.

Das national-revolutionäre Regime Nassers wies zunehmend sozialistische Tendenzen auf, setzten doch Islam und Sozialismus die größten Mobilisierungspotentiale frei.19 Ägypten suchte die Nähe zur mächtigen Sowjetunion, symbolisierten sie doch „Wandel und Revolution gegen die reaktionären Kolonialmächte“,20 die in der Form des britischen Imperialismus und Israel eine direkte Bedrohung darstellten. Den Durchbruch für dieses Bündnis markierten das ägyptisch-tschechoslowakische Rüstungsabkommen im September 1955 und die Hilfe beim Bau des Assuan-Dammes. Doch die UdSSR zweifelte schon bald daran, ob der Sozialismus sich in einem Land durchsetzen könne, in dem Armut und Glaube in Fatalismus münden. Dennoch musste sie Ägypten weiter unterstützen, wollte sie ihren Einfluss nicht an die USA verlieren.21 Die weitere Entwicklung des ägyptisch-sowjetischen Verhältnisses bis zur Regierungszeit Sadats kann im Rahmen dieser Arbeit nicht besprochen werden und wäre auch nicht zielführend. Der nächste Abschnitt beschreibt die gesellschaftspolitische, ökonomische und machtpolitische Misere, in der Sadat sein Amt übernahm und welche politischen Ambition er zu verfolgen sichte.

2.2. Die Weichenstellung f ür Sadats Außenpolitik

Maßgeblich haben die Folgen des Sechs-Tage-Krieges von 1967 die Weichen für die Politik Sadats gestellt. Das Selbstbewusstsein der ägyptischen Armee und des gesamten Landes litt an der Schmach der katastrophalen Niederlage und sannen auf Rache. Mit den israelischen Gebietsbesetzungen gewann der Konflikt zusätzlich eine territoriale Dimension.

Nachdem Sadat das Amt des Präsidenten übernommen hatte,22 steckte er sich - zumindest in seiner Monographie - die Ziele, „ alle [unsere] Schwierigkeiten und Nöte überwunden zu haben: die totale militärische Niederlage, eine zusammenbrechende Wirtschaft und eine erstickende politische Isolation “.23 Vorderstes Ziel blieb aber – wie in der Einleitung deutlich hervorgehoben - die Schande der Niederlage vom Sechs-Tage-Krieg zu beseitigen. Sadat erweckt in seinem Werk den Eindruck, dass eine Beseitigung der Niederlage auch die politischen und wirtschaftlichen Probleme lösen wird.24

Sadat stand zu Beginn seiner Regierungszeit unter enormen wirtschaftlichen Druck. Die ökonomische Lage Ägyptens war in den 70er Jahren desaströs. Die Inflation lag bei 30%, das Bruttosozialprodukt war niedrig, die Verteidigungsausgaben extrem hoch und die jährlichen Zahlungsbilanzdefizite mussten ausgeglichen werden. Die konsequente Verfolgung der Planwirtschaft nach sozialistischem Muster hatte diese Misere herbeigeführt.25 Sadat resümiert für sich, dass sie „ mit krasser Dummheit, das sowjetische Muster des Sozialismus kopiert “ haben ohne die dafür notwendigen Voraussetzungen zu erfüllen. Die entehrende Niederlage hatte der Wirtschaft den Rest gegeben wurde.26

Pawelka fasst in seiner Monographie das Primat von Sadats Außenpolitik in wirtschaftlicher Hinsicht prägnant zusammen, die auf eine „ Liquidation der Kriegswirtschaft und die Wiederaufnahmen in die wirtschaftlichen Austauschbeziehungen des Weltkapitalismus “ abzielte. Der Schlüssel dazu, die USA aus der einseitigen Parteinahme für Israel und zu Wirtschaftshilfen zu bewegen, war das ägyptisch-israelische Verhältnis, da Israel für die arabisch-metropolitanen Beziehungen einen imperialistischen Faktor darstelle und man mit ihm eine Einigung über die Inhalte der Resolution 242 erzielen musste.27

Die Verhandlungen um die UN-Resolution 242 vom 22. November 1967, die, wie erwähnt, einen Abzug der israelischen Streitkräfte aus den im jüngsten Konflikt okkupierten Territorien und eine gerechte Lösung des Flüchtlingsproblems vorsah,28 verliefen ergebnislos, nachdem der anhaltende Abnutzungskrieg zwischen Israel und Ägypten am Suezkanal und an der jordanischen Front immer neue Höhepunkte erreicht hatte. Das Flüchtlingsproblem verschärfte sich durch die zunehmende Radikalisierung palästinensischer Bewegungen zu Terrorgruppen, die weltweit agierten. Die Anerkennung Israels war mit den vier verabschiedeten Grundsätzen der Gipfelkonferenz von Khartoum und der radikalen Haltung Nassers in weite Ferne gerückt, während die Sowjetunion zum ideologischen Fürsprecher der meisten arabischen Staaten avancierte.29 Der Verlauf und die Folgen des Rogers-Plans werden im Kapitel: „Die Beziehungen zu den USA“ ausführlich behandelt. An dieser Stelle reicht es darauf hinzuweisen, dass dieser Plan einen weiträumigen Rückzug der israelischen Truppen aus den im Junikrieg eroberten Gebieten vorsah und somit allein deshalb die Ablehnung des Plans durch Israel beschlossen war.

Sadat konkludiert er in seinem Buch ernüchternd, dass „ unsere Beziehungen zu den arabischen und westeuropäischen Ländern ebenso wie jene zu den USA auf einen Tiefpunkt angelangt waren “.30 Er wusste, dass die limitierten Ressourcen Ägyptens einer Restrukturierung der Außenpolitik im Weg stand und band, wenn auch mit einer anderen politischen Ausrichtung, die Außenpolitik passend zu der neopatrimonialen Herrschaftsstruktur Nassers an seine Person. Aufgrund dieser Umstände verfolgte Sadat folgende politische Ambitionen.31 Erstens mussten die Inhalte der UN-Resolution 242 umgesetzt werden. Besonders die verlorengegangenen Gebiete galt es wiederzugewinnen, um dem Land das Selbstbewusstsein wiederzugeben. Die Verhandlungen um diesen Punkt sind ein wesentlicher Moment, der zum Oktoberkrieg geführt hat.

Um diesem Ziel näher zu kommen, musste, zweitens, die Beziehung zu Washington verbessert werden. Die amerikanische Administration war – im Gegensatz zur Sowjetunion – allein dazu in der Lage, auf Israel Einfluss nehmen zu können. Voraussetzung dafür war eine Distanzierung Ägyptens von der Sowjetunion. Doch hatte die Sowjetunion mit großen finanziellen Aufwand und Rüstungslieferungen es nach der Niederlage 1967 unterstützt. Auf diese Unterstützung war Sadat angewiesen, sollten eine friedliche Beilegung nicht gelingen.

Dafür galt es, drittens, den permanenten Kriegszustand mit Israel, auch aus ökonomischen Gründen, zu beenden. Viertens mussten die chronischen Zahlungsbilanzprobleme gelöst und die Finanz- und Wirtschaftshilfen der westlichen Industriestaaten erschlossen werden. Auch deshalb suchte man die Nähe zur USA. 32

Doch welche Entwicklungen und Ereignisse haben bei der Verfolgung dieser Ziele dazu geführt, dass an deren Ende der Oktoberkrieg stattfand? Blieb er als letzte Möglichkeit übrig oder war er von Beginn an fester Bestandteil dieses politischen Kurses?

[...]


1 Vgl. El-Sadat, Anwar: Unterwegs zur Gerechtigkeit. Auf der Suche nach Identität: Die Geschichte meines Lebens, Wien u.a 1977/1978, S. 359.

2 Anm. d. Autors: Im Folgenden wird der Krieg aus Gründen der Übersicht und Wertfreiheit als Oktoberkrieg bezeichnet.

3 Vgl. Mahr, Horst: Die Rolle Ägyptens in der amerikanischen und sowjetischen Außenpolitik. Von der Suez-Krise 1956 bis zum Sechs-Tage-Krieg 1967. Exkurs: Sadats Umkehrung der Allianzen 1974, Baden-Baden 1993 (Nomos Universitätsschriften Politik 51), S. 398f.

4 Vgl. Tibi, Bassam: Konfliktregion Naher Osten. Regionale Eigendynamik und Großmachtinteressen, München 1987, S. 139.

5 Vgl. Sadat, Unterwegs zur Gerechtigkeit (1977) S. 248.

6 Vgl. Mahr, Die Rolle Ägyptens (1993) S. 393f.

7 Anm. d. Autors: Es lassen sich in den anschließenden Kapiteln daher Wiederholungen nicht vermeiden, da die außenpolitischen Ziele Sadats den Rahmen bilden, an dem er sich in den Verhandlungen mit den einzelnen Protagonisten orientieren muss und die Entwicklungen der Verhandlungen einander beeinflussen.

8 Vgl. Mahr, Die Rolle Ägyptens (1993) S. 387f.

9 Vgl. Sadat, Unterwegs zur Gerechtigkeit (1977) S. 283.

10 Vgl. Pawelka, Peter: Herrschaft und Entwicklung im Nahen Osten, Heidelberg 1985, S. 366.

11 Ebd. S. 367.

12 https://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ueber-uns (heute heißt die Zeitschrift „Internationale Politik“).

13 Vgl. Mahr, Die Rolle Ägyptens (1993) S.41.

14 Ägypten als Schnittstelle zwischen Nahen Osten und Afrika war besonders für die Expansionspolitik der UdSSR attraktiv, vgl. Ulfkotte, Udo: Kontinuität und Wandel amerikanischer und sowjetischer Politik in Nah- und Mittelost 1967 bis 1980, Rheinfelden 1981 (Historische Forschung 22) S. 149.

15 Vgl. Mahr, Die Rolle Ägyptens (1993) 43f.

16 Dieses Gleichgewicht zeigte sich in den Deeskalationsmaßnahmen der 60er Jahre: Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen 1963 und die Verträge der Strategic Arms Limitation Talks (SALT) 1972.

17 Vgl. Mahr, Die Rolle Ägyptens (1993) S. 60.

18 Ebd. 45.

19 Vgl. Hacke, Christian: Amerikanische Nahost-Politik: Kontinuität und Wandel von Nixon bis Regan, München 1985, S.7.

20 Scheben, Thomas: Ein Bündnis mit begrenzter Haftung. Ägypten im Kalten Krieg. In: Greiner, Bernd et al. (Hrsg.), Heiße Kriege im Kalten Krieg, Hamburg 2006, S. 417 (Studien zum Kalten Krieg 1).

21 Vgl. Mahr, Die Rolle Ägyptens (1993) S.56.

22 Sadat zierte sich zunächst Nassers Nachfolger zu werden. Präsidentschaftswahlen würden erst abgehalten werden, nachdem die „Folgen der Aggressionen der Israelis beseitigt sind“, vgl. Sadat, Unterwegs zur Gerechtigkeit (1977) S. 237.

23 Ebd. S. 240.

24 Vgl. Anmerkung 5.

25 Vgl. Mahr, Die Rolle Ägyptens (1993) S. 386; und Scheben, Begrenzte Haftung (2006) S. 429. Besonders Moskau zeigte sich unerbittlich, Ägypten Zahlungserleichterungen zu gewähren.

26 Vgl. Sadat, Unterwegs zur Gerechtigkeit (1977) S. 246.

27 Vgl. Pawelka, Herrschaft und Entwicklung (1985) S. 361f, hier 362.

28 Vgl. Bunzl, Der Nahost-Konflikt (1981) S. 220. Erschwerend kam hinzu, dass Israel Friedensverhandlungen von der Anerkennung seiner Existenz abhängig machte und künftige Grenzziehungen zur Diskussion gestellt werden müssen d.h. die besetzten Gebiete werden – wenn überhaupt- nicht bedingungslos zurückgegeben. Dieselben Punkte werden auch Gegenstand in den Verhandlungen nach dem Oktoberkrieg sein, vgl. Hacke, Amerikanische Nahost-Politik (1985) S. 11.

29 Ebd. S. 10.

30 vgl. Sadat, Unterwegs zur Gerechtigkeit (1977) S. 240.

31 Vgl. Mahr, Die Rolle Ägyptens (1993) 387;

32 vgl. Pawelka, Herrschaft und Entwicklung (1985) S. 362.

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Die Außenpolitik Anwar Sadats zwischen 1970 und 1973 und ihre Implikationen für den Oktoberkrieg
Hochschule
Universität Münster
Autor
Jahr
2016
Seiten
32
Katalognummer
V899399
ISBN (eBook)
9783346212467
ISBN (Buch)
9783346212474
Sprache
Deutsch
Schlagworte
anwar, außenpolitik, implikationen, oktoberkrieg, sadats
Arbeit zitieren
Jan Niklas Weinhagen (Autor:in), 2016, Die Außenpolitik Anwar Sadats zwischen 1970 und 1973 und ihre Implikationen für den Oktoberkrieg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/899399

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