Nekropolen von Pompeji - Die Grabbauten vor dem Herkulaner Tor


Hausarbeit, 2007

37 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Antikes Friedhofswesen
2.1. örtliche Beschränkungen
2.2. Entwicklung der römischen Gräberstraßen
2.3. Die Straße vor dem Herkulaner Tor

3. Bestattungsformen

4. Grabmonumente
4.1. Grabtypen in Pompeji
4.2.1. Stelen in Hermenform
4.2.2. Scholae und Exedren
4.2.3. Altäre
4.2.4. Mehrstöckige Bauten

5. Weiterführende Fragen
5.1. Gräberarchäologie und Jenseitsvorstellungen
5.2. Gräber und Stadtgeschichte

6. Zusammenfassung, Schlussfolgerungen, Kommentar

7. Literatur und Abbildungsnachweis
7.1. Literatur
7.2. Abbildungsnachweis

Dies ist die Schar, die keiner barg im Grabe,

Der Ferge dort ist Charon; die er fährt,

Sind die Begrabenen; denn vom grausen Ufer

Darf er durch Stromesbrausen keine fahren,

Eh ihr Gebein in Grabesfrieden ruht.

(Vergil: Aeneis, Buch VI)

1. Einleitung

Im Jahre 1748, mehr als eineinhalb Jahrtausende nach dem katastrophalen Vesuvausbruch des Jahres 79 n. Chr., bei dem die antiken kampanischen Städte Pompeji und Herkulaneum unter einer Decke von Asche und Bimsstein bzw. Schlamm begraben wurden, lösten „Zufallsfunde“[1] die Ausgrabungen am antiken Pompeji aus. Bereits während der ersten Grabungen nahm man dabei den Bereich vor dem Herkulaner Tor ins Visier, in dem heute auf gut 250 Metern Länge die „via dei sepolcri“, die antike Gräberstraße vor dem ehemals bedeutenden westlichen Zugang der zerstörten Stadt, zu besichtigen ist. Nach etwa 120 Metern, von der Stadt aus betrachtet, zweigt eine zweite Straße nach Nordwesten ab, die in der Forschungsliteratur allgemein als via superior bezeichnet wird.

Vom Herkulaner Tor aus führte der Weg den Reisenden der Antike entlang an Vorstadtvillen, sogenannten villae suburbanae, in Richtung der reichen, großen Städte Kampaniens, Capua, Nola, und Neapolis. Von der etwas kleineren Stadt Herkulaneum, die nur etwa 15 km entfernt auf der anderen Seite des Vulkans lag erhielt das Herkulaner Tor seinen Namen. Auch der Landweg nach Rom muss an diesem Tor mit seinen 3 Durchgängen, einem für Wagen in der Mitte und zweien für Fußgänger an den Seiten begonnen haben. Zwischen den villae suburbanae und den übrigen Nutzbauten fanden die Ausgräber der vergangenen 3 Jahrhunderte bislang etwa 30 monumentartige Bauten verschiedenster architektonischer Typen, deren Bestimmung als geltungssüchtige Grabmarkierungen trotz der großen Typenvielfalt nur selten schwer fiel. In einem Fall hatte die militaristische Romantik des 19. Jahrhunderts ein Grabmonument, dasjenige, das der Stadtmauer am nächsten stand, zu einem Wachhäuschen werden lassen[2], in dem, so die Legende, das Skelett eines treuen Soldaten, noch mit Lanze in der Hand, gefunden worden sei, der selbst angesichts des wütenden Vulkanausbruchs seinen Posten nicht verlassen hatte[3]. Durch die Zusammenführung der bei frühen Grabungen verstreuten Funde konnte aber auch diese Verwirrung beseitigt werden[4].

Während die frühen Grabungen eher dem bergmännischen Abbau von Kunstgegenständen glichen, setzte gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein Gesinnungswandel ein: Man begann sich zunehmend für das archäologische Ensemble zu interessieren und gab die Praxis auf, bereits durchwühlte Areale rasch wieder zuzuschütten[5]. Man vermutet jedoch auch praktische Gründe hinter diesem Wandel. So blieben in den Jahren 1763 und 1764 entdeckte Reste von Grabbauten offen, während man 1775 entdeckte Reste der Ciceronenvilla wieder zuschüttete. Die Villa lag auf einem fremden Grundstück, über das die Ausgräber nicht frei verfügen konnten[6]. Die umfangreichsten Grabungen an der Gräberstraße fanden zwischen 1806 und 1813 unter der Herrschaft der Franzosen statt, die offenbar unter Anwendung des Siegerrechts radikal die Grundstücksverhältnisse reformierten. Dazu kam, dass sich die Königin Caroline persönlich für die Grabungen interessierte und diese vorantrieb. „Bis zum Ende des Jahres 1813 waren auf diese Weise alle Gräber südlich und nördlich der Straße freigelegt“[7]. Für den Rest der fast 2 Jahrhunderte bis heute fanden nur noch kleinere Detailgrabungen sowie Restaurierungs- und Erhaltungsmaßnahmen statt. Die letzte Grabung förderte 1940 zwei samnitische Kastengräber zutage.

Das Interesse an den ausgegrabenen Gegenständen, Gebäuden und Gebäudeteilen hat sich seit dem 18. Jahrhundert grundlegend gewandelt. Zunächst war man nur auf der Suche nach Museumsstücken. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich der Wunsch, sich eine (möglichst romantische) Vorstellung von der verehrten römischen Antike machen zu können. Im Zuge dieser Entwicklung begann man auch die Ruinen als „Touristenattraktion“ stehen zu lassen, zu rekonstruieren und zu pflegen. Die Frühzeit der wissenschaftlichen Archäologie zeitigte ein außerordentliches Interesse an kunstgeschichtlichen Fragen, Typologien und Stilreihen, das der heutigen Wissenschaft immer noch den Vorteil bietet, dadurch über ausgeprägte Materialsammlungen und detaillierte Beschreibungen zu verfügen. Außerdem bietet die kunsthistorische Analyse eine gute Grundlage für relativchronologische Datierungsmethoden. Erst seit kurzer Zeit hat die Klassische Archäologie begonnen, zu versuchen, Grabfunde in übergeordnete Zusammenhänge einzuordnen. Eine gute Zusammenfassung moderner Tendenzen der Gräberforschung findet sich bei Hölscher. Er sieht insbesondere zwei unterschiedliche Aspekte im Vordergrund: „zum einen die eher technische Nutzung von Grabzusammenhängen zur Erarbeitung zuverlässiger Chronologiesysteme, zur Klärung siedlungsgeschichtlicher, demographischer und medizinhistorischer Fragen, zum anderen die sozialgeschichtliche und religionsgeschichtliche Auswertung der in den Grabbauten implizierten Sinnstrukturen“[8]. Das all diese Fragen hier nicht in ihrer ganzen Bandbreite behandelt werden können, liegt auf der Hand. Dennoch soll versucht werden, den laut Hölscher gewachsenen Ansprüchen des Faches und einer gewünschten Verknüpfung mit den Nachbarwissenschaften gerecht zu werden. Wenn also in den folgenden Darlegungen gewisse Aspekte und Detailfragen in den Bereichen Architektur und deren Verzierungen vernachlässigt werden, so geschieht dies im Interesse eines übergeordneten Erkenntnisgewinns. Wir wollen erfahren, wie sich der Umgang der Römer mit dem Tod und den Toten und ihre Einstellung dazu in den archäologischen Zeugnissen widerspiegeln.

Im folgenden Abschnitt wird deshalb zunächst mit einigen Hinweisen über das römische Friedhofswesen begonnen, die letztlich auf die Frage hinauslaufen, an welchen Orten innerhalb des Siedlungsraumes die Friedhöfe angesiedelt wurden. Anschließend wird in 2.1 der Begriff der Gräberstraße diskutiert und in 2.2 die Straße vor dem Herkulaner Tor vorgestellt, die hier von zentralem Interesse ist. Es folgt in Abschnitt 3 ein Exkurs über römische Bestattungsformen, der zeigen wird, dass zu Beginn der hier behandelten Epoche ein Wandel erfolgt ist. Abschnitt 4 widmet sich endlich den einzelnen in Pompeji entdeckten Grabtypen. Hier werden auch bereits Strategien der Selbstdarstellung diskutiert und gezeigt, wie man die Grabmonumente nutzte, um die soziale Ordnung der Welt der Lebenden zu zementieren oder zu idealisieren. Im letzten Abschnitt werden noch 2 weiterführende Fragen behandelt. Zum ersten: Was sagen uns die Grabmonumente über die Jenseitsvorstellung, und somit über die Religion der Römer? Zum zweiten: Was kann man an der Gräberstraße über die Besiedlungsgeschichte der Stadt ablesen?

Die für diese Arbeit wichtigste Monographie ist Valentin Kockels „Die Grabbauten vor dem Herkulaner Tor“. Hier werden die Funde im Katalog vorgestellt und in einem vorangestellten Teil auch hinsichtlich weiterführender Gedanken befragt. Henner von Hesberg behandelte in einer Monographie „Römische Grabbauten“ im gesamten Römischen Reich. Jocelyn M. Toynbees Buch „Death and Burial in the Roman World“ zeigt, dass die angelsächsische Wissenschaft längst den Nutzen der Interdisziplinarität erkannt hat und widmet sich ebenso archäologischen wie kulturhistorischen Fragen. Für die Frage nach der Stadtgeschichte Pompejis konnte Kockels Aufsatz „Im Tode gleich?...“ verwendet werden. Zum Standardnachschlagewerk der Pompeji- Forscher gehört offenbar längst Paavo Castrens Studie „Ordo Poulusque Pompeianus“. Sie liefert vor allem allgemeine Darstellungen zur Stadt- und Verwaltungsgeschichte, trägt wesentlich zur Identifizierung der Grabinhaber vor dem Herkulaner Tor bei und erlaubt Rückschlüsse auf deren soziale Stellung und Bedeutung für die pompejianische Gesellschaft. Weitere Literaturhinweise sind der angehängten Bibliographie zu entnehmen. Die Titel und Ämter einiger Grabinhaber werden im laufenden Text nicht erklärt. Zu diesem Zweck findet sich eine kurze Liste im Anhang.

2. Antikes Friedhofswesen

2.1. örtliche Beschränkungen

Die Reihung von Gräbern entlang der Ausfallstraßen ist bei antiken Städten keine Seltenheit. Neben solchen Gräberstraßen existierten auch andere Friedhofsformen. Dazu gehören in sich geschlossene Nekropolen, die eher unseren modernen Friedhöfen glichen, Familienfriedhöfe auf den Landgütern gut situierter Adelsgeschlechter ebenso wie schäbige Beerdigungsplätze für Arme, für die die Bezeichnung „Entsorgungsgruben“ passender wäre. Die Römer verwendeten den Begriff puticuli, was soviel bedeutet wie “Verrottungsgruben”. Auf dem römischen Hügel Esquilin befand sich ein Armenfriedhof, der mit Grenzsteinen markiert war und etwa 300 x 90 m umfasste. Um den Ort rankten sich Gruselgeschichten aller Art. Geister und Hexen sollen dort ihr Unwesen getrieben haben. Die Berichte über ein vermehrtes Auftreten von Aasfressern dürften sogar der Wahrheit entsprochen haben. Die minimale Anforderung für ein Begräbnis, „ein bisschen Erde“ auf die Leiche zu werfen[9], ist hier, den Berichten zufolge, häufig nicht nennenswert überschritten worden. „Bei Ausgrabungen auf dem Esquilin sind 75 solcher puticuli gefunden worden. Sie enthielten Überreste menschlicher Leichname neben Tierkadavern und Müll“[10].

Eines ist jedoch den meisten dieser Friedhofsformen gemeinsam: Sowohl die Griechen als auch die Römer achteten darauf, dass keine Bestattungen innerhalb der Stadtmauern ausgerichtet wurden. Der Grund hierfür mag gewesen sein, dass, wie Toynbee es ausdrückt, es eine der zugrundeliegenden Annahmen aller römischen Bestattungspraxis war, dass der Tod eine Verschmutzung verursache[11]. Neben dem unangenehmen Geruch wird sich die Erkenntnis verbreitet haben, dass das offene Herumliegen von Leichen die Ausbreitung von Krankheiten begünstigte. Dabei standen die Römer vor dem gleichen Problem wie alle vorindustriellen Gesellschaften: Da man das Wissen über Mikroorganismen und die Ausbreitungswege von Krankheiten noch nicht besaß, mussten andere Erklärungsmuster gefunden werden. Nicht anders, als es beispielsweise die Christen noch bis in die Neuzeit hinein taten, griff man dabei gerne auch auf religiöse bzw. „abergläubische“ Ideen zurück. Wie genau diese Vermutungen bei einzelnen Römern[12] aussahen, ob man etwa das Wirken der lemures, der Geister der ohne Angehörige Verstorbenen, oder der Geister der Unbeerdigten oder gar die Rache der Götter für mangelnde Frömmigkeit[13] verantwortlich machte, lässt sich hier nicht klären und würde ohnehin den Rahmen sprengen. Fest steht, dass sich Menschen die, etwa bei einer Bestattung, in Kontakt mit Toten gekommen waren, ausgeklügelten Reinigungsritualen zu unterwerfen hatten[14], deren Sinnhaftigkeit aus heutiger medizinischer Sicht natürlich fragwürdig ist. Es verwundert für eine vorindustrielle Gesellschaft kaum, dass auch die Maßnahmen gegen solche „Verunreinigungen“ in metaphysischer Terminologie erklärt werden. Die Grenze, die in römischen Städten als Abschirmung gegen die Welt der Toten verwendet wurde, war das pomerium, die sakrale Stadtgrenze. Die Bedeutung und die Etymologie des Wortes pomerium waren bereits in der Antike strittig. Manchmal benannte es eine Linie hinter den Mauern (post/pone murum), manchmal vor den Mauern (promoerium). Ursprünglich bezeichnete man die nach dem mythischen Stadtgründungsritual mit einem Pflug gezogene Furche um den Siedlungsplatz mit dem Begriff pomerium. Nur selten verlief diese Linie wirklich parallel zur Stadtmauer und ebenso selten wurde sie vergrößerten Siedlungsverhältnissen angepasst. In Pompeji verlief das pomerium etwa 100 Fuß, also knapp 30 Meter vor der Stadtmauer. Nach einem Passus aus dem Zwölftafelgesetz von 450/451 v. Chr., der auch in allen römischen Städten weitgehend eingehalten wurde, waren Begräbnisse innerhalb dieses Bannkreises streng genommen illegal. Es hatte allerdings schon immer Ausnahmen gegeben. Heroen, Stadtgründer und besonders verdiente Personen konnten auch Ehrengräber innerhalb des pomerium erhalten.

2.2. Entwicklung der römischen Gräberstraßen

Die römische Gesetzgebung, getrieben von der Furcht vor sakraler Verunreinigung, drängte also das Bestattungswesen vor die Tore der Städte. Die Erscheinungsform, die heute mit dem Ausdruck „Gräberstraße“ bezeichnet wird, ist allerdings das Ergebnis einer Entwicklung, die erst in der späten Republik, also etwa ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. begann. „Frühere Gräber der großen Familien lagen in Rom, wie in großen hellenistischen Metropolen, verstreut in einer gartenartigen Vorstadtlandschaft, selbst wenn sie bereits eine repräsentative Fassade aufwiesen“[15]. Es existieren zwar ausreichende Indizien, um anzunehmen, dass abseits dieser exklusiven Adelsfriedhöfe Angehörige breiterer Bevölkerungsschichten entlang der Ausfallstraßen beigesetzt wurden, aber von einer „Gräberstraße“ spricht die Forschung nur im Zusammenhang mit einer Aufreihung monumentaler Grabbauten der Oberschicht, die an möglichst prominenten Stellen der Straße um die Gunst des Betrachters konkurrieren. Von Hesberg und Zanker halten allerdings den Begriff „Gräberstraße“ in jedem Falle für irreführend, denn: „Die Straßen waren keine Friedhofsstraßen, sondern die Grabbauten wurden an die Überlandstraßen gebaut, um gesehen zu werden“[16]. Die Grabmonumente der Zeit zwischen später Republik und früher Kaiserzeit waren also nicht, wie etwa ein christlicher Friedhof, Orte, die der stillen Andacht gewidmet waren, sondern sie wurden bewusst in das öffentliche Leben integriert, um ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit für das Monument, seinen Erbauer und dessen Familie zu erlangen. Oft standen die Grabmonumente, wie auch das Beispiel Pompeji zeigt, zwischen suburbanen Villen, Läden und Werkstätten verstreut.

Als Zweck dieser auffälligen Grabgestaltung kann man kaum etwas anderes annehmen als das, was von Hesberg „extrovertierte Selbstdarstellung[17] “ nennt. Die Tatsache, dass bis zum 2. Jh. v. Chr. kaum größere Grabarchitekturen überliefert sind, danach aber ein regelrechter Bauboom einsetzt, führt von Hesberg auf einen tiefgreifenden Wandel in der Gesellschaft zurück. „Die wirtschaftliche Prosperität nach dem 2. punischen Krieg und die Beute aus den Eroberungen in Ost und West erlaubten den Mitgliedern der alten Nobilität und zusätzlich einer reich gewordenen Schicht von Händlern und Bürgern mit militärischer Karriere, die Städte mit aufwendigen und soliden Bauten auszustatten“[18]. Zwar lässt sich feststellen, dass ein übermäßiger Prunk an Gräbern oft der Kritik einiger Zeitgenossen ausgesetzt war, doch es gehörte zwischen dem 1. Jh. v. und n. Chr. offenbar auch zur sozialen Norm ein dem sozialen Rang angemessenes Grabmonument errichten zu lassen. Von den Kritikern wurde lediglich eine gewisse Verhältnismäßigkeit gefordert, weswegen besonders die Baumaßnahmen neureicher Freigelassener Anfeindungen ausgesetzt waren.

Die Positionierung der Gräber dieser Zeit mag ambivalent erscheinen. Zum einen verbannte die religiöse Furcht vor der Welt der Toten Bestattungen nach außerhalb der Städte. Zudem rankten sich oft Gruselgeschichten um die nächtlichen Vorgänge in den Nekropolen. Zum anderen standen sie mitten zwischen Läden und Garküchen, die gleichermaßen den Bedarf der Reisenden und der Trauernden während der Totenfeiern deckten. „Wie sehr die Grabbauten in das öffentliche Leben integriert waren, machen auch die vielen Aufschriften auf ihnen deutlich, deren Inhalt vom Lobpreis auf Prostituierte bis zu politischer Propaganda reichte“[19].

Ab dem 2. Jh. n. Chr. ist ein langsamer Wandel bei den Strategien der Selbstdarstellung zu beobachten. Während bei den hier noch zu behandelnden Monumenten der gesamte Prunk auf das Äußere des Gebäudes, meistens sogar nur auf die Straßenfront, ausgerichtet war, verlagerte sich der Luxus ab dem 2. Jh. n. Chr. zunehmend ins Innere der Gräber. Abgeschlossene und hoch ummauerte Grabbezirke und Grabgebäude erlaubten nun den Familien den Rückzug während der Totenfeiern. Von Hesberg bezeichnet den Zielpunkt dieser Entwicklung mit dem Begriff „Introvertierte Repräsentation“[20].

2.3. Die Straße vor dem Herkulaner Tor

Der Vulkanausbruch von 79 n. Chr. erwischte Pompeji also zu einer Zeit, als sich das Bestattungswesen erneut in oder kurz vor einem Umbruch befand. Anders als in Rom und anderen Städten, wo sich in der Kaiserzeit introvertiertere Formen von Nekropolen herausbildeten, die die früheren oft verdrängten und überbauten, ist in Pompeji daher die Phase der extrovertierten Grabmonumente anschaulich konserviert worden. Man hat dort vor den meisten der Stadttore zumindest im Ansatz Nekropolen ausgraben können. Die beiden am besten erforschten und am weitesten ausgegrabenen sind die Straße vor der porta nocera und die via dei sepolcri vor dem Herkulaner Tor. Letztere ist zusätzlich die durch Kockels Monographie in deutscher Sprache am aufschlussreichsten publizierte.

Wirft man einen Blick auf einen Umlandplan von Pompeji (Abbildung 1), so erkennt man, dass über das Herkulaner Tor die Stadt in Richtung der größten kampanischen Städte und, wie bereits erwähnt, auch in Richtung Rom verlassen wurde. Diese Einsicht lässt die Vermutung zu, dass es sich bei der via dei sepolcri um eine der belebtesten und somit für den Drang nach Selbstdarstellung geeignetsten Ausfallstraßen handelte. Die Straßen nach Osten und Süden dagegen führen zwar ebenfalls zu wichtigen Handelspartnern Pompejis, die aber doch im Vergleich zu den nordwestlichen Beziehungen eher provinziellen Charakter hatten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Über die Bebauungsgeschichte der Straße vor dem Herkulaner Tor kann größtenteils nur spekuliert werden da, wie Kockel anmerkt, nur selten Tiefgrabungen durchgeführt wurden, die unter das Niveau von 79 n. Chr. schürften[21]. An verschiedenen Stellen wurden jedoch sogenannte samnitische fossa- Gräber gefunden, die auf eine Bebauung der Straße mit Gräbern vor dem Erscheinen der monumentalen römischen Bauten hinweisen. Sie sind wesentlich bescheidener ausgestattet und oft nur durch Ziegel markiert. Im Unterschied zu den römischen Monumenten, die seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. auftauchten, sind die Toten der samnitischen Zeit nicht verbrannt, sondern in Körperbestattung beigesetzt worden. Die großen Grabbauten erscheinen in Pompeji etwa zur Zeit der Koloniegründung Sullas 80 v. Chr. Auf die Bebauungsgeschichte dieser Phase bis zum Ende der Stadt 79 n. Chr. wird in einem späteren Abschnitt noch detaillierter eingegangen.

[...]


[1] Kockel, Valentin: Die Grabbauten vor dem Herkulaner Tor in Pompeji, Mainz 1983, S. 4.

[2] Das Grab Süd 1 befindet sich in der Tat in einer Position, die eine solche Assoziation zuläßt.

[3] Kockel, S. 49.

[4] Kockel, S.49.

[5] Kockel, Valentin: Die Grabbauten vor dem Herkulaner Tor in Pompeji, Mainz 1983, S. 5.

[6] Kockel S. 4.

[7] Kockel S. 6.

[8] Hölscher, Tonio: Klassische Archäologie; Grundwissen, Darmstadt 2002, S. 137.

[9] Toynbee, Jocelyn M.: Death and Burial in the Roman World, Ithaca; London 1971, S. 43. Alle Übersetzungen aus diesem Werk sind meine eigenen. Hier sinngemäße Wiedergabe.

[10] Weeber, Karl- Wilhelm: Alltag im alten Rom, Düsseldorf; Zürich 1997, S. 113.

[11] Toynbee. S. 43.

[12] Mit einer einheitlichen Sichtweise in derartigen Fragen ist bei den Römern ohnehin nicht zu rechnen (Vgl. Abschnitt 5.1.)

[13] In der Illias des Homer wird eine ganze Gesellschaft (die der Griechen) für das unfromme Verhalten ihres Anführers durch Apollon mit der Pest bestraft. Allerdings steht hier Agamemnons Fehlverhalten nicht im Zusammenhang mit dem Totenkult.

[14] Toynbee, Jocelyn M.: Death and Burial in the Roman World, Ithaca; London 1971, S. 43.

[15] Zanker, Paul; von Hesberg, Henner (Hrsg.): Römische Gräberstraßen; Selbstdarstellung – Status – Standard, München 1987, S. 9.

[16] Zanker; von Hesberg, S. 9.

[17] Von Hesberg, Henner: Römische Grabbauten, Darmstadt 1992, S. 22.

[18] Von Hesberg, S. 22.

[19] Von Hesberg, Henner: Römische Grabbauten, Darmstadt 1992, S. 17.

[20] Von Hesberg S. 42.

[21] Kockel, Valentin: Die Grabbauten vor dem Herkulaner Tor in Pompeji, Mainz 1983, S. 11.

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Nekropolen von Pompeji - Die Grabbauten vor dem Herkulaner Tor
Hochschule
Universität Rostock  (Heinrich- Schliemann Institut für Altertumswissenschaften)
Veranstaltung
Pompeji
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
37
Katalognummer
V89877
ISBN (eBook)
9783638043922
ISBN (Buch)
9783638940856
Dateigröße
3829 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nekropolen, Pompeji, Grabbauten, Herkulaner, Pompeji
Arbeit zitieren
Bakkalaureus Artium (B.A.) Jens Nagel (Autor:in), 2007, Nekropolen von Pompeji - Die Grabbauten vor dem Herkulaner Tor, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89877

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