Turkmenen und Muslime in Mittelasien


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

29 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


INHALTVERZEICHNIS

A. EINLEITUNG

B. DIE TURKMENEN IM 19 Jh. IN MITTELASIEN
a. Tchaudor Turkmenen
b. Ersari Turkmenen
c. Alieli Turkmenen
d. Kara Turkmenen
e. Salor Turkmenen
f. Sarık Turkmenen
g. Teke Turkmenen
h. Göklen Turkmenen

C. DIE OSMANISCHE DIPLOMATIE IM 19.Jh. IN TURKMENISTAN

D. MODERNISIERUNGSPROZESS IM REICH UND REISE NACH „OUTBACK“ DER MUSLIME
a. Das Reich in Wende
b. Reise von Mehmet Emin nach Mittelasien „Outback der Muslime“

E. SCHLUßBETRACHTUNG

LITERATURVERZEICHNIS

A. EINLEITUNG

Mit dem Jahr1453, in dem Konstantinopel in die Hände der Osmanen fiel, begann eine neue Ära in der Weltgeschichte, insbesondere für die Osmanen. Bisher hatte man die Osmanen in Europa nicht beachtet und glaubte nicht einmal, dass sie Konstantinopel einnehmen könnten. Es war eine Wende, mit der die Osmanen eine neue Aussicht zur Welt bekamen und die Europäer eine neue Vorstellung von den Osmanen. Danach kam immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den Europäern und Osmanen und anderen nach dem Fall von Konstantinopel eroberten Ländern. Neue Eroberungen beschleunigten noch mehr die Ausbreitung der Osmanen nach Westen und Osten. Somit breiteten sich die Osmanen im 16. Jahrhundert von Ägypten bis zu Balkan aus und waren Herrscher dreier Kontinente.

Für die Osmanen war jedes Gebiet, das noch nicht erobert worden war, ein Gebiet, das erobert werden sollte. Das Hauptziel war das Erobern des nächsten Landes bzw. Gebietes und danach des nächsten. Und wenn ein Gebiet erobert worden war, wurde die Bevölkerung des eroberten Landes ausgeplündert, zum Abgeben von Steuern und zum Konvertieren zum Islam gezwungen. Obgleich in der heutigen Türkei behauptet wird, dass die Osmanen die Religion und Kultur der eroberten Länder respektierten haben, war es in Wirklichkeit nicht so.

Was die Osmanen verachteten, war das Kennenlernen und Respektieren der fremden Kulturen. Sie versuchten nicht andere Staatssysteme zu untersuchen, zu analysieren und daraus neue Staatesformen für sich selbst zu schaffen. Hier glaube ich, dass der große Machtbesitz und übertriebenes Selbstbewusstsein die Osmanen blind machte. Es ist vielleicht auch eine Notwendigkeit, dass sich ein Feudalreich mit Großgrundbesitz sich so darstellte. Aber diese Vorstellung brachte sie an den Punkt, an dem sie den ganzen Rest der Welt als Feinde betrachteten und sich als einzige Verteidiger des Islam sahen.

In weiteren Phasen wurde außer dem „Saray“1 und ihrer Verbündeten jede kleinere Macht, jedes Nachbarland, die Bauern und alle diejenigen, die einen anderen Glauben hatten, als eine potentielle Gefahr, als die „Anderen“ und gleichzeitig als Feinde -„Düşman“- angesehen. Genau betrachtet, gab es selbst in „Saray“ gegenseitiges Misstrauen zwischen den Brüdern, was später sogar als Brudermord legitim geworden ist. Hier stellt sich die Frage, wer die „Osmanen“ und wer die„Anderen“ eigentlich sind? Oder was kann man unter „Osmanen“ und den „Anderen“ verstehen? Warum gibt es hier eine Spaltung?

Wenn im Reich Andersgläubige, Kızılbaschs, Bauern, Nachbarländer und Kurden gleichermaßen als die „Anderen“ angesehen wurden, heißt dies, dass die Osmanen die „Saray-Ahalisi2 “ und diejenigen, die außerhalb Sarays waren, die „Anderen“ gewesen sind: Habsburger Kaiser, Kurden, Kızılbaschs, Aufständische, Österreicher, Byzantiner, Turkmenen in Mittelasien, Giauren in Ungarn und noch weitere. Somit betrachteten die Osmanen nicht nur andere Nationen, sondern auch ihre eigenen Bevölkerungsgruppen und auch zum Teil Muslime als „Anderen“. Also: was ist hier der Hintergrund des Begriffes „Andere“ und aus welchem Grund wurden diese als die „Anderen“ gesehen? Wenn man an die Massenvernichtungen von Kızılbaschs durch Yavuz Sultan Selim im 16.Jahrhundert und an die Massenvernichtungen von Bauern in Anatolien durch Sadrazam Kuyucu Murat Pascha am Anfang des 17.Jahrhunderts denkt, kommt man auf die Idee, dass für die Osmanen alle oppositionellen Mächte. Ob sie Muslime waren oder nicht oder im Reich lebten oder außerhalb des Reiches, spielte dabei keine große Rolle.

Hier klingt vielleicht die Auslegung des Begriffes „Andere“ übertrieben. Aber in der Tat scheint diese zutreffend.

In dem Punkt fragt man sich, warum die Turkmenen als die „Anderen“ gesehen wurden, obwohl sie nicht als Feinde galten. Hier gewinnt somit der Begriff „Andere“ ein neue Bedeutung. Das heißt, die Osmanen betrachteten jeden als die „Anderen“, den ihnen nicht diente. Im 19.Jahrhundert merkten die Osmanen, dass ihnen vieles entging, was die Modernisierung des Reiches erforderte. In dem Moment beginnt die Geschichte der Kennenlern-Versuche der „Anderen“. Die Osmanen begonnen, in andere Länder zu reisen und dort zu erfahren, wer die „Anderen“ überhaupt sind. Hier muss auch erwähnt werden, dass die Osmanen durch diplomatische Beziehungen von den „Anderen“ eine gewisse Vorstellung hatten. Aber diese basierte lediglich auf den Berichten der Diplomaten „ Sefaretnâmele r“*, die nur das subjektive Daten der Diplomaten und Daten, die nicht ausreichend waren, um das betreffende Land genau kennen zu lernen, beinhalteten. Deswegen waren die Reiseberichte der damaligen Reisenden, die einen Überblick über das betreffende Land gaben, sehr wichtig.

Die Beziehungen der Osmanen zu den Turkmenen gestalteten sich im 19. Jahrhundert genauso wie zu den Anderen. Sie waren sogar noch schlechter, da das Iranische Reich und die Russen das Gebiet, welches Kontaktpunkt der Osmanen mit den Turkmenen sein sollte, blockierten. Daher konnten die Osmanen ganz selten mit den Turkmenen Kontakt aufnehmen. Deswegen waren Reisen nach Mittelasien genau so wichtig wie andere Reisen, da sie ermöglichten, wie Ahmet Mithat Efendi meinte, die eigenen “Stammesangehörigen“ kennen zu lernen.

Hier möchte ich besonders großen Wert auf die Reise von Mehmet Emin nach Mittelasien legen, da die Osmanen erfahren konnten, wie ihre ursprünglichen Stammesangehörigen aussahen, lebten und sich in sechs Jahrhunderten verändert haben. Deswegen liegt es mir sehr am Herzen und betrifft im Ganzen meine Arbeit, mich mit der Reise nach Mittelasien zu beschäftigen.

Wer waren und wo lebten die Turkmenen? Wie fanden die Osmanen die Turkmenen? Wie fanden die Europäer die Turkmenen ? Warum sind aus der Sicht der Osmanen die Turkmenen als die „Andere“ betrachtet worden, obwohl sie ihre Vorfahren waren? Oder betrachteten sie die Turkmenen doch als ihre Vorfahren? Wie sahen sie sich selbst? Wie sahen die Turkmenen die Osmanen? Hat es unterschiedliche Meinungen gegeben oder nicht? Wie verhielten sich die Osmanen gegenüber den Turkmenen? Welche Unterschiede und Ähnlichkeiten gibt es zwischen den Osmanen und den Turkmenen? Gibt es für die Osmanen ein einheitliches Bild der Turkmenen oder nicht? Diese und weitere Fragen werden Arbeitsfeld dieser Arbeit sein.

Bevor ich diese Fragen in meiner Arbeit zu beantworten versuche, werde ich mich mit der demographischen Struktur der Turkmenen befassen, um die Grundlage für die Beantwortung dieser Fragen zu schaffen.

Hier wird uns das Buch des berühmten ungarischen Turkologen A. Vambery „Travels in Central Asia“ einen guten Überblick geben. Es vermittelt uns präzise Fakten über Mittelasien und die Turkmenen und präsentiert uns gleichzeitig die Vorstellung der Europäer von den Turkmenen.

B. DIE TURKMENEN IM 19 Jh. IN MITTELASIEN

Die Turkmenen spielten in der Vergangenheit sehr eine wichtige Rolle unter den Völkerschaften Mittelasiens. Sie lebten zum Teil als Nomaden und zum Teil als Sesshafte in Mittelasien und schufen sich niemals ein einheitliches Land, bis zur Errichtung der Sowjetunion. Sie führten ihr Leben in Gruppen in Gebieten mit Flüssen und anderen Wasserquellen. Das Gebiet Harzem 3, östlich des Flusses Amudare und westlich des Flusses Syrdarja, vom Ufer des Kaspischen Meeres bis Balkh und vom gleichen Fluss Amudare nach Süden bis zu Herat und Astrabad ist die Fläche, die von den Turkmenen bewohnt wird und wurde. Außerdem zählten die Gebiete entlang des Flusses Atrek, Goek-Tepe, Tedzen und Gorgân zu den wichtigsten turkmenischen Flächen, wo die Böden sehr fruchtbar und für die Landwirtschaft sehr geeignet waren, während die nördlichen Gebiete sehr trocken und für die Landwirtschaft gar nicht geeignet waren. Deswegen mussten hier die Reisenden wochenlang ohne ein Tropfen Wasser durch dieses Ödland reisen.4

Das Schicksal der Turkmenen wurde lange Zeit -bis zum 19.Jahrhundet- von den mittelasiatischen Feudalstaaten bestimmt. Deswegen sagen uns heute die Schriftquellen über die Geschichte der Turkmenen sehr wenig. Was heute uns ein Überblick gibt, sind leider nur wenige Reiseberichte wie das Buch Travel in Central Asia (New York, 1978) von A. Vambery, das Buch İstanbul´dan Ortaasya´ya Seyahat (Ankara, 1986) von M. Emin Efendi und Türkmenler Arasında von Henri de Couliboeuf de Blocqueville (Ankara,1986). Aus diesem Grund sind diese sehr wichtige Quellen für die Schaffung eines Bildes von den Turkmenen.

Das Klima des turkmenischen Gebietes ist im Allgemeinen sehr trocken.. Im Winter ist es extrem kalt und es schneit sehr viel, während es im Sommer sehr warm ist und Sandstürme das Leben gefährden. Dies war die Ursache für Auswanderungswellen in unterschiedliche Länder.

Die Turkmenen lebten im 19. Jahrhundert hauptsächlich von der sogenannten „Çapavul“: Räuberei. Aber Landwirtschaft, Viehzucht und- für diejenigen, die am Kaspischen Meer lebten-, Fischfang, Gewinnung von Erdöl und Salzen waren ebenfalls wichtige Wirtschaftsformen.5

Die Turkmenen lebten in diesem Jahrhundert als Nomaden, die unter sich aufgegliedert waren und als „Tâife“* genannt wurden. Dies waren insbesondere Teke-Turkmenen und Yomut-Turkmenen. Sie wohnten in Zelten und bevölkerten den Süden des turkmenischen Gebietes. Die wichtigsten turkmenischen Stämme waren folgende;

I. Tchaudor Turkmenen V. Salor Turkmenen
II. Ersari Turkmenen VI. Sarik Turkmenen
III. Alieli Turkmenen VII. Teke Turkmenen
IV. Kara Turkmenen VIII. Göklen Turkmenen
IX. Yomut Turkmenen

Um den strukturellen und demographischen Aufbau des Turkmenenvolkes genau veranschaulichen zu können, möchte ich hier auf die einzelnen turkmenischen Stämme eingehen. Dann kann man noch ein klares Bild schaffen, welches uns einen präzisen Blick auf die Lebensart und die Untergliederung der Turkmenen erlaubt.

a. Tchaudor Turkmenen

Diese bewohnten das südliche Gebiet zwischen Kaspischen Meer und Aralsee. Die Anzahl ihrer Zelte betrug etwa 12.000, was eine Bevölkerungszahl von 50.000 ergibt. Ihre bevorzugten Niederlassungsstätten waren Ürgenc, Buldumsaz, Porszu und die Umgebung der damaligen großen Stadt Khiva Im Sommer betrieben sie Ackerbau im Sommer in der Oasen und im Winter zogen sie mit dem Vieh in die dem Kulturstreifen vorgelagerten Steppen und Wüstengebiete. Sie bestanden folgende Clans -„Tâife“-:

- Abdal - Karatchaudor
- Igdyr - Burundjuk
- Essenlu - Sheikh

b. Ersari Turkmenen

Diese lebten im linken Teil des Oxus, von Tschihardschuj bis Balkh. Sie bestanden aus zwanzig sogenannten Tâife. Ihre Zelte zählten etwa 15.000, was etwa 50.000-60.000 Bewohnern entspricht. Die Ersari Turkmenen wurden von Emir von Bokhara beherrscht.

c. Alieli Turkmenen

Ihr Hauptsiedlungsgebiet war Andkhuy und sie waren der kleinste unter den turkmenischen Stämmen. Sie waren unter sich in drei Tâife gegliedert und hatten 3.000 Zelte, welche etwa 15.000 Bewohner beherbergten..

d. Kara Turkmenen

Sie gelten als kleiner aber wildeste Stamm der Turkmenen. Sie wohnten vor allem in der Nähe der Brunnen im weiten sandigen Ödland zwischen Andkhuy und Merv. Sie lebten als wilde Räuber von der Räuberei.

e. Salor Turkmenen

Sie sind der älteste Stamm der Turkmenen und waren sehr berühmt für ihre Tapferkeit. Sie hatten 8.000 Zelte und man vermutet, dass es noch mehr gewesen sind, aber durch Kriege wurde ihre Zahl stark reduziert. Trotzdem hielten sie wichtige Punkte von Merv besetzt. Heute werden sie aber immer von den Tekke Turkmenen in Martschah bedrängt. Die Salor Turkmenen bestanden auch aus mehreren Tâife und T îre*: 6

Tâife Tire

1-YalavadjYazs, Tiszi, Sakar, Ordukhodja.
2- Karaman...Alam, Gördjikli, Beybölegi.
3-Ana BölegiYadschi, Bokkara, Bakaschtlöre, Timur.

[...]


1 Wörtliche Übersetzung des „Saray“ bedeutet „Residenz“ und stammt vom persischen Wort „Serây“. Aber hier soll es als Regierende bzw. Regierung von Hauptstadt, später als Istanbul verstanden werden. (Devellioğlu, Ferit, Osmanlıca-Türkçe Anskilopedik, Ankara 1990)

2 Wörtliche Übersetzung des Begriffes „Saray Ahalisi“ bedeutet diejenigen, die im Saray sind und das Land re- gieren.

* Sefaretname war eine Art von Berichten der osmanischen Diplomaten, deren Inhalt aus den kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Fakten des jeweiligen Landes bestand. (Türk Dili ve Edebiyati Ansiklopedisi, Devirler/ Isimler/ Eserler/ Terimler, Cilt 7. Istanbul 1976, S.483f. )

3 „Harzem“ als Begriff stammt aus persischem Begriff „Xârazm-ﻡﺯﺭﺍﻮﺧ“ und gilt als Gebiet, das am südlichen Teil des Aralsees anfängt und sich bis zur afghanischen Stadt Balkh erstreckt und von den Flüssen Syrdarja und Amudare von Westen und Osten umklammert ist. (İslâm Anskilopedisi, Cilt.16. İstanbul 1997, S.217.)

4 Vambery, Arminius, Travels in Central Asia, New York 1978, S.347ff.

5 König, Wolfgang, Die Achal-Tekke, Berlin 1962, S.5ff.

* „Tâife“ als Begriff kommt aus der arabischen Sprache und bedeutet Clan, Teil. (Devellioğlu, Ferit, Osmanlıca-Türkçe Anskilopedik)

*Tîre“ als Begriff kommt aus der persischen Sprache und bedeutet Familie, Sippe, Stamm. (Junker, Heinrich F. J.- Alavi, Bozorg, Wörterbuch Persisch-Deutsch, Leipzig 1992)

6 Vambery, Arminius, Travels in Central Asia, S.349ff.

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Turkmenen und Muslime in Mittelasien
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
29
Katalognummer
V89693
ISBN (eBook)
9783638040587
Dateigröße
569 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Turkmenen, Muslime, Mittelasien
Arbeit zitieren
Kenan Engin (Autor:in), 2005, Turkmenen und Muslime in Mittelasien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89693

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