Biografiearbeit als Verfahren psychosozialer Beratung zur Bewältigung von Identitätskrisen bei älteren Menschen.


Hausarbeit, 2008

36 Seiten


Leseprobe


1. Einleitung

Wenn von „Biografie“ die Rede ist, denkt man im allgemeine an Lebensbeschreibungen von Personen deren Erinnerungen ein gewisses Interesse in der Offentlichkeit finden, entweder weil sie bekannt sind oder weil sie als Zeitzeugen uber Vergangenes berichten konnen. Auf diese AuGenwirkung von „Biografie“ kommt es bei der Biografiearbeit, als Verfahren psycho- sozialer Beratung, wenn uberhaupt, nur am Rande an. Im Mittelpunkt steht hier der sich, unter entsprechender Anleitung, seiner Lebensgeschichte bewusst werdende Mensch. Die Motivation sich auf diese Arbeit einzulassen ergibt sich aus einem Leidensdruck, wie er in psychischen Krisensituationen entsteht. Dabei ist klar, das die Problematik keinen pathologischen Charakter haben darf. Insofern handelt es sich um die Arbeit mit psychisch gesunden Personen, wenngleich neben der Bewaltigung der Krisensituation auch so etwas wie eine Krankheitspravention geleistet werden kann. Die Probleme, die zu verarbeiten sind, lassen sich mit den Begriffen Identitats- und Sinnkrisen umschreiben. Es geht also um Fragen der Selbstvergewisserung und der Erkenntnis des je eigenen Lebenssinns unter Bedingungen, bei denen dies fragwurdig geworden ist. Grundsatzlich konnen solche Probleme in allen Lebensabschnitten und unter allen Lebensbedingungen auftreten. Die Anwendung des Verfahrens in der Altenarbeit wurde deshalb als Beispiel gewahlt, weil die hierbei zu bewaltigenden Schwierigkeiten oftmals gehauft auftreten und besonders gravierend sind. Sie entstehen zumeist aus Verlusterfahrungen die schwer zu kompensieren sind. Wahrend die Ursachen psychischer Krisen in anderen Lebensabschnitten mindestens potentiell veranderbar erscheinen, sind sie im hoheren Lebensalter oftmals als gegeben hinzunehmen. Biografiearbeit soll in dieser Situation den Blick scharfen auf die Gesamtheit des Lebenszusammenhangs. Aus dieser sich ergebenden Starkung des Identitatsbewusstseins soll die Kraft entwickelt werden, die Zukunft mit moglichst hoher Lebensqualitat auf der Basis der offen gebliebenen Moglichkeiten zu gestalten.

2.Beschreibung des Problemfelds

2.1Grundprobleme alterer Menschen in der modernen Gesellschaft

Das Alter als ein Lebensabschnitt mit weitgehend gleichartigen Lebenserfahrungen vieler Menschen scheint es in der modernen Gesellschaft nicht zu geben. Ursula Lehr schreibt dazu: „ Wenn man die vielen genetischen, okologischen, psychologischen und sozialen Determinanten der physischen und psychischen Befindlichkeiten im Alter berucksichtigt, wie sie von den verschiedensten Disziplinen erarbeitet wurden, dann folgt daraus, dass es eine groGe Anzahl von „Altersformen“... geben muss" (Lehr 2000, S. 5) Geht man allerdings statt von einer gemeinsamen Lebenswirklichkeit alterer Menschen von bestimmten problematischen Situationen aus, so kann man feststellen dass diese besonders haufig im Alter zu bewaltigen sind. Neben dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben, sind zu erwahnen, die Reduktion des Familienmilieus auf die Kernfamilie, der Partnerverlust, der Wechsel in eine Wohneinrichtung und der damit verbundene partielle Verlust der Eigenstandigkeit. SchlieGlich gehort hierzu die Erfahrung korperlichen und geistigen Verfalls und das Auftreten von schwerwiegenden chronischen Erkrankungen. Ob diese Schwierigkeiten bewaltigt werden konnen oder ob sie zu psychopathologische Zustande fuhren, hangt vor allem von der Starke der Belastung, deren kognitiver Reprasentanz und den lebensgeschichtlichen Vorerfahrungen ab. Unter dem Begriff „der Kritischen Lebensereignisse" oder der stressauslosenden Lebensereignisse sind solche Fragestellungen Gegenstand psychologi- scher Forschung geworden.

2.2Kritische Lebensereignisse

2.2.1Forschungskonzepte

Obwohl es keine einheitliche Definition davon gibt, was unter kritischen Lebensereignissen verstanden werden soll, gibt es "eine weitgehende Ubereinstimmung zwischen den einzelnen Konzeptualisierungsansatzen,... daG kritische Lebensereignisse als solche im Leben einer Person auftretende Ereignisse verstanden werden, die durch Veranderungen der sozialen Lebenssituation der Person gekennzeichnet sind und die mit entsprechenden Anpassungsleistungen durch die Person beantwortet werden mussen." (Filipp, 1995, S.23) Da hierbei die bisher ublichen Verhaltensmuster abgebaut oder verandert werden mussen, werden sie im allgemeinen als „stressreich“ angesehen „unabhangig davon, ob es sich da- bei... um ein 'positives' (z.B. Heirat) oder 'negatives' (z.B. Verlust des Arbeitsplatzes) lebensveranderndes Ereignis handelt." (Filipp, 1995, S. 24 ) Da in in diesen

Definitionsansatzen lediglich die Umwelt als „aktive sich verandernde Systemeinheit" erscheint, wahrend die Person „als passiv-reaktive Einheit" gesehen wird (a.a.O.),. schlagt Filipp eine konzeptuelle Erweiterung dieses Ansatzes vor. .Demnach sind „kritische Lebensereignisse durch folgende Aspekte gekennzeichnet: 1. Sie stellen die raum- zeitliche, punktuelle Verdichtung eines Geschehensablaufs innerhalb und auGerhalb der Person dar und sind somit im Strom der Erfahrungen einer Person raumzeitlich zu lokalisieren2. Kritische Lebensereignisse stellen Stadien des relativen Ungleichgewichts in dem bis dato aufgebauten Passungsgefuge zwischen Person und Umwelt dar Ein kritisches Lebensereignis ist dann gegeben , wenn diese Kongruenz zwischen Person und Umwelt ein MindestmaG unterschreitet und die Neuorganisation des Person-Umweltgefuges erforderlich macht.. Darin ist impliziert, dass die Quelle fur das nunmehr entstandene Ungleichgewicht, sowohl in der Person wie in der Umwelt liegen kann3. SchlieGlich geht in die Aktualisierung von kritischen Lebensereignissen die Annahme ein, dass das Ungleichgewicht in der Person-Umwelt-beziehung fur die Person unmittelbar erlebbar und dieses Erleben von affektiven Reaktionen begleitet ist.".(a.a.O.)

Die Versuche Listen von kritischen Lebensereignissen aufzustellen haben zu unter- schiedlichen Ergebnissen gefuhrt. Demgegenuber gibt es eine weitgehende Uber- einstimmung hinsichtlich einer Klassifikation in normative (altersbezogene) und nicht normative (altersunabhangige) Ereignisse. (Filipp, 1995, S. 25) Etwas differenzierter ist die von Hultsch & Cornelius (1995) beschriebene Klassifikation. Sie unterscheiden zwischen auf das Alter bezogene Lebensereignisse ( z.B. Heirat, Geburt eines Kindes , Schulanfang, Pubertat, Menopause, Eintritt in den Ruhestand), auf die historische Zeit bezogene Lebensereignisse (z.B. Kriege, technologischer Wandel, okonomische Krisen, Volker- wanderungen). Und non-normative Ereignisse, ,,die nur lose mit ontogenetischen oder soziokulturellen Veranderungen verbunden sind " Letztere ,,umfassen Lebensereignisse , die auf relativ kleine Gruppen einer Population begrenzt sind (z.B. Fluten, Durrezeiten, temporare Arbeitslosigkeit) oder die fur einzelne Personen hinsichtlich ihres Zeitpunkts im Lebenslauf einzigartig sind (z.B. Scheidung, Tod des Ehegatten, beruflicher Aufstieg/Abstieg)" (Hultsch & Cornelius, 1995, S. 76)

2.2.2 Abgrenzung gegen Alltagswidrigkeiten

Gelegentlich wurde in der wissenschaftlichen Diskussion angezweifelt, „ob Lebensereignisse in der Tat jene 'Stressoren' sind, denen man unter dem Gesichtspunkt ihrer pathogenetischen Bedeutung nachgehen sollte, oder ob es nicht die Summe jener kleinen Alltagswidrigkeiten ('daily hassles') sei, die zu einer Beeintrachtigung des psychischen und pysischen Wohl- befindens fuhre.“ (Filipp , 1995c, S. 294f) Filipp betont dazu , „dass Alltagswidrigkeiten nicht als von Lebensereignissen isoliert zu betrachten sindKritische Lebensereignisse manifestieren sich in einer Fulle 'kleiner Widrigkeiten ' und werden erst uber diese unmittelbar erfahrbar." (a.a.O.)

SchlieBlich mag auch noch auf jene Situationen hingewiesen werden, bei der weder gute noch schlechte Ereignisse stattfinden, sondern die durch die wahrhaft todliche Langeweile, einer vollig aufgaben- und sinnentleerten Existenz gekennzeichnet sind. Frankl kennzeichnet dies am Beispiel der Bewohnerin eines „Siechenheims“, die auf die Frage nach ihren Aktivitaten sagt: „bei Nacht - da schlaf', und bei Tag - da siech' ich“ (Frankl 1972, S. 46).

2.2.3 Kritische Lebensereignisse im hoheren Lebensalter

"lm Hinblick auf die Beziehung des kalendarischen Alters zu Anzahl und Art der kritischen Lebensereignisse verweisen Lowenthal, Thurnher& Chiriboga (1975) darauf, daB jungere Menschen einer groBeren Anzahl von Lebensereignissen ausgesetzt sind als altere. ...Umgekehrt argumentieren Langner & Michael (1963)... daB die durch Lebensereignisse erzeugte Stressbelastung im Alter ansteigt.“ (Filipp 1995b, S. 17) Zuweilen wird darauf hingewiesen „daB Lebensereignisse, die von alteren Erwachsenen erfahren werden, mit groBerer Wahrscheinlichkeit Verluste beinhalten sowie eine Minderung sowie Restriktion ihres sozialen Kontextes mit sich bringen.“ (Hultsch & Cornelius, 1995, S. 76 unter Hinweis aufRosow, 1973)

2.3 Psychische Auswirkungen kritischer Lebensereignisse

Schon die Alltagserfahrung lehrt, dass Menschen auf relativ gleichartige Lebensereignisse recht unterschiedlich reagieren. Entsprechend der kognitiven Theorie des Verhaltens „bestimmt nicht die 'objektive Situation' sondern deren subjektive Wahrnehmung, Interpretation oder'kognitive Reprasentanz' unser Verhalten.“ (Lehr, 2000, S. 140)

Einflussfaktoren hierfur sind, die bisherige Entwicklung, die Konstellation der aktuellen situativen Bedingung und die personliche Zukunftsorientierung (a.a.O. S141). Bezuglich der Interpretation oder der kognitiven Verarbeitung der Wahrnehmungsinhalte verwendet Lazarus den Begriff der kognitiven Einschatzung. „Primare Einschatzung umschreibt den Vorgang, innerhalb dessen die Bedeutung einer Transaktion mit der Umwelt fur das eigene Wohlbefinden eingeschatzt wird.“ (Lazarus, 1995, S. 212) In dieser Hinsicht konnen diese Transaktionen als positiv, irrelevant oder stressreich gesehen werden. Wird eine Transaktion als stressreich eingeschatzt so lassen sich weitere drei Subtypen feststellen, namlich Schadigung/Verlust, Bedrohung und Herausforderung. (a.a.O.) Bedeutsam ist nach Lazarus, ,,dass die primare Einschatzung die Intensitat und Qualitat der emotionalen Reaktion bestimmt. Einschatzungen einer Transaktion als positiv fuhren zu positiven emotionalen Reaktionen wie Freude, Zufriedenheit usw. Einschatzungen als streGvoll fuhren zu negativ getonten Emotionen wie Angst, Furcht, Arger, Schuld, Neid, Eifersucht, MiGtrauen usw. StreGsituationen erfordern von der Person eine Entscheidung daruber was zu tun ist. Diese auf ein bestimmtes Bewaltigungsverhalten abzielenden kognitiven Prozesse nennt Lazarus ,,sekundare Entscheidungsprozesse.“ (a.a.O. S. 214) HauGer (1995, S.107) spricht in diesem Zusammenhang von Situationseinschatzung (primare Einschatzung) und Bewaltigungs­einschatzung (sekundare Einschatzung). Ihm zufolge beruht ,,die Bewaltigungseinschatzung ... auf der (biographisch erworbenen) Bewaltigungskompetenz, der generalisierten Kontrollerwartung (Kontrolluberzeugung), der Attributionstendenz, der Kausal- und Verant- wortlichkeitsattribution sowie der situationsspezifischen Kontrollerwartung.“ (a.a.O., S.109) Aus der Wahrnehmung des Verhaltnisses zwischen Situationseinschatzung und Bewaltigungseinschatzung kann es zu einer Belastung kommen. (a.a.O.) Dies kann schlieGlich zu einer psychische Krise fuhren HauGer zufolge ist eine Krise ein ,,kumuliertes Phanomen“ aufgrund:

„- 'Wiederholter erfolgloser Bewaltigungsversuche' ,
- Unterbrechnung routinemaftiger Formen des Verhaltens durch soziale oder biologische Veranderungen
- psychische Desintegration: Zielbezogenheit und Kontinuitat »normaler« Erlebens und Handlungsverlaufe sind unterbrochen;
die eigenen Mittel sind erschopft...Hilflosigkeit und Verzweiflung herrschen vor' (Ulich et alt. 1983)
- Unvorhersehbarkeit - hohe subjektive Bedeutsamkeit und Betroffenheit im Hinblick auf Krisengegenstand und mogliche Krisenlosungen...
- das Fehlen kompensatorischer Entlastungen in intakten anderen Bereichen
- das Fehlen sozialer Unterstutzung und

- eine niedrige biographisch erworbene Bewaltigunskompetenz.“ (Hauler, 1995, S. 109f) Solche psychische Krisensituation konnen unter bestimmten Bedingungen in Identitats- und Sinnkrisen munden. Im folgenden Abschnitt wird gezeigt, wie Identitats- und Sinnkrisen im Rahmen psychoanalytischer, psychologischer und soziologischer Forschungsansatze identifiziert und erklart werden.

2.4 Theoretische Konzepte zur Identitat und zu Identitatskrisen

Im Rahmen dieser Arbeit kann die wissenschaftliche Diskussion zum Forschungsgegenstand ,,Identitat“ nicht aufgearbeitet werden. Es sollen deshalb nur einige theoretische Positionen dargestellt werden, die mir im Hinblick auf den Gegenstand dieser Arbeit wichtig erscheinen. Ausgangspunkt soll dabei die theoretische Konzeption von Erik H. Eriksons sein, dessen Arbeiten dem Thema „Identitat“ den Weg in die sozialpsychologische Diskussion bereitet hat „und der damit ein Instrument geschaffen hat, mit dem das Denken uberzentrale Probleme der Sozialpsychologie neu organisiert wurde.“ (Abels, Link,1989a, S. 37)

2.4.1. Erik H. Erikson. Phasentheorie der Identitatsentwicklung

Zunachst mochte ich eine von Erikson vorgeschlagene und seither haufig zitierte Definition von ,,Identitat“ anfuhren: ,,Das bewuGte Gefuhl eine personale Identitat zu besitzen beruht auf zwei gleichzeitigen Beobachtungen: der unmittelbaren Wahrnehmung dereigenen Gleichheit und Kontinuitat in der Zeit, und der damit verbundenen Wahrnehmung, dass auch andere diese Gleichheit und Kontinuitat erkennen. Was wir hier Ich-Identitat nennen wollen, meint also mehr als die bloGe Tatsache des Existierens, vermittelt durch personliche Identitat; es ist die Ich-Qualitat dieser Existenz. So ist Ich-Identitat unter diesem subjektiven Aspekt das Gewahrwerden der Tatsache, dass in den synthetisierenden Methoden des Ichs, eine Gleichheit und Kontinuierlichkeit herrscht, und dass diese Methoden wirksam dazu dienen, die eigene Gleichheit und Kontinuitat auch in den Augen der anderen zu gewahrleisten.“ (Erikson 1997, S.18) Mit diesen Zitat ist eigentlich schon das gesamte Forschungsprogramm zum Thema Identitat beschrieben, namlich das Bewusstsein von Gleichheit und Kontinuitat in der lebensgeschichtliche Betrachtung und in der verschiedene soziale

Interaktionszusammenhange betreffenden Sicht, und zwar aus der Innenperspektive des Individuums und aus der AuBen-perspektive der Gesellschaft. Erikson selbst ist dabei vor allem an der innerpsychischen Perspektive im lebensgeschichtlichen Zusammenhang interessiert. Abels und Link (1989a) fassen die Grundannahmen seiner Theorie in drei Punkten zusammen:

1. Der Vorstellung des Wachstum oder dem von Erikson so genannten 'epigentischen Prinzip', „worunter er einen naturlichen Entwicklungsplan der menschlichen Personlichkeit versteht." (a.a.O. S. 111)
2. Der Vorstellung, dass dieses Wachstum der Personlichkeit „durch innere und auBere Konflikte gekennzeichnet" ist. (a.a.O, S. 113). Die einzelnen Lebensphasen sind demnach von spezifischen Krisen gekennzeichnet, die ,,einen Wendepunkt zum Besseren oder Schlechteren." darstellen (Erikson, 1964, S.122)
3. Die Vorstellung einer ,,Stufenfolge signifikanter Wechselwirkungen" zwischen dem Individuum und seiner jeweiligen sozialen Umgebung. (Erikson, 1973, S.58, Abels, Link, 1989a, S. 116)

Von den acht von Erikson beschriebenen Lebensphasen ist nun die letzte, von ihm als ,,reifes Erwachsenenalter" bezeichnete Phase fur diese Arbeit von besonderer Bedeutung. Wichtig ist ihm dabei, dass dieser Zeitabschnitt, wie auch die davor liegenden, eingebunden ist in den Zyklus der Generationen und des Lebens. ,,Wenn wir vom Zyklus des Lebens sprechen, dann meinen wir tatsachlich zwei Kreise in einem: den Zyklus der Generationen, der sich in der nachsten schlieBt und der Kreislauf des individuellen Lebens, der zum AbschluB kommt. Wenn der Kreis auf viele Weisen zum eigenen Anfang zuruckkehrt, so daB die sehr alten wieder wie Kinder werden, dann ist die Frage, ob es eine Ruckkehrzu einer mit Weisheit gewurzten Kindlichkeit ist, oder zu einer beschrankten Kindischkeit,, (Erikson, 1964, S. 116) Dass ein Leben in diesem Sinne als gelungen bezeichnet werden kann, hangt vom Ausgang der letzten psychosozialen Krisensituation ab, die sich als Alternative zwischen Jntergritat" und ,,Verzweiflung" darstellt. Unter Integritat versteht Erikson ,, die Annahme seines einen und einzigen Lebenszyklus und der Menschen, die in ihm notwendig da sein muBten und durch keine anderen ersetzt werden konnen. Er bedeutet eine neue, andere Liebe zu den Eltern, frei von dem Wunsch, sie mochten anders gewesen sein als sie waren, und die Bejahung der Tatsache, daB man fur das eigene Leben allein verantwortlich ist. Er enthalt das Gefuhl von Kameradschaft zu den Mannern und Frauen ferner Zeiten und Lebensformen, die Ordnungen und Dinge und Lehren schufen, welche die menschliche Wurde und Liebe vermehrt haben. (Erikson, 1973, S. 119). Dem steht Verzweiflung als Alternative gegenuber, die einhergeht mit einer unbewussten Todesfurcht. „Der eine und einzige Lebenszyklus wird nicht als das Leben schlechthin bejaht; in der Verzweiflung druckt sich das Gefuhl aus, daB die Zeit kurz, zu kurz fur den Versuch ist, ein neues Leben zu beginnen, andere Wege der Integritat einzuschlagen. Eine solche Verzweiflung versteckt sich oft hinter einer Kulisse von Ekel, LebensuberdruB oder einer chronischen Verachtlichmachung bestimmter Institutionen oder bestimmter Leute - eine Kritik, die, wenn sie nicht mit konstruktiven Ideen und der Bereitschaft zum Mitwirken verbunden ist, nur die Selbstverachtung des Individuums ausdruckt," (Erikson,1997, S.119 ) Die spezifische Starke, die aus der Antithese Integritat versus Verzweiflung heranreifen kann, nennt Erikson „Weisheit“, verstanden als ,,distanziertes BefaBtsein mit dem Leben selbst, angesichts des Todes selbst!“ (Erikson, 1964,S. 117) Der Grundstarke der „Weisheit“ in der letzten Lebensphase entspricht die der Hoffnung im ersten Lebensabschnitt. „Und tatsachlich,“ so sagt er, „ist Hoffnung ... die fundamentalste Eigenschaft der »Ich«-haftigkeit, ohne die das Leben weder sinnvoll anfangen noch enden kann.“(Erikson, 1988, S.80) Fur die spezifische Hoffnung des Alters schlagt Erikson den Begriff des Glaubens vor. In diesem Sinne ist Weisheit die „Abklarung der Prinzipien des Lebens mit den wechselnden Zeitlauften. Sie ist die Bilanz einer unverwechselbaren Leistung, die ihre Spuren hinterlassen hat und die als gerechter Beitrag auch von der nachwachsenden Generation anerkannt wird, Hoffnung ist die Annahme, dass diese Leistung durch den Tod nicht ausgeloscht wird.“ (Abels, Link,1989, S. 120)

2.4.2 George Herbert Mead., Identitat und symbolisch vermittelte Interaktion.

So wie keine Arbeit uber Identitatsprobleme an Erikson vorbei kommt, so bedeutsam ist auch der andere klassische Theoretiker dieses Themenbereichs, namlich George Herbert Mead. „Mead hat“, so sagt es Abels (1999, S. 53), „ Rollentheorie und Identitatstheorie einen sozial- anthropologischen Rahmen vorgegeben, welche von keiner Theorie uber Identitat und Interaktion auBer Acht gelassen werden kann“. Ausgangspunkt der Mead'schen Theorie ist die Vorstellung einer „sprachsymbolisch vermittelten sozialen Welt (Abels, 1999, S. 13). In diese gesellschaftlich konstruierte Welt wachst der Mensch uber Sozialisationsprozesse schrittweise hinein. Orientierungspunkte sind zunachst die bedeutsamen Bezugspersonen oder wie Mead sagt, die „signifikanten Anderen“. Mit fortschreitender Entwicklung nimmt ein Kind wahr, dass die Verhaltenserwartungen der Mutter auch von anderen Personen geteilt werden, Es tut Oder unterlasst Handlungen weil „man“ das eben so macht. Dieses inter- nalisierte „Man“ bezeichnet Mead als den 'generalisierten Anderen'. (Abels, S.30) Die auf diese Weise in Interaktionen sich ergebenden Haltungen und Rollenerwartungen fuhren zum BewuGtsein der Identitat, gehen aber nicht vollstandig in dieser auf. „Bestande Identitat nur in solchen Spiegelungen des Selbst in den Augen der Anderen, gabe es weder wirkliche Individualitat noch eine zukunftsoffene Entwicklung.“ (Abels 39) Dass der Mensch zu regelhaftem, einschatzbarem Verhalten fahig ist und zugleich darin Individualitat und Kreativitat einbringen kann, hangt nach Mead mit den beiden Identitatsinstanzen „I“ und „me“ zusammen. „Das System der' me's ' reprasentiert die diversen internalisierten 'Haltungen anderer', welche als gesamt den 'generalisierten Anderen' ausmachen; Das 'I' verkorpert einen 'vorsozialen' und 'vorsprachlichen' konstitutionellen AntriebsuberschuG' des Menschen, der nicht vollstandig sozialisierbar ist und in Traum, Phantasie und spontanen Aktionen dazu tendiert, die soziale Disziplinierung des Individuums aufzuheben (ahnlich dem Freud'schen 'Es').“ (a.a.O.) Identitat, von Mead „Self“ genannt, ist der innere Dialog zwischen den beiden Identitatsdimensionen „I“ und „me“. Diese Selbstkommunikation kann immererst nach einer Interaktion in Gang kommen, Identitat erst im Prozess der Selbstreflexion rekonstruiert werden. Mead spricht deshalb auch von Phasen der Identitat. „Die Identitat ist ist im wesentlichen ein gesellschaftlicher ProzeG, der aus diesen beiden unterscheidbaren Phasen besteht. Gabe es diese beiden Phasen nicht, so gabe es keine bewuGte Verantwortung und auch keine neuen Erfahrungen (Mead 1978, S.221)

2.4.3 Erving Goffman. Identitat als Selbstprasentation.

Ausgangspunkt der Theorie Goffmans sind Rituale der Selbstdarstellung von Individuen, die er mit dem Paradigma des Rollenspiels im Theater kennzeichnet. „Das Schauspiel beschreibt Goffmann als einen ProzeG des Austausches von Informationen, die die Beteiligten in sorgfaltig kontrollierter Weise den anderen zu vermitteln versuchen." (Abels,Link, 1991a, S. 16) Der Presentation von Informationen durch den einen Akteur steht das Bedurfnis des jeweils anderen gegenuber, solche Informationen zu erlangen, um sie in der Inter- aktionssituation berucksichtigen zu konnen. Identitat ist nach Goffmans Auffassung keine festgefugte innerpsychische Struktur, sondern entspricht der situationsspezifischen Zuschreibung des Publikums. „Das Selbst als dargestellte Rolle ist“, seiner Auffassung nach, „eine dramatische Wirkung, die sich aus einer dargestellten Szene entfaltet.

[...]

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Biografiearbeit als Verfahren psychosozialer Beratung zur Bewältigung von Identitätskrisen bei älteren Menschen.
Hochschule
FernUniversität Hagen
Autor
Jahr
2008
Seiten
36
Katalognummer
V89591
ISBN (eBook)
9783638068666
ISBN (Buch)
9783638953924
Dateigröße
728 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ausgezeichnete Leistung
Schlagworte
Biografiearbeit, Verfahren, Beratung, Bewältigung, Identitätskrisen, Menschen
Arbeit zitieren
Bachelor of Arts Heinz-Jürgen Dünzl (Autor:in), 2008, Biografiearbeit als Verfahren psychosozialer Beratung zur Bewältigung von Identitätskrisen bei älteren Menschen. , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89591

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