Die Integration von Kindern mit Behinderungen in der Grundschule vor dem Hintergrund ökosystematischen Denkens


Zwischenprüfungsarbeit, 2002

26 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Integration – der Begriff

3. Historischer Rückblick

4. Wer ist „behindert“?
4.1. Behinderung im rechtlichen Sinne
4.2. Der Behinderungsbegriff in der Sonderpädagogik
4.3. Die ökosystemische Sichtweise

5. Bedingungen für die Integration nach dem ökosystemischen Ansatz
5.1. Das System
5.2. Unterricht mit Didaktik u. Methodik
5.3. Personelle und sächliche Ressourcen
5.4. Organisationsbedingungen

6. Möglichkeiten und Grenzen integrativen Unterrichts

7. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Schule besitzt das Monopol zur Vergabe von Bildungsabschlüssen. Erfolg und Misserfolg in der Schule sind somit von lebensgeschichtlicher Bedeutung (vgl. Arbeitsgruppe Schulforschung 1980, S. 7). Für die Chancenminderung im Falle des Schulversagens wird in erster Linie der Schüler, häufig auch das Elternhaus, selten jedoch die Schule verantwortlich gemacht.

Gute Schulen dadurch zu schaffen, dass man sich gute Schüler aussucht, ist wenig rühmlich. In einer Zeit, in der Ausländerfeindlichkeit und Angst vor Fremden wieder verstärkt um sich greifen und auch behinderte Menschen Repressalien und gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt sind, ist es besonders wichtig, die Unterschiedlichkeit der Schüler und das „Anders-Sein“ als etwas Anregendes und nicht Negatives begreifbar zu machen.

Die Frage nach dem „schulgerechten“ Kind könnte in die nach der „kindgerechten“ Schule umgemünzt werden.

Schulische Integration als gesellschaftliche Aufgabe erfordert ein Umdenken über die Institution Schule hinaus. Inwieweit und unter welchen Bedingungen ist es möglich, diese Aufgabe zu bewältigen? Sicherlich hängt dies von sehr verschiedenen Voraussetzungen ab. Zunächst mag man an die schulischen Rahmenbedingungen sowie an die pädagogischen und didaktischen Konzeptionen denken. Daneben sind die Einstellungen und Erfahrungen der Beteiligten eine wichtige Voraussetzung für die Realisierung schulischer Integration. Daher werde ich mich nach der Auseinandersetzung mit dem Integrationsbegriff sowie einem historischen Rückblick mit dem Begriff „Behinderung“ auseinandersetzen - wer ist „behindert“, was ist darunter zu verstehen – um danach näher auf die Bedingungen für die Integration nach dem ökosystemischen Ansatz einzugehen.

Nicht zuletzt sollen auch Möglichkeiten und Grenzen integrativen Unterrichts erörtert werden.

2. Integration – der Begriff

Integration (von lateinisch integratio: Wiederherstellung eines Ganzen) ist im allgemeinen Sprachgebrauch der Prozess des Zusammenschlusses von Teilen zu einer Einheit oder die Eingliederung in ein größeres Ganzes.

Im Gegensatz dazu wird von Ausgrenzung (auch Absonderung, Aussonderung) bei fehlender bis geringer Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an durchschnittlich herrschenden Arbeits-, Lebens- und Lernverhältnissen gesprochen (vgl. Erwin Reichmann-Rohr, S.24 in: Eberwein, Hans (Hg.): Behinderte und Nichtbehinderte lernen gemeinsam. Weinheim und Basel: Beltz 1988, 2. Aufl. 1990.).

In der Psychologie des 20. Jahrhunderts taucht der Integrationsbegriff in verschiedenen Zusammenhängen auf. Die Entwicklungspsychologie definiert Integration als „ein Merkmal (ontologischer) Entwicklungsprozesse, wodurch sich vereinzelte Fähigkeiten zu einer organischen/organisierten und mithin effizienteren Ganzheit zusammenschließen (Kobi, S. 56 In: Eberwein, Hans (Hg.): Behinderte und Nichtbehinderte lernen gemeinsam. Weinheim und Basel: Beltz 1988, 2. Aufl. 1990.).

In der Soziologie wird Integration als „organisatorischer Zusammenschluß verschiedener Bereiche des kulturellen Lebens zu einem System innerer Verbundenheit“ bezeichnet (derselbe, S. 57).

In der Pädagogik wurde die Bezeichnung Integration zunächst ausschließlich im persönlichkeits- und entwicklungspsychologischen Sinne gebraucht. Erst seit den 60er Jahren taucht sie auch in Curriculumsdiskussionen auf.

Begrenzt ist eine Integration nach Auffassung von Andreas Möckel, wenn „nicht alle Kinder einer Gruppe integriert sind; umfassend, wenn für alle behinderten Kinder einer Gruppe Schulplätze im öffentlichen Schulwesen geschaffen werden. (Möckel, S.31 In: Eberwein, Hans (Hg.): Behinderte und Nichtbehinderte lernen gemeinsam. Weinheim und Basel: Beltz 1988, 2. Aufl. 1990.)

Nach dieser Auffassung ist Integration dann gegeben, wenn Kinder am Heimatort unterrichtet werden. Nicht die Schüler werden in Spezialschulen aufgeteilt, sondern Speziallehrer werden den Klassen zugeteilt. Im integrativen Unterricht geht es darum, jedes Kind auf seinem Entwicklungsniveau abzuholen und seine Grenzen zu akzeptieren, anstatt Kinder mit besonderen Problemen aus der Gemeinschaft auszugrenzen.

3. Historischer Rückblick

Die Fremdartigkeit behinderter Kinder, die angenommene Unnatürlichkeit, Nutzlosigkeit usw. wurden begründet durch körperliche Schäden, Unterschreitung durchschnittlicher Leistungsanforderungen usw. Ausgrenzung konnte unter den meisten Verhältnissen durchweg „normale“ Gestalt annehmen. Nichtbehinderte vermochten eine große Zahl von Ausgrenzungen und Distanzierungen festzulegen. Ausgrenzung wurde selbstverständlich; sie bestimmt vorwiegend die Geschichte des gesellschaftlichen und individuellen Umgangs mit behinderten Menschen.

Seit dem 18. Jahrhundert wird diskutiert, auf welche Weise Kinder mit Behinderungen ihren Anteil an der allgemeinen Bildung erhalten können. Aussonderung und Unterdrückung gingen dabei Hand in Hand. Die Bilanz mehrhundertjährigen negativen Wirkens ist die Bilanz des Wirkens von Psychiatrie, Medizin, Pädagogik. Sie tradiert auf

„... Zwangsjacke, chirurgischen Eingriffen, medikamentöser Behandlung; aus Prügel, Demütigungsritualen, brutalen Zensurierungen, Zuschreibung negativer Merkmale, Behauptung allgemeiner Bildungs- und Entwicklungsunfähigkeit; hinsichtlich der gesellschaftlichen Lage aus sozialer Isolierung in Gestalt von Armut, Bettlertum, Rechtlosigkeit, Analphabetentum, Arbeitslosigkeit usw., schließlich in der vorzeitigen gewaltsamen Beendigung des Lebens selber.“ (Erwin Reichmann-Rohr, S. 25 in: Eberwein, Hans (Hg.): Behinderte und Nichtbehinderte lernen gemeinsam. Weinheim und Basel: Beltz 1988, 2. Aufl. 1990.)

Menschen mit Behinderungen verfügen oftmals über eine geringe(re) Verwertbarkeit ihrer Arbeitskraft; dieser ökonomische Tatbestand wurde in sämtlichen Machtverhältnissen zur primären Bewertungsinstanz.

Geistig behinderte und gebrechliche Kinder konnten sich nicht nützlich machen. Diese Kinder fristeten meist in den Familien ein kümmerliches Dasein, konnten bis zur Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht die Schule besuchen. Es gab viele Vorurteile gegenüber diesen Kindern. Einige Lehrer weigerten sich sogar, sie zu unterrichten, weil sie glaubten, der Kontakt zu ihnen würde andere Kinder in Angst versetzen.

Die Integration gehörloser und blinder Kinder in das Schulwesen begann im 18. Jahrhundert. Einzelunterricht für diese Kinder gab es jedoch schon vorher.

Erst um 1900 erließen die deutschen Staaten Schulgesetze, in denen die Schulpflicht für gehörlose, blinde und blödsinnige Kinder angesprochen wurde. Damit verpflichteten sich die Staaten indirekt zur Bereitstellung von Schulplätzen. Über die Motivation kann hierbei nur spekuliert werden. Gesellschaftliche Nutzbarmachung spielte dabei sicherlich eine Hauptrolle. Es wurde natürlich stilisiert zu „guten Taten“.

Geistig behinderte Kinder wurden in den Gesetzen zwar erwähnt, aber wenn überhaupt, dann wenig berücksichtigt. Die Schulbehörden sahen nicht, dass auch geistig behinderte und erst recht gebrechliche Kinder bildungsfähig waren, weil niemand wusste, wie sie unterrichtet werden sollten.

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg meldeten sich zunehmend auch Verbände von Behinderten zu Wort. Die öffentliche Beachtung und solidarische Unterstützung hatte enorm zugenommen, da die Bevölkerung dafür sensibilisiert wurde durch die Verbrechen der Nationalsozialisten im Dritten Reich, welche die „Behindertenfrage“ nicht mehr nur durch Separatisierung, sondern auch durch Sterilisation bis hin zum Mord „lösen“ wollten.

Der Deutsche Bildungsrat wies in den siebziger Jahren in dieser Diskussion auf die „Gefahren der schulischen Separierung der behinderten Kinder“ hin. (Deutscher Bildungsrat, Empfehlungen der Bildungskommission: Zur pädagogischen Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher. Stuttgart 1979, S. 12.) Er forderte für Kinder mit Behinderungen adäquate Förderung, wobei die institutionelle Ausgrenzung möglichst gering gehalten werden sollte.

Seit November 1994 heißt es nun im Grundgesetz: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Die Differenzierungen im Schulwesen – konfessioneller, geschlechtlicher, altersmäßiger, rassischer, leistungsmäßiger etc. Art – weckten allerdings immer wieder integrative Gegenkräfte.

4. Wer ist „behindert“?

Wie reagieren wir auf die Aussage eines blinden Erwachsenen, er sei nicht behindert, nur in manchen Lebenslagen auf Hilfe angewiesen?

Jutta Schöler schlägt vor, den Begriff „Behinderte“ zu ersetzen durch: „Kinder/Jugendliche mit Behinderungen“ (Schöler, S. 84 In: Eberwein, Hans (Hg.): Behinderte und Nichtbehinderte lernen gemeinsam. Weinheim und Basel: Beltz 1988, 2. Aufl. 1990.). Dies könnte als Haarspalterei betrachtet werden, doch weist es darauf hin, dass die Tatsache der Behinderung nicht die gesamte Persönlichkeit ausmacht, sondern nur ein Persönlichkeitsmerkmal des Menschen unter vielen anderen ist. Dies entspricht auch der ökosystemische Sichtweise.

Im deutschen Sprachraum wird der Begriff Behinderung in folgende Untergruppen aufgeteilt: geistige Behinderung, Hörschädigung (Gehörlosigkeit und Schwerhörigkeit), Körperbehinderung, Lernbehinderung, Mehrfachbehinderung, Schwerbehinderung, Schwerstbehinderung, Sehschädigung.

Es gibt keinen einheitlichen Behinderungsbegriff, und die verschiedenen Begriffe haben unterschiedliche Folgen für die betroffenen Personen hinsichtlich ihrer Integration.

[...]

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Die Integration von Kindern mit Behinderungen in der Grundschule vor dem Hintergrund ökosystematischen Denkens
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Pädagogik)
Note
1,1
Autor
Jahr
2002
Seiten
26
Katalognummer
V8942
ISBN (eBook)
9783638157759
ISBN (Buch)
9783638746403
Dateigröße
613 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Integration, Kindern, Behinderungen, Grundschule, Hintergrund, Denkens
Arbeit zitieren
Daniela Kapp (Autor:in), 2002, Die Integration von Kindern mit Behinderungen in der Grundschule vor dem Hintergrund ökosystematischen Denkens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8942

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