Über Täuschung, Krieg und Frieden


Seminararbeit, 2002

36 Seiten, Note: bestanden


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

O. Einleitung

I. Jean Jacques Rousseau / Karl Heinrich Marx
A. Jean Jacques Rousseau
1. Ein kurze Biographie
2. Der vorstaatliche Naturzustand
B. Karl Heinrich Marx
1. Ein kurze Biographie
2. Überblick über die Werke

II. Die Täuschung
A. Die Täuschung bei Jean Jacques Rousseau
1. Was ist Gemeinwille?
2. Über den Gemeinwillen und den Sonderwillen.
3. Berieb die Kirche z.Z. Jean Jacques Rousseau Volkstäuschung?
B. Die Täuschung bei Marx
1. Steht die Wirtschaft dem Gemeinwillen gegenüber?
2. Kann die Wirtschaft ein Volk täuschen?
3. Betrieb die Wirtschaft Volkstäuschung zu Marx Zeiten?

III. Ist der Sonderwille Wirtschaft die Religion des 21 Jahrhunderts?
A. Sonderwille Religion vs. Sonderwille Wirtschaft
1. Betreiben Wirtschaft und Kirche noch heute Volkstäuschung?
B. Unterliegt das Volk einer Täuschung durch sich selbst oder nicht?
1. Verhältnis von Krieg durch Täuschung bei Rousseau und Marx
2. Frieden ohne Täuschung bei Rousseau und Marx

O. Einleitung

In dieser Arbeit soll die Befindlichkeit der Gemeinschaft im Staat und der nationalen Gesellschaft im Naturzustand untersucht werden. Die Betrachtung stützt sich dabei auf folgende Leitthese, die den Rahmen zu dieser Untersuchung bilden soll:

Wenn sich ein Volk in einem Staat, anstatt in Frieden1 zu leben in einem Kriegszustand2 befindet, unterliegt es einer Täuschung durch sich selbst.

Um eine Argumentation aufzubauen und diese dann untermauern zu können, wird sich dieser Text auf zwei bekannte Philosophen aus der Vergangenheit beziehen. Namentlich soll es sich dabei um Jean Jacques Rousseau und Karl Heinrich Marx handeln, die im Verfolg genauer vorgestellt werden. Anhand ihrer Theorien möchten wir zeigen, wie solch eine Täuschung entstehen kann und welche Auswirkungen und Einflüsse, auf die Gemeinschaft, diese mit sich bringt. Ohne darauf jetzt schon genauer eingehen zu wollen, wird es vor der Betrachtung um die Erklärung des Gemeinwillens und des Sonderwillens gehen, um mögliche Ursachen und Anzeichen dafür zu finden.

Sollte sich im weiteren Verlauf zeigen, dass Menschen einer solchen Täuschung durch sich selbst unterliegen können, werden wir als weiteres versuchen, eine Verbindung zur Gegenwart herzustellen, um nach der heutigen Gültigkeit dieser Theorien zu forschen.

Im Laufe dieser Arbeit soll auch deutlich werden, dass verschiedene Völker den von Rousseau beschriebenen Naturzustand noch nicht verlassen haben können, da sie sich nur durch Täuschung in einem Staat wähnen, weil der Kriegszustand noch nicht überwunden wurde.

I. Jean Jacques Rousseau und Karl Heinrich Marx

A. Jean Jacques Rousseau

1. Eine kurze Biographie

„ Der Mensch ist frei undüberall liegt er in Ketten “ (I1)

Jean Jacques Rousseau war französischer Schriftsteller und Philosoph schweizerischer Herkunft. Er wurde am 28.Juni 1712 in Genf geboren und starb am 2.Juli 1778 in Ermenonville. Er führte ein stetes Wanderleben, das er in den „Confessions“ 1782 beschrieb. Rousseau gehörte zum Kreis der Enzyklopädisten3 und wurde 1750 durch seine Preisschrift über den (negativen) Einfluss der Künste und Wissenschaften auf die Sitten berühmt („Discours sur les sciences et les arts“ 1750). Die darin erhobene Anklage gegen die Kultur, dass sie den Menschen einem naturnahen, glücklichen Urzustand entfremdet und ihm Unschuld, Freiheit und Tugend geraubt habe, ist der Beginn der modernen Kulturkritik. Die Schrift „der Gesellschaftsvertrag“ von 1762 betrachtet den Staat als eine freiwillige Vereinigung der Einzelwillen zu einem „Gesamtwillen“. Zusammengenommen war Rousseau ein Vorbereiter des Gefühlstandpunktes der Romantik. Er nahm weiteren Einfluss auf die moderne Pädagogik mit seinem Erziehungsroman „Emil oder über die Erziehung“ von 1762. Ebenso war er Wegbereiter der Französischen Revolution und der Demokratie durch seine idealistische Aufklärungsphilosophie und bedeutenden Staatstheorie. Er vertrat den Standpunkt einer natürlichen Religion, die keiner Vermittlung zwischen Gott und Menschen bedarf und die Erbsünde leugnet4.

2. Der vorstaatliche Naturzustand

In den folgenden Teilen wird die Grundlage jeder Auseinandersetzung der Staat sein. Ein solcher ist nicht schon immer da, er muss erst gegründet werden. Wie und woraus entsteht ein Staat? Diese Fragen möchten wir nun als erstes beantworten.

Im zweiten Diskurs „Über die Ungleichheit“ (1755), von Jean Jacques Rousseau, wird gezeigt aus welchem Zustand der Staat hervorgeht. Um einen kurzen Überblick dazu zu ermöglichen, werden wir nun eine kurze Zusammenfassung dessen geben. Der Naturzustand in dem alle Gesellschaft entsteht, wird bei Rousseau in drei Stufen unterteilt. Dadurch ist eine Entwicklung des Menschen im vorstaatlichen Zustand ermöglicht. Es gibt also keinen einfachen Naturzustand, wie er in Hobbes oder Locke´s Theorien beschrieben wird.

Die erste Stufe des Naturzustandes ist eine Phase, in der sich die Menschen untereinander noch nicht kennen, sie leben alle für sich, in einem Wald. Jeder der Menschen ist tiernah aber frei, er sorgt für sich und für nichts anderes. Ist für die Befriedigung von Bedürfnissen jedoch ein anderer Mensch nötig, z.B. bei der Fortpflanzung, treffen sich zwei Menschen nur aus dem gleichen Interesse und haben danach aber keine weitere Verbindung untereinander, so wie vorher. „Während der Hunger und andere Begierden ihn abwechselnd verschiedene Existenzweisen erproben ließ, gab es eine Begierde, die ihn veranlasste, seine Art fortzupflanzen; und dieser blinde Hang brachte, bar jedes Gefühls, des Herzens, nur einem rein animalischen Akt hervor. War das Bedürfnis befriedigt, erkannten sich die beiden Geschlechter nicht mehr wieder, und selbst das Kind bedeutete der Mutter nichts mehr, sobald es sie entbehren konnte.“ (DüdU5 S.175) Doch durch den einfachen Kontakt den die Menschen untereinander haben, sind sie sich doch nicht mehr so fremd. Sie erkennen, dass sie zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse zusammenhalten müssen. „Das war die Epoche einer ersten Revolution, welche die Gründung und die Unterscheidung der Familien hervorbrachte und eine Art von Eigentum einführte“ (DüdU S.181)

Die Menschen beginnen kleine freie Gruppen zu bilden, man könnte sagen von Hirten und Jägern, deren oberstes Ziel die gemeinsame Befriedigung der anfallenden Bedürfnisse ist. „Alles beginnt sein Gesicht zu verändern. Die Menschen die bis dahin in den Wäldern umhergeschweift waren, rücken - nach dem sie einen festeren Wohnsitz angenommen haben - langsam zusammen, vereinigen sich zu verschiedenen Trupps und bilden schließlich in jedem Land eine besondere Nation - durch Sitten und Charaktere geeint, nicht auf Grund von Vorschriften und Gesetzen, sondern auf Grund der gleichen Art des Lebens und der Nahrungsmittel und auf Grund des gleichen Einflusses des Klimas“ (DüdU S.187) Damit ist der Übergang von der ersten zur zweiten Stufe des Naturzustandes geschafft. Es ist eine Gemeinschaft entstanden, die nicht zum Wohl des einzelnen, sondern zum Wohle aller strebt. Dabei sind alle Menschen gleich und jeder strebt nur zum Wohle der Gesellschaft. Jeder der Menschen hat festgelegte und wichtige Aufgaben in eben dieser Gemeinschaft. „ Jeder begann die anderen zu beachten und selbst beachtet werden zu wollen, und die öffentliche Wertschätzung hatte einen Wert.“ (DüdU S.189) In dieser Phase gibt es keinen Neid keine Gier und auch keinen Krieg, es ist ein friedliches Zusammenleben von Menschen aus gleichen Interessen. Die Entwicklung des Menschen bleibt aber nicht an dieser Stelle stehen, da mit dem Einsetzen entwickelter und wirtschaftlicher Arbeitsteilung die dritte Stufe des Naturzustandes beginnt.

„Das ist präzise die Stufe auf der die meisten Wilden Völker die uns bekannt sind, angelangt waren; und weil man die Ideen nicht genügend unterschieden und nicht bemerkt hat, wie weit diese Völker schon vom ersten Naturzustand entfernt waren, haben manche sich beeilt zu schließen, dass der Mensch von Natur aus grausam sei und das er Zivilisation bedürfe, damit diese ihn sanfter mache.“ (DüdU S.191) Das alles führt dazu, dass ein Bruch in der Gesellschaft entsteht, das bedeutet, der Vorteil des einen ist der Nachteil des anderen.

Damit ist die Entwicklung an einem Punkt angelangt, an dem die Freiheit und die Gleichheit nicht mehr existieren. Es entsteht eine entwickelte Konkurrenzgesellschaft, die Selbstliebe wird zur Eigensucht. „Das macht ihn betrügerisch und hinterlistig gegen die einen, herrisch und hart gegen die anderen und versetzt ihn in die Notwendigkeit, all jene, die er nötig hat, zu missbrauchen, wenn er sich bei ihnen nicht gefürchtet machen kann und er seinen Vorteil nicht darin findet ihnen mit Nutzen zu dienen.“ Ein jeder der Menschen ist bloß noch darauf versessen seine eigene Macht zu vergrößern, dabei werden letztlich die Mittel egal, um die Ziele zu erreichen. Die Menschen werden geizig, böse und sogar mörderisch, durch einen Zustand der sozialökonomischen Ungleichheit, zwischen arm und reich. „Da die Mächtigen oder die Elendesten sich aus ihrer Stärke oder aus ihren Bedürfnissen eine Art Recht auf das Gut anderer machten, das - ihnen zufolge - dem Eigentumsrecht gleichwertig war, zog die Zerstörung der Gleichheit so die fürchterlichste Unordnung nach sich...“ (DüdU S.211)

Um den Naturzustand aus diesen Gründen zu verlassen, wird ein Gesellschaftsvertrag begründet, der allen Menschen und von dem Moment an allen Bürgern wieder Freiheit und Gleichheit bringen soll, da sie mit ihm einen Gemeinwillen begründen und sich damit gemeinsame Ziele für ihre neue Gesellschaft stecken. Mit der Begründung dieses Gesellschaftsvertrags verlassen die Menschen den Naturzustand und gründen damit zum gleichen Interesse und gleichem Willen zu Verwirklichung ihrer neuen Ziele den Staat.

B. Karl Heinrich Marx

1. Eine kurze Biographie

Karl Heinrich Marx wurde am 5. Mai 1818 in Trier geboren. Der spätere Philosoph und Nationalökonom war ein Sohn aus gut bürgerlichem Hause. Er besuchte zunächst ein Gymnasium und studierte dann in Bonn und Berlin Rechtswissenschaften, Philosophie und Geschichte. Nach seiner Promotion wurde er 1842 Mitarbeiter und kurz darauf Chefredakteur einer oppositionellen Zeitung in Köln. Ein Jahr später wird die Redaktion unter staatlichem Druck geschlossen. Karl Marx heiratet, lebt einige Zeit in Paris und Brüssel, und tritt in die Kommunistische Partei ein. Nach der Märzrevolution kehrt er nach Deutschland zurück und gründet 1848 die „Neue Rheinische Zeitung“, ein radikal, demokratisches Blatt. Es war, nach eigener Ansicht, das einzige im damaligen Deutschland, das die Meinung der Arbeiter vertrat. Auch diese Zeitung muss ihre Arbeit einstellen und das nach nicht mal einem Jahr.

Marx emigrierte 1849 wieder, diesmal nach London, wo er sich mit seinem engsten Freund und Mitarbeiter Friedrich Engels ganz seinen historischen und ökonomischen Studien widmete. Er setzte sich vor allem gegen die Kinderarbeit und für die soziale Gerechtigkeit der industriellen Arbeitnehmer ein. Als Verfasser einiger Schriften zu den Ergebnissen seiner Forschungen wurde er bis zu seinem Tode, am 14. März 1883, nicht nur von der deutschen Sozialdemokratie als Autorität anerkannt, sondern auch zum Vorreiter des nach ihm benannten Marxismus6.

2. Überblick über die Werke

Die Werke von Karl Marx werden in Früh- und Spätschriften eingeteilt. Zu den Frühschriften zählen vor allem die Notizen und persönlichen Aufzeichnungen, die niedergeschrieben wurden, bevor er sein 30. Lebensjahr erreichte. In den meisten Fällen kam es zur Veröffentlichung dieser erst nach seinem Tode. Marx gehörte in dieser Zeit zu den radikalen Junghegelianern und bediente sich Hegels Dialektik. Mit seinen Überlegungen übte er Kritik an den vorherrschenden Meinungen über die philosophischen, historischen, politischen und wirtschaftlichen Theorien. Auf der Suche nach besseren Ansätzen und mit journalistischer Genauigkeit beobachtete er die Funktionsweise des Kapitalismus und gelangte zu den theoretischen Ideenansätzen des Kommunismus.

Die zweite Hälfte seiner Werke ist gekennzeichnet durch die Bloßstellung der Fehler der Lebens- und Produktionsverhältnisse der kapitalistischen Gesellschaftsform.

Die bereits vorhandenen kommunistischen Grundgedanken entwickelte Marx weiter und veröffentlichte 1848 zusammen mit Friedrich Engels die Programmschrift „das Manifest der kommunistischen Partei“. Sie prophezeit die Revolution der arbeitenden Klasse auf der Grundlage eines gesetzmäßig ablaufenden Geschichtsprozesses.

Beeinflusst wurde Marx dabei vor allem durch L. Feuerbach, philosophischer Materialismus, und die französischen utopischen Sozialisten. In Zusammenarbeit mit Engels wurden weitere Arbeiten veröffentlicht. Zu den Hauptwerken zählen „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ und „Das Kapital“. Gerade diese blieben jedoch unvollendet und wurden zum größten Teil durch Friedrich Engels und Jenny Marx aus seinem Nachlass herausgegeben.

In diesen Werken zerlegt Karl Marx die marktwirtschaftliche Produktionsweise und setzt sie wieder zusammen. Die theoretische Rechnung zeigte wiederum gravierende Fehler innerhalb des kapitalistischen Systems, vor allem bei der Verteilung des produzierten Mehrwerts. In anderen Werken entwickelt Marx Vorschläge zur Verbesserung der Lebensverhältnisse und beeinflusst so maßgeblich die deutsche Sozialdemokratie. So zum Beispiel mit der „Kritik des Gothaer Programms“ von 1875.

Aus der Biographie von Marx ist zu entnehmen, dass er zweimal Chefredakteur einer Zeitung war. Seine Arbeitsweise, nämlich die eines Journalisten, behält er auch während seiner philosophischen Tätigkeit bei. Das ermöglicht einen Einblick in die Lebensprozesse einer angehenden kapitalistischen Gesellschaft aus der Sicht eines bürgerlichen Arbeiterphilosophen.7

Der Begriff Marxismus setzte sich erst nach seinem Tod durch und steht hauptsächlich für die Gesamtheit der von Marx und Engels entwickelten Ideen. Der Marxismus ist mehr oder weniger die Grundlage aller im 20. Jahrhundert gegründeten sozialistischen Staaten.

II. Die Täuschung

A. Die Täuschung bei Rousseau

1. Was ist der Gemeinwille?

Der immerwährende Wille aller Mitglieder des Staates ist der Gemeinwille,

eben durch ihn sind die Staatsbürger frei. “ (IV2)

„Was die Mitglieder betrifft, so tragen sie als Gesamtheit den Namen Volk, als Einzelne nennen sie sich Bürger, sofern sie Teilhaber an der Souveränität, und Untertanen, sofern sie den Gesetzen des Staates unterworfen sind.“ (Buch 1 Kap 6) Die Mitglieder sind, wie im einleitendem Zitat belegt, die des Staates.

Wie kann man sich nun den Gemeinwillen vorstellen?

Bei Rousseau ist zu lesen: „Da die Menschen nun keine neuen Kräfte hervorbringen, sondern nur die vorhandenen vereinen und lenken können, haben sie kein anderes Mittel, sich zu erhalten, als durch Zusammenschluss eine Summe von Kräften zu bilden, stärker als jener Widerstand, und diese aus einem einzigen Antrieb einzusetzen und gemeinsam wirken zu lassen.“ (Buch 1 Kap. 6) Es zeigt sich hier, dass ein Mensch alleine nicht mehr in der Lage ist, sich selbst zu schützen und zu versorgen, da die Bösartigkeit des Naturzustandes so gravierend ist. Mit dem Gesellschaftsvertrag wird eine Einigung im Volk erreicht, an der jeder teilhaben kann, wer dieser Gemeinschaft zugehören möchte. Die Einigung geschieht durch den gemeinsamen (générale) Willen (volonté) zur Überwindung des Kriegszustandes, der Wille zum Schaffen von Frieden, Freiheit und Gleichheit. Der Gemeinwille (volonte´générale) ist das Ergebnis eines gültigen Gesellschaftsvertrages.

Jeder Bürger bekommt so seine Freiheit durch den Staat. Das ist aber nur möglich, wenn wirklich alle frei sind. Erst wenn alle einen gemeinsamen Willen zur Freiheit haben, und diesen gemeinsam verwirklichen, dann wird auch der Einzelne frei sein können. Die Menschen müssen sich untereinander vertrauen, um dieses Ziel zu erreichen und der begründete Gesellschaftsvertrag bietet die Richtlinien dafür, da er der Gemeinschaft entspringt.

Der Gemeinwille beschränkt sich somit nicht nur auf die Freiheit, sondern umfasst alles, was den Menschen für ein friedliches, wohlergehendes und gemeinschaftliches Zusammenleben wichtig erscheint. Der Gemeinwille als Produkt des feststehenden Gesellschaftsvertrages ist somit der wahre und gemeinschaftliche Wille der vom gesamten Volk ausgehet, also von jedem Einzelnen, das nur der Gemeinschaft dient und nicht der einzelnen Person oder Gruppe zum Vorteil ist.

„Jeder von uns unterstellt der Gemeinschaft seine Person und alles, was sein ist, unter der höchsten Leitung des Gemeinwillens; und wir als Körperschaft empfangen jedes Mitglied als vom Ganzen unabtrennbaren Teil.“ (I 6)

Damit wird eindeutig gesagt, dass mit dem Eintreten der Menschen in den Staat, die Person und alles andere, was in ihrem Besitz ist, zum Wohl der Allgemeinheit aufgenommen wird. Von diesem Moment an, wird man selbst ein Teil des Staates sein und steht dann unter dem Schutz der Macht, die von dieser Körperschaft ausgeht und man ist dieser mit dem Gemeinwillen verpflichtet, da der Eintritt in den Staat, der Unterzeichnung des Gesellschaftsvertrages gleichkommt.

Der Staat schützt die Bürger vor Angriffen von außen und sorgt für die Freiheit und Gleichheit der Menschen untereinander und auf seinem territorialen Gebiet. Da der Gemeinwille der wahre Wille aller Bürger ist, kann er auf seinem Staatsgebiet auch den Zwang zur Freiheit verordnen, für den Fall das es Menschen gibt, die sich dem Gemeinwillen des Staates nicht anschließen wollen, dennoch aber sein Land bewohnen. „Wer immer dem Gemeinwillen den Gehorsam verweigert, wird von der Gemeinschaft dazu gezwungen. Das bedeutet nichts anderes, als dass man ihn zwingen wird, frei zu sein.“ (I 7)

Diese Maßregelung ist legitim, weil die Bürger ihre gemeinsamen Interessen durch diesen Staat verwirklichen wollen, und man als Andersdenkender, wie als Gast im fremden Hause, sich dem anschließen oder das Land besser nicht bewohnen sollte. „Das Staatsgebiet bewohnen bedeutet: sich der Souveränität unterwerfen“ (IV 2). Der Gemeinwille kann sich nicht irren. So sagt Rousseau: „...dass der Gemeinwillen jederzeit recht hat und jederzeit nach dem Gemeinwohl strebt.“ (II3)

2. Über den Gemeinwillen und den Sonderwillen

Oft besteht ein groß er Unterschied zwischen dem Gesamtwillen und dem Gemeinwillen “ (II3)

Das Wort Gemeinwille an sich, verbirgt eine Zweideutigkeit, die es hier als erstes aufzuklären gilt, um später mögliche Missverständnisse zu vermeiden. Aus dem Wort lassen sich leicht gemeinsam (g é n é rale) und Wille (volont é ) als Teile dieses erkennen, ein gemeinsamer Wille, der alle Menschen im Staat miteinander verbindet, der Gemeinwille (volont é g é n é rale). D er Wille aller oder auch Gesamtwille (volonté de tous) ist mit dem Gemeinwillen nicht gleich, im Sinne ihrer Eigenschaften..

Welche Rolle spielt nun dieser Gesamtwille im Staat? Wie ist er vom Gemeinwillen zu unterscheiden? Es ist ebenfalls vom Wort her ein einfacher Unterschied zu erkennen.

Es handelt sich ja dabei um den Willen aller, in der Regel aber nicht um eine Gemeinsamkeit aus folgendem Grund: Die Gesamtheit umfasst dabei alles Willensgut der Menschen, alle die sich auf dem Territorium des Staates befinden, also auch dass derer, die das Staatsgebiet bewohnen, aber nicht freiwilliger Teil der Gesellschaft sind, sondern nur Untertan. Es zählen somit auch diejenigen dazu, die gezwungen werden müssen, um frei zu sein und die von sich aus sich nicht mit dem Gemeinwillen identifizieren können. So fließen auch alle Sonderwillen in den Gesamtwillen ein.

Ein Sonderwille ist somit eine Willensform, die ebenfalls im Staat existieren kann, die sich aber von ihrem Inhalt her vom Gemeinwillen unterscheidet. Er begründet ein Privatinteresse oder eine private Ansicht, die nicht mit dem Ziel des Staates in Verbindung steht. Der Sonderwille verhält sich kontraproduktiv zum Gemeinwillen, da er diesen mit zunehmender Anzahl schwächt. Der Gesamtwille ist somit eine Zusammenwürflung von verschiedensten Willensformen oder Ansichten, die aber nicht immer zu einem gemeinsamen Ziel führen.

Der Gesamtwille ist eine Anhäufung von Sonderwillen, sozusagen eine Ursuppe, aus welcher der Gemeinwillen erst noch herausdifferenziert werden muss. Wenn das gesamte Volk den Gemeinwillen gefunden hat und gemeinschaftlich danach strebt, kann der Gesamtwille auch Gemeinwille sein, sofern kein Sonderwille mehr existiert. Das ist die Form die mit dem Gesellschaftsvertrag erreicht werden soll.

Es ließe sich somit sagen: wenn ein Staat einem Gesamtwillen unterliegt, der kein Gemeinwille ist, wurde im Verlaufe seiner Existenz die Entwicklung der Gesellschaft keineswegs abgeschlossen, da diese sich noch im Naturzustand befindet. Der Staat ist somit nur Schein. Doch wie kann es dazu kommen, dass die Bürger, die in diesem Fall gar keine mehr wären, nicht bemerken das sie einem Irrtum unterliegen? Es handelt sich dabei um eine durch Täuschung herbeigeführte Verstaatlichung des Naturzustandes, da der Sonderwille weiterhin Ungleichheit und Freiheitsentzug mit sich bringt, also wie in der vorstaatlichen Stufe und das kein Gemeinwille existiert der Produkt eines Gesellschaftsvertrages ist, und somit auch kein gültiger Gesellschaftsvertrag bestehen kann. In diesem Fall unterliegt das Volk einer Täuschung. Im Verfolg soll diese Täuschung genauer untersucht werden, um ihre Funktionsweise zu ergründen. Dabei sollen die Kirche und auch die Wirtschaft im folgendem dienlich als Beispiel zu Rate gezogen werden.

Wir möchten an dieser Stelle aber nicht soweit vorgreifen und erst noch einmal auf den Sonderwillen (volonté particuliére) zurückkommen. Der Sonderwille tritt dabei in verschieden Größenordnungen auf, von der einzelnen Person über kleine Gruppen bis hin in großen Massen kann dieser existieren. „Sobald sich jedoch Cliquen, Sonderverbände auf Kosten des großen Verbandes bilden, wird der Wille jedes dieser Verbände in bezug auf seine Mitglieder ein Gemeinwille und in bezug auf den Staat ein Sonderwille“ sein. (II3) Ein solcher Teil von Sonderansichten hat genug Macht, sich so zu entwickeln, dass er das größte anzunehmende Ausmaß annehmen kann, den Gemeinwillen mit den Sonderwillen so zu vertauschen und somit den Gesamtwillen zu täuschen.

„Wenn zu guter Letzt einer dieser Verbände so groß ist, dass er alle anderen überflügelt, erhält man als Ergebnis keine Summe kleinerer Abweichungen mehr, sondern eine einzige Abweichung. Dann gibt es keinen Gemeinwillen mehr, und die obsiegende Ansicht ist nur eine Sonderansicht.“ (II3) Der Gesamtwille wurde getäuscht. Der Staat kann also nur dann Bestand haben, wenn der Gemeinwille die Mehrheit im Volke hat, d.h. ansonsten würde er zum Sonderwillen werden, auch ohne dass die Bürger es bemerken würden, weil der Gemeinwille nicht mehr durch die Gemeinschaft beachtet und der Gesamtwillen getäuscht wurde, und sich so das Volk durch sich selbst täuschen würde. Somit ist ein reiner Gemeinwille das beste für einen Staat, sogar das unabdinglichste, da der Staat ja genau darauf basiert. „Wenn es aber Teilgesellschaften gibt, so muss man ihre Anzahl vermehren und ihrer Ungleichheit zuvorkommen, [...]. Das sind die allein tauglichen Vorsichtsmaßnahmen, damit der Gemeinwille jederzeit erleuchtet ist und das Volk sich nicht täuscht.“(II3)

Der Gemeinwille wird so durch seine Satzung, den Gesellschaftsvertrag, gestärkt, indem die Gleichheit im Volk wieder hergestellt wird, der Gemeinwille so weiter Gesamtwille bleibt.

So neige ich nun dazu zu sagen: „Sobald also die Meinung siegt, die meiner entgegengesetzt ist, beweist das nichts anderes, als dass ich mich getäuscht habe.“ (IV2) Man glaubte demzufolge einem Willen, der aber, wie man erkennen musste, nicht Gemeinwille sondern ein Sonderwille war. Man ist also just in dem Moment enttäuscht, wenn man diese Erkenntnis macht. Es beginnt eine Rückkehr zum Gemeinwillen, an dieser Stelle sollte man aber beachten, dass dieser nicht sofort gesehen werden kann, weil auch die Möglichkeit eines getäuschten Gesamtwillens weiterhin noch nicht ausgeschlossen ist. Der Sonderwille, damit also auch der Gesamtwille, haben die Fähigkeit den Menschen zu täuschen, da sie nach innen auf ihre Mitglieder einen Gemeinwillen suggerieren und nach außen, aus dem wahren Gemeinwillen betrachtet, nichts weiter als willkürliche Ansicht sind. Um diesen Fall nach der Enttäuschung aber schließlich doch ausschließen zu können, findet sich der wahre Gemeinwille im Gesellschaftsvertrag wieder, der in diesem Fall zu Rate gezogen werden müsste.

3. Betrieb die Kirche z.Z. Rousseaus Volkstäuschung?

In diesem Teil ist es auch vorerst sinnvoll, sich über einen wichtigen Begriff und dessen Bedeutungen zu einigen. Speziell soll damit der Begriff der Kirche gemeint sein, der als solche auch zwei Bedeutungen in dem einen Wort beinhaltet.

[...]


1 Mit Frieden ist hier der staatliche Zustand gemeint, den Jean Jacques Rousseau mit dem Wirksamwerden des Gesellschaftsvertrages erreichen will. Der begründete Gemeinwille führt die Menschen aus dem Naturzustand, mithin aus dem Kriegszustand.

2 Als Kriegszustand wird hier der Naturzustand, der im folgendem erklärt wird, bezeichnet. Für den Fall der vorliegenden Existenz eines Staates, handelt es sich um einen getäuschten Gesamtwillen, somit um einen „Scheinstaat“, also wiederum um den Naturzustand.

3 die Mitarbeiter an der von Diderot angeregten, von ihm und d' Alembert herausgegebenen „Encyclopédie“, dem großen, maßgebenden Werk der französischen Aufklärung; u. a. J.-J. Rousseau, Voltaire, Baron Holbach, Montesquieu, E. B. de Condillac.

4 Aus: Bertelsmann Electronic Publishing - Verlagsprogramm 5

5 im folgendem so Abgekürzt, zitiert aus „Diskurs über die Ungleichheit“, siehe Literaturnachweis 6

6 Quellen: digitale Bibliothek der Philosophie, Marx/ Engels „Ausgewählte Schriften“ 8

7 Quellen: digitale Bibliothek der Philosophie, Marx/ Engels „Ausgewählte Schriften“ 9

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Über Täuschung, Krieg und Frieden
Hochschule
Universität Rostock  (Philosophie)
Veranstaltung
Politische Philosophie
Note
bestanden
Autoren
Jahr
2002
Seiten
36
Katalognummer
V8939
ISBN (eBook)
9783638157735
Dateigröße
1607 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Sehr dichte Arbeit - einzeiliger Zeilenabstand. 1,4 MB
Schlagworte
Rousseau, Marx, Krieg, Frieden, Gemeinwille, Sonderwille, Täuschung, Gesamtwille
Arbeit zitieren
Sven Damms (Autor:in)Jens Berger (Autor:in), 2002, Über Täuschung, Krieg und Frieden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8939

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