Wege 'neuer Musik' - Zur Verbreitung neuer musikalischer Formen und Stile


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Revolte der Musik ?

3. Wege Neuer Musik – im Film

4. Wege Neuer Musik – nach dem Krieg

5. Resümee

6. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Wenn ich im Folgenden den Terminus ´Neue Musik´ verwende, bin ich mir durchaus der Labilität dieses Begriffes bewusst. Trifft das Adjektiv „Neu“ so ziemlich auf jede historisierte Bewegung, als entscheidendes Kriterium in ihrer Zeit, zu, so soll es hier den Punkt erfassen, an dem Musik (gleich den anderen bildenden Künsten) aus ihrer traditionellen Rolle schlüpft, und sich zunehmend in ihrem Dasein als Kunst reflektiert, sich also gleichsam selbst zum Gegenstand nimmt und quasi von außen betrachtet. Als charakteristisch für Neue Musik, etwa unter Berg oder Schönberg, stellt sich die erklärte, logische Fortentwicklung des musikalischen Materials dar. Nach der Wende zum 20. Jh. ist das wirklich Neue der veränderte Anspruch von Musikproduzenten, sich nicht mehr nur als Stilfrage in der Gattungsgeschichte zu formieren, sondern die Frage nach der Möglichkeit überhaupt noch ´sinnvoller´, tonaler Komposition zu stellen; Wenn spätestens ab 1910 der gesamte chromatische Tonvorrat in harmonischen Beziehungen erschlossen ist[1], wenn mittels konsonanter Tonbeziehungen in der musikalischen Sprache alles gesagt worden ist, jedem Gefühl Ausdruck verliehen worden ist, bzw. Lebensumstände eintreten, die einer noch unbekannten Sprache bedürfen, um sich zu entäußern, dann ist Neue Musik die logische Fortentwicklung des bekannten musikalischen Materials.

Es gibt Hinweise auf die Möglichkeit, Musik, trotz ihrer Sonderrolle in den bildenden Künsten, in den zeitlichen Zusammenhang der historischen Avantgarde (insbesondere des Expressionismus) einzuordnen.

Da ist zum einen die Überkommenheit der Form-Inhalt-Ästhetik des 19. Jh., die in vergleichbarer Schärfe etwa von den Expressionisten angegriffen worden ist. Ebenso wie die Avantgarde-ismen, speiste sich die ´musikalische Avantgarde´ aus neuen, modernen Problemkomplexen, die sie in herkömmlichen Tonbeziehungen nicht mehr artikuliert sahen. Auch wenn Begriffe wie Entfremdung, Moderne, Anonymität und Grosstadt nur am Rande fallen, so ist doch eine veränderte Bewusstseinslage als Motivation des Komponierens spürbar, etwa wenn Schönberg sich auf „Einstein als Geistesverwandten“ beruft, wenn „Quantentheorie, die Strahlenphysik, die Lehre der Konvertierbarkeit von Masse und Energie [...] in den Künsten analog“ werden, „als ´empirische Bestätigung des Übergangs von Materie in Geist´.“[2] Trotz einiger inhaltlicher Überschneidungen schlug sich die Theorie der Neuen Musik aber eher in der Musik selber, statt in Pamphleten und Manifesten nieder.

Neue Musik, dass kann auch nicht nur Zwölftonmusik beinhalten. Vielmehr muss dieses Kompositionsverfahren als der entscheidende Schritt betrachtet werden, auf die harmonische Modulation verzichten und statt dessen, auch in selbstbereiteten Zwängen, auf den gesamten Tonvorrat zugreifen zu können (so paradox sich das auch anhören mag). Ich sehe in der Schönbergschen Entwicklung ausschließlich den radikalen Bruch, einen entschiedenen Neubeginn – dabei stellt Musik sich nicht mehr als Gattung und damit an die Geschichte gebunden dar, sondern stellt jetzt das Material an seinen besonderen Zweck gebunden zur Verfügung.

Die eher kultur- als musikwissenschaftliche Frage dieser Hausarbeit wird sein, warum es überhaupt Neue Musik gibt, und warum sie nicht den Sprung, außerhalb der kleinen Expertenkultur, in den allgemeinen Kunstdistributionsapparat schaffte (wie etwa moderne Malerei), und wenn sie doch Spuren und Einschnitte hinterließ, wo sie dies tat und mit welchen Ansätzen.

2. Revolte der Musik ?

Im Allgemeinen wird der Beginn Neuer, also Moderner Musik mit der Einführung der Zwölftontechnik (Dodekaphonie), v.a. durch Arnold Schönberg (v.a. „Kammersymphonie op.9“ von 1906), Anton Webern oder Alban Berg, ungefähr ab den 10er Jahren des 20. Jh. verortet. Einige Betrachtungen sehen schon Ludwig van Beethoven und Richard Wagner oder Claude Debussy, Gustav Mahler und Igor Strawinsky als den Beginn der Modernisierung in der Musik. Wenngleich es z.B. dem ´Titan´ darum geht, „Material und die Techniken [...] einer Eigenreflexion“ zu unterziehen „die musikalische Sprache grundlegend in Frage zu stellen, mit den Konventionen, die Mozart bestenfalls zu überlisten wusste, zu brechen, desgleichen den sozialen Kontext zu verlassen“[3], oder, im Falle Wagners, sämtliche musikalische Parameter, neuerdings z.B. Gestik, Rhythmik, Tektonik, Form und Farbe, in der Komposition zu erfassen und zur Geltung zu bringen[4] (auch das Gesamtkunstwerk-Konzept), so ist das kühnste Projekt der Neuen Musik wohl die Zwölftonmusik, die Radikalität, mit der den Tönen eherne Selbstwertigkeit zugerschrieben worden ist.

Beethovens und Wagners Musik erfasste breite Massen, von denen diese immer noch mit religiöser Inbrunst gefeiert worden sind (Tausende, die Beethovens Sarg begleiteten, geben ein einmaliges, so doch beeindruckendes Zeugnis von dessen Stellenwert ab). Die Neuheit dieser Musik war damals höchstens Experten zugänglich - in den Ohren breiter Hörermassen verlor sie ihren reflektorischen Gehalt – sie konnte ohne Schwierigkeiten als das Gute, Wahre und Schöne, als das ideal-ästhetische Kunstwerk, „als Instanz kompositorischer Vorbildlichkeit“[5] verortet werden – es stört nicht (es konnte sich später selbst der Ohren strammer NS-Kulturbarbarei nicht erwehren).

Bei Strawinsky ist es jedoch schon die ironische Zuspitzung der Einfältigkeit gängiger Ausdruckscharaktere; „er treibt, indem er sie zerbeult, rhythmisch verschiebt, ´falsch´ harmonisiert, mit ihnen ein mutwilliges Spiel und macht dadurch darauf aufmerksam, daß sie eigentlich schon obsolet sind.“[6]

Die Schärfe aber der dissonanten Setzungen der Zwölftöner führte um 1913 zu regelrechten Skandalkonzerten. Obwohl man heute, vom musikwissenschaftlichen Standpunkt aus, diese Musik als zutiefst richtig (im Sinne konsequenter Materialentwicklung) betrachtet, so hatte sie zu Anbeginn einen Status, wie er z.B. von der futuristischen Kunstmanifestation (die zeitlich mit den Zwölftönern auf einander traf) ganz bewusst provoziert worden ist: Erregung, Aufregung, Entsetzen, und die Angst vor der Zerstörung aller Werte in der Kunst, die Negation des ästhetischen Selbstgenusses. Alles andere hatten Schönberg und Co., die sich der Kühnheit ihres Schrittes in die ´freie Atonalität´[7] durchaus bewusst waren, im Sinne, und dennoch gehörte z.B. eine Einladung Schönbergs und dessen dodekaphoner Kompositionen in den engen Kreis radikal-avantgardistischer, russischer Futuristen, im Jahre 1913, wohl zu den gesetzteren Aufführungen. Warum ausgerechnet die Verächter bildungsbürgerlichen Kunstgenusses dem Bildungsbürger Schönberg ihre geneigte Aufmerksamkeit schenkten, lässt sich erklären: Der russische Futurismus zeichnet sich durch einen enormen Grad an Abstraktion aus. Sämtliche Einzelelemente der Künste werden selbstreferent; Strich, Form und Farbe in der Malerei, Begriff, Wortwurzel und Phonem in der Dichtung, aber auch der Ton gewinnen Selbstwertigkeit, sind an sich schon Ausdruck genug. Bei den Futuristen war der revolutionäre Anspruch, ein neues Seh- und Hörverständnis zu schaffen, Bewegung und Simultaneität als Attribute modernen Lebens künstlerisch zu artikulieren. Für eine futuristische Musikveranstaltung in einer russischen Stadt wurden die Signalhörner von Kriegsschiffen und Industrieanlagen, Alarmsirenen, Kirchenglocken und Lautsprecheranlagen, kurz: alles was Geräusch erzeugt in einer industrialisierten Stadt, zu einem gemeinsam klingenden Orchester vereint. Der Futurist Luigi Russolo entwarf eine Musik ohne klassische Instrumente, dafür aber mit sogenannten ´Geräuschtönern´: „Heuler, Gurgler, Summer, Berster, Knisterer, Dröhner nannte er die Apparate, deren Laute mechanisch erzeugt wurden.“, und die dabei „dem Brummen der Motoren, dem Klopfen der Ventile, also den emphatisch erfahrenen Geräuschen der modernen Zeit“[8] entsprechen sollten. Statt einer wirklich theoretisch-kompositorischen Auseinandersetzung mit dem musikalischem Material sind solcherlei Experimente eher dem Bereich provokant-avantgardistischen Kunstverständnisses zuzuordnen, welches sich eine Rückführung der Kunst in die Lebenspraxis erhoffte. Das radikal Neue der Musik ist hier reiner Selbstzweck, geschieht um sich selbst willen und aus Fortschrittseuphorie heraus.

Auch wenn avantgardistische Kunst eher Malerei und Dichtung, oder die eigentliche Kunstrezeption zum Gegenstand hatte, zeugt dieses Beispiel dennoch von dem tiefgreifenden Unvermögen traditioneller Musikkunst, zeitgenössische Geburtswehen der Moderne aufzugreifen und zu thematisieren. Dennoch taten sie dies nur oberflächlich und unbewusst. Eine theoretische Auseinandersetzung mit der Musik, wie sie etwa von einem Schönberg oder Adorno geliefert worden ist, fand hier nicht statt. Wo die radikalsten Exponenten der Avantgarde, wie in obigem Beispiel, einen bemerkenswerten Vorstoß in musikalische Gefilde wagten, geschah das doch aus einem tiefen musikalischen Unverständnis gegenüber den theoretischen Anforderungen der Musik - gerade im Bereich der Musik fehlte der Avantgarde ein avanciertes Materialverständnis mit entsprechendem theoretischem background. Den Attacken der Avantgardisten waren weniger die überkommenden Formen, als denn das ganze System Kunst ausgesetzt. Sie waren Provokateure mit dem Ziel, „dem bürgerlichen Publikum müsse endlich der ästhetische Selbstgenuss ausgetrieben werden“.[9]

[...]


[1] Stephan, 1958; vgl. S. 8

[2] Hepp, 1987; S. 126

[3] Mahnkopf, 1998; S. 32

[4] Mahnkopf, 1998; vgl. S. 35

[5] Mahnkopf, 1998; S. 32

[6] Stephan, 1958; S. 17

[7] Der Begriff Atonal trifft hier nicht ganz, da Zwölftontechnik nicht die Tonalität ersetzt hat, sondern nur eine neue Ordnung/Qualität der Tonbeziehungen geschaffen.(Stephan, 1958; vgl. S.57) Atonal im Sinne eines Tones, der nicht auf dem chromatischen Vorrat basiert, wird eigentlich erst mit der freien Modulation durch elektronische Instrumente möglich.

[8] Schneede, 2001; S. 70

[9] Hepp, 1987; S. 124

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Wege 'neuer Musik' - Zur Verbreitung neuer musikalischer Formen und Stile
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut f. Künste u. Medien)
Veranstaltung
Ausgewählte Themen der Musiksoziologie
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
20
Katalognummer
V89256
ISBN (eBook)
9783638026345
Dateigröße
393 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Auf Seite 7 der Arbeit beziehe ich mich auf "Doktor Faustus - Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn erzählt von einem Freunde" von Thomas Mann. Diese Bezugnahme wurde vom Dozenten kritisch kommentiert, und sollte dementsprechend mit Vorsicht gelesen werden.
Schlagworte
Wege, Musik, Verbreitung, Formen, Stile, Ausgewählte, Themen, Musiksoziologie
Arbeit zitieren
Bachelor of Arts Ron Scheer (Autor:in), 2005, Wege 'neuer Musik' - Zur Verbreitung neuer musikalischer Formen und Stile, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89256

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