Die Institution Literaturkritik - Problematisierung eines Begriffes


Hausarbeit, 2003

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung & V orbemerkungen

2. Spezifika der Literaturkritik

3. Literaturkritik & Literaturwissenschaft

4. Literaturkritik - eine etablierte Institution? Versuch einer Standortbestimmung.—

5. Resümee & .Fazit: Quo vadis, Literaturkritik?

6. Literaturverzeichnis

„ Schlagt ihn tot, den Hund!. Es ist ein Rezensent! “

J. W. von Goethe

„ Wer nicht Partei ergreifen kann, hat zu schweigen. “

„Nur wer vernichten kann, kann kritisieren. “

Walter Benjamin

1. Einleitung & Vorbemerkungen

Die Frage nach der Kritik ist alles andere als ein neumodisches Phänomen. Das menschliche Grundanliegen, auf Kunst zu reagieren und sich über diese Erfahrung mit anderen auszutauschen, dürfte ebenso alt sein wie die Kunst selbst. Daher erscheint die

Gesellschaften ist, durchaus plausibel. Demzufolge hat die Kritik in ihrer Geschichte fortwährend diskursive Verändemngen -durchgemacht. -Auch wenn kritische Elemente seit jeher in jeder Kunstausübung und -rezeption - als Frühformen bereits in Antike, Mittelalter und Renaissance - enthalten sein mögen, ist die Kritik im -allgemeinen, die Literaturkritik im besonderen, in der uns geläufigen Form ein Produkt des 18. Jahrhunderts, dem Zeitalter der bürgerlichen Aufklärung.[1]

Gegenstand dieser Arbeit soll die (west-)deutsche Literaturkritik (auch literarische Kritik oder Kritik-der Literatur genannt) der Gegenwart hzw. der jüngeren Vergangenheit sein, d.h. nach 1945-[2]

Vielerorts, u.a. von Peter Gebhardt[3] und Werner Irro[4], wird auf den etymologischen Zusammenhang zwischen Kritik und Krise hingewiesen, und in der Tat hat man zuweilen den Eindruck, dass die Diskussion über Literaturkritik von ihrer eigenen Krise, von nicht zu vereinbarenden und gegensätzlichen Positionen zehrt.

Da man sich diesem Themenkomplex von mehreren Seiten annähern kann, ist es aufgrund des begrenzt zur Verfügung .stehenden Umfangs unerlässlich, eine gesonderte Vorgehensweise einzuschlagen. Die Formulierung des Titelthemas ist infolge dessen einer weiteren Erläuterung bedürftig, zumal zwei Termini beinhaltet sind, die Raum für Spekulationen und Assoziationen lassen.

Diese Arbeit entsteht unter der These, dass sich die Literaturkritik in Deutschland institutionalisiert hat, sie also den Namen Institution verdient. In welcher Form diese Institution ausgeprägt ist, wird definitori sch und argumentativ noch zu zeigen sein. Worum soll es also gehen? Ziel ist es, eine В estandsaufnahme resp. Standortbestimmung der Literaturkritik zu geben. Hierzu aei folgende Bemerkung gestattet: Es ist nicht beabsichtigt, das komplette Feld der Literaturkritik abzudecken; das wäre ein kühnes Unterfangen auf so wenigen Seiten. Vielmehr soften persönliche Schwerpunkte gesetzt werden. Daher werde ich mich größtenteils auf die literaturkritische Praxis beschränken und die breite theoretische Diskussion außen vor lassen müssen - Stichworte: Problem der literarischen Wertung/Werte, Kanonbildung, linguistische, ästhetisch-philosphische und historische Abrisse etc. Es soll schließlich um eine funktionelle Analyse gehen, in der die o.g. These anhand der mir zur Verfügung stehenden Literaturgrundlage[5] [6] [7] geprüft und bewertet werden soll. Ein besonderes Augenmerk soll im Verlauf auf das Verhältnis zwischen Literaturkritik und Literaturwissenschaft gelegt werden.

Der zweite Terminus Problematisierung erschließt sich aus dem bereits gesagten: Die Literaturkritik scheint sowohl intern als auch extern mit Problemen behaftet zu sein, die es im folgenden herauszuarbeiten gilt. Problematisierung heißt: Fragen stellen, Defizite sichtbar machen und benennen, Sehwachstellen aufzeigen. Dies soll jeweils in jedem alleinstehenden Abschnitt passieren, da alles was kontrovers besprochen wird, offenkundig ein Problem darstefti. Nur indem Probleme explizit gemacht werden, können Verbesserungsvorschläge gemacht werden.

Meinem Verständnis nach ist Literaturkritik ein integrativer bzw. integraler Bestandteil des Literaturbetriebes. Die offene Frage bleibt nur, in welcher Form, in welchem Kontext und welchem Verhältnis. Ich orientiere mich hierbei u.a. an der Auffassung von Peter Glotz, der Literaturkritik nicht im Hinblick auf Poetik oder Ästhetik betrachtet, sondern als Faktor im sozialen Kommunikationsprozess auffasst.[8] Ein Ansatz, der zugegebenermaßen über das Literarische hinaus geht.

2. Spezifika der Literaturkritik

Im folgenden Abschnitt soll auf die Konstituierungsmerkmale der Literaturkritik eingegangen werden. Genauer -gesagt: Was ist Literaturkritik tab sofort: LK)? Was macht sie im wesentlichen aus?

LK ist ein historisch gewachsenes, stets im Kontext der Gegenwart zu betrachtendes Genre, das in erster Linie von der Publizistik praktiziert wird und daher auch als Teil der (nicht-fiktionalen) Literatur einzustufen ist. Primär bezieht sie sich auf die sog. „Belletristik“ oder ^schöne Literatur“, Mit anderen Worten: Die öffentliche Auseinandersetzung mit vorwiegend aktueller Literaturproduktion in Abgrenzung von wissenschaftlich-akademischer LK (vgl. hierzu bes. Abs. 3).[9]

Um einen Eindruck davon zu gewinnen, wie dies konkret vonstatten geht, ist es nötig, sich der soziokuliurellen Einbindungen und der Einbettung ins Kommunikationsgeschehen bewusst zu werden. LK benötigt ein Forum, muss also medial eingebunden sein (die Medien in chronologischer Reihenfolge' Zeitschrift .Zeitung, insbesondere das Feuilleton, Nachrichtenmagazine/ Illustrierte [die sog. Printmedien], Rundfunk, Fernsehen, Internet[10] [die sog. modernen Massenmedien]), um eine (literarische) Öffentlichkeit zu etablieren. Diese unterliegt einem „Doppelcharakter als Kommunikation und als Ware“.[11] Diejenigen, die Kritik ausüben, analog zum Begriff LK die (journalistischen) Literaturkritiker, befinden sich deshalb in einem verzweigten Wechselgeflecht, u.a. ökonomischer Art, das Buchhandel und Verlagswesen umfassen würde. Dem könnten Einrichtungen des Bildungs- und Forschungswesen gegenüber stehen (Universitäten, Schulen etc.).

LK wird allgemein als ,/Bestandteil eines medienübergreifenden Kulturjoumalismus“[12] interpretiert. Obwohl die Bezeichnung LK weitgehend homogen geblieben ist, ist der Begriff als solcher recht schwammig. Vielfach wnirde der Versuch einer Präzisierung unternommen. Peter Glotz hat den, letztlich gescheiterten, Versuch einer Differenzierung zwischen , ästhetikorientierter Literaturkritik ’ einerseits und ,rezeptionsorientierter Buchkritik’ unternommen.*[13] Somit hat er gegen einen synonymen Gebrauch der beiden Begriffe plädiert, eine Auffassung der sich Petra Altmann in ihrer Dissertation anschloss.[14]

Fragt man nach den Aufgaben und Zielen der LK wird es problematisch, die eine Aufgabe wird man im allgemeinen nicht angeben können, auch wenn selten darüber gestritten wird, dass es gewisse Zwecksetzungen gibt. Pauschal gesprochen läuft alles auf einen Minimalkpnsens -hinaus: Die LK -übernimmt fnsbesondere vermittelnde Funktion zwischen Produzenten und Rezipienten der Literatur, das grundsätzlich nach folgendem Schema erfolgt: Autor/ Text <=> Kritiker/ Medium О Leser/ Publikum.[15]

Somit erhält die LK sowohl diskursiven als auch dialogischen Charakter. Wie die Rolle als Vermittler seitens der Kritiker jedoch aufgefasst und wahrgenommen wird, lässt sich nicht klar umreißen, zu groß ist das Spektrum, zu groß der Dissens. Grob vereinfacht lässt sich sagen, dass sich an die Vermittlerfunktion weitere - individuelle wie gesellschaftliche -, anschließen können, so etwa Ästhetik und gesellschaftliche- oder kommunikative Funktionen (z.B. Erörterungs- und W ertungsfunktion, Entscheidungs- und Orientierungshilfe). Der Vollständigkeit halber sei an diesem Punkt an Gustav Seibt verwiesen, der gemäß der Trias Literatur - Öffentlichkeit - Publikum in seinem Aufsatz eine Skizze einer Kritiker-Typologie entwirft.[16] Ferner weist er ausdrücklich darauf hin, dass es sich hierbei um Grundformen handelt, die in der Hteraturkritischen Wirklichkeit nie unvermischt vertreten sein dürften, ein Punkt der zu den größten Beanstandungen gezählt werden dürfte und Thema heftig geführter Debatten war und ist.

Diesen Punkt greift Petra Altmann in ihrer Studie auf, in der sie das Selbstverständnis der Kritiker im Spannungsfeld zwischen Buchverlagen, eigenen Redaktionsstrukturen und Rezepienten untersucht. Sie entwirft das folgende grobe Kategorieschema: der Kritiker als Erzieher, als Vermittler, als Richter und als Impulsgeber für das literarische Leben.[17] Auch sie kommt zur selben Beobachtung wie Seibt[18]

[...]


[1] Vgl. Seiht Gustav: Literaturkritik. In: Arnold, Heinz Ludwig/ Detering, Heinrich (Hg.): Grundzüge der Literaturwissenschaft. München: dtv 4. Auflage 2001, S. 623-637.

[2] Ln seinem Aufsatz weist Seibt ebenfalls darauf hin, dass die zahlreichen literarischen Kulturen in unterschiedlicher Weise definiert haben, was unter Literaturkritik zu fassen sei. Z.B. auf die anglo- amerikanische oder romanische Diskussion zu diesem Thema kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Auch der Aspekt einer „Literaturkritik in der DDR“, wie z.B. bei Wolfgang Albrecht behandelt, bleibt wegen seiner Fülle ausgeklammeri.

[3] Vgl. Gebhardt, Peter (Hg.): Literaturkritik und literarische Wertung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1980, S. Iff.

[4] Vgl. Irro, Werner: Kritik und Literatur. Zur Praxis gegenwärtiger Literatmkritik. Würzburg: Könighausen + Neumann 1986, S. Uff.

[5] Auffällig in diesem Zusammenhang ist, dass sich trotz einer Vielzahl von Publikationen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Thema Literaturkritik keine systematische Gesamtdarstellung aller Einzelbereiche finden lässt, obwohl Literaturkritik als Thema in der interdisziplinären Forschung (Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaften) verstärkt ins Zentrum des Interesses gerückt ist. Eine mögliche Erklärung in der kontroversen Diskussion und historischen Veränderung liegt nahe. Bis dato bietet sich als umfassender Einstieg allein Wolfgang Albrechts Monographie an.

[6] Vgl. Glotz, Peter: Buchkritik: in deutschen Zeitungen. Hamburg: Verlag fÜrBuchmarkt-Forschung 1968.

[7] Albrecht, Wolf gang: Literaturkritik Stuttgart Weimar: J. B. Metzler 2001, S. 1ff.

[8] Vgl. Glotz, Peter: Buchkritik in deutschen Zeitungen. Hamburg: Verlag fiir Buchmarkt-Forschung 1968.

[9] Albrecht, Wolfgang: Literaturkritik. Stuttgart Weimar: J. B. Metzler 2001, S. Iff.

[10] Hier sei auf die herausstechenden Angebote unter \w» w. lite rat urk r: tik. de (seit 1999) als die Verbindung von Universitätsarbeit und literatuijoumahstischer Praxis sowie www.perlentaucher.de hingewiesen.

[11] Albrecht, LK, S. 5.

[12] Albrecht, LK, S. 9.

[13] Vgl. Glotz, Buchkritik, S. 10-17.

[14] Vgl. Altmaim, Petra: Der Buchkritiker in deutschen Massenmedien. Selbstverständnis und Selektionskriterien bei Buchbesprechungen. Dissertation: München 1983.

[15] Vgl. Albrecht, LK, S. 9-15 u. S. 27-29.

[16] Vgl. Seibt, LK, S. 627-634.

[17] Vgl. Altmann, Der Buchkritiker, S. 28ff.

[18] Es muss darauf hingewiesen werden, dass diese Zahlen nicht auf heutige Verhältnisse übertragbar sind. Doch in Ermangelung einer neueren empirischen Erhebung zur Auswertung rekurriere ich auf Altmann (1983). Die Verhältnisse nach der deutschen Wiedervereinigung bleiben daher leider spekulativ.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Institution Literaturkritik - Problematisierung eines Begriffes
Hochschule
Universität Hamburg  (Institut für Germanistik II)
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
23
Katalognummer
V89127
ISBN (eBook)
9783638025737
Dateigröße
2048 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Institution, Literaturkritik, Problematisierung, Begriffes
Arbeit zitieren
Michael Christian Starke (Autor:in), 2003, Die Institution Literaturkritik - Problematisierung eines Begriffes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89127

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