Mädchen in sozialpädagogischen Betreuungseinrichtungen

Empfindungen, Hindernisse und Chancen bei einer Jugend außerhalb des Familienverbandes


Diplomarbeit, 2007

184 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Weibliche Adoleszente
2.1 Die Pubertät
2.2 Begriffsklärung: Adoleszenz
2.2.1 Mögliche Periodisierung der Adoleszenz
2.3 Sozialisationsinstanzen und geschlechtsspezifische Sozialisation
2.4 Ursachen von Konflikten mit Erwachsenen in der Adoleszenz
2.5 Problembereiche von Mädchen in der Adoleszenz
2.6 Die Bedeutung der „Peer Group
2.7 Resümee

3. Familie
3.1 Die Bedeutung der Familie
3.1.1 Die Bedeutung der Mutter für Mädchen
3.1.2 Die Bedeutung des Vaters für Mädchen
3.1.3 Die Bedeutung der Geschwister
3.1.4 Scheidungskinder
3.1.5 Zwischenresümee
3.2 Familiäre Gewalt
3.2.1 Formen von Gewalt
3.2.1.1 Psychische (seelische) Misshandlung
3.2.1.2 Körperliche (physische) Misshandlung
3.2.1.3 Sexueller Missbrauch
3.2.2 Mögliche Reaktionen auf Störungen in der Familiendynamik
3.3 Resümee

4. Außerfamiliäres Wohnen
4.1 Herkunftsfamilien und Problembereiche der Betroffenen
4.2 Bringt eine institutionelle Betreuung auch Chancen mit sich?
4.3 Jugendsozialarbeit
4.4 Resümee

5. Außerfamiliäre soziale Hürden von Jugendlichen
5.1 Schule
5.2 Berufsausbildung
5.3 Gesellschaft
5.4 Zukunftsaussichten für junge Menschen der heutigen Zeit
5.5 Resümee

6. Die Institution LSB- Netzwerk
6.1 Kurzer Einblick in die Entwicklungsgeschichte des „betreuten Jugendwohnens“
6.2 Beschreibung der Institution LSB- Netzwerk
6.3 Entwicklungsgeschichte
6.4 Tätigkeitsfelder und Größe der Institution
6.5 Mitarbeiter
6.6 Wichtigste Kooperations- und Bündnispartner
6.7 Zielgruppe und Aufnahmekriterien für das „Betreute Wohnen“
6.8 Das Arbeitsfeld im „Betreuten Wohnen“
6.9 Regeln und Pflichten der Jugendlichen

7. Forschungsmethodische Anlage
7.1 Forschungsfragen
7.2 Methodische Vorgehensweise
7.3 Die qualitative Forschungsmethode
7.3.1 Das narrative Interview
7.4 Stichprobe

8. Datenerhebung und Auswertung
8.1 Biographische Angaben zu den Interviewpartnerinnen
8.2 Kindheits-Erfahrungen
8.3 Empfindung des Abstandes zum Elternhaus
8.4 Vorbildwirkung der Eltern
8.5 Schule und Ausbildung
8.6 Peer Group
8.7 Akzeptanz und Befinden in der Einrichtung
8.8 Weitere soziale Hürden der Mädchen
8.9 Zukunftspläne
8.10 Empfindungen beim Gedanken an Auszug

9. Interpretation und Fazit

10. Literaturverzeichnis

11. Anhang

„Jugend ist in erster Linie schöpferisches Potential, nicht sozialer Problemfaktor, und als solches eine kulturelle Herausforderung“.

(Anastasiadis, 2004, S. 505)

1. Einleitung

Was hat mich dazu veranlasst, die vorliegende Diplomarbeit mit der behandelnden Thematik zu schreiben?

Eine weite Ausholung lässt der Rahmen dieser Arbeit als auch meine persönliche Bereitschaft dazu, sehr persönliche Abschnitte aus meinem eigenen Leben zu verschriftlichen, nicht zu.

Dennoch ist aber Bereitschaft genug vorhanden, meine persönliche Motivation zu skizzieren, wozu ich allerdings einen größeren Zeitrahmen aus meinem Leben in die Gegenwart rufen muss: Aufgewachsen als Arbeitertochter einer Großfamilie mit 14 Kindern verbrachte ich wohl eine Kindheit in einer Anzahl von Familienmitgliedern, welche für die heutige Zeit eher „ungewöhnlich“ geworden ist. Dieses Aufwachsen hat mir für mein weiteres Leben zahlreiche Vorteile gebracht (soziale Kompetenzen, Selbstverantwortung, Durchhaltevermögen etc.) – war aber unumstritten auch mit so manchen Nachteilen behaftet (Ausbildung, Zeit für den Einzelnen etc.).

Wahrscheinlich war vor allem die mangelnde Zeit für den Einzelnen und die Autonomie die ich schon sehr früh anstreben (musste) auch der ausschlaggebende Punkt dafür, weshalb sich die Werte, Normen und Lebensvorstellungen von mir und meinen Eltern in meiner Adoleszenz massiv kreuzten, was zu groben Konflikten führte. Aus diesem Grund machte ich mich im Alter von 17 Jahren auch selbst dafür stark aus dem familiären Umfeld Auszug nehmen zu können.

Einzug fand ich dann für das nächste halbe/dreiviertel Jahr – bis hin zu meiner Volljährigkeit in dem vom LSB- Netzwerk angebotenen „Betreuten Wohnen“. Dort bekam ich eine Betreuerin an meine Seite, welche mich auf dem restlichen Weg bis hin zum Abschluss meiner Lehre und der daraus resultierenden kompletten Selbständigkeit meinerseits, begleitete.

Ein paar Jahre später, nämlich in der Schwangerschaft zu meinem ersten Sohn beschloss ich dann meinem schon früh gesetzten Ziel, selbst im sozialpädagogischen Bereich zu arbeiten, nachzugehen. Wenngleich mir meine Eltern diesen Bildungsweg niemals ermöglicht hätten, lernte ich innerhalb des Familiensystems bereits in der Kindheit bzw. frühen Jugend für eigene Ziele selbst verantwortlich zu sein und dafür auch arbeiten zu müssen. Unterstützung für mein Ziel auch in der von mir gewünschten adäquaten Art und Weise arbeiten zu können (vor allem als nun junge Mutter), bot mir ein tolles familiäres Netz.

Nachdem der erste Abschnitt des Studiums „Pädagogik“ vollbracht war und ich den Zweig „Sozial- und Integrationspädagogik“ einschlug, wurde es auch schon bald an der Zeit, mich nach einem geeigneten Praktikumsplatz umzusehen und was lag für mich wohl näher, als bei LSB innerhalb des „Betreuten Wohnens“ anzufragen, zumal ich zu meiner damaligen Betreuerin Fr. Mag. Maurer-Scheidenberger MAS stets in guter Verbindung stand.

Bedenken hatte ich nur wenige, außer der Angst aufgrund meines Alters von den Jugendlichen – welche doch das Mindestalter von 16 Jahren haben, nicht ernst genommen zu werden. Im Grunde stand aber die Neugierde im Vordergrund, die Institution von der „anderen Seite“ kennen zu lernen.

Meine Bedenken erwiesen sich in der Praktikumszeit als hinfällig: Die meisten Jugendlichen erlebten mich durch meine eigene Vorgeschichte als authentisch, was schnell zu intensiven Zugängen zu ihnen führte.

Schon in dieser Praktikumszeit von zwei Monaten lernte ich Schicksale kennen, welche mich sehr berührten und von denen ich auch lernte. Meine Erwartungen und Hoffnungen auf die Arbeit im sozialpädagogischen Bereich wurden trotz einiger Problematiken in dieser Arbeit nicht nur erfüllt, sondern bei weitem übertroffen.

Als ich nach der Praktikumszeit die frei gewordene Stelle als „Freizeitbetreuerin“ angeboten bekam, nahm ich überrascht und dankend an. Ich bekam dadurch die Möglichkeit, das Arbeitsfeld noch genauer zu erforschen und meine Fähigkeiten und Grenzen näher kennen zu lernen. Mir war schnell klar, dass diese einmalige Chance nur von Nutzen für meine weitere Berufslaufbahn sein kann – unabhängig davon, wohin es mich verschlägt.

Nun arbeite ich seit über einem Jahr im freizeitpädagogischen Bereich – mit einigen Höhen und Tiefen, welche mit dieser Arbeit verbunden sind. Ich habe gelernt mit einigen Hürden besser umzugehen aber auch einen Zugang zu finden, wie man Jugendliche für eine Sache motivieren kann. Dadurch haben wir schon sinnvolle Projekte (Tonstudio- Aufnahme, Faschingssitzung etc.) umsetzen können, bei denen die Leistungen der Jugendlichen grandios waren – ja, oft erst dabei zum Vorschein kamen.

Projekte dieser Art verfolgten den Sinn, dass „benachteiligte“ Jugendliche die Erfahrung machen konnten, positiv im Rampenlicht zu stehen.

Mit dieser Anmerkung möchte ich aber nun auf das Ziel dieser Diplomarbeit leiten: Wenn ich mit verschiedenen Menschen ins Gespräch über die Jugendarbeit bzw. über das „Betreute Wohnen“ komme, wissen die meisten nicht darüber bescheid, welches Ziel eine solche Institution verfolgt, noch haben sie zumeist anderes Hintergrundwissen.

Dennoch vermuten die meisten Menschen Jugendliche mit delinquenten, nicht gesellschaftsfähigen Verhaltensweisen als Klientel solcher Einrichtungen.

Diese Vorbehalte gegen junge Menschen, die zumeist eine sehr schwere Vergangenheit hinter sich haben, stören mich im hohen Ausmaß. Dennoch bin ich mir darüber bewusst, dass man nur durch Aufklärung eine erweiternde Sichtweise bei vielen Menschen in unserer Gesellschaft erreichen kann, was ich mit dieser Diplomarbeit versuchen möchte.

Wenngleich das „Betreute Wohnen“ in keiner Weise mit einer Heiminstitution in Vergleich gezogen werden kann, möchte ich mit dieser Arbeit die Vorbehalte der Gesellschaft nicht vollkommen von der Hand weisen, denn selbstverständlich zeigen manche Jugendliche in sozialpädagogischen Einrichtungen tatsächlich delinquentes bzw. abweichendes Verhalten auf.

Verwehren möchte ich mich jedoch gegen die Verallgemeinerung etlicher Vorurteile, weil diese den ohnehin vorbelasteten Jugendlichen weitere Benachteiligungen in Schule, Berufsausbildung und Gesellschaft bringen können.

Was ich mit dieser Arbeit also erreichen möchte ist es, ein Verständnis für die belastenden Lebensbiographien von vielen Jugendlichen in sozialpädagogischen Einrichtungen zu schaffen. Durch das Verständnis der Lebenslagen sollten etwaige Handlungen bzw. Lebensweisen der Jugendlichen verstehbar gemacht werden.

Aber auch die Tatsache, dass eine sozialpädagogische Institution als Chance für belastete Kinder und Jugendliche gesehen werden kann, sollte diese Arbeit veranschaulichen.

Anhand von sechs Mädchen aus dem „Betreuten Wohnen“, welche mir für mein Erkenntnisinteresse ausführliche Interviews schenkten, sollte das Vorurteil aus der Welt geschaffen werden, dass es sich bei Jugendlichen in sozialpädagogischen Einrichtungen um motivationslose, verhaltensauffällige, unangepasste junge Menschen handelt.

Vom kompletten Gegenteil wird – so hoffe ich, der empirische Teil überzeugen.

Die Lebensumstände vor dem Einzug in die Einrichtung sollten von großer Bedeutung werden, da ich in dieser Arbeit auf die Empfindungen der Mädchen vor und nach dem Auszug aus dem Elternhaus großen Wert gelegt habe.

In keinem Fall möchte ich mit dieser Vorgehensweise Mitleid für diese Mädchen erwecken, da in den Interviews klar hervor kam, dass sie Mitleid von sich weisen. Es geht um Verständnis: Verständnis für Lebenslagen, welche kein Bilderbuch zeichnet und vor welchen in unserer Gesellschaft gerne die Augen verschlossen werden.

Doch es ist zu wenig, lediglich etwaige Auswirkungen seitens der Jugendlichen welche von dissfunktionalen Familienverhältnissen stammen, in den Blick zu nehmen. Darüber spricht sich zwar am leichtesten und jedermann beteiligt sich auch gerne mit Empörung an solchen Themen, doch dieser einseitige Blick ist ungerechtfertigt und auch ungerecht den jungen Menschen gegenüber.

Aus diesem Grunde habe ich diese Diplomarbeit geschrieben, welche sich an die einzelnen förderlichen und unförderlichen Sozialisationsbedingungen von jungen weiblichen Menschen theoretisch und praktisch herantastet.

Leider ließ es der Rahmen dieser Arbeit lediglich zu, Sozialisationsbedingungen, Hindernisse und Chancen eines Geschlechts in den Blick zu nehmen, denn verständlicher Weise gestalten sich die Lebenslagen und Empfindungen von Mädchen und Burschen in einigen Bereichen vollkommen unterschiedlich. Ich habe mich für das weibliche Geschlecht entschieden, einerseits weil es im „Betreuten Wohnen“ mehr Mädchen als Jungen gibt, vor allem aber weil es mir leichter fällt, mich in die Problemlagen der Mädchen hinein zu versetzen.

Eine weitere bzw. erweiternde Arbeit wäre im Hinblick dessen spannend, welche geschlechtsspezifischen Unterschiede aber auch Gemeinsamkeiten sich bei Jugendlichen in Betreuungseinrichtungen verzeichnen lassen.

Nun möchte ich mich aber noch in kurzen Worten meiner Vorgehensweise in dieser Arbeit widmen:

Der Begriff „Pubertät“ ist jedem geläufig. Die meisten Menschen ordnen den Pubertierenden bzw. Adoleszenten auflehnende, störrische Charaktereigenschaften bei, welche oft zu groben Konflikten im Elternhaus führen.

Und dieser Eindruck ist in keinem Fall von der Hand zu weisen, da ein Jugendlicher sowohl in körperlicher als auch in psychischer Hinsicht tatsächlich einige Prozesse durchmachen muss, mit welchen der junge Mensch umgehen lernen muss und was auch Reaktionen hervorruft.

Mein Bestreben ist es aber nun, ein Verständnis für diese Prozesse zu schaffen. Durch die Aufklärung darüber, was sich beim Jugendlichen in der Zeit „Adoleszenz“ in körperlicher und psychischer Hinsicht tut, sollte eine Sichtweise geschaffen werden, welche die sichtbaren Veränderungen des Jugendlichen verständlich macht.

In weiterer Folge möchte ich mich insbesondere mit den Problembereichen von Mädchen in der Adoleszenz sowie den Ursachen von Konflikten mit Erwachsenen in dieser Zeit, beschäftigen.

Auch der Grund, weshalb die „Peer Group“ (Gleichaltrige) in dieser Zeit so bedeutsam für den einzelnen Jugendlichen wird, sollte in diesem ersten Theorieteil erläutert werden.

Das folgende Kapitel beschäftigt sich dann mit der „Familie“ als erste Sozialisationsinstanz – auch um aufzuzeigen, was den jungen Menschen außerhalb des Familienverbandes möglicher Weise fehlen könnte. Hier wird auch auf die Bedeutung jedes einzelnen Familienmitgliedes (Mutter, Vater, Geschwister) Bezug genommen.

Da bei institutionell betreuten Kindern und Jugendlichen häufig familiär durchlebte Gewaltformen zu verzeichnen sind, wird hier zudem ein Problemaufriss getätigt, welcher drei verschiedene Gewaltformen erklärt und mögliche Reaktionen auf Störungen in der Familiendynamik aufzeigt.

Anschließend widme ich mich in dieser Arbeit dem „außerfamiliären Wohnen“: Hier sollten die Herkunftsfamilien als auch die Problembereiche der Betroffenen in den Blick genommen werden, aber auch diverse Chancen für einen jungen Menschen welcher in institutioneller Betreuung steht, genannt werden.

Ein kurzer Aufriss über die Jugendarbeit sollte einen Einblick darüber verschaffen, welche Bereiche in diese Arbeit fallen und welche Grundsätze sie verfolgt.

Die außerfamiliären sozialen Hürden der Jugendlichen sollten dann in einem weiteren Kapitel thematisiert werden. Hier geht es vorwiegend um Problembereiche in Schule, Berufsausbildung und Gesellschaft. Auch die Frage, welche Zukunftsaussichten junge Menschen in der heutigen Zeit haben, gehört diesem Kapitel an.

Weiteres wird dann die Institution LSB- Netzwerk vorgestellt, wobei insbesondere auf dem von dieser Institution angebotenen „Betreuten Wohnen“ Bezug genommen wird.

Die Offenlegung der Struktur dieser Institution – gerade im Hinblick auf das „Betreute Wohnen“ dient zur Verständnisgrundlage für den folgenden empirischen Teil, welcher sich mit sechs Mädchen beschäftigt, die diese Wohnform genießen.

Hier sollten dann Übereinstimmungen und Abweichungen zur bestehenden Theorie gesammelt und diskutiert werden. In erster Linie aber dient dieser Teil der Datenauswertung.

Im Resümee wird die Gegenüberstellung von Theorie und Praxis in weiterer Folge ersichtlicher, sowie eigene Standpunkte und Erfahrungen diskutiert werden. Dadurch sollten sich dann auch etwaige Zukunftsaussichten bzw. Empfehlungen ergeben, welche eigene Überlegungen mit einschließt.

Mit dieser recht ausführlichen Einleitung widme ich mich nun dem vorerst versprochen Kapitel über die ausführliche Klärung der Lebensphase „Adoleszenz“.

2. Weibliche Adoleszente

2.1 Die Pubertät

Die Adoleszenz beschreibt die letzten Augenblicke der Kindheit und dem Leben als erwachsene Frau bzw. erwachsener Mann. Im Gegensatz dazu beschreibt die Pubertät „den biologischen Umstand, daß die Genitalien ausgereift und die Zeugungs- und Gebärfähigkeit hergestellt ist.“ (Menschik, 1990, S. 205)

Man könnte also sagen, dass die „Adoleszenz eine durch die gesellschaftlichen Verhältnisse geschaffene Entwicklungsphase“ ist, „während die Pubertät ein natürliches Entwicklungsphänomen, die Folge der körperlichen Veränderungen bezeichnet.“ (Menschik, 1990, S. 206)

Der Unterschied zwischen der Pubertät und der Adoleszenz besteht darin, dass sich die Adoleszenz eher auf die „psychologische Bewältigung der körperlichen und sexuellen Reifung“ bezieht, während die Pubertät den körperlichen Reifungsaspekt meint. (vgl. Remschmidt, 1992, S. 2)

Der Begriff „Pubertät“ ist also primär ein biologischer Begriff. (vgl. Remschmidt, 1992, S. 1) Im Grunde beschreibt der Begriff „Pubertät“ demnach die „biologischen und physiologischen Veränderungen, die mit der körperlichen und sexuellen Reifung verbunden sind. Sie wird markiert durch das Auftreten der Menarche bzw. der ersten Ejakulation. Diese Merkmale sind allerdings als Grenzmarken für das Einsetzen der Pubertät insofern umstritten, als bereits vor deren Eintritt puberale Veränderungen begonnen haben.“ (Remschmidt, 1992, S. 2)

Die Hauptaufgaben von Jugendlichen in der Pubertät sind mehrfache: Einerseits müssen sie lernen mit dem eigenen Körperbild fertig zu werden und dabei gleichzeitig ein gesundes Maß an Selbstvertrauen gewinnen. Auch das Wertesystem vollzieht sich in dieser Zeit einem Wandel. Zudem muss er sich langsam von seinen Eltern ablösen und gleichsam neue Beziehungen zu Altersgenossen herstellen. Die Hauptaufgabe in dieser Zeit lässt sich also wohl als den Weg zum „sozio –ökonomischen Erwachsenen“ beschreiben. (vgl. Menschik, 1990, S. 206)

2.2 Begriffsklärung: Adoleszenz

Wenngleich im vorigen Kapitel auf die Adoleszenz bereits kurz Bezug genommen wurde, gilt es nun einen näheren Einblick in diese Entwicklungsphase zu wagen.

Die wesentlichsten Beschreibungen der Lebensphase „Adoleszenz“ sind auf Anna FREUD (1958) zurück zu führen, wobei ihre Einschätzung in einigen Punkten noch sehr negativ besetzt war. (vgl. Fend, 1998, S. 10)

Aus diesem Grund wird sich der folgende Teil über die Adoleszenz auch mit neueren theoretischen Erkenntnissen beschäftigen:

„Die Adoleszenz ist eine lebensgeschichtliche Phase, in der der Zusammenhang zwischen körperlichen, psychischen und sozialen Prozessen besonders deutlich wird. Die sexuellen Reifungsprozesse, die körperliche Möglichkeit zu genitaler Sexualität und dazu, Kinder zeugen und gebären zu können, sind der Auslöser für die typischen psychischen und sozialen Entwicklungen während der Adoleszenz (…).“ (Flaake/King, 1992, S. 13)

„Die Adoleszenz ist also die Zeit des Heranwachsens mit allen Ungewissheiten der emotionalen und sozialen Weiterentwicklung.“ (Menschik, 1990, S. 205)

Aber auch die Psychoanalyse bietet einen interessante Aufgabenbereich bzw. eine genauere Erläuterung der Lebensphase „Adoleszenz“:“ Das über das introjizierte Über-Ich in die elterlichen Autoritäten eingebundene Kind muß ein selbständiges Wesen werden, das nicht mehr das tut, was die Eltern wollen und weil es die Eltern wollen, sondern das aus eigener Überzeugung handelt. Das introjizierte elterliche Über-Ich muß sich zu einem Ich-Ideal wandeln, das nun die weitere Richtung der selbstgestalteten Entwicklung vorgibt. (…)“ (Fend, 1998, S. 13)

„Als Rechtsbegriff wird die Adoleszenz „Jugend“ oder „Jugendalter“ genannt.“ (Weinstabl, 2002, S. 27)

Der Begriff „Jugend wird heute eine doppelte Bedeutung beigemessen:“ Sie ist einmal eine subjektive biografische Lebensphase, in der Aufgaben der inneren Entwicklung, des Lernens, der Identitätsbildung anstehen; sie ist zum anderen eine gesellschaftlich bestimmte Lebenslage, abhängig von gesellschaftlichen Bedingungen und Erwartungen, vor allem aber von der Zukunft und Zukunftsfähigkeit der zentralen Regelungen und Grundlagen unserer Arbeitsgesellschaft.“ (Fischer/Münchmeier, 1997, S. 13)

Im Grunde kann man sagen, dass die Adoleszenz eine Entwicklungsphase ist, welche auf die Pubertät folgt und mit dem Erwachsenenalter endet. In diesem Entwicklungsprozess sollten die Jugendlichen verschiedene Aufgaben des Erwachsenenlebens kennen lernen um im weiteren Verlauf selbst danach zu leben. Der Jugendliche identifiziert sich in dieser Zeit weniger mit den Eltern und wendet sich anderen „Liebesobjekten“ zu. Eltern können ihre Kinder in dieser Zeit durch eine „angemessene Erziehung“ unterstützen. Bei dieser Unterstützung sollte der Entwicklungsstand des Jugendlichen allerdings reflektiert werden um adäquat handeln zu können. (vgl. Weinstabl, 2002, S. 44f.)

Um die weibliche Adoleszenz verstehen zu können ist es von Bedeutung, die „subjektiven Interpretationen des Körper- und Geschlechtserlebens“ (Flaake/King, 1992, S. 13) als auch die damit verbundenen psychischen Prozesse zu verstehen.

Aus diesem Grunde wird nun eine mögliche „Periodisierung des Jugendalters“ (Knapp/Salzmann, 2001, S. 14) vorgenommen, um die Entwicklungsschritte von der „Vorpubertät“ bis hin zur „späten Adoleszenz“ zu klären:

2.2.1 Mögliche Periodisierung der Adoleszenz

Vorpubertät:

Die Vorpubertät ist jene Zeitspanne zwischen der Lebensphase „Kindheit“ und dem Auftreten „erster sekundärer Geschlechtsmerkmale“. Sie erstreckt sich in etwa vom 10. bis zum 12. Lebensjahr wobei es in dieser Zeit zu starken „interindividuellen zeitlichen Schwankungen“ kommt. Bei Mädchen erfolgt dieser Prozess meist früher als bei Jungen. (Knapp/Salzmann, 2001, S. 14)

Wie bereits erwähnt, wird bei Mädchen zumeist das Einsetzen der ersten Monatsblutung und beim Jungen das Auftreten der ersten „Pollution“ (Samenerguss) als „objektive Indikatoren“ für den Beginn der Pubertät herangezogen.(vgl. Kasten, 1999, S. 51)

Wenngleich auf das Ablösungsbestreben welche Jugendliche in der Adoleszenz verfolgen im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch konkreter Bezug genommen wird, sei schon an diesem Punkt festgehalten, dass es bereits in dieser Zeit zu einer verstärkten Auflehnung gegen die Bevormundungen seitens der Erwachsenen kommt. (vgl. Knapp/Salzmann, 2001, S. 14f.)

Für die Lebensphase „Adoleszenz“ bestehen manch Periodisierungen, wobei ich im Folgenden auf eine Bezug nehmen möchte. Diese Periodisierung beinhaltet die a) Transeszenz, die b) frühe Adoleszenz sowie c) die späte Adoleszenz:

a) Transeszenz:

Da die „Adoleszenz“ den gesamten Übergang von der Kindheit bis hin zum Erwachsenenalter mit einschließt und sich diese Zeit vom 10. bis zum 21. Lebensjahr erstrecken kann, wird zum Begriff „Adoleszenz“ meist eine weitere Unterteilung vorgenommen.

Demnach handelt es sich bei der Transeszenz um die Zeitspanne der einsetzenden bis hin zur „frühen Adoleszenz“. Sie dauert in etwa vom 11. bzw. 12. bis zum 14. Lebensjahr. (vgl. Knapp/Salzmann, 2001, S. 15)

Durch die enormen psychischen als auch körperlichen Veränderungen in dieser Periode, kommt es hier zu einem veränderten Selbstverständnis als auch zu einem geänderten Verhältnis zu seinen Mitmenschen. (vgl. Knapp/Salzmann, 2001, S. 20)

Die körperlichen Veränderungen gehen in dieser Zeit beschleunigt von statten, wobei dieser „Wachstumsschub“ bei Mädchen in etwa zwei Jahre früher als bei Jungen einsetzt. Hauptsächlich obliegen die Veränderungen in der Adoleszenz aber nicht dem Körper an sich, sondern der Geschlechtsreifung. (vgl. Knapp/Salzmann, 2001, S. 20ff.)

Natürlich gibt es unterschiedliche Entwicklungsfortschritte hinsichtlich des Körpers bei Jugendlichen in der „Transeszenz“ bzw. „frühen Adoleszenz“:“ Vollzieht sich der Wachstums- und Reifungsprozeß bei den Heranwachsenden beschleunigt, spricht man von einer Akzeleration, erfolgt er im Vergleich zum Altersdurchschnitt verzögert, wird meistens der Begriff Retardation (auch:Dezeleration) verwendet.“ (Knapp/Salzmann, 2001, S. 24) Dieser „beschleunigte“ bzw. „verzögerte“ Prozess ist jedoch lediglich auf eine Vergleichsgruppe beziehbar. (vgl. Knapp/Salzmann, 2001, S. 24)

Wenngleich die benannten körperlichen und psychischen Veränderungen beim Jugendlichen ausschlaggebend für diverse Probleme während der Adoleszenz sein können, bleibt anzumerken, dass retardierte Jugendliche aufgrund ihrer verzögerten Entwicklung auch Minderwertigkeitsgefühle entwickeln können. Damit verbunden könnte die Folge sein, dass sich der/die Jugendliche mit dem eigenen Geschlecht nicht identifizieren kann. (vgl. Knapp/Salzmann, 2001, S. 71) Aus diesem Grunde ist es für Mädchen in der Adoleszenz auch meistens eine Erleichterung, wenn sie in ihrem eigenen Entwicklungsstand Gemeinsamkeiten zu anderen Mädchen feststellen können, da hiermit die Zugehörigkeit wieder hergestellt ist. (vgl. Flaake, 2001, S. 236)

Weiteres ist diese Lebensphase gekennzeichnet von einem ersten „Ablösungs- und Verselbstständigungsprozesses gegenüber der Herkunftsfamilie.“ (Münchmeier, 1997, S. 280) Die Jugendlichen beginnen sich in dieser Zeit bereits mehr den Gleichaltrigengruppen (Peer Groups) zuzuwenden. Durch diese ersten Kontakte erfolgen jedoch auch erste Risiken wie beispielsweise durch „gesundheitsriskantes Verhalten, Alkohol und/oder Drogen“. Obenan stehen schon in dieser Lebensphase Konflikte mit (nahe stehenden) Autoritäts- oder auch Lehrpersonen. (vgl. Münchmeier, 1997, S. 280)

b) Frühe Adoleszenz:

Die Transeszenz wird etwa im Alter von 14. Lebensjahr von der „frühen Adoleszenz“ abgelöst, welche dann circa bis zum 18. Lebensjahr andauert.

Man bemerkt bei den Jugendlichen in dieser Zeit eine ansteigende Tendenz intime Freundschaften zu pflegen. Ebenso ist diese Zeit gekennzeichnet von „Auflehnung und Konformität“ (Knapp/Salzmann, 2001, S. 15): Das bedeutet, dass sich die Jugendlichen in dieser Zeit im hohen Ausmaß gegen Werte, Normen und Orientierungsmuster seitens der Erwachsenen wehren und dennoch Konformität im Standard der „Peer Group“ halten können. (vgl. Knapp/Salzmann, 2001, S. 15)

Die sexuellen Erfahrungen welche die Jugendlichen in dieser Zeit sammeln werden eher aus Neugierde und dem „Ausprobieren der eigenen Grenzen“(Knapp/Salzmann, 2001, S. 16) gemacht, als dass sie tatsächlich eine Interesse an Intimität verspüren würden.

Die „frühe Adoleszenz“ ist außerdem von ambivalenten Haltungen als auch starken Stimmungsschwankungen gekennzeichnet. Diese erfolgen durch die Tatsache, dass sich Bindungen von wichtigen Personen in der Kindheit lockern bzw. auflösen und sie ihre bisherigen Gelüste neuen Situationen anpassen müssen. Durch diese „Affektkrisen“ können plötzliche Stimmungs- Veränderungen auftreten und verstanden werden. (vgl. Knapp/Salzmann, 2001, S. 16)

Wo diese inneren Widersprüche in jeder anderen Lebenszeit als ein krankhafter Zustand gedeutet werden würde, gestaltet sich dies in der Pubertät anders. „Sie sind ein Hinweis darauf, daß es Zeit braucht, eine für das erwachsene Leben brauchbare Persönlichkeit aufzubauen, daß das Ich nach Lösungen sucht, sie aufnimmt und wieder verwirft und zögert, endgültige Entscheidungen zu treffen.“ (Menschik, 1990, S. 206)

c) Späte Adoleszenz:

„Der Begriff „Späte Adoleszenz“ bezeichnet die Zeitspanne etwa vom vollendeten 17. Lebensjahr bis in die Mitte der 20er Jahre. Das Ende dieser Phase wird mit dem Eintritt in den Status des Erwachsenen festgelegt und erfolgt ausschließlich durch soziale Normierungen.“ (Knapp/Salzmann, 2001, S. 16)

Die „psychische Reorganisation“ (Knapp/Salzmann, 2001, S. 16) der „frühen Adoleszenz“ kommt in dieser Zeit zu ihrem Ende und der junge Mensch beginnt sich verstärkt für seine Zukunft zu interessieren.

Die Identitätsfindung ist – wie in der „frühen Adoleszenz“ auch in dieser Phase noch ein wichtiges Thema. Mittelpunkt der Periode „späte Adoleszenz“ ist aber dennoch die Berufs- und Partnerwahl welche in weiterer Folge die Selbstidentität als auch die Fähigkeit zur Intimität prägen. (vgl. Knapp/Salzmann, 2001, S. 16)

2.3 Sozialisationsinstanzen und geschlechtsspezifische
Sozialisation

„Die Sozialisationsforschung ist ein eher neuer Forschungsbereich der Soziologie, der je nach Perspektive transdisziplinär psychologische, erziehungswissenschaftliche, politologische und kommunikationswissenschaftliche sowie auch biologische und medizinische Aspekte mehr oder weniger stark einbezieht.“ (Sagmeister, 2004, S. 45)

Geprägt wurde der Begriff „Sozialisation“ einerseits vom französischen Soziologen Emile Durkheim (1858 – 1917) und ebenfalls in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts von Erneste W. Burgess in die US- amerikanische Soziologie eingeführt. (vgl. Sagmeister, 2004, S. 46)

Gunhild Sagmeister bezieht sich mit folgender Definition des Begriffes „Sozialisation“ beispielsweise auf Hurrelmann (1993):“Sozialisation umfasst alle bewusst und unbewusst ablaufenden Prozesse der wechselseitigen Einflussnahme von Personen untereinander sowie auch mit den jeweiligen sozio-ökonomischen und regionalen Rahmenbedingungen.“ (Sagmeister, 2004, S. 46)

Nach Talcott Parsons Ansatz wird Sozialisation als die Entwicklung der Fähigkeit zu (sozial erwarteten) Rollenhandeln verstanden. Dieser Ansatz setzt allerdings voraus, dass der einzelne Mensch die Wertvorstellungen und Normen der Gesellschaft verinnerlicht hat. Die individuellen Bedürfnisse sollten außerdem so entwickelt sein, dass sie mit den gesellschaftlichen Erwartungen konform gehen. (vgl. Sagmeister, 2004, S. 47)

„PARSONS unterscheidet das „persönliche System“, das den Zusammenhang der Handlungen des Individuums umfasst, das „soziale System“ als System komplementärer Rollenerwartungen und das „allgemeine Wertsystem“, womit die Gesamtheit der Werte, Normen und Regeln eines Gesellschaftssystems gemeint ist.“ (Sagmeister, 2004, S. 48)

Die „soziale Existenz“ von Jugendlichen ist vor allem von folgenden Instanzen geprägt: Der Familie, der Schule, von beruflichen Ausbildungsstätten, der Peer Group (siehe Kap. 2.6) sowie von Religion und Kirche. (vgl. Schäfers, 1998, S. 115)

Auf die Bedeutung der meisten oben genannten Sozialisationsinstanzen wird im Zuge dieser Arbeit noch näherer Bezug genommen. An dieser Stelle sollte lediglich eine Begriffsklärung von „Sozialisation“ sowie die Anführung der einzelnen Sozialisationsinstanzen geboten worden sein.

Abschließend dazu sei noch auf das Ziel des Sozialisationsprozesses hingewiesen:“ (…) ist der Aufbau einer stabilen Ich- Identität als Voraussetzung von Selbständigkeit und Handlungskompetenz.“ (Schäfers, 1998, S. 97)

Mit diesem kurz gehaltenen Einblick sollte nun auf die häufig konfliktreiche Beziehung zwischen Erwachsenen und adoleszenten Mädchen bzw. Jungen Bezug genommen werden.

2.4 Ursachen von Konflikten mit Erwachsenen in der Adoleszenz

Konflikte zwischen Eltern und Jugendlichen in der Ablösungsphase können entstehen, wenn keine adäquate Bindung zwischen ihnen besteht oder Eltern die Ablösung ihres Kindes verhindern wollen bzw. nicht angemessen darauf reagieren. Nur wenn die Beziehung zwischen Eltern und Kind(er) bereits in der Kindheit intakt war, kann während und nach der Adoleszenz eine neue – Partnerschaftliche Beziehung entstehen. (vgl. Weinstabl, 2002, S. 62)

Eine weitere bzw. erweiternde Sichtweise dazu bietet folgender Aspekt: Heranwachsende stehen in der Adoleszenz vor der schwierigen Aufgabe, ihre Beziehungsstrukturen neu zu gestalten. Dieser Ablösungsprozess vom Elternhaus kann zu Konflikten führen, welche in der Literatur auch als „Generationskonflikte“ beschrieben werden. Diese Generationskonflikte sind oft dadurch charakterisiert, dass der/die Jugendliche in seiner neuen Lebensphase nach Autonomie strebt, während die Eltern oft die Kontrolle über ihr Kind behalten möchten. Die „Ablösungsproblematik“ entsteht demnach durch die „sich- widersprechender“ Bedürfnisse und Erwartungen verschiedener Parteien innerhalb der Familie. (vgl. Knapp/Salzmann, 2001, S. 65)

Heranwachsende hegen oft ambivalente bzw. widersprüchliche Wünsche, welche sowohl für die Eltern als auch für den Jugendlichen selbst schwer zu ertragen sind und wodurch es auch häufig zu Konflikten kommt: Einerseits brauchen Heranwachsende ihre Eltern um sich in ihren Werten zu bekräftigen, aber gleichzeitig sollten die Eltern für den Jugendlichen dabei auch keine zu wesentliche Rolle einnehmen.

Der Grund dafür ist, dass sich Jugendliche nicht nur über die „Billigung“ ihrer Eltern definieren, sondern sich auch von ihnen abgrenzen möchten. Würden sie zuviel Einflussnahme seitens der Eltern zulassen, würden sie sich in ihrer Persönlichkeit diktiert fühlen. Um dieses Gefühl nicht aufkommen zu lassen, leben Pubertierende auch gerne nach dem, was ihre Eltern nicht wünschen, wodurch sie sich ihr Gefühl von „Unabhängigkeit“ wahren können. (vgl. Menschik, 1990, S. 212)

Die entwickelten „neuen Werte“ des Jugendlichen resultieren natürlich auch aufgrund des Wertsystems der „Peer Group“ (siehe Kapitel 2.6), welche sich zumeist nicht mit dem Wertesystem der Erwachsenen in Einklang bringen lassen. Dies führt innerhalb der Familie dann zu Konflikten zwischen dem/der Adoleszenten und den Eltern.

Dabei sollte man aber auch nicht außer Acht lassen, dass sich Jugendliche aufgrund dessen dass sie sich im Interaktionsprozess mit Eltern, Lehren etc. wohl an die Wertvorstellungen der Eltern richten, welche während dem Zusammensein mit der Clique nicht beherzigt werden, auch in einem „Rollenkonflikt“ befinden. (vgl. Knapp/­Salzmann, 2001, S. 67)

Ein weiterer ausschlaggebender Punkt bezüglich der auftretenden Konflikte im Elternhaus während der Adoleszenz könnte es sein, wenn Jugendliche das Gefühl haben, ihren Rollenerwartungen nicht gerecht werden zu können und dies mit Nachdruck der Eltern auch noch bestätigt wird: Konkret sei hier das Risiko im Schul- bzw. Ausbildungsplatz zu scheitern, genannt. Eltern hegen oft aus mehreren Gründen eine starke Interesse dafür, dass ihr Kind in der Schule bzw. in der Ausbildung nicht scheitert:“ Einerseits könnte eine verlängerte Schul- bzw. Ausbildungszeit kostspielig für Eltern werden und andererseits besteht auch die Gefahr, dass „die soziale Stellung der Herkunftsfamilie in der Generationenfolge nicht reproduziert werden wird.“ (Engel/Hurrelmann, 1989, S. 10)

Aus der Sichtweise vieler Eltern wendet sich ihr Kind während der Adoleszenz komplett von der Familie ab und beteiligt sich nicht bzw. unausreichend am familiären Geschehen. Dadurch laufen Eltern in die Gefahr, ein großes Kontrollbedürfnis über ihr Kind haben zu müssen, was Konflikte heraufbeschwört. Gleichzeitig sinkt beim Jugendlichen die Bereitschaft, den Eltern zu gehorchen und sich den Anweisungen seiner/ihrer Eltern zu fügen. (vgl. Remschmidt, 1992, S. 130)

An diesem Punkt könnten Eltern in eine schwierige Situation geraten, denn die Kontrollmöglichkeiten über ihr jugendlich gewordenes Kind nimmt sichtlich ab, die benötigten finanziellen Investitionen in ihr Kind nehmen jedoch zu. Gleichzeitig sinkt auch die „kindliche Zuwendung“ seitens der Adoleszenten, womit viele Eltern nur schwer umgehen können.

Dadurch fühlen sich einige Eltern in der oft konfliktreichen Zeit ohnmächtig und auch finanziell ausgebeutet. (vgl. Fend, 1998, S. 27)

Die Hauptthemen der Konflikte zwischen Eltern und Jugendlichen sind in folgenden Bereichen zu finden (vgl. Fend, 1998, S. 109)

- Das außerhäusliche Freizeitverhalten wird sowohl für Eltern als auch für ihr Kind in der Adoleszenz von großer Bedeutung. Oft führen jedoch die Orte, die Personen sowie die gesetzten Aktivitäten außer Haus zu Konflikten zwischen Eltern und Heranwachsenden. „Die Erweiterung des Lebenskreises und die eingeforderte Autonomie in der Bestimmung der eigenen Lebensführung führt zu vielen Diskussionen.“ (Fend, 1998, S. 109)

- Kinder bzw. Jugendliche neigen dazu, ihre wachsende Selbstständigkeit auch nach außen hin zu präsentieren. Ein plötzlich auftretender „eigenwilliger Lebensstil“ sowie Veränderungen in Kleidung und Aussehen stellt demnach keine Außergewöhnlichkeit dar, führt innerhalb der Familie aber häufig zu Konflikten.
- Die Normvermittlung seitens der Erwachsenen spielt für Jugendliche keine wesentliche Rolle mehr. Da dem so ist, verändern sich in dieser Zeit häufig auch Einstellungen zu Religion, Politik etc., was in Familien zu zahlreichen Diskussionen führen kann.
- „Hinter allen Veränderungen schwelen auch Konflikte um grundlegende Haltungen im Leben, um „Charakter“, Offenheit, Belastbarkeit, Verantwortung und Disziplin.“ (Fend, 1998, S. 109)

Die geschlechtsspezifische Betrachtungsweise verweist auf eine etwas andere Konfliktstruktur bei Mädchen und Jungen:“ Insgesamt verweist die Konfliktstruktur bei Mädchen auf die Kämpfe um die außerhäuslichen Risiken (Ausgehen, Freunde des anderen Geschlechts). Diese treten auch bei Jungen auf, allerdings etwa zwei Jahre später und mit stärkerer Betonung der finanziellen Ressourcen, die damit verbunden sind.“ (Fend, 1998, S. 112) Außerdem gehen bei Mädchen Konflikte auch „tiefer“ in die emotionale Beziehungswahrnehmung ein, was ein „zentraler Risikoindikator“ für ein harmonisches familiäres Miteinander darstellen würde. (vgl. Fend, 1998, S. 115)

Konflikte in der Adoleszenz der Heranwachsenden werden für Eltern wohl kaum ausbleiben können. Dennoch gibt es Vorschläge, wie man als Elternteil bzw. Erzieher seinem Kind in dieser schwierigen Lebensphase gegenübertreten sollte:“ Wir Erwachsene und Erziehende müssen bereit sein, Konflikte mit den Jugendlichen auszutragen: Mut aufzubringen, uns in Frage stellen lassen, abgelehnt und streckenweise nicht geliebt zu werden. Wenn wir aber Standpunkte, die wir uns erarbeitet haben und von denen wir überzeugt sind, den Jugendlichen gegenüber offensiv vertreten, bieten wir ihnen eine Orientierung, an der sie sich reiben, ausrichten oder die sie überwinden können.“ (Menschik, 1990, S. 213)

Für einen Jugendlichen ist es eine große Hilfe, wenn Eltern ihrem Kind die Zeit lassen, den eigenen Weg zu finden. Unumstritten stellt es aber auch für Eltern eine große Überwindung dar, ihrem Kind in der Adoleszenz stets mit Fassung und Hilfsbereitschaft gegenüber zu treten, während dieses sich von ihnen lösen möchte. (vgl. Menschik, 1990, S. 213f.)

Ein gelungenes Eltern- Kind Verhältnis fordert zudem einen Faktor, welcher in der heutigen Zeit immer schwieriger zu erbringen scheint: Nämlich „(1) Zeit für die Kinder“! Gerade diese Ressource ist heute innerhalb der Familien aber sehr ungleich verteilt. (vgl. Fend, 1998, S. 28)

„Die Pflege „vernünftiger Verhandlungsfähigkeit“ bildet ein weiteres Ideal, das heutige Beziehungen zwischen Eltern und Kindern leitet. Aber auch dafür sind Ressourcen wie Gesprächskompetenzen (2), emotionale Ausgeglichenheit der Eltern (3) und Harmonie in der Partnerbeziehung (4) notwendig, die nicht in allen Familien selbstverständlich gegeben sind, wie die hohen Scheidungszahlen und die vielen Familienkonflikte belegen.“ (Fend, 1998, S. 28f.)

Sind diese Faktoren nicht gegeben, werden weitere Konflikte insbesondere in der Adoleszenz des Kindes sehr wahrscheinlich.

Dennoch bleibt unbestritten, dass nicht alle Familien in äußerst konfliktreiche Lebensumstände geraten, wenn sich das Kind in der Adoleszenz befindet. Dafür werden in der Literatur verschiedene Gründe genannt (vgl. Fend, 1998, S. 143ff.):

1.) „Das Beziehungsverhältnis zwischen Eltern und Kindern in der Jugendphase ist eine Folge der ökonomischen Ressourcen einer Familie.“ (Fend, 1998, S. 143)

Das bedeutet, dass Wohnverhältnisse, räumliche und soziale Bewegungsmöglichkeiten sowie Informationszugänge von den finanziellen Möglichkeiten einer Familie abhängig sind. Höhere finanzielle Möglichkeiten lassen auch mehr Raum dafür, ökonomische und soziale Ressourcen zu schaffen, welche Eltern und Kinder binden. Daher erscheint der berufliche Status der Eltern als entscheidender Indikator für Chancen eines einzelnen Familienmitglieds.

2.) „Das Beziehungsverhältnis zwischen Eltern und Kindern ist eine Folge der Familienkonstellation und der Berufstätigkeit der Mutter.“ (Fend, 1998, S. 143)

Belegt ist, dass insbesondere Scheidungen ungünstige Auswirkungen auf die „Beziehungswahrnehmungen“ der Kinder haben. Die Berufstätigkeit der Mutter wird mit „geringerer Aufsicht und zeitlich reduziertem Kontakt zwischen Mutter und Kind assoziiert“ (Fend, 1998, S. 144), weshalb auch hier eine mögliche negative Auswirkung vermutet wird.

3.) „Das Beziehungsverhältnis zwischen Eltern und Kindern in der Jugendphase ist eine Folge der Bildungsressourcen des Elternhauses.“ (Fend, 1998, S. 144)

Demnach ist also nicht nur der berufliche Status sondern auch das „kulturelle Niveau“ der Eltern entscheidend dafür, wie sie mit ihrem adoleszenten Kind umgehen. Befinden sich die Eltern eines Heranwachsenden in einer intensiven geistigen Auseinandersetzung mit der Welt, sind sie vielleicht auch besser dazu in der Lage zwischenmenschliche (pädagogische) Verhältnisse zu verstehen und damit entsprechend umzugehen. Die Kontakte zu den Kindern gestalten sich in diesen Familien oft argumentativer, wodurch sich Kinder auch besser verstanden fühlen und was in weiterer Folge auch vorbeugend gegen schwere Konflikte wirken kann. (vgl. Fend, 1998, S. 144)

4.) Das Beziehungsverhältnis zwischen Eltern und Kindern in der Jugendphase ist eine Folge der Familienkultur insgesamt, der sozialen Offenheit, Kontaktintensität nach außen und der in Erziehung und Familienleben investierten Zeit. Die investierte Zeit ist wiederum Ausdruck der Wertorientierungen und Lebenseinstellungen der Eltern, und sie ist durch die beruflich nicht besetzten Zeitressourcen mitbedingt. (…)“ (Fend, 1998, S. 145)

Von der Sichtweise ausgehend hängt die Umgangsform mit den Kindern eng mit der Lebensorganisation und der Kultur einer Familie zusammen. Wurde mit den Kindern viel gemeinsame Zeit verbracht und haben die Kinder einen sehr hohen Stellenwert in einer Familie, dürften schon in früherer Kindheit engere Beziehungen entstanden sein, als wenn in Familien, wo diese Faktoren nicht geboten werden. (vgl. Fend, 1998, S. 145)

5.) Letzterer wesentlicher Faktor für die Beziehungsqualität einer Familie macht sich in folgendem Punkt bemerkbar:“ In den intentionalen Erziehungsbereich stoßen wir mit der These vor, daß das Beziehungsverhältnis zwischen Eltern und Kindern in der Jugendphase eine Folge der elterlichen Erziehungsleitbilder und Erziehungsformen ist. Diese These zielt am direktisten auf den bewußten“ Umgang der Eltern mit ihren Kindern.“ (Fend, 1998, S. 146)

Diese Hypothesen des Autors wurden in einer Untersuchung zwar nicht alle zur Gänze bestätigt (vgl. Fend, 1998, S. 153), stellen aber dennoch bedenkenswerte Faktoren für eine gelungene bzw. misslungene Beziehungsqualität innerhalb einer Familie dar.

Das „pädagogische Kunststück“ der Eltern – wie es im Buch von Fend genannt wird, liegt also darin, „aktiv um die bestmögliche Bewältigung zu kämpfen und wenn nötig zu streiten, dies aber so zu tun, daß die Beziehung darunter nicht nur nicht leidet, sondern gestärkt wird.“ (Fend, 1998, S. 104)

Eltern können demnach auch durch Konflikte – so paradox dies auch klingen mag, im hohen Ausmaß dazu beitragen, dass ihre Kinder wesentliche Fortschritte im Bezug „Reife, Selbstständigkeit und Verantwortung“ erlernen. (vgl. Fend, 1998, S. 107)

Beruhigend für Eltern könnte jedoch das Wissen sein, dass die Familie für einen Jugendlichen in der Adoleszenz die wesentlichste Bezugsgruppe bleibt, wenngleich sich der familiäre Einfluss auf den Jugendlichen verringert. Für die Verselbstständigung eines Jugendlichen ist der Ablösungsprozess vom Elternhaus wesentlicher Bestandteil seiner/ihrer Lebensphase. Diese „Trennung“ ist meist aber nur vorübergehend und wird nach Erlangung der Autonomie des Jugendlichen wieder aufgehoben. (vgl. Remschmidt, 1992, S. 129)

2.5 Problembereiche von Mädchen in der Adoleszenz

Ein Jugendlicher ist in seiner Lebensphase einigen Erschütterungen ausgesetzt:“ Die körperlichen Veränderungen, die Triebüberflutung, die plötzliche Unsicherheit, ob man schön und liebenswürdig ist – all diese Fragen können sehr verwirrend sein.“ (Menschik, 1990, S. 207)

Weil sich die Persönlichkeitsentwicklung in der Jugendzeit stets auf das „Körper-Ich“ gründen, sollten es Eltern als wesentliche Zielsetzung betrachten, dass bereits ihr Kleinkind ein gesundes, positives Körperbild erlangt. Gelingt dies, stellt es später einen Schutz gegen die Gefahr dar, dass ihr Kind im Bezug auf sein körperliches, persönliches und soziales Wohlergehen ernste Risiken eingeht, welche den Pubertierenden schaden könnte. (vgl. Menschik, 1990, S. 207)

Besonders für Mädchen gewinnt die Körperlichkeit in der Adoleszenz eine neue und besondere Bedeutung.

Die körperlichen Veränderungen machen sich im Wachsen der Brüste, der Veränderung der Genitalien als auch dem Einsetzen der ersten Menstruation bemerkbar und können als „Quelle neuer Lust- Erfahrungen“ gedeutet werden. Allerdings sehen es viele psychoanalytische Theorien nicht vor, dass Mädchen ihren Körper selbst als lustvoll aneignen um so einen Zugang zur Erotik zu finden. Im Vordergrund steht stets die Passivität seitens des Mädchens durch das Begehrt- Werden eines Mannes. (vgl. Flaake/John, 1993, S. 199)

„Die (…) psychoanalytischen Erklärungsmuster für Entwicklungen in der weiblichen Adoleszenz gehen von einem prinzipiellen Mangel des Weiblichen aus, der eine Suche nach Wertschätzung durch das andere Geschlecht notwendig macht.“ (Flaake/John, 1993, S. 200)

Wächst ein Mädchen mit diesen Werten auf, kann sich bereits in der Adoleszenz eine gewisse Abhängigkeit von Männern entwickeln: Die jungen Frauen machen den „zentralen Kern ihrer Identität“ von männlichen Bestätigungen abhängig und sind im weiteren Leben nicht in der Lage dazu, ihrer körperlichen Weiblichkeit selbst einen Wert zu verleihen.

Im Bezug auf Adoleszenztheorien insbesondere mit dem Blickpunkt auf Mädchen gerichtet, ist auch folgendes erwähnenswert:“ Während Adoleszenztheorien Ablösung, Individuation und das Streben nach Autonomie in den Vordergrund stellen, gehen Theorien zur weiblichen Entwicklung davon aus, dass für Frauen enge Beziehungen eine unvermindert wichtige Rolle spielen (…)“ (Stern, 1992, S. 254)

In diesem Zusammenhang wird natürlich die Frage aufgeworfen, wie Mädchen in der Adoleszenz damit umgehen können, sich vom Elternhaus abzulösen und gleichzeitig Bindung haben zu wollen. (vgl. Stern, 1992, S. 254)

Demnach befinden sich Mädchen in der Adoleszenz im „Schnittpunkt dieser widersprüchlichen Gedankengänge.“ (vgl. Stern, 1992, S. 263)

Wo in vielen Theorien angenommen wurde, dass sich Mädchen zwischen der Bindung und der Ablösung entscheiden müssten, weist eine Untersuchung von Lori Stern (1992) ein anderes Ergebnis auf: Bei der Untersuchung wurden 23 Mädchen in einem dreijährigen Zeitraum jedes Jahr neu befragt. (vgl. Stern, 1992, S. 255)

Die Ergebnisinterpretation zu der aufgeworfenen Frage zwischen Bindung und Ablösung aus der Sicht der Mädchen zeigte, dass den Mädchen beide Aspekte wichtig sind und sie diese miteinander als vereinbar empfinden. Während für die Mädchen der Begriff „Unabhängigkeit“ bedeutet, besser für sich sorgen zu können, geben ihnen Bindungen die Möglichkeit zur Selbstbestätigung in ihrer Persönlichkeitsentwicklung. (vgl. Stern, 1992, S. 263f.)

„Ablösung richtet sich also nicht gegen Bindung, sondern führt zur Fähigkeit, auf den anderen wieder neu einzugehen und Verbundenheit herzustellen (…). (Stern, 1992, S. 264)

Auch die Eltern- Kind Beziehung gestaltet sich bei Mädchen zumeist problematischer als bei Jungen, da Mädchen nach wie vor stärker in die Verantwortung für Haushalt und Familie mit einbezogen werden.

Die Auswirkungen präsentiert zumeist die konfliktreiche Beziehung zwischen Eltern und deren Tochter bzw. Töchtern. Insbesondere die Beziehung zur Mutter wird in der Adoleszenz der Mädchen meist konfliktreich: Während Mütter ihre Töchter zu guten Hausfrauen erziehen wollen und sich zugleich eine Entlastung im Haushalt erwarten, widersetzen sich Mädchen diesem Wunsch oft. (vgl. Remschmidt, 1992, S. 138)

Zudem bringt gerade der Wunsch nach der Findung der eigenen Sexualität eines Mädchens häufig Streit mit den Eltern mit sich. Es zeigt sich auch hier nach wie vor, dass Eltern dazu neigen ihre Tochter bezüglich Jungenfreundschaften als auch den Ausgehzeiten strenger zu kontrollieren, als es bei Jungen der Fall ist. (vgl. Remschmidt, 1992, S. 138)

2.6 Die Bedeutung der „Peer Group

Die „Peer Group“ (bzw. „Peers“) steht für die Gleichaltrigengruppe von Kindern und Jugendlichen. (vgl. Schäfers, 1998, S. 24) „Die Gruppe der peers kann auch Clique (aus dem Frz.) genannt werden, sofern dieser Begriff nicht von vornherein abwertend gemeint ist.“ (Schäfers, 1998, S. 24)

Die Bildung einer „Peer Group“ hat vor allem für Jugendliche verstärkende Ursachen: Einerseits seien hier die „institutionellen Gründe“ genannt, denn z.B. durch die Schule und den Freizeitbereich in welchem jugendspezifische Angebote gemacht werden, lassen sich altershomogene Gruppen leicht bilden. Aber auch „psychologische und sozialpsychologische Gründe“ sollten nicht außer Acht gelassen werden, denn durch die „Peer Group“ gelingt es den Jugendlichen häufig, dem Druck seitens der Erwachsenen zu entkommen. (vgl. Schäfers, 1998, S. 176)

An dieser Stelle sei aber auch erwähnt, dass es für Kinder und Jugendlichen der heutigen Zeit durch die Veränderung der Familiensysteme, welche auch einen Rückgang der Kinderzahlen mit sich brachte, zumeist schwer geworden ist, innerhalb der Familie Erfahrungen mit Gleichaltrigen zu sammeln. Das bedeutet eine weitere wesentliche Sichtweise für die Bedeutung der „Peer Group“ für Jugendliche der „heutigen Zeit“. (vgl. Fend, 1998, S. 31)

„Die Beziehung zu Gleichaltrigen gewinnt in der Adoleszenz für Jugendliche durch die Ablösung von den Eltern zunehmend an Bedeutung. Die Peergroup besteht und wirkt auf drei Ebenen: (a) als große Gemeinschaft, in der sich Jugendliche mit gleichen Interessen und teilweise auch Werthaltungen zusammenfinden, (b) als konkrete Gruppe, deren Struktur sehr unterschiedlich ist oder (c) als Freundschaft, in der Gleichaltrige als Personen gelten, denen man sich anvertrauen kann.“ (Weinstabl, 2002, S. 63)

Während der Pubertät erfolgen einige Sozialisationsprozesse demnach also nicht mehr lediglich über die Familie, sondern hauptsächlich über die „Peer Group“. Das Leben der Eltern wird von den Heranwachsenden nicht mehr als „Ort der Erfüllung“ erlebt. Ihre Erfüllung liegt in dieser Zeit im Schaffen neuer Bindungen – auch im Hinblick auf der Neuorientierung auf das andere Geschlecht. (vgl. Rutar/Mossegger, 2004, S. 97)

Nachdem die Eltern als „Liebesobjekte“ während der Pubertät wegfallen, wendet sich der Jugendliche mit seinen „Liebes- und Zärtlichkeitsbestreben“ nun nach außen, um zu erfahren ob sie/er anerkannt wird und sich behaupten kann.

Demnach bietet die Peer Group den Heranwachsenden die Möglichkeit sich selbst zu behaupten und gleichzeitig fungiert die Gruppe aber auch als „Spiegel des eigenen selbst“. In der Peer Group zeigt sich außerdem, ob der einzelne Jugendliche die Fähigkeit zum „Nein- sagen“ in der Kindheit lernen und ausführen durfte. Ein Kind, welchem jegliche aggressiven und trotzigen Strebungen untersagt wurden, wird sich später innerhalb der Clique schwer tun, fragwürdigen bzw. riskanten Unternehmungen zu untersagen.

Weil ein Pubertierender in dieser Lebensphase auch Intimität erfährt und lernt, sollte man dem als Elternteil mit Diskretion gegenüber treten. Das bedeutet, dass geschlossene Türen sowie Tagebücher gänzlich in ihrer Anonymität respektiert werden sollten. (vgl. Menschik, 1990, S. 207f.)

Im Kontext „Intimität“ sei jedoch auch darauf hingewiesen, dass die Peer Group für einen Jugendlichen – trotz aller Vorteile, welche die Clique mit sich bringt, auch problematisch empfunden werden kann: Besonders bei Abweichungen der eigenen sexuellen Erfahrungen im Vergleich zu anderen Mädchen/Jungen aus der Clique könnten Isolation und Verunsicherung die Folge sein. Das bedeutet konkret, dass es Mädchen als auch Jungen als Belastung erleben können, wenn sie selbst noch keine sexuellen Erfahrungen gesammelt haben während sich dies bei anderen Jugendlichen der Clique anders verhält. (vgl. Flaake, 2001, S. 236f.)

Weil die Peer Group dem/der Jugendlichen - wie bereits erwähnt sozusagen als „Spiegel seines eigenen Verhaltens“ (Knapp/Salzmann, 2001, S. 67) dient, ist die Gleichaltrigengruppe bedeutend für die Identitätsentwicklung des/der Heranwachsenden.

Allerdings wird dem/der Jugendlichen innerhalb der Clique nicht mehr jenes Verständnis bzw. jene Toleranz etc. entgegen gebracht, welche sie in der primären Sozialisation – also im Elternhaus erfahren haben.

Die Anerkennung innerhalb der Gruppe ist davon abhängig wie sich der Jugendliche präsentieren kann und wie er von anderen Gruppenmitgliedern gesehen wird. Natürlich können dadurch beim einzelnen Jugendlichen Unsicherheiten entstehen, da sie neue Verhaltensstrategien als sie es von erster Sozialisationsinstanz gewohnt waren, entwickeln müssen.

Nach der erfahrenen Akzeptanz innerhalb der Peer Group richtet sich dann auch - fast gänzlich, das Selbstwertgefühl des Jugendlichen. (vgl. Knapp/Salzmann, 2001, S. 67)

Im Gegensatz zur Eltern- Kind- Beziehung in der man bewusst an einer guten Beziehung arbeitet, ist die Anerkennung in der „Peer Group“ nämlich kündbar, weshalb Jugendliche in einer positiven „Entwicklungsarbeit“ zur und in der „Peer Group“ auch eine wesentliche Zielsetzung sehen. (vgl. Fend, 1998, S. 45)

2.7 Resümee

Im folgenden Resümee sollten die wichtigsten Erkenntnisse vorangegangener Unterkapitel nochmals veranschaulicht werden: Als einen wesentlichen theoretischen Befund empfinde ich es, nochmals die Unterscheidung zwischen der „Pubertät“ und der „Adoleszenz“ zu betonen: Die Aufgabenbereiche welche der „Adoleszenz“ zugrunde liegen, bestehen im psychologischen Bewältigungsprozess all jener Entwicklungsaufgaben, welche dieser Lebensphase zugrunde liegen, während die Pubertät den körperlichen Reifungsaspekt meint. (vgl. Remschmidt, 1992, S. 2)

Die Adoleszenz selbst wird in vier Perioden eingeteilt (Vorpubertät, Transeszenz, frühe und späte Adoleszenz), welcher Alterskategorien zugeteilt sind, die sich beim Individuum jedoch um wenige Jahre nach vorne oder nach hinten verschieben können. Man spricht dabei auch von einer „Akzeleration“ (beschleunigte Entwicklung) bzw. von einer „Retardation“ (verzögerte Entwicklung).

Durch die für den einzelnen Jugendlichen schweren Prozesse in dieser Lebensphase kommt es zumeist – auch bedingt durch die erwünschte Ablösung von den Eltern, zu familiären Konflikten zwischen Heranwachsenden und Erziehungsberechtigten. Bedingt durch die – für beide Parteien neue Aufgabe, ihre Beziehungsstruktur neu zu gestalten, werden Konflikte hervorgerufen, welche sich zumeist um die veränderte Lebensweise des Jugendlichen handelt. Weitere Konfliktfelder handeln zudem um Fragen bezüglich des Ausgangs, des Aussehens oder auch um die Freunde etc., welchen Adoleszente eine ganz besondere Bedeutung schenken.

Ein Jugendlicher geht – meist im Gegensatz zum Kindheitsalter Konflikten mit den Eltern nun nicht mehr aus dem Weg, da er/sie ein eigenes „Ich“ entwickeln möchten, welches sie in der Lebensphase „Adoleszenz“ fern von der Persönlichkeit der eigenen Eltern sehen.

Auf die Andersartigkeit beharren Jugendliche sehr, da ihnen der Ablösungsprozess dadurch auch leichter fällt.

Gekennzeichnet ist der Ablösungsprozess jedoch von einer – vom Jugendlichen ausgehenden Ambivalenz zwischen dem Wunsch nach Nähe und gleichzeitig auch nach Distanz zu den Eltern.

Während der oft spannungsgeladenen Zeit, welche die „Adoleszenz“ eines/r Heranwachsenden mit sich bringt ist es wesentlich, dass Eltern auf diese Prozesse richtig reagieren: Strenge Kontrolle welche die Kinder weiterhin ans Elternhaus binden sollten, beschwören beispielsweise Konflikte herauf.

Es werden in der Literatur auch zahlreiche Ratschläge an Eltern erteilt, damit diese mit anfallenden Situationen besser umgehen können. Fest steht nämlich, dass auch Konflikte (sofern sie durch Diskussionen in adäquater Form gelebt werden) dem Jugendlichen die Möglichkeit geben, eine Orientierung in der neuen Lebenswelt zu finden.

Unbedingt werden jedoch folgende Faktoren nahe gelegt, an welchen sich Eltern richten sollten, damit sich Konflikte in einem „erträglichen Rahmen“ halten können: a) Zeit für die Kinder

b) Gesprächskompetenzen
c) Ausgeglichenheit der Eltern, sowie
d) Harmonie der Partnerbeziehung

Diese Faktoren mögen beim Lesen zwar verständlich wirken, sind jedoch in der heutigen Zeit durch verschiedene Faktoren sehr oft nicht mehr gegeben.

Ich sehe diese Problematik, wenn Eltern nicht dazu in der Lage sind, die oben genannten Faktoren bieten zu können, beinahe als einen „Teufelskreis“: Ich vermute, dass durch die Berufstätigkeit beider Elternteile, welche heute in einigen Familien ein Thema ist, auch Konflikte in der Partnerbeziehung aufkommen können, welche sich häufig um Themen wie „Haushalt“ oder „Versorgung der Kinder“ handeln. Schon alleine aus diesem Grunde ist es Eltern dann nicht möglich selbst „ausgeglichen“ zu sein, da sie (und vor allem sind hier Frauen gemeint) im Spannungsverhältnis zwischen Familie und Beruf stehen. Durch die verloren gegangene Zeit, als auch der daraus resultierenden möglichen Unzufriedenheit der Arbeitsaufteilung halten sich auch Gesprächskompetenzen begrenzt und die Zeit für die Kinder bzw. die Familie verringert sich durch das eigene Unvermögen „über der Sache zu stehen“, ein weiteres Mal.

Es bedarf demnach einer ausführlichen Verhandlungskompetenz und der Bereitschaft Zugeständnisse machen zu können, Unterstützung gerne und ohne Widerwillen zu geben als auch der Zusicherung niemals Vorhaltungen an den Partner bezüglich der Berufstätigkeit zu äußern, wenn sich zumindest Konflikte dieser Natur, im Rahmen halten sollten. Und das sollten sie – denn wenn ich eine ironische Bemerkung äußern darf, wird es an Konflikten nicht mangeln, wenn sich das eigene Kind in der Lebensphase „Adoleszenz“ befindet: Viele Eltern meinen dann sogar, dass sie mit Konflikten überversorgt sind…

Mit dieser Anmerkung möchte ich zu weiteren Inhalten leiten, welche in diesem Kapitel bearbeitet wurden: Nach dem recht ausführlich beschriebenen Unterkapitel, welches sich mit den Konflikten zwischen Heranwachsenden und Eltern handelt, widmete ich mich den Problembereichen von Mädchen in der „Adoleszenz“: Diese Problembereiche handeln sich vor allem bei Mädchen um den eigenen Körper, da dieser in der “Adoleszenz“ eine neue und besondere Bedeutung erhält.

Schließlich wird die Reifung zur Frau, gerade durch die Veränderung des Körpers auch für Außenstehende unübersehbar.

Dass ein Mädchen in dieser Zeit eine positive Einstellung entwickelt, ist auch im Hinblick auf ihre Identitätsbildung wesentlich.

Ein weiteres Problem stellt die Ablösung vom Elternhaus insbesondere für Mädchen dar: Im Kapitel 3 wird ersichtlich werden, dass besonders die Ablösung von der Mutter für Mädchen ein großes Problem darbieten kann. Aus diesem Grunde ist die Eltern- Kind- Beziehung zwischen Eltern und Töchtern meist problematischer, als jene zwischen Eltern und Söhnen. Ausschlaggebend hierfür ist der bereits erwähnte Ablösungsprozess als auch die Findung der eigenen Sexualität, welche bei Mädchen zumeist strenger begutachtet wird, als die Entwicklung der Jungen in diese Richtung.

Weil die Bedeutung der „Peer Group“ im Kapitel 2.6. sehr ausführlich beschrieben wurde und auch im weiteren Verlauf dieser Arbeit nochmals benannt wird, möchte ich mich mit den zusammengeführten Resümee darüber sehr kurz halten: Die „Peer Group“ wird in der Pubertät als eine Sozialisationsinstanz gesehen, über welche sich Jugendliche definieren und an der sie sich ausrichten. In der Gruppe erhalten sie die Möglichkeit zu erproben wie sie (also die Jugendlichen) selbst, in einer Gruppe ankommen. Dass sich beim Jugendlichen schon vor dem Anschluss an eine „Peer Group“ ein „gestärktes Selbst“ gebildet haben sollte ist von besonderer Bedeutung, da sie innerhalb der Gruppe auch in Situationen kommen könnten, denen sie Widersagen sollten (Rauchen, Alkohol etc.)

Im Grunde bietet die Gruppe Gleichaltriger jedoch zahlreiche positive Aspekte, welche Jugendlichen auch eine gelungene Ablösung zum Elternhaus ermöglicht.

Mit diesen zusammenfassenden Worten möchte ich mich einem für meine Arbeit sehr wichtigen Kapitel widmen: Nämlich der Familie als erste Sozialisationsinstanz.

3. Familie

Einleitend zum folgenden Kapitel, welches sich mit der Familie und der Bedeutung einzelner Familienmitglieder beschäftigen wird, sollte eine Definitionsklärung von „Familie“ erfolgen:

„Eine Kernfamilie ist im engen Sinne definiert als zwei oder mehr Personen in einem Haushalt, die als Mann und Frau (eheliche Gemeinschaft), als Lebenspartner (eheähnliche Gemeinschaft) oder als Eltern und Kinder aufeinander bezogen sind. Eine Familie umfasst also ein Paar ohne Kinder, ein Paar mit einem oder mehreren (nicht unbedingt gemeinsamen) Kindern oder einen alleinerziehenden Elternteil mit einem oder mehreren Kindern.“ (Hane, 2004, S. 20f.)

Nach psychoanalytischer Sicht ist die Familie eine soziale Organisation, in welcher sich eine „intensive emotionale Dynamik entfaltet. Aus dem Näheverhältnis von Eltern und Kindern entspringt eine komplizierte Beziehungsgeschichte, die Kinder über ihre gesamte Jugendzeit und häufig auch noch ins Erwachsenenleben begleitet.“ (Fend, 1998, S. 18)

Dass auf die Bedeutung der Familie bzw. einzelnen Familienmitgliedern als auch mögliche Folgen für Scheidungskindern in diesem Kapitel naher Bezug genommen wird, verfolgt den Sinn aufzuzeigen, mit welchem Verlust Kinder und Jugendliche welche institutionell betreut und somit nicht mehr direkt im Familienverband integriert sind, umgehen müssen.

3.1 Die Bedeutung der Familie

„Die Familie ist nicht nur ein Gefüge einiger miteinander verwandter Menschen unterschiedlichen Alters, sondern ein spezifisches menschliches Sozialgefüge, das aufgrund seiner Anpassungsfähigkeit eine zentrale Stellung im Leben des einzelnen und in der Gesellschaft einnimmt und bis heute trotz Werteverlust unersetzbar geblieben ist.“ (Weinstabl, 2002, S. 47)

Der eben erwähnte „Werteverlust“ könnte auch auf der Tatsache beruhen, dass sich Eltern heute im Gegensatz zu früher keinen „Gegenzug“ für ihre Investitionen mehr erwarten können. Klarer formuliert ist die nachfolgende Generation heute nicht mehr dazu verpflichtet, für ihre Eltern im Alter zu sorgen bzw. die Familie zusammen zu halten. In der vorindustriellen Gesellschaft hingegen war dies noch der Fall, was auch Anhaltspunkt dafür war, in die eigenen Kinder finanzielles und soziales Kapitel zu investieren. (vgl. Fend, 1998, S. 21)

Da der „ökonomische Nutzen“ für Eltern in der heutigen Zeit demnach wegfällt, geht Nauck (1987) von einem Bedeutungswandel aus: Der Grund weshalb heute dennoch Kinder geboren werden liegt nach ihm weniger im ökonomischen, sondern vielmehr im „psychologischen Nutzen“. (vgl. Fend, 1998, S. 23)

Dennoch kann man das Eltern- Kind- Verhältnis nicht lediglich auf die emotionale Ebene reduzieren und die „objektiven Interessenslagen“ außer Acht lassen. So erscheint der Aspekt, dass die Familie die Aufgabe hat ihr Kind auf einen bestmöglichen Weg zu führen, damit es sich außerhalb der Familie bewähren kann, als ein wesentlich zu nennender. (vgl. Fend, 1998, S. 25)

Wie „funktioniert“ aber nun das Familiensystem?

Im Idealfall übernimmt jedes einzelne Familienmitglied in Absprache mit anderen Mitgliedern eine bestimmte Funktion. Wesentliches Merkmal sollte außerdem sein, dass auf „Schwächere“ im Familienverband Rücksicht genommen wird. Gerade weil die Erziehung der Kinder in der heutigen Zeit häufig auf Institutionen verlagert wird, ist der Rahmen der Familie unverzichtbar für eine gesunde Entwicklung des Kindes. (vgl. Weinstabl, 2002, S. 47)

Elternschaft wird heute aus vielen Ursachen zu einer immer größer werdenden Verantwortung.

Unter anderen die Tatsache, dass heute oft beide Elternteile arbeiten, deren psychischen und physischen Kapazitäten am Ende des Arbeitstages häufig eingeschränkt sind, oder sie aufgrund ihrer eigenen Biographie keine belastbaren Bindungen eingehen können, gestaltet eine gute Beziehung zu ihren Kindern oft schwierig. (vgl. Weinstabl, 2002, S. 81) „Grundvoraussetzung für notwendige Interventionen ist, daß Eltern die Entwicklung ihres Kindes aufmerksam verfolgen und en Erziehungsprozeß reflektieren, schädlichen Einflüssen entgegenwirken und ihr eigenes Verhalten, wenn erforderlich, korrigieren können, wenn sie erkennen, welche negativen Auswirkungen ihr Verhalten auf ihr Kind hat.“ (Weinstabl, 2002, S. 81)

Ein wesentlicher Faktor für die gesunde Entwicklung eines Kindes ist aber auch die „Zeit füreinander“: Gerade weil heute oft beide Eltern berufstätig sind, ist es selten geworden, dass die ganze Familie bei (Brett-) Spielen gemeinsam an einem Tisch sitzt bzw. miteinander agiert. Es ist jedoch wesentlich zu bedenken, dass diese Zeit füreinander dringlich aufgebracht werden sollte, da durch solche familiäre Erfahrungen einige Verhaltensauffälligkeiten beim Kind ausbleiben können (vgl. Struck, 1995, S. 146)

Folgendes Zitat sollte diese Feststellung nochmals verdeutlichen:“ Kinder, deren Eltern ausreichend Zeit für sie haben, die genügend Liebe bekommen, die weder im Sinne von „Affenliebe“ und „jeden Stein aus dem Weg räumen“ überdosiert ist noch im Sinne von Vernachlässigung unterdosiert, die Nähe und Körperkontakt erhalten, so daß sie damit umgehen können, mit denen viel gesprochen wird, denen viel erzählt, vorgelesen und auch zugehört wird, die sich viel bewegen können und mit denen viel gespielt wird, werden eigentlich nie besonders verhaltensauffällig oder gar gewalttätig.“ (Struck, 1995, S. 146)

Im Kontext „Familie“ gilt es als wesentlich zu beachten, dass sich alles, was in den Familien geschieht, alles was die Eltern ihren Kindern vermitteln und als Ziel für die Erziehung ihres Kindes verwirklicht haben wollen in die Familie transportiert und vom Kind teilweise in die Persönlichkeit aufgenommen wird. Die „Eigenart der Familie als Ganzes“ spielt für die Entwicklung eines Kindes eine bedeutende Rolle. (vgl. Ullrich, 1999, S. 21)

Die Autorin Ullrich bezieht sich auf Burgess (1926), der diese Wirkung von Gruppenphänomen mit der ständigen Kommunikation in Familien in Zusammenhang brachte:“ Die Typik der Atmosphäre wird durch die Art des kommunikativen Austauschs permanent produziert.“ (Ullrich, 1999, S. 22)

Mit der Kommunikationsstruktur innerhalb der Familie ist auch die Beziehung zwischen den Familienmitgliedern in Zusammenhang zu bringen.

Dabei bleibt aber zu bedenken, dass Kinder ihre Erfahrungen bezüglich ihrer Beziehungsgestaltung nicht nur in der Beziehung mit seinen Eltern entnehmen, sondern auch die Beziehung zwischen den beiden Eltern selbst, prägend für den Heranwachsenden ist. Wie Eltern miteinander kommunizieren, als auch die Dauer der Beziehung übt einen wesentlichen Einfluss auf die gesamte Familienstruktur sowie auf jedes einzelne Familienmitglied aus. (vgl. Ullrich, 1999, S. 50f.):

„Erstens könnte sich die gegenseitige Unterstützung der Eltern auf die Eltern-Kind-Beziehungen auswirken, zweitens dürften die Repräsentationen des abwesenden Elternteils durch Erzählungen und Gedanken das tatsächliche Beisammensein beeinflussen, drittens wird angenommen, daß Transitivität mögliche Zusammenhänge zwischen den Beziehungen festlegen könnte, und viertens schließlich könnten die Vorstellungen und Verhaltensweisen des Kindes über Prozesse des Modelllernens also durch Beobachtung der Elternbeziehung maßgeblich geprägt werden.“ (Ullrich, 1999, S. 51f.)

Für die Persönlichkeitsentwicklung der/des Heranwachsenden sind aber auch weitere familiäre Bedingungen von Bedeutung, welche das Kind bzw. den Jugendlichen für sein Leben lang prägen werden. Diese wären:

- „Die Umweltbedingungen familialer Sozialisation;
- das im Elternhaus vorherrschende Sprachmilieu;
- die Erziehungspraktiken;
- das kulturelle Aspirationsniveau;
- das familiale Konfliktverhalten;
- die Einstellung der Eltern zu Kultur und Gesellschaft, Politik und Religion wie
- die Einstellung der Eltern zueinander, zu Kindern und zur jungen Generation und
- die „Ressourcen“ der Eltern an Zeit, an ökonomischen Mitteln für Bildung, Förderung, Hobbies usw.“ (Schäfers, 1998, S. 117)

Auf diese Einflussfaktoren besteht natürlich kein „strenges Kausalverhältnis“ (ebd.), wenngleich erwiesen ist, dass es nur ein kleiner Anteil der Jugendlichen schafft, ein anderes kulturelles Niveau bzw. einen höheren Status gegenüber dem Elternhaus zu erreichen. (vgl. Schäfers, 1998, S. 117)

3.1.1 Die Bedeutung der Mutter für Mädchen

Die Mutter- Tochter- Beziehung befindet sich in der Phase der Pubertät bzw. Adoleszenz in einem Spannungsverhältnis zwischen Abgrenzung und Identifikation. Auch die Bedürfnisse sind oft ambivalent, denn sie wechseln zwischen dem Wunsch nach Nähe aber gleichsam auch nach Distanz. (vgl. Burger/Seidenspinner, 1988, S. 14)

Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter kann insbesondere in der Adoleszenz der Heranwachsenden aus mehreren Gründen kritischer bzw. spannungsgeladener gesehen werden, als die zwischen Mutter und Sohn. Ein Mädchen kann sich von der Mutter schwerer lösen, weil es im Gegensatz zum Jungen die „Gleichheit“ zur Mutter wahrnimmt und gleichzeitig aber ihre eigene Persönlichkeit und Sexualität entwickeln möchte. (vgl. Burger/Seidenspinner, 1988, S. 14f.)

Es lässt sich aber auch eine stärkere Abhängigkeit von Mädchen zu ihrer Mutter, als von Jungen zu deren Vätern verzeichnen. Der Grund dafür liegt darin, dass die weibliche Geschlechterrollenerziehung darauf ausgerichtet ist, dass sich Mädchen durch Anpassung und Identifikation mit der Mutter auszeichnen, während die Jungen zur Autonomie und Identifikation mit dem Vater angehalten werden. (vgl. Burger/Seidenspinner, 1988, S. 15)

Fest steht aber dennoch, dass die Mutter für die Tochter eine äußerst bedeutende Person darstellt, unabhängig davon, ob sich die Beziehung harmonisch oder konflikthaft verhält. (vgl. Burger/Seidenspinner, 1988, S. 16f.) Einige Wissenschaftler und Forscher gehen sogar davon aus, dass die Mutter- Tochter- Beziehung die wichtigste zwischenmenschliche Beziehung innerhalb einer Familie ist. (vgl. Fischer, 1991, S. 23)

Das Bild einer Tochter über ihre Mutter muss nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen. Vielmehr sagt dieses Bild viel darüber aus, ob zwischen den beiden Generationen Konflikte bestehen. Die Wahrnehmung einer Tochter über ihre Mutter ist aber von besonderer Bedeutung, da ein Mädchen dadurch ihren eigenen Weg finden kann: Ein Mädchen in der Adoleszenz beschäftigt sich also eingehend damit, welche Seiten, Charaktereigenschaften etc. ihrer Mutter sie annehmen möchte – und in welchen Bereichen sie sich in eine andere Richtung entwickeln möchte. (vgl. Burger/Seidenspinner, 1988, S. 29)

An dieser Stelle sei noch angemerkt, dass Mädchen in der Adoleszenz dazu neigen, die Andersartigkeit von sich und ihrer Mutter ausdrücklich zu betonen. Eine Untersuchung dazu ergab, dass nicht einmal ein Drittel der befragten Mädchen Ähnlichkeiten in ihrem eigenen Leben – zu dem ihrer Mutter feststellten. (vgl. Fischer, 1991, S. 125) „Die negative Identität der Töchter – oder die Ablehnung einer Identifikation mit der Mutter – spiegelt ein Bedürfnis wider, sich von den Eltern in dieser Phase ihres Lebens zu unterscheiden.“ (Fischer, 1991, S. 125)

Dieser Kampf des Mädchens, keine Ähnlichkeiten zur Mutter zuzulassen, kann sich bis ins Erwachsenenalter vollstrecken. Ein möglicher Grund hierfür wird in der Literatur in der Tatsache gesehen, dass gerade Mädchen in der Pubertät bzw. Adoleszenz besser ausschauen und sein wollen wie Familienangehörige, Freunde etc. Wenn einem Mädchen in der Adoleszenz nun gesagt wird, dass sie gleich wie ihre Mutter ausschauen würde, könnte sie dies als persönliche Kränkung angesehen werden. (vgl. Caron, 1992, S. 26)

Trotz alledem sehen Töchter auch in der Adoleszenz eher eine Ansprechpartnerin in ihrer Mutter als in ihrem Vater.

Meist ist auch eher ein Vertrauensverhältnis zwischen Mutter und Tochter, als zwischen Vater und Tochter gegeben. Möglicherweise liegt der Grund hierfür auch darin, weil es bis heute noch der Fall ist, dass der Vater eher die strenge Rolle im Familiensystem erhält, was bedeutet, dass er auch eher derjenige ist, welcher „Standpauken“ erteilt. Die Mutter übernimmt in diesen Fällen dann oft die Rolle der „Verständnisvollen und Vermittelnden“, was bei der Heranwachsenden natürlich auch eher auf Sympathie stößt. (vgl. Burger/Seidenspinner, 1988, S. 105)

Die Konfliktfelder welche sich wiederum speziell zwischen Mütter und Töchtern in der Lebensphase „Adoleszenz“ abspielen, handeln um „die Hausarbeit, das Aufpassen auf kleinere Geschwister, die Ordnung in Kleidung und Zimmer“ (Burger/Seidenspinner, 1988, S. 106) als auch „dem Weggehen“ – wobei sich bei diesem Bereich auch gerne Väter mit in den Konflikt einschalten, da sie oft schwer damit umgehen können, wenn sich ihre Töchter auf Jungenfreundschaften einlassen. (vgl. Burger/Seidenspinner, 1988, S. 106)

Aus anderen Konflikten hingegen (z.B. der Mitwirkung im Haushalt) halten sich Väter weitgehend heraus. Weshalb die Mutter trotz der oft konfliktreicheren Beziehung aber dennoch die Hauptperson ist, wenn es um Ansprache geht, ist mit Sicherheit auch die Tatsache, dass die Mutter in den meisten Fällen mehr Zeit zu Hause verbringt als der Vater und sich schon alleine aus diesem Faktum heraus mehr Gespräche und Zeit füreinander ergeben. (vgl. Burger/Seidenspinner, 1988, S. 106f.)

Und dennoch ist auch dieses Vertrauensverhältnis zwischen Mutter und Tochter, welches durch viele Gespräche und täglichem Beisammensein gekennzeichnet ist, auch von einer anderen Seite zu sehen, denn es macht dennoch oft den Eindruck, dass sie in „getrennten Welten“ leben:“ Es scheint eine merkwürdige Fremdheit und Unfähigkeit, über Wesentliches miteinander reden zu können, zwischen Müttern und Töchtern zu geben. Durch die unterschiedlichen Auswirkungen des Ablösungsprozesses bei Müttern und Töchtern sind die Möglichkeiten der Verständigung eingeengt und schwierig.“ (Burger/Seidenspinner, 1988, S. 139)

Das bedeutet, dass einerseits die Mütter selbst mit der Ablösung ihrer Tochter umgehen lernen und sich umorientieren müssen und die Tochter selbst muss erwachsen und selbstständig werden, indem sie ihre Erfahrungen außerhalb der Familie sammelt. (vgl. Burger/Seidenspinner, 1988, S. 139)

Die psychoanalytische Betrachtungsweise des Ablösungsprozesses zwischen Mutter und Tochter wird in der Literatur schwieriger gedeutet, als jene zwischen Mutter und Sohn: So geht Nancy Chodorow in ihrem Buch „Das Erbe der Mütter“ davon aus, dass die Abgrenzung zur Mutter bei Jungen bereits im Vorschulalter vollzogen wird. Der Prozess der „psychologischen Distanz“ tritt beim männlichen Geschlecht demnach früher ein, während Mädchen bedeutend mehr Probleme damit haben, ein völlig getrenntes „Ichgefühl“ zu entwickeln. Und auch Mütter neigen dazu diese schwierige Situation bewusst oder unbewusst zu verstärken, indem sie ihrer Tochter in der Ablösungsphase ambivalent gegenübertreten. Einerseits drängen Mütter ihre Töchter dazu erwachsen zu werden, wollen sie aber gleichzeitig auch an sich binden. Dies bewegt die Tochter regelrecht zu einem „Kampf zur Ablösung“. (vgl. Fischer, 1991, S. 37)

Wesentlich für eine gelungene Ablösung zwischen Mutter und Tochter wäre es nun, dass beide Parteien diesen Prozess nicht als Verlust, sondern als „Entdeckung neuer Möglichkeiten des Umgangs miteinander jenseits der eingeschränkten Mutter-Kind-Beziehung“ (Burger/Seidenspinner, 1988, S. 167) ansehen.

Der Tochter obliegt in der Lebensphase „Adoleszenz“ nun also die Aufgabe, sich vom bewussten bzw. unbewussten Bild ihrer Mutter zu lösen und diese als Person – mit all ihren guten sowie schlechten Seiten wahrzunehmen und anzuerkennen. Die Aufgabe der Mutter hingegen ist es nun, die Entwicklungsprozesse ihrer Tochter genau zu verfolgen, um nicht in die Gefahr zu laufen, am Bild der kleinen niedlichen Tochter oder auch am ungeliebten Bild des aufsässigen Teenagers, hängen zu bleiben. (vgl. Burger/Seidenspinner, 1988, S. 167)

Wird dieser Prozess erfolgreich durchlebt, liegt die Vermutung nahe, dass sich die Beziehung zwischen Mutter und Tochter nach der Ablösungsphase so gestaltet, wie es nachfolgendes Zitat veranschaulichen sollte:“ Nachdem meine Mutter und ich erst einmal alle Feindseligkeiten überwunden hatten, standen wir uns näher denn je. Sie war nun nicht länger nur meine Mutter, diese Abstraktion eines Ideals, von dem man als Kind so abhängig ist, und sie war auch nicht mehr das Gegenteil, eine uninteressierte, mich disziplinierende Instanz, die man als Jugendlicher so heftig bekämpft. Sie war wie ich, und sie war meine Freundin. (…) Wir lernten einander ganz neu kennen, offenbarten uns einander, und das war eine großartige Erfahrung.“ (Caron, 1992, S. 261)

Mit diesem eindrucksvollen Zitat möchte ich dieses Unterkapitel nun auch abrunden und mich der wesentlichen „Bedeutung des Vaters für Mädchen“ widmen.

3.1.2 Die Bedeutung des Vaters für Mädchen

Die „Vaterlosigkeit“ (Aigner, 2005, S. 94) ist kein neues Thema und beschäftigt die Pädagogik und Psychologie schon seit Jahrzehnten. Es wird nun versucht nach möglichen Ursachen dieses „Booms“ zu forschen (Scheidungsziffern, Niedergang väterlicher Obhut und Fürsorge etc.)

Auch in den Humanwissenschaften wurde die enorm wichtige Rolle des Vaters lange Zeit verleugnet bzw. unterschätzt, denn alleine die Mutter kam stets als überragendes Wesen hervor. Im besten Fall erschien der Vater in der Literatur dann, wenn sich das Kind von der Mutter zu lösen beginnt. (vgl. Aigner, 2005, S. 94)

Dabei kann das Fehlen eines Vaters gravierende Folgen für eine gelungene Zukunft der Nachkommen bedeuten: In der Psychotherapie kommt die Sehnsucht nach einem Vater, die Verletzung darüber zu wenig Anerkennung und Liebe vor ihm bekommen zu haben, als auch eine etwaige Angst vor ihm, häufig zum Ausdruck. Viele Patienten bekunden, dass ihnen eine gewaltsame Begegnung mit dem Vater lieber gewesen ist, als gar keine zu haben. Schon alleine aus den bereits genannten Gründen ist es unerklärlich, wie die physische und psychische Präsenz des Vaters so lange übersehen werden konnte. (vgl. Aigner, 2005, S. 95)

Der Begriff des „kompetenten Säuglings“ (Aigner, 2005, S. 95) wurde 1993 schon von Dornes geprägt und bedeutet, dass Kinder schon in ihren ersten Lebenswochen eine Unterscheidungsfähigkeit besitzen und von daher scheint es auch nachvollziehbar, dass ein Säugling Mutter und Vater unterscheiden kann. Schließlich ist der Geruch, die Stimme etc. ja anders und es ist erwiesen, dass auch ein Baby dazu in der Lage ist, die beiden Elternteile zu unterscheiden. (vgl. Aigner, 2005, S. 95)

Die Anlehnung an den Vater hilft einem Kind, sich von den Symbiosevorstellungen mit der Mutter zu lösen.

Zudem stehen einem Kind einer intakten Kernfamilie zwei unterschiedliche „Liebesobjekte“ – nämlich Mutter und Vater zur Verfügung, was dem Kind die Möglichkeit bietet, eine weibliche als auch eine männliche Identifizierungsperson zu haben. Dadurch wird der Reifungsprozess eines Kindes im hohen Ausmaß vorangetrieben. (vgl. Hane, 2004, S. 49)

„Erst durch die Integration beider Anteile kann es ein ganzheitliches, weiblich-männliches Selbstbild aufbauen.“ (vgl. Hane, 2004, S. 49)

Bevor dieser Teil spezielles Augenmerk auf die Bedeutung des Vaters für Mädchen aufzeigen wird, sollten weitere geschlechtsunspezifische Vorteile genannt werden, wenn der Vater beim Entwicklungsprozess seines Kindes maßgeblich mitwirkt: So ist beispielsweise erwiesen, dass sich väterliches Engagement positiv auf die numerischen und verbalen Fertigkeiten als auch Problemlösungsfähigkeiten (insbesondere im schulischen Bereich) auswirkt. Zudem zeigte eine Langzeitstudie, dass vaterlos aufgewachsene Kinder eher in Gefahr laufen, straffällig zu werden, als jene Kinder welche einen Vater an ihrer Seite hatten. Väterliche Zuwendung wirkt sich aber auch positiv auf die soziale und geistige Entwicklung von Kleinkindern aus. Je empathischer ein Vater mit seinem Kind umgeht, desto sicherer ist das Kind im Erwachsenenleben im Umgang mit emotionalen Bindungen.

Ebenso benötigen Kinder die Autorität des Vaters, da Kinder dadurch Grenzen und Normen aufbauen können, wodurch sie sich in ihrem eigenen Verhalten auch sicherer werden.

Weiteres ist es für Kinder besonders wichtig, insbesondere von ihrem Vater im Bezug auf Leistungen gefordert zu werden, da sie dadurch das Gefühl erhalten, dass man es ihnen zutraut, Leistungen zu vollbringen. (vgl. Hane, 2004, S. 53ff.)

Es gibt demnach zahlreiche positive Entwicklungen für einen Heranwachsenden, wenn auch der Vater in der Kindheit präsent ist, wobei nun speziell auf die Bindung zwischen Väter und Töchter Bezug genommen wird:

Ingrid Holzmüller hielt in einem Text, welcher sich genau mit dieser Thematik beschäftigte fest, dass der Vater eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf das „Lebens- und Liebesglück“ seiner Tochter hat. (vgl. Aigner, 2005, S. 190)

Dafür führt sie auch nachvollziehbare Gründe an: So schreibt sie beispielsweise, dass die Mutter zwar das Vorbild – gleichzeitig aber auch eine Konkurrenz für die Tochter darstellt. Der Vater stellt für ein heranwachsendes Mädchen ein Idol dar. Egal, ob sich die Beziehung zum Vater distanziert oder innig verhält, bleibt die Tatsache, dass die Beziehung in jedem Fall prägend ist.

Außerdem hat der Vater hat auch Einfluss auf die Partnerwahl seiner Tochter, weil er die erste Liebe seines Kindes darstellt welche Bestand hat, bis diese Liebe jemand ersetzen kann. Zudem ist die Beziehung zum Vater Grundlage dafür, wie sich seine Tochter später einschätzt und auch welchen Männertyp sie bevorzugt. Aus diesem Grunde ergibt auch eine Langzeitstudie, dass doch einige Frauen einen ähnlichen Typ Mann wie ihren Vater auch heiraten wollten. (vgl. Holzmüller, 2005, S. 190)

Ein Vater ist für seine Tochter „Vorbild und Gegenpol“ zugleich. Die Vielschichtigkeit aus der Beziehung zwischen Vater und Tochter ergibt sich auch, weil sich Töchter wünschen, von ihrem Vater in der Pubertät losgelassen und gleichzeitig auch wieder aufgefangen zu werden.

In der Beziehung zum Vater kann die Tochter auch erfahren, wie man sich in der Männerwelt Respekt verschaffen kann. Zeigt ein Vater sein Vertrauen zu den Fähigkeiten seiner Tochter, stärkt dies sein Kind im hohen Ausmaß, was für die Zukunft viele Vorteile bringen kann. (vgl. Holzmüller, 2005, S. 191)

Viele Erfahrungen zeigen außerdem, dass Töchter leichter damit umgehen können, ihren Vater gar nicht zu kennen, als stets das Gefühl gehabt zu haben, zu wenig Zuneigung von ihm erhalten zu haben. „Desinteresse von Seiten des Vaters hinterlässt bei der Tochter eine tiefe Kränkung, die sie ihr Leben lang nicht los wird.“ (Holzmüller, 2005, S. 191)

Die Folge daraus könnte sein, dass die Tochter an sich selbst zu zweifeln beginnt. Um den daraus resultierenden Schmerz zu überwinden, suchen sich diese Frauen oft einen Partner, der dies wieder gut machen sollte, was in den meisten Fällen eine enorme Überforderung für den Partner darstellt. (vgl. Holzmüller, 2005, S. 191f.)

Was sollte demnach ein „guter Vater“ seiner Tochter bieten können?

„Töchter brauchen vom Vater liebevolle und kritische Aufmerksamkeit (Holzmüller, 2005, S. 192) “: Auch heute neigen Eltern dazu, einem Mädchen weniger zuzutrauen, als den Burschen. Gerade Väter nehmen ihren Töchtern dann oft Aufgaben ab, um sie vor Überforderungen zu schützen. Dieser Schritt wird oft zu früh gesetzt, denn es würde in einer solchen Situation oft lediglich darum gehen, die Tochter in der Sache zu ermutigen und damit auch zu stärken. (vgl. Holzmüller, 2005, S. 192)

Töchter neigen in der Pubertät dazu, ihrem Vater mit einer großen „Schroffheit“ und einem abweisenden Verhalten gegenüber zu treten. Viele Väter ziehen sich in einer solchen Situation tatsächlich zurück, was im Grunde ein gravierender Fehler ist, da hinter diesem Verhalten häufig der Wunsch der Tochter steckt, Interesse vom Vater zu erhalten. (vgl. ebd., 2005, S. 193) Pubertierende sind mit sehr viel Feingefühl zu behandeln, was von den Eltern auch ein Höchstmaß an Toleranz erforderlich macht. „Der Versuch, mit Druck und Gewalt den Jugendlichen zu zwingen, sollte ebenso unterbleiben wie eine Nichteinmischung in der Hoffnung, dass sich mit der Zeit schon alles irgendwie regelt. In beiden Fällen würde man die Kinder alleine lassen.“ (Hane, 2004, S. 67)

Abschließend kann man also festhalten, dass Väter ihren Töchtern die männliche Welt eröffnen, was auch der Grundstein dafür ist, wie sich die Töchter diese Welt einrichten werden. (vgl. Hane, 2004, S. 57) „Die Anerkennung als Frau durch den Vater ist ein wichtiger Schritt zum reifem Frausein.“ (Hane, 2004, S. 57)

3.1.3 Die Bedeutung der Geschwister

„Mit dem Begriff Geschwister bezeichnet man in den meisten Kulturen Personen, die über zum Teil identische Erbanlagen verfügen, weil sie dieselben Eltern oder dieselbe Mutter oder denselben Vater haben. Als Geschwister werden aber auch Personen bezeichnet, die ein spezifisches, kulturell bestimmtes Verwandtschaftsverhältnis zueinander aufweisen.“ (Kasten, 1994, S. 14f.)

Die Bedeutung der Geschwisterbeziehung hat in den Sozial- und Humanwissenschaften lange Zeit keine bedeutsame Rolle gespielt. Dass eine mögliche Verbindung zwischen Geburtsrangplatz und den Eigenschaften eines Individuums in Erwägung gezogen wurde, sei Alfred Adler zu nennen, dessen in den 20er Jahren geschaffene Individualpsychologie genau diesem Phänomen Aufmerksamkeit schenkte. Adler war der festen Überzeugung davon, dass der Charakter eines Menschen grundlegend von seinem Geburtenrangplatz in der Herkunftsfamilie geprägt ist. Zwar wurden daraufhin immer wieder Untersuchungen getätigt, allerdings weitete sich die Interesse für diese Hypothese erst in den letzten paar Jahrzehnten aus. (vgl. Kasten, 1994, S. 4)

Geschwisterbeziehungen werden – wie die Beziehung zu den Eltern als die „Primärbeziehungen“ (Kasten, 1994, S. 13) eines Menschen benannt:“ Sie sind von Anfang an da und dauern so lange, bis ein Teilnehmer stirbt. Geschwisterbeziehungen sind somit von der Zeitdauer her betrachtet die längsten Beziehungen, die wir überhaupt haben.“ (Kasten, 1994, S. 13)

Die geschwisterliche Nähe und Verbundenheit entsteht meist dann, wenn sich die „symbiotische Mutter-Kind-Beziehung“ in den frühen Kindheitsjahren lockert. Ab diesem Zeitpunkt verbringen Kinder zumindest gleich viel Zeit mit ihren Geschwistern wie mit ihrer Mutter, wobei sich dies mit Eintritt in den Kindergarten bzw. Schule wieder verringert. Im Verlauf der Jugendphase nimmt der häufige Kontakt zumeist nochmals ab und steigert sich zumeist erst im Erwachsenenleben wieder. (vgl. Kasten, 1994, S. 171)

Dennoch ist erwiesen, dass Geschwisterbeziehungen in vielerlei Hinsichten Einflüsse aufeinander bewirken. Besonders nennenswert ist die Sozialentwicklung eines Individuums. (vgl. Kasten, 1994, S. 174) „Ohne Geschwister aufzuwachsen führt zu einer Verkürzung der Kindheit und hat negative Auswirkungen vor allem in sozialer Hinsicht. (…) Geschwister profitieren in mannigfacher Weise voneinander in sozial-zwischenmenschlichen Belangen.“ (Kasten, 1994, S. 174)

Der Umgang miteinander aber auch die Art und Weise, wie Auseinandersetzungen bereinigt werden ist entscheidend für die Beziehungsqualität in Kindheit und Jugend sowie im späteren Leben. Manche Geschwister finden aber auch erst im Erwachsenenalter wieder zueinander, wenn auch die Zeit wieder dafür da ist, etwaige Missverständnisse zu bereinigen um sich wieder zu versöhnen. (vgl. Kasten, 1994, S. 174)

Denn ohne Zweifel sind Geschwister nicht nur Vorbilder und Vertraute – sondern auch Rivalen, wobei für einige auftretende Rivalitäten auch die Eltern eine bedeutsame Rolle spielen. (vgl. Kasten, 1994, S. 172)

„Ihre Haltung und innere Einstellung den heranwachsenden Kindern gegenüber ist ursächlich daran beteiligt, wenn zwischen den Geschwistern immer wieder Neid und Eifersucht und damit verbundenes Konkurrenzverhalten zu registrieren ist.“ (Kasten, 1994, S. 172)

Es gibt aber auch weitere Erklärungsversuche bezüglich geschwisterlicher Rivalität. So meinen einige Psychoanalytiker beispielsweise, dass das Konkurrieren zwischen den Geschwistern ihren Ursprung im Kampf um die Zuwendung und Liebe der Eltern hat. Wenn Eltern dann noch dazu neigen Geschwister miteinander zu vergleichen, kann dieser Prozess weiter verstärkt werden, da Eltern damit das „Wetteifern“ fördern. (vgl. Kasten, 1994, S. 31f.)

Doch trotz aller Rivalitäten welche Geschwister unumstritten miteinander haben, bleibt folgendes zu bedenken: Auftretende Rivalität setzt ein Mindestmaß an Nähe voraus, denn mit einer Person, welche einem gleichgültig ist, konkurriert man auch nicht. Daher zählt die Ambivalenz durch das Vorhandensein von positiven und negativen Gefühlen gleichsam, als wesentliches Merkmal von Geschwisterbeziehungen. (vgl. Kasten, 1994, S. 173)

3.1.4 Scheidungskinder

Familie wird in der heutigen Zeit nicht mehr ausschließlich im traditionellen Sinn gelebt, nach welchem die leiblichen Eltern mit ihren Nachkommen gemeinsam leben.

Veränderte Familienformen wie beispielsweise der „Patchwork- Familie“ oder auch Alleinerzieher/innen etc. resultieren unter anderem durch die Zunahme von Trennungen bzw. Scheidungen.

„In Österreich ist z.B. für den Geburtenjahrgang 1998 zu erwarten, dass etwa ein Fünftel aller Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres eine Scheidung der Eltern erlebt (…). Angesichts der steigenden Scheidungsfrequenz ist in den nachfolgenden Jahrgängen mit einer weiteren Zunahme von Scheidungskindern zu rechnen.“ (Erhard/Janig, 2003, S. 49)

[...]

Ende der Leseprobe aus 184 Seiten

Details

Titel
Mädchen in sozialpädagogischen Betreuungseinrichtungen
Untertitel
Empfindungen, Hindernisse und Chancen bei einer Jugend außerhalb des Familienverbandes
Hochschule
University of Sheffield
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
184
Katalognummer
V88976
ISBN (eBook)
9783638041881
ISBN (Buch)
9783638939836
Dateigröße
955 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mädchen, Betreuungseinrichtungen
Arbeit zitieren
Simone Strasser (Autor:in), 2007, Mädchen in sozialpädagogischen Betreuungseinrichtungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88976

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